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WS 2010/2011 VO Textlinguistik (PATOCKA) A. SIGMUND Seite 1 / 21 VO Textlinguistik(Franz PATOCKA) Allgemeines/Organisatorisches Inhalt der Lehrveranstaltung: Text als Betrachtungsgegenstand Vorläufer der Textlinguistik Wer ist interessiert an Texten? Definition/en der Textlinguistik (umgangssprachlich, linguistisch) Hauptrichtungen Forschungsrichtungen (zB: Isotopieansatz, va. prozedualer Ansatz!) Textualität (= Kriterien, damit ein sprachliches Gebilde als kommunikativer Text gilt) Textphorik (= Verweise und Verweisrelationen im Text und die Bezugnahme sprachlicher Ausdrücke im Text auf andere sprachliche Ausdrücke oder auf situative Elemente) funktionale Satzperspektive (thematische Progression/Thema-Rhema) Textsorten & Problematik TEXT als BETRACHTUNGSGEGENSTAND wissenschaftliche Betrachtung relativ neu (seit 60er Jahre strukturierte Analyse) bekannte Textlinguisten: Klaus Brinker, Ulrich Dressler, Alain-Robert de Beaugrande VORLÄUFER der TEXTLINGUISTIK: nicht einzige Disziplin, die sich mit Texten beschäftigt sehr viele Disziplinen wie zB: 1. (antike) Rhetorik = Kunst der öffentlichen Rede und Ausbildung von Rednern (viele Regeln für Rhetorik) Schritte der antiken Rhetorik : inventio (lat.: invenire - finden) = Finden passender Ideen dispositio = Anordnung der Ideen und Argumente elocutio = sprachliche Ausformulierung/Ausschmückung memoratio = Einprägen im Gedächtnis (Auswendiglernen) actio = Rede per se (inkl. Mimik und Gestik) dispositio und elocutio sind wichtig für Textlinguistik und geben textbildende Regeln vor (zB: Anknüpfungen von Sätzen an andere logische Folge/Kohärenz, Bezüge innerhalb und zu einem überbezogenen Thema) Übergang Idee Ausdruck kann gelernt/geübt werden Texte mit logischem Textaufbau (lt. antiker Rhetorik) qualitativ besser 2. Stilistik = Lehre vom angemessenen Sprachgebrauch (Korrektheit, Klarheit, Eleganz) geeignete Mittel situationsadäquat auswählen Unterschied zur Rhetorik : Stilistik umfasst alle Bereiche (Rhetorik nur öffentliche Rede)

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WS 2010/2011 VO Textlinguistik (PATOCKA)

A. SIGMUND Seite 1 / 21

VO „Textlinguistik“ (Franz PATOCKA)

Allgemeines/Organisatorisches Inhalt der Lehrveranstaltung: Text als Betrachtungsgegenstand

Vorläufer der Textlinguistik

Wer ist interessiert an Texten?

Definition/en der Textlinguistik (umgangssprachlich, linguistisch)

Hauptrichtungen

Forschungsrichtungen (zB: Isotopieansatz, va. prozedualer Ansatz!)

Textualität (= Kriterien, damit ein sprachliches Gebilde als kommunikativer Text gilt)

Textphorik (= Verweise und Verweisrelationen im Text und die Bezugnahme sprachlicher Ausdrücke im Text auf andere sprachliche Ausdrücke oder auf situative Elemente)

funktionale Satzperspektive (thematische Progression/Thema-Rhema)

Textsorten & Problematik

TEXT als BETRACHTUNGSGEGENSTAND

wissenschaftliche Betrachtung relativ neu (seit 60er Jahre strukturierte Analyse)

bekannte Textlinguisten: Klaus Brinker, Ulrich Dressler, Alain-Robert de Beaugrande

VORLÄUFER der TEXTLINGUISTIK:

nicht einzige Disziplin, die sich mit Texten beschäftigt sehr viele Disziplinen wie zB:

1. (antike) Rhetorik = Kunst der öffentlichen Rede und Ausbildung von Rednern (viele Regeln für Rhetorik)

Schritte der antiken Rhetorik:

inventio (lat.: invenire - finden) = Finden passender Ideen

dispositio = Anordnung der Ideen und Argumente

elocutio = sprachliche Ausformulierung/Ausschmückung

memoratio = Einprägen im Gedächtnis (Auswendiglernen)

actio = Rede per se (inkl. Mimik und Gestik)

dispositio und elocutio sind wichtig für Textlinguistik und geben textbildende Regeln vor (zB: Anknüpfungen von Sätzen an andere logische Folge/Kohärenz, Bezüge innerhalb und zu einem überbezogenen Thema)

Übergang Idee – Ausdruck kann gelernt/geübt werden Texte mit logischem Textaufbau (lt. antiker Rhetorik) qualitativ besser

2. Stilistik = Lehre vom angemessenen Sprachgebrauch (Korrektheit, Klarheit, Eleganz) geeignete Mittel situationsadäquat auswählen

Unterschied zur Rhetorik: Stilistik umfasst alle Bereiche (Rhetorik nur öffentliche Rede)

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3. Literaturwissenschaft Beschreibung der Prozesse bei der Textproduktion samt deren Ergebnisse

Auffinden problematischer Punkte in Literatur

Bewertung von Texten (objektiv!) Kriterien entwickeln, oder Texte Trivialliteratur oder literarische Texte sind

Textlinguistik analysiert Sätze und Texte, aber bewertet nicht

Literaturwissenschaft und Sprachwissenschaft früher strikt getrennt seit einiger Zeit Annäherung an Textlinguistik

4. Soziologie = Beschäftigung mit Gesprächen/Konversationen (Aktionen der sozialen Interaktion), zB: Sprecherabfolgen, Korrelationen zwischen Sprachmuster und sozialer Stellung/Sprachrolle, Anpassung der Sprachmuster in bestimmten Situationen, sprachliche Konventionen

5. Kulturanthropologie = Lehre des Verhältnisses zwischen Menschen und deren Kultur (Volkskunde) va. Feldforschung! (empirische Forschung mit Personen)

WER IST AN TEXTEN INTERESSIERT?

1. Theologie älteste textgebundene Wissenschaft

alle Religionen haben starkes Interesse an Texten [Gebete, Verheißungen, narrative Texte, moralische Anweisungen etc.]

weit entwickelte Methoden zum Umgang mit Texten (seit Jahrhunderten Erfahrungen in der Exegese geistlicher Texte)

genaue Untersuchung/Analyse ist heikel, weil es sich um “heilige” Texte handelt

2. Geschichtswissenschaften Geschichte ist auf Texte angewiesen ausgeprägte Methodik (nur Chroniken, Berichte etc.

liefern Fakten, aus denen die “historische” Wahrheit konstruiert werden muss/kann)

3. Rechtswissenschaften (Jus) Texte mit rechtlichem Inhalt sehr wichtig (Primärtexte = Verordnungen/Gesetzesbücher

etc., Sekundärtexte = Kommentare, parallele Fälle/Präzedenzfälle)

Gesetzestexte sind allgemein formuliert keine konkreten Anweisungen Interpretation/Auslegung je nach Fall

4. Journalismus Informationsgewinnung (durch Beobachtung oder aus anderen Texten)

Wiedergabe in Textform Modifikation des Textes nötig

Journalist transformiert Texte nach bestimmten Kriterien und kann sie unterschiedlich “färben” (objektiv, subjektiv, polemisch etc.)

5. Psychologie

6. Soziologie

7. Literaturwissenschaft philologische Textkritik (Theologie ist eher methodisch ausgeprägt)

Entstehung der Textkritik: antikes Griechenland (nach Homer)

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15./16. Jh. Humanismus

Anfang 19. Jh. Ansätze der Rekonstruktion

bestimmte Texte in einer bestimmten Form vorstellen Anknüpfung an Textlinguistik

8. Literaten

9. Werbung Analyse von bestimmten Beschaffenheiten von Texten etc.

WAS INTERESSIERT SPRACHWISSENSCHAFTER AN TEXTEN?

Meinung der Sprachwissenschaft: Texte = sprachliche Gebilde, die bestimmten Regeln folgen

Interesse an Regeln, Wirkung, Funktion von Texten (formale/pragmatische/kommunikative Aspekte) und NICHT am Inhalt

Historiker sind rein am Inhalt interessiert, während Linguisten formale, semantische sowie kommunikative Gesetzmäßigkeiten betrachten (Text wird als Ganzes analysiert)

DEFINITION/EN von TEXT

umgangssprachliche Definition lt. Brinker: Text = Aneinanderreihung von Sätzen Nähe zu linguistischer Definition (zumindest lt. bestimmten Strömungen in der Textlinguistik)

Text (alltagssprachlich) häufig ein geschriebenes, sprachliches Gebilde von einer bestimmten Ausdehnung (eher länger)

Text auch synonym für „Wortlaut“ (zB: Rechtswissenschaft - Gesetzestext = genauer Wortlaut ODER Beschriftungen bei Diagrammen/Illustrationen Bezug zur Semantik)

„sinnlosen“ Text gibt es auch in der Musik (zB: Text unter Notenzeilen)

in der Liturgie steht „Text“ für Textstellen (zB: Weihnachtsevangelium)

vorwissenschaftliche Definition: Text = schriftlich fixierte, sprachliche Einheit, die mehr als einen Satz umfasst

Zusammenhang als Textkomponente:

gewisse Anzahl von aneinandergereihten Komponenten erst durch Zusammenhang ein „Text“ (durch Zusammenhang kommt erst der Sinn)

lt. alltagssprachlicher Definition ist der Zusammenhang eher unwichtig

Fragen beim Definieren von „Text“:

Ist ein Text etwas, dass mindestens aus einem Satz bestehen muss?

Ist Text etwas wesenhaft Schriftliches?

Muss Text fixiert (d.h. erst „fertig“, wenn abgeschlossen) sein? (lt. kognitivem Ansatz: NEIN Text „entsteht“ und hat keine Abgrenzung Text = Prozess „prozeduale Textlinguistik“)

Heutzutage ist die Definition, dass ein Text unbedingt mehr als einen Satz enthalten muss, nicht mehr richtig, denn auch kürzere Sätze, Einzelsätze oder elliptische Sätze können Texte sein (zB: Unbefugten ist der Eintritt verboten! Kein Eintritt! Halt!) Vor allem die Neulinguisten vertreten diese Ansicht und stellen ein Verhältnis auf, dass Sätze eher als Hierarchieebenen (= quantitative Einheiten) des Textes betrachtet Text : Satz = Ganzes : Teil

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Texte müssen ebenso nicht zwingend schriftlich fixiert sein, denn heute ist Sprechen vorrangiger gegenüber Schreiben und die Schrift basiert auf der mündlichen Sprache jüngere Text-linguisten meinen daher auch, dass es mündliche Texte gibt. „Fixiert“ deutet an, dass Texte etwas Abgeschlossenes sind, wodurch der Entstehungsprozess nur sekundär erscheint und die Textkonstruktion außen vorgelassen wird (es gibt immer einen Zusammenhang zwischen Text und Kommunikation sowie Situation!). Wenn Text nur als Ergebnis einer Sprachhandlung gesehen wird, geht der prozedurale Aspekt verloren (Texte werden nicht nur produziert, sondern auch rezipiert!)

ARTEN DER TEXTLINGUISTIK (lt. Brinker)

sprachsystematisch-orientierte Textlinguistik

kommunikationsorientierte Textlinguistik Synthese aus beiden wäre sinnvoll (integrativer Ansatz)

1. sprachsystematisch-orientierte Textlinguistik

mehr grammatisch-orientiert

historisch gesehen früher (Strukturalismus Generative Transformationsgrammatik GTG) heute in reiner Form überwunden und der Blick reicht über den Satz hinaus zum Text

wichtigste Einheit war die Satzebene, daher gab es Regeln, wie Sätze sein könnten zB: Karl schenkt Peter das Buch Permutation ist möglich ODER „Buch“ wird pronominalisiert (Karl schenkt es Peter), aber lässt sich dann nicht mehr permutieren rein syntaktisch kann ein Dativobjekt vor einem Akkusativobjekt oder vice versa stehen, aber nicht bei Pronominalisierung (NICHT: Karl schenkt Peter es)

Textlinguistik und Syntax greifen eng in einander, denn die letzte Stelle ist normalerweise reserviert für Neues/Hochkommunikatives (Karl schenkt es Peter - NICHT Karl schenkt Peter es.) Es gibt einen satzüberschreitenden Ansatz (transphrastischer Ansatz), der von mehreren Sätzen ausgeht (Texte = Einheiten vom selben Typ wie Sätze, aber größeren Umfangs!) Regeln für Textbildung (nicht nur für grammatische Strukturen etc.)

typische Definitionen für „Text“ lt. sprachsystematisch-orientierter Textlinguistik:

kohärente Folge von Sätzen

ein durch ununterbrochene pronominale Verkettung (≠ nur pronominalsiert, sondern Wiederaufnahme von Pronomen in Folgesätzen) konstituiertes Nacheinander von Sätzen (Harweg, 1979) auch assoziative Verkettung möglich

2. kommunikationsorientierte Textlinguistik

mehr kommunikativ-orientiert heute kommunikativ-pragmatischer Ansatz wichtig

typische Definition: Text ist die Gesamtmenge, der in einer kommunikativen Interaktion auftretenden kommunikativen Signale (Kallmeyer, 1980)

Text ist eine komplexe Sprachhandlung zwischen Sprecher/Hörer oder Schreiber/Leser Annahme: Sprecher bzw. Schreiber besitzt nicht nur grammatische Kompetenz, sondern auch kommunikative Kompetenz (= Fähigkeit, mit Hilfe von Äußerungen mit Anderen zu kommunizieren)

grammatische Kompetenz ≠ kommunikative Kompetenz zB: Aushang bei Entfall der Sprechstunde an der Tür: „Heute muss meine Sprechstunde leider entfallen.“ sprachlich-grammatische sowie kommunikative Kompetenz für korrektes Verständnis nötig

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„Meine Oma hat Husten.“ beweist nur gramm. Kompetenz, aber kommunikative Kompetenz fehlt (pragmatisches Wissen sollte sagen, dass Studenten Anderes erwarten) wäre richtig in anderem Kontext/Situation

Brinker will beide verbinden integrative Textlinguistik „Der Terminus Text bezeichnet eine begrenzte Folge von sprachlichen Zeichen, die in sich kohärent ist und die als Ganzes eine erkennbare, kommunikative Funktion signalisiert.“

heute versteht man unter „sprachlichen Zeichen“ auch Wörter und Wortgruppen

begrenzte Folge von sprachlichen Zeichen = Signale für Anfang und Ende (zB: Überschriften, Titel, Einleitungsformeln, Schlussformeln, Sprechpausen, Druckanordnungen Text nach oben und unten hin begrenzt)

Abgeschlossenheit ist in der prozeduralen Textlinguistik eher unwichtig (Text = kommunikativer Prozess, nicht nur ein Produkt

einige FORSCHUNGSANSÄTZE der TEXTLINGUISTIK

Harald Weinrich hat schon früher die Bedeutung des Textes erkannt („Linguistik ist nur als Textlinguistik möglich.“

→ jede linguistische Untersuchung kann nur vom Text als Basis ausgehen textorientiert)

Definition: Text ist sinnvolle Abfolge von sprachlichen Zeichen zwischen 2 auffälligen kommunikativen Unterbrechungen

starke Beschäftigung mit Artikel und Tempusmorphemen

bestimmte Artikel/Demonstrativpronomen/Possessivpronomen verweisen auf etwas, das im aktuellen Textverlauf vorgelagert ist signalisieren dem Leser eine Verknüpfung mit vorherigen Sätzen (zB: Am Tisch liegt „Winnetou“. Das Buch gehört nicht mir.)

unbestimmte Artikel verweisen auf etwas Folgendes schlecht für Enden geeignet (zB: Als ich meine Haustür öffnete, stand davor ein Mann. nachher folgende Informationen)

generischer Gebrauch des Artikels (Gattungen) zB: Die Birke ist ein Laubbaum keine Wiederaufnahme

durch Artikelwahl kann man dem Rezipienten anzeigen, welche Verknüpfung durchzuführen ist Artikel haben kommunikationssteuernde Funktion

Tempusmorpheme haben auch kommunikationssteuernde Funktion zeigen Temporawechsel an (kommunikative Schaltstellen)

Roland Harweg (syntagmatische Substitution) → eher sprachsystematisch-orientiert Text = Kette von sprachlichen Einheiten, bei der diese Einheiten fortwährend substituiert werden (pronominale Verkettung - zB: Gestern läutete ein Mann… Er ließ … Der Mann …)

Funktionale Satzperspektive (vgl. Seite 17f.!)

verbunden mit Tschechoslowakei zu Beginn des 20. Jhs. (Prager Strukturalismus = Vilém Mathesius, František Daneš, Petr Sgall, Jan Firbas)

syntaktische Theorien (zB: Thema - Rhema) wichtig Interesse über Satz hinaus (va. Daneš versuchte, über Satzgrenzen hinauszugehen!)

Thema - Rhema-Funktion lässt sich in der thematischen Progression festmachen thematische Progression = Typen wie Thema und Rhema in einzelnen Sätzen im Text angeordnet

lineare Progression = Rhema Satz 1 wird zu Thema Satz 2 Rhema S2 wird zu Thema S3

Progression mit durchlaufendem Thema = festes Thema und neue Rhema (zB: Gerichtsurteile Der Angeklagte … Er …)

Progression mit abgeleitetem Thema = Themen der Sätze von Hyperthema abgeleitet

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Progression eines gespaltenen Themas = Rhema eines Satzes wird in mehrere Themen zerlegt

thematischer Sprung = Auslassen eines Glieds der thematischen Kette, weil aus Kontext ersichtlich

→ Daneš sieht Text als Sequenz von Themen, die mit neuem Rhema wiederkehren

ISOTOPIEANSATZ

A. J. Greimas (1971) entwickelte einen textlinguistischen Ansatz, der im Gegensatz zu anderen textoberflächlichen Ansätzen die Semantik in besonderem Maß berücksichtigt mehrere Modifikationen (u.a. François Rastier) Isotopie (lt. Greimas) = wiederholtes Auftreten von semantischen Elementen Grundannahme: Wortbedeutung lässt sich in Bedeutungsmerkmale/Seme zerlegen (Strukturiertheit der Wörter) Isotopie liegt vor, wenn in einem Text mind. 2 semantische Elemente kompatibel sind

zB: Greis - belebt, menschlich, männlich wären Seme, jung nicht durch der Alte leichte Wiederaufnahme

schwieriger bei nicht ähnlichen Merkmalen bzw. wenn nur einzelne Seme auftauchen zB: Heute bin ich leider schon ein Greis, aber du, mein Kind, bist ein anbrechender Tag“ jung wäre besser anwendbar als „anbrechender“, aber in (experimenteller) Lyrik durchaus anwendbar

Problem: Grundannahme ist eine Illusion, denn Wortbedeutung lässt sich schwer an einzelnen semantischen Elementen festmachen (Frage: Wie ist das System der semantischen Bedeutungen? Wie viele/welche Merkmale gibt es? Woran macht man Bedeutungen fest?) zB: Apfel konkret, genießbar (Frage nach Wichtigkeit der Bedeutung!), ABER worin liegt der semant. Unterschied zur Birne? („apflig“/„birnig“ ist unsinnig und nicht existent!) nicht ins letzte Detail abgesichert!

PRÄSUPPOSITIONEN

= mitzuvollziehende Gedankenschritte (textlinguistische Theorie, die nicht alles in Texten erklären will, sondern nur Teilaspekte va. semantisch-pragmatische Produktion u. Rezeption)

Grundannahme: außersprachliches Weltwissen wird mitgebracht/miteinbezogen und als Selbstverständlichkeit von Sprache/Texten vorausgesetzt, dh. es muss nicht alles explizit gesagt werden Welche Rolle hat dieses Wissen für Texte?

zB: Wir haben heute kein Wasser. Der Installateur kommt morgen. klarer Zusammenhang (ABER wir müssen innerlich hinzufügen: Der Installateur kann bewirken, dass wir wieder Wasser haben.)

Arten:

gebrauchsgebundene (pragmatische) Präsuppositionen

zeichengebundene Präsuppositionen

gebrauchsgebundene (pragmatische) Präsuppositionen = nicht alles muss sprachlich ausformuliert werden, da gewisses Weltwissen vorausgesetzt wird (erst durch Gebrauch ergibt sich ein Sinn!) im Textverlauf finden sich häufig weggelassene Textteile, weil Rezipient Alltagserfahrungen zum Schließen der Kohärenzlücken mitbringt

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BSP - Verbalisierung von Präsuppositionen: „Ich weiß nicht, ob meine Mutter morgen zu uns kommt. Der Briefträger war noch nicht da.“ nicht verbalisierte Präsupposition („Der Briefträger bringt Briefe und vielleicht auch einen von Mutter“)

„Ich weiß nicht, ob meine Mutter morgen zu uns kommt. Der Briefträger, der vielleicht einen Brief von Mutter bringt, war noch nicht da.“ verbalisierte Präsupposition

normalerweise gibt es Sanktionen bei verbalisierten Präsuppositionen, aber sie können wichtig sein, wenn …

Rezipienten keine Kohärenz (Zusammenhang) finden

Präsuppositionen nicht erfasst werden

Präsuppositionen falsch verstanden werden

zeichengebundene Präsuppositionen Existenzpräsuppositionen zB: Der gegenwärtige König von Belgien hat eine Glatze. Präsupposition: Es gibt einen belgischen König) semantische Präsuppositionen zB: „schaffen“ (im Sinne von: fertig bringen): Ich habe es nicht geschafft, Blumen zu besorgen. schließt ein, dass ich mich bemüht habe ABER wenn auf die Frage „Hast du es geschafft, Blumen zu besorgen?“ die Antwort „Nein, ich habe mich nicht darum bemüht“ folgt, wird das „Bemühen“, das semantisch in „schaffen“ steckt, negiert

Sprecher präsupponieren und Rezipienten müssen Präsuppositionen erschließen

Textrezipienten neigen dazu, Texte als kohärent zu betrachten (vgl. kognitive Textlinguistik!) wenn Textmaterial nicht kohärent ist, greifen wir auf Präsuppositionen zurück

ARGUMENTATIONSMODELL (nicht prüfungsrelevant)

von Stephen Toulmin entwickelt nicht wirklich textlinguistisch, va. bei wenig kohärenten Texten schwer anwendbar

während Präsuppositionen auf gedanklichen Zwischenschritten basieren, herrschen im Argumentationsmodell kausale Zusammenhänge (ohne Verbalisierung) vor

zB: Offenbar verdient Anna in ihrem neuen Job sehr viel Geld. Sie hat sich im letzten Monat einen Porsche gekauft. Daten: Anna, neuer Job, Porsche Schlussregel: Porsche = teuer, Job = Gehalt (oftmals Stütze für den Schluss zB Regeln, Gewohnheiten) Ausnahmebedingung: ev. Lottogewinn Konklusion wäre falsch (daher durch „offenbar“ ein bedingt gültiger Schluss = Modifikator) KONKLUSION: Sie muss (offenbar) viel Geld verdienen in ihrem neuen Job.

DATEN KONKLUSION

Schluss-regel

Ausnahme-bedingungen

(Modifikator)

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SPRECHAKTTHEORIE

= handlungstheoretisches Modell, das viele textlinguistische Probleme behandelt (im Laufe der 70er Jahre herausgebildet)

stark durch Wittgenstein’sche Philosophie (Pragmatik/Gebrauch bestimmt die Bedeutung der Sprache) zB: „Die Tür ist offen!“ keine relevante Information, aber verschiedene Intentionen ausdrückbar Auslegung je nach praktischer Situation

Vertreter: John Langshaw Austin (Begründer - 1955 eine VO gehalten, die posthum von Studenten veröffentlicht wurde „How to do things with words“) und John Searle (Wiederaufnahme und Modifikation der Theorie)

Ausgangspunkt der pragmatischen Wende in den 70er Jahren starke Hinwendung zur Verwendung von Sprache als Bedeutungsmerkmal

im deutschsprachigen Raum Dieter Wunderlich wichtig ohne Verwendung der Pragmatik gibt es keine sinnvolle Beschäftigung mit Sprache

3 Teilhandlungen (nach Austin):

Äußerung selbst = lokutiver Akt - „Reden“

Was soll Äußerung bewirken? Was soll getan werden = illokutiver Akt (besonders wichtig für Sprechakttheorie Zentrum des linguistischen Interesses)

Resultat/Ergebnis der Äußerung = perlokutiver Akt

Warum ist die Sprechakttheorie interessant für die Textlinguistik?

Theorie an Einzelsätzen erprobt bei ganzen Texten schwere Illokutionen Text ist eigentlich relevant Erweiterung von Satz- auf Textebene

„Ist es möglich, komplexen Texten illokuktive Akte zuzuordnen?“ Wolfgang Motsch: Texte = Strukturen mit bestimmten Handlungseigenschaften (sprachliche Teilhandlungen bilden einen komplexen Text)

jeder Text hat Teilziele (einzelne Illokutionen), die auf den gesamten Text anwendbar sind

PROZEDURALER bzw. KOGNITIVER ANSATZ

kognitiv = erkennen, wahrnehmen, denken mentale Prozesse bei Produktion und Rezeption in der Textlinguistik führte dies zu einer psychologischen Hinwendung zu Texten (in der Literatur werden Texte somit als Resultat mentaler/kognitiver Prozesse gesehen) für Produktion und Rezeption ist Aktivieren des Wissens- und des Erfahrungsschatzes wichtig

ab den 70er Jahren wurde Sprache als Handlung gesehen Pragmatik rückte in den Mittelpunkt (pragmatische Wende)

Prozesse (Vorbereitung, Texterzeugung, Verständnis) sind nun wichtig

zB: mentale Vorgänge am Bsp. „Erteilen einer Wegauskunft“

Vorstellen (zB: Stephansdom)

Erinnern (Aktivieren der Erinnerung)

Wahrnehmen (Standort wahrnehmen Wo bin ich?)

Vergleichen (Strecken von A nach B vergleichen)

Entscheiden (Welche Strecke empfehle ich?)

Verbalisieren (in Wörter/Sätze kleiden)

Aktualisieren (artikulieren/aussprechen)

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Alain-Robert de BEAUGRANDE und Ulrich DRESSLER haben das bekannteste und am meisten (kontrovers) diskutierte Werk „Einführung in die Textlinguistik“ (1981) herausgebracht: Texte = Dokumente von Entscheidungs-, Auswahl- und Kombinationsvorgängen (viele psychische Prozesse) „Text ist nicht nur da, sondern ‚entsteht’ auch“

Welche Art von Wissen haben wir?

Kenntnissysteme (vgl. HEINEMANN/VIEHWEGER, Textlinguistik, 1991)

enzyklopädisches Wissen = Sachwissen (angelernt)

sprachliches Wissen = Wissen, wie mit Elementen korrekte Mitteilungen gebildet werden (Semantik, Morphologie, Lexik, Phonetik, Phonologie, Syntax etc.) va. im Werk von u.a. Grevendorf

interaktionales Wissen = Zielgerichtetheit von sprachlichen Handlungen (Wie muss ich vorgehen, um mein Ziel zu erreichen?)

Wissen über globale Textstrukturen = Sprecher, der Texte produziert, kann unterschiedliche Textstrukturen produzieren (zB: informelle Gespräche, Briefe an Versicherungen etc.) „Textsortenraster“ (inhaltliche und formale Unterschiede von Texten je nach Verwendung und Adressat)

EXKURS: Sprachliches Wissen

zB: Satzanalyse → enzyklopäd. Wissen, ABER Bildung eines korrekten Satzes → sprachl. Wissen

va. Noam CHOMSKY - Vertreter des Nativismus (Forschungsinhalt: Sprachenerwerb bei Kleinkindern Kinder mit 4 Jahren verfügen bereits über eine komplette Grammatik sowie Morphologie und können Sätze bilden über Sachen, die sie noch nie gesehen haben, dh. durch die Umgebung wird keine korrekte Sprachverwendung erlernt)

Laut Chomsky verfügen alle Kinder über eine „Universalgrammatik“, dh. sie kommen mit einem universellen grammatischen Verständnis auf die Welt, deswegen werden Strukturen der jeweiligen Einzelsprache so schnell gelernt, ABER nicht nur starre Regeln sind möglich, sondern auch flexible Weichen/Parameter sind möglich) NICHT gleichbedeutend damit, dass alle dieselbe Sprache aufgrund der genetischen Gleichheit sprechen können

zB: Kinder verstehen, dass im Dt. Determinierendes/Bestimmendes vor dem Determinierten/Bestimmten steht zB: Milchflasche (es geht um eine Flasche, nicht Milch)

EXKURS: Interaktionales Wissen - Konversationsmaximen (Paul GRICE)

Konversationsmaximen = Katalog an Eigenschaften, die eine effiziente Kommunikations-/Textgestaltung erlauben kommunizieren mit sprachl. Wissen, um ein gewisses Ziel zu erreichen

ÜBERGEORDNET: „Kooperationsprinzip“ Gestalte deine Äußerung so, dass sie dem anerkannten Zweck dient, den du gerade mit deinem Kommunikationspartner verfolgst.

Untermaximen

Maximen der Quantität Mache deinen Gesprächsbeitrag so informativ, wie es der anerkannte Zweck des Gesprächs verlangt. (zB: Wo ist der Stephansdom? - Gehen Sie nach Osten! nicht informativ) Mache deinen Gesprächsbeitrag nicht informativer, als es der anerkannte Zweck des Gesprächs verlangt.

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Maximen der Qualität Versuche einen Gesprächsbeitrag zu leisten, der wahr ist. Sage nicht, wovon du glaubst, dass es falsch ist. Sage nichts, wofür du keine hinreichenden Gründe hast.

Maximen der Relation Sage nur Relevantes.

Maximen der Modalität Vermeide Unklarheit, Mehrdeutigkeit, Ungeordnetheit sowie unnötige Weitschweifigkeit.

Bei der kognitiv-orientierten Textlinguistik stellt man sich die Frage: Wie sind einzelne Wissenssysteme kombiniert? es gibt keine isolierten Konzepte/ Speicherung von Wörtern im mentalen System, sondern immer gekoppelte Begriffe mit gewissen Merkmalen (zB: Briefkasten = Brief + Kasten etc.), aber auch lockerere Verbindungen sind möglich, wenn auch nicht so häufig (zB: Tunnel + blond)

u.a. gibt es folgende Konzepte: - Rose + Blume über Unterordnung gekoppelt (Unterordnungsrelation) - sauer + Essig über Eigenschaft/Qualität gekoppelt (Qualitätsrelation) - Sturm + Wind über Intensität/Ausprägungsstärke gekoppelt (Intensitätsrelation) - gut + böse über Kontrast/Gegensatz gekoppelt (Kontrastrelation) - Affe + klettern über Handlungsträger gekoppelt (Handlungsträgerrelation) - Hammer + schlagen über Instrument gekoppelt (Instrumentrelation) - unterrichten + Schüler über Objekt gekoppelt (Objektrelation) - dies sind keine vagen Gestaltungsmerkmale, sondern kognitive Merkmale

„Einführung in die Textlinguistik“ (de BEAUGRANDE/DRESSLER, 1981) Ziele: kognitive Prozesse bei der Texterzeugung sowie -rezeption beschreiben

Schritte bei der Texterzeugung 1. Planung (Textsorte) 2. Ideation (wie antike Rhetorik: inventio): grober Inhalt (Aktivierung von Wissensräumen = kognitiv-orientierte Informationen) 3. Entwicklung (für Textlinguisten am interessantesten): Inhalte werden ausgearbeitet Wissensräume werden zu einander in Beziehung gesetzt 4. Ausdruck (des zuvor aktivierten Wissens) 5. grammatische Synthese Ausdruck wird syntaktisch verbunden

Rezeption mögliche Komplikationen durch Versuch des Rezipienten, den Text zu verstehen:

Rezipient sucht nach Kohärenz (semantisch-pragmatischer Zusammenhang) eines Textes er bringt eigenes Wissen ein (durch kognitive „Operationen“ konstruiert er Inhaltsbeziehungen)

durch (falsches) Verbinden/Konstruieren von gegebenen Inhalten mit neuen kann es zur Inferenz kommen (zB: A: Hast du dir gestern den Film mit Brad Pitt angeschaut? - B: Nein, ich geh’ nicht oft ins Kino! - A: Ich meinte im Fernsehen!)

Textproduktion und -rezeption wirken somit eng zusammen (es muss berücksichtigt werden, dass der Rezipient Inferenzen zieht und dass er Wissen beim Rezipieren einbringt - „Präsuppositionen“, S. 6f.)

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TEXTUALITÄTSKRITERIEN (laut de BEAUGRANDE/DRESSLER)

nur wenn diese Merkmale großteils erfüllt werden, ist ein Text ein „kommunikativer Text“

1. KOHÄSION = Art, wie Komponenten der Textoberfläche miteinander verbunden sind (beruht auf grammatischen Abhängigkeiten) durch Wiederaufnahme wird Kohäsion gestiftet

Grammatisch-inkorrekte Sätze verstoßen zwar gegen Kohäsion, aber in Einzelsätzen gibt es tolerierbare Spannen, die dennoch kohärent sein können!

Kohäsionsstiftende Mittel: allgemein können Wiederaufnahmen anaphorisch (auf etwas Vorherliegendes hinweisend) oder kataphorisch (auf etwas Nachfolgendes verweisend) sein.

zB: Peter sagt … Er wird … = anaphorisch Sie hatte die schönsten Augen, die eine Frau haben kann. Lilo … = kataphorisch

Rekurrenz (partielle Rekurrenz) = wörtliche (partielle = semantische mittels anderer Wortart) Wiederholung eines Elements

zB: Meine Frau sagt, sie hat keine Zeit. Meine Frau will auch nicht mit Ihnen reden. (totale R.) Sport ist gesund. Auch ältere Menschen sollen sich sportlich betätigen. (partielle R.)

Parallelismus = syntaktische Strukturen wiederholen sich mit neuen Elementen

zB: Hier ist verboten: das öffentliche Ausspucken, die Verursachung von Lärm, die Belästigung anderer Badegäste!

Paraphrase = Wiederaufnahme durch semantische Ähnlichkeit, die nicht an der Textoberfläche ersichtlich ist

zB: Neugeborene brauchen viel Körperkontakt. Außerdem wollen die Sprösslinge …

Einsatz von Pro-Formen zB: Meine Frau ist nicht da. Sie lässt Sie aber grüßen. (Pronomen) Alle sagen, Paris sei so toll. Ich war aber noch nie dort. (Pro-Adverb) Deine Krawatte ist so scheußlich. So eine würde ich mir nie umbinden. (Pro-Adjektiv) Er hat es sicher nicht zerstört. Der tut so etwas nicht. (Pro-Verb)

Ellipse = Verstärkung/Wiederaufnahme durch Weglassen eines davorliegenden Elements

zB: Eine Frau Wopenka hat dich angerufen. - Kenne ich nicht.

Junktionen bezeichnen bestimmte Relationen zwischen Satzteilen

„KONJUNKTIONEN“ (≠ Wortart - Bindewort): und, auch, außerdem etc. (stark kohäsiv!) verbinden Elemente, die denselben Status innehaben

„DISJUNKTIONEN“: oder etc. verbinden Elemente mit alternativem Status

zB: Lebt er noch, oder ist er mittlerweile verstorben?

„KONTRAJUNKTIONEN“: aber, jedoch etc. verbinden Elemente, die unvereinbar sind

zB: Ich weiß, ich bin manchmal böse, aber …

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„SUBORDINATIONEN“ (≠ syntaktischer Sinn): weil, denn, daher, wenn, falls etc. Elemente, bei welchen der Status des einen vom Status des anderen abhängt (Voraussetzung - Ereignis UND Ursache - Wirkung)

zB: Peter war krank. Daher konnte er nicht zum Unterricht erscheinen. Wenn er krank ist, muss er im Bett bleiben.

JUNKTIVE AUSDRÜCKE, die ZEITLICHE NÄHE ausdrücken: dann, darauf, vorher, nachher etc.; bis, seit etc.

zB: Zuerst waren im Kino, dann sind wir nach Hause gefahren. Ich warte hier, bis du mich abholst.

Einsatz von Tempora (vgl. Harald Weinrich)

2. KOHÄRENZ = Art, wie die Begriffe und Relationen, die hinter dem Oberflächentext stehen, sich zu einander verhalten (semantisch-pragmatischer Zusammenhang) unverzichtbares Kriterium (Texte können trotz Störung der Kohäsion/Textoberfläche kohärent sein)

zB: Er hat seinem Chef widersprochen. Daher wurde er entlassen. („Subordination“) Er hat seinem Chef widersprochen. Danach wurde er entlassen. (zeitliche Junktion) Er hat seinem Chef widersprochen. Er wurde entlassen. (keine Kohäsion, aber kausale Relation Rezipient versucht mit Weltwissen Kohärenz zu stiften Inferenz)

zB: Ich klettere nicht auf diesen Baum. Ich bin doch kein Affe. Gestern hatten wir einen Hirschbraten zum Abendessen, aber Peter hat nicht mitgegessen. Er mag kein Wild. Ich wollte immer schon eine exotische Sprache lernen. Ich probiere es jetzt einmal mit Wolof. Kohärenzschaffung bei fehlenden Elementen der Oberflächenstruktur durch gedankliche Zwischenschritte

Zusammenhänge nicht nur am Papier, sondern in den kognitive Prozessen beim Rezipienten sorgen für Kohärenz von Texten! (Textoberfläche - Kohäsion - und pragmatisch-semantischer Zusammenhang - Kohärenz - werden verflochten!)

wenn kohäsive Mittel fehlen, ist ein Text nicht kommunikativ (aber er kann kohärent sein!) in Witzen hingegen wird oft gegen die Kohäsion bewußt verstoßen

zB: „Mama, was ist ein Transvestit?“ - „Frag den Papa. Die weiß das.“

ACHTUNG: Texte können auch kohäsiv sein, aber nicht kohärent: Haben Sie nur weiße Steckdosen? Schade! Ich hätte eine runde gebraucht! (Kontrastrelation)

3. INTENTIONALITÄT = Textproduzent hatte Absicht, einen kohäsiv-kohärenten Text zur Erfüllung eines bestimmten Kommunikationsziels zu schreiben (methodisch schlechte Erklärung, denn ein Merkmal kann nicht ein anderes erklären)

zB: „Ich nix wissen, wo Stephansdom! Du mir sagen!“ keine Kohäsion, aber Kohärenz (bei mangelhafter Kohäsion kann Kohärenz mit Präsuppositionen erzeugt werden)

4. AKZEPTABILITÄT = Text soll so beschaffen sein, dass er vom Textrezipienten akzeptiert wird (auf Wortwahl, Stilwahl, Einhaltung von Konversationsmaximen etc. achten!) Rezipient erwartet auch kohäsiven und kohärenten Text!

zB: grammatisch unverständliche Wegauskünfte werden nicht akzeptiert vom Rezipienten

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5. INFORMATIVITÄT = Ausmaß, indem das Textmaterial für den Rezipienten bekannt/unbekannt bzw. erwartet/unerwartet ist

Text ist nicht kommunikativ durch:

keine bzw. zu wenige Informationen Ablehnung/Sanktion des Rezipienten

zu viel Unbekanntes/Unerwartetes (Obergrenze der Betrachtung)

Gelungene Texte nehmen somit immer wieder Elemente verschiedener Formen auf, um ein ausgeglichenes Verhältnis von Unbekanntem/Altem und Bekanntem/Neuem zu schaffen

informativere Elemente bedingen mehr kognitive Prozesse/Aufmerksamkeit (sie sind anspruchsvoller!)

Stufen der Informativität niedrig = im Text unauffällige Informationen (Funktionswörter, Präpositionen, Konjunktionen etc.) oder andere Elemente, die sich aufgrund des Weltwissens von selbst erklären geringe Informativität zB: Mein Hund ist ein Hund.

mittel = angestrebter, informativer Normalzustand

hoch = Vorkommensfälle außerhalb des Erwartbaren zB: Sehr geehrte Damen und Herren, ich darf Ihnen unseren heutigen Gastprofessor in der Vorlesung präsentieren, Herrn Dr. Müller, ein Experte der anorganischen Chemie. Diskontinuität durch Zusatz „…, der ein berühmtes Buch zur Textlinguistik geschrieben hat“ wird Kontinuität hergestellt

bei zu hoher Informativität Abwertungen: Abwertung nach rückwärts = Antwort auf Unbekanntes wird in früheren Texten gesucht (Aktivieren des Gedächtnises) Abwertung nach vorwärts = Antwort auf Unbekanntes wird in die Zukunft verschoben/Bringt die Textfortsetzung Klarheit? („Was hat das jetzt damit zu tun? Schauen wir mal, was kommt!“) Abwertung nach außen = Antwort auf Unbekanntes findet sich außerhalb des Diskurses (zB: „Jetzt säuft er schon am helllichten Tag!“, „Jetzt ist er übergeschnappt!“ etc.)

wenn nicht einmal Abwerten funktioniert (dh. etwas passt nicht in unsere Welterfahrung), ist ein Text nicht mehr kommunikativ Aufwertung bei niedriger Informativität ebenso möglich (zB: „Mein Hund ist ein Hund, der braucht keinen Wollpullover im Winter, der hat ein Fell!“ mittlere Informativität)

zB: Das Meer ist nicht aus Wasser! Widerspruch/Diskrepanz (im Text Vorkommendes ist nicht in unserem enzyklopädischen Wissen gespeichert)

6. SITUATIONALITÄT (SITUATIVITÄT) = Gesamtheit aller Faktoren, die einen Text für eine Kommunikationssituation relevant machen

Situationen bedingen soziale Rollenverteilung, Kontext, Offizialitätsgrad, Zweck, Stil (Lexik je nach Rezipient) etc.

zB: 17.00 Uhr in einem Hörsaal „Guten Morgen!“ sagen nicht situationsadäquat (ev. kann man nach vorwärts abwerten) ODER als Appell an einschlafende Studenten gedacht

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7. INTERTEXTUALITÄT = Faktoren, die die Verwendung eines Textes vom Wissen des Kommunikationspartners abhängig machen bzw. von der Kenntnis früher aufgenommener Texte va. in Literaturwissenschaften ist die Intertextualität wichtig durch die zahlreichen Bezüge zu anderen Werken zB: Parodie eines Werkes (erst wirklich kommunikativ, wenn Zusammenhänge bekannt sind) zB: bei E-Mails lässt sich automatisch durch Antworten auf eine eingegangene E-Mail Intertextualität herstellen zB: Radiomeldung unterbricht Musik: „Achtung! Der Geisterfahrer ist immer noch unterwegs!“ keine Intertextualität ohne Nennung der Straße

Kritik an Textualitätskriterien

Laut de Beaugrande und Dressler müssen alle 7 Kriterien von einem sprachlichen Gebilde erfüllt werden, damit es als „kommunikativer Text“ gilt.

Die Intentionalität und Akzeptabilität werden oft in Frage gestellt, denn sie sind die Voraussetzung für Kommunikation im Allgemeinen. Die Informativität ist nicht wirklich relevant bei Texten, denn oftmals ist keine Abwertung, sondern Kommunikation allgemein gewünscht Die Intertextualität ist in bestimmten Textsorten/Situationen wichtig, aber selbst wenn ich nur Teile kenne, bleibt die Kommunikativität.

Die wichtigsten Aspekte sind Kohäsion und va. Kohärenz, wobei trotz Störungen des Oberflächentextes der semantisch-pragmatische Zusammenhang bestehen bleibt. Die Kohärenz liegt jedoch nicht nur am Textmaterial, sondern auch am Rezipienten.

TEXTPHORIK Textphorik = Verweise und Verweisrelationen im Text und die Bezugnahme sprachlicher Ausdrücke im Text auf andere sprachliche Ausdrücke oder auf situative Elemente

Anaphorik (Verweis auf Vorhergehendes)

Kataphorik (Verweis auf Nachfolgendes)

Referenz = Bezug auf Außersprachliches (Referenten) zB: Dieser Tisch wackelt. Der gehört ausgetauscht. „der“ = koreferent (= im Kontext referent)

In funktionierenden Texten ist es klar, worauf sich Korefenzen beziehen - wenn die Bezüge nicht klar sind, kann es zu missglückten Referenzbezügen kommen wie im folgenden Bsp.: „Susi und Anna haben ein Brüderchen bekommen dank dem Herrn, der über uns wohnt.“ hier ist Gott („der Herr, der im Himmel [= über uns] wohnt“) gemeint, nicht ein etwaiger Nachbar

TEXTPHORISCHE MITTEL (vgl. Kohäsion)

1. REKURRENZ = Wiederholung eines Ausdrucks

zB: Hast du eine Zigarette für mich? Ich habe meine Zigaretten leider vergessen. Eigentlich hasse ich Zigaretten, aber wenn ich nervös bin, brauche ich einfach eine Zigarette. totale Rekurrenz = wortwörtliche Wiederholung (bei manchen Textsorten bewusst verwendet zB Gerichtsurteile)

zB: Mein Hund ist sehr gut erzogen. Wenn ich dagegen an Lottes Hund denke - den kann man nirgendwohin mitnehmen. Dann lieber gar keinen Hund. Rekurrenzen müssen nicht immer auf selben Referenten bezogen sein!

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zB: Die Welt ist voller Wunder. Schon ein Spaziergang durch den Wald eröffnet einen viele wundersame Beobachtungen, wenn man nur die Fähigkeit bewahrt hat, sich zu wundern. Und auch wenn wir uns selbst vergessen, sind wir doch Wunderwerke. partielle Rekurrenz = Wiederholung eines Elements in anderer Form (va. Wortartenwechsel)

2. SUBSTITUTION DURCH AUTOSEMANTIKA

Autosemantika (Sg.: Autosemantikum) = Wörter, die selbst eine kontextunabhängige Bedeutung haben

Synsemantika = Wörter, die keine selbstständige Bedeutung tragen (zB: Präpositionen, Pro-Formen)

Verwendung von Autosemantika

bei Synonymen (= Wörter mit gleicher Bedeutung aber nie 100%ige Synonymie!) zB: Bitte noch ein Bier! Ich habe heute noch Lust auf etwas mehr Gerstensaft!

bei Verallgemeinerungen (Besonderes/Unterbegriff Allgemeines/Oberbegriff) zB: Sie mag Rossini nicht besonders, aber auf Beethoven und Schubert fliegt sie. Von diesen Komponisten kann sie nicht genug kriegen. zB: Zuerst werden die Äpfel geschält. Anschließend werden die Früchte geviertelt und vom Kerngehäuse befreit.

bei Spezialisierungen (Allgemeines/Oberbegriff Besonderes/Unterbegriff) zB: Ich stehe auf Süßigkeiten. Schokolade muss ich allerdings nicht haben. zB: Die neuen EU-Staaten blicken überaus hoffnungsfroh in die Zukunft. Ungarn und Slowenien stehen wirtschaftlich bereits besser da, als einige der alten Mitgliedsstaaten.

bei Wiederaufnahme durch metaphorische Ausdrücke zB: regnen - der Himmel weint zB: Das Gold wurde von einem Drachen bewacht. Das Ungetüm tötete jeden, der den Schatz erobern wollte. koreferent aufgrund kontextgebundener Semantik

3. PRO-FORMEN zB: Leni hat keine Zeit. Sie muss lernen. (Pronomen) zB: Wo ist mein neuer Hut? - Hat der Hund damit gespielt? (Pro-Adverb) zB: Einen Goldhamster bringst du mir nicht ins Haus. Das habe ich dir schon gesagt. („das“ nimmt den Ertrag des Vorsatzes auf) zB: Ich möchte ein Auto, das Seitenairbags hat. Darauf lege ich Wert. zB: Um 1 Uhr war ich in der Bibliothek, um 3 Uhr musste ich die Kinder abholen. Danach einkaufen und zwischendurch kochen. Das machte ich alles mit rasenden Zahnschmerzen.

Auftreten von Pro-Formen = Suchauftrag an den Rezipienten die Textstelle zu suchen, auf die man sich bezieht

Deixis (Adj.: deiktisch) = Bezugnehmen/Hinweisfunktion (von zB: Pro-Formen) Textdeixis = im Text selbst findet sich das Element, auf das man sich bezieht

4. ARTIKELWAHL ähnlich wie Deixis (also ein Suchen nach den Referenzen)

unbestimmter Artikel primär mit einer Gattung in Verbindung zu bringen (im Plural Nullartikel)

bestimmter Artikel (bzw. Demonstrativpronomen, Possessivpronomen) mit einem identifizierten Exemplar der Gattung in Verbindung zu bringen

zB: Als ich gestern aus dem Haus trat, begegnete ich einem Bettler. Zunächst viel mir an dem Bettler/Mann nichts Ungewöhnliches auf.

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unbestimmter Artikel = Unbekanntes und bestimmter Artikel = Bekanntes im Text suchen (Textdeixis)

Fälle, wo bestimmter Artikel auch ohne unbestimmten Artikel davor stehen kann:

Eigennamen und Ähnliches (eindeutig identifizierende Sprachzeichen) oft in Dialekten Artikel vor Namen zB: der Thomas zB: der Zweite Weltkrieg, der Eiffelturm

Dinge, Personen etc., die gemäß der Alltagserfahrung nur einmal vorkommen: zB: der Papst, der Mond, die Königin von England

Sachverhalte, die (zu einem bestimmten Zeitpunkt) als allgemein bekannt gelten können: zB: „das schlechte Wetter hält an“, „die Diskussion um die EU-Erweiterung geht weiter“

Textelemente mit bestimmten Artikeln, wobei diese Elemente aufgrund des bisherigen Textverlaufs erwartbar sind: zB: Ich bezog ein Zimmer in einem heruntergekommenen Hotel. Das Bett war offensichtlich schon lange nicht mehr überzogen worden.

wieder Suchaufträge für Rezipienten ABER im außersprachlichen Wissen suchen Wissensdeixis (Vorwissensdeixis)

5. SITUATIONSDEIXIS = Bezug zu einer konkreten Situation, Verweis über den Text hinaus auf eine außersprachliche Realität

6. ELLIPSE = Ersparung von Oberflächenelementen (durch anaphorische Verknüpfung) in der vorangegangenen Textumgebung nach etwas suchen, das die Leerstelle ausfüllt

zB: Maria hat heute keine Zeit. Ihre Kinder sind krank und sie muss deswegen zu Hause bleiben. Petra übrigens auch nicht. Abstand zwischen verknüpften Teilen darf nicht zu groß sein (sonst verliert man den Überblick)

vor allem bei Sprecherwechsel angewendet zB: A: Ich kenn’ mich nicht aus. - B: Ich schon.

7. METAKOMMUNIKATIVE (EXPLIZITE) TEXTVERKNÜPFUNG = kataphorischer Verweis auf ein bestimmtes Textelement (mittels einer Pro-Form) Textproduzent selbst weist auf eine Stelle hin (Sonderfall der Textphorik)

zB: Wie bereits auf Seite 3 angedeutet… Siehe unten

BSP - Analyse von kohäsiven Mitteln

Bei Versuchen mit Neugeborenen (Nullartikel - unbestimmt kataphorisch) kam Dr. Clemens aus London zu folgender Erkenntnis: Dem Türschlagen und ähnlichen Geräuschen schenken die Sprösslinge (bestimmter Artikel anaphorisch - verknüpft durch Paraphrase/Substitution durch Autosemantikum) keine Beobachtung. Gänzlich anders verhalten sie (Pro-Form) sich jedoch, wenn ihnen (Pro-Form) Platten mit klassischer Musik vorgespielt werden. Vivaldi und Mozart (Hyponym Spezialisierung) bereiten den Babys (anaphorisch - verknüpft durch Paraphrase/Substitution durch Autosemantikum) besonderes Vergnügen. Vor allem die Flötentöne - dabei (Pro-Form) lächeln sie (Pro-Form).

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FUNKTIONALE SATZEBENE (THEMA-RHEMA)

Das Zentrum der funktionalen Satzebene ist kommunikativ ausgerichtet und betrifft nicht nur Formales wie Syntax etc.

Ansätze Es gibt teilweise schon seit Jahrhunderten die Unterscheidung von Thema und Rhema (vgl.

griechische Wortarteneinteilung → „rhema“ = Verb), aber wirklich systematisch erforschte der tschechische Anglist Vilém Mathesius diese Problematik. Er teilte den Satz bzgl. Inhalt in zwei Teile - das Thema (Aussagebasis/Bekanntes/Wozu wird etwas gesagt?) sowie das Rhema (neue Information/Was wird darüber gesagt?). Aufgrund der Forschungen Mathesius’ beschäftigten sich in der Folge vor allem tschechische Sprachwissenschafter („Prager Schule/Strukturalismus“) mit der Thema-Rhema-Problematik. Laut Jan Firbas stehen Thema und Rhema nicht nur für zwei konträre kommunikative Pole, sondern bilden eine Skala von thematischen bis nicht thematischen Elementen, d.h. ein Satz besteht aus Elementen mit unterschiedlichen Mitteilungswert, wodurch sich eine kommunikative Dynamik (CD = communicative dynamism) ergibt.

Laut der Forschung ergeben sich für Thema und Rhema somit folgende Gegensatzpaare:

bekannte Info (Thema) - neue Info (Rhema)

Vorerwähntes (Thema) - Nicht-Vorerwähntes (Rhema)

Worüber wird etwas gesagt? (Thema) - Was wird darüber gesagt? (Rhema)

→ wie sich zeigt, sind diese Dichotomien nicht komplett deckungsgleich!

In der Praxis lassen sich Thema und Rhema jedoch weitaus einfacher erkennen - wie die beiden folgenden Beispiele zeigen:

zB: Er (Thema) ist Schriftsteller (Rhema). zB: A: Ja, wer hat den Wein ausgetrunken (Rhema)? - B: Den (Thema) hat Markus ausgetrunken. Ellipse (eignet sich besonders gut)

František Daneš Thema-Rhema-Gliederung ist nicht nur auf Syntax beschränkt

Rhema = als Träger neuer Information wichtig (vgl. Informativität lt. Beaugrande/Dressler)

Thema = für Textaufbau wichtig (vgl. Textphorik) kohäsions- und kohärenzstiftend Text = Sequenz von Themen (thematische Progression)

Thematische Progression

a) einfache/lineare Progression Das Rhema des 1. Satzes wird zum Thema des 2. Satzes etc. zB: Ich hatte einmal einen Trabi. Dieses Gefährt stammte von einem Gebrauchswagenhändler. Der hat mir dann auch die Ersatzteile geliefert.

b) Progression mit durchlaufendem Thema Das Thema bleibt in allen Sätzen gleich (Änderungen wie zB Verwendung von Pro-Formen möglich), während sich das Rhema ändert. zB: Dieses Bild ist einfach scheußlich. Es wirkt wie von einem Affen gemalt. Das kommt mir nicht ins Haus.

c) Progression mit abgeleitetem Thema Die Themen der einzelnen Sätze (Hypothemen) hängen von einem abgeleiteten Thema (Hyperthema) ab, welches nicht dezidiert genannt werden muss. Oft gibt es auch einen Zusammenhang zwischen dem Hyperrhema und den Hyporhemen bzw. zwischen den einzelnen Teilsätzen.

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Der Rezipient ist mehr gefordert, da kein linearer Wechsel vorliegt, der einen Bezug zwischen Hyper- und Hyporhema herstellt. Mittels kognitiver Prozesse (va. Präsuppositionen) muss der Rezipient diese gedanklichen Lücken schließen.

zB: Das Volkskundemuseum bleibt bis auf Weiteres geschlossen. Eine Renovierung ist dringend notwendig geworden. Die Wiedereröffnung ist für Februar 2011 vorgesehen. Die Trachten-sammlung ist aber weiterhin für Besucher zugänglich. Volkskundemuseum = Hyperthema, Renovierung/Wiedereröffnung/Trachtensammlung = Hypothemen zB: Die Temperatur liegt heute zwischen 15 und 20 Grad, die Luftfeuchtigkeit steigt weiter an und der Wind dreht von Nord auf West. keine explizite Nennung des Hyperthemas (Wetter)

d) Progression mit gespaltenem Thema Das Rhema des 1. Satzes wird zu mehreren Themen von einzelnen Sätzen. zB: Ich habe ein zwiespältiges Verhältnis zu manchen klassischen Komponisten. Rossini ist nett, aber zu verspielt. Bach ist virtuos, aber zu mathematisch. Und Mozart ist mir einfach zu perfekt.

e) Progression mit thematischen Sprung Das Rhema eines Satzes wird zum Thema eines späteren Satzes. (zB: Rhema Satz 1 Thema Satz 3). Die Wissenslücke wird mittels Präsuppositionen geschlossen. zB: Sie zeigte mir ihr neues Kleid. Der Ausschnitt war etwas gewagt.

Sollte nur eine Art von thematischer Progression verwendet werden, kann ein Text schnell eintönig/fad werden.

TEXTSORTEN

Wie vorher beim kognitiv-orientierten Ansatz von Textlinguistik besprochen, besitzt jeder, der Texte produziert, ein gewisses globales Wissen über Textsorten. Die formalen Kriterien, die eine bestimmte Textsorte auszeichnen, werden jedoch eher intuitiv, als streng reflektiert befolgt. In der Textlinguistik sind vor allem gesellschaftlich relevante Texte wichtig und dies nicht nur bei der Textproduktion, sondern auch bei der Rezeption. Das Textsortenwissen ist der Bereich der Textlinguistik, der am meisten erforscht wird und von Vorläufigkeit geprägt ist, da alle Untersuchungen keine endgültig haltbaren Ergebnisse hervorbringen.

Was ist eine Textsorte? Um eine Textsorte von einer anderen abzugrenzen, bedarf es Merkmale/Charakteristika. Jeder Text ist bestrebt, spezifische stilistische, graphische, inhaltliche, syntaktische sowie lexikalische Merkmale aufzuweisen. Je nach Textsorte sind diese Merkmale strenger oder freier einzuhalten (zB weist eine Todesanzeige normalerweise fixe Bestandteile in graphischer sowie inhaltlicher Hinsicht auf). Diese Merkmale werden theoriegeleitet, sind aber nicht a priori festgelegt.

Man hat in punkto Textsorten eine gewisse Ahnung (dh. man weiß, was zB eine Rede ausmacht), ebenso hat man eine Erwartung an Struktur und Inhalt, daher wirkt ein Text erst merkwürdig, wenn grobe Unterschiede zu den allgemein tradierten Textsorten vorliegen.

Die Textlinguistik bemüht sich, sich nicht allzu weit von den traditionellen Textsorten zu entfernen. Die „klassischen“ Textsorten werden nicht verworfen, sondern in eine moderne Typologie integriert.

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Barbara SANDIG hat 1972 einen Katalog mit Merkmalen für Gebrauchstexte entworfen, die hierarchisch angeordnet sind (+ zeigt an, dass das Kriterium zutrifft und -, dass es nicht zutrifft):

1. gesprochen 2. spontan 3. monologisch 4. räumlicher Kontakt zwischen Sender und Empfänger 5. zeitliche Kontinuität der Kommunikation (= Gleichzeitigkeit) 6. besondere sprachliche Form des Textanfangs 7. besondere sprachliche Form des Textendes (zB: Amen beim Gebet) 8. Textsorte durch konventionellen Textaufbau festgelegt (zB: Rezept) 9. Thematik der Textsorte ziemlich genau festgelegt 10. Gleichberechtigung der Kommunikationspartner im Kommunikationsakt

BSP - Analyse der Textsorte „Interview“: + gesprochen → +- spontan → - monologisch → +- räumlicher Kontakt (je nachdem, ob über Telefon oder persönlich) → + zeitliche Kontinuität → +- besonderer Textanfang → +- besonderes Textende → - konventioneller Aufbau → + genau festgelegte Thematik → + Gleichberechtigung der Kommunikationspartner

es gibt keine allgemeinen Wahrheiten bzgl. der Ergebnisse, deswegen ist das Testen der Kriterien auf ihre Sinnhaftigkeit wichtiger

Gerhard HELBIG (1975) hat einen ähnlich funktionierenden Katalog an Merkmalen zur Unterscheidung von Texten erstellt, wobei die Merkmale nicht hierarchisch geordnet sind:

monologisch - dialogisch

spontan - nicht spontan - nicht spontan, gedanklich vorgeformt, sprachlich vorher nicht fixiert - nicht spontan, gedanklich vorgeformt, sprachlich vorher fixiert

anwesender - abwesender Partner

Zahl der Sprechpartner (Sender und Empfänger)

Öffentlichkeit der sprachlichen Äußerung

Spezifiziertheit der Sprachpartner (Zugehörigkeit zu bestimmten gesellschaftlichen Gruppen etc.)

gesprochen - geschrieben

Modalität der Themenbehandlung (zB: erörternd, deskriptiv, argumentativ, assoziativ)

BSP - Zeitungsinserat: monologisch → nicht spontan/vorher fixiert → abwesend → ein Sender, mehr Empfänger → sehr öffentlich → je nach Art des Mediums (in Fachzeitschriften: sehr spezifiziert) → geschrieben → je nach Art des Inserats (argumentativ, deskriptiv)

TEXTSORTENKLASSIFIZIERUNG NACH KLAUS BRINKER

veröffentlicht in „Linguistische Textanalyse“ (bereits mehrfache Auflage)

beharrt auf Beibehaltung von alltagssprachlichem Textsortenbegriff, der sich dann zum wissenschaftlichen Textsortenbegriff entwickelt

Textsorte = konventionell geltendes Muster für komplexe sprachliche Handlungen. Sie lässt sich als typische Verbindung von situativen bzw. kontextuellen, funktionalen und strukturellen Merkmalen beschreiben.

Brinker unterscheidet bei seinem Textsortenbegriff wieder einen sprachsystematischen Ansatz (überholt!) sowie einen kommunikationsorientierten, bei dem sprachsystematische, situative, kontextuelle, funktionale sowie strukturelle Kriterien eine wesentliche Rolle spielen.

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alltagssprachlicher Textsortenbegriff

wenn nicht-wissenschaftliche Rezipienten Textsorten gebrauchen, sind v.a. Textfunktion, Textinhalt und Kommunikationssituation von Interesse

verschiedene Textfunktionen (bestimmend im Alltag → am wichtigsten lt. Brinker): - veranlassen Rezipient zu bestimmten Handlungen (zB: Werbung, Vorschrift, Rezept) - beim Rezipient bestimmte Einstellung veranlassen (zB: Kommentar) - Rezipient informieren (zB: Wegbeschreibung, Wetterbericht) - Übernahme einer Verpflichtung (zB: Vertrag, Garantie, Erklärung)

Textinhalt: Bezug auf Inhalt des Berichts (zB: Sport, Kochrezept, Reisebericht) → Berichte haben ähnliche Textfunktionen

Kommunikationssituation: in alltagssprachlichen Texten wird auf die Situation Bezug genommen → Medium der Kommunikation (zB: Radiosendung, TV-Sendung etc.) → räumlicher/zeitlicher Kontakt (zB: Vorstellungsgespräch = zeitlicher und räumlicher Kontakt, Telefongespräch = zeitlicher Kontakt etc.)

sprachliche Merkmale werden nicht in gängigen Textsortenklassifizierungen widergespiegelt (zB: Kochrezept leicht aufgrund der Struktur erkennbar) → Semantik bei Identifikation eher unwichtig

TEXTFUNKTION a) Informationstexte = Textproduzent möchte Textrezipient informieren (zB: Zeitungsbericht,

Protokolle, Sachbuch, Rezension) b) Appelltexte = Textproduzent möchte Textrezipient zu bestimmter Handlung/Einstellung

bewegen (zB: Anweisungen, Schilder, Werbeanzeigen, Gesetze, Antrag, Liebesbrief) c) Obligationstexte = Textproduzent verpflichtet sich zu bestimmter Handlung (zB: Vertrag,

Garantieschein, Kostenvoranschlag) d) Kontakttexte = Textproduzent sucht Kontakt zu Textrezipient bzw. will diesen erhalten (zB:

Einladung, Ansichtskarten, Geburtstagskarten) e) Deklarationstexte = Textproduzent gibt Textrezipient zu verstehen, dass Text neue Realität

schafft (zB: Testament, Ernennungsurkunde, Sponsions-/Promotionsurkunde) → immer an gesellschaftliche Institutionen mit autoritärer Befugnis gebunden (auch Hinweise durch feste Formulierungen/Ausdrücke, die deklarativen Charakter unterstreichen)

weitere Differenzierung der Textfunktion:

1. KONTEXTUELLE/SITUATIVE KRITERIEN

1.1. KOMMUNIKATIONSFORM

Kommunikationsrichtung (monologisch/dialogisch)

Art des Kontaktes (zeitlich und räumlich unmittelbar/getrennt)

sprachliche Manifestationsform (gesprochen/geschrieben)

BSP - Wetterbericht: Informationstext (monologisch, zeitlich und räumlich unmittelbar, gesprochen/geschrieben) → keine klare Textsorte

1.2. HANDLUNGSBEREICH = Rollenverhältnisse zwischen Kommunikationspartner

privater Bereich (Textrezipient und Textproduzent = Privatpersonen)

offizieller Bereich (Textrezipient und Textproduzent kommunizieren in offiziellen Rollen → zB: Prüfungen, Behördenbriefe, Geschäftsbriefe)

öffentlicher Bereich (Kommunikation findet in Öffentlichkeit statt → zB: Presse, Hörfunk, TV und Internet)

→ wirkt sich auf Textsorte aus

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BSP - Brief → keine reine Textfunktion (informativ, appellativ, kontaktiv), Kommunikations-form: monologisch, zeitlich und räumlich getrennt, geschrieben, Handlungsbereich: je nach Bereich andere Charakteristika (andere sprachliche Muster)

2. STRUKTURELLE KRITERIEN

2.1. ART DES TEXTTHEMAS

Thema relativ zum Kommunikationszeitpunkt - vorzeitig (Kommunikationszeitpunkt erst später) - zB: Nachrichten - gleichzeitig (Kommunikationszeitpunkt aktuell) - nachzeitig (Kommunikationszeitpunkt war bereits) - zB: Horoskop

Relation zwischen Textproduzent bzw. -rezipient und Thema - Thema ist der Textproduzent selbst - Thema ist der Textrezipient selbst - Thema liegt außerhalb der Kommunikationspartner

2.2. FORM DER THEMATISCHEN ENTFALTUNG

deskriptiv (subjektive Momente ausgeschalten zB: Kochrezept, Gebrauchsanweisung)

narrativ (Erzählungen, va. literarische Produkte): typische Entfaltungsschritte: in Zeit

und Raum orientiert → Darstellung des Ereignisses → Auflösung → oft subjektives

Bewerten durch Texterzähler → ev. Moral)

explikativ (selten - eher nur in wissensvermittelnden Texten [Logik und sprachliche Merkmale als Ausdruck von kausalen Verhältnissen zählen!], va. mit deskriptiver und argumentativer thematischer Entfaltung verknüpft)

argumentativ (ähnlich der explikativen thematischen Entfaltung, va. für appellative

Texte passend, weil Rezipient zu einer Handlung bewegt werden soll) →

kennzeichnende Themenentfaltung (These → Hauptargumente → Unterargumente)

BSP - Zeitungsbericht (deskriptiv): Gestern ereignete sich im Bereich der Wiener Staatsoper ein folgenschwerer Unfall [Einordnung in Raum und Zeit]. Ein betrunkener Lenker krachte mit seinem Fahrzeug frontal in die Straßenbahn. Der Wagen fing Flammen und brannte völlig aus. Der Lenker konnte nur noch tot geborgen werden [Darstellung des Themas in seinen Einzelkomponenten].

BSP - Erzählung am Telefon o.ä. (narrativ): Stell dir vor, was ich gestern gesehen habe: Ich gehe gerade an der Oper vorbei [Orientierung in Zeit und Raum], auf einmal höre ich Reifen quietschen und danach einen fürchterlichen Kracher. Mich reißt’s, ich dreh mich um und sehe, dass ein Auto in die Straßenbahn hineingekracht ist. Das hat sofort zu brennen angefangen. [Darstellung des Ereignisses]. Die Feuerwehr war zwar gleich da, aber dem Fahrer war nicht mehr zu helfen [Auflösung]. Ich nehme an, der war schwer besoffen. [Einschätzung von Seiten des Erzählers]. Man kann im Straßenverkehr gar nicht genug aufpassen, sag ich dir. *„Moral“+

Interessanterweise spielen bestimmte sprachliche Merkmale (zB: syntaktisch, morphologisch oder etwa lexikalisch) keine Rolle im Textsortenbegriff nach Brinker, obwohl sie dennoch charakteristisch sein können - zB: Kochrezepte, die fast ausschließlich den Infinitiv werden (vgl. „Eischnee schlagen, Zucker hinzufügen … dann Mehl langsam unterrühren … etc.). Ebenso können nicht-sprachliche Merkmale wie Diagramme, Abbildungen etc. wesentlich für eine bestimmte Textsorte sein.