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209 Volkswirtschaftliche Gesichtspunkte im Bodenrecht Von Dr. iur. Heinrich Wanner, Zürich Vortrag gehalten an der Jahresversammlung der Schweizerischen Gesellschaft for Statistik und Volkswirtschaft am 27. Mai 1949 in Schaffhausen I. Der Grund und Boden ist die Basis unseres irdischen Daseins. Er befriedigt, direkt oder indirekt, alle materiellen Bedürfnisse des Menschen. Mit Pflanzen und Tieren gibt er ihm Nahrung, mit Stein und Holz die Mittel fur das Obdach. Seine Ausbeutung verschafft die Rohstoffe für die Industrie und damit für den zivilisatorischen Fortschritt. Der Boden steht am Anfang und Ende des mensch- lichen Lebens. Auf ihm schafft sich jede Generation, aufbauend oder zerstörend, ihr Denkmal. Ist es bei solcher Betrachtung verwunderlich, dass dem Verhältnis zwischen Mensch und Boden, das einen Teil der Rechtsordnung bildet, zu allen Zeiten eine grosse Bedeutung zuteil wurde? Und versteht es sich nicht von selbst, dass dabei dem Landwirt, der in seiner täglichen Arbeit mit dem Boden ver- bunden ist, eine besondere Aufmerksamkeit geschenkt wurde? Wir möchten sogar weitergehen und sagen, dass sich die geistigen Strömungen der verschie- denen Zeitabschnitte in der wechselnden Rechtsordnung über Grund und Boden in selten klarer Weise widerspiegeln. Es wäre deshalb eine ebenso verdienstvolle wie dankbare Aufgabe, die Beziehung des Menschen zum Boden in einer umfas- senden, weltgeschichtlichen Betrachtung zur Darstellung zu bringen. Denken wir zunächst an das Volk Israel, das allen Boden als Gott gehörend betrachtete, dem menschlichen Grundeigentum nur fiduziarische Bedeutung bei- mass, das Land gleichmässig unter das Volk verteilte, den geordneten Grund- besitz mit dem Halljahr periodisch überprüfte und für Bodenkäufe bereits das Ertragswertprinzip verwendete K Auch bei den Griechen und Römern sind Staat und Kultur aus dem Bauernstand herausgewachsen. Wie ein Solon das attische Staatswesen auf der Basis des privaten Grundeigentums ordnete, so konnte nach römischem Staatsrecht nur der Grundbesitzer das Bürgerrecht erlangen. Dabei wurden nach der Verfassung des Servius Tullius bina jugera oder ca. zwei Juchar- ten als genügend angesehen, um eine Familienexistenz zu sichern. Die Auffas- sung des nihil solidum nisi solum, wonach keine Vermögensanlage so sicher sein soll wie diejenige im Grund und Boden, führte sowohl bei den Griechen wie namentlich bei den Römern allmählich von der bäuerlichen Landwirtschaft Vgl. die Bücher Mose, namentlich 3. Buch, Kapitel 25. 14

Volkswirtschaftliche Gesichtspunkte im Bodenrecht · mass, das Land gleichmässig unter das Volk verteilte, den geordneten Grund besitz mit dem Halljahr periodisch überprüfte und

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209

Volkswirtschaftliche Gesichtspunkte im Bodenrecht Von Dr. iur. Heinrich Wanner, Zürich

Vortrag gehalten an der Jahresversammlung der Schweizerischen Gesellschaft for Statistik und Volkswirtschaft am 27. Mai 1949 in Schaff hausen

I.

Der Grund und Boden ist die Basis unseres irdischen Daseins. Er befriedigt, direkt oder indirekt, alle materiellen Bedürfnisse des Menschen. Mit Pflanzen und Tieren gibt er ihm Nahrung, mit Stein und Holz die Mittel fur das Obdach. Seine Ausbeutung verschafft die Rohstoffe für die Industrie und damit für den zivilisatorischen Fortschritt. Der Boden steht am Anfang und Ende des mensch­lichen Lebens. Auf ihm schafft sich jede Generation, aufbauend oder zerstörend, ihr Denkmal.

Ist es bei solcher Betrachtung verwunderlich, dass dem Verhältnis zwischen Mensch und Boden, das einen Teil der Rechtsordnung bildet, zu allen Zeiten eine grosse Bedeutung zuteil wurde? Und versteht es sich nicht von selbst, dass dabei dem Landwirt, der in seiner täglichen Arbeit mit dem Boden ver­bunden ist, eine besondere Aufmerksamkeit geschenkt wurde? Wir möchten sogar weitergehen und sagen, dass sich die geistigen Strömungen der verschie­denen Zeitabschnitte in der wechselnden Rechtsordnung über Grund und Boden in selten klarer Weise widerspiegeln. Es wäre deshalb eine ebenso verdienstvolle wie dankbare Aufgabe, die Beziehung des Menschen zum Boden in einer umfas­senden, weltgeschichtlichen Betrachtung zur Darstellung zu bringen.

Denken wir zunächst an das Volk Israel, das allen Boden als Gott gehörend betrachtete, dem menschlichen Grundeigentum nur fiduziarische Bedeutung bei-mass, das Land gleichmässig unter das Volk verteilte, den geordneten Grund­besitz mit dem Halljahr periodisch überprüfte und für Bodenkäufe bereits das Ertragswertprinzip verwendete K Auch bei den Griechen und Römern sind Staat und Kultur aus dem Bauernstand herausgewachsen. Wie ein Solon das attische Staatswesen auf der Basis des privaten Grundeigentums ordnete, so konnte nach römischem Staatsrecht nur der Grundbesitzer das Bürgerrecht erlangen. Dabei wurden nach der Verfassung des Servius Tullius bina jugera oder ca. zwei Juchar-ten als genügend angesehen, um eine Familienexistenz zu sichern. Die Auffas­sung des nihil solidum nisi solum, wonach keine Vermögensanlage so sicher sein soll wie diejenige im Grund und Boden, führte sowohl bei den Griechen wie namentlich bei den Römern allmählich von der bäuerlichen Landwirtschaft

Vgl. die Bücher Mose, namentlich 3. Buch, Kapitel 25.

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hinüber zum Grossgrundbesitz und damit zwangsläufig auch zur extensiveren Bewirtschaftung, die meist durch Sklaven erfolgte. Aber immer wieder finden wir Männer, die aus staatspolitischen und volkswirtschaftlichen Überlegungen bemüht waren, durch Massnahmen des Bodenrechts den kleinen und mittleren Bodenbesitz zu fördern und zu schützen. Wir erinnern an die alte spartanische Verfassung, die früher Lykurg zugeschrieben wurde. Sie betrachtete den geord­neten Grundbesitz als unbedingte Voraussetzung eines sicheren Staatslebens und brachte aus dieser Erkenntnis heraus eine Neuverteilung der Ackerlose an die Spartaner und Periöken. Später hat der von 235—220 vor Christi Geburt in Sparta herrschende König Kleomenes wiederum eine gleichmässige Vertei­lung des Grundbesitzes durchgeführt und sich nicht gescheut, die widerstehenden Ephoren kurzerhand zu beseitigen K Bei den Römern waren es namentlich die Brüder Tiberius und Gajus Gracchus, die der längst bestehenden, nicht aber verwirklichten lex Licinia Nachachtung verschaffen wollten ; danach sollten dem Grossgrundbesitz gewisse Grenzen gesetzt, alles restliche Land aber eingezogen, in unveräusserliche Bauerngüter von massiger Grösse aufgeteilt und zu billigem Zins an die Plebejer verteilt werden 2. Obwohl die Grenzen mit ca. 150 ha für den Einzelnen oder gar mit 300 ha für eine Familie mit mehreren Söhnen sehr grosszügig gezogen waren, gelangten die Gracchen nicht zum Ziele; die beiden Volkstribunen zogen den Hass des Senats und des Ritterstandes auf sich und starben beide eines gewaltsamen Todes. Wenn im heutigen Italien die Auftei­lung der Latifundien wiederum im Vordergrund der politischen Diskussion steht, so zeigt das, wie die grundlegenden staatspolitischen Probleme periodisch wieder­kehren.

Auch die germanischen Völker kannten, nachdem das Nomadentum der Sesshaftigkeit Platz gemacht hatte, den privaten Grundbesitz, wobei allerdings das Gemeinwesen in Form der Sippe und später der Markgenossenschaft eine zweckmässige Bodenverteilung und einheitliche Bewirtschaftung sicherstellte. Die mittelalterliche Entwicklung können wir nur andeuten : Sie führte zunächst privatrechtlich, dann aber in vermehrtem Masse öffentlich-rechtlich zum Gross­grundbesitz. Über Lehenswesen und Grundherrschaft machte sie aus dem selb­ständigen Bauern eine Art Erbpächter mit grösserer oder geringerer persönlicher Freiheit und führte zu dem, was wir sachlich und zeitlich als Feudalismus be­zeichnen.

Die französische Revolution hat in weiten Teilen Europas die Rechtsver­hältnisse an Grund und Boden vom Extrem der weitgehendsten Gebundenheit zum andern Extrem der grösstmöglichen Freiheit hinübergefuhrt. An oberster Stelle steht das menschliche Individuum mit all seinen Freiheitsrechten und der Unantastbarkeit des Privateigentums als eines Herrschaftsrechtes an einer Sache, über die nach freiem Ermessen, ja sogar nach Willkür verfugt werden kann. Auch vor dem Grundeigentum hat diese revolutionäre Entwicklung nicht Halt ge-

1 Leopold v. Ranke, Weltgeschichte, II. Band, 2. Teil, S. 20. 2 Ranke,,a. a. O., II, 2, 15 ff., und Wilhelm Oechsli, Bilder aus der Weltgeschichte, I. Band,

S. 231 ff.

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macht. Die altrechtlichen Bindungen fielen weitgehendst ' dahin. Wohl hat sich der wirtschaftliche Liberalismus auch auf die Landwirtschaft befruchtend aus­gewirkt. Die Möglichkeit zur Entfaltung persönlicher Initiative, der Drang nach wirtschaftlicher Rendite, der Konkurrenzkampf, die von der Industrie geschaffenen Maschinen, Geräte und Hilfsmittel u. a. m. haben die Landwirt­schaft aus einem Stillstand herausgerissen und ihre Produktivität ganz erheb­lich gesteigert: Auf der anderen Seite mussten aber auch schwere Nachteile in Kauf genommen werden, indem die schrankenlose Freiheit sowohl dem Boden­egoismus und damit der Bodenspekulation als auch der Bodenbelastung und damit der Bodenverschuldung und schliesslich der volkswirtschaftlich schäd­lichen Bodenzerstückelung Tür und Tor öffnete. Wir werden auf diese Probleme im einzelnen zurückkommen.

Die jüngste Entwicklung bietet ein recht verworrenes Bild. In Amerika hat sich der wirtschaftliche Liberalismus auch in der Landwirtschaft völlig durch­gesetzt, indem ein nach möglichst grosser Rendite strebendes Unternehmertum weitgehend auch die Landwirtschaft beherrscht. Die Folge ist ein privatrecht­licher Grossgrundbesitz, die fabrikmässige Bewirtschaftung des Bodens, eine Landwirtschaft ohne Bauern 1. Auf der andern Seite hat Russland, wo sich der Feudalismus, wenn auch mehr in privatrechtlicher als in öffentlich-rechtlicher Form bis zur bolschewistischen Revolution erhalten konnte, den Versuch ge­macht, Grund und Boden zu verstaatlichen und durch kollektive Bewirtschaftung in Kolchosen eine durchgreifende Rationalisierung herbeizuführen. Mit grau­samster Gewalt und Massenausrottungen wurden die Widerstände der Bauern gebrochen, ohne das Ziel wirtschaftlich zu erreichen 2. Mit der Zeit konnten sich selbst die russischen Machthaber der Einsicht nicht länger verschliessen, dass die staatlich organisierte Zwangswirtschaft niemals, im Sektor der Boden­bearbeitung am allerwenigsten, zur Hebung der Produktivität führt. Anders Hesse es sich nicht erklären, wieso dem russischen Kolchosenbauer mehr und mehr «privates» Gartenland zur Eigenbewirtschaftung überlassen wurde. Bei den unter russischen Einfluss geratenen osteuropäischen Staaten scheint der miss­glückte Versuch mit der Kolchosenwirtschaft nicht wiederholt zu werden. Zwar sind auch dort tiefgreifende Umwälzungen im Gange, indem der Grossgrund­besitz abgeschafft und das Land in kleineren Stücken den einzelnen Bauern überlassen wird. Bei schlechter Bewirtschaftung und vermutlich auch in anderen Fällen behält sich allerdings der Staat, der ja vor Privatrechten jeden Respekt verloren hat, die Möglichkeit vor, den zur Verfügung gestellten Boden wieder zu entziehen.

Zwischen den beiden Extremen, dem amerikanischen Grossgrundbesitz und seiner fabrikmässigen Bewirtschaftung und dem russischen System, wo der Staat über Grund und Boden verfügt und das Land dem Kleinbauern zur kol-

1 Vgl. insbesondere den Aufsatz «Landwirtschaft ohne Bauern» in der Neuen Zürcher Zeitung vom 10. und 12. Januar 1949.

2 Vgl. Wilhelm Röpke, Die Gesellschaftskrisis der Gegenwart, 1942, S. 385 ff. Ferner die Schilderungen im Buch von V. Kravchenko, Ich wählte die Freiheit.

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lektiven oder Eigenbewirtschaftung überläset, bemühen sich zahlreiche euro­päische Staaten um eine Mittellösung. Sie wollen das private bäuerliche Grund­eigentum erhalten, es aber schützen gegen die Gefahren, welche die freiheitliche Privatrechtsordnung des Liberalismus mit sich gebracht hat.

IL

Wir haben die kurze historische Betrachtung bewusst an den Anfang ge­stellt, um darzutun, dass sich die Probleme des Bodenrechts immer wieder und überall gestellt haben und so oder anders, vielfach auf eine gleichartige Weise gelöst wurden. Wenn wir uns im folgenden der schweizerischen Entwicklung in neuester Zeit zuwenden, so dürfen wir davon ausgehen, dass sich unser Boden­recht wie unsere gesamte Rechtsordnung und Staatspolitik weniger in den Ex­tremen bewegte als in anderen Ländern. Zum grossen Teil verdanken wir das dem glücklichen Umstand, dass die Bauern in den Alpentälern vom Feudalismus verschont blieben und ihre Freiheit und Selbständigkeit über die Jahrhunderte hinaus erhalten konnten. So haben die althergebrachten Sitten und Rechte immer wieder aus den Alpentälern hinausgestrahlt ins Mittelland und im 19. Jahrhundert verhindert, dass sich die einseitige individualistische Auffassung des Privat­eigentums auch im Grund und Boden Eingang verschaffen konnte.

1. Seine freiheitlichste Gestaltung erhielt das Bodenrecht zweifellos mit dem schweizerischen Zivilgesetzbuch. Grundsätzlich trägt das Eigentum sowohl bei den Mobilien wie bei den Immobilien den Charakter eines Herrschaftsrechtes. Konsequenterweise soll auch der Bauer über das Land frei verfugen, es verkaufen, aufteilen und beliebig hoch mit Pfandrechten belasten können. Und doch ent­hält schon das Zivilgesetzbuch eine ganze Reihe von Bestimmungen, die der Besonderheit des Kulturlandes Rechnung tragen. An erster Stelle steht wohl das bäuerliche Erbrecht (Art. 620 ff.), wonach ein landwirtschaftliches Gewerbe einem geeigneten Erben ungeteilt und zum Ertragswert zugewiesen werden soll. Neben dem umfassend geordneten Nachbarrecht (Art. 684 ff.) verdient insbesondere der Art. 703 erwähnt zu werden, mit dem die Durchführung von Bodenverbesserungen und Güterzusammenlegungen ganz erheblich erleichtert wurde. Ausserdem ermächtigte das Zivilgesetzbuch die Kantone, weitergehende Beschränkungen des Grundeigentums zum allgemeinen Wohle aufzustellen, wie namentlich zur Vermeidung der Güterzerstückelung, zur rationellen Zu­sammenlegung ländlicher Fluren und von Baugebiet (Art. 702) sowie zur Ein­dämmung der Spekulation durch Verbot des Wiederverkaufs landwirtschaft­licher Grundstücke innert einer Sperrfrist von 5 Jahren (Obligationenrecht 218). Auch auf dem Gebiet der Verschuldung standen den Kantonen manche Möglich­keiten offen; so konnten sie beim Grundpfandrecht einen allgemein gültigen maximalen Zinsfuss festsetzen (Art. 795); ja sie hätten auch die Möglichkeit gehabt, für die Errichtung von Schuldbriefen, ähnlich wie bei der Gült, eine amt­liche Schätzung und eine verbindliche Belastungsgrenze vorzuschreiben (Ar­tikel 843). Wenn die auf ihre Souveränität pochenden Kantone nicht in vermehr­tem Masse von diesen Kompetenzen Gebrauch machten, so kann die Schuld nicht einfach dem Zivilgesetzbuch zugeschrieben werden.

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2. Auch seit der Vereinheitlichung des schweizerischen Privatrechts ist auf eidgenössischem Boden manches vorgekehrt worden, um unserer bäuerlichen Landwirtschaft vermehrten rechtlichen Schutz angedeihen zu lassen. So wurde durch die Bundesbeschlüsse über vorübergehende rechtliche Schutzmassnahmen für notleidende Bauern vom 13. April 1933 bzw. 28. September 1934 ein bäuer­liches Sanierungsverfahren eingeführt, das mit einem ausgebauten Nachlass­vertrag verhüten sollte, dass Bauern wegen entschuldbarer Rückstände auf Hypothekarzinsen oder Kapitalrückzahlungen von Haus und Hof getrieben werden. Ferner wurde im Jahre 1936 die sogenannte Sperrfrist eingeführt, ein Verbot, landwirtschaftliche Grundstücke vor Ablauf von 6 Jahren seit dem Erwerb als Ganzes oder in Stücken zu veräussern. Mit dieser Massnahme wollte man Spekulationsgeschäften entgegenwirken, die nach der Abwertung des Schweizer Frankens in erhöhtem Masse zu befürchten waren.

3. Beide Rechtsinstitute, sowohl die Sanierung bäuerlicher Heimwesen wie die Sperrfrist, haben materiell im Bundesgesetz vom 12. Dezember 1940 über die Entschuldung landwirtschaftlicher Heimwesen Aufnahme gefunden. Das Entschuldungsgesetz ist für die Ausgestaltung unseres Bodenrechts ausser­ordentlich bedeutungsvoll. Man darf sich durch den missverständlichen Titel nicht zur irrtümlichen Auffassung verleiten lassen, dass dieses Bundesgesetz die Entschuldung landwirtschaftlicher Heimwesen als eine einmalige Massnahme bezwecke. Eine solche Annahme ginge zu weit und wäre doch zu eng. Es ist den Kantonen anheimgestellt worden, ob sie die Entschuldung überhaupt durch­fuhren wollen. Der bleibende Wert dieses Gesetzes liegt vielmehr in der Verhü­tung künftiger Überschuldung. Die diesbezüglichen Massnahmen, nämlich die Fixierung einer Belastungsgrenze für landwirtschaftliche Grundstücke, die wei­tere Ausgestaltung und Präzisierung des bäuerlichen Erbrechts und die bereits genannte Sperrfrist für den Verkauf landwirtschaftlicher Liegenschaften haben auf dem ganzen Gebiet der Eidgenossenschaft Gültigkeit.

4. Im zweiten Weltkrieg, der die Gefahr der Kapitalanlage in Sachwerten zweifellos erhöhte, anderseits aber die Stabilisierung der Besitzesverhältnisse für eine erfolgreiche Durchführung des Mehranbaues zur Voraussetzung hatte, veranlasste die Bundesbehörden zu einschneidenden Massnahmen. Der Bundes-ratsbeschluss über Massnahmen gegen die Bodenspekulation und die Überschul­dung sowie zum Schutz der Pächter (BMB) x hat jede Handänderung an land­wirtschaftlich genutzten Grundstücken von einer behördlichen Genehmigung abhängig gemacht. Damit sollte in erster Linie die Überzahlung landwirtschaft­lich genutzter Grundstücke und der Erwerb von Kulturland durch Nichtland-wirte verhindert sowie eine Zerstückelung oder Zusammenlegung selbständiger bäuerlicher Heimwesen vermieden werden. Die entgeltliche Vermittlung land­wirtschaftlicher Liegenschaften wurde konzessionspflichtig erklärt. Ähnlich wie beim Eigentum bemühte man sich bei der Pacht um eine Stabilisierung der Besitzes Verhältnisse. Die minimale Pachtdauer wurde auf 5 Jahre (seit 25. März

1 Vom 19. Januar 1940 mit Abänderungen und Ergänzungen vom 20. Dezember 1940, 7. November 1941, 20. Oktober 1943 und 25. März 1946.

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1946 nur noch 3 Jahre) fixiert und der in Art. 281 OR enthaltene Grundsatz (Kauf bricht Pacht) wurde umgekehrt, so dass ein neuer Eigentümer ohne weiteres in das bestehende Pachtverhältnis einzutreten hat. Dazu kam die auf dem Ertragswert basierende Beschränkung des Pachtzinses.

5. Der eben skizzierte BMB ist auf dem Vollmachtenwege erlassen worden. Die Dauer seiner Gültigkeit ist deshalb beschränkt. Die revidierten Wirtschafts­artikel haben jedoch dem Bund u. a. die Befugnis eingeräumt, in Wahrung des Gesamtinteresses und nötigenfalls in Abweichung von der Handels- und Gewerbe­freiheit Vorschriften zur Erhaltung eines gesunden Bauernstandes und einer leistungsfähigen Landwirtschaft sowie zur Festigung des bäuerlichen Grund­besitzes zu erlassen. Schon am 30. Dezember 1947 hat der Bundesrat der Bundes­versammlung den Entwurf eines Bundesgesetzes über die Erhaltung des bäuer­lichen Grundbesitzes unterbreitet und damit eine dauerhafte Regelung der bodenrechtlichen Bestimmungen vorgeschlagen. Bereits die Entstehung dieses Gesetzesentwurfes wie namentlich seine Behandlung im Nationalrat — diejenige im Ständerat steht noch bevor — haben deutlich zum Ausdruck gebracht, wie sehr die grundsätzlichen Auffassungen auseinandergehen. Die einen lehnen jede Sonderregelung der Rechtsverhältnisse am Kulturland ab oder halten minde­stens die allgemeinen Bestimmungen des Entschuldungsgesetzes fur ausreichend. Andere glauben, dass zur Erhaltung unserer bäuerlichen Landwirtschaft ein wirtschaftlicher und nicht ein besonderer rechtlicher Schutz nötig sei, und schliess­lich fehlt auch jene Gruppe nicht, die mit den Einschränkungen wesentlich wei­tergehen möchte und nur in der Verstaatlichung des Verkehrs mit Grund und Boden eine konsequente und zum Ziel führende Lösung sieht. Wir wollen auf diese Meinungsverschiedenheiten, mindestens vorläufig, nicht näher eintreten und uns summarisch vergegenwärtigen, auf welchem Wege der Entwurf sein Ziel erreichen will. Im Vordergrund steht das sogenannte Zugrecht, ein gesetz­liches Vorkaufsrecht, das den Familienangehörigen und Verwandten, allenfalls auch einem langjährigen Pächter oder Dienstboten die Möglichkeit geben will, eine im Verkauf stehende landwirtschaftliche Liegenschaft an sich zu reissen. Dabei soll für Familienangehörige und Verwandte der Schätzungswert, für die übrigen Vorkaufsberechtigten Personen dagegen der Verkehrswert zur Anwen­dung kommen. In der nationalrätlichen Fassung ist ausserdem ein Einspruchs­verfahren vorgesehen, wenn der Erwerb in offensichtlicher Spekulationsabsicht erfolgt, wenn der Käufer für die Existenz seiner Familie bereits ausreichenden Grund und Boden besitzt oder wenn durch den Landverkauf ein Landwirtschafts­betrieb seine Existenzfähigkeit verliert. Die gewerbsmässige Liegenschaften-Vermittlung soll weiterhin konzessionspflichtig erklärt werden. Auf dem Gebiet des Pächterschutzes sieht der Entwurf lediglich eine dreijährige Minimaldauer vor sowie eine definitive Abänderung des Art. 281 OR in dem Sinne, dass ein Pachtvertrag durch den Verkauf der betreffenden Liegenschaft normalerweise nicht mehr gebrochen wird. In zwei wesentlichen Punkten will der Nationalrat den Pächterschutz erweitern: Die Kantone sollen die Möglichkeit haben, die Mindestdauer von Pachtverträgen bis auf 6 Jahre auszudehnen, und der Pächter soll die Herabsetzung eines offensichtlich übersetzten Pachtzinses verlangen

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können. In Ergänzung des Entschuldungsgesetzes sieht der Entwurf schliesslich ein besonderes Nachlassverfahren sowie die Einführung einer Betriebsaufsicht vor, um landwirtschaftliche Heimwesen gegen unwirtschaftliche Zwangsver­wertungen zu schützen.

III.

Mit dieser einleitenden Darstellung des geltenden und für die Zukunft vor­gesehenen Bodenrechts habe ich Ihre Geduld sehr lange in Anspruch genommen. Und doch wäre es wohl kaum angängig, eine volkswirtschaftliche Betrachtung über das Bodenrecht anzustellen, ohne dasselbe wenigstens in den Grundzügen skizziert zu haben. Leider müssen wir uns auch im folgenden Beschränkung auferlegen, indem wir nur auf einige wenige volkswirtschaftliche Gesichtspunkte, die uns besonders bedeutungsvoll zu sein scheinen, eintreten können.

1. Die Kulturlanderhaltung. Vor allem andern haben wir uns Gedanken zu machen über die Knappheit und dauernde Verminderung unseres Kulturlandes. Vom Schweizer Boden im Ausmass von ca. 4 Millionen ha sind rund 4̂ unpro­duktives Areal, Hochgebirge, Seen und Flüsse, Wohn- und Verkehrsanlagen; der zweite Viertel ist bewaldet, der dritte besteht aus Alpweiden, also aus land­wirtschaftlich nur extensiv nutzbaren Gebieten. Und nur der letzte Viertel darf als intensiv bewirtschaftetes Kulturland angesprochen werden. Die eigenartige historische Entwicklung hat unser Staatswesen dazu geführt, von vorneherein auf überseeischen Kolonialbesitz zu verzichten und die Grenzen unseres Binnen­landes als unabänderlich zu betrachten. Wir müssen uns also mit unserem Boden abfinden und können nicht mehr Lebensraum verlangen, weil sich unsere Be­völkerung in den letzten 100 Jahren ungefähr verdoppelte. Unser Land kann sich nicht in die Breite, sondern nur noch in die Tiefe ausdehnen.

Für Wohnungsbau, Industrie- und Verkehrsanlagen, Waffenplätze und an­deres mehr wird dauernd auf Kulturland gegriffen, und zwar in einem Ausmass, über das sich kaum genügend Rechenschaft gegeben wird. Im Zeitraum von 1905—1939 beträgt der Kulturlandverlust der Schweiz 78 748 ha oder 6,6% 1. In der Grössenordnung entsprechen diese 78 748 ha annähernd der Gesamtfläche des Kantons Neuenburg. Mahnen diese Zahlen schon zum Aufsehen, so erscheint der Kulturlandverlust seit Kriegsende geradezu erschreckend. Leider fehlen zurzeit noch zuverlässige statistische Angaben für das gesamte Gebiet der Schweiz. Auf Grund der Bautätigkeit in der Industrie und aus den Zahlen der Wohnbau­förderung muss aber geschlossen werden, dass pro Jahr sicherlich mehr als 2000 ha besten Kulturlandes verloren gehen. Das heisst nichts anderes, als dass Tag fur Tag ein Bauernbetrieb dem Untergang geweiht ist. Die Schätzung des Kulturlandverlustes von jährlich über 2000 ha ist mehr als vorsichtig; das be­weisen die statistischen Erhebungen im Kanton Zürich, wo die Kulturlandfläche allein im Jahre 1947 um 1121 ha oder um 1,3% zurückgegangen ist2 . Die Ver-

1 Statistische Quellenwerke der Schweiz, Heft 151, S. 42. Es handelt sich um ein Er­gebnis der Betriebszählung, wobei die Betriebe unter 0,5 ha nicht berücksichtigt sind.

2 Vgl. Zürcher Wirtschaftsbüder 1947, Nr. 3, S. 98.

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anschaulichung dieser Zahlen fuhrt uns zum Vergleich, dass diese als Kulturland vernichteten 1121 ha flächenmässig dem Untergang von zwei mittleren Bauern­dörfern entsprechen. Oder wir können in die Zukunft blicken und sagen, dass bei gleichbleibender Entwicklung keine 100 Jahre vergehen würden, bis der Kanton Zürich sein gesamtes Kulturland verloren hätte und sich nur noch als ein ein­ziges Wohn- und Industriegebiet zwischen Wäldern und Seen darbieten würde. Dieser Gedankengang will nur das Ausmass des Kulturlandverlustes 1947 ver­anschaulichen, nicht aber eine gleichbleibende Entwicklung in den Bereich des Wahrscheinlichen oder auch nur des Möglichen hineinstellen. Ein Missbrauch der Statistik müsste vor dem Forum Ihrer Gesellschaft wohl als Todsünde ge­wertet werden, und einer solchen möchte ich mich lieber nicht schuldig machen.

Wer den bedeutenden Kulturlandverlust vor Augen hat, muss sich unwill­kürlich vergegenwärtigen, dass der im Bodenrecht zu schützende bäuerliche Grundbesitz doch das Vorhandensein von Kulturland voraussetzt. Ist es deshalb sehr sinnvoll, im bäuerlichen Grundbesitz das Sekundäre zu schützen, gleich­zeitig aber den Kulturlandverlust als primäre Ursache gelassen hinzunehmen? Will das Bodenrecht, in der Karikatur gesehen, nicht den bäuerlichen Grund­besitz an dem bereits im Aussterbe-Etat figurierenden Kulturland schützen? Ist deshalb, volkswirtschaftlich betrachtet, die grundlegende Frage nicht eine andere, nämlich die: «Wie kann unser beschränktes und in letzter Zeit stark zusammengeschrumpftes Kulturland erhalten, wie können dem ständig fort­schreitenden Kulturlandverlust Grenzen gesetzt werden ?» In dieser Hinsicht hat mindestens das bisherige Bodenrecht nichts vorgekehrt, im Gegenteil! Die Tatsache, dass die Preisvorschriften des Art. 8 BMB nicht anwendbar waren, wenn bisheriges Kulturland unmittelbar zu Bauzwecken veräussert wurde, hat zahlreiche Grundbesitzer geradezu animiert, nach einer derartigen Verkaufs­möglichkeit Ausschau zu halten. Denn noch lange nicht jeder Landwirt ist jenes schollenverbundene Ideal. Auch der Bauer ist ein Mensch und damit einer materialistischen Denkweise nicht unzugänglich. Im Gebiet des Bodenrechts zeigt sich das oft in jenem Verhalten, das wir mit dem Ausdruck « Quadrat­metergesinnung» umschreiben möchten, jenem sehnsüchtigen Wunsch, Teil­stücke eines Landwirtschaftsbetriebes als teures Bauland verkaufen zu können.

Der Entwurf zu einem Bundesgesetz über die Erhaltung des bäuerlichen Grundbesitzes enthält allerdings unter dem Marginale «Realersatz» einen Art. 2 mit folgendem Wortlaut:

«Das landwirtschaftliche Areal der Schweiz soll nach Möglichkeit seinem Zweck erhalten bleiben. Die Kantone bestimmen, ob und in welcher Form für Verminderung des Kulturlandes bei Veräusserungsgeschäften Ersatz durch Indienststellung von Grund und Boden für landwirtschaftliche Nutzung zu bieten sei.»

Schon die vage Formulierung «soll, nach Möglichkeit, Kantone bestimmen, ob, in welcher Form, zu bieten sei» lässt vermuten, dass diese Gesetzesbestim­mung kaum mehr als einen frommen Wunsch enthält. Auch die Tatsache, dass sowohl die Einfuhrung wie die allfällige Durchführung der Realersatzpflicht vollständig den Kantonen überlassen bleibt, stellt dem Artikel eine schlechte

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Prognose. Wie die Erfahrung zeigt, haben die Kantone von der Ermächtigung, auf dem Gebiet des Bodenrechts beschränkende Bestimmungen zu erlassen, nur in bescheidenem Masse Gebrauch gemacht. Überdies aber handelt es sich hier um ein Problem, das mindestens in den Grundzügen nur auf eidgenössischem Boden geregelt werden kann. Denn nach Art. 31 des eidgenössischen Forst­gesetzes genie8St das Waldareal der Schweiz einen absoluten Schutz. Soll das in alle Zukunft so bleiben ? Sollen vom Kulturland weiterhin alle und vom Wald keinerlei Opfer gefordert werden, um den weiteren unbedingt erforderlichen Be­darf an Bauland zu decken ? Vom volkswirtschaftlichen Gesichtspunkt aus wird man wohl anerkennen müssen, dass die Landwirtschaft mit der Nahrungsmittel­produktion dringlichere Bedürfnisse befriedigt als die Forstwirtschaft. Ausser­dem ist die Landwirtschaft arbeitsintensiver, wirft einen rund fünfmal höheren Ertrag ab und bedarf in stärkerem Masse eines guten und womöglich ebenen Bodens. Wir möchten damit keineswegs einer hemmungslosen Schmälerung un­seres kostbaren Waldes das Wort reden, glauben aber, vom volkswirtschaftlichen Standpunkt aus die Frage stellen zu müssen, ob nicht Kulturland und Wald wenigstens gleichermassen geschützt werden sollten oder, anders ausgedrückt, ob nicht auch vom Wald dort, wo ihm nicht besondere Schutzaufgaben über-bunden sind, gewisse Opfer verlangt werden dürfen. Das könnte um so eher verantwortet werden, als es verhältnismässig leicht fällt, an Steilhängen und im Berggebiet weniger gesuchtes Land ersatzweise aufzuforsten. Auf lange Sicht betrachtet, dürfte eine derartige Gleichstellung von Wald und Kulturland zweck­mässiger sein, als wenn die Nahrungsmittelknappheit in Notzeiten zu plötzlichen massiven Eingriffen in unser Waldareal zwingt und die rasche Durchfuhrung erst noch einen bedeutenden finanziellen Aufwand des Staates erfordert *.

Wir wollen aber bei der Konkurrenz zwischen Kulturland und Wald nicht stehen bleiben. Das ausserordentliche Meliorationsprogramm und der Mehr­anbau während der Kriegsjahre haben zur Genüge bewiesen, dass auch in der Schweiz noch neues Kulturland erschlossen und bestehendes verbessert werden kann. Ist es deshalb nicht richtig, dass dem Gedanken der Realersatzpflicht auf breitester Basis zum Druchbruch verholfen wird ? Wer Kulturland entzieht, soll dazu beitragen, dass andernorts neues Kulturland erschlossen oder bestehen­des verbessert wird. Der Gedanke des Realersatzes ist keineswegs undurchführ­bar 2. Der beste Beweis ist der, dass schon in den Jahren 1932—1937 beim Bau des Etzelwerke8 weitgehend Realersatz geleistet wurde, indem 31 berufsbäuer­liche Siedlungen auf Meliorationsland erstellt wurden. Dies geschah noch ohne

1 Vgl. dazu H. Bernhard, Die Förderung der Innenkolonisation durch den Bund, Schriften der SVIL Nr. 9, insbesondere S. 13 ff.

N. Vital, Die Land und Forstwirtschaft in ihren wechselseitigen Beziehungen, Schriften der SVIL Nr. 80, Anhang I.

Auch im Nationalrat wurde die Frage Wald/Kulturland angeschnitten, allerdings ohne sie zu beantworten und daraus Konsequenzen zu ziehen; vgl. insbesondere das Votum des Bericht­erstatters Phüipona, Amtliches Stenographisches Bulletin, Nationalrat 1948, S. 294 i. f.

2 Zur Frage der Realersatzpflicht im allgemeinen verweisen wir auf H. Bernhard, Die För­derung der Innenkolonisation durch den Bund, Grundlagen zu einem eidgenössischen Siedlungs­gesetz, Schriften der SVIL Nr. 9.

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gesetzlichen Zwang. Doch wurde die Realersatzpflicht auf Intervention der Schwei­zerischen Vereinigung fur Innenkolonisation und industrielle Landwirtschaft als Konzessionsbedingung aufgenommen 1. Auch das Konsortium Kraftwerke Hinterrhein wäre übrigens bereit gewesen, beim Bau des Rheinwaldwerkes den betroffenen Landwirten vollumfänglich Realersatz zu leisten 2.

Selbstverständlich kann nicht für jede Wiese, die als Bauplatz erworben wird, Realersatz in natura gefordert werden. Dies ist auch gar nicht nötig. Genau so, wie für kleinere Waldrodungen ein bestimmter Geldbetrag in den Wiederaufforstungsfonds geleistet werden muss, könnte beim Entzug von Kul­turland ein angemessener Betrag in einen Meliorations- und Siedlungsfonds verlangt werden. Würde beispielsweise ein entgeltlicher Realersatz von Fr. 1 pro m2 gefordert, so ergäbe sich bei einem Kulturlandverlust von 2000 ha pro Jahr eine Summe von 20 Millionen. Das wäre ungefähr das Doppelte dessen, was Bund und sämtliche Kantone zusammen jährlich für Bodenverbesserungen aufwenden. Mit diesen Mitteln könnten Meliorationen auf lange Sicht geplant und gefordert werden. Man könnte die Durchführung solcher Werke in Zeiten der Arbeitslosigkeit forcieren und bis zu einem gewissen Grade vermeiden, dass in Kriegszeiten, wo bei mobilisierter Armee Landwirtschaft und Industrie schon überbeansprucht sind, unsere Kulturlandfläche mit unverhältnismässigem Auf­wand ausgedehnt werden muss.

Man wird uns einwenden, dass damit praktisch eine neue indirekte Steuer geschaffen würde, was neben der Handänderungs- und Grundstückgewinnsteuer nicht erwünscht sei. Aber es dreht sich hier nicht ums Geld, sondern darum, dass an Stelle von entzogenem Kulturland neues geschaffen wird, genau so, wie seit Jahrzehnten Waldrodungen durch Wiederaufforstungen ausgeglichen werden. Auch hier soll das, was dem Walde recht ist, dem Kulturland billig sein. Schliess­lich mache man sich folgende Überlegung: Wenn der Verkäufer einen um die Realersatzleistung geringeren Gewinn erzielen kann, wird er sich weniger leicht zur Preisgabe seines Bodens verleiten lassen; oder wenn der Käufer einen um die Realersatzleistung höheren Bodenpreis zahlen muss, wird er sein Begehren eher auf das unbedingt Notwendige beschränken. Beides ist im Sinne einer sparsamen Verwendung unseres beschränkten Kulturlandes nur erwünscht.

2. Die Bewirtschaftungspflicht. Die zweite Frage, die sich stellt, und die auch der Bundesrat in seiner Botschaft zum Entwurf eines Bundesgesetzes über die Erhaltung des bäuerlichen Grundbesitzes 3 aufgeworfen hat, ist diejenige der Bewirtschaftungspflicht. Wenn man dem Kulturland und dem bäuerlichen Grundbesitz einen besonderen Schutz angedeihen lässt, sollte man konsequenter­weise auch verlangen, dass der Boden intensiv bewirtschaftet wird. Die Wei­marer Verfassung hat diese Pflicht in Art. 153 statuiert, indem sie den Bestim-

1 Vgl. H. Bernhard, Das Wiederansiedlungswerk beim Stausee am Etzel, Schriften der SVIL Nr. 54.

2 Vgl. N. Vital, Kulturlandverlust und Realersatz bei Kraftwerkbauten im Schweizerischen Baublatt, Jahrgang 1946, Nr. 48.

8 Botschaft S. 27 ; ferner die Voten im Nationalrat von Phüipona und Chaudet, Amtliches Stenographisches Bulletin der Bundesversammlung, Nationalrat 1948, S. 294 und 300.

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mungen über die Eigentumsgarantie den Satz beifügte : «Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich Dienst sein fur das gemeine Beste.» Was mit dieser Verfassungsbestimmung in Deutschland erreicht wurde, vermögen wir nicht zu beurteilen. Der Bundesrat hat im Entwurf keine entsprechende Bestimmung aufgenommen, mit der Begründung, dass ein solcher Rechtssatz ohne Sanktio­nen keine praktische Bedeutung habe, dass es aber schwer fallen würde, ent­sprechende Sanktionen aufzustellen. Überdies könne eine zweckmässige Boden­nutzung eher mit wirtschaftlichen als mit rechtlichen Massnahmen gefördert werden, und schliesslich vermöge das Privatinteresse ein Brachliegen des Bodens zu verhindern K Wer die Bauernbetriebe unseres Mittellandes vor Augen hat, sagt sich unwillkürlich: Es hiesse Eulen nach Athen tragen, wollte man für diese wohlgepflegten Parzellen noch eine Bewirtschaftungspflicht statuieren: Wieder­holt haben ausländische Fachleute unser Mittelland mit einem einzigen grossen Garten verglichen. Ein besseres Zeugnis ist schlechterdings nicht denkbar.

Auf der anderen Seite haben wir allerdings Berggebiete mit einem suk­zessiven Verfall des Kulturlandes, indem Äcker zu Wiesen, Wiesen zu Weiden und Weiden gar zu Wald oder Ödland werden. Die Ursache ist darin zu suchen, dass die Bevölkerung aus Gegenden mit schlechten in solche mit besseren Exi­stenzbedingungen abwandert. Hier kann nur mit wirtschaftlichen Massnahmen und mit einer neuen inneren Erstarkung unserer Bergbauern geholfen werden 2. Mit der Bewirtschaftungspflicht als einer Massnahme des Bodenrechts ist hier jedenfalls nichts auszurichten.

Zwischen dem Mittelland und dem ausgesprochenen Berggebiet befinden sich aber heute noch grössere Landkomplexe, die Korporationen, Genoßsamen oder Bürgergemeinden gehören. Wohl vermögen diese Überreste des früheren Allmendbesitzes die ortsansässigen Bürger an ihre engere Heimat zu binden und die ökonomischen Verhältnisse mancher Gemeinde günstig zu beeinflussen. Und doch darf man, volkswirtschaftlich betrachtet, nicht an der Tatsache vorbei­sehen, dass diese Ländereien oft in einer Extensität bewirtschaftet werden, die sich mit den Erfordernissen unseres dichtbevölkerten Landes nicht mehr verträgt 8. Vereinzelte öffentliche Körperschaften bemühen sich zwar, die inten­sive Nutzung ihrer in den Kriegs jähren meliorierten und teils durch Industrie­pflanzwerke in Kultur genommenen Gebiete auf dem Wege der Besiedlung dau­ernd sicherzustellen. Wir denken z. B. an die Korporation Mendie, die auf ihrem Gemeinschaftsland zwischen Appenzell und Gais 14 Bauernhöfe erstellte oder an die Bürgergemeinde Heldswil, die ebenfalls die Besiedlung ihres Landes im Moos durchführte4. Dem unermüdlichen Einsatz der Schweizerischen Vereini­gung für Innenkolonisation und industrielle Landwirtschaft und der Hans-Bernhard-Stiftung ist es endlich auch gelungen, die ersten 5 Siedlungen in der Linthebene entstehen zu lassen 4. In der Regel sind aber die öffentlichen Kör-

1 Vgl. Botschaft S. 27. 2 Vgl. u. a. N. Vital, Kann der Bergbauer sich selber helfen?, Schriften der SVIL, Nr. 75. 3 Es würde zu weit führen, auf diese Frage näher einzutreten. Wir verweisen auf die Schrif­

ten der SVIL, insbesondere Nr. 8, 9, 23, 27, 29, 41, 47, 53, 60, 64, 78. 4 Vgl. Jahresberichte der Hans-Bernhard-Stiftung 1944/45 und 1946/47.

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perschaften nicht gewillt, teilweise auch kaum in der Lage, mit der Besiedlung oder auf anderem Wege die intensive Bewirtschaftung sicherzustellen. Ihnen gegenüber liesse sich die Bewirtschaftungspflicht mit Androhung der Expropria­tion zum Ertragswert volkswirtschaftlich rechtfertigen. Ohne Zweifel könnte die Bewirtschaftungsintensität ganz erheblich gesteigert werden, wenn jungen tüch­tigen Landwirten Gelegenheit gegeben würde, eine Siedlung zu erstellen und sich eine selbständige Existenz aufzubauen. Von Ausnahmen abgesehen ist es. nun einmal so, ob man es wahrhaben will oder nicht, Kulturland im öffentlichen Besitz wird entweder extensiv bewirtschaftet oder dann in kantonalen oder städtischen Gutsbetrieben, die musterhaft s ind . . . , wenn wir ihre Wirtschaft­lichkeit nicht näher untersuchen. Ausnahmen dürften auch hier die Regel bestätigen.

Nachdem sich die Bewirtschaftungspflicht im Mittelland als unnötiges und im Berggebiet als untaugliches Mittel herausstellt, dürfte nur im Hinblick auf schlecht genutzte Allmenden ein so weitgehender Eingriff in die bisherige Ordnung des Grundeigentums nicht gerechtfertigt sein.

Was aber not tut, ist eine strengere Formulierung und Überwachung der Subventionsbedingungen im Meliorationswesen. Wenn für Bodenverbesserungen namhafte Mittel der öffentlichen Hand aufgewendet werden, und dies ist durch­aus gerechtfertigt, so muss dafür gesorgt werden, dass über den Unterhalt der technischen Anlagen hinaus eine der Melioration entsprechend intensive Bewirt­schaftung erfolgt. Ist dies nicht der Fall, so müssen die Subventionen mit aller Strenge zurückgefordert werden. Das ebenfalls erst im Entwurf vorliegende Bundesgesetz über die Förderung der Landwirtschaft und die Erhaltung des Bauernstandes hat dieses Prinzip glücklicherweise in Art. 88 fixiert. Man darf von diesem neuen Landwirtschaftsgesetz eine allgemeine Förderung des Willens zu intensiverer Bewirtschaftung erwarten, da die vorgesehenen wirtschaftlichen Hilfs- und Sicherungsmassnahmen nur denjenigen zugute kommen sollen, welche die gesetzlichen Bestimmungen über die Produktion und Selbstversorgung be­folgen.

Nachdem wir den öffentlichen Grundbesitz im Mittelland einer kritischen Betrachtung unterzogen, müssen wir noch auf die Alpweiden zu sprechen kom­men, bei denen die Verhältnisse grundlegend verschieden sind. Während der Bauernbetrieb im Mittelland das ganze Jahr hindurch ein geschlossenes Ganzes bildet, benötigt der Bergbauer neben dem Talbetrieb das Maiensäss und die Alp. Die kostbaren Fettwiesen im Talgrund geben das Futter für den Winter, während sich das Vieh im Frühjahr und Herbst auf dem Maiensäss und während der Sommermonate auf der Alp aufhält und weidend seine Nahrung findet. Die Alp bildet somit einen nur temporär bedeutungsvollen, aber für die Existenz des Bergbauernbetriebes unentbehrlichen Bestandteil. Der Entwurf des neuen Boden­rechts nimmt sich auch dieser Frage an und ermächtigt die Kantone in Art. 16, spezielle Bestimmungen über Alpweiden aufzustellen, um durch Einfuhrung eines Vorkaufsrechts Privatalpen ins Eigentum von öffentlich-rechtlichen Kör­perschaften überzuführen, wobei den ortsansässigen Bergbauern angemessene Weiderechte einzuräumen sind. Auf diesem Nachsatz liegt, volkswirtschaftlich

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betrachtet, das Schwergewicht. Es muss vermieden werden, dass ortsansässigen Landwirten durch Erbteilung, Abwanderung und Verkauf von Privatalpen oder Alprechten nach auswärts die Möglichkeit genommen wird, ihr Vieh auf den Alpen zu sommern. Da die Alprechte liegenschaftsgleich behandelt werden, stellt sich diese Gefahr unabhängig davon, ob die Alpen Privateigentümern oder einer öffentlich-rechtlichen Korporation gehören. Wir haben beispielsweise eine Ge­meinde im Prättigau vor Augen, wo die Alpen öffentliches Gemeinschaftseigen­tum sind, die Alprechte mit der Zeit aber so sehr in auswärtige Hände gerieten, dass die Existenz der ortsansässigen Bauern heute in gefährlichem Masse be­droht erscheint. Die Bedenken, die wir dem öffentlichen Grundbesitz gegenüber äusserten, treffen grundsätzlich auch für die Alpen zu. Die Bodenpflege und intensive Nutzung dürften bei den Privatalpen wesentlich besser sein 1. Betriebs­wirtschaftlich vermag aber die genossenschaftliche oder korporative Alp nament­lich den Kleinbauern erheblich zu entlasten. Er kann sein Vieh dem Hirten oder Älpler übergeben und sich im Talbetriebe der Heuernte widmen, vielleicht sogar einem bescheidenen Nebenverdienst nachgehen2. Dazu kommt, dass nicht jeder Bergbauer im gleichen Alpgebiet eine Sennhütte zu erstellen braucht und damit eine zu hohe Gebäudebelastung eingeht 3.

3. Eigentum und Bewirtschaftung. Im Anschluss an die Frage der Bewirt­schaftungspflicht haben wir uns einige Gedanken über das öffentliche und private Eigentum an Kulturland gebildet und wollen uns nun dem Problem zuwenden, das in der Diskussion um das neue Bodenrecht unter dem Schlagwort «Das Land den Bauern» grosse Wellen geschlagen hat. Wie wir einleitend ausführten, enthält der BMB in Art. 9 die Bestimmung, wonach die Genehmigung eines Kauf­vertrages versagt werden soll, wenn die Gefahr einer wirtschaftlich schädlichen Handänderung besteht, namentlich wenn. . . der Erwerber im Hauptberuf nicht Landwirt ist. Diese viel angefochtene Bestimmung fand z. T. schon durch die Praxis im Sinne einer restriktiven Interpretation, namentlich aber in den Vor­entwürfen zu einem neuen Bodenrecht eine Milderung insofern, als nicht nur der hauptberufliche Landwirt, sondern jeder Selbstbewirtschafter zum Erwerb von Kulturland legitimiert wurde. Der Entwurf des Bundesrates zu einem Bun­desgesetz über die Erhaltung des bäuerlichen Grundbesitzes hat den Gedanken nur noch sehr beschränkt übernommen, indem das gesetzliche Vorkaufsrecht an landwirtschaftlichen Liegenschaften ausschliesslich denjenigen Familienan­gehörigen und Verwandten zuerkannt wird, die das Gut selbst bewirtschaften wollen und hiefur geeignet erscheinen.

Es ist zweifellos eines der grossen Verdienste von Wilhelm Röpke 4, mit neuer Klarheit und allem Nachdruck auf die staatspolitische Bedeutung des

1 Vgl. das Votum von Nationalrat Wagner, Amtliches Stenographisches Bulletin, National­rat 1948, S. 517. Ferner JV. Vital, Schriften der SVIL Nr. 75, S. 7.

2 Vgl. Postulat Roth im Nationalrat, behandelt in der Botschaft, S. 341. 8 Vgl. N. Vüal, Schriften der SVIL Nr. 75, S. 11. 4 Vgl. namentlich Wilhelm Röpke, Die Gesellschaftskrisis der Gegenwart, insbesondere

S. 316 ff.

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Bauerntums hingewiesen zu haben und namentlich darauf, dass nicht die Land­wirtschaft schlechthin, sondern allein die bäuerliche das Rückgrat einer gesunden Nation bildet. Nach Röpke stellt die bäuerliche Welt zusammen mit anderen kleinen Sektoren der Gesellschaft die letzte grosse Insel dar, die noch nicht von der Vermassung ergriffen worden ist \

Unter diesem Gesichtspunkte betrachtet, ist der Rückgang unserer bäuer­lichen Bevölkerung besorgniserregend. Nach den Volkszählungsergebnissen 2 des Jahres 1888 waren von allen berufstätigen Schweizern 36,4% in der Landwirt­schaft beschäftigt. Der prozentuale Anteil sank sukzessive auf 19,1 % im Jahre 1941. Man mag diese relativen Zahlen im Hinblick auf die starke Bevölkerungs­zunahme unseres Landes als einseitig betrachten. Tatsächlich zeigt sich aber auch bei den absoluten Zahlen ein bedeutender Rückgang. Gehörten im Jahre 1888 nicht weniger als 475 089 Berufstätige der Landwirtschaft an, so waren es im Jahre 1941 nur noch 379 725. Die Ursachen dieses Rückganges liegen in erster Linie darin, dass das landwirtschaftliche Areal im Mittelland in starkem Masse zusammenschrumpft, dass sich die Handarbeit durch die fortschreitende Me­chanisierung und Motorisierung der Landwirtschaft verringert und dass zahl­reiche Bergbauern die Alpentäler verlassen, um im Flachland leichtere Existenz­möglichkeiten zu suchen. Mit aller Deutlichkeit muss aber betont werden, dass das vorhandene Kulturland sozusagen ausschliesslich in bäuerlichen Familien­betrieben bewirtschaftet wird.

Die Betriebszählung von 1939 hat ergeben, dass 57,6% aller Landwirt­schaftsbetriebe über weniger als 5 ha und 82,3% über weniger als 10 ha Nutz­fläche verfugen. Nur 14% aller Betriebe können mit 10—20 ha als mittlere und nur 3,6% als grössere Betriebe bezeichnet werden 8. Ein staatspolitisches Pro­blem des Grossgrundbesitzes kennen wir nicht.

Mit der Feststellung, dass unsere Landwirtschaft als eine ausgesprochen bäuerliche zu bezeichnen ist, ist die Frage noch nicht beantwortet, ob die Be­triebe auch eigentumsmässig den Bauernfamilien gehören. Nach gesundem Men­schenverstand beurteilt, sollte es wenigstens in der Regel so sein, dass das Land demjenigen gehört, der es bewirtschaftet. Das Sprichwort sagt ja, es sei die Hand des Eigentümers, die Sand in Gold verwandelt. Aber auch in dieser Hinsicht sind die Erhebungen keineswegs alarmierend. Nach der Betriebszählung von 1939 standen 77% der bewirtschafteten Bodenfläche unseres Landes im Eigen­tum des Bewirtschafters. Nur 22% waren verpachtet und 1% in Nutzniessung gegeben. Wenn mit wirtschaftlichen Massnahmen dafür gesorgt wird, dass der Bauer existieren kann, wird auch in Zukunft keine gefährliche Veränderung der Eigentumsverhältnisse befürchtet werden müssen. Ist es doch der sehnlichste Wunsch jedes Bauern, seinen Betrieb zur gegebenen Zeit in die Hand seiner

1 Röpke a. a. O. S. 319. 2 Die nachfolgenden Zahlen basieren auf einer Zusammenstellung des Statistischen Amtes

des Kantons Zürich. Sie umfassen nur die Landwirtschaft inkl. Rebbau, vgl. ferner Statistische Quellenwerke der Schweiz, Heft 198.

8 Vgl. Botschaft S. 4.

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Nachkommen legen zu dürfen. In dieser Hinsicht hat sich wohl seit der aleman­nischen Zeit nichts geändert. Die klassischen Worte des Tacitus in der Germania x

« . . . sie vivendum sie pereundum; aeeipere se quae liberis inviolata ac digna reddat», haben mindestens im Bauernstand zeitlose Gültigkeit. Unser bäuer­liches Erbrecht hat diese alte gute Sitte bereits unterstrichen. Mit dem gesetz­lichen Vorkaufsrecht will das neue Bodenrecht noch einen Schritt weitergehen. Praktisch wird durch das Vorkaufsrecht verhindert, dass der Zweck des bäuer­lichen Erbrechtes durch Verfügungen zu Lebzeiten illusorisch gemacht wird. Namentlich kann das gesagt werden, wenn das gesetzliche Vorkaufsrecht nach der einstimmigen Auffassung der ständerätlichen Kommission auf die Verwand­ten in auf- und absteigender Linie sowie auf den Ehegatten beschränkt werden sollte 2.

Unhaltbar wäre es indessen, wenn entsprechend der ursprünglichen Forde­rung gewisser Kreise und in Beibehaltung der gegenwärtigen Regelung grund­sätzlich jeder Interessent vom Erwerb landwirtschaftlicher Liegenschaften aus­geschlossen würde, sofern er im Hauptberuf nicht Landwirt ist oder die Grund­stücke nicht selbst bewirtschaftet. In erster Linie sind es rechtliche Bedenken, die einer derartigen Regelung entgegengehalten werden müssen 8. Wir können auf diese juristischen Erörterungen nicht näher eintreten. Aber auch vom volks­wirtschaftlichen Gesichtspunkt aus, darf dem Nichtlandwirt der Erwerb einer landwirtschaftlichen Liegenschaft nicht untersagt werden. Oft sind speziell von Nichtlandwirten Landwirtschaftsbetriebe geschaffen worden, die in ihrer Einrichtung und Führung mustergültig und dem Fortschritt in der Landwirt­schaft im Sinne der Rationalisierung forderlich sind. Auch dürften derartige Betriebe in den Händen von Nichtlandwirten am ehesten dazu beitragen, dass das Verständnis anderer Bevölkerungsgruppen für die Sorgen und Bedürfnisse unserer Bauernsame nicht verloren geht. War es beispielsweise nicht kurzsichtig, dass man die Unternehmungen der Industrie und des Handels, die Banken und Versicherungsgesellschaften zur aktiven Mitwirkung am Mehranbau verpflichtete, ihnen aber den Erwerb der betreffenden Ländereien bis zur Änderung des BMB vom 1. Juni 1946 rechtlich verunmöglichte ? Auf eigenem Grund und Boden wären diese Unternehmungen sicher mit noch grösserem Elan an die Aufgabe herangetreten, hätten auf längere Zeit disponieren können und mit den Investi­tionen nicht zurückhalten müssen. In vielen Fällen wären Melioration, Inkultur-nahme und Besiedlung nicht auseinandergerissen worden, sondern als eine ein­heitliche Aufgabe gleichzeitig zur Durchführung gelangt. Auf einem grösseren

1 Germania, XVIII. 2 Vgl. den Agenturbericht über die Verhandlungen und Beschlüsse der ständerätlichen

Kommission, Neue Zürcher Zeitung, 6. Mai 1949, Bl. 4. 8 Vgl. Verhandlungen des Schweizerischen Juristen-Vereins über aktuelle Probleme der

Landwirtschaftsgesetzgebung mit Referaten von Prof. Dr. Franz Jenny und Dr. Louis Gisan, Basel 1945. Bodenrecht und Agrargesetzgebung, herausgegeben von der Vereinigung für Rechts­staat und Individualrechte, insbesondere S. 46 ff. Dr. Konrad Fehr, Grundfragen eines bäuer­lichen Bodenrechtes, insbesondere S. 34 ff. Dr. Bernhard Hammer, Zur Entwicklung der schwei­zerischen Agrargesetzgebung, in der Schrift der Aktionsgemeinschaft Nationaler Wiederaufbau, insbesondere S. 44.

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Teile jener rund 10 000 ha, die durch Industriepflanzwerke erschlossen wurden, ständen schon längst bäuerliche Siedlungen. Und wahrscheinlich hätte ein be­achtlicher Teil der riesigen Betriebsdefizite — man rechnet mit 70 bis 100 Mil­lionen — eingespart werden können, wenn mit zweckmässigen Gebäuden schon früher der Übergang zur bäuerlichen Bewirtschaftung möglich gewesen wäre.

Würde man die Forderung, wonach Eigentum an Kulturland nur zur Selbst­bewirtschaftung erworben werden darf, konsequent verwirklichen, so würden damit sämtliche Pachtbetriebe zum Verschwinden gebracht. Auch das wäre volks­wirtschaftlich nicht erwünscht. Denn wie in jedem andern Wirtschaftszweig muss es auch in der bäuerlichen Landwirtschaft Aufstiegsmöglichkeiten geben. Schon Jeremias Gotthelf hat dieser Notwendigkeit in seinen Büchern «Ueli der Knecht» und «Ueli der Pächter» in menschlich ansprechender Weise Ausdruck verliehen. Es gibt heute noch Bauernsöhne, die aus ärmlichen Verhältnissen stam­men, die ihre Laufbahn als Knecht beginnen, sich mit Fleiss und Sparsamkeit allmählich zum Pächter emporarbeiten und vielleicht sogar einmal einen eigenen Landwirtschaftsbetrieb zu erwerben vermögen. Volkswirtschaftlich widersinnig wäre es wohl, würde man diesen besonders tatkräftigen und wertvollen Menschen die Entwicklungsmöglichkeiten nehmen oder schmälern 1.

Dagegen kann man sich fragen, wieweit die Pächter eines besonderen Schut­zes bedürfen. An erster Stelle steht die Erkenntnis, dass konstante Besitz­verhältnisse eine intensive Bewirtschaftung begünstigen. Die Einhaltung einer richtigen Fruchtfolge setzt mehrjährigen Besitz voraus. Wie jeder Bauer muss auch der Pächter auf längere Zeit disponieren können. Er muss das Pachtobjekt erst kennen lernen, um es gut zu bewirtschaften. Es braucht unter Umständen Investitionen, eine Vergrösserung des Viehstandes oder die Anschaffung von Maschinen und Geräten, wofür sich eine längere Amortisationszeit aufdrängt. Der Pächter muss wissen, dass seine vermehrten Aufwendungen und Bemühun­gen, beispielsweise eine gute Bodendüngung, ihm und nicht einem anderen den grösseren Ertrag bringen. Auch sind mit jedem Wechsel des Pachtobjektes er­hebliche unproduktive Ausgaben verbunden.

Aus all diesen Gründen rechtfertigen sich sowohl die gesetzliche Fixierung einer minimalen Pachtdauer als auch die Umkehrung des altrechtlichen Grund­satzes « Kauf bricht Pacht » ins Gegenteil, so dass der Pachtvertrag für einen neuen Eigentümer normalerweise verbindlich bestehen bleibt. Über die Minimaldauer eines Pachtvertrages gehen die Meinungen auseinander. Ob drei oder mehr Jahre das Minimum sein sollen, entscheidet sich darnach, ob man einer möglichst geringen Einschränkung der Vertragsfreiheit oder dem Interesse an konstanten Besitzverhältnissen das Primat zuerkennen will. Im praktischen Leben dürften hier wie in manch anderen Dingen die menschlichen Verhältnisse eine viel ent­scheidendere Bedeutung haben als die gesetzliche Norm. Einen guten Pächter, der Ordnung hat und den Betrieb vorbildlich bewirtschaftet, wird sich der Ver­pächter schon im eigenen Interesse zu erhalten suchen. Es gibt in unserem Lande

1 Unter den prominenten Vertretern der Landwirtschaft ist es insbesondere Dr. Ernst Feisst, der in seinem Buch «Durchhalten», schweizerische Lösungen zur Ernährungs- und Agrar­politik während und nach dem Kriege, auf die Notwendigkeit der Pacht hingewiesen hat (S. 224).

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zahlreiche Pächter, die sich durch ihre Tüchtigkeit eine Stellung erworben haben, die von derjenigen eines Eigentümers nur wenig abweicht: Sie zahlen dem Verpächter den Pachtzins statt einem Bankinstitut den Hypothekarzins. Dort aber, wo das Vertrauensverhältnis zwischen Verpächter und Pächter zer­stört ist und der Pachtvertrag nur weiter existiert, weil der Pächter den gesetz­lichen Schutz einseitig ausnützt, dürfte weder für die beteiligten Menschen noch für die Bewirtschaftung der Liegenschaft viel Positives herausschauen.

4. Güterzerstückelung und Gütervereinigung. Wenn wir uns im folgenden dem Problem der Güterzerstückelung und Gütervereinigung zuwenden, so müssen wir in unserer Betrachtung zurückgehen zur Feststellung, dass die Schweiz das ausgesprochene Land des Kleinbetriebes darstellt, dass mehr als 4/5 aller Betriebe weniger als 10 ha Nutzfläche umfassen. Allerdings zeigt die Betriebs­zählung eine beachtliche Verschiebung in den Betriebsgrössenklassen, indem die Zahl der kleinsten und grössten Betriebe stark abnimmt und diejenige der Mittelbetriebe in bescheidenem Masse zunimmt. Die Veränderungen im Zeit­raum 1905-1939 lassen sich wie folgt zusammenfassen: Abgenommen haben in erster Linie die Zwergbetriebe in der Grösse von 0,5-3 ha, und zwar um 27 945 oder 27,8%. Bei den Kleinbetrieben in der Grösse von 3-5 ha beträgt die Ab­nahme 3298 oder 8%. Am stärksten reduziert hat sich die Zahl der Grossbetriebe mit mehr als 30 ha, nämlich um 4627 oder 63%. Demgegenüber verzeichnen wir Zunahmen bei den kleinen Mittelbetrieben in der Grösse von 5-10 ha um 3577 oder 6,4%, bei den Mittelbetrieben in der Grösse 10-15 ha um 4148 oder 21% und bei den grösseren Betrieben von 15-20 ha um 748 oder 5%. Die Gesamtzahl der landwirtschaftlichen Betriebe hat sich von 1905-1939 um 27 498 verringert \

Primäre Ursache dieser Abnahme ist, um das nochmals mit aller Deutlich­keit zu wiederholen, der Kulturlandverlust. Es handelt sich in diesen Fällen um einen Untergang von Landwirtschaftsbetrieben. Nur sekundär darf lediglich von einer Verschiebung der Betriebsgrössen gesprochen werden. Verlangt das volks­wirtschaftliche Interesse unbedingt einen Eingriff in diese Verschiebungs-Ent­wicklung?

Unter Beschränkung auf die hauptsächlichsten Gesichtspunkte dürften folgende Überlegungen wegleitend sein: Einerseits besteht ein staatspolitisches Interesse an einer möglichst grossen Zahl selbständiger Bauernfamilien. Ausser­dem wird die Bodennutzung normalerweise an Intensität zunehmen, je kleiner der Betrieb ist. Denn um existieren zu können, wird die Kleinbauernfamilie ein Maximum aus dem beschränkten Boden herausholen müssen. So können auch Zwergbetriebe dort, wo es die Natur und die Absatzmöglichkeiten gestatten, durch ausschliesslichen Anbau intensivster Kulturen, beispielsweise von Reben, Tabak, Edelobst und Gemüse, existenzfähig sein. Mit wirtschaftlichen, nicht aber mit bodenrechtlichen Massnahmen werden sich deshalb diese Gattungen von kleinsten Betrieben schützen und erhalten lassen. Normale Bauernbetriebe mit Ackerbau und Viehzucht dagegen können bei allzu kleiner Wirtschafts­fläche weder eine ausreichende Familienexistenz bieten noch lassen sie sich mit

1 Vgl. die tabellenartige Darstellung in der Botschaft, S. 4.

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den heute zur Verfügung stehenden Mitteln rationell bewirtschaften. Unter die­sem Gesichtspunkt betrachtet, kann deshalb die Auflassung von Zwergbetrie­ben mindestens dann nicht als volkswirtschaftswidrig bezeichnet werden, wenn andere ebenfalls zu kleine Betriebe durch den Landzuwachs in ihrer Existenz­fähigkeit gefestigt werden.

Aus diesen Erwägungen heraus wäre es, volkswirtschaftlich betrachtet, zweischneidig, würde man mit bodenrechtlichen Bestimmungen in die Entwick­lung eingreifen. Ein derartiger Eingriff des Staates stände überdies im Wider­spruch zu den von ihm geförderten Güterzusammenlegungen. Wo diese im Interesse der Rationalisierung und Intensivierung der Landwirtschaft besonders wichtige Massnahme in grosszügiger Weise zur Durchführung gelangt, wird immer darnach getrachtet, einzelne nicht existenzfähige Betriebe durch die Gemeinschaft aufzukaufen, um dadurch eine bessere Landzuteilung zu erreichen. Haben die Bauern durch die Güterzusammenlegung einen arrondierten Grund­besitz erhalten, schwindet automatisch das Interesse an einer Bodenzerstücke­lung oder an dem Verkauf einzelner Parzellen. Überdies haben es die Kantone auf Grund von Art. 702 ZGB in der Hand, einer solchen Gefahr durch die Tei­lungsbeschränkung einen Riegel zu schieben.

5. Bodenpreis, Überschuldung, Spekulation. Damit gehen wir über zu einer letzten Betrachtung, die uns in das Gebiet der Bodenüberzahlung, der Boden­spekulation und der Bodenverschuldung hineinführt. Ausgangspunkt bildet die eingehend dargelegte Tatsache, dass das einer intensiven landwirtschaftlichen Nutzung zugängliche Kulturland sehr rar geworden ist. Angebot und Nachfrage vermögen sich längst nicht mehr die Waage zu halten; sie stehen zueinander in einem argen Miss Verhältnis. Daraus ergibt sich die grosse Differenz zwischen dem Verkehrswert, zu dem landwirtschaftliche Liegenschaften normalerweise gehandelt werden, und dem sogenannten Ertragswert, der bei landesüblicher Bewirtschaftung des Grundstückes in einer der Schätzung vorausgegangenen längeren Zeitspanne durchschnittlich zu 4 % verzinst werden könnte 1.

Um eine Überzahlung des Bodens zu verhindern, sind zahlreiche Mittel und Wege vorgeschlagen worden. Da sich auf der Seite des Angebots durch Er­schliessung neuen Kulturlandes keine genügende Korrektur erzielen lässt, blei­ben grundsätzlich nur zwei Möglichkeiten, nämlich eine Beschränkung der Nach­frage oder die Fixierung einer verbindlichen Preisgrenze. Im kriegswirtschaft­lichen Bodenrecht wurden beide Mittel verwendet : Die Nachfrage wurde künst­lich vermindert durch grundsätzlichen Ausschluss aller Nichtlandwirte vom Eigentumserwerb an Kulturland. Überdies durften Rechtsgeschäfte nicht ge­nehmigt werden, wenn der Kaufpreis den Ertragswert mit einem höchstens 30%igen Zuschlag überstieg. Trotzdem konnte nicht verhindert werden, dass landwirtschaftliche Liegenschaften in zahlreichen Fällen über dem behördlich fixierten Schätzungswert gehandelt wurden. Ob Schwarzzahlungen allgemein üblich sind, wie bisweilen behauptet wird, ist schwer zu beurteilen. Sicherlich

1 Legaldefinition in Art. 6 des Bundesgesetzes über die Entschuldung landwirtschaftlicher Heimwesen.

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verdanken wir es aber den einschneidenden Bestimmungen des BMB, dass die Preise fur Kulturland während der Kriegsjahre nicht ins Uferlose stiegen und dass Landwirtschaftsbetriebe nicht in grösserer Zahl in unberufene Hände ge<» rieten. Im künftigen Bodenrecht wurde sowohl vom grundsätzlichen Ausschluss der Nichtlandwirte wie auch von der Festsetzung einer Preisgrenze abgesehen. Beide Massnahmen hätten die Beibehaltung des behördlichen Genehmigungs­verfahrens vorausgesetzt. Für eine Ausweitung der Bürokratie besteht aber mindestens in Friedenszeiten wenig Verständnis.

Volkswirtschaftlich betrachtet ist der grundsätzliche Ausschluss der Nicht­landwirte vom Eigentumserwerb am Kulturland nicht erwünscht. Wir brau­chen auf diese bereits erörterte Frage nicht mehr einzutreten. Aber auch der Preisgrenze darf in normalen Zeiten keine allzu grosse volkswirtschaftliche Bedeutung beigemessen werden. Zunächst handelt es sich «bis zu einem gewissen Grade um ein untaugliches Mittel, da die Massnahme im Volk keinerlei Popu­larität geniesst und ihre Umgehung nirgends, namentlich auch nicht bei der Justiz, als ein schwerwiegendes Vergehen betrachtet und geahndet wird. Um die Preisgrenze restlos durchzusetzen, bliebe kaum ein anderer Weg, als die Einführung eines obligatorischen neutralen Zwischenhändlers. So könnte nach einem derartigen Vorschlag x alles Kulturland nur noch an staatliche Boden­annahmestellen zum Schätzungswert verkauft werden. Und diese Amtsstellen würden das Land wiederum zum Schätzungswert an geeignete Interessenten abtreten. Auf diese Weise würde allerdings jede Überzahlung und jede Boden­spekulation verhindert. Gleichzeitig aber würde die Privatinitiative und das Privatinteresse der unmittelbar Beteiligten ersetzt durch das Ermessen eines Beamten, des Monsieur le Bureau. Ob ein solches Rezept von Nutzen sein könnte, ist kaum mehr eine volkswirtschaftliche, sondern eine wirtschaftspolitische, um nicht zu sagen, weltanschauliche Frage. Mich erinnert dieses durchgreifende Rezept an das lateinische Sprichwort fiat iustitia pereat mundus ! oder an seine bildhafte Übertragung ins Medizinische «Die Operation ist geglückt; aber der Patient ist gestorben»!

Volkswirtschaftlich betrachtet, will die Preisgrenze zwei Gefahren entgegen­wirken, einerseits der Überschuldung, andererseits der Spekulation. Was zu­nächst die Überschuldung anbetrifft, so bildet die Belastungsgrenze, die das Bundesgesetz über die Entschuldung landwirtschaftlicher Heimwesen 2 gebracht hat, einen wirksamen Damm. Hier restlos durchzugreifen, ist den staatlichen Organen mit verhältnismässig einfachen Mitteln möglich. Die Rückwirkungen der Belastungsgrenze auf die Preisgestaltung sind offensichtlich. Je länger je weniger dürften sich Käufer finden lassen, die bereit sind, einen erheblichen Über­preis zu bezahlen. Der Überpreis wird ihnen mit der Belastungsgrenze deutlich zum Bewu8stsein gebracht, indem sie den darüber hinausgehenden Betrag in Bargeld entrichten und in der eigenen Rechnung praktisch abschreiben müssen.

1 Vgl. hiezu die Diskussion im Nationalrat, insbesondere die Voten von Stähli und Schüm-perli, Amtliches Stenographisches Bulletin, Nationalrat 1948, S. 291 i. f. und 340 ff.

2 Art. 84 ff.

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Der Kampf gegen die Bodenspekulation könnte bodenrechtlich nur dann mit Aussicht auf Erfolg geführt werden, wenn der Staat auf der ganzen Linie, also namentlich auch im Gebiete des Baulandes eingreifen würde. Denn die gefährlichen Spekulanten pflegen nicht Kulturland zu kaufen, um einen bescheidenen Ertrag von einer sicheren Vermögensanlage zu erzielen, sondern um jenen bedeutenden Kapitalgewinn zu realisieren, der sich bei der Überbauung von bisherigem Kulturland regelmässig ergijbt. Der fliessende Übergang von Kulturland in Bauland verhindert aber jede nicht willkürliehe Grenzziehung. Ob die Bodenspekulation auf der ganzen Linie staatlich verhindert werden soll, ist keine spezifische Frage des schweizerischen Agrarschutzes. Eines aber sei mit aller Deutlichkeit in Erinnerung gerufen: Die konsequente Forderung einer Realersatzleistung für entzogenes Kulturland würde einen Teil des Kapital­gewinnes abschöpfen und damit der Bodenspekulation am direktesten ent­gegenwirken.

Zur Verhinderung blosser Kapitalanlage in landwirtschaftlichen Liegen­schaften leistet die Belastungsgrenze wertvolle Dienste, namentlich dann, wenn sie mit andern geeigneten Massnahmen verbunden wird. Denn von jenem Teil des Kaufpreises, der über die Belastungsgrenze hinausgeht, kann praktisch kein Ertrag erwartet werden. Wird durch die Sperrfrist die Wiederveräusserung einer landwirtschaftlichen Liegenschaft auf Jahre hinaus verunmöglicht, so bildet der Kauf einer landwirtschaftlichen Liegenschaft wohl eine sichere, gleichzeitig aber eine langfristige Kapitalanlage mit sehr schlechter Rendite. Man könnte sich fragen, ob man in dieser Richtung nicht noch weitergehen sollte. So liesse sich die gesetzliche Sperrfrist von 6 auf 10 oder auf mehr Jahre ausdehnen und dazu noch der Pachtzins nach dem Prinzip des Ertragswertes beschränken. Beide Punkte will der Nationalrat ergänzend im Bundesgesetz über die Erhaltung des bäuerlichen Grundbesitzes verankern (Art. 47 ter und Art. 22bis). Schliesslich wird auch das vorgesehene gesetzliche Vorkaufsrecht der Familienangehörigen und Verwandten dazu beitragen, dass landwirtschaftliche Liegenschaften sel­tener zum Zwecke der Spekulation oder blosser Kapitalanlage erworben werden.

Oft wird übersehen, dass die freie Preisbildung in vernünftigen Grenzen auch bei landwirtschaftlichen Liegenschaften eine positive Seite hat. Sie besteht darin, dass derjenige Bauer, der dank seiner Tüchtigkeit einen durchschnittlich grösseren Ertrag erzielt und demzufolge auch einen etwas höheren Bodenpreis offerieren kann, eher käufliches Kulturland findet. Bei aller Anerkennung der Fortschritte in den Rentabilitätsberechnungen unserer Landwirtschaft dürfen wir nicht vergessen, dass es neben dem sogenannten objektiven Ertragswert noch einen subjektiven gibt, bei dem der Faktor Mensch gebührend zu seinem Rechte kommt. Schliesslich spielen die Kenntnisse des Bewirtschafters, seine Leistungsfähigkeit, sein persönlicher Einsatzwille, sein Sinn für rationelle Ar­beitsgestaltung und vieles andere mehr eine wichtige Rolle fur die Grösse des Ertrages, der im einzelnen konkreten Fall erzielt wird. Ohne diese Gewissheit hätte das ganze landwirtschaftliche Bildungswesen keinen Sinn und könnte heute schon zu Grabe getragen werden.

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IV. Unsere Ausfuhrungen lassen sich in folgende Thesen zusammenfassen: 1. Das Hauptgewicht der bodenrechtlichen Bemühungen ist auf die Erhal­

tung unserer Kulturlandfläche zu legen. In dieser Hinsicht hat das bisherige Recht versagt, und vom kommenden darf man sich, nach dem heutigen Stand der Dinge, kaum viel versprechen.

2. Wenn die Kulturlanderhaltung und das Realersatzprinzip nicht leere Worte bleiben sollen, so müssen die grundlegenden Richtlinien auf eidgenössi­schem Boden fixiert werden.

3. Wald und Kulturland sollen inskünftig den gleichen Schutz gemessen. 4. Von der Statuierung einer Bewirtschaftungspflicht ist abzusehen, da sie

für die Bauernbetriebe des Mittellandes ein unnötiges, für die Bergbauernbetriebe aber ein untaugliches Mittel darstellt. Dagegen sind die Subventionsbedingungen im Meliorationswesen strenger zu formulieren und schärfer zu überwachen.

5. Der private Grundbesitz ist dem öffentlichen vorzuziehen, weil das Privatinteresse und die Privatinitiative am ehesten für eine rationelle und inten­sive Bewirtschaftung garantieren.

6. In der schweizerischen Landwirtschaft ist der bäuerliche Familienbetrieb herrschend. Die Gefahren, die nicht dem Kulturland im allgemeinen, sondern dem bäuerlichen Grundbesitz im speziellen drohen, sind mindestens auf recht­lichem Gebiet nicht alarmierend. Soweit diese Gefahren aber auf wirtschaftli­chem Gebiet liegen, lassen sie sich nur mit wirtschaftlichen Massnahmen beheben.

7. Ein staatspolitisches Problem des Grossgrundbesitzes ist in der Schweiz unbekannt. 82,3% aller Landwirtschaftsbetriebe umfassen weniger als 10 ha Nutzfläche.

8. Zu 77% steht unser Kulturland im Eigentum des Bewirtschafters. Das Postulat «Kulturland soll grundsätzlich im Eigentum des Selbstbewirt-schafters stehen», wird durch das bäuerliche Erbrecht und das vorgesehene ge­setzliche Vorkaufsrecht in einem rechtlich tragbaren und volkswirtschaftlich wünschbaren Mass verwirklicht.

9. Der grundsätzliche Ausschluss der Nichtlandwirte vom Eigentum an Kulturland ist abgesehen von rechtlichen Bedenken volkswirtschaftlich nicht erwünscht. Denn die verpachteten Betriebe bilden die unbedingt notwendigen Aufstiegsmöglichkeiten für tüchtige, aber unbemittelte Bauernsöhne.

10. Die landwirtschaftliche Pacht muss unbedingt auf mehrere Jahre ab­geschlossen und darf durch einen Verkauf nicht unterbrochen werden.

11. Kleinste Landwirtschaftsbetriebe können nur mit wirtschaftlichen Mit­teln und nur dort, wo der Anbau intensivster Kulturen möglich ist, existenz­fähig erhalten werden. In den übrigen Fällen kann in der Vereinigung kleinster Landwirtschaftsbetriebe zu mittleren, existenzfähigen Familienbetrieben keine volkswirtschaftswidrige Handlung erblickt werden.

14. Die Belastungsgrenze im Zusammenwirken mit einer verlängerten Sperr­frist und einer Beschränkung des Pachtzinses nach dem Ertragswertprinzip sowie die straffe Anwendung der Realersatzpflicht dürften weitgehend eine Spekulation

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mit Kulturland verhindern, soweit die Kaufsgelegenheiten nicht bereits durch das bäuerliche Erbrecht und durch das gesetzliche Vorkaufsrecht dahinfallen. Ob die Bodenspekulation auf der ganzen Linie, also auch im Sektor des Bau­landes, verhindert werden soll, ist keine spezifische Frage des schweizerischen Agrarschutzes.

Eine erschöpfende Behandlung des gestellten Themas ist im Rahmen eines Vortrages nicht möglich. Manche Gebiete des Bodenrechts sind kaum erörtert, andere nur gestreift worden. Insbesondere blieben alle rechtlichen Überlegungen und Bedenken ausserhalb unserer Betrachtung. Doch sollen Ihnen die Gewissens­konflikte nicht verschwiegen werden, in die ein volkswirtschaftlich denkender Jurist kommen muss, wenn er täglich 20-40 Bodenrechtsgesuche zu entscheiden hat. Der immer noch gültige BMB gehört zu jenen Rechtserlassen, deren gerechte Handhabung selbst einem weisen Salomo hätte Kopfzerbrechen bereiten müssen. Der volkswirtschaftliche Gesichtspunkt, der den Erlass bodenrechtlicher Be­stimmungen begründet, erträgt jedenfalls eines nicht, die schematische Behand­lung. Zwar ist der BMB ein weitmaschiges Recht, das Regeln aufstellt und Aus­nahmen zulässt. Aber wenn sich das Recht allzusehr in den Ausnahmen bewegt, ver­liert es immer mehr an Klarheit und entfernt sich vom gesunden Volksempfinden.

An einem Erker dieser meiner Heimatstadt — es ist das Eckhaus zwischen Fronwaagplatz und Vordergasse -.— steht der Spruch nosce te ipsum, erkenne dich selbst. Wir tun gut daran, von Zeit zu Zeit anzuhalten und uns Rechenschaft darüber zu geben, ob wir uns noch auf dem richtigen Weg befinden. Eine ernste Frage müssen wir uns immer wieder stellen : Verlangen wir vom Recht nicht viel zuviel ? Ist es sinnvoll, alles und jedes rechtlich ordnen, staatlich reglementieren zu wollen? Verliert das Recht bei massloser Verwendung nicht den Charakter einer menschlichen Hilfe, wird es nicht zur menschlichen Fessel ? Kann es nicht wahr werden, was Hölderlin vor hundert Jahren sagte: «Das hat den Staat zur Hölle gemacht, dass ihn der Mensch zu seinem Himmel machen wollte»?

Dem Kaiser Justinian, dem das grosse Verdienst zukommt, in letzter Stunde das Römische Recht gesammelt und im corpus iuris kodifiziert zu haben, werden bekanntlich die Worte in den Mund gelegt «summum ius summa iniuria», im ausgeklügeisten Recht liegt bereits das grösste Unrecht. Und 400 Jahre vor Justinian war der römische Schriftsteller Tacitus über die Alpen gezogen, um Land und Volk der Germanen kennen zu lernen. Als Angehöriger des römischen Ritterstandes war er wie kein anderer in der Lage, zwischen dem hochzivili­sierten Römertum und dem primitiven germanischen Volk Vergleiche anzustel­len. Eine solche Betrachtung in seiner Germania hat Tacitus mit der Feststellung geschlossen: . . . puisque ibi boni mores valent quam alibi bonae leges 1; denn mehr gelten dort (bei den Germanen) die guten Sitten, als andernorts (nämlich bei den Römern) die guten Gesetze. Wie es bei uns Schweizern in dieser Hin­sicht steht, mag jeder selbst beurteilen.

Germania, XIX, Schlußsatz.