30
Vieweg · Das Denken der Freiheit

Vieweg · Das Denken der Freiheit - download.e-bookshelf.de fileWORTE DES DANKES Besonderer Dank für die langjährige kollegiale und freundschaftliche Begleitung und Unterstützung

  • Upload
    others

  • View
    0

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Vieweg · Das Denken der Freiheit - download.e-bookshelf.de fileWORTE DES DANKES Besonderer Dank für die langjährige kollegiale und freundschaftliche Begleitung und Unterstützung

Vieweg · Das Denken der Freiheit

Page 2: Vieweg · Das Denken der Freiheit - download.e-bookshelf.de fileWORTE DES DANKES Besonderer Dank für die langjährige kollegiale und freundschaftliche Begleitung und Unterstützung
Page 3: Vieweg · Das Denken der Freiheit - download.e-bookshelf.de fileWORTE DES DANKES Besonderer Dank für die langjährige kollegiale und freundschaftliche Begleitung und Unterstützung

Klaus Vieweg

Das Denken der Freiheit

Hegels Grundlinien der Philosophie des Rechts

Wil helm Fink

Page 4: Vieweg · Das Denken der Freiheit - download.e-bookshelf.de fileWORTE DES DANKES Besonderer Dank für die langjährige kollegiale und freundschaftliche Begleitung und Unterstützung

Umschlagabbildung:Gestaltung der Titelseite:

Olivia Vieweg und Michael MöllerFoto: Hegel-Denkmal vor dem Hauptgebäude

der Friedrich-Schiller-Universität Jena(Bereich Fotografi e der Universität Jena)

Bibliografi sche Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografi e; detaillierte bibliografi sche Daten sind im Internet über

http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten. Dies betrifft auch die Vervielfältigung und Übertragung

einzelner Textabschnitte, Zeichnungen oder Bilder durch alle Verfahren wie Speicherung und Übertragung auf Papier, Transparente, Filme, Bänder, Platten und andere Medien,

soweit es nicht §§ 53 und 54 UrhG ausdrücklich gestatten.

© 2012 Wilhelm Fink Verlag, München(Wilhelm Fink GmbH & Co. Verlags-KG, Jühenplatz 1, D-33098 Paderborn)

Internet: www.fi nk.de

Printed in GermanyHerstellung: Ferdinand Schöningh GmbH & Co KG, Paderborn

E-Book-ISBN 978-3-8467-5304-0ISBN der Printausgabe 978-3-7705-5304-4

Page 5: Vieweg · Das Denken der Freiheit - download.e-bookshelf.de fileWORTE DES DANKES Besonderer Dank für die langjährige kollegiale und freundschaftliche Begleitung und Unterstützung

WORTE DES DANKES

Besonderer Dank für die langjährige kollegiale und freundschaftliche Begleitung und Unterstützung meiner Arbeiten geht an Dieter Henrich und Wolfgang Welsch. Ohne sie, ohne ihre Ermutigung wäre das vorliegende Buch so nicht zustande ge-kommen.

Unzählige substantielle Anregungen verdanke ich auch den Mitstreitern im seit 2001 bestehenden Jenaer Hegel-Kreis: Ralf Beuthan, Brady Bowman, Cecilia Mu-ratori, Tommaso Pierini, Christian Spahn, Claudia Wirsing und Folko Zander. Ei-nige von ihnen lehren und forschen jetzt in anderen Orten und Ländern, in Italien, Südkorea und den USA. Ich wünsche ihnen das Beste für ihren akademischen Weg und hoffe auf das Fortbestehen der produktiven Gespräche. Auch bin ich mir sicher, dass von ihnen neue Impulse für die Philosophie und für die Hegel-Forschung aus-gehen. Dies scheint mir für unsere Zeiten, in denen Modephilosophien relativ un-gestört ihr ‚unphilosophisches Unwesen‘ treiben, von Gewicht.

Eine ungemein große Hilfe bei der Überarbeitung des Manuskriptes waren die auf kritischer Lektüre fußenden Hinweise solcher renommierter Hegel-Experten wie Hans Friedrich Fulda, Anton Friedrich Koch und Friedrike Schick. Dank für Ratschläge zu einzelnen, aber wichtigen Facetten gebührt Georg Sperber (Ebrach), James Vigus (München/London), Georg Sans (Rom), Michael Wolff (Bielefeld), Claus-Artur Scheier (Braunschweig), Herta Nagl-Docekal (Wien), Pierluigi Valenza (Rom), Giuseppe Varnier (Siena), Axel Ecker (Utzberg), Daniel James (Berlin) so-wie meinen Kollegen vom Jenaer transdisziplinären Projekt „Bildung zur Freiheit“, Andreas Braune, Michael Dreyer, Eberhard Eichenhofer, Kai Hoffmann und Mi-chael Winkler. Interessante Denkanstöße verschiedener Art ergaben sich aus der Kommunikation mit Klaus Düsing, Michael Forster, Raymond Geuss, Robert Pip-pin und Ludwig Siep.

Für die gründliche Korrektur und die sorgfältige stilistische Prüfung wesentlicher Teile des Manuskriptes geht ganz herzlicher Dank an Claudia Wirsing, für das Kor-rekturlesen, die technische Gestaltung und die Erarbeitung des Apparates sei Anna Berres, Laura Dostmann, Suzanne Dürr, Moritz Gengenbach, Johannes Korngiebel und Kevin Rother Dank ausgesprochen.

Anteil am Gelingen hatte auch das sowohl Ruhe bietende wie inspirierende Flair zweier urbaner Perlen dieser Erde, Seattle und Kyoto. Im Blick auf den Mt. Rainier, auf den pazifischen Puget Sound, die Berge der Cascades, auf die Emerald City, der ‚schlaflosen‘ Metropole von Washington State, und mit dem gewichtigen Support zweier ‚Schöpfungen‘ aus Seattle – Microsoft und Starbucks Coffee – sowie unter dem Eindruck des alten Kaiserpalastes und der faszinierenden buddhistischen Tem-pel Kyotos entstand ein erheblicher Teil der Abhandlung. (Nur nebenbei: Einen wesentlichen Beitrag zum Wohlbefinden des Verfassers leisteten die der Gesundheit eben leider nicht förderlichen süßen Leckereien aus Kyotos Backstuben und die le-

Page 6: Vieweg · Das Denken der Freiheit - download.e-bookshelf.de fileWORTE DES DANKES Besonderer Dank für die langjährige kollegiale und freundschaftliche Begleitung und Unterstützung

6 WORTE DES DANKES

gendären amerikanischen Muffins). Dank geht an die Alexander von Humboldt-Stif-tung für ihre kontinuierliche und äußerst freundliche Förderung sowie an die Japan Society for the Promotion of Science. Diese Stiftungen ermöglichten mir längere For-schungsaufenthalte in den erwähnten schönsten Städten der USA und Japans. Ganz herzlicher Dank gebührt hierbei den gastgebenden Kollegen und Freunden Richard T. Gray (Seattle) und Ryosuke Ohashi (Kyoto). Anregungen zur Präzisierung ver-schiedener Argumentationen entstanden im Kontext der Präsentation einzelner Tei-le des Buches bei Gastvorlesungen in Mexico City, Neapel und Shanghai sowie in den Debatten zu Vorträgen in Italien, Spanien, Australien, Neuseeland, Argentinien und Brasilien.

Die für das Schreiben nötige Ataraxia vermittelten in bewährter Katzenmanier die beiden Perser Minchen und Francis, deren Anwesenheit auf dem Schreibtisch und deren Schnurren Zustimmung zu den Gedankenwegen und -sprüngen des Au-tors signalisierte. Große Mühe um ein gelungenes Design der Frontseite gab sich Tochter Olivia Vieweg, zusammen mit Michael Möller, dafür riesiger Dank und Grazie Mille! Deine Geduld und Dein Verständnis, liebe Barbara, für den oft unge-duldigen Verfasser besonders in schwierigen Zeiten waren außerordentlich und un-schätzbar!

Last but not least geht der Dank an Georg Wilhelm Friedrich Hegel, den größten Denker der Freiheit in der Moderne.

Klaus Vieweg, Seattle im Sommer 2011

Page 7: Vieweg · Das Denken der Freiheit - download.e-bookshelf.de fileWORTE DES DANKES Besonderer Dank für die langjährige kollegiale und freundschaftliche Begleitung und Unterstützung

Dieses Buch widme ich

John Lennon, Paul McCartney, George Harrison und Ringo Starr,

besser bekannt als

THE BEATLES

Viele ihrer Songtitel finden sich als Motto einzelner Abschnitte wieder. Mit ihrer Musik haben die Künstler aus Liverpool mir in schwierigen Zeiten ein Gefühl für das 20. Jahrhundert vermittelt – Yesterday gilt als das Lied des vergangenen Jahrhun-derts – und einen Zugang zum Denken von Freiheit geöffnet, nicht nur weil einer ihrer Songs mit der Melodie der Welthymne der Freiheit, der Marseillaise, beginnt. Thanks a lot and let’s go thinking!

Page 8: Vieweg · Das Denken der Freiheit - download.e-bookshelf.de fileWORTE DES DANKES Besonderer Dank für die langjährige kollegiale und freundschaftliche Begleitung und Unterstützung
Page 9: Vieweg · Das Denken der Freiheit - download.e-bookshelf.de fileWORTE DES DANKES Besonderer Dank für die langjährige kollegiale und freundschaftliche Begleitung und Unterstützung

INHALTSVERZEICHNIS

VORBEMERKUNG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17

I. HOLZWEGE UND IRRFAHRTEN DER HEGEL-INTERPRETATION – DIE SKANDALISIERTE VORREDE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

I.1 Die Vernünftigkeit des Wirklichen – Die Wirklichkeit des Vernünftigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

I.2 Hegels Philosophie als Steinbruch und Kuriositätenkabinett – Fehldeutungen und Reaktualisierungsversuche im 20. Jahr-hundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30

II. GRUNDLINIEN UND GRUNDRISSE EINER PHILOSOPHIE DES FREIEN WILLENS UND HANDELNS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35

II.1 Das praktische Universum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35

II.2 Hegels Einleitung: Aufriss der Grundgedanken: Wille, Freiheit und Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40

II.3 Geist und Freiheit – Die Rechtsphilosophie als Teil der Philo-sophie des Geistes und ihre Position im enzyklopädischen System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45

II.4 Der freie Geist – Die Überwindung des Dualismus von theoretischer und praktischer Vernunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48

II.5 Die Grundstruktur des Willens – Die fundamentale Trias der §§ 5 bis 7 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57

II.6 Die Fortbestimmung des Grundmusters . . . . . . . . . . . . . . . . . 67

II.6.1 Die Besonderheit – Bestimmtheit und Willkür . . . . . 67

II.6.2 Determinismus und Voluntarismus – Attackenauf die Freiheit des Willens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78

II.6.3 Gut und Böse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85

II.7 Die drei Hauptstufen der Selbstbestimmung des Willens . . . . . 93

Page 10: Vieweg · Das Denken der Freiheit - download.e-bookshelf.de fileWORTE DES DANKES Besonderer Dank für die langjährige kollegiale und freundschaftliche Begleitung und Unterstützung

10 INHALT

III. DAS ABSTRAKTE RECHT UND DIE FREIHEIT DER PERSON . . . . . . . . . . . . 97

III.1 Hegels neue philosophische Theorie der Personalität – Der Anfang praktischer Philosophie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97

III.2 Personalität und Inter-Personalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102

III.2.1 Das Recht auf Personalität als Grundrecht – Das Fundament der Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . 105

III.3 Das Eigentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108

III.3.1 Gleichheit und Ungleichheit – Der Gedanke des Gemeineigentums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110

III.3.2 Das Eigentum – Die wirkliche Formierung des Natürlichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113

III.3.2.1 Die Selbst-Formierung – Die Besitznahme des eigenen Körpers als der natürlich-unmittelbaren Existenz der Person . . . . . . 113

III.3.2.2 Die Formierung der äußeren Welt – Das Eigentum an äußerlichen Sachen . . . . 115

III.3.2.3 Die Besitznahme elementarischer Sachen . 116

III.3.2.4 Eine ‚die Zukunft berücksichtigende und sichernde Vorsorge‘ – Grundriss für den Begriff der Nachhaltigkeit . . . . . . . . . . . . 117

III.3.2.5 Naturale Nachhaltigkeit – Der Wald als Paradigma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119

III.3.3 Das Kind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123

III.3.4 Das Tier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124

III.3.5 Der Gebrauch der Sache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129

III.3.6 Das Recht auf geistiges Eigentum . . . . . . . . . . . . . . . 130

III.3.7 Die Entäußerung des Eigentums . . . . . . . . . . . . . . . . 132

III.4 Formal-abstrakte Anerkennung und der Vertrag . . . . . . . . . . . 134

III.5 Das Theorem des ‚zweiten Zwangs‘ – Verbrechen und Strafe – Hegels Grundlegung einer modernen Straftheorie . . . . . . . . . . 136

III.6 Das Überschreiten der Struktur des Unrechts . . . . . . . . . . . . . . 145

III.7 Der Übergang vom abstrakten Recht in die Moralität . . . . . . . 146

Page 11: Vieweg · Das Denken der Freiheit - download.e-bookshelf.de fileWORTE DES DANKES Besonderer Dank für die langjährige kollegiale und freundschaftliche Begleitung und Unterstützung

11INHALT

IV. DIE MORALITÄT – DIE FREIHEIT DES MORALISCHEN SUBJEKTS . . . . . . . 149

IV.1 Hegels Konzeption des moralischen Handelns – Vorüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153

IV.1.1 The Conceptual Tie between Genuine Action and Intention – Tat und Handlung . . . . . . . . . . . . . . . . . 154

IV.1.2 Subjektivität und Objektivität – Handlung als Zwecktätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156

IV.1.3 Das Recht des Wissens – Handeln als wissentliches Tun . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159

IV.1.4 Das Recht als Vollzug der Handlung – Die Handlung als tätliche Äußerung des Willens und die Konsequenz des Handelns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162

IV.2 Die Beurteilung von Handlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163

IV.2.1 Hegels Urteilslehre als logischer Grund der Moralität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163

IV.2.2 Hegels praktische Urteilstafel als System moralischer Urteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165

IV.3 Der Vorsatz und die Schuld – Die erste Zurechenbarkeit oder Imputation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166

IV.4 Die Absicht und das Wohl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170

IV.4.1 Das Recht der Absicht – Die zweite Zurechenbarkeit oder Imputation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170

IV.4.2 Das Wohl oder die Glückseligkeit . . . . . . . . . . . . . . . 172

IV.4.3 Das Not-Recht als Menschenrecht . . . . . . . . . . . . . . . 178

IV.5 Das Gute und das Gewissen – Der gute Wille und das gute Handeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183

IV.5.1 Kants kategorischer Imperativ und das apodiktische Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189

IV.5.2 Der Synkretismus des Widerspruchs des moralischen Standpunkts – Kant und die Antinomien des perennierenden Sollens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194

IV.6 Das Gewissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202

IV.7 Sokrates und die kritische Dimension der Moralität . . . . . . . . . 208

IV.8 Die Ur-Teilung und das Böse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210

IV.8.1 Die Formen des Bösen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215

Page 12: Vieweg · Das Denken der Freiheit - download.e-bookshelf.de fileWORTE DES DANKES Besonderer Dank für die langjährige kollegiale und freundschaftliche Begleitung und Unterstützung

12 INHALT

IV.8.2 Der Gedanke der Lebensform – Die romantische Ironie als totale Verkehrung des Guten . . . . . . . . . . . 217

IV.9 Der Übergang von der Moralität zur Sittlichkeit . . . . . . . . . . . 223

V. MODERNITÄT UND SITTLICHKEIT – DIE IDEE DER FREIHEIT UND DIE THEORIE DER SOZIALEN UND POLITISCHEN SELBSTBESTIMMUNG . . . . . 229

V.1 Die Idee der Freiheit – Zur logischen Fundierung des Systems der Sittlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229

V.1.1 Der Schluss als allgemeine Form des Vernünftigen . . 234

V.1.2 Das Auf-Schließen des Ver-Schlossenen – Negativität und wirklicher Wille . . . . . . . . . . . . . . . . 236

V.2 Die Grundstruktur der Argumentation – Der „Vorbegriff“ . . 240

V.2.1 ‚Der Begriff der Freiheit wird zur Welt des Willens‘ . . 240

V.2.2 Die Einheit des subjektiven und objektiven Sittlichen – sittliche Institutionen und sittliche Selbstbewusstseins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242

V.2.3 Die Lehre von der Pflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246

V.2.4 Das Recht der Allgemeinheit, der Besonderheit und der Einzelheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247

VI. DIE FAMILIE – DIE ERSTE STUFE DER SITTLICHKEIT . . . . . . . . . . . . . . . 251

VI.1 Der logische Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251

VI.2 Die drei Dimensionen der familiären Gemeinschaft . . . . . . . . . 255

VI.2.1 Die Familie als eine auf Liebe gegründete Lebensgemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255

VI.2.2 Die Familie als Rechts-, Vermögens- und Sorgegemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258

VI.2.3 Die Familie als Lebens- und Erziehungs-gemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260

VI.3 Die Auflösung der Familie – Das Auf-Schliessen des Zusammen-Schlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265

VI.4 Der Übergang von der Familie in die bürgerliche Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266

Page 13: Vieweg · Das Denken der Freiheit - download.e-bookshelf.de fileWORTE DES DANKES Besonderer Dank für die langjährige kollegiale und freundschaftliche Begleitung und Unterstützung

13INHALT

VII. DIE BÜRGERLICHE GESELLSCHAFT: DIE MODERNE MARKT-, BILDUNGS- UND SOLIDARGEMEINSCHAFT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269

VII.1 Der Übergang von der Familie in die bürgerliche Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269

VII.2 Die bürgerliche Gesellschaft als die ‚in ihre Extreme verlorene Sittlichkeit‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270

VII.3 Die Domänen der Besonderheit – Die allseitige Abhängigkeit in der ‚Not- und Verstandesgemeinschaft‘ . . . . . . . . . . . . . . . . 274

VII.4 Die drei Stufen der Civil Society . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279

VII.4.1 Die erste Stufe der bürgerlichen Gesellschaft:Das System der Bedürfnisse – Die industrielle Marktgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . 280

A) Der Schluss der Reflexion als logische Grundlage. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280

B) Die Besonderheit und das System der Bedürfnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285

C) Nationalökonomie und regulierte Markt-ordnung – Die Grenzen der invisible hand . . . . . . 286

VII.4.1.1 Die Art der Bedürfnisse und die Maßlosigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289

VII.4.1.2 Die Art der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293

VII.4.1.3 Das allgemeine Vermögen und die gerechte Teilhabe am wealth of nation . . . . 297

VII.5 Die zweite Stufe der bürgerlichen Gesellschaft: Rechtsordnung, Rechtspflege und die Universalität des Rechts . . . . . . . . . . . . . 303

VII.6 Die dritte Stufe der bürgerlichen Gesellschaft: Steuerung und Regulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309

VII.6.1 Aufsicht und soziale Hilfe – Sorge und Vorsorge: Das Prinzip des Gemeinwohls in der Civil Society . . . 312

VII.6.1.1 Aufsicht und äußerliche Regulation –Die gute Verwaltung (,Polizei‘) . . . . . . . . . 313

VII.6.1.2 Armut und Reichtum als ein Grund-problem der bürgerlichen Gesellschaft . . . 315

VII.6.1.3 Solidarität und das Recht auf soziale Hilfe – Grundlagen für Hegels Konzeption eine sozialen Staates . . . . . . . 321

Page 14: Vieweg · Das Denken der Freiheit - download.e-bookshelf.de fileWORTE DES DANKES Besonderer Dank für die langjährige kollegiale und freundschaftliche Begleitung und Unterstützung

14 INHALT

VII.6.1.4 Industrialisierung, Globalisierung und das Prinzip des Gemeinwohls – Welt-armut und weltbürgerliche Gesellschaft . . 322

VII.6.2 Das Recht auf Wohlfahrt und das Notrecht auf Widerstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328

VII.6.3 Die ‚Outlaw-Position‘ der Armen und der Reichen – Die Verachtung des Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331

VII. 7 Die ‚zweite Familie‘ und der ‚kleine Staat‘: Die Korporation als berufsständische Vereinigung und Kommune. Corporate Identity und der Übergang von der bürgerlichen Gesellschaft in den Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337

VIII. DER STAAT – HEGELS ‚STAATSWISSENSCHAFT‘ ALS MODERNE THEORIE DER FREIHEIT UND GERECHTIGKEIT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345

VIII.1 Der Staat als das Gebäude der Freiheit – Die objektive Gestalt der Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345

VIII.2 Der Staat als die Wirklichkeit der sittlichen Idee – Der Staat als ‚Bürger-Sein‘ oder ‚Bürgerschaft‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350

VIII.3 Der Staat als ein Ganzes von drei Schlüssen . . . . . . . . . . . . . . . 366

VIII.3.1 Das innere Staatsrecht oder intrastaatliche Recht . . . . 373

VIII.3.1.1 Das zweite System von drei Schlüssen . . . 373

VIII.3.1.2 Die Aufhebung der bürgerlichen Gesellschaft im Staat . . . . . . . . . . . . . . . . 378

VIII.3.1.3 Der moderne Staat als Staat der Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382

VIII.3.1.4 Partizipation und Inklusion – Permissivi-tät und Subsidiarität. Das Freilassen der Besonderheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384

VIII.3.1.5 Der Staat – Politische Diversität und Pluralität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387

VIII.3.2 Das Citoyen-Bewusstsein und die Pluralität der Gesinnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392

VIII.3.3 Freiheit und Gleichheit – Die vernünftige Staatsverfassung als existierende Gerechtigkeit . . . . . . 397

VIII.3.4 Verfassung und politische Freiheit – Der Staat als politischer Organismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400

Page 15: Vieweg · Das Denken der Freiheit - download.e-bookshelf.de fileWORTE DES DANKES Besonderer Dank für die langjährige kollegiale und freundschaftliche Begleitung und Unterstützung

15INHALT

VIII.3.4.1 Die trias politica – Hegels innovative Theorie der Gewaltenteilung . . . . . . . . . . 401

VIII.3.4.2 Gegen den Buchstaben der Grundlinien – Eine Reformulierung . . . . . . . . . . . . . . . . 407

A) Die Regierungsgewalt, die Exekutive – Der Schluss des Daseins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412

B) Die letztentscheidende Gewalt – Der Schluss der Reflexion . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417

C) Die allgemeine, gesetzgebende Gewalt – Der Schluss der Notwendigkeit . . . . . . . . . . . . . . 425

VIII.3.4.4 George Orwell und der Überwachungs- und Polizeistaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433

VIII.4 Grundlagen einer demokratischen Verfassungs-, Wissens- und Bildungsdemokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 434

VIII.4.1 Demokratie und Repräsentation . . . . . . . . . . . . . . . . 435

VIII.4.2 Hegels epistokratisch-meritokratische Konzeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 438

VIII.4.3 Die gesetzgebende Gewalt und der Maßstab des Wissens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 442

VIII.4.4 Die öffentliche Meinung und die Medien –eine vierte Gewalt?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 446

VIII.5 In tyrannos! Ausnahmezustände und das Recht auf Widerstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 448

VIII.6 Das System der Rechte und der Grundrechtekatalog . . . . . . . . 462

VIII.7 Das Recht oder die Majestät des Wissens: Staat und Religion – Staat und Wissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 465

VIII.7.1 Religion, Kirche und der moderne Staat . . . . . . . . . . 465

VIII.7.2 La Religion et la terreur – Hegels Kritik des religiösen Fundamentalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 471

VIII.7.3 La Liberté et la terreur – Hegels Kritik despolitischen Fundamentalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . 473

VIII.7.4 Religion – Wissenschaft – Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . 473

VIII.8 Das äußere Staatsrecht – Das Prinzip Anerkennung in Hegels Theorie des internationalen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . 475

VIII.8.1 Formell-abstrakte und inhaltlich- substantielle Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 491

Page 16: Vieweg · Das Denken der Freiheit - download.e-bookshelf.de fileWORTE DES DANKES Besonderer Dank für die langjährige kollegiale und freundschaftliche Begleitung und Unterstützung

16 INHALT

VIII.8.2 Die weltbürgerliche Gemeinschaft besonderer Staaten –Hegels aufgehobener Kantiamismus . . . . . . 496

VIII.9 Das Weltbürgerrecht und die universell-globale Wirklichkeit der sittlichen Idee – Die Weltgeschichte als ‚Entwicklung des Begriffes der Freiheit‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 499

VIII.9.1 Weltgeschichte und Weltgeist . . . . . . . . . . . . . . . . . . 504

VIII.9.2 Das Denken der Weltgeschichte als Fortschritt der Freiheit und das ‚Ende der Geschichte‘ . . . . . . . . 513

RESÜMEE UND AUSBLICK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 523

SIGLEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 525

LITERATURVERZEICHNIS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 529

PERSONENVERZEICHNIS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 548

Page 17: Vieweg · Das Denken der Freiheit - download.e-bookshelf.de fileWORTE DES DANKES Besonderer Dank für die langjährige kollegiale und freundschaftliche Begleitung und Unterstützung

VORBEMERKUNGEN

VIVE LA LIBERTÉ – EINE WIEDERBELEBUNG DES WASSERKLAREN GEDANKENS

Here, There and Everywhere

Any Time at All

Philosophie hat das Vernünftige zu ergründen und zu begründen, den ‚Gedanken ihrer Zeit‘ zu formulieren, den ‚sich denkenden Geist der Zeit‘ zu repräsentieren und ihm angemessenen Ausdruck zu geben. Philosophie muss ihre Zeit, ihre Welt in Gedanken fassen, auf den Begriff bringen. Am Beginn des 21. Jahrhunderts sieht sich die Menschheit mit riesigen und komplexen Herausforderungen konfrontiert und muss völlig neue Konstellationen ernst nehmen. Schon das erste Dezennium zeigte, dass die Weltwirtschaft sich auf riskantem Terrain und auf gefährlichen Ab-wegen bewegt, dies belegt nicht nur die globale Wirtschafts- und Finanzkrise. Die sozialen und politischen Verhältnisse in vielen Regionen sind katastrophal. Die Um-weltschäden und die Änderungen im Weltklima bedrohen die Lebensgrundlagen in gravierender Weise. Wellen von Trivialkultur, gezeichnet von geistiger Armut und Seichtigkeit, überschwemmen die moderne Medienwelt. Die einem Tsunami ähnli-che, gewaltige und schier unüberschaubare Informationsflut ergießt sich über die heutige Welt. Die Menschen fühlen sich oft als fremdgesteuerte ‚Maschinenräder‘ (Hegel), nicht als freie und selbstbestimmte, nicht als sich selbst ihre Gesetze geben-de Akteure. Die Globalisierung scheint als eine alles bestimmende Schicksalsmacht über den Menschen zu schweben, den einen Segnungen und Gewinn bringend, den anderen Verlust und Ruin. Die Menschheit hat diese Vorgänge offenkundig nicht unter ausreichender Kontrolle, sie gleicht dem Zauberlehrling, der die von ihm selbst heraufbeschworenen Monster nicht in Schach zu halten vermag. Die Menschheit tanzt in vieler Hinsicht auf einem Vulkan und läuft Gefahr, sich selbst schwer zu beschädigen oder ganz und gar zu vernichten, die letzte Weltwirtschafts-krise und Fukushima stehen hierfür exemplarisch. Ungeachtet der Explosion von Wissen und faszinierender technischer Innnovationen, vom Internet bis zu alterna-tiver Energiegewinnung, ungeachtet auch der Verbesserung des Lebensniveaus in vielen Ländern und der Ausbreitung demokratischer Strukturen und trotz der er-reichten und unbestreitbaren Fortschritte im Technischen, Politischen, Sozialen und Kulturellen sind die Problemlagen höchst kompliziert und es gibt keine einfa-chen Antworten.

Page 18: Vieweg · Das Denken der Freiheit - download.e-bookshelf.de fileWORTE DES DANKES Besonderer Dank für die langjährige kollegiale und freundschaftliche Begleitung und Unterstützung

18 VORBEMERKUNG

Wir stehen noch immer am Beginn der Moderne, am Anfang der Konstitution einer freien Weltgesellschaft. Gegen alle Versuche von Verharmlosung und Schön-färberei oder gar der Verkündigung der besten aller Welten kann einer der unerträg-lichsten und menschenunwürdigsten Zustände nicht außer Acht gelassen werden: Über eine Milliarde der heute lebenden Menschen leidet chronisch an Hunger oder Mangelernährung, alle ein bis fünf Sekunden stirbt ein Mensch an den Folgen der Unterernährung. Ein Sechstel der Weltbevölkerung (the bottom billion) ist dazu ver-dammt, in schwerer Armut zu leben. Auf der anderen Seite gab es im Jahr 2005 in der Welt 691 Milliardäre mit einem Vermögen von 2,2 Billionen Dollar. Nur 30 Milliarden Dollar jährlich wären für die Überwindung des Hungers erforderlich, dagegen stehen 1200 Milliarden Dollar Rüstungsausgaben und die ca. 2200 Milli-arden Dollar, die der internationale Finanzcrash 2008 kostete. Dazu kommen noch hunderte Milliarden für Programme zur Rettung von Banken, Unternehmen und Währungen. Es entbehrt jeder Behauptung, das Problem wäre nicht vernünftig und in absehbarer Zeit zu lösen. Um es mit Heinrich Heine zu sagen: Es gibt hienieden Reichtum genug für alle Menschenkinder, allen Menschen könnte ein menschen-würdiges Leben gesichert werden.

Die Zerstörung der natürlichen Lebensvoraussetzungen hat heute ein giganti-sches Ausmaß angenommen, sie sind Opfer an den unheiligen Götzen namens ‚Wachstum‘, bei dessen Erwähnung immer nach dem Kriterium der Bewertung ge-fragt werden sollte, nach den Kriterien der Bewertung: Was wächst? Dient es nach-haltig der Verbesserung der Lebensbedingungen? Angesichts wachsender Armut, wachsender Unsicherheit, wachsender Rüstungsausgaben, wachsender Wüsten, wachsender Müllberge oder wachsender Ölteppiche im Meer ist Wachstum per se alles andere als einträglich. Die heutige Welt leidet an vielen solchen problembela-denen und desaströsen Verwachsungen, die der Vermessenheit des babylonischen Turmbaus gleichen. Die Wachstumsprediger und Marktfundamentalisten mit ihrer Verheißung von den sich selbst regulierenden und sich selbst heilenden Märkten sind angesichts der unübersehbaren ‚Kapitalverbrechen‘ im Finanzsystem in einem eklatanten Erklärungsnotstand. Offensichtlich ist der Laissez-Faire-Kapitalismus gescheitert, die hoch gelobte, deregulierte globale Finanzordnung hat sich als ein von innen heraus verfaultes „Schrottsystem“ erwiesen, das dringend der Reform be-darf.1 Aber ungeachtet dieses Desasters sitzen Heerscharen von marktfundamenta-listischen Ökonomen und Analysten fieberhaft an einer ‚Anpassung‘ ihrer Konzep-te. Aber spätestens seit Hegel konnte und kann man doch verstehen, dass der Markt – obschon er eine der unverzichtbaren Grundlagen für eine freie Gemeinschaft bil-det – von seiner Bestimmtheit her eben nicht allein eine vernünftige Struktur gene-rieren kann, sondern reguliert und vernünftig gestaltet werden muss, dass er einen angemessenen Ordnungsrahmen benötigt. Der gordische Knoten bisheriger Wachstums(un)logik sollte endlich durchschlagen werden, der besonders in den

1 Stiglitz, Joseph, Im freien Fall. Vom Versagen der Märkte zur Neuordnung der Weltwirtschaft, Mün-chen 2010; Roubini, Nouriel/Mihm, Stephen, Das Ende der Weltwirtschaft und ihre Zukunft, Frankfurt/New York 2010.

Page 19: Vieweg · Das Denken der Freiheit - download.e-bookshelf.de fileWORTE DES DANKES Besonderer Dank für die langjährige kollegiale und freundschaftliche Begleitung und Unterstützung

19VORBEMERKUNG

letzten Jahrzehnten massiv gestartete Angriff auf die Vernunft (Al Gore) verlangt konsistente und kreative Abwehrstrategien, im Kern eine neue Konzeption einer sowohl ökologisch als auch sozial nachhaltigen und gerechten Gesellschaft und ei-ner entsprechenden Weltordnung.

Nicht hilfreich sind Schwarzmalereien, Untergangsszenarien und Dramatisie-rungen der Situation in apokalyptischer Manier sowie theoretisch unhaltbare mar-xistisch-sozialistische Gemeineigentumsphantasien, deren Realisierung eine Ge-meinschaft der Freiheit verhindert: Der Schiffbruch des Deregulierungsmythos, das Debakel der Wall Street bedeutet nicht das Scheitern des Weges zu einer freien Ge-sellschaft. Unter der bezeichnenden Überschrift Hegel on Wall Street hat Hegels praktische Philosophie sogar den Weg in die New York Times gefunden, in diesem Beitrag vom 5. Oktober 2010 erfährt seine Theorie der Modernität außerordentli-che Würdigung: „the primary topic of his practical philosophy was analyzing the exact point where modern individualism and the essential institutions of modern life met.“2

Sicher könnte man eine lange Liste mit inakzeptablen Zuständen aufstellen, aber allein das wohl größte Skandalon der heutigen Weltsituation, die immer größer werdende Kluft zwischen Arm und Reich, das mit erheblichen ökologischen Schä-den einhergehende Wachstum von unzumutbaren, unmenschlichen Lebensbedin-gungen vieler Millionen von Menschen sollte auch für die praktische Philosophie ein ausreichender Anlass sein, die Zeit noch gründlicher denkend zu erfassen, den Zustand des ‚sittlichen Universums‘ der Moderne, die Verfassung der modernen Welt-Polis neu auf den Begriff zu bringen, besonders den Gehalt des Begriffs Frei-heit präziser zu bestimmen. Nach wie vor muss die Philosophie folgende Frage be-antworten: Was sind Kriterien und Prinzipien für ein freies, verantwortliches und hu-manes Handeln? Worin bestehen die Maßstäbe für Gerechtigkeit in der Moderne?

Für das Gelingen eines solchen Unternehmens – dafür wird dieses Buch plädie-ren – ist eine erneute Rekonstruktion von Hegels Grundlinien der Philosophie des Rechts, des theoretisch gehaltvollsten Entwurfs einer Philosophie freien Handelns in der Neuzeit, von fundamentaler Relevanz.3 Erstens gilt nach wie vor Dieter Henrichs Einschätzung der Grundlinien: ‚Hegel’s most famous and influential book‘. Und man könnte hinzufügen: auch das (zu Unrecht) meistgeschmähte und meistgescholtene. Zweitens spricht man in den letzten Jahren zu Recht von einer Hegel-Renaissance, einem Hegel-Revival, vom anstehenden hegelian turn in der Philosophie, vom

2 Bernstein, Richard J., Hegel on Wall Street, New York Times 5. Oktober 2010. 3 Dies belegen klar Robert Pippins neueste Monographie über Hegels praktische Philosophie: Pip-

pin, Robert B., Hegel’s Practical Philosophy. Rational Agency as Ethnical Life, Cambridge 2008, der Band Aktualität und Grenzen der praktischen Philosophie Hegels von Ludwig Siep (2010) und die Studie L’effectif et le rationnel: Hegel et l’esprit objectif von Jean-Francois Kervegan (2008). Aber auch die Arbeiten von Hans Friedrich Fulda und die an Hegel anschließenden Studien über mo-derne Sittlichkeit zeigen überzeugend diese aktuelle Brisanz. Dies gilt ebenso für die Abhandlun-gen Das Recht der Freiheit. Grundriss einer demokratischen Sittlichkeit von Axel Honneth Berlin 2011 und Die Wirklichkeit des Geistes. Studien zu Hegel von Michael Quante Berlin 2011, die erst nach Abschluß des Manuskriptes des vorliegenden Buches erschienen sind.

Page 20: Vieweg · Das Denken der Freiheit - download.e-bookshelf.de fileWORTE DES DANKES Besonderer Dank für die langjährige kollegiale und freundschaftliche Begleitung und Unterstützung

20 VORBEMERKUNG

Comeback Hegels – oder wie es im Anschluss an Odo Marquard Ernst Böckenförde formuliert hat: ‚Es lohnt sich wieder, hegeln zu gehen‘. Dies gilt in besonderer Weise für die Philosophie des Praktischen. Dabei steigt das Interesse an Hegels Denken auch bei Vertretern anderer philosophischer Richtungen (in den USA auch seitens der analytischen Philosophie und des Pragmatismus) in erheblichem Maße. In vie-len Ländern dieser Welt von Brasilien, Mexico und Kolumbien über Italien bis nach China, Korea und Japan sowie in Wissenschaften wie der Soziologie oder der Rechtswissenschaft kann eine verstärkte Aufmerksamkeit gerade für Hegels prakti-sche Philosophie festgestellt werden.

Scheint in manchem Sinne der Rekurs auf Hegel auch unzeitgemäß, so trifft diese ‚Antiquiertheit‘ doch gerade den Kern der Philosophie. Denn unzeitgemäß sollte die Philosophie sein, wie es Nietzsche (ein anderer Unzeitgemäßer) trefflich formu-lierte: „Solange nämlich das noch als unzeitgemäß gilt, was immer an der Zeit war und jetzt mehr als je an der Zeit ist und nottut – die Wahrheit zu sagen.“ Mit ande-ren Worten: in unserer Zeit unzeitgemäß, das „heißt gegen die Zeit und dadurch auf die Zeit und hoffentlich zugunsten einer kommenden Zeit – zu wirken.“4 Dem hätte Hegel sofort und gerne beigepflichtet: die Philosophie erfasst ,ihre Zeit in Gedanken‘.5

**

Die Freiheit ist die höchste Bestimmung des Geistes

Hegel

Der Zweck aller Rechtsverfassung ist die FreiheitHegel

Das Anliegen dieser Studie besteht in einer Einführung in die Hauptschrift von Hegels praktischer Philosophie, in einer Neuinterpretation der wohl theoretisch be-deutendsten und umstrittensten philosophischen Theorie der praktischen Welt und des sozialen politischen Lebens der Menschen, eines Werkes, das in eine Reihe mit Pla-tons Staat, Aristoteles‘ Politik, Hobbes Leviathan, Rousseaus Gesellschaftsvertrag und Kants Konzept der praktischen Vernunft gehört. Im Zentrum steht Hegels Gedanke der Freiheit und die Frage, in welcher Weise durch begreifendes Denken die Freiheit als der Grund des praktischen Universums bestimmt wird, die ungebrochene Aktu-alität und Modernität von Hegels Idealismus der Freiheit, des Idealismus als Moder-nismus.6

4 Nietzsche, Friedrich, Unzeitgemäße Betrachtungen, in: Friedrich Nietzsche, Werke in drei Bänden, Bd. 1, München 1966, S. 207, 210.

5 RPh, 26. 6 Pippin, Robert B., Idealism as Modernism: Hegelian Variations, Cambridge 1997.

Page 21: Vieweg · Das Denken der Freiheit - download.e-bookshelf.de fileWORTE DES DANKES Besonderer Dank für die langjährige kollegiale und freundschaftliche Begleitung und Unterstützung

21VORBEMERKUNG

Der Herausarbeitung der immensen Relevanz dieses Gedankengebäudes für die heutige Zeit soll besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden, im Sinne einer ‚Re-Präsentierung‘, einer Ver-Gegenwärtigung des essentiellen philosophischen Gehal-tes des Hegelschen Traktates. Zu diesem Behufe werden ausgewählte Abhandlungen und Studien einbezogen, welche die unbestrittene Aktualität der Grundlinien bele-gen, z. B. Darstellungen über den Gesamtentwurf von Hegels praktischer Philoso-phie (R. Pippin, L. Siep, J.-F. Kervegan, A. Honneth). Eine Kompassrolle bei der schwierigen Erkundung der Hegelschen Denklandschaften, bei der Konzipierung einer philosophischen Geographie des Gesamtterrains als eines Systems von Recht und Freiheit kam den Hegel-Interpretationen von Hans Friedrich Fulda und Dieter Henrich zu. Des Weiteren wird auf Arbeiten zu philosophischen Themen von aktu-eller Relevanz zurückgegriffen, hier nur einige Beispiele aus dieser breiten Themen-palette: der Zusammenhang von Ich und Freiheit, der Begriff des freien Willens, Naturalismus und das anthropische Prinzip (W. Welsch, W. Singer, P. Bieri); die Bedeutung der Körperlichkeit für den Personenbegriff und zu Körper und Seele (A. Nuzzo, M. Wolff ); Nachhaltigkeit als angesagte Natur-Formierung (U. Grober); Gesetz, Zwang und Gewalt (J. Derrida), das Urheberrecht und Hegels Begriff der Strafe als Grundpfeiler einer modernen Straftheorie (W. Bauer, M. Pawlik, G. Mohr, V. Hösle); der moderne Handlungsbegriff und die notwendige Unterscheidung von Moralität und Sittlichkeit (L. Siep, A. Wood, A. Honneth, M. Quante); das heutige Verständnis von Familie (S. Brauer, N. Waszek); die Relevanz der Nationalökono-mie für praktische Philosophie (J. Stiglitz, M. Roubini); die Modernität von Hegels Theorie der Sittlichkeit und seine Idee des Staates (H. F. Fulda, R. Pippin, R. P. Horstmann) sowie die hier besonders ins Zentrum gerückte logische Fundierung von Hegels Philosophie der Freiheit (D. Henrich, K. Düsing; M. Wolff, A. F. Koch, T. Pierini, G. Sans), um nur weniges zu nennen. Profitiert haben die folgenden Überlegungen auch von Denkanregungen, die aus der angelsächsischen Renaissance der Hegel-Forschung herrühren (R. Brandom, M. Forster, S. Houlgate, F. Neu-houser, T. Pinkard, R. Pippin, A. Wood).

Für die Erschließung all dieser und weiterer Themenfelder, die eine Re-Aktuali-sierung verdienen, – der Katalog reicht vom Grundrecht der Personalität und einer neuen Theorie der Person über den Stufengang von Subjektivität und Inter-Subjek-tivität, der durchgängigen Thematik Bildung zur Freiheit, der Fortbestimmung der Freiheit als System der Rechte und des Stufengangs des Rechts (Eigentumsrecht, Rechte von Tieren, Rechte des Kindes, Recht auf subjektive Freiheit, soziale Rechte, Recht auf Bildung, politische Rechte etc.) über Konsequentialismus und deontolo-gische Ethik, Urteilslogik und Formalismus der Moralität (F. Schick, D. James), Not- und Widerstandsrecht, Armut und Reichtum (T. Pogge), der bürgerlichen Ge-sellschaft als die ‚in ihre Extreme verlorene Sittlichkeit‘ und ihrer notwendigen Re-gulation, der Kritik des Marktfundamentalismus (J. Stiglitz, R. Geuss), der Markt-ordnung und ihrer vernünftigen Gestaltung, dem Gedanken zu einer Selbstverwal-tung, zur corporate identity und zur Stadt als ‚kleinem Staat‘, der innovativen Konzeption der Gewaltenteilung (L. Siep), dem Wohl und der Theorie eines sozia-len Staates, der Idee der Gerechtigkeit, der epistokratischen Staatskonzeption, der

Page 22: Vieweg · Das Denken der Freiheit - download.e-bookshelf.de fileWORTE DES DANKES Besonderer Dank für die langjährige kollegiale und freundschaftliche Begleitung und Unterstützung

22 VORBEMERKUNG

Pluralität der Lebensformen (D. Borchers) in der staatlichen Ordnung, dem Dop-pelgesicht der öffentlichen Meinung, der Kritik des Überwachungs- und Polizei-staates bis hin zur Frage Globalisierung und wealth of nations sowie internationales Recht – liefert Hegels Denken der Freiheit eine theoretisch gehaltvolle, argumenta-tive Grundlage. Diese Offerte beinhaltet die Darstellung der inneren Vernunftgrün-de, d. i. der Gründe im Gedanken des Gegenstandes, in seinem Begriffe (§ 3, A, 44).

Dieser Versuch einer innovativen Erschließung der Grundlinien, einer Interpreta-tion der gesamten Schrift unter dem Blickwinkel ihrer Aktualität, wird mit aller Konsequenz und in allen Passagen folgende von Hegel bezüglich der Beurteilung seiner Abhandlung explizit genannte Forderung berücksichtigen: Der Gedanken-gang muss als auf dem ‚logischen Geiste beruhend ‘ verstanden werden, Logik dabei verstanden als Wissenschaft des Denkens. Die Natur des ‚logischen Geistes‘, diese Art des philosophischen Beweisens, die Hegel die ‚spekulative Erkenntnisweise‘ nennt, wurde von ihm in der Wissenschaft der Logik ausführlich entwickelt. Eine solche von Hegel massiv eingeklagte Auslegung unter der strengen Beachtung dieser Fundie-rung im Logischen (was Hegel auch das ‚Begreifend-Spekulative‘ nannte), sei den Grundlinien „bis heute kaum zuteil geworden“ und nur partiell gelungen.7 Eine an-gemessene Interpretation verlangt aber ohne Einschränkung einen solchen Zugang, im Sinne einer Prüfung, die fragt, inwiefern diese logische Fundierung geglückt und eine logische Grundlegung praktischer Philosophie überhaupt möglich ist. Robert Pippin betont mehrfach den untrennbaren Zusammenhang zwischen der Logik des Begriffs und der Logik der Freiheit.8 Die folgende Schlüsselstelle bringt Hegels An-spruch klar zum Ausdruck: „daß das Ganze wie die Ausbildung seiner Glieder auf dem logischen Geiste beruht. Von dieser Seite möchte ich auch vornehmlich, daß diese Abhandlung gefaßt und beurteilt würde.“9 Diesem unmissverständlichen He-gelschen Wunsch soll Rechnung getragen werden, und zwar nicht nur im Hinblick auf einzelne Passagen: Erschlossen wird die logische Grundierung als Nervus proban-di des gesamten Gedankenganges, darin besteht ein Kernanliegen dieser Studie.

In seiner Bedeutung als Theorie der Gesellschaft und des Staates, die auch deren historische Entwicklungsbedingungen einschließt, ist Hegels Werk ohne Vergleich (D. Henrich). Die unsäglichen, öden und langweiligen Legenden und Klischees über die Grundlinien sollte das 21. Jahrhundert souverän hinter sich lassen und sich Hegels moderner Philosophie des freien Willens und der Gerechtigkeit, seinem Denken der Freiheit zuwenden, im Sinne einer Creedence Clearwater Revival, einer Wiederbelebung des wasserklaren Gedankens von Selbstbestimmung und Freiheit.

7 Fulda, Hans Friedrich, Georg Wilhelm Friedrich Hegel, München 2003, S. 197. 8 Pippin, Hegel’s Practical Philosophy, a.a.O., S. 8, 20. 9 RPh 12f., Herv. K.V.

Page 23: Vieweg · Das Denken der Freiheit - download.e-bookshelf.de fileWORTE DES DANKES Besonderer Dank für die langjährige kollegiale und freundschaftliche Begleitung und Unterstützung

I. IRRFAHRTEN UND HOLZWEGE DER INTERPRETATION –

DIE SKANDALISIERTE VORREDE

Bad Boy

I.1 DIE VERNÜNFTIGKEIT DES WIRKLICHEN – DIE WIRKLICHKEIT DES VERNÜNFTIGEN

In seinem Vorwort zur Freundesvereinsausgabe des Hegelschen Werks hat Eduard Gans in fast prophetischer Weise die Wirkungsgeschichte von Hegels Rechtsphiloso-phie vorausgesehen, wenn er ein ‚ungemeines Missverhältnis zwischen dem substan-tiellen Werte des Buches einerseits und seiner Anerkennung und Verbreitung ande-rerseits‘ diagnostiziert.1 Diese Abhandlung erfuhr extrem unterschiedliche Ein-schätzungen, in deren Vordergrund unsägliche Fehlinterpretationen und böswillige, von Unverständnis geprägte Denunziationen standen. Als Exempel für das letztere soll hier nur Fries und eine Rezension zu Wort kommen: „Hegel’s metaphysischer Pilz ist ja nicht in den Gärten der Wissenschaft, sondern auf dem Misthaufen der Kriecherei aufgewachsen […] Wenn er Beifall findet, so ist dies nur ein Beweis der wissenschaftlichen Ungebildetheit und der Geistlosigkeit des Publicums“.2 Ein ano-nymer Rezensent gab folgendes über Hegels Entwurf zu Protokoll: „Eine solche Philosophie kann sich freilich nach Allem accomodieren, was eben an der Tagesord-nung ist. Herrschen liberale Grundsätze in der Welt, so wird die Philosophie dieses lehren; hat der Despotismus die Oberhand, so muß die Philosophie dies predigen.“3 Die schon im 19. Jahrhundert formulierten unsinnigen Klischees und üblen Nach-reden sind Legion und werden oft einfach und ohne Prüfung nachgebetet.

Noch heute wird die Vorrede als ‚publizistisches Unglück‘ und ‚philosophiepoli-tisches Pamphlet‘ diffamiert, in der sich der ‚politische Konservatismus von Hegels praktischer Philosophie‘ ankündige.4 Die berühmt-berüchtigte und besonderen

1 Gans, Eduard, Vorrede zu Georg Wilhelm Friedrich Hegel’s Grundlinien der Philosophie des Rechts, oder Naturrecht und Staatswissenchaft im Grundrisse, Berlin 1833, S. 3.

2 Hegel in Berichten seiner Zeitgenossen, hg. v. Günther Nicolin, Hamburg 1970, S. 221. Fries ‚ge-dankenlose Begeisterung für die Abstraktionen von Volk, Freiheit, Brüderlichkeit und Einheit‘ sind ‚blümelnde phrasenreiche Declamationen‘ (Rosenkranz, Karl, Georg Wilhelm Friedrich He-gels Leben, Darmstadt 1844, Nachdruck Hamburg 1977, S. 334.

3 Zit. nach Ilting, Karl-Heinz, Hegel, Vorlesungen über Rechtsphilosophie, Bd. 1, S. 91. 4 Schnädelbach, Herbert, Hegels praktische Philosophie, Frankfurt a. M. 2000, S. 327-332. Offen-

bar hat sich Hegel der scharfen Polemik bedient, z. B. gegen Fries. Dabei muss aber zwischen dem

Page 24: Vieweg · Das Denken der Freiheit - download.e-bookshelf.de fileWORTE DES DANKES Besonderer Dank für die langjährige kollegiale und freundschaftliche Begleitung und Unterstützung

24 I. IRRFAHRTEN UND HOLZWEGE DER INTERPRETATION

Anstoß erregende Stelle aus der Vorrede „Was vernünftig ist, ist wirklich; und was wirklich ist, das ist vernünftig“ wurde zwar durch die seriöse Hegel-Forschung ent-zaubert, aber einige kurze Erläuterungen sind doch erforderlich. Hegels schwierige und teilweise für die Philosophie neuartige Terminologie erschließt sich nicht in ei-nem ersten Zugriff und auch nicht ohne Rekurs auf die Wissenschaft der Logik und die Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften. Der inkriminierte Satz wurde sofort und ohne sich der Mühe der Annäherung an Hegels Redeform zu unterzie-hen (schon die Lektüre nur des ersten Paragraphen der Grundlinien hätte Aufschluss gegeben) als pure Apologie alles jeweils Bestehenden missinterpretiert: ‚Kein philo-sophischer Satz hat so sehr den Dank beschränkter Regierungen und den Zorn ebenso beschränkter Liberalen auf sich geladen‘.5 Selbst die ‚Kamptzsche Polizei-willkür hätte Hegel demnach als vernünftig erklärt, denn sie war wirklich‘.6 Rudolf Hayms bekannte Etikettierung lautete: restaurative preußische Staatsphilosophie. Solche ‚Deutungen‘ entzogen sich jedoch der Anstrengung, Hegels Denk- und Dar-stellungsweise zu verstehen, hier ging es besonders um die Bedeutung von „wirk-lich“ bzw. „Wirklichkeit“ und um das Verständnis des gravierenden „Unterschiedes zwischen Erscheinungswelt und Wirklichkeit.“7 Obschon Hegel selbst und dann auch Eduard Gans wesentliche Klärungen vornahmen, erwuchs und erwächst diese Beschimpfung Hegels auch aus purer Ignoranz. In einer direkten Reaktion auf die Lobpreisungen wie auf die Anfeindungen der umstrittenen Stelle, betont Hegel in der Enzyklopädie, dass das Dasein, das Bestehende ‚zum Teil Erscheinung und nur zum Teil Wirklichkeit ist‘. „Wenn aber ich von Wirklichkeit gesprochen habe, so wäre von selbst daran zu denken, in welchem Sinne ich diesen Ausdruck gebrauche, da ich in einer ausführlichen Logik auch die Wirklichkeit abgehandelt und sie nicht nur sogleich von dem Zufälligen, was doch auch Existenz hat, sondern näher von Dasein, Existenz und anderen Bestimmungen genau unterschieden habe.“8 In ähn-licher Weise betont Gans, dass dieser Satz nichts anderes sagt, als dass ‚das wahrhaft Vernünftige, um seiner Natur gemäß zu sein, sich stets in die Welt einbildet und

sicher überzogenen persönlichen Angriff und der theoretisch angemessenen Kritik (der ‚Seichtig-keit‘ von Fries‘ praktischer Philosophie) unterschieden werden. Statt die Wissenschaft auf die Entwicklung des Gedankens und des Begriff zu stützen, präferiere Fries das ‚Gefühl der Ahn-dung‘, die unmittelbare Wahrnehmung und die zufällige Einbildung, was in einem ‚Brei des Her-zens, der Freundschaft und Begeisterung‘ ausufere. Die sittliche Welt werde so der subjektiven Zufälligkeit des Meinens und der Willkür überstellt. (Vorrede) Auf der Basis von Hegels Konzep-tion sind jedenfalls die von Fries vertretenen Positionen des Nationalismus und Antisemitismus ausgeschlossen.

5 Engels, Friedrich, Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie, in: Marx, Karl/Engels, Friedrich, Werke (MEW), Bd. 21, Berlin 1962, S. 266.

6 Zit. nach: Hegel in Berichten seiner Zeitgenossen, hg. v. Günther Nicolin, Hamburg 1970, Doku-ment 315, S. 205.

7 GdPh, 19, 111. 8 Enz § 6. Nebenbei: Für Heidegger-Interpretationen ist es ebenfalls sehr wichtig, zwischen Dasein

und Existenz wohl zu differenzieren.

Page 25: Vieweg · Das Denken der Freiheit - download.e-bookshelf.de fileWORTE DES DANKES Besonderer Dank für die langjährige kollegiale und freundschaftliche Begleitung und Unterstützung

25DIE VERNÜNFTIGKEIT DES WIRKLICHEN

Gegenwart gewinnt‘9 – „nicht alles ist wirklich was existirt“ (Str 923). Freies Den-ken bleibt – so die Vorrede – eben ‚nicht bei dem Gegebenen stehen, sei es durch die äußere positive Autorität des Staats, die Übereinstimmung der Menschen oder durch die Autorität des innern Gefühls und des Herzens‘ (RPh 14) gestützt. Das Wirkliche eines modernen Gemeinwesens besteht in dem, was in ihr vernünftig ge-staltet ist. Das Wirkliche in der Erscheinung ist ‚das Gedankenhabende‘. Schon eine sehr bekannte, von Heinrich Heine überlieferte Anekdote traf Hegels Anliegen, was dann später in einigen Nachschriften von Hegels Vorlesungen eindrücklich bestätigt wurde: „Als ich einst unmutig war über das Wort: ‚Alles, was ist, ist vernünftig‘, lä-chelte er sonderbar und bemerkte: ‚Es könnte auch heißen: ‚Alles was vernünftig ist, muß sein‘.“10 Carl Ludwig Michelet hat aufgrund der ‚Missverständnisse Vieler‘ das Hegelsche Diktum treffend in folgende zwei Sätze ‚übersetzt‘: „Alles wirklich Rech-te ist vernünftig“ und „Alles vernünftige Recht wird wirklich“.11 Hegels Anliegen liegt im Erschließen des Vernünftig-Werdens des Wirklichen und des Wirklich-Werdens des Vernünftigen.

Vorauszuschicken wäre weiterhin, dass der Terminus „Recht“ bei Hegel eine über das Recht im engeren juristischen Sinne hinausgehende Bedeutung erhält, denn ei-ner Schlüsselstelle zufolge umfasst das Recht „das Dasein aller Bestimmungen der Freiheit“ (Enz § 486). Keinesfalls darf es eine Verwechslung mit dem sogenannten positiven Recht und dem heutigen Gebrauch dieses Wortes geben.12 Erste und nur vorläufige terminologische Umschreibungen wären ‚Berechtigung‘ oder ‚Berechtigt-sein‘, es wird etwas zuerkannt, was diesem Etwas legitim, zu Recht zukommt. Im Sinne von Vindikation erfolgt eine Zueignung, es wird etwas als ihm eigen zugebil-ligt (probare), was ihm ‚recht und billig‘ ist. Im englischen Wort ‚bill ‘ findet sich dieser Gehalt noch immer. Recht liegt in einer Legitimation, es handelt sich um et-was, das dieser Sache ‚wahrhaftig‘ oder ‚richtig‘ (eben rechtens) zugesprochen, das als geltend beansprucht werden kann und im Begriff liegt das Kriterium für jene Berechtigung. So ist z. B. im Status des Sklaven der wahrhafte Begriff des Menschen und somit dessen Freiheit verletzt, als Mensch wird er „in seinem unendlichen Werte und in seiner unendlichen Berechtigung“13 nicht anerkannt (Enz § 163, Z). Vom Recht kann gesprochen werden, insofern ‚Regeln und Institutionen, Gesinnungen

9 Gans, Vorrede, S. 6. 10 Heine, Heinrich, zit. nach: Hegel in Berichten von Zeitgenossen, hg. v. Günther Nicolin, Hamburg

1970, Dokument 363. Zwei aussagekräftige Stellen aus den Nachschriften seien hier angefügt: „Was vernünftig ist, wird wirklich, und das Wirkliche wird vernünftig.“ (Bl 51); „Was wirklich ist, ist vernünftig. Aber nicht alles ist wirklich was existirt“ (Str 923).

11 Michelet, Carl Ludwig, Naturrecht oder Rechts-Philosophie als die praktische Philosophie enthaltend Rechts-, Sitten und Gesellschaftslehre, Bd. 1, Leipzig 1870, IV.

12 Fulda, Hans, Friedrich, Georg Wilhelm Friedrich Hegel, München 2003 S. 197-200. 13 Das Recht der Sklaverei ist immer nichtig, nicht allein weil es ungesetzmäßig ist. Sondern auch

weil es sinnlos und bedeutungslos ist – „Die Wörter >>Sklave<< und >>Recht<< stehen mitein-ander im Widerspruch; sie schließen sich gegenseitig aus.“ (Rousseau, Jean Jacques, Der Gesell-schaftsvertrag, Leipzig 1984, S. 46.)

Page 26: Vieweg · Das Denken der Freiheit - download.e-bookshelf.de fileWORTE DES DANKES Besonderer Dank für die langjährige kollegiale und freundschaftliche Begleitung und Unterstützung

26 I. IRRFAHRTEN UND HOLZWEGE DER INTERPRETATION

und Standpunkte als Repräsentanten des freien, sich wollenden Willens darstellbar sind‘.14

Folglich verdient es ein Zustand erst dann als rechtlicher und freiheitlicher be-schrieben zu werden, wenn er sich auf begreifendes Denken gründet. Gefordert wird also nicht Konformismus oder Akkomodation, sondern schlicht und einfach die Erlangung von Wissen, eine philosophische Wissenschaft der praktischen Welt, das Erkennen des sittlichen Universums (RPh 26). In diesem Anspruch auf Wissenschaft verknüpfen sich die Forderung nach logischer Fundierung und Legitimation durch das Denken und die Darstellung des Gehaltes in Form eines Systems des Wissens, eines in sich kohärenten Gesamtgefüges von Wissen. Nichts ist anzuerkennen, was nicht durch das Denken legitimiert ist, was die Nagelprobe und den Härtetest der Prüfung durch den Gedanken nicht bestanden hat. Nicht das Gegebene, das Vorge-fundene (wie etwa der preußische Staat), sondern die Vernunft ist der Maßstab, der Probierstein und der Gerichtshof, vor dem das ‚Recht‘ sich rechtfertigen muss – es ist nichts anzuerkennen, „was nicht durch den Gedanken gerechtfertigt ist“ (RPh 27). In diesem Sinne sollte Hegels Verständnis von der Vernunft in der Vorrede interpretiert sein, denn der Philosophie geht es so um das kritische Ergründen des Vernünftigen, das Erfassen des Gegenwärtigen und Wirklichen, um das begreifende Erkennen (Ebd. 24-28).

Zu erkennen ist die Vernunft des Rechts und es muss folglich das, was ‚wahrhaft das Recht ist‘ (Bl 46) auf den Begriff gebracht, im Begriffe gefasst werden. Dies ver-steht sich nicht von selbst und hat einschneidende Konsequenzen, denn in Hegels Auffassung vom ‚Begriff‘ wird der gesamte unverwechselbare Gehalt seiner Philoso-phie thematisch, speziell seine neue Logik, die damals wie heute als monströse und abzuschüttelnde metaphysische Belastung für das Verständnis der Philosophie des Rechts gilt. Oft handelt es sich hierbei um Versuche, sich dem (zugegeben äußerst mühsamen) Geschäft der Interpretation dieser Logik zu entziehen – zudem in einer Zeit, in der Logiken analytischer Provenienz die akademische Philosophie okku-piert haben und diese dominieren. Hegel selbst hat im Interesse eines adäquaten Verständnisses seines Konzepts mit Vehemenz darauf bestanden, dass das Ganze und die Ausbildung seiner Momente ‚auf dem logischen Geiste beruht‘, dass es nicht um ein pragmatisches Verfahren oder historistisches Erkennen geht, nicht um eine bloße Klassifikation des vorhandenen Stoffes, sondern um die Aufdeckung der in-neren Vernunftgründe, um die immanente Logik der Sache, um den Begriff selbst, um das Fortschreiten und Hervorbringen seiner Bestimmungen (§ 33 u. 31). Wobei die der praktischen Philosophie zugrunde liegende Logik des Begriffs als Logik der Selbstbestimmung gelesen werden muss, als metaphysisch-ontologische Theorie der Freiheit15, als Metaphysik, die den Dualismus von Epistemologie und Ontologie

14 Siep, Ludwig, Praktische Philosophie im Deutschen Idealismus, Frankfurt a. M. 1992, S. 76. 15 Dazu die ausgezeichnete Studie Theorie der Freiheit. Der Begriff des Zwecks in Hegels Wissenschaft

der Logik von Tommaso Pierini, München 2007.

Page 27: Vieweg · Das Denken der Freiheit - download.e-bookshelf.de fileWORTE DES DANKES Besonderer Dank für die langjährige kollegiale und freundschaftliche Begleitung und Unterstützung

27DIE VERNÜNFTIGKEIT DES WIRKLICHEN

überschreitet.16 ‚The theory of freedom is the basis of Hegel’s entire practical philosophy‘.17

Die mitunter noch anzutreffende polemische Kritik Hegels an anderen Konzep-ten erklärt sich aus deren ‚traurigem Mangel an Gedankenbildung‘, dem eigentli-chen Skandalon der damaligen Philosophie, dem schon erwähnten Verzicht auf das wissenschaftliche Erkennen von Wahrheit, einer Wahrheit, die auch für die prakti-sche Welt beansprucht werden kann. Manchen damaligen und heutigen Konzeptio-nen zufolge bleibe die sittliche Welt dem Erkennen prinzipiell verschlossen, das Wahre selbst soll nicht erkannt werden können. Vernunft und Wahrheit wurden und werden zu einer verbotenen Stadt erklärt, die denkende Vernunft bleibt ange-klagt, herabgesetzt und verdammt (RPh 22). Hegel hingegen kritisiert diese Seich-tigkeit: „So ist das, was von jeher für das Schmählichste, Unwürdigste gegolten hat, der Erkenntnis der Wahrheit [zu] entsagen, von unseren Zeiten zum höchsten Trium-phe des Geistes erhoben worden […] Das Wahre nicht zu wissen und nur Erschei-nendes, Zeitliches und Zufälliges, nur das Eitle zu erkennen, diese Eitelkeit ist es, welche sich in der Philosophie breitgemacht hat […] und das große Wort führt.“18 Es klingt wie ein trefflicher Kommentar zu bestimmten philosophischen Mode-trends des 20. Jahrhunderts, in denen die Preisgabe von Wissenschaft, Objektivität, Wahrheit und Vernunft bejubelt und geradezu frenetisch gefeiert wird. Und dies zudem in einem Jahrhundert, dessen intellektuelle Pfade von unzähligen Todesan-zeigen für Vernunft, System und Wahrheit gepflastert waren und es von Abgesängen und Trauerreden auf die Metaphysik19 und Ausrufungen des nach-metaphysischen Zeitalters nur so wimmelte. Die Philosophie vor dem 20. Jahrhundert, so wird sug-geriert, gleiche den Küsten der glückseligen Inseln der Philosophie, die nur mit Trümmern gescheiterter Schiffe bedeckt sind, es sei kein seetüchtiges Fahrzeug in ihren Buchten zu entdecken.20 Es tönt aus verschiedenen philosophischen Ecken, dass das Ganze das Unwahre sei, dass man die Despotie von Wahrheit, Vernunft und objektivem Wissen endlich abgeschüttelt habe und nun Wahrscheinlichkeit, Konsens und Diaphonia ins Zentrum treten. Das Dogma ‚Alles Wissen ist relativ‘ – „das Relative an die Stelle des Absoluten [...] zu setzen“ (§ 3) – avancierte teilweise zum Evangelium und demaskierte die vermeintlichen Überwinder des Alten gegen deren Willen und Absicht als eisenharte, fundamentalistische Metaphysiker, denn die Relativität betrifft (leider Gottes) auch das Dogma der Relativisten, auch ihren

16 Dazu: Fulda, Spekulative Logik als die ‚eigentliche Metaphysik‘, Zu Hegels Verwandlung des neuzeitlichen Metaphysikverständnisses, in: Hegels Transformationen der Metaphysik, hg. v. Detlev Pätzold/Arjo Vanderjagt, Köln, 1991. a.a.O. u. ders., Hegels Logik der Idee und ihre epistemolo-gische Bedeutung, in: Hegels Erbe, hg. v. Christoph Halbig, Michael Quante, Ludwig Siep, Frankfurt a. M. 2005.

17 Pippin, Hegel’s Practical Philosophy, S. 20. 18 Enz, 10, 402f. 19 Dazu besonders aufschlußreich: Fulda, Hans Friedrich, Spekulative Logik als die ‚eigentliche Me-

taphysik‘. a.a. O. 20 Hegel, Differenz des Fichteschen und Schellingschen Systems der Philosophie, 2, S. 18.

Page 28: Vieweg · Das Denken der Freiheit - download.e-bookshelf.de fileWORTE DES DANKES Besonderer Dank für die langjährige kollegiale und freundschaftliche Begleitung und Unterstützung

28 I. IRRFAHRTEN UND HOLZWEGE DER INTERPRETATION

‚heiligen‘ Satz: So ist doch die Behauptung „Alles Wissen ist relativ“ doch selbst rela-tiv.

Hegel zufolge gehört die These, dass ‚Wahres selbst nicht erkannt werden könne‘, nicht der Philosophie, sondern der sich bloß ‚so nennenden Philosophie‘ an (RPh 18). Für den Wahrheitsanspruch und gegen jede Grenzmarkierungen von Wissen und gegen alle Lobpreisungen von Wahrscheinlichkeit und Relativität mag die drastische Antwort von Harry G. Frankfurt stehen: Die ‚Modemeinung, daß die Wahrheit nicht erkennbar sei, ist Bullshit‘.21 Mit Theodor Gottlieb von Hippel wäre den intellektuellen Grenzwächtern zuzurufen: ‚Den Schlagbaum endlich auf !‘22

Angesichts der heutigen philosophischen Mode scheint der Rekurs auf Hegel das Unzeitgemäße schlechthin zu sein, angesichts des Feierns solcher Gedanken wie Re-lativität, Wahrscheinlichkeit, Grenze, Pragmatik und Gewohnheit. Angesichts der Verkürzung der Philosophie auf analytische Kalküle, auf ein regelgeleitetes akade-misches Sprechen oder den Proklamationen der ‚nachmetaphysichen‘ Ära verstärkt sich dieser Eindruck. Die praktische Philosophie soll ‚metaphysikfrei‘ werden, an die Stelle des stigmatisierten, metaphysischen Freiheitsbegriffs sollen etwa pragmati-sche oder empirische Freiheitsverständnisse treten.23 Hegels Grundlinien gelten bes-tenfalls als ein unter dem historischen Staub von zwei Jahrhunderten begrabenes museales Sammlungsobjekt. Die metaphysischen Dinosaurier, sprich die Anhänger von Wahrheit, Ganzheit und Objektivität gelten als überwunden und ausgestorben, bis auf einige wenige Verstockte und sowieso Unbelehrbare, die krassen Außensei-tern oder dem letzten Einhorn gleichen. Den apokalyptischen Reitern des heute schier übermächtigen Relativismus sei jedoch in Abwandlung einer Botschaft von Steven Spielberg zugerufen: Some Hegelians had survived ! Und der vermeintlich tote Hund Hegel erfreut sich erstaunlicher Munterkeit und hat noch immer skalpell-scharfe Zähne.

An vielen Stellen seiner Werke attackierte Hegel die baufälligen, nicht skepsisre-sistenten Instanzen und Vorgehensweisen, worauf sich die angesprochenen Mode-Entwürfe stützten – Ahnen, Meinen, Gefühl, Gewohnheit, jegliche unmittelbare Gewissheiten, die Manier des Postulierens, des bloßen Behauptens und Versicherns, pure Empirie und analytischer Verstand. Wenn jeder Meinung, jeder Position, jeder Perspektive uneingeschränktes ‚Recht‘ zugesprochen werde, erwächst daraus eben nicht die verhießene Freiheit, sondern eher die wahre Despotie, nämlich der ‚Des-potismus der Gleichmacherei aller Gedanken‘. Heftig beklagt der Philosoph, dass „die Erkenntnis der Wahrheit als für eine törichte, ja sündhafte Anmaßung“ erklärt wurde, dass „einem großen Teile des wissenschaftlich sein sollenden Treibens“ die

21 Frankfurt, Harry G., Bullshit, Frankfurt 2006, S. 39. Im gleichen Sinne opponiert Hegel im Vor-wort scharf und treffend gegen den herrschenden ‚Zeitgeist‘.

22 von Hippel, Theodor Gottlieb, Lebensläufe nach aufsteigender Linie nebst Beylagen A. B. C. Berlin 1778-1781 – Ein Lieblingsroman von Hölderlin und Hegel in Tübingen.

23 Dewey, John, Human Nature and Conduct. An Introduction to Social Psychology, New York 1992, Dennett, Daniel C., Ellenbogenfreiheit. Die wünschenswerten Formen von Freiheit, Weinheim 1994.

Page 29: Vieweg · Das Denken der Freiheit - download.e-bookshelf.de fileWORTE DES DANKES Besonderer Dank für die langjährige kollegiale und freundschaftliche Begleitung und Unterstützung

29DIE VERNÜNFTIGKEIT DES WIRKLICHEN

Ansprüche des Begriffs als unbequem gelten (RPh 22). Dieses sich so nennende Philosophieren hat ähnlich dem römischen Kaiser-Despotismus „alle Gedanken und alle Stoffe nivelliert, so daß die Begriffe des Wahren, die Gesetze des Sittlichen auch weiter nichts sind als Meinungen und subjektive Überzeugungen“ (Ebd., 23). Die Grenzzieher und Mauerwächter für das Denken und die Wahrheit, die Protago-nisten des Verstandes preisen mit Hinweis auf das Erkennen von ‚Erscheinungen‘, von Wahrscheinlichkeiten und Fallibilität die Schwundstufen des Wissens, eine Art third-hand-knowledge an. Die Ansprüche auf Wissen und Wahrheit, gar auf das Ab-solute, gelten als ‚vermessen‘ (Enz § 386), als Schaffen neuer Wolkenkuckuckshei-me. Der Verzicht auf begründetes Wissen wird gar als philosophische Bescheiden-heit gefeiert – meist lässt sich heute diese Attitüde in einem Vorwurf an hegeliani-sches Denken konzentrieren: claiming too much.

Selbst eine der gelungensten und schönsten Metaphern der Philosophiegeschich-te – ‚die Eule der Minerva beginnt erst mit der einbrechenden Dämmerung ihren Flug‘ – wird in den Attacken auf Hegel nicht verschont. Die Philosophie – so die erstaunliche Einschätzung – komme bei Hegel immer zu spät, die ‚intellektuelle Erfassbarkeit einer zeitlichen Gestalt setzte ihr reales Abgestorbensein voraus‘, an die Rede von der Morgenröte trete die von der Dämmerung.24 Zum einen kann gegen eine solche Fehldeutung ins Feld geführt werden, dass Hegel hier den Gedanken verbildlicht, nach dem ein Sachverhalt oder Zustand (wie etwa die moderne Welt) erst ein bestimmtes Stadium seiner Entwicklung, nicht jedoch das ‚Abgestorben-sein‘, erreicht haben muss, bevor konsistentes Erkennen möglich wird. Die Kennt-nis des Keimlings allein sichert noch nicht hinlängliches Wissen über einen Baum, eine gerade neu entstandene politische Formation gewährt noch nicht die Erkennt-nis über ihre entfaltete Form. Zum anderen spielt Hegel auf den Gedanken an, dass seine Zeit den eigentlichen Beginn der modernen Welt repräsentiert. Hegel hat den Anspruch, eine philosophische Theorie dieser Welt vorzulegen, in einer Zeit, in der sich Grundmuster dieser modernen Zeit, besonders der Schlüsselbegriff der Frei-heit, herausgebildet haben und so die Eule der Wissenschaft ihren Flug beginnen kann. Dies belegt die Deutung der Französischen Revolution:25 Zum ersten Male sei eine Verfassung auf das Recht gegründet, der Mensch habe sich auf den Kopf, d.h. auf den Gedanken gestellt, erst jetzt in diesem herrlichen Sonnenaufgang sei der Mensch dazu gekommen, zu erkennen, dass der Gedanke die geistige Wirklich-keit regieren soll.26 Zu begreifen ist die moderne Welt, da sie die ‚Dämmerung‘ der Geschichte, die Höchste der Freiheitsstufen, darstellt. Erst jetzt besteht die Grund-lage für die Realisation individueller Freiheit aller besonderen Subjekte in einer frei-en Gemeinschaft. Die Bilder der Morgenröte und der Dämmerung schließen sich somit keineswegs aus, im Gegenteil: Die Französische Revolution war für Hegel Ausdruck für die Dämmerung der Geschichte im Sinne des Abschlusses ihres Stu-

24 Schnädelbach, Hegels Praktische Philosophie, S. 333. 25 Dazu die klassische Studie von Joachim Ritter: Hegel und die französische Revolution, Frankfurt

a. M. 1989. 26 PhilG 12, 529.

Page 30: Vieweg · Das Denken der Freiheit - download.e-bookshelf.de fileWORTE DES DANKES Besonderer Dank für die langjährige kollegiale und freundschaftliche Begleitung und Unterstützung

30 I. IRRFAHRTEN UND HOLZWEGE DER INTERPRETATION

fengangs und die Morgenröte der neuesten Zeit, eben des Beginns eigentlich huma-ner Existenz.27 Der Gedanke der Freiheit kann jetzt in die Köpfe hinein- und in die Welt hinausgebildet werden, eine freie Gemeinschaft, ein vernünftiger Staat können jetzt konzipiert und konstituiert werden. Im Kontext der Grundlinien steht die Mi-nerva als das ‚sich wissende und wollende Göttliche‘, eben in einem als Göttin der Stadt (der Polis, des Staates) und des Wissens. Als eine Fußnote der Geschichte soll erwähnt werden, dass die Minerva von Auguste Rodin heute den Senatssaal der Uni-versität Jena ziert, der Universität, in welcher Hegel die wohl entscheidenden Schrit-te seines Denkweges vollzogen hat.

Hegels emphatisches Insistieren auf begreifendes Denken, prüfbares Wissen, auf Wissenschaft und Wahrheit verlangt, dass sich die Einsprüche und Einwände auf dem gleichen Level bewegen, in Augenhöhe mit Hegel. Michael Quante zufolge „sind zahlreiche Theorien im Angebot, die nicht im Entferntesten die analytische Tiefe erreichen, die wir in Hegels Philosophie finden […] Solange wir keine Alter-nativtheorie haben, die einen befriedigenderen Ansatz bietet, sollten wir Hegels Grundlinien der Philosophie des Rechts als eine bedeutende und aktuelle Theorie über personale Autonomie und Willensfreiheit ansehen.“28 Nur ist seit den Grundli-nien weit und breit kein ebenbürtiger Widerpart hervorgetreten, keine damit ver-gleichbare Konzeption moderner Freiheit von dieser intellektuellen Kraft hat bis-lang die Bühne betreten.29

I.2 HEGELS PHILOSOPHIE ALS STEINBRUCH UND KURIOSITÄTENKABINETT – FEHLDEUTUNGEN UND

REAKTUALISIERUNGSVERSUCHE IM 20. JAHRHUNDERT

Die Einzelheiten der verzweigten Wirkungsgeschichte der Grundlinen sollen hier nicht nachgezeichnet werden, nur einige wenige Tendenzen seien erwähnt.30 Für die erste Hälfte des 20. Jh. sind zwei Statements politisch sehr different positionierter Denker aufschlussreich: Ernst Cassirer zufolge habe „kein anderes philosophisches System […] so viel zur Vorbereitung des Faschismus und Imperialismus getan, als

27 Dazu: Hegel und das Ende der Geschichte (Abschnitt VIII. 9). 28 Quante, Michael, Die Wirklichkeit des Geistes, a. a. O., S. 327. 29 In seiner Rezension der Rechtsphilosophie hatte Gans genau in diesem Sinne bemerkt: „Aber Syste-

me können nur durch Systeme widerlegt werden, und so lange ihr uns kein wissenschaftliches zu bereiten gedenkt, müssen wir bei dem bleiben, welches wir haben.“ (In: Ilting, Hegel: Vorlesungen über Rechtsphilosophie, 1, S. 597).

30 Vgl. dazu: The Hegel Myths and Legends, hg. v. John Bartley Stewart, Evanston 1996; Riedel, Manfred, Zwischen Tradition und Revolution. Studien zu Hegels Rechtsphilosophie, Frankfurt a. M. 1982.