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Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen 72 Nachhaltigkeit ist ein Begriff, der in den letzten Jahren sehr populär geworden ist. Meist wird er nur mit dem Thema Umweltschutz in Verbindung gebracht. Aber Nachhaltigkeit bezieht sich auf alle Bereiche, in denen Ressourcen beschränkt sind. Damit berührt er auch Fragen der sozialen Gerechtigkeit, der Teilhabe und Chancengleich- heit – und damit auch das Gesundheitswesen. D ie grundlegende Idee der Nachhaltigkeit wurde erstmals 1144 in der Forstordnung des Klosters Mauermünster im Elsass formuliert. 1 Darin stand, dass jeweils nur so viel Holz ge- schlagen werden darf, wie im gleichen Zeitraum wieder nachwachsen kann. Wortschöpfer des Begriffs war der sächsische Oberberghauptmann Hans Carl von Carlowitz, der „Nachhaltigkeit“ 1713 in seiner „Anweisung zur wilden Baum- Zucht“ als Erster verwendete. 2 Im Jahr 1987 beschäftigte sich dann die Welt- kommission für Umwelt und Entwicklung auf internationaler Ebene mit dem Begriff und de- finierte die „nachhaltige Entwicklung“ als eine, „welche weltweit die heutigen Bedürfnisse zu Nur ein Modewort oder Anstoß zum Umdenken? Viviane Scherenberg Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen Grafik: istockphoto.com/mightyisland

Viviane Scherenberg - Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen · 2013. 5. 3. · Dr. med. Mabuse 200 · November/Dezember 2012 74 Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen vor allem auf kurzfristige

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  • Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen72

    Nachhaltigkeit ist ein Begriff, der in den letztenJahren sehr populär geworden ist. Meist wird ernur mit dem Thema Umweltschutz in Verbindunggebracht. Aber Nachhaltigkeit bezieht sich aufalle Bereiche, in denen Ressourcen beschränktsind. Damit berührt er auch Fragen der sozialenGerechtigkeit, der Teilhabe und Chancengleich-heit – und damit auch das Gesundheitswesen.

    D ie grundlegende Idee der Nachhaltigkeitwurde erstmals 1144 in der Forstordnungdes Klosters Mauermünster im Elsass formuliert.1

    Darin stand, dass jeweils nur so viel Holz ge-schlagen werden darf, wie im gleichen Zeitraumwieder nachwachsen kann. Wortschöpfer desBe griffs war der sächsische OberberghauptmannHans Carl von Carlowitz, der „Nachhaltigkeit“1713 in seiner „Anweisung zur wilden Baum-Zucht“ als Erster verwendete.2

    Im Jahr 1987 beschäftigte sich dann die Welt-kommission für Umwelt und Entwicklung aufinternationaler Ebene mit dem Begriff und de-finierte die „nachhaltige Entwicklung“ als eine,„welche weltweit die heutigen Bedürfnisse zu

    Nur ein Modewortoder Anstoß zum Umdenken?

    Viviane Scherenberg

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    positive Erfahrungen im Kindesalter ingesundheitsfördernde Verhaltensweisen,wirken sich diese unweigerlich auf dieGesundheit (und die Gesundheitskosten)im Erwachsenenalter aus.

    Dies gilt besonders für Menschen, dieaufgrund von Armut und mangelnderTeilhabe eine geringere Lebenserwartungund eine schlechtere Gesundheit haben.Erschwerte Startchancen in Schule undBeruf sowie mit Armut verbundene Be-lastungen begünstigen schlechte gesund-heitliche Verhaltensmuster und damiteinen schlechteren Gesundheitszustand.5

    Längst ist bekannt, dass Menschen inoh nehin prekären Lebenslagen Präven -ti ons an gebote deutlich weniger in An-spruch nehmen, als Menschen aus pri-vilegierteren Schichten.

    Institutionelle VerankerungUm dies zu ändern und Nachhaltigkeitbesser zu fördern, bedarf es einer stär-keren institutionellen Verankerung alsder bisherigen in der Gesetzlichen Kran-kenversicherung (GKV). Oft stellt sichnämlich weniger die Frage nach dem„Wollen“, sondern eher nach dem „Kön-nen“ in einem harten Wettbewerbskli-ma. Denn werden Institutionen wie dieGKV durch die wirtschaftlichen Rahmen -bedingungen mehr oder weniger ge-zwungen, sich verstärkt lukrativen Ziel-gruppen zu widmen, geht dies zulastenökonomisch eher unattraktiver Zielgrup-pen.

    Doch gerade diese Zielgruppen ausunterprivilegierten Schichten sollten vor -nehmlich durch präventive Maßnahmenangesprochen werden. Dafür sind nach-haltigkeitsförderliche Rahmenbedingun-gen vonnöten.

    decken vermag, ohne für künftige Ge-nerationen die Möglichkeit zu schmä-lern, ihre eigenen Bedürfnisse zu de-cken“.3

    Noch ganz am AnfangDie Beschäftigung mit nachhaltigen Ent-wicklungen im Gesundheitswesen oderallgemein mit Nachhaltigkeit und Ge-sundheit sind bislang allerdings nur sehrvereinzelt erkennbar. In Anlehnung andas klassische Drei-Säulen-Modell dernachhaltigen Entwicklung (ökonomi-sche, soziale, ökologische Nachhaltigkeit)umfasst Nachhaltigkeit im Gesundheits-wesen neben der ökonomischen und so-zialen auch die gesundheitliche Dimensi -on. Diese Aspekte müssen im Gleichklangmiteinander stehen: Also erst wenn Zieleder Ressourcenschonung, das heißt derökonomischen Beständigkeit, der sozia-len Gerechtigkeit und der Gesundheits-förderlichkeit gleichwertig und -zeitigverfolgt werden, kann von einer nach-haltigen Entwicklung im Gesundheits-wesen gesprochen werden.4

    Ein weiteres bedeutendes Kriteriumsind die gleichen Zugangsmöglichkeitenzur Gesundheitsversorgung und -vorsor-ge für alle Versichertengruppen – unab-hängig von der ethnischen Herkunft,dem Geschlecht, der sozialen Schichtoder dem Gesundheitszustand.

    Beispiel PräventionWie eine solch nachhaltige Entwicklungaussehen könnte und welche Schwierig-keiten bei der Umsetzung auftreten kön-nen, lässt sich konkret am Beispiel derPrävention veranschaulichen. Denn set-zen präventive Maßnahmen nicht früh-zeitig genug an und münden durch

    Die richtigen ZielgruppenerreichenPräventionsinterventionen aus Perspek-tive der Nachhaltigkeit setzen immerChancengleichheit und gerechte Teilha-be voraus, die benachteiligte Gruppeneher stärken, aber auf keinen Fall wei-ter schwächen dürfen.

    Beispielsweise bieten sogenannte Prä-ventionsreisen nach dem Motto „Auf-tanken mit Zuschuss“ einen hohen mar-ketingstrategischen Wert für die Kran-kenkassen – konkret werden bis zu 150Euro aus der Solidargemeinschaft zuge-zahlt, beispielsweise für einen Kurauf-enthalt oder ein Yoga-Wochenende. DieEffektivität und Effizienz dieses Instru-ments ist indes infrage zu stellen. Dennoft werden solche Maßnahmen von oh-nehin Gesunden in Anspruch genom-men.

    Würden Angebote wie Präventions-reisen die richtige Zielgruppe erreichen,könnten auch diese Investitionen „prä-ventive Früchte“ tragen und helfen,schlechte Gewohnheiten zu reflektierenund Techniken zur gesundheitlichen Ver -haltensumstellung zu erlernen. Im Ideal -fall würden diese auf den Alltag über-tragen und dauerhaft, also nachhaltig,übernommen.

    Gleiches gilt für Bonusprogramme, beidenen die Krankenkassen mit Zuschüs-sen und Boni einen wichtigen Steue-rungsbeitrag leisten.

    HürdenEine wesentliche Hürde bei der Umset-zung einer nachhaltigen Entwicklung imGesundheitswesen sind die derzei ti genWettbewerbsbedingungen, die den Blick

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    vor allem auf kurzfristige ökonomischeVorteile lenken. Sie führen dazu, dasslangfristig wichtige Beiträge der GKV(wie Prävention) mitunter das Nachse-hen haben.

    Ausschließlich ökonomisch-orientier-te Krankenkassen-Ranglisten, die bei-spielsweise Bonusprogramme auflistenund an denen sich die Versicherten beiihrer Kassenwahl orientieren, verstärkendas Dilemma des zunehmenden Preis-wettbewerbs zwischen den Krankenkas-sen. Unter diesen Bedingungen bestehtdie Gefahr, dass Prävention nur als Mit-tel zum Zweck für das Marketing dient.

    TransparenzDarüber, welche Maßnahmen nachhal-tig einen hohen Nutzen versprechen,ohne dass sie die Solidargemeinschaftder GKV belasten, herrscht bislang leiderwenig Transparenz. Gemäß § 305 Abs.5des Sozialgesetzbuches V sind die Kassenaber verpflichtet, „in hervorgehobenerWeise und gebotener Ausführlichkeit“Rechenschaft über die Mittelverwen-dung abzulegen.

    Bislang müssen GKV-Rechenschafts-berichte aber nur die Kassenperspektiveeinnehmen, folglich werden Entschei-dungen für oder gegen bestimmte GKV-Instrumente (wie Bonusprogramme) ge-troffen, die primär der jeweiligen GKVund nicht dem Gesundheitssystem alsGanzem nützen.6 Nur wenn Evaluatio-nen die Gesellschaftsperspektive einneh-men wird aber der gesellschaftliche Nut-zen deutlich. Transparenz kann somitals wesentlicher Antrieb für nachhaltigeEntwicklungen angesehen werden.

    So könnte bei Präventionsmaßnah-men die Veröffentlichung von Teilnah-mequoten bestimmter Versichertengrup-

    Jeder Versicherte kann durch sein Ver-halten, also durch seine Kassenwahl, ei-nen Beitrag zur nachhaltigen Entwick-lung leisten. Vorausgesetzt, dass nichtdie kurzfristige Schnäppchenjagd, son-dern der Nachhaltigkeitsgedanke dabeiim Vordergrund steht. Auch hier – wiebeim Gesundheitsverhalten – werdenkei ne reinen Informationen, sondern diepersönliche, emotionale Betroffenheitsowie gesellschaftliche Trends für einenBewusstseinswandel und eine veränder-te Verhaltensweise den Ausschlag geben.Diese wiederum werden stark von derBerichterstattung der Medien und derPolitik beeinflusst.

    Die Gesellschaft stärkenEine immer stärkere Skepsis und Verun-sicherung gegenüber dem Gesundheits-system, auch bedingt durch die Medien-berichterstattung, sprechen für diesenWandel. Zumal sich eine gute Gesell-schaft dadurch auszeichnet, wie sie mit

    pen (Freiwillige, Pflichtversicherte etc.)einen Aufschluss über die nachhaltigeWirkung der angewendeten Instrumentegeben. Eine so entstehende Leistungs-und Qualitätstransparenz schafft nichtnur die Basis für einen fairen Qualitäts-wettbewerb, sondern steigert insgesamtdas Vertrauen in die Kassen, was sichpositiv auf die Eigenverantwortung undMitwirkungspflicht und somit auf den(präventiven) Gesundheitserfolg der Ver -sicherten auswirkt.

    Wertewandelals VoraussetzungWird nachhaltiges Engagement von al-len Versichertengruppen honoriert, führtdies zu einem Wettbewerbsvorteil für diejeweilige Kasse. Dies setzt eine verstärkteTransparenz, Qualitätsorientierung undLeistungsanerkennung im Hinblick aufnachhaltige Handlungen bei den Kassensowie einen Bewusstseins- und Werte-wandel bei den Versicherten voraus.

    Doch die zunehmenden System- undSachzwänge können zu einer Zunahmenicht nachhaltiger Verhaltensweisen beiden Kassen führen, besonders wenn sichwirtschaftlich angeschlagene Kassen,vermeintlich nur durch eine gewinnori-entierte Kalkulation, Überlebensvortei-le verschaffen können.

    Theoretisch können sich die Kranken -kassen – als wichtige Präventions-Mul-tiplikatoren – nur dann bestimmtenProblemfeldern und -gruppen widmen,wenn die anderen Kassen dies ebenfallstun oder wenn dieses soziale Engage-ment belohnt wird.7 Dies führt zu derFrage, wie gesellschaftsorientierte An-reize und nachhaltigkeitsfreundlicheRahmenbedingungen geschaffen wer-den können.

    Vivianne Scherenberggeb. 1971, ist Dekanin des Fachbereichs„Prävention und Gesundheitsförderung“ ander Apollon Hochschule in [email protected]

    „Es liegt auf der Hand, dasseine stärkere Gleichheitder gesamten Gesellschaftzugutekommt.“

    1 Hülsmann, M. (2004): Bezugspunkte zwi-schen Strategischem Management undNachhaltigkeit, in: Hülsmann, M./Müller-Christ, G./Haasis, H.-D. (Hrsg.): Betriebs-wirtschaftslehre und Nachhaltigkeit. Bestandsaufnahme und Forschungsproble-matik. Deutscher Universitäts-Verlag,Wiesbaden, S. 25–73.

    2 Grober, U. (1999): Die Erfinder der Nach-haltigkeit, in: Die Zeit, Ausgabe 48 (25. No-vember 1999)

    3 WCED (1987): Our Common Future,http://www.un-documents.net/wced-ocf.htm [Stand 23.10.2012].

    4 Alisch, M./Dangschat, J. S. (1998): Armutund soziale Integration. VS Verlag für Sozi-alwissenschaften, Wiesbaden.

    5 Klocke, A./Lampert, T. (2004): Armut beiKindern und Jugendlichen und Auswir-kungen auf die Gesundheit. Themenheft 4,Robert Koch-Institut, Berlin.

    6 Greiner, W./Schöffski, O. S. (2008): Grund-prinzipien einer Wirtschaftlichkeitsuntersu-chung, in: Schöffski, O. S./ SchulenburgGvd, J. M. (Hrsg.): Gesundheitsökonomi-sche Evaluation. Springer Verlag, Berlin etal., S. 167–194.

    7 Scherenberg, V. (2011): Nachhaltigkeit inder Gesundheitsvorsorge. Gabler Verlag,Wiesbaden.

    8 Wilkinson, R./Pickett, K. (2009): Gleich-heit ist Glück – Warum gerechte Gesell-schaften für alle besser sind. Tolkemitt beiZweitausendeins, Berlin.

    Literatur

    ihren schwächsten Mitgliedern umgeht. Demgegenüber sollten sich nachhal-

    tige Entwicklungen aber schon aus ego-istischen Gründen durchsetzen, da sichsonst hohe volkswirtschaftliche Folge-kosten als ein Bumerang erweisen kön-nen. Um zu dieser Erkenntnis zu gelan-gen, ist es nicht mal notwendig, dasBuch der beiden Wissenschaftler RichardWilkinson und Kate Pickett mit dem Ti-tel „Gleichheit ist Glück! – Warum ge-rechte Gesellschaften für alle besser sind“gelesen zu haben. Denn es liegt auf derHand, dass eine stärkere Gleichheit dergesamten Gesellschaft zugutekommt,da eine stärkere Chancengleichheit diezuvor durch Armut erzeugten Kostenauf sozialer und gesundheitlicher Ebenenachhaltig senkt.8 ■

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