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Archiv Ohr- usw. Heilk. u. Z. Hals- usw. Heilk., Bd. 168, S. 313--332 (1956). Aus der Universit~ts-tta~s-Nasen-Ohrenklinik M~rburg/Lahn (Direktor: Prof. Dr. R. MITTE~AI~). Yestibularisuntersuehungen mit schwellennahen Besehleunigungsreizen% Von R. ~[ITTERMAIER und G. ROSSBERG. Mit 9 Textabbildungen. (Eingegangen am 29. September 1955.j Vor kurzem haben wir 16, 21 fiber die Ergebnisse systematisch durch- geffihrter Vestibularisuntersuchungen beriehtet, bei denen wit sowohl ruckartig angedreht a]s auch ruckartig abgestoppt hatten, mit einer jeweils zwischengeseha]teten Drehzeit, die sich dutch konstante Winkel- gesehwindigkeit auszeichnete. Die Reizsts war bei dieser Versuchs- anordnung durch die Winkelgesehwindigkeit gegeben, his zu der angedreht oder aus der heraus abgestoppt wurde. Auf diese Weise konnten wir die Charakteristica des Nystagmus, die Dauer, die Schlagzahl und -- da wir die Ergebnisse nystagmographisch registrierten -- auch die Gesamt- amplitude in ihrer Abh~ngigkeit yon der Reizstgrke untersuchen. Dieses wurde sowohl ffir die Reaktion, die w~hrend der Drehung als auch fiir diejenige, die naeh Abschlul~ der Drehung auftritt, vorgenommen. Die geringste t~eizsti~rke hatte bei einer Winkelgesehwindigkeit yon 18~ gelegen. Das plStzliche Andrehen auf eine solche Drehgeschwin- digkeit, bei der fiir eine volle Umdrehung 20 sec benStigt werden, und in demselben Mal~e das Abstoppen aus dieser Drehgeschwindigkeit heraus stenen einen ausgesprochenen Schwachreiz dar. Im Jahre 1937 hatte MITTERMAIER12, 13 bereits festgestellt, dal~ grol~e Drehgeschwindigkeiten yon etwa ]20~176 keineswegs die besten Ergebnisse zeitigen, sondern dal] naeh der Anwendung yon Sehwachreizen gewisse Unter- schiede z. B. in der Erregbarkeit des rechten und des linken Labyrinthes besser zum Vorschein kommen als nach der Anwendung yon Starkreizen. AuBerdem war aufgefallen, dal~ in Fi~llen yon ,,Ubererregbarkeit" die Reizsehwelle deut]ich tiefer lag als in normalen F~llen. In neuerer Zeit gewinnt die Uberzeugung immer mehr Platz, da9 man gerade ffir die klinisehen Untersuehungen mit Reizst~rken nahe der Reiz- schwelle arbeiten sollte, da die Ergebnisse mit den grS~eren t~eizst~rken tatsi~chlich nur schwer richtig zu deuten und zu fiberschauen sind. * Mit Unterstfitzung tier Deutschen Forschungsgemeinschaft.

Vestibularisuntersuchungen mit schwellennahen Beschleunigungsreizen

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Page 1: Vestibularisuntersuchungen mit schwellennahen Beschleunigungsreizen

Archiv Ohr- usw. Heilk. u. Z. Hals- usw. Heilk., Bd. 168, S. 313--332 (1956).

Aus der Universit~ts-tta~s-Nasen-Ohrenklinik M~rburg/Lahn (Direktor: Prof. Dr. R. MITTE~AI~).

Yestibularisuntersuehungen mit schwellennahen Besehleunigungsreizen%

Von R. ~[ITTERMAIER und G. ROSSBERG.

Mit 9 Textabbildungen.

(Eingegangen am 29. September 1955.j

Vor kurzem haben wir 16, 21 fiber die Ergebnisse systematisch durch- geffihrter Vestibularisuntersuchungen beriehtet, bei denen wit sowohl ruckartig angedreht a]s auch ruckartig abgestoppt hatten, mit einer jeweils zwischengeseha]teten Drehzeit, die sich dutch konstante Winkel- gesehwindigkeit auszeichnete. Die Reizsts war bei dieser Versuchs- anordnung durch die Winkelgesehwindigkeit gegeben, his zu der angedreht oder aus der heraus abgestoppt wurde. Auf diese Weise konnten wir die Charakteristica des Nystagmus, die Dauer, die Schlagzahl und - - da wir die Ergebnisse nystagmographisch registrierten - - auch die Gesamt- amplitude in ihrer Abh~ngigkeit yon der Reizstgrke untersuchen. Dieses wurde sowohl ffir die Reaktion, die w~hrend der Drehung als auch fiir diejenige, die naeh Abschlul~ der Drehung auftritt , vorgenommen.

Die geringste t~eizsti~rke hat te bei einer Winkelgesehwindigkeit yon 18~ gelegen. Das plStzliche Andrehen auf eine solche Drehgeschwin- digkeit, bei der fiir eine volle Umdrehung 20 sec benStigt werden, und in demselben Mal~e das Abstoppen aus dieser Drehgeschwindigkeit heraus stenen einen ausgesprochenen Schwachreiz dar. I m Jahre 1937 hat te MITTERMAIER12, 13 bereits festgestellt, dal~ grol~e Drehgeschwindigkeiten yon etwa ]20~176 keineswegs die besten Ergebnisse zeitigen, sondern dal] naeh der Anwendung yon Sehwachreizen gewisse Unter- schiede z. B. in der Erregbarkeit des rechten und des linken Labyrinthes besser zum Vorschein kommen als nach der Anwendung yon Starkreizen. AuBerdem war aufgefallen, dal~ in Fi~llen yon , ,Ubererregbarkeit" die Reizsehwelle deut]ich tiefer lag als in normalen F~llen.

In neuerer Zeit gewinnt die Uberzeugung immer mehr Platz, da9 man gerade ffir die klinisehen Untersuehungen mit Reizst~rken nahe der Reiz- schwelle arbeiten sollte, da die Ergebnisse mit den grS~eren t~eizst~rken tatsi~chlich nur schwer richtig zu deuten und zu fiberschauen sind.

* Mit Unterstfitzung tier Deutschen Forschungsgemeinschaft.

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314 R. M~TTER~A~ER und G. ~:~OSSBERG:

Ffir die Anwendung yon Orehschwachreizen kamen, wie frfiher bereits erSrtert wurde 1~, 2 Methoden in Betraeht: 1. das Abstoppen aus einer nur geringen Drehgeschwindigkeit und 2. das Abstoppen mit einer verzSgerten Bremswirkung. Die Kurzdrehung, d .h . die nur 2- oder 3malige Umdrehung mit ziemlich rascher Drehgeschwindigkeit auf dem Bs165 Drehstuhl, eine Methode, die auch heute noch gelegentlich als Drehschwaehreiz angesproehen wird, daf t dagegen nicht dazu ge- rechnet werden. Das sehwaehe Ergebnis solcher Drehprfifungen erkl~rt sich dutch rasches Aufeinanderfolgen yon Andrehen und Abstoppen, yon positiver und negativer Beschleunigung, wobei die Interferenz der gegen- s~tzlichen Reize ungewollt in verst~rktem Ma~e zur Auswirkung kommt.

Die 1. Methode geht im Grunde genommen auf den Vorsehlag yon V~ITS 7, s zuriiek. Zur Vermeidung yon perrotatorischen Reizen gab er die Anweisung, unterschwellig anzudrehen und dann plStzlich abzustoppen. Auf diese Art hatte I~/~ITTERMAIER la seine Drehprfifungen mit verschiede- ner Winkelgeschwindigkeit ausgeffihrt. Auch die in Utrecht entwickelte Cupulometrie ( v ~ EGMo~]), Gno~N, JO~GKEES) 6 baut sich auf diesem Gedanken auf.

Aus der 2. Methode cntstand die Anwendung yon nur geringen, nach MSglichkeit schwellennahen Beschleunigungen. Der praktischen Durch- ffihrung standen zun~chst erhebliche technische Schwierigkeiten im Wege. Nachdem diese durch eine neue Konstruktion ~2 eines elektrisch angetrie- benen Drehstuhles behoben waren, gingen wir an die systematische Uber- prfifung der Wirkung schwellennaher Reize auf den Vestibularapparat heran. Wit erachteten es ffir notwendig, in Erg~nzung zu den vorliegen- den Erfahrungen fiber die Dauer und die Schlagzahl des Drehnystagmus such die Schlagweite zu registrieren. Ferner sollten auch die II . (inversen) Phasen beschrieben werden. Vor allem legten wir auch Wert auf den Ver- gleieh der perrotatorischen mit der postrotatorisch auftretenden Reaktion.

Methodik. Wir verwandten Winkelbeschleunigungen im Bereich yon 0,9~ 2

(bzw. 0,84~ ~) bis 4,6~ 2 mit positivem und negativem Vorzeiehen. Im Gegensatz zu den frfiher verwandten ruckartigen ,,harten" Beschleu- nigungen kann man die niedrigeren, insbesondere die schwellennahen als ,,weiche" Beschleunigungen bezeichnen. Die Endwinkelgeschwindig- keit, auf die angedreht bzw. aus der heraus abgebremst wurde, betrug stets 60~ Die Bcschleunigungskurven wurden parallel registriert. Die Geschwindigkeits~nderung in jeder Einstellung des Regelmotors yon 0--60~ war linear. Die verschiedenen BeschleunigungsgrSBen sind also jederzeit exakt reproduzierbar (Abb. 1).

In Anbetracht der Notwendigkeit, die Versuchsergebnisse miteinander zu vergleichen, haben wir auf diese Tatsache en~scheidenden Wert gelegt.

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Mit der Winkelgeschwindigkeit yon 60~ die je nach GrSge der eingestellten Beschleunigung nach verschieden langer Zeit erreieht war, wurde solange weitergedreht, bis der perrotatorisch auftretende Nystag- mus (als die objektiv fal]bare Erseheinung der Erregung) abgeklungen war. Das Nystugmogramm wurde nach Gesamtamplitude, Sehlagzah] und Dauer ausgemessen bzw. ausgewertet.

Ehe wir auf die Ergebnisse der 3 Charakteristica im einzelnen ein- gehen, mfissen noeh einige Vorbemerkungen vorausgeschickt werden.

Bekannt ist die groge Schwanlcungsbreite des experimenteU aus- gelSsten Nystagmus. Dabei denken wir nicht nur an die Untersehiede

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Abb. 1.

zwischen den Ergebnissen bei verschiedenen Versuchspersonen, sondern aueh an diejenigen bei ein und derselben Person, an die personelle und an die individuelle Variabilit~t, wie ARSLA~ 2 das kfirzlieh definiert hat. Immer wieder werden wi re s erleben, dal] bei Wiederholungsprfifungen an derselben Versuehsperson die Ergehnisse pl5tzlich aus dem Rahmen des fiblichen herausfallen, ohne dab wit die Grfinde ffir eine vielleicht lebhaftere Reaktion angeben k~nnten. Um uns fiber die Schwankungs- breite der Ergebnisse bei unseren Versuehsanordnungen zu vergewJssern, haben wir Reihenuntersuchungen vornehmen und die Mittelwerts- schwankungen der Ergebnisse berechnen lassen.

Eine Aufgabe lautete z. B. : 6 Vpn. an 8 Tagen jeweils nur lmal am Tage und jewefls zur g]eichen Tageszeit mit einer Beschleunigung yon 4,6~ 2 bis zur Endgesehwindigkeit yon 60~ anzudrehen, mit kon- stanter Gesehwindigkeit fiber 5 min hinweg weiterzudrehen und dann ruckartig zu stoppen (A. H~ssEg).

Eine andere Versuchsanordnung bestand darin, in Anlehnung an die eingangs geschflderte Methodik 20 Vpn. mit den Beschleunigungen yon

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0,9--4,6~ ~ anzudrehen (A. H~ssEg), und bei einer drit ten Versuchs- reihe wurde ruckartig angedreht und nach entsprechend l~nger Drehzeit mit gleichm~l~iger Geschwindigkeit mit einer weichen negativen Be- schleunigung yon 0,84 3,61~ 2 abgebremst (M. D]~MPERS).

Die erste Aufgabe hat te demnach den Zweck, den Unterschied zwisehen den einzelnen Versuchspersonen (personelle Variabilit~t) fest- zuhalten. Erwartungsgem~B war jede Versuchsperson durch die ihr eigenen Werte der Dauer, der Schl~gzahl und der Ampli tuden recht gut charakterisiert, wie sich das in ~hnlieher Weise auch bei unseren kMo- rischen Untersuchungen gezeigt hat te (C~ISTIA~ a, a).

Tab. 1 berichtet fiber die Grenz- und Mittelwerte yon Dauer, Schlag- zahl und Gesamtampli tude yon 3 Versuchspersonen bei Andrehen mit der Beschleunigung 4,6~ 2.

Tabelle 1.

I. Phase.

U~wr~iii r Dauer Amplitude Vp. Oberer Grenz- Mittel- Unterer Oberer ~[ittelwert wert wert Grenzwert Grenzwert

32,6 54,0 13,6 23,0 24,1 28,6

4 6 , 6 9 5 , 2 24,2136,6 40 i52,5

45,1 18,2 27,2

65,8 30,9 43,2

Sehlagzahl

Unterer I Oberer i Grenz- Grenz- Mittel- wert weft I weft

86 102 93,7 35 50 40,7 49 58 52,4

II. Phase.

11 23 J 18,6 15 ~,6 19,1 19,5 23,2

404,1 124,5 310,9

44,0 44,1 70,6

550,0 210,0 316,8

93,7 80,4

114,2

511,3 176,0 312,6

74,1 65,9 90,6

Mit den in der Tabelle wiedergegebenen Werten lassen sich die Re- aktionen dieser 3 Versuchspersonen gut beschreiben. Versuchsperson 1 reagierte in der I. Phase stets mit einem sehr lebhaften Nystagmus, sowohl was die Dauer als auch was die Sehlagzahl und die Amplituden betrifft. Demgegenfiber weist Versuehsperson 6 reeht sehwache I~e- aktionen auf, w~hrend Versuchsperson 8 sich fiberall durch mittlere Werte auszeichnet.

In der I I . (inversen) Phase sind die Unterschiede im allgemeinen ge- ringer. Auffallen mul~ bei Versuehsperson 1 die sehwache I I . Phase, die sieh jedoch verhgltnismi~Big in die Lgnge zieht. W~hrend Dauer und Ampli tuden bei den 3 Versuchspersonen einen gewissen Unterschied durehaus aufweisen, ist ein soleher bei den Schlagzahlen so gut wie nieht vorhanden.

Man wird also sagen dfirfen, dab jede Versuehsperson dutch einen ihr eigenen Grad der Erregbarkeit eharakterisiert ist und dab diese Tatsaehe deutlich in den I. Phasen zum Ausdruck kommt. Bemerkenswert sind

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Vestibularisuntersuchungen mit schwellennahen Beschleunigungsreizen. 317

freitich die individuelten Schwankungen bei Versuchsperson 1 und 6, w~hrend Versuchsperson 8 gerade dureh die Gleichm~Bigkeit der Be- funde in der I. Phase auff~llt.

Uber die I I . Phasen hat C. LARGE n bereits 1939 anhand des Unter- suchungsgutes der Freiburger Klinik berichtet. Unsere jetzigen Befunde bestatigen die damaligen Ergebnisse in jeder Beziehung. Die Dauer der II . Phase fibersteigt oft diejenigen der i . Phasen. Zeitlich gesehen ver- fiigen diese also fiber einen grSBeren Spielraum; die geringe Schlagzahl und die kleineren Schlagweiten ]assen sie im Normalfall allerdings ein- deutig als wesentlich schwgchere geakt ionen erkennen. Die II . Phasen sind, auch das ist bekannt, im Normalfall verhaltnism~ftig wenig yon dem vorausgegangenen Drehreiz abhangig, unter der Voraussetzung, dab dieser stark genug war, um iiberhaupt eine I I . Phase auszulSsen. Darfiber wird spater noch zu sprechen sein.

T~belle 2. Mittelwertsschwankungsbreite (• %u)"

A c c e l e r a t i o n

b ] Sehlagzahl ] Oesamtamplitude b

I I. Phase ]II. Phase I I. Phase II. Phase

0,9 ! 5 , 7 1,3 3,06 1,6 3,2 2,3 3,0 2,6 4,12 3,0 3,33 3,7 2,74 4,6 3,16

3,12 40,2 2.98 33,1 3,26 34,8 3,1 29,0 2,46 35,2 3,41 35,7 2,66 38,1 2,94 36,9

11,9 9,2

22,45 21,1 16,25 13,62 9,81

16,92

0,84 1,036 1,324 1,5 2,14 2,7 3,16 3,6

D e c e l e r a t i o n

Schlagzahl Gesamtamplitude

iL Phase[ If. Phase I. Phase ,! II. Phase

!13,0 27,5 i13,5 12,45

12,4 20,0 12,1 19,75 12,6 41,8 13,9 i 17,5

i10,5 17,0 11,95 ] 24,81

4,08 85,3 4,1 95,1 4,0 82,5 3,9 97,9

10,2 90,0 5,32 95,0 3,85 68,2 3,5 97,2

In Tab. 2 sind die Mittelwertsschwankungsbreiten der Schlagzahlen und der Gesamtampli tuden wiedergegeben. Die Werte s tammen diesmal nicht yon jeweils einer Versuchsperson, sondern, wie oben schon erw~hnt wurde, yon einer gr6geren Anzahl. Sie a]le jedoch sind denselben Prfifun- gen mit den verschiedenen positiven und negativen Beschleunigungen unterzogen worden. Diese Untersuehungen enthalten demnaeh sowohl die personelle a]s auch die individuelle Variabiliti~t. Die Mittelwerts- schwankungen finden sieh bei den Versuchen mit Acceleration in durch- aus ertri~glichen Grenzen. Man mag vie]leicht geneigt sein, anzunehmen, dab die Sehwankungen in den I. Phasen naeh Besehleunigungsreizen, die dicht an der Reizsehwelle liegen, ein wenig gr6Ber seien als nach den nur um ein geringes sti~rkeren Reizen. In Anbetracht d e r n u r kleinen Unter- schiede muB man mit dem Urteil, es handle sieh hier um eine Gesetz- m~gigkeit, allerdings zuriickhaltend sein. Die grSgeren Schwankungen, die sich dagegen beim Vergleich der Werte ffir die Gesamtampli tuden in den I I . Phasen erkennen lassen, besti~tigen wiederum den geringen Grad

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yon Abh~ingigkeit, den die I I . Phasen yon dem vorausgegangenen Dreh- reiz haben.

Das auffallendste ist aber, dab die Sehwankungsbreite des durch Deceleration hervorgerufenen l~ystagmus wesentlich grS•er ist. Sie be- t ragt das Doppelte und noch mehr der Ergebnisse naeh positiven Be- sehleunigungen. Uber diese besondere Eigenschaft des postrotato:isehen Nystagmus wird ebenfalls sparer noch zu sprechen sein.

Besondere Beachtung verdient die Reizschwelle. Ehe wir uns ent- sehlossen, als kleinste Beschleunigung diejenige yon 0,9~ 2 (bzw. 0,84~ 2) zu w~hlen, waren auch unsererseits zahlreiche Beobaehtungen fiber den eigentliehen Schwellenwert vorausgegangen. I m alteren Schrift- turn war die Reizsehwelle bei b ~ 2,0~ 2 angenommen worden (s. bei JONGKEES 10). DE BuYs fand sie bei l~ 2. Auch wir (1. c. 12) waren seiner- zeit zu der Uberzeugung gekommen, dal~ man mindestens bis zu l~ 2 hinuntergehen miisse. Je genauer nun die Apparatur ist und je besser die RegistriermSglichkeit, um so exakter ist der Schwellenwert zubestimmen. Tatsachlich ]iegt er in den meisten F~illen unterhalb von l~ 2. Dieses hat natfirlieh eine groi~e Bedeutung fiir die Deutung derjenigen Experi- mente, die auf einem angeblich unterschwelligen Andrehen aufgebaut sein sollen. Nachtraglich wird man sagen miissen, dab manches ,,unter- schwellige" Andrehen in Wirklichkeit gar nicht unterschwellig war, sondern dab Beschleunigungsreize dabei doeh zur Wirkung gekommen sind.

l~ach dem AbsehluB unserer Untersuchungen konnten wir eine kfirz- lich ersehienene Arbeit y o n MONTAI~DOI~I U. RUSSBACH 17, 18 einsehen. MONTANDON land die Sehwelle fiir den Beschleunigungsnystagmus bei einem Mittelwert yon 0,77~ ~, diejenige fiir den VerzSgerungsnystag- mus yon 0,83~ ~ mit mitt leren Abweiehungen yon 0,83~ ~ bis zu 0,70~ 2 ffir den Besehleunigungsnystagmus und von 0,96~ ~ his 0,70~ ~ ffir den VerzSgerungsnystagmus. lVIO~TANDON meint, diese Werte wfirden eigentlich recht nahe beieinander ]iegen. Das entsprich~ aueh unseren Erfahrungen, aber wir halten die geringe Differenz zwischen dem Sehwellenwert des Beschleunigungs- und demjenigen des Ver- zSgerungsnystagmus doch fiir bemerkenswert und zwar in demselben Sinne wie andere Untersehiede zwischen der per- und der postrotato- rischen Reaktion auch, wie wi re s bereits kurz andeuteten.

In einer friiheren VerSffentlichung 15 hat ten wir die Parallele gezogen zu den audiometrischen Prfifungen der HSrschwellen. Wir bat ten daran gedacht, mit Hilfe der neuen Drehstuhlkonstruktion in analoger Weise den Schwellenwert ffir das Auftreten der Drehreaktionen durch Ver- mindern oder durch Vergr58ern der Beschleunigung einzustellen. Dem stehen aber praktische und, wie uns scheint, aueh grunds~tzliehe Schwierig- keiten entgegen. Der Eintr i t t der vestibul~iren Reaktion macht sich nieht

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in so seharfer Weise bemerkbar, wie etwa das I-I6ren eines Tones am Audiometer. Eine kleine teehnische Unvollkommenheit unserer Appara- tur beim Einschalten des Getriebes lenkt die Aufmerksamkeit der Ver- suchsperson darauf, daft nun etwas ,,mit ihm gesehieht". Dadurch k6nnte es leicht zu subjektiv gef~rbten Angaben kommen. Die grunds~tzliche Sehwierigkeit sehen wit aber darin, dab aueh die 0bjektive Reaktion, der Nystagmus, erst nach einiger Zeit, naeh einer u . U . recht erhebliehen Zahl yon Sekunden in wirklich eindeutiger Weise in Erscheinung tri t t . Man mtigte, um die Priifung etwa mit noch kleineren Beschleunigungen zu wiederholen, mit der Einstellung zurfiekgehen und den Drehstuhl an- halten, d. h. aber dem bereits wirksam gewordenen positiven Besehleuni- gungsreiz einen negativen entgegensetzen. Nun wissen wir aus Erfahrung, dab der Weehsel yon positiver und negativer Beschleunigung nieht ohne Einflug auf spgtere I%eaktionen bleibt. Daes sieh bei derartigen Priifungen um die Erkennung sehr, sehr feiner Unterschiede in der Erregbarkeit handeln soll, ist Zu befiirehten, dug der zeitliehe und apparat ive Aufwand nieht im Einklang steht mit dem Ergebnis, das augerdem in Anbetraeht der individuellen Sehwsmkungen erheblichen Zweifeln begegnen mug. Auf Grund dieser i)berlegungen und an Hand dieser Erfahrungen haben wit uns entsehlossen, Ms unterste Stufe der Besehleunigung 0,9~ 2 an- zusetzen. Das ist eine Besehleunigung, yon der wit annehmen dtirfen, dal3 sie in den meisten FMlen bereits eine sehwaehe l%eaktion 'auslSst.

Die eben angedeutete Art der vestibulgren ReM~tion bedarf noeh einer n/~heren Erl~uterung. Von den klinisehen Beobaehtungen her kennen wit bei den experimentellen Priifungen 2 Arten des Reaktionsablau/es: 1. den kr/~ftigen, gleich mit grogen Sehlggen einsetzenden Nystagmus, der allm/ihlich abklingt und 2. den Nystagmus, der erst naeh einer gewissen Latenzzeit und zun/iehst nut mit kleinen Sehl/igen auftritt , allm/ihlieh an Frequenz und Sehlagweite zunimmt,das Maximum der Reak- tion erst nach einiger Zeit erreieht und dann ganz allm~hlich abklingt.

Die erste Art der l%eaktion sehen wir z. B. bei dem postrotatorischen Nystagmus, auf dem Bs Drehstuhl. Die letztere Art ent- spricht den kalorisehen l%eaktionen. Der Ablauf hat jedoch niehts damit zu tun, ob es sieh um eine thermisehe oder um eine Drehprtifung handelt. Der plStzlieh und kr/~ftig einsetzende Nystagmus ist vielmehr nut eine Sonderform, deren Auftreten yon der Anwendung starker ruekartiger Besehleunigungen abhgngt. Der Drehnystagmus nach den schwgeheren l:~eizen, also nach den geringeren Besehleunigungen, entsprieht in seinem Verlauf, wenigstens anfangs, durehaus dem thermisch ausgelSsten Ny- stagmus. Daraus ergibt sieh die Notwendigkeit, sieh auch mit dem Reaktionsablauf zu befassen.

Der Vergleich mit der calorisehen Reaktion bezieht sieh jedoeh nur auf den Beginn des Drehnystagmus, denn aueh dieser setzt naeh einer

22*

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gewissen Latenzzeit mit seltenen und sehr schwachen Schl~gen ein und erreieht erst allmahlich sein Maximum. Wi~hrend nun der calorische Nystagmus bekanntlich ganz langsam ausklingt, hat der Drehnystagmus einen wesentlieh gedr~ngteren Ablauf, jedenfa]ls in der I. Phase. I m Vergleich zu dem Verlauf bei den calorischen Reaktionen ist festzustellen~ dal~ gegen Ende die Schi~ge wohl schwacher werden, dal~ die Reaktion im ganzen gesehen jedoch ziemlich plStzlieh zum Abschlu~ kommt.

Die I I . (inversen) Phasen setzen bekanntlich ebenfalls mit sehr ge- ringen Schlagweiten und seltenen Schl~igen ein und hSren auch ebenso allmiihlich auf. I m Normalfall gehen sie eigentlich nur selten fiber das

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i b b . 2. Acceleration I .Phase : Beschleunigungszei~ (b), Latenzzei~, Gesamtdauer des Nystagmus.

sehen l~eaktion hinaus. Zu den Besonderheiten des

Ablaufes der vestibul~iren Re- aktion gehSrt noch die Latenz- zeit. Wir kennen sie von den thermischen Prfifungen her. Uber die Latenzzeit und fiber die Bedeutung, die ihr zu- kommen mag, ist sehr viel diskutiert worden. Bei den Drehprfifungen mit schwellen- nahen Bes chleunigungsreizen findenwir zwischen dem Beginn des Reizes und dem Beginn des I~ystagmus Latenzzeiten verschiedenen Ausma•es. Sie

sind ffir die Acceleration auf Abb. 2 und ffir die Deceleration auf Abb. 7 eingezeichnet, l~aeh Beschleunigungen nahe bei l~ 2 sind sie einwandfrei grSi3er als nach st~rkeren Beschleunigungen und nehmen mit zunehmender Beschleunigung zweifelsohne kontinuier]ich ab. Es ist vor- auszusehen, dab sie sich der Nullinie n~hern. Bei ruckart igem Andrehen auf eine Drehgeschwindigkeit z. B. yon 60~ und darfiber hinaus ist die Latenzzeit praktisch unmel~bar klein geworden, d .h . der Nystagmus t r i t t nunmehr sofort in Erscheinung, wie das oben besehrieben ist.

Die eingezeiehneten Werte entsprechen wiederum Mittelwerten. Abet gerade in diesem Fall scheinen uns die individuellen Schwankungen bemerkenswert. So fi~llt eine Latenzzeit von 10 sec (nach b = 3,16~ 2) auf in einer Serie yon l~ystagmogrammen einer Versuchsperson, deren Latenzzeiten nach b = 3,61~ e sich um 3 oder 4 see bewegten. Der- artige vorlaufig nicht erklarbare Schwankungen mfissen berficksichtigt werden, wenn man daran geht, die Latenzzeiten im pathologischen Sinne auszuwerten. Wahrend die Latenzzeiten nach thermischen Reizen zu

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Vestibularisuntersuehungen mit schwellennahen Beschleunigungsreizen. 321

unterteilen sind in die Zeit, die das Temperaturgefalle ben6tigt, um bis zum Bogengang for~zuschreiten (Fl~E~ZEL) und in die eigentliche physiologisehe Latenzzeit, so handelt es sich bei den I)rehprfifungen nur um die letztere. In theoretischer Beziehung ist nun interessant, dag SCHMALTZ2~, 28, 26, 27 die Zeit bis zum Beginn der Endolymphversehie- bung im Bogengang mit 0,02 see erreehnet hat. Die Einwirkung auf die Cupula so]l demnach bereits nach l/50 sec beginnen, w~hrend der Nystag- mus erst nach Sekunden, gelegentlich erst nach I0 sec in Erscheinung tritt, ohne dag wir vorerst in der Lage sind, bestimmte Griinde fiir eine derartige VerzSgerung des Effektes zu nennen. Solche Beobachtungen mfissen uns veranlassen, die Probleme noch welter durchzudenken.

W~hrend bei den Untersuchungen mit ruckartigem Andrehen und Abstoppen die Beschleunigung in einer extrem kurzen, praktisch nicht mehr meflbaren Zeit stattfindet, spie]t bei den nunmehrigen Versuchs- anordnungen die Dauer der Beschleunigung selbstverst~ndlich eine Rolle. Bei unseren Versuchen stellt die Drehgeschwindigkeit v = 60~ eine Konstante dar. Die ver~nderlichen Gr6gen sind die Beschleunigung (b) und die Beschleunigungszeit (t). Die Zeit, die verstreicht, bis die End- winkelgesehwindigkeit erreicht ist, wird entsprechend der mathemati-

V schen Beziehnung t = ~ - mit zunehmender Winkelbeschleunigung

kleiner. In der Umkehrung besagt der Satz, dag die Zeit um so grSBer ist, je kleiner die Winke]beschleunigung gehalten wird. Unter der Voraus- setzung, dab v eine Konstante ist, bildet die Formel b �9 t = v die Grund- lage ffir den Satz, den MULDER 19 im Jahre 1908 aufgestellt hat, dab das Produkt vonWinkelbeschleunigung und Beschleunigungszeit konstant sei.

Dieser Satz soll nun nicht nur in mathematiseh-physikalischer, sondern auch in physiologischer Beziehung verstanden werden, d .h . dag bei g]eicher Beschleunigungszeit der Reize/]ekt in entspreehender Abh~ingig- keit yon der BeschleunigungsgrSge steht. JONGKEES 10 hat bereits darauf hingewiesen, dab das MuLDE!asche Gesetz nur innerhalb gewisser Grenzen Giiltigkeit zu haben seheine. In diesem Sinne glauben wir aueh die Er- gebnisse unserer Untersuehungen mit ruckartigen Besehleunigungen deuten zu sollen. Die Werte der folgenden Versuehe werden wir ebenfalls daraufhin zu betrachten haben.

Einer weiteren Beachtung wird der Vergleieh zwisehen der Be- schleunigungsdauer und der Dauer der vestibul~tren Realction bediirfen, ein Vergleich, der sowohl in praktischer wie in theoretischer Beziehung interessant sein wird.

A]s letztes sei die Drehemp]indung erw~hnt, auf die nach MSglichkeit geachtet und die auch registriert wurde. Sie h i e l t - dieses darf hier vorausgenommen w e r d e n - w~hrend der ganzen Zeit der vestibul~ren Rea.ktion gleiehm~i~ig an. Eine Parallelit~tt zwisehen der Frequenz oder

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322 ~. MITTER~IAIER und G. I~OSSBERG:

den Schlagweiten des Nystagmus und der St~rke der Drehempfindung konnten wir nicht erkennen.

An der Durchffihrung unserer Untersuchungen waren, wie schon er- w/~hnt, mehrere Mitarbeiter betefligt. Trotz des Bestrebens, durch die Nystagmographie die Untersuehungen so exakt wie mSglich zu gestalten, ist mit Fehlerquelleni die durch die Subjektivit~t bei der Auswertung be- dingt sind, zu rechnen. Die Aufgaben, die den einzelnen Mitarbeitern gestellt wurden, haben sieh absiehtlich z. T. fiberschnitten. Durch den Vergleich mehrerer Untersuehungsserien haben wir so versucht, die Fehler mSgliehst gering zu halten.

l~rgebn;.sse.

Wenden wir uns nun den Ergebnissen bezfiglich der Nystagmus- dauer, der Schlagzahl und der Sehlagweiten zu.

I. Positive Beschleunigung (Acceleration). Abb. 2 gibt die jeweilige Beschleunigungszeit, die Mittelwerte der

~ystagmusdauer und der Latenzzeit wieder. Die Kurve der Beschleunigungszeit in Abh~ngigkeit yon der Be-

schleunigung stellt sieh' bei ganzlinearer diagrammatischer Aufzeichnung als Hyperbel dar. Die Kurve der Latenzzeit 1/~ftt erkennen, dab diese mit zunehmender Beschleunigung abnimmt. Die Kurve n~hert sich der Null- linie. Das entsprieht der Tatsache, daft nach hochgradigen Besehleuni- gungen, z .B. ruckartigem Andrehen, die Latenzzeit unmeSbar klein geworden ist. Die Punkte, die den Mittelwerten der Nystagmusdauer angehSren, lassen sich unschwer ebenfalls durch eine Kurve verbinden. Bereits bei dem geringsten Beschleunigungsgrad yon 0,9~ 2 geht die Nystagmusdauer i~ber die Beschleunigungszeit hinaus; d. h. der Nystag- mus h/~lt auch noch in der Zei~ des gleichm~ftigen lqachdrehens an.

Die Kurve entspricht der gemessenen Nystagmusdauer, jeweils ohne Latenzzeit. Sie verl~tuft flacher als die Beschleunigungskurve. Mit zu- nehmender Beschleunigung wird der Abstand der beiden Kurven grSl]er. Wir sind gewohn~, den w/s einer Drehung auftretenden Nystagmus als perrotatorische t~eaktion zu bezeichnen. Wir sollten jedoch die Dauer unterteilen in einen acceleratorischen und einen postaccelzratorischen Anteil, wobei wit under der ersten Bezeichnung den Nystagmus ver- stehen, der w/~hrend der eigentlichen Beschleunigung auftri t t und unter ,,postacceleratorisch" den zweiten Antefl, der die erste Zeit des gleich- mK$igen Nachdrehens betrifft. Bei einer Beschleunigung ungef~hr yon 2,6~ 2 sind die beiden Anteile einander gleich. Die Nystagmusdauer nimmt dann wohl noch ab, aber die Kurve scheint bei 45 sec in eine ttorizontale fiberzugehen. Da die Kurve der Beschleunigungszeit weiter abf/~llt, vergrSftert sich also die Differenz zwischen beiden. Bei einer Be- schleunigung yon 60~ 2 wird die Kurve die Abszisse beinahe beri~hren

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Vestibularisuntersuehungen mit schwellennahen Beschleunigungsreizen. 323

mfissen. Bei einem plStzlichen Andrehen auf eine Drehgeschwindig- keit yon 60 ~ wird die Beschleunigungsdauer unmefibar klein. Nach unseren frfiheren Untersuchungen schwankt die Dauer des Nystagmus bei ruckartigen Beschleunigungen yon 30--120~ 2 zwischen 40 und 50 sec. Nach unseren jetzigen Untersuchungen ist diese Nystagmus- dauer offensichtlich bereits bei einer Beschleunigung yon ungef~hr 4~ 2 erreicht.

Der Kurvenverlauf der Nystagmusdauer l~l~t sich folgendermaSen erklKren: Bei den schwellennahen Beschleunigungen tri t t - - nach einer Latenzzeit - - Nystagmus ffir die ganze Dauer der Beschleunigung auf. Das bedeutet, da{3 bei grol~er Beschleunigungsdauer der Nystagmus ebenfalls yon langer Dauer sein mu6. Dazu kommt, dab 7o mit dem Ende der Beschleuni-

#0 gung der Nystagmus sein eigenes Ende noch nicht ge- ~-o funden hat. Da die Beschleu- nigungskurve in diesem Be-

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reich zuni~chst recht steil ~ Jo abfiillt, sinkt auch dig Kurve der Nystagmusdauer, jedoch zo nicht so stark wie die Be- 1o schleunigungskurve. Die Nachwirkung der Beschleu- o nigung macht sigh ffir die Zeit des gleichm~l~igen Nach- drehens bei zunehmender

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Beschleunigung in verst~trktem Mal~e bemerkbar, freilich nur bis zu b = 4,0~ 2. Von bier ~n ist die Nystagmusdauer offensiehtlieh weit- gehend unabh~ngig von der St~rke des Beschleunigungsreizes, mit anderen Worten, eine Beschleunigung yon 5~ 2 in 12 sec scheint tat- s~tchlich ungef~hr dieselbe Nystagmusdauer zur Folge zu haben wie eine Besehleunigung yon 30~ 2 in 2 see.

Abb. 3 zeigt die Mittelwerte der ,.%hlagzahlen. Bemerkenswert ist, dal~ die Kurve zun~chst ansteigt, d .h . die Schl~tge im Bereich yon 1,6~ 2 sind besonders zahlreich. Sparer sinkt die Kurve wieder ab. Aus teehnischen Griinden konnten wir das Verhalten der Sehlagzahl bei gr5$eren Besehleunigungen nicht verfolgen. Wit muf~ten diese Ergebnisse mit denjenigen der friiheren Ver5ffentlichung kombinieren. Dabei ergab sich, dal] die Schlagzahl pro rain naeh den Schwachreizen mit plStzliehem Andrehen auf v = 18 ~ bei 20 und nach Andrehen auf v = 30 ~ bei 30 lag. Mit zunehmender l~eizst~rke stiegen die Schlagzahlen noch welter an. Der HShepunkt war bei v = 90 ~ erreicht. Die Schlagzahlen erwiesen sich

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324 R. ~r und O. Ross~Exa :

bei stgrkeren Beschleunigungsreizen nieht in demselben Mal3e reiz- st~rkenun~bhi~ngig wie die Nyst~gmusd~uer,

Die Kurven - - - - und geben den acceleratorischen und postacceleratorischenAnteil der GesamtschIagzahl wieder. Entspreehend der abnehmenden Beschleunigungszeit geht der acceler~torische Anteil

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acceleratorische Anteil zu- nimrnt. I)er Kreuzungspunkt beider Kurven liegt zwischen 2 ~ und 3~

Die Frequenz (Abb. 4), d .h . der Quotient Sehlag- zah]/Sekunde, ist bei schwel- lenn~hen Besch]eunigungen sehr gering. Der Riickgang der Nystagmusd~uer ist die Ver~nlassung, daft die Fre- quenz sparer ~nsteigt. Die Aufgliederungin die ~ccelera- torische (~cc.) und postaece- leratorisehe (post.) Kompo- nente lehrt, dab bei abneh- mender Besehleunigungszeit - - w e n i g s t e n s bis zu 4~ 2 - - d i e Sehlagfolge innerhalb der Besehleunigungszeit er- heblieh lebhafter wird.

Abb. 5 beriehtet fiber die Gesc~m~c~mplituge. Aueh hier ist d~s Auffallende die Stei- gerung der Schlagweiten im Bereich yon 2--3~ 2. Ganz offensichttieh zeichnet sieh die Reaktion in diesem :Be- reich dutch besondere Leb- haftigkeit aus. MOSTA~DO~ u. I~VSSBAC~ ~s maehten die-

selben Erfahrungen. Sie f~nden eine Steigerung der Amplituden bis zur Beschleunigung 3~ 2. Wir verm6gen ffir die Versti~rkung der Re~ktion in diesem Bereich vorerst keine ~ndere Erkl~rung zu geben, ~ls dM3 die Zunahme des Besehleunigungsreizes sieh bier stErker ~uswirkt Ms die Abnahme der Beschleunigungszeit . Ob es besonders gfinstig ist, die Be- sehleunigung yon 3~ ~ fiir eine Stund~rduntersuchung zu ws muB

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Vestibularisuntersuchungen mit schwellennahen Beschleunigungsreizen. 325

in einem allgemeineren R a h m e n gepriift werden. Der Kreuzungspunkt der aeeeleratorisehen und postaceeleratorischen Kurven liegt wiederum zwisehen 2~ 2 und 3~ e.

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Abb. 6. AcceleraLion IL (inverse) Phase: Nystagmusdauer, Gesams Schlagzahl, Frequenz.

Aus Abb. 6 ist das Verhalten der II . (inversen) Phasen zu ersehen. Ihre Daue~" mit einem Dursehni t t yon 70 sec erweist sieh, wie das berei&s besprochen wurde, als weitgehend reizst/irkeunabhi~ngig. Schlagzahl und Amplituden lassen eine geringe Erh6hung bei 2~ ~ erkennen. Die Fre- quenz wird im Diagramm dureh eine Horizontale wiedergegeben.

I n den bereits erwi~hn~en frfiheren Untersuehungen ( M I T T ~ M A I ~ l~, C. LARGE 11) ist besehrieben worden, dab es ffir die AuslSsung der I I . Phasen eines sg/irkeren Drehreizes bedaI'f Ms ffir die der I. Phasen. Die Auswertung unserer j e tz igenUntersuehungen zeigt, dab naeh einer Besehleunigung yon 1,3~ ~ lediglieh in 65~o der gepriif- ten F~lle eine I I . (inverse) Phase auf- trat . Bei b = 1,6~ 2 waren es 75%, bei b = 2,3~ 2 ging der Hunder t - satz auf 85 ~o, bei b = 2,6~ 2 auf 90~ hinauf. Ers t naeh einer Be- sehleunigung yon 3,0~ 2 wurden 100~o erreieht. - - Diese Tatsaehe

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Ablo. 7. Deceleration I. Phase: Besohleu- nigunlszei& (b), Latenzzeit, Gesamtdauer

des :Nystagmus.

halten wir fiir wert, besonders hervorgehoben zu werden. Will man eine I I . Phase in Erseheinung t re ten lassen, so wh'd man mindestens

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326 R. ~mm~R~i~E~ und G. ROSSBE~O:

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mit einer Beschleunigung yon 3,0~ ~ andrehen mfissen. Da wir bei den klinisehen Untersuchungen Wert auf die Beobaehtung der I I . Pha- sen legen, scheint uns die Beschleunigung yon 3,0~ ~ tats~chlich der unterste Grenzwert zu sein, der fiir Standarduntersuchungen zu w/~hlen w~re.

I I . Negative Be~chleunigung (Deceleration).

Bei der kurvenm/~Bigen Darstellung haben wir in Abb. 7 neben der Beschleunigungsdauer wieder die Latenzzeit und die Dauer des Ny~tagmus

eingezeiehnet. I m Prinzip 3s

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8. ]Deceleration L Phasei Sohlagzahl, Oesamtamplitude, Frequenz.

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Abb. 9. Decelerai0ion H. (inverse) .Phase: ~4 ystagmus- darter, Gesamtamplitude, Sehlagzahl, Frequenz.

/thnelt der Kurvenver lauf nach Deceleration durchaus dem- jenigen nach Acceleration. Die Latenzzeiten scheinen anfangs etwas hSher zu liegen, der Ab- fall der Kurve der Nystagmus- dauer ist zu Beginn steiler.

Wit" haben uns darauf beschr~nkt, die Mittelwerts- kurven einzuzeichnen, da die Unterteilung in die decelera- torische und die postdecelera- torische Komponente im Prin- zip keine anderen Gesichts- punkte als bei dem perro- tatorischen Vorgang bringen kann. Man mug sich nur Mar machen, dab der decelerato- risehe Anteil dem Bremsvor- gang entspricht und der postdeceleratorisehe gleichzu- setzen ist dem postrotatori- sehen Nys~agmns vom Augen- blick des Stillstandes des Drehstuhles ab.

In Abb. 8 sind dieWerte der Gesamtamplituden, der Schlag- zahlen und der Frequenzen der I. Phasen eingezeichnet.

Die Streuung der Mittelwerte der Schlagzahlen ist gering, bei den Gesamtampli tuden ist sie grSger. Die Frequenz steigt naturgem~$ zu- n~ehst an und verl~uft dann ann~hernd horizontal, entsprechend der ziemlich gleichbleibenden Schlagzahl.

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Vestibularisuntersuchungen mit schwellennahen BescMeunigungsreizen. 327

In den II. (inversen) Phasen (Abb. 9) streuen die ~Terte der Nystag- musdauer verh~ltnism/~Big stark. Dasselbe ist auch yon den Schlag- zahlen bei Beschleunigungen yon 2,14--3,16~ 2 zu sagen. Bei den Gesamtamplituden macht sich eine Streuung weniger bemerkbar. Die Frequenzwerte bflden Mederum nahezu eine Horizontale.

Physikaliseh gesehen stellen positive und negative Beschleunigung den gleichen I~eiz dar, und theoretisch sollten Mr demnach aueh den gleichen Reizeffekt erwarten. Vergleichen wir' die Werte nach beiden Arten yon Besehleunigung, so ergibt sich jedoch folgendes:

Naeh positiver Beschleunigung sind Schlagzahl, Gesamtamplitude bei 2--3~ ~ der I. Phase some Dauer, Sehlagzahl und Gesamtampli- rude der II. Phase grSBer. In geringem MaBe betrifft das aueh die Dauer des Nystagmus in der I, Phase nach den hSheren Besehleunigungen.

Nach negativen Beschleunigungen ist die Latenzzeit, wenigstens an- deutungsweise, grSBer und bemerkenswert sind weiterhin die Streuungen der errechneten Mittelwerte bei der Dauer und der Gesamtamplitude der I. Phase some bei der Dauer und der Sch]agzahl der II. Phase.

Bedenkt man nun noch, dab die Schwankungsbreiten der Mittelwerte ftir die Schlagzahl und ffir die Gesamtamplitude (Tab, 2) in der I. :Phase naeh negativen Beschleunigungen wesentlieh grSBer waren als naeh positiven Besehleunigungen, so ergeben sieh manehe Gesiehts- punkte, die es angezeigt sein lassen, sieh f/Jr klinisehe Zweeke lieber den Untersuehungen mit positiven Besehleunigungen, d .h . der perrotato- risehen Reaktion, zuzuwenden. Deren l%egistrierung ist allerdings nur mit Hilfe der Nystagmographie mSglieh.

Die offensiehtliehe Neigung zu gr61]erer Streuung some die grSBere Breite der Mittelwertssehwankungen bei dem postrotatorisehen Nystag- mus veranlassen uns, naeh einer Erkl~rung zu suehen. Es ist daran zu denken, dab - - bei positiver Besehleunigung - - das Anch'ehen aus einer eehten Ruhe heraus erfolgt, w/ihrend dem Abbremsen die positive Besehleunigung und das zwisehengesehaltete Drehen mit gleiehbleibender DrehgesehMndigkeit vorangegangen sind. Obgleieh wir fiberzeugt waren, dab wir geniigend lange naehgedreht haben (mindestens 3 rain, bei einer Ungersuehungsserie 5 min), so ist doeh nieht ganz auszusehlieBen, dab sieh unter besonderen Umst~nden eine geringffigige Interferenz auswh.kt. Eine andere Erkl/~rung ist vielleieht in einem Hinweis zu sehen, den LO~E~TE DE Nd 2~ vor Jahren gegeben hat. Bei der Bespreehung der mSgliehen Eimvirkung der Zentrifugalkraft betont er, dab dureh sie Lymphstr6mungen nieht verursaeht werden, dab man aber doeh an ,,Versehiebungen der hgutigen Bogeng/~nge als Ganzes innerhalb der knSehernen Bogeng/~nge denken" miisse. Die Ausgangslage zu Beginn des Abbremsens mag tats~ehlieh eine andere sein als bei der eehten Ruhe- hMtung. Aber das sind theoretisehe Uberlegungen.

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328 R. MITTERMAIER und G. ROSSBERG:

Besprechung der Ergebnisse. Wenn wir noch einmal unsere Versuchsreihen i~berblicken, so erscheint

es angezeigt; ganz allgemein auf die Schwankungsbreite der Befunde, auf die individuelle und persone]le Variabilit~t, einzugehen. Sie erschwert zweifellos j ede Auswertung der experimentellen Gleichgewichtsprfifungen~ denn es ist ]a nicht m6glich, yon einem eng umschriebenen Standard- oder Normalwert auszugehen. Diese Tatsache veranla~t uns, noch einige grunds~tzliche Uberlegungen zu dem Wert yon Reihenuntersuchungen anzusch]ie~en.

Errechnete Mittelwerte sind insofern bedeutungsvoll, als sie eme Tendenz erkennen lassen, nach der das geprfifte Organ seine biologische Antwort gibt. DaB Abweichungen im Einzelfall nicht ohne weiteres als pathologisch gedeutet werden dfirfen, mul3 gerade ffir den Vestibular- appara t hervorgehoben werden. Solche Reihenuntersuchungen lehren, welchen Fehlerquellen man ausgesetzt sein kann. So stellt es vielfach einen Fehler dar, wenn man auf Grund yon ein oder zwei Prfifungen ein endgfiltiges Urteil fiber eine angeb]ich krankhafte Ver~nderung einer Funktion abgeben will. Seit langem stehen wir auf dem Standpunkt, daI3 nur mehrere vergleichende Untersuchungen, deren Ergebnisse alle in dieselbe Richtung weisen mfissen, ein Urtefl erlauben. F~llt ein Befund aus dem Rahmen heraus, so ist er zu wiederholen. Das gilt besonders ffir das Ergebnis einer ersten Untersuchung. Von ihr wissen wir, dal3 sie gar nicht selten den h6chsten Wert ergibt, der bei Wiederho]ung nicht er- reicht wird. Vor kurzem hat SCmE~B~CK ~'3 diese Beobachtung nochmals best~tigt.

Betrachten wir nun den Verlau] der Reaktionen, die Werte ffir die Dauer, die Schlagzahl und die Schlagweiten und ihre Beziehungen zu den vorausgegangenen Beschleunigungen, so stehen wir vor zwei Fragen: 1.' wie sind die ]3efunde zu erkl~ren und 2. welehe Bedeutung kSnnen sie ffir eine klinische Untersuchung gewinnen ?

Auf die Schwierigkeiten, den wirk]ichen Schwellenwert ffir die Er- regung durch Drehreize zu bestimmen, haben wir bereits hingewiesen. Gerade im Bereich der Schwellen ist es zweifelhaft, ob den sehr feinen Unterschieden eine Beweiskraft ffir echte und nicht yon ,Zufiilligkeiten" abh~ngige Differenzen in der Erregung zukommt. Bedenken wir doch~ da]3 wir als Kri ter ium den Nystagmus, eine ~Lul3erst komplizierte und sicherlich noch anderen Einflfissen unterliegende Antwort zu nehmen gezwungen sind. Eindeutige Unterschiede im Schwellenwert, wie sie yon MOXTA~DO~ U. RUSSBACI~ TM gesehen worden sind, etwa das Herauf- drficken des Schwellenwertes bis auf 5--6~ ~, sind dagegen sicherlich sehr eindrucksvoll.

Dabei handelt es sich zun~chst nur um das Auftreten des Nystagmus fiberhaupt, noch nicht um dessen quanti tat ive Auswertung. Voraus-

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Vestibularisuntersuchungen mit sehwellennahen Beschleunigungsreizen. 329

setzung vergleiehender Untersuehungen sind gleiche physikalische Bedingungen. Dreht man also mit einer sehr kleinen Beschleunigung an, bis eine gewisse Drehgeschwindigkeit erreicht ist, so ergibt sich zwangs- li*ufig entsprechend der langen Beschleunigungszeit auch eine lange Nystagmusdauer. Wghlt man eine grSl~ere Besehleunigung (aber imlner noch unterhalb yon 4~ so haben wit gemiiB der kfirzeren Beschleuni- gungszeit auch eine kfirzere Nystagmusdauer . Damit ist in einem solchen Fall aber noeh gar nichts fiber den Grad der Erregung gesagt, lediglich die Erregbarkeit als solehe ist bewiesen.

Es bedarf keiner weiteren Diskussion, dag w/*hrend der ganzen Zeit der fibersehwelligen Beschleunigung Nystagmus vorhanden ist. Bei kleinen Besehleunigungen sind die Sehli~ge selten und die Schlagweiten gering. Das unterscheidet sie yon ]~eaktionen naeh st~Lrkeren Besehleuni- gungen. In dieseln Bereieh k6nnte man bei gleicher Besehleunigung nut aus der unterschiedlichen Frequenz und auf Grund der SchIagweiten etwas fiber eine Di/lerenz in der Erregbarkei t aussagen.

Da der Nystaglnus in der Zeit der eigentlichen Besehleunigungsdauer (acceleratorische und deceleratorische Kolnponente) ffir die quanti tat ive Beurteilung nieht, oder nur insofern herangezogen werden kann, als man in der Lage ist, Schlagzahl und Schlagweiten zu registrieren, so stehen wir vor der Frage: Welche Bedentung hat denn nun der postaeeeleratori- sche und in gleieher Weise der postdeceleratorische Anteil ? Was geschieht in dieser Zeit ? Is t es wirklich eine Zeit nur der Nachwirkung ? SCHMALTZ 2~ sagte in seinem Londoner Vortrag (1932) w6rtlich: ,,Wiihrend der Be- schleunigung ist die relative Gesehwindigkeit der Endolylnphe propor- tional der Beschleunigung des Bogenganges und einem Faktor q, der die Dimension des Bogenganges, die Dichte und Viscositgt der Endolylnphe enthg]t . . . Die relative Geschwindigkeit der Endolymphe nilnlnt gemgB der Forlnel . . . sehr sehne]l zu und erreieht ihr Maximum bereits in un- gefghr 0,02 sec. Dann wird sie konstant, bis die Beschleunigung des Bogenganges ihr Ende erreieht hat, d. h. also, bis die Geschwindigkeit des Bogenganges konstant geworden ist. Je tz t verschwindet die Ge- schwindigkeit der Endolylnphe gegenfiber dem Bogengang geln~tB deln Gesetz, nach deln sie zugenommen hatte. Der Nullwert ist naeh ungefghr 1/50 sec erreicht, nachdem die Beschleunigung ihr Ende erreicht hat. Nun bleibt die Endolymphe unbeweglieh gegenfiber deln Bogengang und rotiert Init derselben absoluten Geschwindigkeit, wie der Bogengang selber, his er gestoppt wird."

Naeh den Berechnungen yon SCHMAI, TZ finder in der Zeit des gleich- IniiBigen Weiterdrehens oder nach deln Anhalten keine weitere Endo- lymphversehiebung start. Wie unsere Untersuehungen zeigen, ist der Nystagmus in dieser Zeit aber noeh keineswegs abgeklungen und des- wegen ist die Gesamtzeit der Reaktion zwecklngBigerweise aufzugliedern

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330 i!~. MITTE:RMAIER und G. ROSS]~ERO:

in ihre acceleratorischen/deceleratorischen und postacceleratorischen/ postdeceleratorisehen Anteile.

Unter der Voraussetzung, dab die SCHMALTzschen Berechnungen dem Vorgang im Endolymphraum gerecht werden, mul~ es sich wi~hrend der postacceleratorischen und postdece]eratorischen Zeit demnach um eine Naehwirkung handeln, die ihrerseits in Abh~ngigkei~ yon dem Grad der vorausgegangenen Endolymphverschiebung steht*.

Auf Grund unserer Ergebnisse scheint die Dauer des Nystagmus yon der Beschleunigung 4,0/~ 2 an ziemlieh konstant zu bleiben mit Zei~en zwischen 40 und 50 see. Den friiher mitgeteilten Untersuchungen mit ruckartigem Andrehen zufo]ge wird diese Grenze aueh nach plStzlichem Andrehen auf sehr groi~e Gesehwindigkeiten nieht/iberschritten. Dem en~- spricht ja auch die ~llgemeine Erfahrung, die jeder bei allen Arten yon Drehpriifungen machen kann.

Die Schlagzahl und die Amplituden ~ndern sich bei weichen Beschleuni- gungen offensiehtlieh auch nicht wesentlieh, sie erfahren jedoch bei ruck- artigem Andrehen auf grSl3ere Geschwindigkeiten eine deutliehe, zwisehen den Geschwindigkeiten yon 30--90~ geradezu linear verlaufende Zu- nahme ~6, 2~

Wenn der acceleratorische und der deceleratorische Anteil zur Be- urteilung des Grades der Erregbarkeit nieht oder, wie oben ausgeffihrt, bei st~rkeren Beschleunigungen nur in gewisser Weise in Frage kommen, so m/issen beide dem postaceeleratorischen/postdeceleratorischen Antefl gegeniiber aus klinischen Griinden gesondert festgestellt werden. Bei zu- nehmender Beschleunigung vergrSl~ern sich die Anteile der Naehwirkung, bis wir beim ruckartigen Andrehen oder Abstoppen angelangt sind. Die reine Besehteunigungszeit ist jetzt unmeBbar klein geworden und man kann nun yon per- oder postrotatoriseher Re~ktion sprechen, ohne eine Aufgliederung vorzunehmen. I m Bereieh der weiehen Beschleunigungen sollte man sieh jedoch stets vergegenw~rtigen, dab die Gesamtreaktion sich aus den 2 Anteflen zusammensetzt, die ihrer Entstehung und aueh ihrer Bedeutung nach getrennt zu beurteilen sind.

Wh" glauben, da]~ die Trennung der aeceleratorischen/deeeleratorisehen yon der postaeceleratorischen/postdeeeleratorischen Komponente kli- niseh interessante Ergebnisse verspricht. Auch theoretisehe Probleme werden durch sie siehtbar. Dazu l~13t sich vorerst jedoch nicht viel aus- sagen, da wit noch kaum etwas davon wissen, welehen Einfliissen, aul~er

* Auf die Ver6ffentliehungen yon v. EOMOND. A. A. J. u. Mitarb. (s. Lit.) HALL- P~KE, C. S. u. Mi~arb. (Proceedings of the Royal Society, B, volume 141, p. 215, 1953) sowie ASC~AN, G. u. M:tarb. (Acta societatis medieorum Upsal•nsis, Bd LX (1955), die sich mit dlesen Prcbl~men befassen, wollen wir an dieser S~elle hin- weisen, ohne im Einzelnen n~her darauf einzugehen.

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Vestibularisuntersuchungen mit schwellennahen Beschleunigungsreizen. 33]

der vorhergegangenen Endolymphverschiebung w/~hrend der Be- schleunigung, die ,,Nachwirkung" unterliegt.

Ffir das Auftreten d e r / / . (inversen) Phasen ist wichtig, dab man erst yon einer Beschleunigung yon 3,0~ ~ ab damit rechnen.darf, daB sie regelmgl~ig in Erscheinung treten. (Uber die Sehwellenwerte ffir das Auftreten der II. Phase nach kurzfristigem Abbremsen siehe bei C. LANGE 11). Man wird nieht annehmen kSnnen, dab Beschleunigungen, die so sehwellennah liegen, zu einer Besch/idigung der Cupula fiihren. Be- schleunigungen dieser Gr3Benordnung sind sicherlieh unbedenklich anzu- wenden; als eine geeignete weiche Beschleunigung ffir Routineunter- snchungen dfirfte sich demnach diejenige yon mindestens 3,0~ 2 empfehlen.

Als ein Beweggrund, mit geringen Besch]eunigungen zu arbeiten, wird angegeben, dal~ das weiche Andrehen zu weniger unangenehmen sub]ektiven Erscheinungen Veranlassung gibt, als die ruckartige harte Beschleunigung. Ffir maximale ruckartige Drehreize trifft es sieherlich zu, daB sie neben den vestibul/s Reaktionen auch vegetative StS- rungen hervorrufen. Unsere Untersuchungen (auch Eigenversuche) haben uns davon iiberzeugt, daft die lange anhaltende geringe Beschleunigung, bei der wir als objektives Zeichen der Erregung den allm~hlich sich steigernden Nystagmus registrieren, yon nicht wenigen Versuehsp ~rsonen unangenehmer empfunden wird, als das kurze kr~ftigere Andrehen, das yon einer Reaktion gefolgt wird, die raseh wieder im Abnehmen begriffen ist.

AbschHel]end glauben wir sagen zu kSnnen, daB unsere Untersu- chungen erneut gezeigt haben, wie aufschluBreieh die Analyse der Vor- g/inge bei den Drehprfifungen ist. In einer Diskussionsbemerkung auf eJner Tagung in Koblenz (Marz 1952) hat der eine yon uns (Mi.) sieh dahingehend geauBert, bei den Drehprfifungen sei es vorerst notwendig, die Fehlerquellen zu erkennen und nach MSglichkeit auszumerzen. Erst dann ]leBen sich bei der klinischen Anwendung Fehldeutungen vermeiden. Unsere jetzigen Untersuehungen sollten dem Zweeke dienen, wiederum einen Sehritt auf diesem Wege weiterzukommen.

Zusammenfassung. Es wird fiber Reihenuntersuchungen des vestibul/iren Drehnystagmus

mit schwellennahen Beschleunigungen an gesunden Versuchspersonen beriehtet. Dabei wurde sowohl die per- als auch die postrotatorische Reaktion nystagmographiseh registriert. Die Ergebnisse werden tabel- Iarisch und kurvenm/iBig dargestellt. Es ergibt sich, dab die perrotato- rische Reaktion in eine acceleratorische und postacceleratorisehe Kom- ponente, die postrotatorische Reaktion in eine deceleratorische und postdeeeleratorisehe Komponente aufgegliedert werden miissen, da die Zeit nach der eigentlichen positiven oder negativen Beschleunigung,

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332 1{. I~IT:t'Et~MAIER u n d G. I~OSSBE~: Vestibularisuntersuchungen.

d . h . d ie Z e i t des g l e i chmgl~ igen W e i t e r d r e h e n s bzw. d i e j e n i g e n a c h

d e m A n h a l t e n des D r e h s ~ u h l e s , d ie w e s e n t l i c h e A u s k u n f t f ibe r d e n G r a d

d e r E r r e g u n g g i b t .

D i e p e r r 0 t a t o r i s c h e R e a k t i o n z e i e h n e t s i ch o f f e n s i e h t l i c h d u r c h

grSl?ere G e n a u i g k e i t u n d G l e l c h m ~ B i g k e i t d e r E r g e b n i s s e aus , a l s d e r

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Z a h l d e r F/~lle.

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k l i n i s c h e A n w e n d u n g w i r d b e s p r o e h e n .

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Prof. Dr. R. I~ITTERMAIER und Dr. G. I:~OSSBERG, Universi tats-Hals-Nasen- Ohrenklinik, Marburg/Lahn.