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VO Kulturgeschichte: Leben am Wasser, leben mit dem Wasser, © Christian Rohr 2004 (Teil 3) 1 VO Kulturgeschichte: Leben am Wasser, leben mit dem Wasser WS 2004/05, Univ.Ass. Mag. Dr. Christian ROHR Siedeln am Wasser: Fluss und Meer als Ernährer und Zerstörer (15. 11. 2004) Siedeln am Wasser – Themenstellung Nach der letzten Vorlesungseinheit über das Wasser als Verkehrsweg geht es dieses Mal um die Beweggründe, warum Menschen im Laufe der Geschichte am Wasser siedelten, welche Herausforderungen sie dabei bewältigen mussten, welche Chancen und Risiken sich ihnen boten. In einem ersten, eher allgemeinen Kapitel um den Siedlungsplatz am Wasser ganz allgemein: von den Pfahlbauten der Jungsteinzeit über die Überschwemmungskulturen des alten Orients bis hin zu den an den Fluss gelegenen Städten der Römerzeit und des Mittelalters. Danach sollen in einem ersten Hauptteil zwei Fallbeispiele herangezogen werden, um die Möglichkei- ten und Gefahren einer Lage am Wasser zu erörtern: Laufen an der Salzach und Wels an der Traun waren beides Brückenorte, die dadurch zu großer regionaler Bedeutung kamen. Die Quellenlage für das Spätmittelalter und die Frühe Neuzeit ist durchaus gut, sodass sich daran auch kulturgeschichtliche Fragestellungen formulieren lassen. Den wirtschaftlichen Auswir- kungen des Siedelns am Wasser, besonders an Maut- und Brückenorten, ist ein weiteres Kapi- tel gewidmet; als Beispiel dient dabei der oberösterreichische Donauraum. Schließlich soll auch noch das Verhältnis von Stadt und Meer genauer untersucht werden. Als Beispiel dafür dient die Lagunenstadt Venedig. Siedlungen am Wasser in der Urgeschichte, in der Antike und Mittelalter Schon bald erkannten die Menschen der Jungsteinzeit, dass Siedlungen, die am Wasser oder gar im Wasser angelegt wurden, durchaus Vorteile brächten. Neben der Möglichkeit zur Fi- scherei war es vor allem der Schutz gegen Feinde und wilde Tiere, der die Menschen bewog, ans Wasser zu ziehen. An zahlreichen Seen Mitteleuropas, etwa auch am Mondsee, am Atter- see oder am Bodensee wurden Reste von Pfahlbaudörfern gefunden, die zum Teil heute in rekonstruierter Form besichtigt werden können – das schönste Beispiel bildet dabei wohl Un- teruhldingen am Bodensee. In anderen Teilen Europas schüttete man ganze Inseln auf und

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VO Kulturgeschichte: Leben am Wasser, leben mit dem Wasser, © Christian Rohr 2004 (Teil 3)

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VO Kulturgeschichte: Leben am Wasser, leben mit dem Wasser

WS 2004/05, Univ.Ass. Mag. Dr. Christian ROHR

Siedeln am Wasser: Fluss und Meer als Ernährer und Zerstörer (15. 11. 2004)

Siedeln am Wasser – Themenstellung

Nach der letzten Vorlesungseinheit über das Wasser als Verkehrsweg geht es dieses Mal um

die Beweggründe, warum Menschen im Laufe der Geschichte am Wasser siedelten, welche

Herausforderungen sie dabei bewältigen mussten, welche Chancen und Risiken sich ihnen

boten.

In einem ersten, eher allgemeinen Kapitel um den Siedlungsplatz am Wasser ganz allgemein:

von den Pfahlbauten der Jungsteinzeit über die Überschwemmungskulturen des alten Orients

bis hin zu den an den Fluss gelegenen Städten der Römerzeit und des Mittelalters. Danach

sollen in einem ersten Hauptteil zwei Fallbeispiele herangezogen werden, um die Möglichkei-

ten und Gefahren einer Lage am Wasser zu erörtern: Laufen an der Salzach und Wels an der

Traun waren beides Brückenorte, die dadurch zu großer regionaler Bedeutung kamen. Die

Quellenlage für das Spätmittelalter und die Frühe Neuzeit ist durchaus gut, sodass sich daran

auch kulturgeschichtliche Fragestellungen formulieren lassen. Den wirtschaftlichen Auswir-

kungen des Siedelns am Wasser, besonders an Maut- und Brückenorten, ist ein weiteres Kapi-

tel gewidmet; als Beispiel dient dabei der oberösterreichische Donauraum. Schließlich soll

auch noch das Verhältnis von Stadt und Meer genauer untersucht werden. Als Beispiel dafür

dient die Lagunenstadt Venedig.

Siedlungen am Wasser in der Urgeschichte, in der Antike und Mittelalter

Schon bald erkannten die Menschen der Jungsteinzeit, dass Siedlungen, die am Wasser oder

gar im Wasser angelegt wurden, durchaus Vorteile brächten. Neben der Möglichkeit zur Fi-

scherei war es vor allem der Schutz gegen Feinde und wilde Tiere, der die Menschen bewog,

ans Wasser zu ziehen. An zahlreichen Seen Mitteleuropas, etwa auch am Mondsee, am Atter-

see oder am Bodensee wurden Reste von Pfahlbaudörfern gefunden, die zum Teil heute in

rekonstruierter Form besichtigt werden können – das schönste Beispiel bildet dabei wohl Un-

teruhldingen am Bodensee. In anderen Teilen Europas schüttete man ganze Inseln auf und

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nahm dazu entweder Sandbänke zu Hilfe oder baute hölzerne „Burgen“ nach der Art der Bi-

ber. In Irland etwa entstanden schon in der Bronzezeit die so genannten Crannogs, künstliche

Inseln in Teichen, die ähnlich den späteren Wasserburgen Schutz vor Feinden boten.

Größere Siedlungen lagen in der Urgeschichte aber nur zu einem kleinen Teil am oder im

Wasser, denn das Siedeln am Wasser brachte auch Probleme mit sich: Der Untergrund war für

stabile Häuser oft zu feucht und zudem begünstigten feuchte Gebiete auch die Verbreitung

von Seuchen. Die Kelten und die Etrusker zogen es daher vor, ihre befestigten Städte auf Hü-

geln zu errichten, ja die Höhenlage wurde zu einem wichtigen Erkennungsmerkmale der kelti-

schen oppida. Dabei spielte der militärische Schutz einer Höhensiedlung ebenso eine Rolle

wie hygienische Überlegungen.

In den Flusskulturen des alten Orients, etwa in Ägypten, Mesopotamien, Indien und China,

bekam der Fluss eine weitere zivilisatorische Funktion: Die Landwirtschaft baute zu einem

großen Teil auf den fruchtbaren Schlammablagerungen auf, die der Fluss jedes Jahr während

der Überschwemmungszeit mit sich brachte. Wir sehen daran, dass Überschwemmungen in

früheren Zeiten durchaus oft als Segen empfunden wurde und sich die Menschen bei ihrem

Siedlungsverhalten darauf einstellten. Für die Landwirtschaft wurden auch neue Techniken

entwickelt, um die bewässerbaren Flächen mehr und mehr auszudehnen: Künstliche Kanäle

und Schöpfräder stehen seit mehr als 4000 Jahren in diesen Regionen in weitgehend unverän-

derter Form in Verwendung. Wie sehr dieses ökologische Gleichgewicht durch die moderne

Technik durcheinander kam, zeigt der Bau des Assuanstaudamms am Nil: Das Ziel der Tech-

nokraten der 1960er-Jahre war es, mit dem Kraftwerk Strom für ganz Ägypten zu gewinnen

und zudem die Anbaufläche noch weiter auszudehnen. Tatsächlich konnten durch die neu

angelegten Kanäle noch viel größere Flächen für die Landwirtschaft erschlossen werden, ein

unbedingtes Muss für die stark wachsende ägyptische Bevölkerung. Doch andererseits blieb

der Nilschlamm immer mehr aus, sodass die Bauern auf Kunstdünger umstellen mussten. Die

Fruchtbarkeit des Landes hat daher eher abgenommen, der Gesamtertrag der landwirtschaftli-

chen Produktion in Ägypten ist nur wenig gestiegen. Aus dem ehemaligen Getreideexporteur

wurde ein Importeur; die Auslandsverschuldung des Landes wächst dadurch stark an.

Kehren wir nach Europa zurück: Die Römer folgten bei der Anlage von Städten gänzlich an-

deren Prinzipien als die Kelten. Zwar wurde Rom noch – der Sage nach – auf sieben Hügeln

errichtet, d.h. die sumpfigen Gebiete dazwischen blieben vorerst ausgespart, doch dehnte sich

die Stadt bald auch auf die Niederungen aus. Das Forum Romanum liegt genau in einer derar-

tigen Senke unweit des Tibers und konnte erst kultiviert werden, als man eine effiziente Ent-

wässerung, die so genannte Cloaca Maxima, schuf. Doch noch in klassischer Zeit galt das

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Leben in Rom selbst während der Sommermonate als ungesund, sodass die reicheren Römer

danach strebten, diese Zeit auf einem Landgut in den nahen Sabinerbergen zu verbringen. Als

Rom nach der Völkerwanderungszeit verfiel, wurde dieses hygienische Problem des Lebens

in den Niederungen wieder akut: Die Päpste siedelten etwas erhöht am anderen Tiberufer und

schufen sich schließlich in den Albanerbergen südlich von Rom eine seuchenfreie Sommerre-

sidenz.

Die römischen Provinzstädte wurden ebenfalls meist in der Ebene angelegt. Im großen Rö-

merreich war es zumindest in der Kaiserzeit nicht mehr nötig, die Binnenstädte militärisch zu

sichern, sieht man von den üblichen Stadtmauern ab. In vielen Teilen des Römerreichs wur-

den die alten Keltenstädte aufgegeben und in die Ebenen verlegt, egal ob in Gallien (dem heu-

tigen Frankreich) oder im heutigen Österreich. Als Beispiel kann die norische Stadt Virunum

bei Maria Saal am Zollfeld in Kärnten dienen. Der alte keltische Herrschaftssitz auf dem

Magdalensberg wurde aufgegeben, während im Tal der Glan eine planmäßig angelegte Stadt

mit rasterförmigem Straßennetz entstand.

Ab der Völkerwanderungszeit wurde der Aspekt der Sicherheit und militärischen Unein-

nehmbarkeit einer Stadt oder auch kleineren Siedlung wieder wichtiger. An den Küsten der

nördlichen Adria zogen sich die Menschen sogar auf die kleinen Inseln der Lagunen zurück,

wie die Beispiele von Venedig (siehe unten) und Grado zeigen. Die Flusstäler versumpften

zusehends, sodass Siedlungen und Straßen etwa in Mittelitalien vornehmlich auf den Hügeln

und Bergrücken angelegt wurden. Auch die berühmte Via Francicena, auf der die Römisch-

Deutschen Könige zur Kaiserkrönung nach Rom zogen, führte durch die Toskana entlang der

Höhenrücken von Stadt zu Stadt. Hygienische Aspekte waren für diese Höhenlage somit e-

benso maßgeblich wie militärische.

Nur an einigermaßen sicheren Stellen entstanden im Hochmittelalter städtische Siedlungen an

den Flüssen, vor allem dort, wo die Überquerung leicht möglich war und/oder wo Brücken

über den Fluss geschlagen werden konnten. Die Lage an den Brücken brachte der Stadt im

Normalfall reiche Mauteinnahmen. Zudem lag die Stadt durch die Brücke am Kreuzungs-

punkt von Wasser- und Überlandstraßen. Im Normalfall wurden die Städte freilich so ange-

legt, dass man den Platz innerhalb einer Flussbiegung bevorzugte, da dort die Gefahr von

Hochwässern geringer war als an der Außenseite. Beispiele dafür sind etwa Laufen an der

Salzach (siehe unten) oder Villach an der Drau (vgl. die Ansicht von Matthäus Merian aus der

Vogelperspektive, 1649).

Erst als man im Laufe des Mittelalters wieder vermehrt an die Trockenlegung sumpfiger

Flussniederungen ging, erlangten auch die Siedlungen in der Ebene größere Bedeutung, die

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gegenüber den Hügelstädten den Vorteil hatten, sich leichter ausdehnen zu können und eben

auch den Fluss als Lebensader nutzen zu können. So lag die alte Siedlung im Bereich von

Florenz am Hügel im heutigen Fiesole, während die Stadt Florenz in der Ebene des Flusses

Arno erst im Spätmittelalter ihre Konkurrentinnen wie Siena übertreffen konnte. Seit dem

Spätmittelalter jedoch wurde die Stadt am Fluss (oder am Meer) zum wichtigsten Stadttyp

schlechthin, da nur so der Zugang zu den großen Handelsrouten gewährleistet war.

Im außereuropäischen Bereich war das Siedeln im Wasser durchaus verbreitet. Bis heute

wohnen Indigene am Titicacasee im peruanisch-bolivianischen Grenzgebiet auf schwimmen-

den Inseln. Die Hauptstadt der Azteken, Tenochtitlán (heute im Gebiet von Mexico City), die

1519-1521 von den Spaniern erobert wurde, lag auf zum Teil künstlich angelegten Inseln in

einem großen See, wie auch die so genannte Cortés-Karte zeigt, die 1524 in Nürnberg ent-

stand.

Leben am Wasser: Der Fluss als Ernährer und Zerstörer – die Beispiele Laufen und

Wels

Laufen

Die Städte an der unteren Salzach und am unteren Inn profitierten wirtschaftlich nicht nur

durch den Handel entlang der Salzach, sondern auch durch die Brückenmauten bzw. die Über-

fuhrgelder; letztere fielen besonders an, wenn die Brücke wieder einmal zerstört oder beschä-

digt war und die Fuhrwerke auf einem großen Schiff, der so genannten Farm, übergesetzt

werden mussten. Sie stellten den grössten Teil der städtischen Einnahmen dar: Im Falle von

Laufen machten die Überfuhrgelder zwischen Oktober 1508 und Juni 1509 mehr als 255

Pfund Pfennige aus, immerhin mehr als 60 Prozent der Jahreseinnahmen der Stadt.

Wenn die Brücken über die Salzach und den Inn von den Hochwässern in Mitleidenschaft

gezogen wurden, war nicht nur die Möglichkeit der raschen Überquerung des Flusses unter-

bunden (was durch die Überfuhrfähren noch relativ einfach ersetzt werden konnte), sondern

auch wichtige Berufsgruppen wie die Metzger von ihrem angestammten Platz vertrieben; die

Verlegung der Fleischbänke in die Stadt führte nicht selten zu grossen hygienischen Proble-

men. Die Wiedererrichtung oder Reparatur der Brücke nahm oft viele Monate in Anspruch

und konnte nicht ohne die Hilfe des Landesherrn bewältigt werden.

Die seit dem 13. Jahrhundert bezeugte Brücke von Laufen wurde erstmals 1316 durch ein

Hochwasser zerstört; verheerend wirkten sich aber vor allem die Hochwässer von 1567, 1572

und 1598 aus, die zudem in den städtischen Quellen bestens dokumentiert sind. Bemerkens-

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wert ist vor allem die Knappheit an geeignetem Holz für den Wiederaufbau. Es wurden des-

halb grosse Mühen investiert, um das abgedriftete Brückenholz wieder nach Laufen zurück-

zustellen. Zudem wurde 1572 den Bauern verboten, das angeschwemmte Bauholz zu entwen-

den. Da die Stadt unmöglich die veranschlagten 4.000 Gulden für die Reparatur der Hochwas-

serschäden aufbringen konnte, gewährte der Erzbischof schliesslich ein Darlehen in der Höhe

von 2.500 Gulden. Doch auch nach Gewährung des Darlehens war es ausserordentlich

schwierig, geeignete Fachleute für den Wiederaufbau zu finden, da die Brückenbaumeister

nach dem Hochwasser auch in den anderen Städten an der Salzach dringend benötigt wurden.

Wie sehr sich zerstörerische Hochwässer auf das Wirtschaftsleben ausgewirkt haben müssen,

zeigt die Anzahl der Durchfahrten von Salzschiffen durch die gefährliche Salzachschlinge bei

Laufen: Passierten in normalen Jahren zwischen 2500 und 3300 Schiffen die Stelle, so waren

es im Jahr 1572, durch das verheerende Hochwasser bedingt, gerade 1553. Zudem sanken an

der nahe der Stadt Laufen gelegenen Schiffslände (Anlegestelle) Altach 28 Schiffe. In ruhigen

Jahren dürften gerade ein bis zwei Schiffe beim Verkehr kaputt gegangen sein.

Ebenso verursachten die großen Überschwemmungen auch hygienische Probleme, und zwar

nicht nur, weil die Strassen und unteren Geschoße der Häuser überflutet wurden, sondern

auch, weil die Versorgung mit Trinkwasser unterbrochen wurde. 150 Rohre aus Fichtenholz,

die in einem Weiher nahe dem im Vorort Oberndorf gelegenen Wasserturm als Vorrat gela-

gert wurden (geeignetes Holz für Brunnrohre war in der Umgebung stets Mangelware), waren

1572 weggespült worden, ebenso die Salzachbrücke, über die seit 1540 die Rohrleitung von

Oberndorf in die Stadt führte.

Wels

Im Gegensatz zu heute bildete die Traun in der Gegend von Wels ein weitverzweigtes Fluss-

system, dessen Arme bis an die antike und mittelalterliche Südmauer der Stadt, den heutigen

Mühlbach, heranreichten. Das Flussbett war wohl gerade hier nur wenig eingetieft – und da-

durch für einen Übergang gut geeignet. Allerdings kam es immer wieder zu großen Über-

schwemmungen, bei denen zum Teil bedeutende Schottermassen abgelagert wurden, sodass

die Flussarme häufig ihren Verlauf änderten.

Seit der Römerzeit wissen wir auf Basis archäologischer Untersuchungen von Überschwem-

mungen der Traun, die das Leben der Menschen in Wels bzw. Ovilavis maßgeblich beein-

flusst haben müssen. Schon im frühen 2. Jahrhundert n. Chr., also noch vor der Errichtung der

römischen Stadtmauer, hatte eine Überschwemmungskatastrophe Teile der Stadt wohl völlig

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zerstört. Die ältesten römischen Gräberfelder liegen daher unter einer 1,5 bis 5 Meter dicken

sterilen Schotterschicht.

Die Quellen zur Geschichte von Wels im Frühmittelalter lassen keinerlei Rückschlüsse auf

Überschwemmungen den Traun zu. Auffallend ist jedoch, dass auch die deutlich verkleinerte

mittelalterliche Siedlung nahe am nördlichsten Seitenarm der Traun lag. Bald entwickelte sich

Wels wieder zu einem Verkehrsknotenpunkt, an dem die Straße den Fluss kreuzte. Vermut-

lich an derselben Stelle wie in der Römerzeit und heute wurde im wenig eingetieften und

durch mehrere Inseln untergliederten Bereich zwischen Aigen und dem späteren Trauntor eine

mehrteilige Holzbrücke errichtet, die auf weite Strecken der Brücke ähnlich gewesen sein

dürfte, wie sie noch der berühmte Merian-Stich des Jahres 1649 wiedergibt. Wann die mittel-

alterliche Brücke errichtet wurde, muss zwar unklar bleiben, doch sind seit dem 12. Jahrhun-

dert Nachrichten erhalten, die sich auf Brückenprivilegien beziehen.

Überschwemmungen der Traun sind für das Spätmittelalter mehrfach direkt oder indirekt

durch Urkunden und and anderes Verwaltungsschrifttum belegt: Im Jahr 1355 waren umfang-

reiche Reparaturarbeiten an der Welser Traunbrücke nötig, die in der zweitältesten der Welser

Bruckamtsrechnungen ihren Niederschlag finden; ganz offensichtlich war ein Hochwasser für

die entstandenen Schäden an der Brücke verantwortlich gewesen.

Mehrere Urkunden seit dem 14. Jahrhundert geben auch Aufschluss über den Hochwasser-

schutz: Am 5. Juni 1352 gewährte Herzog Albrecht II. von Österreich (1330-1358) den Bür-

gern von Wels auf zwei Jahre das Ungeld (eine Art Mehrwertsteuer) von Salz, Wein, Gewand

und anderen Waren auf der Maut zu Wels für Bauvorhaben der Stadt, insbesondere für Was-

serschutzbauten zu verwenden.

Eine weitere Urkunde mit demselben Datum betrifft ebenfalls den Hochwasserschutz. Darin

kommt ein offensichtlich aktuelles Problem beim Hochwasserschutz zutage: manche Grund-

besitzer weigerten sich, auf ihren Grundstücken öffentliche Schutzbauten errichten zu lassen.

Die beiden Urkunden Albrechts II. wurden jeweils in Wels selbst ausgestellt. Es ist daher an-

zunehmen, dass im Rahmen des Besuchs des Herzogs ein „Lokalaugenschein“ durchgeführt

worden ist, der schließlich zu den Regelungen über den Hochwasserschutz führte.

Die nächste Urkunde über den Hochwasserschutz stammt aus dem Jahr 1376; sie behandelt

einen weiteren Aspekt des Hochwasserschutzes: Der Stadtgraben bildete indirekt einen Teil

des Hochwasserschutzes, da er gleichsam ein Auffangbecken darstellte, das zumindest bei

kleineren Hochwässern die Schäden für die Stadt selbst gering hielt. Folgt man dem letzten

Satz der hier zitierten Bestimmungen, so dürfte der Stadtgraben bis dahin entweder noch nicht

vollständig ausgehoben oder in einem desolaten Zustand gewesen sein; er konnte somit offen-

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sichtlich keinen Hochwasserschutz bieten. Allerdings dürften derart große Projekte, vor allem

wenn sie unter Zeitdruck standen, die Möglichkeiten der Stadtbürger bei weitem überfordert

haben. Herzog Albrecht III. (1365-1393) forderte daher die Äbte der benachbarten Benedikti-

nerstifte Kremsmünster und Lambach zur Mithilfe auf. Es ist durchaus wahrscheinlich, dass

die Verstärkung der Befestigungsanlagen von Wels auch einem militärischen Zweck diente,

schließlich tobte zu jener Zeit die Fehde zwischen den habsburgischen Landesherrn und den

Grafen von Schaunberg.

Am 30. Dezember 1409 erließen die Herzöge Leopold IV. (1395-1411) und Ernst (1402-

1424) als Vormünder ihres Vetters Albrecht V. (1404-1439) eine weitere Urkunde für die

Bürger der Stadt Wels, in der Steuerschulden in der Höhe von 320 Gulden erlassen wurden,

um die Wasserschutzbauten voranzutreiben. Ganz offensichtlich war die Stadt in den Jahren

1408 und 1409 so sehr in neue Schulden geraten, dass sie selbst für die wichtigsten Maßnah-

men praktisch zahlungsunfähig war. Auch hier dürften Hochwasserschäden die Ursache für

die finanziellen Probleme der Stadt gebildet haben.

Eine ähnliche Ausrichtung wie die Urkunde von 1376 weist das Diplom König Friedrichs IV.

(1440-1493, der spätere Kaiser Friedrich III.) vom 26. Juni 1445 auf. Der König forderte dar-

in die Holden aller Grundherrschaften im Raum Wels auf, mit Robot (Zwangsarbeit) und Fuh-

ren auf Verlangen der Stadt zu helfen, um die schweren Schäden nach dem letzten Hochwas-

ser zu beheben und neuen Schäden vorzubeugen. Am 29. März 1469 erließ Kaiser Friedrich

III. erneut eine Urkunde, die sich mit der Bewältigung von Hochwasserschäden in Wels be-

fasste: Nach dem großen Wassereinbruch in die Stadt sollten alle Holden (unfreie Bauern)

und Wegleute im Umkreis von drei Meilen um die Stadt zu Hilfe kommen, um die Schäden

zu beseitigen.

Wenn auch die erwähnten Urkunden einen ersten Einblick in den Umgang der Welser Bürger-

schaft mit den Überschwemmungen geben, so bleiben diese Nachrichten doch auf einige gro-

ße Hochwässer beschränkt. Beschränkt man sich also auf diesen leichter zugänglichen Quel-

lenbestand, so bleiben viele Desiderate zurück: Von wie vielen großen Hochwässern wissen

wir, von wie vielen nicht? Wie oft traten kleinere Überschwemmungen auf? Welche Auswir-

kungen hatten sie? Lassen sich die materiellen Schäden der großen und kleineren Hochwässer

einigermaßen eruieren?

Die Antwort auf derartige Fragen können Urkunden und auch erzählende Quellen nicht oder

nur sehr lückenhaft geben. Im Falle von Wels freilich gewähren die Bestände der Bruckamts-

rechnungen zumindest für die Zeit ab der Mitte des 15. Jahrhunderts einen lebendigen Ein-

blick in den Umgang auch mit den kleineren Überschwemmungen. Wie die genaue Analyse

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im Folgenden zeigen wird, ist das aus den Urkunden rekonstruierte Bild in der Tat mehr als

lückenhaft. Die Welser Traunbrücke mag dabei gleichsam als Hauptindikator des Umgangs

mit den Hochwässern dienen.

Die Anfängen des Welser Bruckamts liegen im 13. Jahrhundert. Nach dem Übergang des

Brucklehens in die Gewalt der Stadt Wels wurde dieses einem Bruckamtsmeister unterstellt;

1298 ist dieser Amtsträger erstmals indirekt belegt.

Die Welser Bruckamtsmeister schufen in ihrer Verwaltungstätigkeit einen umfassenden Be-

stand an Rechnungen, in denen die Einkünfte über die St.-Ägidienkirche sowie die Ausgaben

für die Instandsetzung der Brücke festgehalten wurden. Einzelne Fragmente datieren aus den

Jahren 1350, 1355, 1397/98 und 1428; ab 1441 hingegen sind die Jahrgänge mit einigen Lü-

cken durchgehend erhalten und bilden so einen der bedeutendsten Bestände des Stadtarchivs

Wels, was die archivalischen Quellen zum 15. und 16. Jahrhundert betrifft.

Eine quantifizierende und statistische Auswertung der Bruckamtsrechnungen stößt freilich auf

größere Probleme: Zum einen stammen die Rechnungen von zahlreichen verschiedenen Bru-

ckamtsmeistern, die jeweils individuell die Abrechnungen gestalteten. So können die erwähn-

ten Preise für Bauholz oder die Löhne für die an den Reparaturarbeiten beteiligten Handwer-

ker nur mit einiger Vorsicht verglichen werden. Zum anderen sind manche Jahrgänge deutlich

detaillierter gestaltet als andere und zwar unabhängig von der Menge der Ausgaben. Die Ein-

tragungen erfolgten aller Wahrscheinlichkeit nach wöchentlich.

Es ist auch nicht immer klar, ob die angegebenen Holzmengen wirklich rein zur Instandset-

zung der Brücke und für andere Wasserschutzbauten im Umkreis der Brücke verwendet wur-

den oder auch anderen Zwecken dienten. Ein gewisser Handel mit dem in den Rechnungen

angeführten Holz ist zwar anzunehmen, vor allem die Abgabe alten Materials an Bruckamt-

suntertanen, doch ist er nicht konkret nachzuweisen.

Eine Ergänzung zu den Bruckamtsrechnungen bilden die seit der zweiten Hälfte des 15. Jahr-

hunderts weitgehend vollständig erhaltenen Abrechnungen des Stadtkammeramts, das seiner-

seits für die allgemeinen Schutzbauten gegen die Hochwasserbedrohung zuständig war. Noch

mehr als bei den Abrechnungen des Bruckamts kommen hier aber die Probleme zum Tragen,

ob das erwähnte Material sowie die bezahlten Leistungen tatsächlich dem Hochwasserschutz

oder vielmehr der allgemeinen Erhaltung des Stadtgrabens oder der Fischreusen zugute ka-

men.

Die Welser Traunbrücke des 15. und 16. Jahrhunderts bestand aus Holz und unterschied sich

wohl nicht wesentlich von der Brücke, wie sie auf dem berühmten Stich von Matthäus Merian

aus dem Jahr 1649 abgebildet ist. Gegliedert in mehrere Abschnitte führte sie unter Ausnut-

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zung der Schotterbänke und Aueninseln von Thalheim-Aigen zum Welser Trauntor. Die Pfäh-

le, die in den Fluss sowie in den Auengrund gerammt wurden, bestanden aus Eichenstämmen,

die vorwiegend bei Bauern aus der Umgebung angekauft wurden. Zudem wurden die Eichen-

stämme für die Joche verwendet. Auf den Eichenpfählen befestigte man größere Längsbalken,

die so genannten Ensbäume, und kürzere Querbalken, Streubäume genannt; das Holz kam in

Flößen traun- und agerabwärts nach Wels. Zusätzlich wurde noch eine geringere Menge an

nicht näher spezifiziertem Holz für die Errichtung der Geländer und Fleischbänke benötigt.

Ab den 1470er-Jahren tauchen vermehrt auch Angaben über Metallteile auf, die für die Brü-

ckenkonstruktion benötigt wurden, besonders Eisenschuhe, die wohl dazu dienten, dass die

Enden der Pfähle nicht so rasch moderten, diverse Metallbänder und natürlich mehrere Nagel-

arten.

In den folgenden quantitativen Auswertungen soll vor allem auf die Ausgaben für diese Holz-

sorten eingegangen werden, da sie mit einiger Sicherheit der Instandsetzung der Brücke zuge-

ordnet werden können. Es sollen zum einen die angekauften Mengen und zum anderen die

Preise dafür für den Vergleichszeitraum 1441 bis 1520 untersucht werden.

Jahr Eichenstämme Ensbäume Streubäume 1441 2 11 171 1442 fehlt komplett 1443 13 28 1559 1444 3 29 1013 1445 1 14 415 1446-1448 nur Einnahmerechnungen erhalten 1449-1458 fehlt komplett 1459 5 14 354 1460 0 1 72 1461 8 26 770 1462 9 44 1048 1463 8 47 584 1464 nur Einnahmerechnungen erhalten 1465-1470 fehlt komplett 1471 14 33 870 1472 3 14 1028 1473 1 32 906 1474 14 70 740 1475 0 11 407 1476-1477 fehlt komplett 1478 6 8 975 1479 23 12 268 1480 20 7 ca. 438 1481 10 31 ca. 760 1482 nur Einnahmerechnungen erhalten

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1483 8 16 1006 1484 6 22 665 1485 15 33 713 1486 1 44 917 1487 22 37 841 1488 7 8 248 1489 10 8 937 1490 5 20 1023 1491 13 64 ca. 612 1492 3 32 653 1493 25 38 729 1494 fehlt komplett 1495 16 24 335 1496 63 35 582 1497 15 31 1248 1498 1 37 803 1499 11 25 1185 1500 47 34 371 1501 43 8 556 1502 14+4 7 407 1503 0+85 33 112 1504 0 27 672 1505 0 8 629 1506 0 36 120 1507 12+24 47 176 1508 6 25 0? 1509 46 32 1325 1510 fehlt komplett 1511 19+22 ca. 23 1071 1512 48 69 1190 1513 6 36 1195 1514 0 16 656 1515 4 71 488 1516 33 119 1173 1517 1 45 1302 1518 0 21 323 1519 5 ca. 101 798 1520 18 19 467 Tab. 1: Holzankäufe des Welser Bruckamts für die Instandsetzung der Brücke anhand der erhaltenen Jahrgänge von 1441 bis 1520 (alle Angaben in Stück)

Jahr Eichenstämme Ensbäume Streubäume 1441 102 401 261 1442 fehlt komplett 1443 548 885 3065 1444 146 847 2178 1445 70 433 750 1446-1448 nur Einnahmerechnungen erhalten 1449-1458 fehlt komplett

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1459 217 528 780 1460 0 55 316 1461 337 1023 1693 1462 454 1723 2519 1463 301 1950 1175 1464 nur Einnahmerechnungen erhalten 1465-1470 fehlt komplett 1471 601 1473 1923 1472 96 557 2519 1473 50 1413 1939 1474 1142 2900 1728 1475 0 431 866 1476-1477 fehlt komplett 1478 360 271 2085 1479 1424 307 616 1480 1939 287 1103 1481 1170 1390 1871 1482 nur Einnahmerechnungen erhalten 1483 726 616 2325 1484 720 920 1330 1485 1455 1466 1531 1486 84 2000 2116 1487 1679 1622 1899 1488 367 404 574 1489 505 393 2323 1490 326 1046 2819 1491 1190 2450 1588 1492 178 1763 1772 1493 1498 2082 1846 1494 fehlt komplett 1495 756 1340 863 1496 2410 1753 1343 1497 758 1578 2587 1498 40 1761 1906 1499 560 1063 2945 1500 1835 1515 789 1501 1362 423 1501 1502 823+480 297 1082 1503 0+4180 1817 272 1504 0 1352 1408 1505 0 381 1450 1506 0 2062 360 1507 561+1860 2467 408 1508 184 1235 0? 1509 2526 2066 4780 1510 fehlt komplett 1511 1258+1020 1136 4383 1512 2234 2592 3549 1513 270 1816 3180

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1514 0 1120 2034 1515 280 4412 1579 1516 1561 6684 3338 1517 70 2444 3632 1518 0 1348 936 1519 248 5424 2427 1520 1110 1140 1480 Tab. 2: Preise der Holzankäufe des Welser Bruckamts für die Instandsetzung der Brücke an-hand der erhaltenen Jahrgänge von 1441 bis 1520 (alle Angaben in Pfennig)

Die folgenden Fallbeispiele sollen verdeutlichen, welche methodischen Probleme gegeben

sind, aber auch welche Möglichkeiten, wenn man die Welser Bruckamtsrechnungen für eine

Rekonstruktion der historischen Hochwässer sowie des Umgangs der Welser Bürger mit die-

sen Naturereignissen heranzieht.

Um die Jahrhundertwende ereigneten sich mehrere Hochwässer mit großen Schäden. Schon

1497 hatten sich im Mai und im Juni zwei Hochwässer mit schweren Schäden ereignet. Im

Juni 1499 dürften die Schäden sogar noch größer gewesen sein. Offensichtlich kam es durch

große Schuttablagerungen, da unter den Aufräumarbeiten vermehrt Männer für das stain

klauben bezahlt wurden. Zweimal finden sich Erwähnungen am Rande, dass der Bruckamts-

meister sich in den Linzer Landtag sowie nach Innsbruck begeben habe. Es ist anzunehmen,

dass er dort die oberösterreichischen Stände bzw. Kaiser Maximilian selbst um Hilfe gebeten

hat. Über den Erfolg seiner Mission ist freilich nichts bekannt. Im nicht ganz so schwierigen

Jahr 1500, in dem es vermutlich nur mittelschwere Überschwemmungen gab, kaufte man aber

wieder vermehrt Baumaterial nach: vor allem die 47 Eichenstämme sprechen eine deutliche

Sprache, wie sehr die Reparaturen des Vorjahres die Vorräte dezimiert haben müssen.

Die Überschwemmungen Mitte August des Jahres 1501 dürften wohl die größten gewesen

sein, die sich im Einzugsgebiet der Donau in historischer Zeit jemals ereignet haben. Kloster-

chroniken berichten eindringlich von den Auswirkungen der Flut. Der Verlauf ist im Donau-

raum auch durch zahlreiche Hochwassermarken dokumentiert, sodass sich die Flut in ihrer

Intensität gut rekonstruieren lässt. Somit ist es von ganz besonderem Interesse, wie sich dieses

„Jahrtausendhochwasser“ im Rahmen der Welser Bruckamtsrechnungen präsentiert: Schon in

den Einnahmenrechnungen des Welser Bruckamts finden sich unter der Rubrik „Ausstände“

mehrere Eintragungen, dass der garten oder das wisl hin sei. Schon im Juli hatte es offensicht-

lich Probleme an der Brücke gegeben, doch die Flut zu Maria Himmelfahrt stellte alle bishe-

rigen Hochwässer in den Schatten: Ein ganzer Abschnitt der Jahresabrechnung ist den Auf-

räumarbeiten gewidmet, die schon wenige Tage nach dem Höhepunkt der Flut begannen und

bis Anfang Dezember andauerten; in der Fastenzeit des Jahres 1502 wurden sie erneut aufge-

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nommen. Man arbeitete mit allen verfügbaren Kräften: jede Woche waren fünf Zimmerleute

und zahlreiche Knechte am Werk. Die Höhe und Wucht des Hochwassers lässt sich allerdings

nur an kleinen Nebenbemerkungen erahnen: So wurden Knechte dafür bezahlt, dass sie

Treibholz nicht nur aus den Jochen der Brücke beim Trauntor, sondern auch aus dem Trauntor

selbst geholt hätten. Die mittlere Brücke wurde offensichtlich völlig zerstört und nach einer

Zeit, in der die Menschen und Güter mit Zillen und Flößen übergeführt worden waren, not-

dürftig durch einen Steg ersetzt. Doch kaum hatten sich die Welser Bürger wieder einigerma-

ßen erholt, zerstörte im September 1503 erneut ein schweres Hochwasser die Brücke; danach

erst folgte eine etwas ruhigere Zeit, bis 1508 weitere zwei Hochwässer die Brücke so sehr

zerstörten, dass zwei Monate lang an ihrer Reparatur gearbeitet wurde.

Die Einnahmen- und Ausgabenrechnungen der Jahre 1502 bis 1504 geben Aufschluss dar-

über, wie sehr das Hochwasser von 1501 und die der angrenzenden Jahre die Wirtschafts- und

Sozialstruktur, aber auch die Landschaft veränderte. Zahlreich sind die Bemerkungen, dass

Abgaben von einem Gut geleistet wurden, das des NN gewesen ist. Viele Menschen hatten

offensichtlich ihre ufernahen Wiesen und Gärten aufgegeben oder waren gar selbst ein Opfer

der Fluten geworden. Plätze mit einer bestimmten Funktion wurden völlig zerstört und wohl

nicht mehr an derselben Stelle aufgebaut. Der Fluss schuf nach der Überschwemmung von

1501 aber auch Neuland, das daraufhin erstmals in den Einnahmelisten enthalten war.

Interessant ist schließlich auch ein Blick auf die Holzeinkäufe, die in den Jahren nach 1501

auffallend niedrig waren. Die Überschwemmungen im ganzen Land hatten Holz zu einer be-

gehrten Mangelware gemacht. So verwundert es kaum, dass im Jahr 1502 anstelle der Eichen-

stämme auch Lärchenstämme für die Pfähle angekauft wurden, um dem steigenden Bedarf

gerecht zu werden. In den Jahren 1503 bis 1506 waren dann die Eichenvorräte offensichtlich

endgültig erschöpft: kein einziger Eichenstamm wurde angekauft, dafür aber 1503 nicht we-

niger als 85 Lärchenstämme um die Summe von 4180 Pfennigen, die –wie der regelmäßige

Zusatz für stekchen andeutet – alle dem Zweck dienten, den sonst die Eichenstämme einnah-

men. Bei den Ensbäumen wiederum lässt sich eine mehr als 20prozentige Preissteigerung pro

Stück gegenüber den Vorjahren feststellen.

Wie an diesen Beispielen zu sehen war, ist für eine umweltgeschichtliche Auswertung weni-

ger der genaue Zeitpunkt des Holzeinkaufs, sondern die Menge über die Jahre hin von Bedeu-

tung; die Eintragungen zu den Notmaßnahmen und Reparaturarbeiten lassen aber tatsächlich

ein relativ genaues Bild von der Häufigkeit und vom Ausmaß der Überschwemmungen ent-

werfen. Die folgende Tabelle soll das Auftreten von Hochwässern im Spiegel der Bruckamts-

rechnungen verdeutlichen:

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Jahr Monat Art des Ereignisses Stärke 1441 kein Hochwasser, etc. 1442 fehlt komplett 1443 Juni/Juli Hochwasser mit Schäden, Hagel? stark 1444 Juni/Juli Hochwasser? gering 1445 April/Mai Hochwasser mit Schäden stark 1446-1448 nur Einnahmerechnungen erhalten 1449-1458 fehlt komplett 1459 kein Hochwasser, etc. 1460 April/Mai Hochwasser gering 1461 Ende August Hochwasser mit Schäden mittel 1462 August Hochwasser gering 1463 März / August Eisstöße? Hochwasser? gering 1464 nur Einnahmerechnungen erhalten 1465-1470 fehlt komplett 1469 Februar, März Hochwasser mit schweren Schäden stark 1471 Sommer Hochwasser? gering 1472 Sommer Hochwasser? gering 1473 Sommer Hochwasser? gering 1474 Juni/Juli Hochwasser mittel 1475 kein Hochwasser, etc. 1476-1477 fehlt komplett 1478 Sommer? Hochwasser mit schweren Schäden sehr stark 1479 April/Mai Hochwasser mittel 1480 Mai/Juni Hochwasser gering 1481 Februar Eisstöße? mittel 1482 Jänner Eisstöße? mittel 1483 kein Hochwasser, etc. 1484 Juni? August? Hochwasser gering 1485 Juni bis September vier Hochwässer mit Schäden stark 1486 Februar, Mai zwei Hochwässer mittel 1487 Juli Hochwasser? gering 1488 kein Hochwasser, etc. 1489 November Hochwasser mit Schäden stark 1490 Juli Hochwasser mittel 1491 Mai/Juni Hochwasser gering 1492 Mai Hochwasser mit schweren Schäden sehr stark 1493 Juli Hochwasser gering 1494 fehlt komplett 1495 März Hochwasser? gering 1496 August Hochwasser mittel 1497 Mai, Juni zwei Hochwässer mit Schäden stark 1498 März, August? Hochwasser mittel 1499 Juni Hochwasser mit schweren Schäden sehr stark 1500 April, Mai zwei? Hochwasser mit Schäden mittel/stark 1501 Juli?, August katastrophales Hochwasser extrem stark 1502 kein Hochwasser 1503 September Hochwasser mit schweren Schäden sehr stark

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1504 Mai Hochwasser mittel 1505 Mai/Juni, August zwei Hochwässer mittel 1506 Juli Hochwasser? gering 1507 August? Hochwasser? mittel 1508 Juli, August zwei Hochwässer mit Schäden sehr stark 1509 Herbst? Hochwasser? gering 1510 fehlt komplett 1511 Juli Hochwasser mit Schäden stark 1512 kein Hochwasser? 1513 kein Hochwasser 1514 Juni, August zwei Hochwässer gering/mittel 1515 Sommer Hochwasser mit Schäden schwer 1516 Juni Hochwasser gering/mittel 1517 Juli Hochwasser gering/mittel 1518 kein Hochwasser 1519 April, Juni, Sept. drei Hochwässer mit Schäden stark 1520 August Hochwasser mit schweren Schäden sehr stark Tab. 3: Aus den Welser Bruckamtsrechnungen ableitbare Hochwässer der Traun, 1441-1520

Wenn die Brücke durch ein Hochwasser zerstört war, wurde ein Fährverkehr eingerichtet. Im

Jahr 1478 etwa war die Traun für zumindest drei Tage nur mit Zillen oder Flößen überquer-

bar, vermutlich aber dauerte es noch deutlich länger, bis auch Lasten wieder über den Fluss

geführt werden konnten. Die Eintragung, dass vier Knechte für 15 Tage die Lebensmittelver-

sorgung aufrecht erhalten und damit größeren Schaden abgewendet hätten, zeigt, wie drama-

tisch die Lage damals in Wels gewesen sein muss. Für den Bruckknecht wurde eigens eine

spezielle Kleidung für die Arbeiten zur Bewältigung der Katastrophe angeschafft. Die wö-

chentlich abgefassten Berichte über die Arbeiten zur Instandsetzung der Brücke machen deut-

lich, dass der Wiederaufbau sechs Wochen oder noch länger dauerte. Auffallenderweise wur-

de im Jahr 1478 eher wenig Holz angekauft: entweder hatte man viel Holz auf Vorrat oder es

war nach dem Hochwasser einfach kaum zu bekommen.

Auch für einige weitere Jahre deuten Eintragungen in den Bruckamtsrechnungen darauf hin,

dass Fischer und Schiffleute die Überfuhr besorgten. 1492 verwüstete ein Hochwasser kurz

vor Christi Himmelfahrt (31. Mai) die Brücke erneut, sodass ein Fährverkehr eingerichtet

werden musste. Die Zimmerleute und Knechte errichteten von Flößen und Zillen aus zunächst

einen Steg, um dann weiterhin von Flößen aus die Pfähle und Joche zu erneuern. Die Repara-

turarbeiten dauerten bis Ende Juli und noch im September war man mit den Arbeiten an den

Fleischbänken beschäftigt.

Auch beim „Jahrtausendhochwasser“ des Jahres 1501 wurde die Überfuhr durch Schiffleute,

Fischer und Knechte besorgt. Zumindest 14 Personen brachten Menschen und Güter auf die

jeweils andere Traunseite sowie Baumaterialien zu den zerstörten Brückenteilen. Nach drei

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Tagen dürfte ein einfacher Steg fertiggestellt worden sein, der noch fünf Wochen nach dem

Hochwasser in Gebrauch war. Es ist unklar, ob die Brücke überhaupt schon wieder zur Gänze

repariert war, als ein schweres Hochwasser im September 1503 erneut die Brücke so sehr zer-

störte, dass man vier Tage lang die Überfuhr mit Zillen und Flößen besorgen musste.

Die Überschwemmungen richteten nicht nur Schäden an der Traunbrücke an, sondern bedroh-

ten auch die Holzlagerplätze. Gerade Eichenstämme und Ensbäume stellten einen derart gro-

ßen Wert dar, dass sie offensichtlich unter großem Aufwand wieder flussaufwärts geführt

wurden, wenn die Flut sie abgedriftet hatte. Ob wie an der Salzach sogar ein strenges Verbot

erlassen wurde, abgedriftetes Holz in Besitz zu nehmen, ist nicht nachzuweisen. Jedenfalls

stellte es 1485 für den Bruckamtsmeister kein Problem dar, von einem Bauern einen Ensbaum

zu kaufen, den dieser aus dem Hochwasser gefischt hatte.

Außerdem finden sich in den Bruckamtsrechnungen auch einige Nachrichten, die auf die Be-

einträchtigung des Schiffverkehrs auf der Traun durch Hoch- und Niedrigwässer hinweisen.

Spätestens seit dem Mittelalter, wohl aber auch schon in der Eisenzeit und während der Rö-

merherrschaft wurden auf der Traun vor allem Salz und Holz transportiert. Wels galt vor al-

lem für Holz als wichtiger Umschlagplatz, wie auch der Stich von Merian für das 17. Jahr-

hundert belegt.

Sowohl bei Hoch- als auch bei Niedrigwasser kam es immer wieder vor, dass Flöße oder

Salzschiffe den Bereich um die Welser Traunbrücke nicht passieren konnten: Zum Einen ver-

hinderte Treibholz, das sich an den Brückenpfeilern oder den in den Fluss gerammten Pfählen

vor der Brücke verfing, die Weiterfuhr; für fast jedes Jahr finden sich in den Bruckamtsrech-

nungen Nachrichten, die von Zahlungen an die Fischer oder an Knechte erwähnen, weil sie

das Holz aus dem Brückenbereich ausgeräumt hatten. Zum Anderen herrschte in dem bei

Wels weit verzweigten Flusssystem der Traun gerade im Herbst und Frühwinter so starkes

Niedrigwasser, dass selbst die flachen Flöße immer wieder auf Grund liefen und von den Fi-

schern wieder flott gemacht werden mussten. Bei Hochwasser wiederum gab es bisweilen

kein Durchkommen unter der Brücke mehr. Schließlich hinderten auch alte Pfähle die Durch-

fahrt und stellten allgemein eine Gefahr dar; sie mussten eigens von Fischern geräumt wer-

den.

Auch die Fleischbänke, die sich aus hygienischen Gründen außerhalb der Stadt auf der Brü-

cke vor dem Trauntor befanden, fielen weitgehend in den Kompetenzbereich des Welser Bru-

ckamts. Ihre Zahl variierte im Wandel der Zeiten: 1444 werden zwei erwähnt, wie auch auf

dem Merianstich des Jahres 1649 zu sehen ist; für das Jahr 1520 sind sogar acht belegt. Sie

standen auf Pfählen am Rande der Brücke und waren daher ebenso von Hochwässern und

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Eisstößen gefährdet wie die Brücke selbst. Es ist daher nicht verwunderlich, dass sie wie die

Brücke immer wieder erneuert werden mussten, weil Hochwässer oder auch andere Naturge-

walten sie in Mitleidenschaft gezogen hatten. Zudem wurden sie für besondere Anlässe immer

wieder erneuert: schon 1443 wird ihre Ausbesserung im Zusammenhang mit dem Besuch

König Friedrichs IV. erwähnt.

Die Welser Bruckamtsrechnungen stellen somit eine Fundgrube für zahlreiche Fragestellun-

gen dar. Fast jährlich haben demnach Hochwässer stattgefunden; viele davon brachten Zerstö-

rungen mit sich. Die Holzeinkäufe des Welser Bruckamts sprechen eine deutliche Sprache,

wie viel Holz stets nötig war, um die Schäden der Brücke wieder zu reparieren. Allerdings ist

es nicht möglich, von der Höhe der Holzeinkäufe in einem Jahr auf das Vorhandensein von

Überschwemmungen zu schließen. Vielmehr kaufte das Welser Bruckamt kontinuierlich ein,

besonders auch in den weniger von Hochwasser beeinträchtigten Jahren. Hingegen deuten die

Art und die Menge der Handwerksarbeiten, für die das Bruckamt Löhne bezahlte, deutlich

präziser auf das Auftreten von Hochwässern hin: In den meisten Fällen kann das Naturereig-

nis auf die Woche genau datiert werden und auch die Dauer der Arbeiten lässt sich in der Re-

gel gut fassen. Der Umgang der Menschen mit dem Hochwasser war in höchstem Maße von

rationalem Denken geprägt: Kein einziges Mal ist von Klagen oder gar einer Erklärung als

Strafe Gottes die Rede. Hingegen versuchten die Menschen der alltäglichen Probleme, die

durch die Überschwemmungen entstanden, Herr zu werden: Da offensichtlich das Grundwas-

ser in den Brunnen immer mehr eine hygienische Bedrohung darstellte, entschloss man sich

1517 zum Bau einer Wasserleitung, die entlang der Brücke die Traun überquerte. Allein das

„Jahrtausendhochwasser“ von 1501 dürfte größere Einschnitte in die Sozialstruktur am Fluss

verursacht haben: Zahlreiche Gärten und Wiesen waren zerstört, Menschen hatten ihre Güter

verlassen und sie verkauft oder waren gar in den Fluten ums Leben gekommen. Somit lässt

sich auf diese Weise für Wels eine „Überschwemmungskultur“ nachweisen, d. h. dass die

Menschen sich auf den Fluss mit seinen Überschwemmungen so gut es ging einstellten und

ihn als Teil ihres Lebens akzeptierten.

Der wirtschaftliche Nutzen der Lage am Fluss – Mauten

Die Raffelstetter Zollordnung (903/905) ist das früheste ausführliche Zeugnis vom Handel an

der Donau und den Mauten im heute ober- und niederösterreichischen Bereich. Sie verdankt

ihren Namen der heute noch existierenden Ortschaft Raffelstetten, die in der Nähe von Asten

nächst der Donau liegt.

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Die Entstehung der Raffelstetter Zollordnung geht auf eine Beschwerde des bayerischen A-

dels bei König Ludwig dem Kind zurück. Demnach seien die Adeligen in ihrem Osthandel

ungerechtfertigt mit Mauten und Zöllen belegt worden. Der König beauftragte daraufhin den

Markgrafen Aribo, eine geregelte Zollordnung für den betroffenen Donaubereich zu erstellen.

„Es sei allen gegenwärtigen und künftigen Rechtsgläubigen zu wissen, dass eine

bittere Klage aller Bayern, der Bischöfe, Äbte, Grafen und aller, die ihr Weg ins

Ostland führt, vor König Ludwig kam. Sie sagten, dass sie in jener Gegend durch

ungerechten Zoll und übermäßiger Maut sehr stark belastet werden. Jener aber hör-

te dies nach Sitte seiner königlichen Vorgänger mit geneigtem Ohr und trug dem

Markgraf Aribo auf, dass er bei den Richtern des Ostlandes, denen dies bekannt

war, nachforsche und die rechten Zollstätten und die Art der Zolleinhebung in Er-

fahrung bringe. [...]“

Als geregelte Zollstätten nennt die Urkunde Rosdorf, Linz, Ebersburg und Mautern. Bekannt

sind heute nur mehr Linz und Mautern, die beiden anderen Orte verschwanden in den Ge-

schichtsquellen. Die erste Mautstelle Rosdorf lag vermutlich im Aschacher Becken.

In der Art und Höhe der abzugebenen Maut unterschieden sich die Zollstätten. In Rosdorf

bevorzugte man, im Gegensatz zu Linz, Ebersburg und Mautern, Geld anstelle von Waren.

Wegen dieses Umstandes nimmt man an, dass in Rosdorf im Gegensatz zu den drei anderen

Mautstellen kein Markt vorhanden war, auf dem man die Waren zum Verkauf anbieten konn-

te. Vielmehr geht man davon aus, dass die Maut in Rosdorf eine zu leistende Abgabe war, die

die Händler grundsätzlich zu entrichten hatten, sobald sie ihre Waren in ein Marktgebiet ein-

führten. Als wichtigster Exportartikel galt das Salz. So hatte in Linz jedes passierende Salz-

schiff drei scafilos (Scheffel) Maut zu entrichten. Für andere Handelsgüter, wie beispielsweise

unfreie Dienstboten und Arbeitskräfte oder auch Salz, welches für den Eigenbedarf der Güter

im Osten Verwendung fand, wurden keinerlei Abgaben verlangt. Schiffe, die sich der stren-

gen Deklarationspflicht entzogen und Versuche unternahmen, den Zoll zu umgehen, wurden

mitsamt ihrer Ladung beschlagnahmt. Zudem hatten ihre Schiffsführer mit einer Gefängnis-

strafe zu rechnen und wurden meist erst durch den Auftraggeber des Transports ausgelöst.

„Wenn aber ein Freier diesen Markt passiert, ohne Zoll zu zahlen oder die Ware zu

deklarieren und er dabei ertappt wird, dann soll ihm Schiff und Ladung genommen

werden. Wenn aber ein Unfreier dabei ertappt wird, soll er festgehalten werden, bis

sein Herr kommt und ihn auslöst; dann darf er gehen.“

Als das Reich kurz nach der Raffelstetter Zusammenkunft eine schwere Niederlage gegen die

Magyaren erlitt, wurde auch der organisierte Exporthandel in Richtung Osten mehr oder we-

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niger unterbrochen. Die lokalen Machthaber verloren die Kontrolle über Zölle und Mauten,

die Händler konnten nicht mehr mit dem Schutz ihrer Güter durch den König rechnen. Erst

am Ende des 11. Jahrhunderts kam es wieder zu einem Aufschwung des Donauhandels.

Die erste urkundliche Erwähnung von Zollstätten entlang der Donau findet man bereits im 9.

Jahrhundert. Ihren Höhepunkt erlangten die Abgabestellen jedoch erst mit dem Aufkommen

der Geldwirtschaft im 13. Jahrhundert und stellten eine der wichtigsten Finanzquellen dar.

Anfänglich waren alle Händler nur dem König mautpflichtig, im 12. Jahrhundert konnten

jedoch auch die einzelnen Landesherren mit Erlaubnis des Königs Zölle einfordern. Viele

Zollstätten wurden allerdings im 13. und 14. Jahrhundert aufgrund finanzieller Nöte der Lan-

desherren verpachtet oder abgegeben.

Für die Entstehung von Zollstätten waren vor allem die geographischen Voraussetzungen von

Bedeutung. So finden sich Mautstellen meist an Orten, an denen die Donau eine Engstelle

verlässt, wie es in Aschach der Fall ist, oder in eine solche eintritt. Innerhalb solcher enger

Flussabschnitte begegnete man hingegen ausschließlich Raubzöllen. Ein Beispiel hierfür wäre

die Raubritterburg Viechtenstein, die donauaufwärts in der Nähe von Engelhartszell liegt.

Bei der Bemessung der Zölle und Mauten existierten im Mittelalter keinerlei einheitliche

Zollsätze. Die Menge der zu entrichtenden Abgaben richtete sich entweder nach der Ware, die

transportiert wurde, oder nach der Größe der Schiffe. Auch für die Pferde, die die Schiffe

stromaufwärts zogen, wurde Maut eingehoben. Der Mautsatz der Flöße richtete sich nach der

Zahl der Ruder. Je größer die Ruderzahl, desto höher war die Abgabe, die zu entrichten war.

Als Beispiel mag die Aschacher Maut genügen, die in der Hand der Schaunberger Grafen lag.

Man geht davon aus, dass die Erbauung der Schaunburg, der Stammburg des Adelsge-

schlechts westlich von Eferding in etwa in die Zeit um 1160 fiel, nachdem die Schaunberger

die sehr ertragreiche Maut zu Aschach erworben hatten. Die Feste sollte unter anderem den

Schutz des Maut- und des Donauweges garantieren. Die Maut blieb bis 1332 in der Hand der

Schaunberger und wurde danach für 1500 Dukaten an die Bürger von Regensburg verpfändet.

Zollerleichterung gab es freilich für manche Klöster sowie für die Bürger bestimmter Städte,

etwa für Händler aus Nürnberg, Passau, Steyr und Tulln.

Leben am Meer – Das Beispiel Venedig

Die Anfänge der Lagunenstadt Venedig liegen im Dunkeln. Die große Bucht mit ihren Sand-

bänken sowie ihr Hinterland dürfte aber schon in römischer Zeit besiedelt gewesen sein. In

den Wirren der Völkerwanderung versprachen sich die Menschen Schutz, indem sie die vor-

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handenen kleinen Laguneninseln, Sandbänke und Wasseruntiefen ausbauten. Der veneziani-

schen Tradition nach begann die Besiedlung des späteren Venedig im Jahr 421 n. Chr. nach

dem Hunneneinfall des Jahres 451 dürfte es zu einer zweiten Ansiedelungswelle gekommen

sein. Jedenfalls war Venedig im Jahr 539 schon so groß, dass sie es Wert war, von den Byzan-

tinern erobert zu werden. Die Menschen der damaligen Zeit hatten schon Fähigkeiten entwi-

ckelt, die Wasseruntiefen und Kanäle zu ihrem Zweck zu nutzen. So schreibt der am ostgoti-

schen Königshof tätige römische Beamte Cassiodor in der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts:

„Da ihr über zahlreiche Schiffe verfügt, mögt ihr für den Transport sorgen [Trans-

porte im Auftrag Theoderichs von Istrien in dessen Hauptstadt Ravenna]. Nehmt

die Wege, die man eure Straßen nennen könnte ... Eure Kiele fürchten die Un-

ebenheiten des Bodens nicht ... Von ferne, wenn man den Kanal, der die Schiffe

trägt, nicht sieht, scheint es fast, als führen sie über Wiesen. ... Anstatt Pflug und

Sichel handhabt ihr die Kessel, um das Salz herzustellen. Daher kommen eure

Einkünfte. ...“

Cassiodor verglich zudem die Wohnstätten der Einwohner von Venedig mit „Nestern von

Wasservögeln“, die in einem Gebiet liegen, „um das der Streit von Meer und Land tobt“. Die

Ortswahl in der Lagune im Übergang von Land zu Wasser hatte somit vor allem Schutzfunk-

tion – und Venedig war durchaus nicht das einzige Beispiel für eine Städtegründung in der

Lagune: Auch das weiter östlich gelegene Grado wurde gegründet, als die Bewohner von

Aquileia vor dem Einfall der Langobarden im Jahr 568 flohen. Dieser Langobardeneinfall

brachte auch für die Entwicklung Venedigs weitere Impulse. In der damaligen zeit waren vor

allem die kleineren Inseln nördlich des heutigen Zentrums besiedelt: Torcello, Burano und

Murano. Venedig stand zwar nach wie vor unter der Herrschaft von Byzanz bzw. unter der

des byzantinischen Vasallenstaates Ravenna. In den Konflikten des 8. Jahrhunderts zwischen

Byzantinern, Langobarden und Franken konnte sich Venedig immer mehr eine eigenständige

Position sichern. Unter der Führung eines auf Lebenszeit gewählten Dogen (abgeleitet von lat.

dux = Führer, Herzog) behaupteten sich die Venezianer etwa auch gegen einen Angriff von

Pippin, dem Sohn Karls des Großen, im Jahr 809. Die damaligen Zerstörungen führten aber

dazu, dass das Zentrum der Stadt auf die zahlreichen Inseln um den fast uneinnehmbaren Ri-

alto verlegt wurde, d.h. in das Gebiet um den heutigen Canal Grande. Die Inseln wurden wei-

ter aufgeschüttet, die Kanäle eingetieft, sodass allmählich das heutige Bild von Inseln und

Kanälen entstand. Unzählige Holzmassen waren nötig, um auf Pfosten, die in den Sand ge-

rammt wurden, die Häuser zu errichten. Ein nicht unbeträchtlicher Teil der Holzarmut im

Apennin geht auf den Holzbedarf für Venedig zurück.

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Ab 812 stand Venedig zwar offiziell unter byzantinischer Oberhoheit, doch begünstigte die

große Distanz nach Konstantinopel die weitere eigenständige Entwicklung. Im Jahr 828 wur-

den von den beiden venezianischen Kaufleuten Buono und Rustico die Reliquien des Evange-

listen Markus aus Alexandria überführt – oder besser geraubt: angeblich versteckt zwischen

Schweinefleisch, um sie an den muslimischen Zöllnern vorbeizuschmuggeln. Der Kult um

den Hl. Markus, für den schon rasch eine erste Kirche errichtet wurde, war in der Folge wich-

tig für das Selbstverständnis der Stadt. Der Markuslöwe wurde zum Wappentier und ist heute

nicht nur in Venedig, sondern auch in allen ehemaligen Besitzungen am Festland, an der dal-

matinischen Küste und selbst in der griechischen Inselwelt zu finden.

Im Hochmittelalter vollzog Venedig endgültig den Wandel zur wichtigsten Seemetropole in

der Adria, ja später sogar im gesamten östlichen Mittelmeer. Dass die Venezianer bei der

Ausdehnung ihrer Macht nicht immer zimperlich waren, zeigt der 4. Kreuzzug. Die Venezia-

ner stellten die Schiffe für den Transport des Kreuzfahrerheeres, ließen aber dafür als „Bezah-

lung“ die Stadt Konstantinopel plündern. Zahlreiche spätrömische Schätze, etwa auch die

berühmten Bronzepferde, die sich heute am bzw. im Markusdom befinden, gelangten damals

nach Venedig. Zudem sicherte sich die Stadt auch den Rang der wichtigsten Handelsmetropo-

le im östlichen Mittelmeerraum und konnte sich auch gegen den großen Konkurrenten Genua

durchsetzen. Erst in der Frühen Neuzeit, als der Überseehandel immer mehr die Wirtschaft

dominierte, nahm der Einfluss Venedigs allmählich ab. Napoleon eroberte 1797 die Adelsre-

publik und machte sie zur Provinzstadt.

Schon im Jahr 1000 wurde die gesamte ostadriatische Küste unterworfen. Als Zeichen Erinne-

rung an diesen Beginn der Seeherrschaft feierte man bis zum Ende der Republik Venedig im

Jahr 1797 die so genannte Festa della Sensa, die symbolische Vermählung Venedigs mit dem

Meer. Die gesamte Bevölkerung zog mitsamt ihres Dogen auf prachtvoll geschmückten Schif-

fen in die Lagune hinaus. Der Doge benutzte dabei ein ganz besonders prunkvolles Schiff,

den so genannten Bucintoro (im berühmten Gemälde von Canaletto aus der 1. Hälfte des 18.

Jh. rechts hinten vor dem Dogenpalast) und warf dann in einem feierlichen Ritus einen golde-

nen Ring ins Wasser, nach anderen Berichten auch einen Becher oder einen Lorbeerkranz.

Dazu sprach er die Worte: „Wir heiraten dich, o Meer, zum Zeichen wahrer und dauernder

Herrschaft“. Der englische Chronist John Evelyn beschrieb das fest im Jahr 1645 folgender-

maßen:

„Nachdem der Doge in seinen Staatsgewändern (die sehr eigenwillig, nach östli-

cher Manier gearbeitet sind) zusammen mit den Senatoren in ihren Amtsroben der

Messe beigewohnt hatte, bestieg er den prachtvoll bemalten, mit Schnitzereien

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verzierten und vergoldeten Bucintoro, der von zahllosen Galeeren, Gondeln und

Booten voller Zuschauer umkreist und gefolgt war. Manche Leute waren mas-

kiert, andere haben Trompeten und andere Musikinstrumente mitgebracht, wieder

andere Kanonen. Wenn sie etwa eine Wegstunde in den Golf gerudert sind, wirft

der Doge unter dem Beifall der Zuschauer vom Bug aus einen goldenen Ring und

einen Becher ins Meer. Das ist das Zeichen für die Kanoniere am Arsenal und am

Lido, die mit Ohren betäubenden Salutschüssen das freudige Ereignis begrüßen.“

Das am Sonntag nach Christi Himmelfahrt veranstaltete Fest wurde in den letzten Jahren wie-

derbelebt – wie auch der berühmte Karneval, der 1797 von Napoleon abgeschafft wurde und

erst 1980 in der heutigen Form neu geschaffen wurde.

Allgemein lässt sich die Verbindung Venedigs mit dem Meer besonders gut an der Festkultur

ablesen. Neben der Festa della Sensa prägten vor allem Regatten den Umgang mit dem Meer.

Am berühmtesten ist dabei die so genannte Volgalonga, das „Lange Rennen“, das jährlich am

Sonntag nach der Festa della Sensa über 32 Kilometer bis nach Burano und wieder zurück

führt. Es ist interessant, dass es im 18. Jh. nicht nur Männerregatten gab, sondern auch eine

Frauenregatta, wie das Gemälde von Gabriele Bella aus der Mitte des 18. Jh. zeigt. Heute

würden weibliche Gondolieri wohl als schwere Beleidigung der venezianischen Traditionen

angesehen werden.

Abschließend sei ein Aspekt des Lebens mit dem Wasser in Venedig erwähnt, der bis heute

aktuell geblieben ist: die Acqua Alta, das Hochwasser. Darunter ist freilich nicht das Hoch-

wasser infolge von Regen oder Schmelzwasser zu verstehen, sondern das Zusammenspiel

zwischen allmählichem Absinken des Bodenniveaus in Venedig verbunden mit einem hohen

Gezeiten- und Wellenstand in der Lagune. Jedes Jahr wieder werden zentrale Bereiche Vene-

digs wie der Markusplatz überschwemmt; die Schäden an der Häusersubstanz sind mitunter

groß, nicht zuletzt, da das Wasser der Lagune durch die Abwässer vom Festland (Industriege-

biet Mestre) sowie aus Venedig selbst (die Stadt besitzt bis heute keine Kanalisation!!!) ex-

trem verschmutzt ist. In den letzten Jahren hat man versucht, die Lagune durch einen langen

Damm zu schützen, der mit einem mobilen Stahlschleusensystem verbunden ist, um Sturmflu-

ten über 1,20 Meter Höhe abzuhalten. Das so genannte Projekt MOSE (Modulo Sperimentale

Elettromeccanico) vergrößerte aber die ökologischen Probleme der Lagune noch mehr, da die

Gezeiten zumindest für eine gewisse „Selbstreinigung“ der Lagune gesorgt hatten. Man hat

daher 1990 das Projekt MOSE nach dem Probebetrieb wieder eingestellt und sucht seitdem

weiter nach Lösungen. Vor allem die Schadstoffbelastung durch Industrie und Kunstdünger

soll stärker verringert werden. Die Versorgung der Stadt mit Öl soll nur mehr über Pipelines

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vom Festland und nicht mehr durch große Öltanker erfolgen – aber bis zu einer sauberen La-

gune Venedig ist es wohl noch ein langer Weg.

Literatur:

Stefan Achleitner, Strom und Umwelt. Das Eferdinger Becken im Mittelalter (phil. Diplomar-

beit), Salzburg 2004.

Heinz Dopsch, Hans Roth (Hg.), Laufen und Oberndorf. 1250 Jahre Geschichte, Wirtschaft

und Kultur an beiden Ufern der Salzach, Laufen, Oberndorf 1998.

Kurt Heller, Venedig. Recht, Kultur und Leben in der Republik 697-1797,

Wien/Köln/Weimar 1999.

Willibald Katzinger, Die Raffelstetter Zollordnung. Literaturübersicht, Linz 1979.

Michael Mitterauer, Markt und Stadt im Mittelalter. Beiträge zur historischen Zentralitätsfor-

schung (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 21), Stuttgart 1980.

Christian Rohr, Der Fluss als Ernährer und Zerstörer, Zur Wahrnehmung, Deutung und Be-

wältigung von Überschwemmungen an den Flüssen Salzach und Inn (13.-16. Jahrhundert), in:

Monika Gisler, Katja Hürlimann, Agnes Nienhaus (Hg.), Naturkatastrophen / Catastrophes

naturelles (Themenband von Traverse. Zeitschrift für Geschichte / Revue d’Histoire 2003, 3,

Zürich 2003), 37-49.

Christian Rohr, Überschwemmungen an der Traun zwischen Alltag und Katastrophe. Die

Welser Traunbrücke im Spiegel der Bruckamtsrechnungen des 15. und 16. Jahrhunderts, in:

Jahrbuch des Musealvereines Wels 33 (2001/2002/2003), 281-328 (erschienen 2004).