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Verwöhnen oder Loslassen, das ist die Frage Erhard J. Fischer Gedanken über das Verwöhnen von Kindern und die daraus resultierenden Folgen.

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Der Text enthält Gedanken über das Verwöhnen von Kindern und deren negativen Folgen.

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  • Verwhnen oder Loslassen, das ist die Frage

    Erhard J. Fischer

    Gedanken ber das Verwhnen von Kindern

    und die daraus resultierenden Folgen.

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    Bereits 1923 mahnte uns Khalil Gibran (1883-1931) in Der Prophet, wie wir zu

    unseren Kindern stehen sollen; denn

    Eure Kinder sind nicht eure Kinder.

    Sie sind die Shne und Tchter der Sehnsucht des Lebens nach sich selber.

    Sie kommen durch Euch aber nicht von euch,

    und obwohl sie mit euch sind, gehren sie euch doch nicht.

    Ihr drft ihnen eure Liebe geben, aber nicht eure Gedanken, denn sie haben ihre eigenen

    Gedanken.

    Ihr drft ihren Krpern ein Haus geben, aber nicht ihren Seelen.

    Denn ihre Seelen wohnen im Haus von morgen, das ihr nicht besuchen knnt, nicht einmal in

    euren Trumen.

    Ihr drft euch bemhen, wie sie zu sein, aber versucht nicht, sie euch hnlich zu machen.

    Denn das Leben luft nicht rckwrts, noch verweilt es im Gestern.

    Ihr seid die Bogen, von denen Eure Kinder als lebende Pfeile abgeschickt werden.

    [Der Schtze sieht das Ziel auf dem Pfad der Unendlichkeit, und Er spannt euch mit Seiner

    Macht, damit seine Pfeile schnell und weit fliegen.

    Lasst Euren Bogen von der Hand des Schtzen auf Freude gerichtet sein;

    Denn so wie er den Pfeil liebt, der fliegt, so liebt er auch den Bogen, der fest ist.]

    Wir lernen zu wenig aus der groen Literatur. Die Art des Denkens dieser groen

    Knstler ist uns fremd und widerspricht unserer Intention; deshalb hren wir nicht

    auf sie, wir nehme uns ihre Einsichten in den Lauf des Lebens nicht zu Herzen, wir

    machen weiter unseren Stiefel und denken dabei, die Weisheit mit Lffeln gefres-

    sen zu haben, weil ein rauschhnliche Zustand uns gnzlich gefangen hlt und

    unser ganzes Denken vernebelt.

    Loslassen ist mehr als schwierig. Meine Angst zwingt mich, alles unter Kon-

    trolle zu halten. Was mir am nchsten und somit am wichtigsten ist, das verdient

    meine besondere Aufmerksamkeit. Dabei merke ich gar nicht, welches Spiel mein

    Unterbewusstsein mit mir treibt. Der stndige Kontakt schaut wie liebevolle Zu-

    wendung aus, doch in Realiter befriedige ich meinen Kontrolltrieb. Dieses subtile

    und gnzlich unbewusste Vorgehen erzeugt eine gewisse Abhngigkeit, die meine

    Kontrolle optimiert. Das gar nicht beabsichtigte Ergebnis ist gnzliches Verwh-

    nen ber Zeitrume von Jahrzehnten. Diese gegenseitige enge Verbindung verhin-

    dert eine natrliche Entwicklung, sorgt vielmehr fr egozentrisches Verhalten des

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    "Opfers". Verwhnte haben es spter in rauen Leben schwer, weil sich auf die

    Unbillen nicht selbstndig vorbereiten konnten, es wurde ihnen ja alles abgenom-

    men und vorgekaut serviert. Sie brauchten nur in der vorgegebenen Spur weiter zu

    agieren.

    Defizite aus der Kindheit treiben mich zu einem extremen Verhalten. Es ist gut

    gemeint, doch gut gemeint ist nicht wirklich gut, es ist nicht zu verwechseln mit gut.

    Selbst Jesus hat sich nicht als gut bezeichnet, sondern diese Eigenschaft nur Gott

    dem Vater zugebilligt.

    Meist durchblickt der Partner des Verwhnenden sehr bald das extreme Ver-

    halten und versucht gegen zusteuern, was aber nur sehr, sehr beschrnkt funk-

    tioniert, gelingt. Die emotionale Bindung von Verwhner und Verwhntem ist weit

    strker und rationale Einwnde prallen ungehrt am Prozess des Verwhnens ab.

    Verwhnen ist eine subtile Arte der Machtausbung, vllig unbewusst; ich

    mchte mir der Gegenber gefgig machen, es kontrollieren und manipulieren.

    Verwhnen ist wie eine Sucht, ich bin in einem Dauerrausch, der stndig geft-

    tert werden muss. Das verwhnte Objekt wei anfangs nichts von seinem

    Schicksal, es sonnt sich noch in der vermeintlichen Zuwendung, die aber nur

    Eigensucht ist und nicht tief aus dem Herzen kommt, sondern aus Tiefenschichten

    des eigenen Unbewussten, die nach Befriedigung verlangen und ausgelebt werden

    wollen.

    Die entsprechenden Therapeuten fr dese Art von Sucht fehlen noch und die

    adquaten Entzugskliniken, in welche die Agitatoren und auch deren Opfer behan-

    delt werden knnten, fehlen ebenso. Unsere Gesellschaft bemerkt recht schnell, wo

    wer wie verwhnt wird. Ein Verwhner streitet dies stets vehement ab, da er

    betriebsblind ist; er reagiert zu Tode beleidigt, wenn er von XY darauf hingewiesen

    wird.

    Wenn das Opfer spter einmal erkennt, welch unwrdiges Spiel mit ihm getrieben

    wurde, wird es sich durch entsprechendes Verhalten rchen, die erwnschte Liebe

    wird in malosen Hass umschlagen und die eventuelle Bedrftigkeit im hohen Alter

    in Nichtbeachten und Vernachlssigung; denn alle bertreibung endet in einem

    Desaster. Und dann ist alles zu spt. Das Schicksal nimmt seinen Lauf und das

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    Gegenteil, von dem was erwartet wurde, erhofft wurde, wird eintreten, sehr zum

    Nachteil des Verwhners.

    Verwhnen ist das unbeholfene Surrogat fr wirkliche Liebe. Ich denke zwar, es

    wre Liebe, doch in Wirklichkeit befriedige ich nur mein schlechtes Gewissen, ob

    meiner menschlichen Unzulnglichkeit. In meinen Aktionen fehlt die Dimension

    Gottes. Wenn ich mein Gegenber in Gott hinein loslasse, gewhre ich Freiheit.

    Wenn ich klammere, sende ich Unfreiheit, weil ich etwas fr mich mchte.

    Loslassen bedeutet vor allem, den eigenen Willen in Gott hinein loszulassen.

    Erst wenn ich mich selbst loslasse, kann ich meine ganze Umgebung loslassen und

    mein ngstliches Klammern drangeben. Wenn ich nichts mehr will, wird Gott mir

    das schenken, was ER fr mich vorbereitet hat. Den eigenen Willen loslassen

    bedeutet zu sterben. Die Auferstehung erfolgt stets nach dem Tod. Nur der "Auf-

    erstandene" ist der wahrhaft Lebende, weil er bereits in der neuen Wirklichkeit lebt

    und agiert. Doch der Durchschnittsmensch wird dies nie erkennen, wie es bereits in

    der Heiligen Schrift angekndet wurde. Die neue und eigentliche Realitt ist uns

    verborgen, unseren Sinnen nicht zugnglich. Wir sehen weder die stndig anwesen-

    den Engel, noch deren Gegenteil. Unsre Psyche ist stumpf, wie ein abgenutztes

    Messer oder Beil.

    Es bedarf einer nimmermden Suche nach Gott. Einzig und allein ER kann hel-

    fen und uns auf die richtige Fhrte schicken. Wir mssen unsere Gedanken, Wn-

    sche, Bedrfnisse, unser Wollen erforschen, befragen und vor Gott auseinander-

    falten, an IHN abgeben, loslassen.

    Der argentinische Schriftsteller und Psychotherapeut Jorge Bucay (*1949) erzhlt

    gern Geschichten. Er sagt Kindern erzhlt man Geschichten zum Einschlafen, Erwach-

    senen damit sie aufwachen. Doch die aller meisten von uns merken gar nicht, dass die

    in einer Art Schlaf verharren und von dort her agieren, so wie jeder Schtige

    seine Sucht kaum bemerkt oder wahrhaben will und sich weiter befriedigt.

    Daher ist Erwachen ein groes Thema geistlicher Autoren wie Shenouda III

    (1923-2012), dem frheren Pabst der Kopten, oder dem Jesuiten Antony de Mello

    (1931-1987); z.B. in Der springende Punkt. Wach werden und glcklich sein. Freiburg im

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    Breisgau/Basel/Wien 1991. Erwacht sein ist ein Geisteszustand, der nur mit Gottes

    Hilfe gelingen kann. Es ist etwas anderes als nur alert zu sein, was auch gut und

    wichtig ist. Der Erwachte ruht in Gott, es ist ein Dauerzustand von Glck und

    Zufriedenheit, ein Weilen in der stndigen Gegenwart Gottes. Die Mystiker des

    Mittelalters sprachen von Gottes wohnen im Herzenskmmerlein. Kontemplation.

    Nachtrag

    Und damit wre ich auch bei der Definition des Verwhnens angekommen, so wie

    ich es sehe: einem verwhnten Kind fehlt es an Selbststndigkeit und an Kompe-

    tenz im Umgang mit sich selbst und seiner sozialen Welt. Es hat diesen Teil der

    Entwicklung einfach nicht einben knnen. Und so bleibt es auf sein vorheriges

    Ich, sein Suglings-Ich, festgenagelt. Es kann sich nicht selbst regulieren und nicht

    in Beziehungen einbringen. Es sieht deshalb immer nur seine eigenen Wnsche.

    Quelle:

    Herbert Renz-Polster: Menschenkinder Pldoyer fr eine artgerechte Erziehung, Mnchen 2011,

    www.kinder-verstehen.de