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1 Versuch B41 Untersuchung von Kristallen mittels Reflexionsgoniometer und Röntgenbeugungstechniken Einleitung Für die Beschreibung des Ordnungszustandes kristalliner Materie spielt die Symmetrie der periodischen Anordnung eine entscheidende Rolle. Es besteht eine direkte Kopplung zwischen der Symmetrie eines Kristalls und der Anisotropie seiner physikalischen Eigenschaften. Der regelmäßige innere Aufbau eines Kristalls als gitterhafte (= dreifach periodische) Struktur und dessen Symmetrie findet seinen Ausdruck schon in der äußeren morphologischen Form. Trotz der unterschiedlichen Ausbildung der Größe der Flächen bei Kristallindividuen bleibt die Orientierung einer Fläche erhalten. Orientierung bedeutet hier die Richtung der Flächennormalen relativ zu den Basisvektoren des Kristalls. Wenn die Flächen über die Richtungen ihrer Flächennormalen beschrieben werden, so folgt daraus, dass die Winkelbeziehungen zwischen den Flächennormalen für eine Kristallart invariant sind. Der dänische Naturwissenschaftler Niels Stensen (Nicolaus Steno) hat dies bereits 1669 erkannt und daraus das fundamentale Gesetz der Winkelkonstanz abgeleitet. Die stereographische Projektion aller Flächennormalen eines Kristalls liefert demnach schon Informationen über mögliche Symmetrie des Inneren Feinbaues. Der Praktikumsversuch besteht aus zwei Teilen: Im ersten Teil wird die kristallographische Beschreibung der Symmetrie eines Kristallpolyeders durchgeführt (Punktgruppenbeschreibung). Dazu werden die Winkelbeziehungen zwischen den makroskopisch sichtbaren morphologischen Flächen eines Kristallpolyeders mittels eines Reflexionsgoniometers durch Lichtspiegelung an den Kristallflächen bestimmt. Eine quantitative Darstellung als Stereogramm im Wulff’schen Netz dient der Bestimmung der Punktgruppensymmetrie des Polyeders. Da die äußeren Oberflächen mit inneren Ebenen des kristallinen Feinbaus in enger Beziehung stehen, lassen sich zusätzlich über die Achsen- abschnittsgleichung wesentliche Erkenntnisse zur Gittermetrik ableiten. Im zweiten Teil wird nun der mikroskopische innere Feinbau des gleichen Kristalls betrachtet. Wegen der geringen Dimension der aufzulösenden Objekte benötigt man dazu Licht mit Wellenlängen im Röntgen- bereich (1 Angström). Röntgenographische Analyseverfahren nutzen die Beugung des einfallenden Röntgen- lichtes an den Netzebenenscharen des Kristalls. Auf Grund der Bragg'schen Reflexionsbedingung für die Beugung an Netzebenen kann man auch von einer Spiegelung an diesen inneren Ebenen sprechen und die Winkelbeziehungen zwischen den Flächennormalen der inneren Ebenen spielen nun eine fundamentale Rolle für den inneren Aufbau des Kristalls. Aus den resultierenden Beugungsbildern lassen sich sowohl die Symmetrie der Raumgruppe als auch die Gitterkonstanten der kleinsten Einheit eines Kristalls, der sogenannten Elementarzelle, bestimmen.

Versuch B41 Untersuchung von Kristallen mittels ... · weitere Symmetriegruppe (triklin) zeigt - mit Ausnahme des Inversionszentrums - keine Symmetrie. Damit Damit gibt es insgesamt

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Versuch B41

Untersuchung von Kristallen mittels Reflexionsgoniometer und

Röntgenbeugungstechniken

Einleitung

Für die Beschreibung des Ordnungszustandes kristalliner Materie spielt die Symmetrie der periodischen Anordnung eine entscheidende Rolle. Es besteht eine direkte Kopplung zwischen der Symmetrie eines Kristalls und der Anisotropie seiner physikalischen Eigenschaften.

Der regelmäßige innere Aufbau eines Kristalls als gitterhafte (= dreifach periodische) Struktur und dessen Symmetrie findet seinen Ausdruck schon in der äußeren morphologischen Form. Trotz der unterschiedlichen Ausbildung der Größe der Flächen bei Kristallindividuen bleibt die Orientierung einer Fläche erhalten. Orientierung bedeutet hier die Richtung der Flächennormalen relativ zu den Basisvektoren des Kristalls. Wenn die Flächen über die Richtungen ihrer Flächennormalen beschrieben werden, so folgt daraus, dass die Winkelbeziehungen zwischen den Flächennormalen für eine Kristallart invariant sind. Der dänische Naturwissenschaftler Niels Stensen (Nicolaus Steno) hat dies bereits 1669 erkannt und daraus das fundamentale Gesetz der Winkelkonstanz abgeleitet. Die stereographische Projektion aller Flächennormalen eines Kristalls liefert demnach schon Informationen über mögliche Symmetrie des Inneren Feinbaues.

Der Praktikumsversuch besteht aus zwei Teilen:

Im ersten Teil wird die kristallographische Beschreibung der Symmetrie eines Kristallpolyeders durchgeführt (Punktgruppenbeschreibung). Dazu werden die Winkelbeziehungen zwischen den makroskopisch sichtbaren morphologischen Flächen eines Kristallpolyeders mittels eines Reflexionsgoniometers durch Lichtspiegelung an den Kristallflächen bestimmt. Eine quantitative Darstellung als Stereogramm im Wulff’schen Netz dient der Bestimmung der Punktgruppensymmetrie des Polyeders. Da die äußeren Oberflächen mit inneren Ebenen des kristallinen Feinbaus in enger Beziehung stehen, lassen sich zusätzlich über die Achsen-abschnittsgleichung wesentliche Erkenntnisse zur Gittermetrik ableiten.

Im zweiten Teil wird nun der mikroskopische innere Feinbau des gleichen Kristalls betrachtet. Wegen der geringen Dimension der aufzulösenden Objekte benötigt man dazu Licht mit Wellenlängen im Röntgen-bereich (1 Angström). Röntgenographische Analyseverfahren nutzen die Beugung des einfallenden Röntgen-lichtes an den Netzebenenscharen des Kristalls. Auf Grund der Bragg'schen Reflexionsbedingung für die Beugung an Netzebenen kann man auch von einer Spiegelung an diesen inneren Ebenen sprechen und die Winkelbeziehungen zwischen den Flächennormalen der inneren Ebenen spielen nun eine fundamentale Rolle für den inneren Aufbau des Kristalls. Aus den resultierenden Beugungsbildern lassen sich sowohl die Symmetrie der Raumgruppe als auch die Gitterkonstanten der kleinsten Einheit eines Kristalls, der sogenannten Elementarzelle, bestimmen.

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Versuchsvorbereitung zu Versuch B41

Von einem Physiker in Ihrem Ausbildungsstadium wird erwartet, dass Sie über die Erzeugung von RÖNTGEN Strahlung, die Deutung des Spektrums einer RÖNTGEN-Röhre und das Absorptionsverhalten von RÖNTGEN Strahlen Bescheid wissen. Sollten Sie selbstkritisch Defekte feststellen, ist die Lektüre eines einschlägigen Physik-Lehrbuchs angesagt. Falls dann noch Fragen offen sind, bringen Sie diese ins Praktikum mit.

Ziel des Praktikumsversuchs ist, am Ende die Kopplung zwischen der Symmetrie der makroskopischen Betrachtungsweise und der Symmetrie des dreidimensional periodischen, inneren Aufbaues zu erkennen, aus dem die Anisotropie der physikalischen Eigenschaften resultiert.

Als Vorbereitung des Versuchs sollten sie sich mit ein paar Grundlagen vertraut machen:

1. Was ist ein Gitter und wie kann man ein Gitter beschreiben? 2. Was bedeutet Symmetrie und was für Symmetrieelemente gibt es 3. Was versteht man unter einer kristallographischen Punktgruppe (Hermann-Mauguin-Symbolik), was

unter einer Kristallklasse? 4. Was versteht man unter einem reziproken Gitter? 5. Wie ist das reziproke- und das direkte Kristallgitter (z.B. bei einer Drehung des Kristalls) miteinander

gekoppelt? 6. Wie hängen Weiss’sche- und Miller’sche Indices zusammen und was ist ihre Bedeutung? 7. Welches physikalische Phänomen wird durch die "Bragg-Gleichung" und die Ewaldkonstruktion be-

schrieben? 8. Welches physikalische Phänomen beschreibt der Strukturfaktor. 9. Was sind systematische Auslöschungen, und warum gibt es diese bei unterschiedlichen Typen von

Symmetrieoperationen?

Wenn Sie über diese Fragen erfolgreich nachgedacht haben und eine schriftliche Notiz (bitte nicht die ganze Anleitung kopieren) darüber zum Versuch mitbringen, sind Sie hinreichend gut vorbereitet.

Alles, was Sie im Zuge dieser Vorbereitung nicht befriedigend klären können, bringen Sie bitte als Fragen zum Versuch mit.

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Teil 1: Makroskopische Betrachtung des Kristalls

Die Winkelbeziehungen zwischen den morphologischen Flächen eines Kristallpolyeders werden im ersten Teil des Versuchs mittels eines Reflexionsgoniometers (mit sichtbarem Licht) bestimmt. Eine quantitative Darstellung als Stereogramm im Wulff’schen Netz dient der Bestimmung der Punktgruppensymmetrie des Polyeders. Die Symmetrieelemente des Stereogramms erlauben es, das geeignete Koordinatensystem für die Beschreibung des kristallinen Aufbaues zu wählen. Mit Hilfe der Achsenabschnittsgleichung lassen sich dann Erkenntnisse zur Gittermetrik des Kristalls ableiten.

1.1 Das Zweikreisgoniometer

Abb. 1 zeigt eine Prinzipskizze eines Zweikreis-Reflexionsgoniometers, auf dem Photo ist das Praktikumsgerät zu sehen. Der auf einem Goniometerkopf (G; siehe auch Abb. 2) aufgesetzte Kristall K kann zunächst mit einem Mikroskop beobachtet werden, und eine Kristallfläche wird in etwa in Reflexionsstellung gebracht. Zur Feinjustierung nützt man ein von Q ausgehendes paralleles Lichtbündel. Halbiert die Normale einer Kristallfläche den Winkel zwischen dem auftreffenden Lichtbündel und der Richtung des Beobachters (O), so befindet sich der Kristall in Reflexionsstellung. Abhängig von der optischen Qualität der Kristallfläche kann dies als ein sehr heller Lichtreflex beobachtet werden.

Abb. 1: Prinzipskizze (links) und Photo (rechts) eines Zweikreisgoniometers. F: Feintrieb, G: Goniometerkopf, K: Kristall, O: Okular/Fernrohr, Q: Lichtquelle, R: Einraster für Feintrieb, Dφ, ρ : Drehkreise, Z: Einraster für Zusatzoptik.

Um die Winkel der Reflexionsstellungen für alle Flächen bestimmen zu können, befindet sich der Kristall im Schnittpunkt zweier aufeinander senkrecht stehenden Drehachsen. Im Tisch des Geräts ist der Drehkreis Dρ eingesenkt, mit dem der Kristall in der horizontalen Ebene drehbar ist. Auf der Skala der Kreisscheibe ist der Winkel ρ (Poldistanz) ablesbar. Der

Drehkreis Dρ ist über einen Arm H mit einem weiteren Drehkreis D, dem Vertikalkreis, verbunden, auf dem der Azimuthalwinkel einstellbar ist. Durch kombinierte Drehung

um Dρ und D kann jede Kristallfläche in Reflexionsstellung gebracht werden, der jeweils ein Winkelpaar aus (φ, ρ) Werten zugeordnet ist.

Für das leichtere Auffinden aller Flächennormalen und um sich ein nachfolgendes Wälzen der stereographischen Projektion zu ersparen, ist der Kristall mit Hilfe der beiden Wiegen des Goniometerkopfes (Abbildung 2) so justiert, dass eine makros-kopisch erkennbare wichtige Zonenachse (ausgeprägte Kantenrichtungen) zur Richtung der Drehachse D parallel ist. Dies bedeutet, dass alle zu dieser Zone gehörenden Flächennormalen einen ρ-Wert von 90° aufweisen. Befestigen Sie den Goniometerkopf mit seinem Kristall auf dem Reflexionsgoniometer (Vorsicht, den

Abb. 2: Goniometerkopf mit Glasfaden und aufgeklebtem Kristall

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Kristall nicht abbrechen!). Die (, ρ) -Winkelpaare aller Flächennormalen können nun nacheinander bestimmt werden.

Die ermittelten Wertepaare aller Flächen können unter Verwendung eines Wulffschen Netzes (stereographische Projektion des Winkelnetzes einer Kugeloberfläche in die Ebene) direkt in eine stereographische Projektion des Kristallpolyeders überführt werden.

1.2 Stereographische Projektion und Wulff’sches Netz

Eine übersichtliche Darstellung der Winkelbeziehungen zwischen den Flächennormalen erhält man durch die stereographische Projektion. Das Konstruktionsprinzip wurde schon in Abb. 3 gezeigt. Man stellt den Kristall in den Mittelpunkt einer Einheitskugel. Der Durchstoßpunkt einer Flächennormale P wird mit dem Pol der gegenüberliegenden Hemisphäre als Projektionspol verbunden. Der Schnittpunkt dieser Geraden mit der Äquatorebene P’ ist die Projektion von P.

Die stereographische Projektion ist eine winkeltreue (konforme) und kreisverwandte Abbildung der Kugeloberfläche in eine Ebene. Für eine quantitative Darstellung der Winkel-beziehungen aller Flächennormalen des Kristalls in einem Stereogramm dient das Wulff’sche Netz (Abbildung 4). Es entsteht durch eine stereographische Projektion des Systems der Längen- und Breitenkreise der Einheitskugel. Hierbei gibt es zwei Möglichkeiten: wenn der N-Pol und S-Pol des Koor-dinatensystems der Kugeloberfläche mit den Polen der stereo-graphischen Projektion zusammenfallen, so erhält man das Polarnetz (Kartographie). Wenn dagegen wie in Abbildung 5 die Pole N’ und S’ bezüglich des Projektionspunktes in der

Äquatorebene liegen, so erhält man das Wulff'sche Netz (Kristallographie). Für die gemessenen (,ρ)-Wertepaare kann mittels des Wulffschen Netzes ein Stereogramm des Kristallpolyeders erstellt werden. Hierzu legt man ein Transparentpapier auf ein Wulff'sches Netz und markiert für den Nullpunkt des

Azimutwinkels den Schnittpunkt des Äquatorkreises mit der Linie E’W’. Zum Eintragen der Flächenpole wird

Abb. 3 und 4: Veranschaulichung der stereographischen Projektion, Wulff'sches Netz mit 2° Winkeleinteilung der Groß- und Kleinkreise

Abb.5: Prinzipskizze des Wullf'schen Netzes

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das Transparentpapier um den Mittelpunkt des Wulffschen Netzes um den Azimutwinkel φ im Uhrzeigersinn gedreht und anschließend von der Mitte der Linie E’W’ die Poldistanz ρ abgetragen. Um zwischen den Flächenpolen auf der Nordhalbkugel und denen der Südhalbkugel unterscheiden zu können, werden alle, auf der Nordhalbkugel ausstechenden Flächenpole (0 ≤ ρ ≤ 90° und 270° ≤ ρ ≤ 360°) mit einem Kreuz markiert. Die auf der Südhalbkugel ausstechenden Flächenpole (90° < ρ < 270°) bekommen als Symbol einen Kreis.

1.3 Bestimmung eines geeigneten Koordinatensystems und der Punktgruppe

Nach dem Einzeichnen aller Flächenpole kann ausgehend von wesentlichen Zonen und symmetriebegabten Richtungen ein Koordinatensystem mit einer geeigneten Basis gewählt werden. Dazu betrachtet man im Stereogramm die Punktsymmetrie des Kristallpolyeders. Als Symmetrieelemente werden Drehachsen (1-zählig, 2- zählig, 3-zählig, 4-zählig und 6-zählig) und die entsprechenden Drehinversionsachsen (einschließlich des Inversionszentrums 1 und der Spiegelebene m) betrachtet. Man beachte, dass im Stereogramm nur die Symmetrieelemente, die durch den Kugelmittelpunkt und den Projektionspunkt verlaufen korrekt wiedergegeben werden. Anderenfalls müsste man die Projektion wälzen. Gekennzeichnet durch Symmetrieelemente in Achsenrichtungen gibt es sechs Gittersymmetriegruppen. Eine weitere Symmetriegruppe (triklin) zeigt - mit Ausnahme des Inversionszentrums - keine Symmetrie. Damit gibt es insgesamt sieben Gitter-Symmetriegruppen. In Tabelle 1 (nächste Seite) sind alle Kristallysteme nach Hermann-Mauguin-Symbolik zusammengefasst. Man beachte, dass die metrischen Bedingungen der Achsenkreuze eine Folge der Gittersymmetrie sind und nicht umgekehrt! Die Ausrichtungen der Symmetrieelemente werden zu Klassen symmetrieäquivalenter, symmetriebegabter Richtungen zusammengefasst, den so genannten Blickrichtungen. Jede Kristallklasse besitzt maximal drei Blickrichtungen. Die Drehachsen in den Blickrichtungen werden durch eine Zahl entsprechend ihrer Zähligkeit (2, 3, 4, 6) angegeben. Eine gestrichene Zahl bedeutet eine Drehinversionsachse entsprechender Zähligkeit (-3,-4,-6). Die Drehinversionsachse -2 entspricht einer Spiegelebene und wird durch m gekennzeichnet. Treten in einer Blickrichtung eine Drehachse und die Normale einer Spiegelebene gleichzeitig parallel zu einander auf, so wird dies durch einen Bruchstrich, z. B. bei einer zweizähligen Drehachse durch das Symbol 2/m, dargestellt. Die Symmetrieelemente entlang bestimmter Richtungen legen also die Kristallklasse fest. Für Kristalle einer Kristallfamilie muss nicht die volle Gittersymmetrie ausgebildet sein. Eine vollständige Liste der damit möglichen 32 Punktgruppen nach Hermann-Mauguin-Symbolik (Punktsymmetrien, Kristallklassen) ist in Tabelle 2 (übernächste Seite) dargestellt.

Beispiele:

1) Das trikline Achsenkreuz ist mit den Symmetrieelementen 1 und -1 kompatibel. Zusätzliche Symmetrie-elemente führen sofort zu einem Achsenkreuz höherer Symmetrie. Wird der Kristall von Paaren paralleler Flächen begrenzt (Pinakoid), so gehört er zur Punktgruppe -1. Besteht er aus lauter nichtparallelen Flächen (Pedion), so lautet seine Punktgruppe 1. 2) Die monokline Kristallfamilie besitzt, bedingt durch den monoklinen Winkel, nur eine symmetriebegabte Richtung und zeigt in ihrer höchstsymmetrischen Form (Holoedrie) in dieser Richtung das Symmetrieelement 2/m. Diese Richtung wird durch Konvention als die b-Achse des Koordinatensystems bezeichnet. Findet man bei einem Kristall die Symmetrieelemente 2 oder m in nur einer Richtung auf, so ist ebenfalls das monokline Achsenkreuz zu verwenden. Die monokline Familie enthält also drei Gruppen mit den Symmetrieelementen 2/m, 2 oder m in der [010] - Richtung. Die Richtungen der Achsen a und c werden dann in Richtung von geeigneten Zonenpolen gewählt, welche senkrecht zur b-Achse ausstechen. 3) Besitzt ein Polyeder eine zweizählige und eine dreizählige Drehachse, die nicht senkrecht auf der zweizähligen Achse steht, so ist das kubische Koordinatensystem zu verwenden (kleinste Punktgruppe im kubischen System). Die zweizählige Achse wird als a-Achse bezeichnet, die dreizählige Achse zeigt in Richtung der Raumdiagonalen. Der Grund liegt darin, dass durch die Kombination beider Symmetrieoperationen weitere 3-zählige Drehachsen entstehen, welche dann insgesamt alle parallel der vier Raumdiagonalen des Würfels stehen.

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Tabelle 1: Die sechs Kristallfamilien / sieben Kristallsysteme

Kristall

-system

Beschreibung

Symmetrieelemente für Holoedrie

Achsenkreuz Gleichwertigkeit der Achsen durch

Normiertes Achsen-vehältnis

1. Richtg 2. Richtg 3. Richtg

triklin

anorthisch

( a )

Keine aus-gezeichnete Richtung

[ 1 ]

a≠b≠c

α≠β≠γ

a/b : 1: c/b

monoklin

( m )

Nur 1 zweizählige DrA u/o

SpE

b

2/m

a≠b≠c

α=γ=90°,

β>90°

a/b : 1: c/b

rhombisch oder

orthorhom-bisch

( o )

Nur zwei-zählige DrA u/o SpE, mindestens jeweils 2

a

2/m

b

2/m

c

2/m

a≠b≠c

α=β=γ=90°

a/b : 1: c/b

tetragonal

( t )

Nur 1 vier-zählige DrA

c

4/m

<a>

2/m

<110>1

2/m

a=b≠c

α=β=γ=90°

4 // c c/a

trigonal *)

rhomboedr.

( hR )

Nur 1 dreizählige DrA

C 3̅

<a>

2/m

a=b≠c

α=β=90°

γ=120°

3 // c

c/a

hexagonal

( hP )

1 sechszählige DrA

c

6/m

<a>

2/m

<210>2

2/m

a=b≠c

α=β=90°

γ=120°

6 // c

c/a

kubisch

( c )

Mindestens 2 dreizählige DrA

<a>

4/m

<111>3

<110>1

2/m

a=b=c

α=β=γ=90°

3//<111>

1

DrA = Drehachse, SpE = Spiegelebene, u/o = und / oder 1 Richtung der 𝑎𝑏̅̅ ̅-Flächendiagonalen 2 Richtung der2𝑎𝑏̅̅ ̅-Flächendiagonalen 3 Richtung der Raumdiagonalen

*) Nota: Kristalle mit „trigonaler“ Symmetrie besitzen rhomboedrische Punktsymmetrie. Diese Punktsymmetrie, bei der nur zwei der drei möglichen hexagonalen Blickrichtungen mit Symmetrieelementen besetzt sind, ist sowohl mit einem hexagonalen Gitter hP verträglich als auch mit einem rhomboedrischen rP. In beiden Fällen verwendet man von Ausnahmefällen abgesehen eine hexagonale Elementarzelle. Im ersten Fall ist zu beachten, dass man zur genauen Orientierung der Punktsymmetrie relativ zur Gitterbasis jeweils eine „1“ in das Symbol einfügt, z.B. 3m1 oder 31m. Im Fall rP wird gelegentlich ein rhomboedrisches Achsensystem mit a=b=c, α=β=γ (primitives Gitter) benutzt, z.B. beim Vergleich mit kubischen Strukturen. Da in diesem Fall die Basisvektoren aber nicht in Symmetrieachsen des Gitters liegen und deshalb am Anfang der Kristalluntersuchung nur schwer zu identifizieren sind, verwendet man gewöhnlich eine hexagonale Elementarzelle, die auf den Drittelpunkten der langen Hauptdiagonale zusätzliche Zentrierungen enthält und kennzeichnet diese Situation durch das Symbol hR. Wegen der engen Verwandtschaft zwischen hexagonaler, trigonaler und rhomboedrischer Symmetrie ist es zweckmäßig, die drei Systeme zu einer hexagonal-rhomboedrischen Kristallfamilie zusammenzufassen.

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Tabelle 2: 32 Punktgruppen nach Hermann-Mauguin-Symbolik

Kristallsystem Punktgruppen

Holoedrie (abgekürztes Symbol) Untergruppen

triklin 1 1

monoklin 2/m m, 2

orthorhombisch 2/m 2/m 2/m (mmm) mm2, 222

tetragonal 4/m 2/m 2/m (4/m m m) 42m, 4mm, 422, 4/m, 4, 4

trigonal 3 2/m (3m) 3m, 32, 3, 3

hexagonal 6/m 2/m 2/m (6/mmm) 6m2, 6mm, 622, 6/m, 6, 6

Kubisch 4/m 3 2/m (m3m) 43m, 432, 2/m3 (m3), 23

1.4 Bestimmung der Achswinkel bezüglich des gewählten Koordinatensystems

Die Relationen zwischen den Achswinkeln φa, φb und φc der Flächennormalen und den gemessenen Winkeln

ρ lassen sich über den sphärischen Pythagoras (der Kosinus der Hypotenuse ist gleich dem Produkt der Ko-sinuswerte der Katheten) für rechtwinklige sphärische Dreiecke herstellen. Die in Abb. 5 gezeigte Skizze veranschaulicht diesen Zusammenhang am allgemeinen Beispiel eines orthogonalen kartesischen Koordinatensystems mit den Achsen x, y und z.

Aus der Betrachtung des sphärischen Dreiecks (P, x, P) lässt sich bei Anwendung des sphärischen Phythagoras folgender Zusammenhang aus Abb. 5 ableiten:

cos ϕ𝑥 = cos (90° − 𝜌𝑃) · cos (φ𝑃 − φ𝑥)

= sin 𝜌𝑃 · cos (φ𝑃 − φ𝑥)

Das sphärische Dreieck (P, f, y) ergibt dann den Ausdruck

cos ϕ𝑦 = cos(90° − 𝜌𝑃) · cos(φ𝑦 − φ𝑃)

= sin 𝜌𝑃 · cos(φ𝑦 − φ𝑃)

Der Winkel ϕ𝑧 stimmt im Fall eines orthogonalen Koordinatensystems mit dem Winkel ρP überein.

Die Koordinatenachsen müssen natürlich nicht zwingend 90° zu einander stehen. Nur die ρ = 0 Achse sollte mit einer Koordinatenachse zusammenfallen. Ist dies, wie im Triklinen System nicht der Fall, so gilt statt des sphärischen Pythagoras der allgemeineren Gleichungen zur sphärischen Trigonometrie.

Nachdem die stereographische Projektion unseres Kristalls ein Koordinatensystem erlaubt, bei dem mindestens eine Achse auf den beiden anderen senkrecht steht, können die Achswinkel φa, φb und φc zu den Koordinatenachsen bequem über den sphärischen Pythagoras berechnet werden.

1.5 Achsenverhältnis und Miller'sche Indizes

Nach der Wahl der Basis steht noch die analytische Beschreibung der Kristallflächen bezüglich der gewählten Basis an, d.h. die Bestimmung der Linearform:

L(xyz) =h·x + k·y +l·z (hessesche Normalenform).

Abb. 5. Zur Berechnung der Achsenabschnitte

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Jeder spezielle Wert der Linearform L(xyz) = const. bestimmt eine Ebene. Da aber nach dem Gesetz der Winkelkonstanz die genaue Lage der Ebene für uns unwesentlich ist, sind für die Charakterisierung des Kristallpolyeders nur die Koeffizienten (hkl) von Bedeutung und wegen der willkürlichen Wahl der Konstanten auch nur das Verhältnis h:k:l. Das von Ch. S. Weiss formulierte Rationalitätsgesetz besagt, dass die Ko-effizienten der Linearform beim Bezug der analytischen Beschreibung auf die symmetriebezogene Basis ganzzahlige Verhältnisse h:k:l besitzen. Diese ganzzahligen, teilerfremden Koeffizienten-Tripel werden als Miller'sche Indizes bezeichnet und ihre Bestimmung nennt man „Indizierung“ des Kristalls.

Als ersten Schritt bei der Indizierung stellt man den Typ einer Fläche fest. Hat eine Fläche keinen Schnittpunkt mit einer Koordinatenachse, so ist der zugehörige Miller'sche Index Null (wird beispielsweise die b-Achse nicht geschnitten, so ist die Fläche vom Typ (h0l)). Für Flächen, die parallel zu zwei Basisvektoren verlaufen, ergibt sich bereits die vollständige Indizierung. Aus diesem Grund wählt man, wie schon in Kap. 1.3 am Beispiel des Monoklinen Achssystems erwähnt, die Achsrichtungen senkrecht zu Zonen mit möglichst vielen Flächenpolen, d. h. in Richtung des Zonenpols der jeweiligen Zone. Dadurch besitzen alle Flächenpole der Zone den Miller’schen Index 0 bezüglich der gewählten Achse. Da bei makroskopischen Kristallen in der Regel nur kleine Indices vorkommen (Folge des Bravais’schen Gesetzes), kann man als ersten Ansatz erst mal alle Miller’schen Indices ungleich 0 auf den Wert 1 setzen.

Zur Bestimmung der Verhältnisse von a/b und c/b verwendet man die Achsenabschnittsgleichung:

h : k : l = a cos(a) : b cos(b) : c cos(c) (1)

Die Achsenabschnittsgleichung verknüpft die Millerschen Indizes (hkl) einer Fläche mit deren Achsenabschnitten, d. h. mit den Schnittpunkten der Ebene mit den Basisvektoren eines an die Symmetrie angepassten Koordinatensystems. φa, φb und φc bezeichnen die Winkel, die die jeweilige Flächennormale mit den Achsen der Basis einschließt. Ebenso sind noch die metrischen Parameter a, b und c als Längen der Einheitsachsen festzulegen. Da durch Gleichung (1) nur Verhältnisse bestimmbar sind, setzt man willkürlich b = 1 (internationale Konvention). Am einfachsten führt man die Bestimmung der Achsenabschnitte an einer Fläche mit Millerschen Indizes h : k : l = 1 : 1 : 1 durch. Kommt eine derartige Fläche nicht vor, so müssen zwei Flächen speziellerer Lage (z. B. eine (hk0) → (110) und eine (0kl) Fläche → (011)) herangezogen werden, bei denen die beiden verbleibenden Indizes zu 1 gewählt werden können. Aus der Achsenabschnittsgleichung (1) ergeben sich für b = 1 folgende Zusammenhänge:

𝑘=

𝑎 cosϕ𝑎

b cosϕ𝑏 𝑎 =

ℎ cosϕ𝑏

k∙cosϕ𝑎 =

cosϕ𝑏

cosϕ𝑎=

cos 𝜌𝑃

sin 𝜌𝑃 ∙ cos(φ𝑎−φ𝑃) bzw.

𝑙

𝑘=

𝑐 cosϕ𝑐

b cosϕ𝑏 𝑐 =

𝑙 cosϕ𝑏

k∙cosϕ𝑐 =

cosϕ𝑏

cosϕ𝑐=

cos 𝜌𝑃

sin 𝜌𝑃 ∙ cos(φ𝑃−φ𝑐)

Bei Vorhandensein mehrerer Flächen, welche die Bestimmung des jeweiligen Achsverhältnisses erlauben, mittelt man über die jeweiligen Ergebnisse Die gemittelten Achsverhältnisse werden dann in der Form: a : 1 : c angegeben.

Hat man erst einmal die Achsverhältnisse bestimmt, dann lassen sich die Verhältnisse der Miller'schen Indizes für jede weitere Fläche berechnen und damit kann dann die vorher vorgenommene Indizierung überprüft werden.

Die stereographische Projektion mittels des Wullf'schen Netzes gibt anschaulich die Symmetrie des Kristalls wider. Die Genauigkeit beim Einzeichnen führt allerdings schnell zu recht großen Fehlern bei der Bestimmung der Achsenverhältnisse. Es ist daher sinnvoller, die Auswertung der Achsenverhältnisse rechnerisch

durchzuführen. Dazu müssen als erstes die Flächenpole aus den Polarkoordinaten (ρ) in Vektoren eines kartesischen Koordinatensystems überführt werden.

xc = cos(φ)sin(ρ)

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yc = sin(φ)sin(ρ)

zc = cos(ρ)

Falls der Kristall eine Drehachse aufweist, so muss jeder symmetrisch äquivalente Flächenpol unter gleichem Winkel zur Drehachse vorliegen. Damit kann die Richtung der Drehachse aus der Richtung der Winkelhalbierenden zwischen entsprechenden Flächenpaaren berechnet werden. Liegen mehrere Paare symmetrisch äquivalenter Pole vor, so sind die entsprechenden Winkelhalbierenden zu mitteln.

Falls keine Drehachsen vorliegen, so können die Richtungen der Basisvektoren aus folgender Überlegung berechnet werden. Die Fläche (100) entspricht der a* Achsrichtung und wird von den Vektoren b und c aufgespannt. Damit liegt der Flächenpol unter 90° zu jedem der beiden Basisvektoren. Analog gilt: (010) entspricht b* und wird von a und c aufgespannt, (001) entspricht c* und wird von a und b aufgespannt. Die Flächen (100), (010) und (001) kann man zunächst beliebig festlegen. Eine sinnvolle Auswahl erfolgt nach der Größe bzw. nach dem Vorliegen als Schnittpunkt mindestens zweier mit vielen Flächenpolen besetzter Großkreise, sogenannten Zonen.

Hat man nun die Flächen (100), (010) und (001) festgelegt, so kann deren Wert noch verfeinert werden, indem man den (100) und den (-100) mittelt (Analog für die anderen reziproken Achsrichtungen)

Da gilt:

a ⊥ (010) und (001)

b ⊥ (001) und (100)

c ⊥ (100) und (010)

können die Richtungen der Basisvektoren a,b,c aus dem Vektorprodukt der jeweils senkrecht zu dem Basisvektor orientierten Flächenpolen berechnet werden.

a = (010) × (001)

b = (001) × (100)

c = (100) × (010)

Denken Sie daran, dass das Vektorprodukt nicht kommutativ ist! Die so erhaltenen Vektoren sind Vektoren der Länge eins, welche parallel zu den Basisvektoren sind. Nun können die Winkel φa, φb und φc aus dem Skalarprodukt zwischen den Vektoren der Flächenpole und den Basisvektoren berechnet werden.

Da alle Vektoren die Länge eins haben, entfallen die Nenner.

Aufgaben zum 1. Teil (Zusammenfassung):

Machen sie sich mit den verschiedenen mechanischen Vorrichtungen des Reflexionsgoniometers ver-traut.

Vermessen Sie die (ρ) Winkelpaare für möglichst alle erkennbaren Flächen des Kristalls.

Fertigen Sie eine stereographische Projektion der Flächennormalen des Kristalls unter Verwendung eines Wulffschen Netzes an.

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Ermitteln Sie aus der stereographischen Projektion die Symmetrieelemente des Kristalls nach Her-mann-Mauguin-Symbolik und legen sie ein geeignetes Koordinatensystem fest.

Treffen Sie ausgehend von wesentlichen Zonen eine Basiswahl, bestimmen Sie die Polarkoordinaten

der Ausstichpunkte für die Achsen a, b und c und ermitteln sie den monoklinen Winkel .

Indizieren sie alle Flächenpole bezüglich des gewählten Koordinatensystems.

Berechnen Sie für alle Flächenpole die Winkel φa, φb und φc über den sphärischen Pythagoras und bestimmen Sie das „Achsenverhältnis a:1:c“ aus dem Mittelwert der passenden Flächenpole (z. B. a-Verhältnis aus allen hk0 Reflexen). Vergleichen sie das gefundene Achsenverhältnis mit Literaturda-ten.

Bestimmen sie nach Umrechnung der Polarkoordinaten aller Flächenpole in karthesische Koordina-ten die Koordinaten der Achsen a, b und c rechnerisch aus den jeweiligen Vektorprodukten. Rechnen sie die karthesischen Koordinaten der Achsen wieder in Polarkoordinaten um und vergleichen sie die

Ergebnisse mit den graphisch ermittelten Werten. Berechnen sie den Winkel zwischen den Haupt-achsen neu.

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Teil 2: Röntgenographische Untersuchungen auf mikroskopischer Längenskala

In diesem Teil untersuchen wir den Kristall mit Hilfe der Beugung von Röntgenstrahlen. „Unter Beugung (Diffraktion) versteht man jede Abweichung des Lichtes vom geradlinigen Strahlengange, soweit sie nicht als Spiegelung (Reflexion) oder Brechung (Refraktion) aufgefasst werden kann.“ (A. Sommerfeld, Optik, S.156). Da der Brechungsindex für Rönt-genstrahlen nur um Promille von 1 abweicht, können wir bei der Beleuchtung von Kristallen mit Röntgenlicht die Spie-gelungs- und Brechungseffekte als Promille-Effekte vernachlässigen und uns voll den Beugungs- und Interferenzeffek-ten widmen.

2.1 Grundlagen zur Röntgenbeugung

2.1.1 Der Fourierraum bzw. reziproke Raum

Durch die Wechselwirkung zwischen Photonen und Materie können Änderungen der ursprünglichen Ausbreitungsrichtungen der einfallenden elektromagnetischen Welle des Primärstrahls auftreten. Elektronen werden durch das elektrische Feld einer elektromagnetischen Welle zu erzwungenen Schwingungen angeregt. Nach der klassischen Elektrodynamik strahlen diese beschleunigten Elektronen ihrerseits elektromagnetische Wellen aus (Dipolstrahlung). Diese Sekundärwellen haben die gleiche Frequenz wie die erregende Welle. Sie können miteinander interferieren. Jedes Atom wirkt so als Streuzentrum für die einfallende Röntgenstrahlung. Die Überlagerung der kohärenten Sekundärwellen ergibt das Beugungsbild eines Kristalls. Bei Annahme der "Fraunhoferschen Näherung" entspricht das Beugungsbild der Fourier-Transformierten des beugenden Objekts1. Da das beugende Objekt im Fall eines Kristalls eine dreidimensional periodische Struktur besitzt, werden die Interferenzmaxima der gebeugten Strahlen einem dreidimensionalen „reziproken Gitter” entsprechen. Aus den vektoriellen Laue Gleichungen folgen die Lagen der reziproken Gitterpunkte. Sie können im gleichen Kristallsystem wie das reelle Gitter mit reziproken

Basisvektoren �⃗�∗, �⃗⃗�∗, 𝑐∗ beschrieben werden:

2.1.2 Die Bragg-Gleichung

Intensitätsmaxima treten im Beugungsraum genau dann auf, wenn die Gangunterschiede der Streuwellen ganzzahlige Vielfache j der Wellenlänge ergeben (siehe Abb.6). Den geometrischen Zusammenhang zwischen den beugenden Netzebenen und möglicher Maxima im Interferenzbild beschreibt die Bragg-Gleichung:

2 dhkl sin Θ = j λ dhkl Netzebenabstand

λ Wellenlänge

Θ Einfallswinkel der Röntgenstrahlung auf die Netzebene (nicht auf die Kristalloberfläche!)

Um die Bragg-Bedingung erfüllen zu können, muss die Wellenlänge λ kleiner als der doppelte Gitterebenenabstand 2d sein. Dies schränkt die im Experiment sichtbaren Reflexe bei gegebener Wellenlänge λ ein. Daher treten auch keine Braggreflexe mit sichtbarem Licht auf.

1 Präziser ausgedrückt, entspricht das Beugungsbild dem Betragsquadrat der Fourier-Transformierten des beugenden Objekts.

�⃗�∗ =�⃗⃗� 𝑥 𝑐

�⃗� ൫�⃗⃗� 𝑥 𝑐൯

�⃗⃗�∗ =𝑐 𝑥 �⃗�

�⃗� ൫�⃗⃗� 𝑥 𝑐൯

𝑐∗ =�⃗� 𝑥 �⃗⃗�

�⃗� ൫�⃗⃗� 𝑥 𝑐൯

�⃗�∗ ∙ �⃗� = 1 �⃗�∗ ∙ �⃗⃗� = 0 �⃗�∗ ∙ 𝑐 = 0

�⃗⃗�∗ ∙ �⃗⃗� = 1 �⃗⃗�∗ ∙ �⃗� = 0 �⃗⃗�∗ ∙ 𝑐 = 0

𝑐∗ ∙ 𝑐 = 1 𝑐∗ ∙ �⃗� = 0 𝑐∗ ∙ �⃗⃗� = 0

Abb. 6: Beugung des Röntgenstrahls an einer Gitterebenenschar. Eine Gitterebenenschar kann durch einen reziproken Gittervektor G0 charakterisiert werden. Die Richtung von G0 legt dabei die Normale der Netzebenenschar fest, während der

Abstand der Netzebenen durch d = 1/G0 bestimmt ist

12

2.1.3 Die Laue Gleichungen und die Ewald-Konstruktion

Bezeichnet man wie in Abb. 1 im Kapitel 1.2 den Wellenvektor der

an einem Gitterpunkt einfallenden Strahlung mit �⃗⃗� und den

betragsgleichen Wellenvektor der auslaufenden Welle mit 𝑘′⃗⃗⃗⃗ , so

lässt sich ein Streuvektor ∆ 𝑘⃗⃗⃗⃗⃗⃗⃗ = 𝑘‘ ⃗⃗⃗⃗⃗ − �⃗⃗� definieren. Beugungsmaxima treten auf, wenn die 3 Laue-Gleichungen gleichzeitig erfüllt sind. h, k, l sind hierbei ganze Zahlen. Dies trifft

zu, wenn ∆𝑘⃗⃗ ⃗⃗⃗ einem Translationsvektor im reziproken Gitter entspricht, wenn also gilt:

(Laue Gleichungen)

Eine sehr anschauliche, geometrische Darstellung dieses Sachverhalts im Beugungs- bzw. Fourierraum erhält man aus der Ewald-Konstruktion (Abb.7). Der Radius der Ewaldkugel entspricht

dem Betrag des einfallenden Wellenvektors �⃗⃗� und hat die Länge 1/. Die Lage der Kugel wird durch die Richtung des Primärstrahls bestimmt. Dreht man nun den Kristall und damit das geometrisch verknüpfte reziproke Gitter so, dass neben dem Ursprung des reziproken Gitters ein weiterer reziproker Gitterpunkt bzw. gleichbedeutend Anfang und Ende

eines reziproken Gittervektors �⃗�ℎ𝑘𝑙 gleichzeitig auf der Kugeloberfläche zu liegen kommen, so ist die

Beugungsbedingung erfüllt und 𝑘′⃗⃗⃗⃗ kann unter dem Beugungswinkel 2hkl relativ zum Primärstrahl gemessen werden.

Der Zusammenhang zwischen einem reziproken Gittervektor �⃗�ℎ𝑘𝑙 und dem zugehörigen Netzebenenabstand dhkl im

Realraum ist gegeben durch: |�⃗�ℎ𝑘𝑙| = 1

𝑑ℎ𝑘𝑙

Die Lage aller Bragg-Reflexe im reziproken Raum sind allein durch die Translationsvektoren des reellen Gitters bestimmt (Laue-Gleichungen, Bragg-Gleichung). Ihre Kenntnis erlaubt die Bestimmung der Metrik (Gitterparameter) der kleinsten Baueinheit des Kristalls, seiner Elementarzelle.

Die Intensität der Beugungsmaxima ist proportional zum Betragsquadrat der gestreuten Wellen aller Elementarzellen im Kristall. Ob ein reziproker Gitterpunkt Intensität trägt, hängt von den Phasenbeziehungen der einzelnen Sekundärwellen ab. Existiert symmetriebedingt z. B. durch Zentrierungen, Gleitspiegelebenen oder Schraubenachsen eine zusätzliche Netzebene, welche zur ursprünglichen Netzebene einen Phasenversatz von 180° aufweist, so interferieren diese destruktiv und es kommt zu Auslöschungen. Bei einer 21 Schraubenachse parallel der b-Achse wird z.B. jedes Atom von den Koordinaten (x,y,z) auf die Position mit den Koordinaten x, y+½, z abgebildet oder formell:

(R, T) ∙ �⃗� = (−1 0 00 1 00 0 −1

) ∙ (𝑥𝑦𝑧

) + (

01

2⁄

0

)

.

Damit existiert zu jedem Atom ein weiteres Atom, welches um die halbe Höhe der 010 Netzebene verschoben ist, also einen Phasenversatz von 180° aufweist. Alle an diesen Netzebenen gestreuten Wellen löschen sich paarweise aus, so dass z.B. der Bragg-Reflex 010 systematisch die Intensität Null hat. Derartige Auslöschungsregeln sind für alle Symmetrieoperationen tabelliert und werden herangezogen, um die Raumgruppensymmetrie eines Kristalls zu bestimmen.

Abb. 7: Ewald – Konstruktion in 2D für (201) - Reflex in Beugungsbedingung

∆𝑘⃗⃗ ⃗⃗ ⃗ = �⃗�ℎ𝑘𝑙 �⃗� ∙ ∆𝑘⃗⃗ ⃗⃗ ⃗ = ℎ

�⃗⃗� ∙ ∆𝑘⃗⃗ ⃗⃗ ⃗ = 𝑘

𝑐 ∙ ∆𝑘⃗⃗ ⃗⃗ ⃗ = 𝑙

13

2.2 Schwenk- und Drehkristallverfahren

Einen der Gitterparameter bestimmen wir mit dem Schwenk- bzw. Drehkristallverfahren. Bei einer Drehbewegung des Kristalls um eine vorjustierte Symmetrieachse hoher Zähligkeit, also in der Regel eine der Hauptachsen (in unserem Fall die b-Achse), bildet man die zu dieser Achse senkrecht stehenden reziproken Netzebenen auf einer, koaxial zylindrischer feststehenden Detektorfolie ab (Abb. 3).

Alle reziproken Gitterpunkte liegen in diesem Fall auf Geraden, welche immer paarweise mit gleichem Abstand zur Mittelinie auftreten. Diese Gerade nennt man "Schichtlinie", weil in ihr alle Reflexe einer Schicht des reziproken Gitters liegen. Die Erklärung für die Schichtlinien folgt aus der Orthogonalitätsbedingung des reziproken Gitters. Wenn wir zum

Beispiel als Drehachse des Kristalls die Richtung des Basisvektors �⃗⃗� gewählt haben, so stehen per Definition die

Basisvektoren �⃗�∗ und 𝑐∗ und die von ihnen aufgespannte Netzebene senkrecht auf �⃗⃗�. Dreht man nun den Kristall um die b Achse, so gibt es für diese Ebene einen Schnittkreis auf der Ewaldkugel, d.h. die reziproken Gitterpunkte dieser Ebene werden Einer nach dem Anderen die Oberfläche der Ewaldkugel durchstoßen und so die Beugungsbedingung erfüllen. Durch Parallelverschiebung um ganzzahlige Vielfache des Basisvektors (Periodizität) existieren weitere Ebenen (hnl) bzw. (h-nl) mit n = … -3,-2,-1,1,2,3 … oberhalb und unterhalb, deren Schnittkreise parallel zur Ausgangsebene (h0l) sind. Ist n · d* der Abstand der n-ten Netzebene des reziproken Gitters von der nullten Netzebene (gemessen in Å-1), so ist die Translationsperiode auf der zugeordneten Gittergeraden des Kristallgitters b = 1/d*. Außerdem gelten folgende geometrischen Zusammenhänge (siehe Abb. 9):

sin 𝛼𝑛 = 𝑛𝑑∗𝜆 1

𝜆: 𝑅𝑎𝑑𝑖𝑢𝑠 𝑑𝑒𝑟 𝐸𝑤𝑎𝑙𝑑𝑘𝑢𝑔𝑒𝑙 tan 𝛼𝑛 =

𝑙𝑛

2𝑟 =

𝑙𝑛

𝑅 𝑛: 𝑆𝑐ℎ𝑖𝑐ℎ𝑡𝑙𝑖𝑛𝑖𝑒𝑛𝑛𝑢𝑚𝑚𝑒𝑟

�⃗⃗�

|�⃗⃗�|𝐺ℎ𝑘𝑙 = 𝑛𝑑∗ =

𝑛

|�⃗⃗�|=

sin 𝛼𝑛

𝜆 ⇒ |�⃗⃗�| =

𝑛∙𝜆

sin 𝛼𝑛 r / R = Radius / Durchmesser des Detektorfolienzylinders

Dreht man den Kristall während der Aufnahme um 360°, so trifft jeder Reflex einer Schicht seinen Ewald-Kreis zweimal, einmal in der rechten Hälfte der Detektorfolie beim Drehwinkel φ und einmal in der linken Hälfte bei dem Drehwinkel φ'. Jeder reziproke Gitterpunkt (hkl) erzeugt also zwei Reflexe, die wegen der Symmetrie der Anordnung

Abb. 8: Prinzipskizze einer Schwenk- bzw. Drehkristallaufnahme mit den aus der Aufnahmetechnik resultierenden Schichtlinien

Abb. 9: Geometrische Verdeutlichung einer Drehkristallaufnahme. Bei Drehung des reziproken Gitters um seinen Nullpunkt werden nacheinander alle reziproken Gitterpunkte einer (h n l)-Ebene unter dem gleichen Winkel n in Beugungsbedingung gebracht und somit auf dem Film auf einer Gerade abgebildet

14

spiegelsymmetrisch zur Ebene aus Drehachse und Primärstrahl liegen. Außerdem gibt es zu jedem Reflex (hkl) den

zentro-symmetrischen Reflex (-h-k-l), der den gleichen Beugungswinkel 2 besitzt. Er liegt in der (-l)-ten Schicht und ist inversionssymmetrisch zum (hkl)-Reflex, wenn der Kristall um 180° weiter gedreht wird. Es entstehen so vier Schwärzungspunkte bei den Drehwinkeln φ, φ ', φ +180° und φ '+180°. Das Beugungsbild auf der abgerollten Detektorfolie weist also immer die Symmetrie mm2 auf. Eine solche Aufnahme nennt man Drehkristallaufnahme. Bei Drehung des Kristalls um einen kleineren Winkel (ca. 10° -20°), können nicht alle vier der genannten Reflexe beobachtet werden; im Vergleich zur Drehkristallaufnahme wird daher die Symmetrie der Reflexanordnung, die von der Aufnahmetechnik bewirkt wurde, gebrochen. Besitzt der Kristall allerdings eine Spiegelebene senkrecht zur Drehachse oder eine zweizählige Drehachse in dieser Richtung, erscheint die nullte Schichtlinie der Aufnahme als Spiegelgerade (Beispiel: monokline Punktgruppe: 2 oder m; zentro-symmetrische Obergruppe: 2/m). Ist dies der Fall, liegt eine symmetriebegabte Richtung längs der Drehachse vor. Diese Aufnahmetechnik wird als Schwenkaufnahme bezeichnet.

2.2.1 Versuchsdurchführung

Die Schwenkaufnahme wird in einer Weissenberg-Kamera bei feststehendem Detektorfolienzylinder und nicht eingesetzter Weissenberg-Blende angefertigt. Der Schwenkwinkel beträgt ± 20°. Schwenkachse ist Rotationsachse des Diffraktometers. Die Wellenlänge der CuKα-Strahlung ist 1,5418 Å. Der Durchmesser des Detektorfolienzylinders beträgt 114,2 mm.

2.2.2 Auswertung

Um den Ablesefehler zu minimieren, wird zur Auswertung immer der Abstand der (hnl)-Ebene zur (h-nl)-Ebene (Abstand ln) verwendet. Die Translationsperiode t längs der Schwenkachse, die es zu ermitteln gilt, erhält man unter Verwendung von:

tan 𝛼𝑛 = 𝑙𝑛

2𝑟 =

𝑙𝑛

𝑅 𝑡 =

𝑛∙𝜆

sin 𝛼𝑛 ⇒ 𝑡 =

1

𝐷∗ = 𝑛𝜆

𝑠𝑖𝑛 𝑎𝑟𝑐𝑡𝑎𝑛(𝑙𝑛𝑅

)= 𝑛 𝜆 √1 + (

𝑅

𝑙𝑛)

2

t = Translationsperiode des Kristallgitters (direkter Raum) λ = Wellenlänge der verwendeten monochromatisierten Strahlung n = Schichtliniennummer

n = Winkel des n-ten Beugungskegels mit der Primärstrahlrichtung R = Durchmesser des Detektorfolienzylinders (hier 114,2 mm) ln = Abstand von der -n-ten zur n-ten Schichtlinie

Im Fall einer Schwenkaufnahme um die monokline b-Achse entspricht die Translationsperiode t dem b-Gitterparameter.

2.2.3 Fehlerrechnung

Jede Messgröße kann nur innerhalb gewisser Fehlergrenzen bestimmt werden. Der Fehler von t wird bestimmt durch die Unsicherheit der Wellenlänge λ, des Kameradurchmessers R und der Ungenauigkeit beim Messen von ln. Da wir einen geringen Einfluss auf die beiden ersten Messgrößen haben, versuchen wir die Ungenauigkeit des letzten Parameters zu minimieren. Dafür messen wir für alle n Schichtabstände an jeweils 6 Reflexpaaren den Abstand ln und mitteln über diese Werte:

𝑙�̅� =1

𝐾∑ 𝑙𝑛𝑘

𝐾𝑘=1 mit ∆𝑙�̅� = √

1

𝐾−1∑ ൫𝑙𝑛𝑘 − 𝑙�̅�൯

2𝐾𝑘=1

Für ΔR haben wir außer experimenteller Sorgfalt kaum eine Möglichkeit, an die Information heranzukommen, wie genau die eingelegte Detektorfolie den Abstand von 114,2 mm von der Drehachse eingehalten hat. Daher müssen wir mit einer Abschätzung von ΔR/R ≈ 2·10-3 zufrieden sein. Die Unsicherheit der Wellenlänge ist gegenüber ΔR/R und Δl/l so gering, dass wir sie in unserer Fehlerberechnung getrost vernachlässigen können.

Für jede Schichtlinie n erhalten wir nun einen Wert t(n) ± Δt(n), wobei

15

∆𝑡𝑛 = 𝑡𝑛 ∙ √(∆𝑅

𝑅)

2

+ (∆𝑙𝑛̅̅ ̅

𝑙𝑛̅̅ ̅)

2

Den endgültigen Messwert erhalten wir durch gewichtete Mittelwertbildung:

𝑡̅ = ∑ 𝑤(𝑣)∙𝑡𝑣

𝑁𝑣=1

∑ 𝑤(𝑣)𝑁𝑣=1

=2

𝑁(𝑁+1)∑ 𝑣 ∙ 𝑡𝑣

𝑁𝑣=1

Der mittlere gewichtete Fehler beträgt:

∆𝑡̅ =2

𝑁(𝑁 + 1)∑ 𝑣 ∙ ∆𝑡𝑣

𝑁

𝑣=1

Die Herleitung zur Fehlerrechnung der Schwenkaufnahme ist für Interessenten im Anhang ausführlich dargestellt.

Anmerkung:

Aus einer Schwenkaufnahme lässt sich die Translationsperiode längs der Schwenkachse ermitteln; ferner gibt sie Auskunft darüber, ob im Kristall in der Schwenkachse eine zweizählige Achse und/oder senkrecht zur Schwenkachse eine Spiegelebene vorliegt oder nicht.

2.3 Das Weissenberg Verfahren

Der Nachteil des Dreh- und Schwenkverfahrens besteht darin, dass eine ganze Ebene des reziproken Gitters auf eine Linie, die Schichtlinie, abgebildet wird, d.h. es können verschiedene Reflexe übereinander fallen und es besteht keine umkehrbar eindeutige Zuordnung zwischen Drehwinkel und Reflex. Eine vollständige Auflösung lässt sich erreichen, wenn jeder Dreh-winkelstellung auch ein bestimmter Reflex zugeordnet werden kann. Ein Verfahren, das dies gestattet, ist z.B. das Weissenberg Ver-fahren. Man blendet zunächst alle Schichtlinien bis auf eine aus, in-dem man zwischen Kristall und Detektorfolie in die Drehkristallka-mera einen Metallzylinder schiebt, der alle gebeugten Strahlen bis auf die in der gewünschten einer Schichtlinie absorbiert. Dann ver-schiebt man die Detektorfolie synchron mit der Drehbewegung pa-rallel zur Drehachse des Kristalls, so dass jeder Drehwinkelstellung genau eine Position der Detektorfolie entspricht (Abb. 10). Jeder Re-flex der Schichtlinie ist also durch das Winkelpaar φ und 2Θ eindeu-tig bestimmt (Abb. 11). Die Verteilung der Reflexe auf der Detektor-folie entspricht einem Bild der Netzebene des reziproken Gitters, welches durch die Translation des Films während der Rotation des Kristalls verzerrt wird. Daher ist in der Aufnahme nicht unmittelbar das reziproke Gitter zu erkennen. Da die Translation der Speicherfo-lie aber fest mit der Rotation des reziproken Gitters gekoppelt ist, kann die Aufnahme mathematisch nachträglich in ein unverzerrtes, reziprokes Gitter umgerechnet werden (siehe Anhang).

Abb. 11: Geometrische Bedingung zur Entstehung einer Weissenberg-Aufnahme (Messung einer nullten Schicht). Die Größe z entspricht der Filmtranslation im festen Verhältnis von 2:1 (1 mm = 2 ° Rotation um die b-Achse) zur Kristallrotation (auf dem abgerollten Film als Kreissegmentlänge x zu sehen)

Abb. 10: Prinzipskizze der Entstehung einer Weissenberg- Aufnahme. Die Blenden sind so eingestellt, dass eine Schicht 1. Ordnung auf der Detektorfolie abgebildet wird

16

Indizierung einer Weissenbergaufnahme

Die Anordnung der Bragg-Reflexe im verzerrten Abbild der Weissenberg-Aufnahme mutet im ersten Augenblick selt-sam an. Die Verteilung der reziproken Beugungsmaxima gehorcht jedoch bei genauerer Betrachtung fest definierten Regeln (Abb. 13, Weissenberg-Aufnahme der nullten Schicht eines re-ziproken Gitters). Reflexe, die zu einem Hauptachsenstab gehören, also nur einen von 0 verschiedenen Miller’schen Index besitzen (h, k, oder l) liegen auf der Detektorfolie auf einer Geraden (siehe Abb. 12). Deren Beugungsmaxima zeigen den kürzesten Abstand t zwischen +/- h (bzw. +/- k oder +/- l) und sind daher für die Bestimmung der Gitterparame-ter von entscheidender Bedeutung. Bei Auftreten von axialen Auslö-schungen kann es vorkommen, dass z.B. der erste Reflex auf einem der Hauptachsenstäbe ausgelöscht ist. Dies ist in der Regel aber durch Ein-zeichnen der unten beschriebenen, parabelartigen Zonengirlanden zu erkennen. Wenn auf der ersten Girlande im Scheitelpunkt ein Beu-gungsmaximum fehlt, welche auf der folgenden Girlande vorhanden ist, so ist das eine deutlicher Hinweis auf eine axiale Auslöschung. Be-achten sie bitte auch, dass aufgrund des Rotationswinkels von über 180° einer der Hauptachsenstäbe doppelt abgebildet wird. Reflexe mit gemischten Miller’schen Index (h und k, h und l oder k und l) liegen auf einer der deutlich sichtbaren, parabelartigen Girlanden (Zonen). Zeichnet man nun diese Girlanden in die Aufnahme ein, so kann man die reziproken Beugungsmaxima, die jeweils auf dem Schnittpunkt der Girlanden liegen indizieren, indem man für die Girlanden jeweils den Miller Index des Hauptachsenstabes benutzt, welcher sich im Scheitelpunkt der Girlande befindet. Der reziproke Gitterpunkt der im Schnittpunkt der h = 2 und der l = 3 Girlande liegt, bekommt dann den Miller’schen Index (203).

Abb. 12: Ewaldkonstruktion und Detektorbild zur Entstehung der Hauptachsenstäbe in der Weissenberg-Aufnahme

17

Bestimmung der Gitterparameter

Aus einer Weissenberg Aufnahme der nullten Schicht kann man die drei Gitterparameter der reziproken Netzebene senkrecht zur Gittergeraden der Drehachse bestimmen. Zuerst wählt man die korrekten Hauptachsenstäbe für die Richtung der Basisvektoren. Diese findet man, wenn man in den Zonengirlanden mit n = 1 den kürzesten Abstand zwischen der + Hälfte und der – Hälfte (getrennt durch die Beamstop-Abschattung) sucht. Da wir für die Weissenberg-Aufnahme eine Θ Drehung von +/-60° eingestellt haben, muss ein Hauptachsenstab zwei Mal zu sehen sein. Dann halbiert man auf allen Hauptachsenstäben den Abstand zwischen n = +1 und n = -1 Reflex, verbindet die gefundenen Punkte und legt damit die 2Θ Nulllinie fest. Der Winkel zwischen den Hauptachsen ergibt sich unmittelbar aus der Distanz zwischen den Hauptachsenstäben auf der Nulllinie, da das Verhältnis zwischen der Filmtranslation und der Kristallrotation konstant ist. Der kleinere Abstand entspricht dem reziproken Achswinkel (in unserem Fall 𝛽∗) und der größere Abstand ist gleichbedeutend mit dessen Komplementärwinkel, sprich dem Winkel zwischen den Realraumachsen. Die Bestimmung der Basisvektorlängen erfolgt aus den 2 Θ Werten, welche nach Abb. 14 aus dem Abstand t für die ersten drei Hauptachsenreflexe bestimmt wurden. Zur bequemen Auswertung beträgt der Durchmesser des Detektorfolienzylinders 114.2 mm, womit der Winkel 2Θ mit 1°/mm und der Winkel φ in der Detektorfolienebene mit 2°/mm umgerechnet werden können.

Messen Sie nach Möglichkeit die Entfernung t zwischen Reflexpaaren im + und - 2Θ - Bereich, da dies die Genauigkeit verbessert (siehe Abb. 9). Die Steigung der Gerade zwischen diesen beiden Reflexen beträgt - festgelegt durch den Vorschub - arctan 4 ≡ 75.96. Damit ist 2Θ:

2Θi = ½ t sin (arctan(4)) = ½ t sin(75.96)

Messwert: ti Abstand zwischen Reflexpaaren in mm Abgeleitete Messgrößen:

φi Drehwinkel des reziproken Gitterpunkts

Pi = Speicherfolienvorschub während der Kristallrotation

Θi. Braggwinkel des reziproken Gitterpunktes Aus den 2Θi - Werten mehrerer Reflexpaare n · (100) kann mit Hilfe der Bragg‘schen Gleichung dann der reziproke a* - Wert berechnet werden:

ℎ(𝜃, 𝜆) = |𝑛00| = 𝑛

𝑑(100) =

2∙sin 𝜃𝑛

𝜆 = 𝑛 ∙ 𝑎∗ oder 𝑎∗ =

1

𝑑(100) =

2∙sin 𝜃𝑛

𝑛∙𝜆

Analog bekommt man den Wert für den anderen Hauptachsenstab.

2.3.1 Versuchsdurchführung:

Mit dem Kristall der Schwenkaufnahme ist eine Weissenberg Aufnahme der nullten Schichtlinie (entspricht bei einem Kristall mit b-Achse als Goniometerkopfachse der h0l-Ebene) anzufertigen. Mit der Weissenberg Blende wird die nullte Schichtlinie der Schwenkaufnahme selektiert und alle anderen Schichtlinien ausgeblendet (vordere Blende -3 mm, hintere Blende +53.5 mm). Zur Translationsbewegung des Detektorfolienzylinders längs seiner Achse ist das Getriebe des Detektorfolienzylinderwagens mit der Antriebsspindel zu koppeln. Der Schwenkwinkel ist mit +/-60° so einzustellen, dass die maximale Translationsstrecke ausgenützt wird und durch eine Drehung von > 180° 2Θ ein Hauptachsenstab zwei Mal auf der Aufnahme auftaucht.

Abb. 14: Bestimmung der Winkelpaare aus der Weissenberg-Aufnahme

18

2.3.2 Auswertung:

Zeichnen sie in der + Hälfte die Hauptachsenstäbe und die Zonengirlanden bis n = 3 ein und indizieren sie die jeweiligen reziproken Gitterpunkte bis h,k = 1 bis 3. Die Gitterparameter sind direkt aus der Aufnahme zu bestimmen (siehe Abschnitt Bestimmung der Gitterparameter). Für den Hausgebrauch ist es völlig ausreichend, die h00- und 00l-Reflexe bis n = 3, die auf den ausgezeichneten Gittergeraden der Detektorfolie zu finden sind, auszuwerten. Um den Fehler, der durch die Fixierung der Mittellinie in die Auswertung gebracht wird, zu vermeiden, misst man längs der Gittergeraden die Abstände t zwischen den Reflexen -h00 und h00 bzw. 00-l und 00l, bestimmt die resultierenden Winkel und berechnet anschließend die jeweiligen reziproken Gittervektoren a* und c*. Aus diesen können dann die direkten Gitterparameter ermittelt werden. Beachten sie, dass bei der Umrechnung der reziproken Gitterparameter in die „Direkten“ eines „nicht orthogonalen Koordinatensystems“ der schiefe Winkel berücksichtigt werden muss. Im Monoklinen ist dann z. B.:

𝑎 = 1

𝑎∗ ∙ 𝑠𝑖𝑛(𝛽∗)

(Projektion von a* auf a) Anmerkung: Anhand einer 2.ten Weissenberg-Aufnahme der nullten a* b* - Ebene kann durch das Vorhandensein systematischer Auslöschungen zwischen einer zweizähligen Achse und einer zweizähligen Schraubenachse unterschieden werden (systematisches Fehlen von Reflexen längs einer Gittergeraden des reziproken Netzes). Um Auswirkungen von Gleitspiegelungen und zentrierenden Translationen im Datensatz zu finden, würde man wenigstens noch eine Aufnahme der ersten Schichten benötigen. Aus einer Aufnahme allein kann man in der Regel nur seriale- oder axiale Auslöschungen erkennen. Ein flächenzentriertes Netz lässt entweder auf eine diagonale Gleitspiegelebene oder die Spur einer integralen Auslöschung schließen. Der in diesem Versuch verwendete Zuckerkristall weist keine solchen Auslöschungen auf, da es sich im Fall von Zucker um ein primitives Gitter (Bravaisgittertyp P) handelt.

2.3.3 Fehlerrechnung:

Während bei der Fehlerrechnung zu Versuch Nr. 2 aufgrund des mit der Höhe der Schichtlinie wachsenden Divergenzfehlers ein Gewichtungsschema mit der Schichtlinienordnung n angemessen war, besitzen bei der Weissen-berg- Aufnahme alle Reflexe den gleichen Divergenzfehler. Daher ist die aus der Bragg‘schen Gleichung folgende Ge-wichtung mit tan[Θ] angemessen:

𝑎∗̅̅ ̅ =2

𝜆

∑𝑠𝑖𝑛(𝜃𝑛) ∙ 𝑡𝑎𝑛(𝜃𝑛)

𝑛𝑁𝑛=1

∑ 𝑡𝑎𝑛(𝜃𝑛)𝑁𝑛=1

Die gewichtete Mittelung muss entsprechend auf die Fehlerbetrachtung übertragen werden. Wegen der fehlerhaften Messung von β bzw. β* muss für die Unsicherheit von a die Fehlerfortpflanzungsbeziehung angewendet werden.

Also gilt:

mit entspricht der Ablesegenauigkeit des abgemessenen Vorschubs in Bogenmaß und

19

∆𝑎∗ =2

𝜆

∑ ∆𝜃𝑛∙𝑡𝑎𝑛(𝜃𝑛)𝑁𝑛=1

∑ 𝑡𝑎𝑛(𝜃𝑛)𝑁𝑛=1

mit ∆𝜃𝑛 =𝑠𝑖𝑛൫𝑎𝑡𝑎𝑛(4)൯∙∆𝑡𝑛

4

tnentspricht der Ablesegenauigkeit des Abstands zwischen dem +n‘ten und dem -n‘ten Reflex.

Aufgaben zum 2. Teil (Zusammenfassung):

Berechnen sie aus der Schwenkaufnahme den Gitterparameter b, indem sie für n = 1 bis 4 jeweils mindes-tens für 10 Reflexpaare den Abstand 𝑡̅ bestimmen und aus diesen den gewichteten Mittelwert berechnen.

Zeichnen sie im oberen Teil der Weissenberg-Aufnahme die Hauptachsenstäbe und die Zonengirlanden für n = 1 bis 3 ein und Indizieren sie die daraufliegenden Reflexe bis zu den Millerschen Indices h,l = 1 bis 3

Bestimmen sie aus der Weissenbergaufnahme über die Abstände der Hauptachsenstäbe die Winkel *

und .

Ermitteln sie aus den Abständen der Reflexe der Hauptachsenstäbe für n = +/-1 bis +/-3 die reziproken Gitterparameter a* und c*.

Berechnen sie aus den gewonnenen reziproken Gitterparametern die Gitterparameter a und c des direkten Raums.

Vergleichen sie die gefundenen Gitterparameter mit Werten für „sucrose“ bzw. „saccarose“, die sie in Stuk-turanalyseveröffentlichungen im Internet (z.B. Beevers, „The crystal structure of Sucrose“) finden.

Literatur:

Giacovazzo et al. Fundamentals of Crystallography, S 245-254.

Ladd & Palmer: Structure Determination by X-ray Crystallography, S. 147-166.

Stout & Jensen: X-Ray Structure Determination, S. 98-109, 115-122.

Wölfel: Theorie und Praxis der Röntgen-Strukturanalyse S. 105 ff.

International Tables for X-Ray Crystallography Vol B, S. 185.

Kaelble: Handbook of X-Rays 24-2.

Woolfson: X-Ray Crystallography S. 141 ff.

20

Anhang:

Detaillierte Fehlerrechnung zur Schwenkaufnahme

Die Formeln zur Auswertung einer Schwenkaufnahme sind:

R

la n

n ]tan[ und ]sin[ na

nt

zusammengesetzt:

2

1

nl

Rnt

t = Translationsperiode des Kristallgitters (direkter Raum) λ = Wellenlänge der verwendeten monochromatisierten Strahlung, n = Schichtliniennummer,

n = äußerer Winkel des n-ten Beugungskegels mit der Primärstrahlrichtung, R = Durchmesser des Detektorfoliezylinders (hier 114,2 mm), ln = Abstand von der -n-ten zur n-ten Schichtlinie. Zur Diskussion der Fehlerfortpflanzung werden die partiellen Ableitungen nach den fehlerbehafteten Größen gebildet:

t

l

Rn

t

n

2

1

22

2

1

1

1

R

lR

t

l

R

l

R

nR

t

n

n

n

22

3

2

1

1

1

R

ll

t

l

R

l

R

nl

t

nn

n

n

n

Unter Verwendung der Gauß‘schen Fehlerfortpflanzung erhält man die folgende Abschätzung:

22

2

2

1

1

n

n

n l

l

R

R

R

lt

t

Die Maßzahlen für die charakteristischen Wellenlängen stammen aus Präzisionsmessungen und können etwa bei gewichtetem Mittelwert der CuKα1- und CuKα2- Wellenlängen mit Δλ/λ ≈ 10-5 angesetzt werden. Die Tatsache, dass wir für die niedrigen Beugungsordnungen α1 und α2 nicht trennen können, wird im Fehler Δln berücksichtigt. Die Fehler ΔR/R und Δln/ln können bei R = 114,2 mm mit ΔR ≈ Δln und in der Größenordnung von 0,1 mm ungefähr durch 3·10-3 abgeschätzt werden. Dagegen verschwindet der Wellenlängenanteil des Fehlers. Wir können daher die Fehlerformel getrost reduzieren:

22

2

1

1

n

n

nl

l

R

R

R

ltt

Ersetzen wir in der Wurzel ln = R·tan[n] und ΔR ≈ Δln ≈ Δ, so folgt:

21

][tan

11

1

22

nn

R

lR

tt

Die n-abhängigen Terme können wir auf folgende Weise von den n-unabhängigen Termen trennen:

t

nRn

t

Rt

t

nn

])[tan1(

1

][tan1

122

Nur der mittlere Term ist von n abhängig. Wollen wir nun ein Gewichtsschema für die n-Abhängigkeit des Fehlers Δt entwickeln, so müssten wir aufgrund der bisherigen Ableitung w(n) = n·(1+tan2[αn])/c verwenden. Die Betrachtung der Schwenkaufnahme zeigt uns aber, dass dabei die höheren Ordnungen doch überbewertet werden, denn die Beugungskegel schneiden mit wachsender Ordnung den Kamerazylinder unter immer flacherem Winkel, wodurch die Reflexe verschwommener werden. Das ist ein systematischer Fehler, der in unserer Formel nicht enthalten ist, da die Divergenz des Primärstrahls nicht berücksichtigt wurde. Dies soll nun nachgeholt werden. Betrachten wir nun einen Strahl, der um einen Winkel ±δ von der Strahlmitte abweicht, so können wir die n-Abhängigkeit des Divergenzfehlers Δdiv abschätzen durch die Differenz

][tan][tan1

]tan[][tan]tan[2

]tan[]tan[1

]tan[]tan[

]tan[]tan[1

]tan[]tan[]tan[]tan[

22

2

n

n

n

n

n

nnndiv

.

Da αn ≤ 45° und δ « αn, ist tan2[αn]·tan2[δ] « 1, folgt Δdiv = 2·tan[δ]·(1+tan2[αn]). Das zeigt, dass der Fehler Δdiv gerade mit dem Faktor (1+tan2[αn]) wächst, der in der Fehlerformel für Δt im Nenner auftritt. Wenn wir statt mit n·(1+tan2[αn]) nur mit n wichten, kompensieren wir gerade den Einfluss dieses Fehlers. Aus dieser Diskussion erhalten wir nach der Normierung der Gewichte auf die Summe gleich eins das Gewichtsschema:

)1(

2)(

1

NN

nnnw

N

wenn N die Anzahl der beobachteten Schichtlinien angibt. Für die Fixierung des Fehlers Δdn gibt es einmal die grobe Abschätzung ≈ 0,1 mm, die wir aber auch durch eine Anzahl von K Wiederholungsmessungen längs der Schichtlinien präzisieren können. Durch solche Messungen kann auch evtl. ein systematischer Gang (Dejustierung der Kristallachse gegen die Kameraachse) festgestellt werden. Man erhält:

K

nn lk

l1

1

K

nnn llK

l1

2)(

1

1

Hierfür sollten wenigstens sechs Messwerte vorliegen, weil sonst die Anwendung der statistischen Formeln nur mühsam gerechtfertigt werden kann. Für ΔD haben wir außer experimenteller Sorgfalt kaum eine Möglichkeit, an die Information heranzukommen, wie genau der eingelegte Detektorfolie den Abstand von 114,2/2 mm von der Drehachse eingehalten hat. Daher müssen wir mit einer Abschätzung von ΔR/R ≈ 2·10-3 zufrieden sein. Für jede Schichtlinie n erhalten wir nun aus den obigen Formeln einen Wert t(n) ± Δt(n), wobei

22

)()(

n

nnn

l

l

R

Rtt .

Der Gewichtsfaktor 1/(1+tan2[αn]) entfällt wegen des Divergenzfehlers. Den endgültigen Messwert erhalten wir durch gewichtete Mittelwertbildung:

�̅� = ∑ 𝒘(𝒗)∙𝒕𝒗

𝑵𝒗=𝟏

∑ 𝒘(𝒗)𝑵𝒗=𝟏

=𝟐

𝑵(𝑵+𝟏)∑ 𝒗 ∙ 𝒕𝒗

𝑵𝒗=𝟏

Ebenso finden wir den mittleren gewichteten Fehler:

N

tNN

t1

)()1(

2

22

Zum Vergleich mit diesem Fehler können wir die Standardabweichung für die Reihe der t(n) bestimmen. Da das Ergebnis durch gewichtete Mittelwertbildung bestimmt wurde, muss auch die Standardabweichung durch die gewichtete Formel bestimmt werden.

N

ttNN

tS1

2

)( )(23

6

1

1)(

Bei einer ordentlichen Auswertung sollten Δ t und S( t ) in der gleichen Größenordnung liegen, wobei die Standardabweichung einen etwas kleineren Wert anzeigt, der aber mit Vorsicht zu genießen ist, da bei kleinen Stichproben der Zahlenwert S noch sehr unzuverlässig ist.

Umzeichnung einer Weissenbergaufnahme zum Erhalt eines unverzerrten, reziproken Gitters Das Umzeichnen passiert nach der folgenden Rechenvorschrift:

Hierbei ist „skala“ ein beliebiger Skalenfaktor (~ 8 cm), i entspricht der Translation von einem gewählten 0-Punkt zum reziproken Gitterpunkt und ist abhängig vom Vorschub des Films. Nach der Umzeichnung aller Reflexe lässt sich in das Punktsystem eine geeignete Basis legen, so dass alle Punkte des Netzes mit ganzzahligen Koordinaten erfasst werden. Zusammen mit der Schichtliniennummer ergeben diese Koordinaten dann die Indizes der Reflexe.

Abb. 15: Teil der entzerrten Weissenberg-Aufnahme einer a* - c* Ebene