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1 4/2011 ZEITSCHRIFT FÜR DEUTSCH-POLNISCHE VERSTÄNDIGUNG Nr. 4/2011 (98) - K 6045 - 3 EURO Volldampf sieht anders aus S. 3 Prekarier aller Länder ... S. 5

Volldampf sieht anders aus S. 3 - Polen und wir ... · bericht „Młodzi 2011“ [Jugend 2011] her-vorgeht, werden die Polen zwischen dem 15. und 34. ... Prof. Krystyna Szafraniec,

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1POLEN und wir 4/2011

ZEITSCHRIFT FÜR DEUTSCH-POLNISCHE VERSTÄNDIGUNG

Nr. 4/2011 (98) - K 6045 - 3 EURO

Volldampf sieht anders aus S. 3Prekarier aller Länder ... S. 5

Page 2: Volldampf sieht anders aus S. 3 - Polen und wir ... · bericht „Młodzi 2011“ [Jugend 2011] her-vorgeht, werden die Polen zwischen dem 15. und 34. ... Prof. Krystyna Szafraniec,

2 POLEN und wir 4/2011 3POLEN und wir 4/2011

EDITORIAL POLITIK

Wichtige Adressen:Geschäftsführung der Deutsch-Polnischen Gesellschaft der BRD e.V.:Manfred Feustel, Im Freihof 3, 46569 Hünxe, T: 02858/ 7137, Fax: 02858/ 7945Unsere Gesellschaft im Internet: www.polen-news.de - e-Mail: [email protected] POLEN und wir: Karl Forster, neue Anschrift: Neue Grottkauer Str. 38, 12619 BerlinTelefon: 030/89370650 (Anrufbeantworter), e-Mail: [email protected] für gute Nachbarschaft zu Polen: c/o Klaus-Ulrich Göttner, Moldaustr. 21, 10319 Berlin, Fax: 01212-5-305-70-560, e-mail: [email protected] Gesellschaft Bielefeld e.V.: Theodor-Hürth-Str. 1, 33604 Bielefeld, Tel.: 0521-2705205, E-Mail: [email protected], www.dpg-bielefeld.de

Nach den Parlamentswahlen

Volldampf sieht anders ausPolens neue Regierung vor schwierigen Zeiten Von Holger Politt

Viele Beobachter meinen allerdings, dieser Sieg hänge vor allem mit den Konkurrenten zusammen, die nicht in der Lage gewesen seien, die Tusk-Regierung bei unverkennba-ren Schwächen zu packen. Dieser Vorwurf zielt in erster Linie auf die Nationalkonser-vativen (PiS) und auf die Linksdemokraten (SLD), die im alten Sejm entscheidend die Oppositionsrolle spielten. Fangen wir des-halb mit diesen beiden Gruppierungen an. Die Nationalkonservativen hatten früh-zeitig entschieden, wiederum Jarosław Kaczyński als Spitzenmann ins Rennen zu schicken. Wie bereits bei den vorgezoge-nen Präsidentschaftswahlen im Juni 2010 kann der PiS-Vorsitzende auch dieses Mal für sich geltend machen, insgesamt die bessere, weil angriffslustigere Kampagne geführt zu haben. Das wird ihm eigentlich von allen Seiten bescheinigt.

K.O. statt Kopf an Kopf

Infolge der offensiven Kampagne sprachen Medien kurz vor dem Wahlgang gar von ei-nem Kopf-an-Kopf-Rennen. Doch am Wahl-abend erfolgte die Ernüchterung, denn die Konkurrenten der PO erhielten wie 2007 wiederum fast 10 Prozent mehr Stimmen, weshalb anderntags häufig der Boxsport zur Hilfe genommen wurde – des K.O.-Schlags wegen. Doch den gab es gar nicht, denn PiS hat verlässlich wieder das erstritten, was an politischem Rückhalt seit nunmehr sie-ben Jahren auf der Habenseite steht. Dass Jarosław Kaczyński mit mehr gerechnet hat, steht auf einem anderen Blatt. Denn tatsächlich ist es der Partei in den zu-rückliegenden vier Jahren nur schwerlich gelungen, an neue Wählerschichten her-anzukommen. Zwar gab es maßvolle Fort-schritte bei den Jungwählern, doch insge-

Sie wird im Sejm nun eine Randexistenz zu erdulden haben, denn eine tonangebende Rolle steht ihr im parlamentarischen Spiel

nicht mehr zu. Napieralski und dessen Mannschaft haben anders gerechnet; Ein möglichst hohes zweistelliges Ergebnis und somit Mehrheitsbeschaffer für die PO. Eine Rückkehr auf die Regierungssitze soll-te es werden nach den vielen Jahren eher magerer Opposition. Hinzu kommt eine zweite Seite, die kurz an-gesprochen gehört. Offensichtlich hat die Partei Schwierigkeiten, sich in einer neuen Wirklichkeit zurechtzufinden, in der die Be-zugspunkte zur Periode der Volksrepublik immer schwächer werden und kaum noch auf Wahlentscheidungen durchdringen. Das Stimmenpotential von Menschen, die sich biographisch bewusst mit dieser Ver-

DEUTSCH-POLNISCHE GESELLSCHAFT DERBUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND E.V.1. Vorsitzender: Prof. Dr. Christoph Koch,Sprachwissenschaftler, Berlin Stellv. Vorsitzender: Dr. Friedrich Leidinger,Psychiater, HürthVorstand: Henryk Dechnik, Lehrer, Düsseldorf - Manfred Feustel, Steuerberater, Hünxe - Karl Forster, Journalist, Berlin - Dr. Klaus-Ulrich Goettner, Berlin - Dr. Egon Knapp, Arzt, Schwet-zingen - Dr. Holger Politt, Gesellschaftswissen-schaftler, Warschau - Wulf Schade, Slawist, Bochum Beirat: Armin Clauss - Horst Eisel - Prof. Dr. sc. Heinrich Fink - Prof. Dr. Gerhard Fischer - Dr. Franz von Hammerstein † - Christoph Heubner - Witold Kaminski - Dr. Piotr Łysakowski - Hans-Richard Nevermann - Eckart Spoo.Anschrift: Deutsch-Polnische Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland e.V., c/o Man-fred Feustel, Im Freihof 3, 46569 Hünxe Tel.: 02858/7137, Fax: 02858/7945

IMPRESSUM:Zeitschrift für deutsch-polnische VerständigungISSN 0930-4584 - K 6045Heft 4/2011, 28. Jahrgang (Nr. 98)Verlag u. Herausgeber: Deutsch-Polnische Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland e.V. in Zusammenarbeit mit Deutsch-Polnische Gesellschaft Bielefeld e.V.Redaktion: Karl Forster (verantwortl.), Wulf Schade, Dr. Friedrich Leidinger, Dr. Holger Politt,Redaktionsbüro: POLEN und wirKarl Forster, Neue Grottkauer Str. 38, 12619 Berlin, Tel.: 030 89370650e-mail: [email protected]: Kontaktpress Karl ForsterDruck: Saxoprint Dresden

Aboverwaltung: Manfred Feustel, Im Freihof 3, 46569 Hünxe, Fax: 02858/7945Bezugspreis: Einzelheft 3,00 €, Jahres-Abon-nement 12 €. Inkl. Versand, Ausland: 10,00 € zuzgl. Versandkosten, Mitglieder der Deutsch-Polnischen Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland e.V. und der Deutsch-Polnischen Gesellschaft Bielefeld e.V. erhalten POLEN und wir im Rahmen ihrer Mitgliedschaft.Kontoverbindung: Konto 342 56-430 Postbank Essen, BLZ 360 100 43Namentlich gekennzeichnete Beiträge stimmen nicht immer mit der Meinung der Redaktion oder der Herausgeberin überein. Für unverlangt eingesandte Manuskripte oder Fotos wird keine Haftung übernommen.Erscheinungstermin: 1. November 2011Erscheinungstag der nächsten Ausgabe:Montag, 1. Januar 2012 Redaktionsschluss:15. November 2011

samt – so scheint es – sind die Fronten zwischen PiS und der PO festgefahren. Von großen Wechselbewegungen zuguns-ten der Nationalkonservativen kann hier seit langem nicht die Rede sein. Dennoch meinte Kaczyński am Wahlabend, auch in Warschau werde spätestens in vier Jahren Budapest sein. Politisch nämlich – mit ei-ner absoluten Mehrheit der Nationalkon-servativen. Indem er so sprach, machte er zugleich seinen Führungsanspruch für die

nächsten vier Jahre geltend. Den konnte SLD-Chef Grzegorz Napieral-ski nach den Wahlen nun in keinem Falle aufrechterhalten. Die Gruppierung fuhr überhaupt das schlechteste Ergebnis seit Bestehen ein. Viele sprachen von einer Katastrophe, manche – wie Ex-Präsident Aleksander Kwaśniewski – gar von der Gefahr eines völligen Untergangs für die Partei.

Existenzkrise

Das einst so stolze sozialdemokratische Flaggschiff der polnischen Politik ist jeden-falls in eine schwere Existenzkrise geraten.

Liebe Leserinnen und Leser,

Polen hat gewählt. Und erstmals in der Nachwende-Geschichte wurde eine Regie-rung bestätigt. Donald Tusk bleibt Minister-präsident. Aber es gibt eine neue Partei. Der aus der PO ausgetretene „reichste Sejm-Ab-geordnete“ und Unternehmer Janusz Mari-an Palikot hat für seine Parteineugründung über 10 Prozent erreicht. Unser Warschauer Redaktionsmitglied Holger Politt hat für uns das Wahlergebnis analysiert.

Einen besonderen Schwerpunkt haben wir der Ausstellung „Tür an Tür - Polen– Deutschland - 1000 Jahre Kunst und Ge-schichte“ gewidmet, die noch bis zum 9. Januar im Berliner Martin-Gropius-Bau zu sehen ist.

In dieser Ausgabe müssen wir auch eini-ger Freunde gedenken, die nicht mehr unter uns weilen. Kurz vor Drucklegung des ver-gangenen Heftes kam die Nachricht über den Tod unseres Beiratsmitglieds Franz von Hammerstein. Christoph Koch, Vorsit-zender unserer Gesellschaft, hat nun einen ausführlichen Nachruf verfasst. Ebenfalls verlassen hat uns der Präsident des Interna-tionalen Auschwitz Komitees, Noach Flug. Er überlebte das Ghetto in Łódź und das KZ Auschwitz, doch in den 50er Jahren verließ er Polen, vermied aber bis zuletzt, die Ursa-chen deutlich zu benennen.

Nach Fertigstellung dieser Ausgabe kam nun noch die Mitteilung, dass unser Kas-senprüfer, Willi Sauerzapf, Anfang Oktober verstorben ist. Wir gedenken seiner in Dank-barkeit.

Ihr Karl Forster

Unser TitelUnser Titelbild zeigt eine Installation aus Lein-wand, Holz, Hafer und Neonröhren, 1987 von Mirosław Bałka geschaffen (300x300cm) mit dem Titel „Sw. Wojciech“ (Hl. Adalbert). Die Ins-tallation ist in der Ausstellung „Tür an Tür“ (siehe Bericht auf Seite 13) zu sehen.Der hl. Wojciech (hl. Adalbert von Prag), ein tschechischer Geistlicher, starb als Märtyrer während einer Bekehrungsmission von Heiden in den nordöstlichen Grenzgebieten Polens. Sei-ne Mission und sein Tod waren von Bedeutung für die Bildung des polnischen Staates und die Beziehungen zwischen den polnischen und deut-schen Herrschern – Bolesław I. der Tapfere und Otto III.Foto: Piotr Tomczyk© Muzeum Sztuki w Łodzi, Lodz

Stimmen-anteil 2011 in %

S t i m m e n 2011

St immen-anteil 2007 in %

Stimmen 2007 Sitze 2011 Sitze 2007

PO 39,18 5.629.773 41,51 6.701.010 207 209

PiS 29,89 4.295.016 32,11 5.183.477 157 166

Palikot 10,02 1.439.490 -- -- 40 --

PSL 8,36 1.201.628 8,91 1.437.638 28 31

SLD 8,24 1.184.303 13,51 (LiD) 2.122.981(LiD) 27 53 (LiD)

PO = Platforma Obywatelska (Bürgerplattform, konservativ-liberal); PiS = Prawo i Sprawiedliwość (Recht und Gerechtigkeit, national-konservativ); Palikot = Ruch Palikota (Palikot-Bewegung, linkslibe-ral); PSL = Polskie Stronnictwo Ludowe (Polnische Bauernparei, gemäßigt konservativ); SLD = Sojusz Lewicy Demokratycznej (Bund der demokratischen Linken, War im letzten Sejm über das Wahlbünd-nis Linke und Demokraten LiD vertreten). (Anm. d. Red.)

Wahlsieger Donald Tusk, hier bei seinem Besuch im Deutschen Bundestag.

Foto: Bundestag/Lichtblick/Achim Melde

Im Januar 2010 erklärte Ministerpräsident Donald Tusk, er verzichte auf einen Start bei den Präsidentschaftswahlen, wolle sich auf sein Amt konzentrieren und ab Herbst 2011 erneut einer Regierung vorstehen. Das war vor Smolensk und un-ter dem Eindruck langanhaltender stabiler und günstiger Umfragewerte für die Regierungspartei PO. Jetzt ist er am Ziel seiner Wünsche, denn er ist überhaupt der erste Ministerpräsident im Nachwende-Polen, der nach Parlamentswahlen sei-ne Aufgabe fortsetzen darf.

Wir suchen dringend:

Webdesigner/inzur Neueinrichtung der Webseite der Deutsch-Polnischen Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland und der Zeitschrift POLEN und wir. Wir wollen endlich eine Seite mit Ter-minkalender, Newsletter, Linkliste und einem ordentlichen Archiv aller Zeit-schriftenbeiträge, aber auch einem CMS für kurze redaktionelle Beiträge.Wordpress oder Jomla vorhanden, aber nicht eingerichtet.Wer kann uns helfen?Wenn Sie selbst nicht derjenige/die-jenige sind, vielleicht kennen Sie je-manden, der einem gemeinnützigen Verein - deshalb leider ohne Bezah-lung - helfen kann. Kontakt über die Redaktion:Karl Forster, Tel. 030/89370650 oder Mail: [email protected]

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POLITIK POLITIK

Polityka auf Deutsch:

Prekarier aller Länder ...Von Wawrzyniec Smoczynski

Serielle Praktikanten, Zeitarbeitnehmer, junge Arbeitslose. In Europa wächst eine neue soziale Klasse ohne Perspektiven auf Wohlstand und Aufstieg. Auch in Polen gibt es sie, und sie hat schon einen eigenen Namen: Prekariat.

In Polen ist die erste satte Generation he-rangewachsen. Wie aus dem Regierungs-bericht „Młodzi 2011“ [Jugend 2011] her-vorgeht, werden die Polen zwischen dem 15. und 34. Lebensjahr ihren Altersgenos-sen in Westeuropa immer ähnlicher: Sie sind offene Hedonisten und leidenschaft-liche Konsumenten von Gütern, sie ha-ben ein lockeres Verhältnis zur Institution der Ehe, leben ihren Individualismus aus, möchten aber auch nützlich für die Allge-meinheit sein. Beziehungen zu Menschen sind ihnen ebenso wichtig wie ein hoher Lebensstandard. Sie haben große Ambi-tionen: Sie möchten viel Geld, eine gute Ausbildung und ein hohes Sozialprestige haben, aber auch eine interessante Arbeit, wertvolle Freundschaften, ein buntes Le-ben und nach einiger Zeit auch eine wohl-geratene Familie. Schon jetzt schöpfen sie das Leben aus dem Vollen, erwarten von ihm aber noch erheblich mehr.

Arbeit halten sie für einen Stützpfeiler des künftigen Wohlstands und Glücks, doch

es fällt ihnen zunehmend schwer, eine Beschäftigung und finden und eine gute Stelle zu bekommen. Junge Polen zwischen dem 18. und 34. Lebensjahr stellen die Hälfte der registrierten Arbeitslosen, und die Jugendarbeitslosigkeit ist doppelt so hoch wie der Durchschnitt. Die Hälfte der Beschäftigten unter ihnen arbeitet nicht im erlernten Beruf, und ein Hochschulstudium ist kein Garant mehr für eine gute sozia-le Stellung. 62 Prozent der Jugendlichen jobbt mit Zeitverträgen, Berufsanfänger steigen in den Arbeitsmarkt mit unbezahl-ten Praktika ein, die häufig Festanstellun-gen ähneln. Wie die Autorin des Berichts, Prof. Krystyna Szafraniec, schreibt, „sind die jungen Leute in der Falle temporärer Beschäftigungsformen gefangen“.

Was dadurch droht, zeigt das Beispiel Westeuropas. Während junge Polen immer noch die Hoffnung auf Wohlstand und Auf-stieg haben, geben ihre Altersgenossen in Frankreich, Spanien und Griechenland sie allmählich auf. Über den entwickelten Län-

dern schwebt die Gefahr einer verlorenen Generation, der ersten seit dem Zweiten Weltkrieg, der er schlechter ergehen könn-te als der vorangegangenen. Ein Vorbote der sozialen Krise sind die Unruhen mit Beteiligung von Jugendlichen, die seit eini-gen Jahren ausbrechen: brennende Pariser Vorstädte, Straßenschlachten im Zentrum von Athen, Massendemonstrationen in Madrid und jüngst die Ausschreitungen in London. Warschau drohen solche Szenen noch nicht, aber Polen biegt in dieselbe Sackgasse ein.

Unsicher über die Zukunft

Die Jungen sind die größten Opfer der Wirtschaftskrise. Arbeitslos sind heute 20,4 Prozent der Europäer zwischen 15 und 24 Jahren, die gerne eine Anstellung finden möchten, ein Drittel mehr als 2008. Über fünf Millionen junge Leute finden gar nicht erst einen Einstieg in den Arbeitsmarkt, und die Arbeitslosigkeit in dieser Gruppe hält sich auf einem Rekordniveau, trotz der schon zwei Jahre andauernden wirtschaft-lichen Belebung. Der EU-Durchschnitt ist ohnehin zu optimistisch, verstellt er doch den Blick auf die extremen Indikatoren ein-zelner Länder: In Spanien sind 42 Prozent der Jugendlichen arbeitslos, in den balti-schen Ländern, Griechenland und der Slo-wakei über 30 Prozent, in Polen, Ungarn, Italien und Schweden über 20.

Wenn Jugendliche eine Arbeit finden, ist

Wäsche trocknen im Hinterhof. Aufgenommen in Darlewo an der Ostseeküste. Foto: CFalk/pixelio

gangenheit auseinandersetzen und gerade deshalb immer die Linksdemokraten ge-wählt hatten, ist allmählich aufgebraucht. Ein kleines Indiz dafür mag am Wahlabend die Anwesenheit Jerzy Urbans bei der po-litischen Konkurrenz gewesen sein, denn der legendäre Zeitungsmacher machte Ja-nusz Palikot seine Aufwartung. Zu Beginn der 1990er Jahre steckte er allen anderen noch mutig die Zunge von den Wahlpartys der SLD heraus.

Palikot

Palikot ist überhaupt die große Überra-schung der Wahl. Noch zu Beginn des Som-mers hätte kein Beobachter auch nur einen Blumentopf auf ihn gesetzt. Der einstige PO-Abgeordnete, der im Dezember 2010 Partei und Sejm verließ, schien den poli-tische Mund zu voll genommen zu haben. Doch bei den Wahlen ist es nur der von ihm angeführten Liste gelungen, der schier übermächtigen PO Stimmen abspenstig zu machen. 650.000 Wähler, die vor vier Jahren ihr Kreuz noch bei der siegreichen Tusk-Partei machten, gaben ihm und sei-nen Leuten die Stimme. Die halbe Miete des glänzenden Erfolgs. In ersten Stellungnahmen bezeichnet er die Partei als eine linksliberale Kraft, die für die Einhaltung der Verfassung insbe-sondere im Verhältnis Staat-Kirche ein-trete, die das öffentliche Leben insgesamt liberalisieren wolle. Seine Abgeordneten sind eine kunterbunt zusammengesetzte Truppe, deren auffallend gemeinsames Merkmals allerdings ist, dass, den Chef ausgeklammert, niemand parlamentari-sche Erfahrung besitzt.

Verteidigung der Mehrheit

Bleiben noch die alten und neuen Regie-rungskoalitionäre – die große PO und die kleinere Bauernpartei PSL. Das Hauptziel, die Verteidigung der Regierungsmehrheit, wurde erreicht. Zwar verlieren sie zusam-mengerechnet fünf Sitze, doch die Mehr-heit gilt weiter als komfortabel. Und der kleine Koalitionspartner ist für den großen auch strategisch von Bedeutung. Wer auf dem Lande PSL wählt, zeigt Kaczyńskis PiS – die dort viel stärker als die PO ist – eben die kalte Schulter. Und die PO hat dennoch verloren – an Stimmenzahl nämlich und über eine Milli-on, davon deutlich mehr als die Hälfte an die Palikot-Liste. Doch sie verbleibt, was Stimmenanteil, Abstand zur Konkurrenz

und Anzahl der Sitze anbelangt, auf dem sehr hohen Niveau von 2007. Zwar konn-ten 1997 die SLD und 2007 PiS als Regie-rungsparteien Stimmen dazu gewinnen und den Stimmenanteil erhöhen, doch wurden sie beide vom jeweiligen Wahlsieger über-flügelt und mussten die Regierungsmacht abgeben. Tusk hat es geschafft, die natio-nalkonservative Konkurrenz im Schach zu halten, kann auch die zahlenmäßig herben Verluste an Palikot gut verschmerzen, da die anderen wegen der geringeren Wahl-beteiligung, heuer 48,9 Prozent gegenüber 53,9 Prozent vor vier Jahren, viele Stimmen an das gewaltige Lager der Nichtwähler

„Kommt mit uns, wir siegen“,warb PiS auf ihren Plakaten. Polens Kämpfer für konservative Werte, Jarosław Kaczyński, umwarb im Wahlkampf besonders die Jugend. So traute er sich sogar in die Un-terwelt der Warschauer Clubszene. Hier stellte er sich unter Disco-Scheinwerfern den Fragen junger Männer und Frauen. Im Club Hybrydy, so vermeldet die renommierte Wochenzeitung DIE ZEIT, „be-ginnt der 62-Jährige unvermittelt einen kurzen Flirt mit einer jungen Dame, die seine Tochter oder En-keltochter sein könnte. Den Augenaufschlag der 23-jährigen Sylwia Ługowska beantwortet Kaczyński mit einem Handkuss und einem schelmischen Lächeln“. Ługowska und ihre Mitstreiterinnen stammen aus dem Nachwuchs der Kaczyński-Partei und wurden in den Medien schnell „Engel“ getauft. kfo

Der Zug der 1000 nach BirkenauSchon zweimal fanden von Belgien ausgehend erfolgreiche Internationale Jugendtref-fen in KZ-Gedenkstätten statt. 1995 fuhren 1000 belgische Jugendliche in Zusam-menarbeit der Stadt Namur und der Auschwitz-Stiftung nach Polen und 2008 kamen auf Einladung des Instituts des Vétérans und der FIR in der Gedenkstätte Buchen-wald über 1000 europäische Jugendliche aus 22 Nationen zusammen.Nun planen die Auschwitz-Stiftung, die FIR (Internationale Förderation der Wider-standskämpfer) und das Institut des Vétérans für Mai 2012 einen gemeinsamen „Zug der 1000“ von Brüssel nach Auschwitz mit Zusteigemöglichkeit in anderen europä-ischen Ländern. In dem Zug werden auch Überlebende der Lager und andere Vete-ranen des antifaschistischen Kampfes mitfahren, um im direkten Kontakt mit den Jugendlichen Auskunft geben zu können.Am Sonntag, den 5. Mai 2012 werden gut 700 belgische Jugendliche und knapp 200 Jugendliche aus anderen europäischen Ländern von Brüssel mit dem Zug nach Polen starten. Zudem werden gut 100 Jugendliche erwartet, die aus anderen Regionen di-rekt nach Polen zu diesem Treffen anreisen. In Polen wird es ein intensives Programm mit Führungen durch die Gedenkstätte, Gespräche mit Zeitzeugen, Gedenkveranstal-tungen, Begegnungen zwischen den Jugendlichen und Eindrücke vom heutigen Polengeben.

verloren. Für seine zweite Amtszeit kün-digte er an, dass nun in Ruhe diejenigen Dinge, die durch seine Regierung erfolg-reich angeschoben worden seien, zu Ende gebracht werden könnten. In seiner Kam-pagne war viel vom „Bauen“ zu hören. Jetzt verwies er darauf, nun ganze drei Jahre von weiteren Wahlschlachten mit Kaczyński verschont zu bleiben. Ein dezenter Hinweis darauf, wie schwer ihm der diesjährige Wahlkampf gefallen ist. Und er warnte vor übertriebenen Hoffnungen, denn das Land müsse vor allem sehen, wie es die Klippen der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskri-se neuerlich umschiffe.

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POLITIK POLITIK

sie immer öfter temporär. Hierbei stehen Slowenien und Polen an der Spitze, wo über 60 Prozent der beschäftigten unter 25-Jäh-rigen mit Zeitverträgen arbeiten. Nicht viel besser ist es in Frankreich, Deutschland, Schweden, Spanien und Portugal, wo die-ser Prozentsatz über 50 liegt. Zeitarbeit ist zu Beginn einer beruflichen Karriere ver-ständlich, aber diese Beschäftigungsform wird zur Norm für Jugendliche, unabhängig von der Beschäftigungsdauer. Nach Ablauf eines Vertrags bietet der Arbeitgeber den nächsten an und zwingt geradezu dazu, im Austausch gegen nebelhafte Versprechun-gen einer Festanstellung ein niedriges Ge-halt zu akzeptieren. So verlängern sich die Probezeiten und Praktika, die eine Form unentgeltlicher Arbeit sind.

Die Absenkung der Gehälter von Ju-gendlichen ist weit verbreitet in Spanien, Frankreich und Portugal. Die in Spanien arbeitenden 16-19-Jährigen erhalten 45,5 Prozent des Gehalts von Erwachsenen, die 20-24-Jährigen 60,7 Prozent. Das Er-gebnis der Niedriglöhne ist der steigende Prozentsatz der arbeitenden Armen, die trotz Beschäftigung nicht imstande sind, den eigenen Unterhalt zu bestreiten. Am höchsten ist er in Rumänien (17,9 %) und Griechenland (13,8 %), gefolgt von Spanien (11,4 %), Lettland (11,1 %) und Polen (11 %). Überall wächst der Anteil der zeitwei-se oder nicht Vollzeit-Beschäftigten. 27,6 Prozent der jungen Europäer arbeiten nicht Vollzeit, weil sie keine ganze Stelle finden konnten.

Diese heterogene Gruppe von Menschen verbindet die Unsicherheit darüber, was die Zukunft bringen wird, wodurch jedwe-de Planung unmöglich gemacht wird, und eine so miserable Entlohnung, dass sie sich ein menschenwürdiges Leben nicht leisten können. Precarius bedeutet auf Latein, „auf Bitten oder Gnade angewie-sen“ zu sein, und ein Prekarier ist in der heutigen Soziologie ein Mensch in der Schwebe zwischen Wohlstand und Armut, der keine materielle Absicherung hat und ständig von sozialem Abstieg bedroht ist. „Vor unseren Augen entsteht eine neue globale soziale Klasse“, sagt Guy Standing, Professor für wirtschaftliche Sicherheit an der Universität Bath und Autor des Buches „The Precariat“.

Vor fünf Jahren gab die deutsche Lin-ke [i.e. die Friedrich-Ebert-Stiftung, Anm. d. Red.] eine demographische Untersu-chung in Auftrag, die dabei helfen sollte, ihre Wählerschaft zu erfassen. „Die alten Unterteilungen in Klassen und Schichten

beschreiben die Wirklichkeit nicht mehr präzise, also begannen wir, die Befragten nach den Werten, zu denen sie sich be-kennen, und ihren Lebenseinstellungen zu gruppieren,“ sagt Rita Müller-Hilmer von TNS Infratest in Berlin. Resultat der Studie war ein Bericht, dessen Ergebnisse auf die Titelseiten der Zeitungen gelangten: Die Forscher entdeckten eine breite Gruppe, die schon Arbeitslosigkeit erlebt hat, sich marginalisiert fühlt und Angst davor hat, weiter abzurutschen. Sie bezeichneten sie als abgehängtes Prekariat und schätzten sie auf 8 Prozent der Gesellschaft. Und das alles im reichsten Land Europas.

In Deutschland war gerade eine Debatte über die „neue Unterschicht“ im Gange, wie damals Personen genannt wurden, die Sozialleistungen ausnutzten und einen un-tätigen Lebensstil führten. Der Bericht be-stätigte einerseits die Existenz einer neuen Gruppe, was die Linke lieber bestritt, an-dererseits zeigte sie, dass diese für eine Unterschicht im Sinne eines Lumpenprole-tariats, auf das die Rechte sie reduzieren wollte, zu groß ist. Die Wissenschaftler wiesen nach, was Durchschnittsbürger schon selbst bemerkt hatten, nämlich dass Armut nicht mehr ausschließlich die unte-re Klasse betrifft und dass Arbeitslosigkeit die Mittelklasse unterhöhlt. 63 Prozent der Deutschen haben Angst vor permanenten Veränderungen, und 61 Prozent sind der Meinung, dass es keine soziale Mitte mehr gibt, sondern nur noch unten und oben üb-rig geblieben sind.

Diese Diagnose wird von ökonomischen Untersuchungen zum Teil bestätigt. 2008 gab das Deutsche Institut für Wirtschafts-forschung erstmals bekannt, dass die Mittelschicht schrumpft: Innerhalb eines Jahrzehnts sei sie um 8 Prozent zusam-mengeschmolzen, wovon fast 7 Prozent in die Unterschicht abstiegen, während nicht ganz 2 Prozent in die Oberschicht aufstiegen. Die Mittelschicht macht noch immer mehr als die Hälfte der Gesellschaft aus, aber schon mehr als 25 Prozent der Bürger befinden sich in der armutsgefähr-deten Gruppe. „Früher stieg man in der deutschen Gesellschaft immer nur auf. Selbst wenn es der aktuellen Generation schlechter ging, sollten es die Kinder bes-ser haben“, sagt Müller-Hilmer. „Heute ist dieses Versprechen nicht mehr bindend, zumindest nicht in der Unterschicht.“

Das Beispiel der Bundesrepublik ist sym-ptomatisch für ganz Europa. Ludwig Erhard hatte den Deutschen in den fünfziger Jah-ren „Wohlstand für alle“ und Vollbeschäf-

tigung im Rahmen der sozialen Markt-wirtschaft versprochen, die ökonomische Freiheit mit sozialer Gerechtigkeit mitei-nander verband. Und er hielt Wort: Mit dem Schmierstoff des Marshallplansund angetrieben vom Wiederaufbau nach dem Krieg erlebte Deutschland ein Wirtschafts-wunder. Auf das deutsche Wirtschaftswun-der folgten die französischen Les Trente Glorieuses, die glorreichen drei Jahrzehnte des Aufschwungs nach dem Krieg. In ganz Westeuropa erlebten die Volkswirtschaften eine zweite Industrialisierung, die ihnen 30 Jahre ununterbrochenen Wachstums si-cherten.

Das größte Wunder der Nachkriegszeit war die Entstehung der Mittelklasse. Inner-halb weniger Jahrzehnte wuchs eine breite soziale Gruppe heran, die zuerst die Fab-riken mit Arbeitskräften versorgte und da-nach eine Armee von Konsumenten stellte, die massenhaft Autos, Waschmaschinen und Fernseher erwarb. Arbeit ermöglich-te nicht nur, den eigenen Unterhalt zu be-streiten, sondern auch auf die Gesundheit zu achten, die Ausbildung der Kinder zu bezahlen und für das Alter vorzusorgen. In Frankreich stieg der Durchschnittslohn zwischen 1945 und 1975 auf das Dreifa-che, erstmals nahmen in der Geschichte Europas die sozialen Ungleichheiten ab anstatt zu, man sprach sogar von einer „Moyenisierung“, also einer Mittelstandi-sierung der Gesellschaft.

Doch die Mittelklasse war mehr als nur eine Gemeinschaft der Satten und mit sich Zufriedenen. Sie war ein sozialer Lift, der neue Generationen von Unterschichten nach oben hievte. Die Gesellschaften des industriellen Zeitalters waren ausgespro-chen durchlässig, wer lernen wollte, hat-te den Aufstieg schon in der Tasche. Für den Bedarf der Mittelklasse entstand der moderne Wohlfahrtsstaat, der nicht mehr nur Krankenund Rentenversicherungen, sondern ein ganzes Sortiment an Leistun-gen zum Chancenausgleich von schlechter Situierten. Dieser Erfolg der Mittelklasse sicherte Europa ein halbes Jahrhundert an Stabilität, und es war die Aufgabe der Poli-tiker, dafür zu sorgen, dass die Maschinerie der Vollbeschäftigung und des ununterbro-chenen Wachstums nie ins Stottern geriet.

Sie hatte schon einmal gehakt, 1973, als die Ölkrise die erste Nachkriegsrezes-sion in der entwickelten Welt auslöste. Der Ausbruch von Massenarbeitslosigkeit und Stagflation führte zu einer Wende in der ökonomischen Theorie: Innerhalb ei-nes Jahrzehnts wurde der keynesianische

Glaube an den Staat von Friedmans Kult des Marktes abgelöst. Das Rezept für die Wiederbelebung der Volkswirtschaften sollte in der Befreiung der Unternehmen von der Last übermäßiger Regulierung und Besteuerung bestehen, und zum neuen Ziel der Regierenden wurde die Jagd nach Wirtschaftswachstum. Die Liberalisierung der achtziger Jahre ebnete der Globali-sierung der neunziger den Weg und diese wiederum der Prekarisierung, dem folgen-schwersten sozialen Phänomen des ver-gangenen Jahrzehnts.

Ein Wettlauf nach unten

Als Polen vor 20 Jahren von einer Mit-telklasse zu träumen begann, beendeten die Vereinigten Staaten und Großbritan-nien gerade die erste Runde der Demon-tage ihrer middle classes. Ronald Reagan und Margaret Thatcher hatten eine Epo-che neoliberaler Reformen eingeleitet, die nicht nur den Staat privatisierten und die Wirtschaft liberalisierten, sondern auch die Natur der Beschäftigung veränderten. Die entwickelten Ländern leiteten den Prozess der sogenannten Flexibilisierung des Arbeitsmarkts ein, das heißt des Ab-schieds von festen Stellen auf unbestimm-te Zeit zugunsten temporärer Arbeit, Teil-zeitarbeit, befristeter Arbeit und Schritt für Schritt hin zur Ich-AG. Und alles, um dem internationalen Wettbewerb der Arbeitneh-mer gewachsen zu sein.

„Eine der Folgen der Globalisierung war eine Verdreifachung des Arbeitsangebots“, erläutert Prof. Standing. Der Untergang des Sozialismus in der ehemaligen UdSSR, vor allem aber Chinas und Indiens Über-gang zum Kapitalismus führten dazu, dass die Weltwirtschaft innerhalb von 20 Jahren anderthalb Milliarden neue Arbeitskräf-te gewann. Das senkte die globalen Ar-beitskosten, vor allem aber setzte es eine massenhafte Abwanderung der Industrie aus den entwickelten Ländern in Gang: Erst wurden Bergwerke, dann Hütten und schließlich Fabriken gen Osten „outgesour-ced“. Und als ob das noch nicht genug ge-wesen wäre, brachen Wellen von Migran-ten, die bereit waren, für weniger Lohn zu arbeiten, in die entgegengesetzte Richtung auf. Um die Beschäftigung zu aufrechtzuer-halten, gaben Regierungen dem Druck von Arbeitgebern nach und begannen, das Risi-ko auf die Arbeitnehmer abzuwälzen.

In den neunziger Jahren machte das noch niemandem Sorgen. Der Westen tri-umphierte gerade, die Mittelschichten be-schäftigten die Immigranten gern für nied-

rige Arbeiten und konsumierten die Güter, die in deren Heimatländern produziert wor-den waren. Die Regierungen glaubten, das postindustrielle Zeitalter werde noch grö-ßere prosperity bringen, weil es den entwi-ckelten Volkswirtschaften ermöglicht, eine Zuflucht in den einträglichsten Sektoren, wie etwa den Finanzdienstleistungen zu su-chen. In Wirklichkeit setzten die neolibera-len Reformen einen doppelten Wettbewerb nach unten in Gang: Die Lockerung der Regeln für die Beschäftigung minderte die Qualität der neuen Arbeitsplätze, und die sinkenden Steuern begrenzten die Aufwen-dungen für die Sozialpolitik. So wurde der Same der heutigen Ungleichheiten gesät.

Auf den BIP-Diagrammen wurde die Lee-re, die die schwindende Industrie hinter-lassen hatte, von Dienstleistungen gefüllt, doch auf dem Arbeitsmarkt war die Trans-formation weit davon entfernt, in Fluss zu sein. Auf der einen Seite wuchsen die Massen ehemaliger Arbeiter ohne Chancen auf eine Beschäftigung in der Serviceöko-nomie, auf der anderen die Scharen der Hochqualifizierten, die um die begrenzte Zahl fester Stellen wetteiferten oder sich mit einer Zeitarbeit zufrieden geben muss-ten. Erstere fielen aus der Mittelklasse her-aus, letztere können nie in sie hineingelan-gen, während die, die noch darin sind, ins Prekariat abzurutschen fürchten. Der Weg nach unten ist leicht, der nach oben erheb-lich schwieriger: Hand in Hand mit der zu-nehmenden Ungleichheit der Einkommen ging die abnehmende Durchlässigkeit der Klassen.

Der Teufelspakt

Über 20 Jahre gelang es den westlichen Regierungen, die Prekarisierung der Mit-telklassen zu verschleiern. Die USA und Großbritannien stockten die Gehälter der Geringstverdienenden mithilfe des Steu-ersystems auf. In Dänemark, Deutschland und den Niederlanden wurde die Sozial-politik von der Auszahlung von Leistungen auf Anreize zur Arbeit umgestellt, damit die Menschen nur ja aus den Arbeitslosensta-tistiken verschwanden. In Frankreich, Itali-en und Spanien bezuschusst der Staat indi-rekt die Jungen über die Renten der Eltern, die für den Unterhalt arbeitsloser Kinder aufkommen. „Die Regierungen der entwi-ckelten Staaten sind einen Pakt mit dem Teufel eingegangen. Dieses System konnte nicht ewig funktionieren“, sagt Standing. Und es hat soeben zu funktionieren aufge-hört.

Die Finanzkrise hat die Gefahr von

Staatspleiten über Europa gebracht, und die Regierungen können es sich ganz ein-fach nicht mehr leisten, das Prekariat wei-ter zu verstecken. Zugleich hat die Rezes-sion 2009 die Arbeitslosigkeit vergrößert und eine weitere Prekarisierungswelle ausgelöst. 97 Prozent der letztes Jahr in Großbritannien geschaffenen Stellen sind Zeitverträge. In Deutschland basiert schon fast die Hälfte der neuen Arbeitsplätze auf befristeten Verträgen, und über sieben Mil-lionen Menschen arbeiten bereits auf soge-nannten Minijobs, für weniger als 400 Euro monatlich. In Portugal sind 300.000 Men-schen in Teilzeit beschäftigt. In Frankreich leben 20 Prozent der Studenten unterhalb der Armutsgrenze.

Laut Standing setzt sich das europäi-sche Prekariat heute aus drei Gruppen zusammen. Die erste ist das Pendant zum industriellen Lumpenproletariat, eine ge-waltbereite, oft kriminelle Minderheit, wie sie vor einigen Wochen auf den Straßen Londons tobte. Die zweite Gruppe sind gut ausgebildete junge Leute, die Arbeit haben sollten, aber keine Möglichkeiten für sich sehen, romantische Idealisten, die von ei-ner besseren Welt träumen. „Die haben wir im Mai auf den Straßen Madrids gesehen“, sagt Standing. Doch die größte Gruppe ist die dritte: ältere körperlich Arbeitende, die mit ihren Stellen auch ihre materielle Si-cherheit und ihren sozialen Status verloren haben, die sich heute marginalisiert fühlen und Fremden die Schuld daran geben.

„Sie sind gefährlich für die bestehende Ordnung, weil sie zu einem Nährboden für extreme Parteien werden können“, warnt der Wirtschaftswissenschaftler. Wenn das Prekariat irgendeine Gefahr für Euro-pa in sich birgt, dann nicht in Form von Ausschreitungen, obwohl es davon in den kommenden Jahren ohne Zweifel immer mehr geben wird, sondern eben der zuneh-menden Unterstützung von Populisten, die gegen die Zuwanderung und gegen Europa sind. Auf dem Rücken des alten Prekariats machen Marine Le Pen in Frankreich, Geert Wildersin den Niederlanden, die Wahren Finnenin Finnland und die Schwedende-mokratenin Schweden Karriere. Das junge Prekariat wird sich, wenn es sich mit der Zeit politisiert, eher von der extremen Lin-ken, neokommunistischen oder anarchisti-schen Bewegungen vereinnahmen lassen.

Beides verheißt Europa kein friedliches Jahrzehnt. In Anbetracht der Hilflosigkeit der führenden Politiker gegenüber der Wirtschaftskrise ist kaum zu erwarten, dass sie mit der aufkommenden sozialen

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POLITIKPOLITIK

Krise besser fertig werden. Und hier wird es nicht mehr um nationale, sondern um Generationeninteressen gehen: Die Kon-flikte werden innerhalb der Gesellschaf-ten ausgetragen werden, zwischen Jung und Alt. Heute verteidigen die in die Jahre gekommenen politischen Eliten Europas hauptsächlich die Interessen der eigenen Generation, was die Frustration der jungen Arbeitslosen nur vertieft.

Eine neue Linke?

In Polen sind die Prekarisierungsprozesse ein Jahrzehnt später in Gang gekommen als in Westeuropa, aber sie werden unweiger-lich ihre Ernte einfahren. Schlechter Aus-gebildete werden prekäre Arbeitsverhält-nisse in Telephonzentren, Einkaufszentren und Fastfoodrestaurants annehmen, und viele von ihnen werden noch schlechtere Jobs in der Emigration ausüben. Schwere Zeiten sind auch für die besser Ausgebilde-ten im Anzug: Der Regierungsbericht stellt unumwunden fest, dass der Arbeitsmarkt für Hochschulabsolventen mittlerweile ge-sättigt ist und die Qualifikationen der Üb-rigen den Erfordernissen der Wirtschaft nicht entsprechen. Die jungen Polen sind nicht durch eine Kindheit in der Mittel-klasse verwöhnt wie ihre Altersgenossen in Frankreich oder Deutschland, aber der Verzicht auf ihre Träume wird für sie eben-so schmerzlich sein.

Die Prekarisierung der Senioren erfolgte durch die wirtschaftliche Transformation, und sie stellen heute die Wähler der Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS), während das junge Prekariat noch keine eigene Vertretung hat. Der Bericht „Die Jungen 2011“ zeigt die Sorge der Regierung um diese Altersgruppe, doch er geht der Pre-karisierung nicht tiefer auf den Grund, und seine Empfehlungen gehen in die Richtung einer weiteren Flexibilisierung des Arbeits-markts. Demgegenüber kann man aus den Erfahrungen Westeuropas leicht den Schluss ziehen, dass gerade die Jungen, wenn es in Polen schließlich zur ersten Rezession kommt, deren zahlenstärksten Opfer sein werden.

Die Autoren des Regierungsberichts möchten, dass die Jungen die Initiative von der Solidarnosc-Generation übernehmen. Heute führt das einzige wahrscheinliche Szenario einer derartigen Rochade üer eine Rezession, die Politisierung des jun-gen Prekariats und die Geburt einer neuen Linken. Nicht einer postkommunistischen oder sozialdemokratischen, sondern ei-ner postindustriellen, aus der Erfahrung

der Gesellschaften von unten gewachse-nen Linken. Je länger die Wirtschaftskri-se dauert, desto dringender braucht man eine neue Vision des Kapitalismus, und je tiefer die soziale Krise, desto größer wird die Sehnsucht nach einer neuen sozialen Ordnung und schließlich einer Politik, die fähig ist, beides miteinander zu verbinden.

Der Westen als Privatier

Ehe es dazu kommt, werden die entwi-ckelten Länder jedoch versuchen, um je-den Preis Veränderungen zu vermeiden. Die europäischen Regierungen versuchen einander gegenseitig mit Einsparungen zu überbieten, um wieder zu ausgegliche-nen Haushalten zu kommen, doch dieser Wettlauf wird mit der Demontage der So-zialstaaten und dem Abdrängen weiterer Massen von Menschen ins Prekariat en-den. Einige Staaten erhöhen die Steuern für die Reichsten, aber nicht etwa, um die Leistungen für die Armen zu erhöhen, son-dern allein um sie weiter auf dem bisheri-gen, wenn nicht einem niedrigeren Niveau halten zu können. Wo sich die Konjunktur schon wieder abgeschwächt hat, wird als Methode zur Bekämpfung der Arbeitslo-sigkeit die Teilung von Arbeitsplätzen mit entsprechender Gehaltskürzung erwogen.

All das sind jedoch Lösungen im Rah-men des bestehenden Systems, das nicht nur soziale Sicherheit, sondern auch wirt-schaftliches Wachstum nicht mehr garan-tieren kann. Noch in den neunziger Jahren wurden Visionen an die Wand gemalt, wo-nach neue Stellen im bürgerschaftlichen Sektor entstehen und soziale Dienstleis-tungen ebenso einträglich würden wie die Arbeit im staatlichen oder privaten Sektor. Dank des Produktivitätszuwachses sollten die Menschen für dasselbe Geld kürzer arbeiten. Die Wirklichkeit entpuppte sich als eine ganz andere: Der bürgerschaftli-che Sektor verdient nicht, der staatliche schrumpft und der private hat den übrigen die Logik des ungezügelten Marktes aufge-zwungen. Laut Standing steuert die Welt auf eine große Transformation nach dem Muster derjenigen zu, die im 19. Jahrhun-dert die Marktwirtschaft und den Natio-nalstaat hervorgebracht hat. Der Schwund der Vollbeschäftigung in den entwickelten Ländern ist ein natürlicher Prozess, denn in einem globalen System können sie von den Zinsen des angehäuften Kapitals le-ben. Nach Ansicht des Wissenschaftlers ist ein Mittel, um die Explosion des Prekariats zu stoppen, diese Kapitalzinsen in Form ei-nes Grundeinkommens auszuzahlen, einer

niedrigen, ständigen Pension für alle Bür-ger, die diese durch Gelegenheitsarbeiten ergänzen könnten. Ein exotischer Gedanke: Denn ein kleine Schwierigkeit besteht dar-in, dass sich dieses Kapital heute in priva-ter Hand befindet. Aber gibt es irgendwel-che anderen Ideen?

Der Text erschien unter dem Original-titel „Prekariusze wszystkich krajow“ in der Polityka Nr. 37 vom 7.09.2011. Übersetzung: Silke Lent. Redaktion: Paul-Richard Gromnitza.

Ministerium finanziert Verfasser rechtsextremer Thesen

Vom slawischen Drang nach WestenUmstrittene Broschüren an Schulen verschickt

Die Regierung des Bundeslandes Hessen beliefert Lehreinrichtungen mit rechtslas-tigen Publikationen über die Umsiedlung der Deutschen. Eine Broschüre, die das hessische Sozialministerium im Juli an 450 Institutionen versandt hat, darunter Studienseminare und Abendgymnasien, ist von einem prominenten Interviewpart-ner rechtslastiger Medien verfasst wor-den. Der Völkerrechtler Alfred de Zayas schreibt darin, die Umsiedlung nach dem Zweiten Weltkrieg weise zumindest partiell „Völkermordcharakter“ auf. Den „Vertrie-benen“ stehe daher die Rückgabe ihres früheren Eigentums oder Entschädigung zu. Über den einstigen tschechoslowaki-schen Staatspräsidenten Edvard Beneš be-hauptet der Autor, Beneš habe politische Ziele „in Analogie zur Ideologie des deut-schen Nationalsozialismus“ verfolgt. Die Broschüre enthält heftige Attacken auch gegen Polen sowie die Westalliierten. Ihre Verbreitung durch das Sozialministerium ist der vorläufige Höhepunkt einer bereits seit gut zehn Jahren andauernden Initiative der hessischen Landesregierung, die da-rauf abzielt, den Stellenwert der Umsied-lung im öffentlichen Diskurs zu stärken.

Wie eine Sprecherin des hessischen So-zialministeriums auf Anfrage bestätigt, hat ihr Haus im Sommer rund 450 Exemplare der Broschüre „50 Thesen zur Vertreibung“ von Alfred de Zayas verschickt. Empfänger seien verschiedenste Institutionen in ganz Hessen gewesen, darunter Studiensemi-nare. Wie Dokumente zeigen, die dieser Redaktion vorliegen, wurde die Broschüre auch an Abendgymnasien versandt. Die Bezahlung sei aus dem Haushalt des Sozi-alministeriums erfolgt, bestätigt die Spre-cherin. Der Preis der Broschüre wird vom Verlag, etwaige Rabatte nicht eingerech-net, mit 7 Euro pro Stück beziffert.

Nicht unumkehrbar

In der Broschüre behauptet Autor de Za-yas, zumindest in der Tschechoslowakei und Jugoslawien habe die „Vertreibung“ der Deutschen „Völkermordcharakter“ er-kennen lassen.(*1) Daraus ergebe sich „ein absolutes Anerkennungsverbot auch der dabei durchgeführten Enteignungen“. Die

„Vertriebenen“ könnten also mit Recht „Rückkehr und Eigentumsrückgabe“ ver-langen, wenngleich man, weil Rückgabe wohl oft kaum noch möglich sei, auch Ent-schädigungen in Betracht zu ziehen habe. Jedenfalls müsse jetzt „im politischen Bereich (...) die Suche nach gangbaren Wegen für (...) einen gerechten Ausgleich auch in der schwierigen Eigentumsfrage intensiviert werden“. Weiter heißt es in der Broschüre: „Die Vorstellung, vollzogene Vertreibungen seien unumkehrbar, ist weit verbreitet, aber nicht zutreffend.“ So seien etwa Vertreibungen im früheren Jugoslawi-en „zum Teil wiedergutgemacht“ worden. „Dieser Befund“ könne etwa den „Ost- und Sudetendeutschen (...) Hoffnung machen“.

"Massensterben in Kauf genommen"

Über diese Behauptungen hinaus ent-hält de Zayas' Broschüre heftige Angriffe gegen mehrere Nachbarstaaten. So heißt es etwa, die „weit verbreitete Vorstellung eines gewaltsamen (deutschen, d. Red.) Drangs nach Osten“ sei nicht haltbar(*2); „vielmehr existierte ein allmählicher Drang nach Westen der Slawen“. In Polen habe „die Diskriminierung der Deutschen“ schon in den Jahren von 1919 bis 1924 „Züge einer Vertreibung“ angenommen. Der tschechoslowakische Staatspräsident Ed-vard Beneš habe einen „rein slawische(n) tschechisch(n) Nationalstaat“ angestrebt – „durchaus in Analogie zur Ideologie des deutschen Nationalsozialismus“. Nicht etwa der NS-Vernichtungskrieg, sondern „die Vertreibung der Deutschen“ habe „ein

in Jahrhunderten gewachsenes Zusammen-leben von Slawen und Deutschen zerstört“. Auch die Westalliierten treffe schwere Schuld: Sie hätten, als sie der Umsiedlung zustimmten, angesichts der desolaten Er-nährungslage im befreiten Deutschland „die Gefahr eines Massensterbens in Kauf“ genommen.

„Verharmlosung“ als Verbrechen

Zusätzlich lässt der Autor erkennen, dass er abweichende Ansichten über die „Ver-treibung“ nicht zu dulden bereit ist. So sei, erklärt de Zayas, schon die Benennung der „Vertreibung“ als „Umsiedlung“ „ver-harmlosend“.(*3) „Die schwere und anhal-tende Verharmlosung der Vertreibung der Deutschen“ stelle jedoch, heißt es weiter, ihrerseits „eine Menschenrechtsverletzung dar“.

Sudetendeutsche, Juden, Tutsi

Der Autor der Broschüre, die das hessi-sche Sozialministerium verbreitet, ist unter anderem aus Interviews mit rechtslastigen Medien bekannt. Im Gespräch mit der ult-rarechten Wochenzeitung „Junge Freiheit“ etwa behauptete de Zayas, die Sudeten-deutschen seien „aus rassistischen Grün-den vertrieben“ worden, es handele sich also um „Völkermord“: „Um als Völkermord zu gelten, ist es nicht nötig, dass alle Mit-glieder der Gruppe massakriert werden. Auch nicht alle Armenier, nicht alle Juden, nicht alle Tutsis wurden ausgerottet.“(*4) In Kreisen der äußeren Rechten wird gegen-wärtig Zayas' jüngstes Buch gefeiert („Völ-kermord als Staatsgeheimnis“), in dem er die These vertritt, die NS-Vernichtungspoli-tik sei vor der Befreiung 1945 im Deutschen Reich allenfalls Insidern, nicht jedoch allge-mein bekannt gewesen. Verleger der vom hessischen Sozialministerium versandten Broschüre ist der Chefredakteur der Preu-ßischen Allgemeinen Zeitung, Konrad Ba-

In einem Interview mit der Jungen Freiheit 9 JUNI 2006, SEITE 6, erklärte de Zayas u.a.:Die Sudetendeutschen waren Opfer eines virulenten Rassismus, der bereits viele Jahre vor dem Zweiten Weltkrieg Tote und Verletzte forderte. … Nach der Völkermordkonven-tion von 1948 ist die „Absicht“ das entscheidende Moment. Völkermord bedeutet also Handlungen, die in der Absicht begangen werden, „eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören“. Die Benesch-De-krete, die Internierung Tausender Sudetendeutscher in Konzentrationslagern, der Raub des Privateigentums und die Art und Weise der Durchführung der Vertreibung belegen die Absicht Beneschs und der tschechoslowakischen Regierung, die sudetendeutsche Volksgruppe zu zerstören. Wichtig dabei ist die Tatsache, daß die gesamte Volksgruppe aus rassistischen Gründen vertrieben wurde, also nur weil sie Deutsche waren. Um als Völkermord zu gelten, ist es nicht nötig, daß alle Mitglieder der Gruppe massakriert werden. Auch nicht alle Armenier, nicht alle Juden, nicht alle Tutsis wurden ausgerottet.

Na zdrowje Bar Convention mit Gastland Polen

Seit 2007 gibt es in Berlin eine Bar- und Spirituosenmesse. In diesem Jahr gab es erstmals ein Gastland: Polen.

An der „Bar Poland“ präsentieren an zwei Tagen bekannte polnische Barten-der die Cocktail- und Spirituosenkultur ihrer Heimat. Dabei wurde allerdings deutlich, daß die meisten polnischen Wodkahersteller im Besitz internatio-naler Unternehmen sind.

Żubrówka beispielsweise, ein Mar-kenname der sich gleichzeitig auch als Gattungsname der Wodkavarian-ten mit Büffelgrashalm durchgesetzt hat. Es hätte auch Wodka mit dem „Duftenden Mariengras“ oder Wodka mit dem „Vanillegras“ heißen können, denn das sind ebenfalls Namen die der genutzten Pflanze zuteil werden. Hier in Deutschland wird er „Grasovka“ ge-nannt. Ein Name, den ihm seine Besit-zer „Underberg“ gegeben haben.

Doch auf der Messe sind auch Pro-dukte aus Łańcut (Biała Dama) im Süd-osten Polens oder die Produkte des jungen Familienunternehmens Kozuba aus Nidzica in den Masuren den Besu-chern angenehm aufgefallen.

Eine gute Idee der Messeleitung: An einer langen Tafel sind bekannte und unbekannte Wodkasorten aus Polen aufgereiht, nicht nur zum Anschauen: Probierbecher stehen gleich bereit.

Karl Forster

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POLITIK PERSONALIEN

denheuer. In der Preußischen Allgemeinen Zeitung hieß es etwa zur „Kriegsschuldfra-ge 1939“, die aktuellen „ernst zu nehmen-den Darstellungen des Zweiten Weltkrie-ges“ seien „zu dem Schluß“ gekommen, „daß von einer Alleinschuld Deutschlands am Kriegsausbruch nicht die Rede sein könne“.(*5) Badenheuer hat vor Jahren eine Ausstellung konzipiert, in der es hieß, das „Sudetenland“ habe „als besetztes Ge-biet interpretiert werden“ können, „das nie legitim zur ČSR gehört hat“. Daher gefähr-de die Tatsache, dass das Münchner Diktat vom 30. September 1938 ohne Mitwirkung der betroffenen Tschechoslowakei zustan-de gekommen sei, „nicht die Gültigkeit des Abkommens“.

Eine hessische Initiative

Die hessische Landesregierung hat vor rund zehn Jahren eine Initiative zugunsten der deutschen „Vertriebenen“ gestartet, in welche die Verschickung der Broschüre von de Zayas einzuordnen ist. So hat sie das Amt eines Landesbeauftragten für Hei-matvertriebene und Spätaussiedler einge-richtet, eine Patenschaft für die Stiftung Zentrum gegen Vertreibungen des Bundes der Vertriebenen (BdV) übernommen, ei-nen „Tag der Vertriebenen“ im Rahmen des jährlichen „Hessentags“ etabliert sowie Vertretern des BdV jeweils einen Sitz im Rundfunkrat des Hessischen Rundfunks beziehungsweise in der Landesanstalt für den privaten Rundfunk verschafft. Auch hat die hessische Landesregierung Wert darauf gelegt, den Stellenwert des Themas "Vertreibung" in den schulischen Lehrplä-nen höher als zuvor anzusiedeln. In diesem Kontext hat das hessische Kultusministeri-um BdV-Materialien an die hessischen Me-dienstellen versandt, um sie für die Schu-len verfügbar zu machen. Zuletzt hat die hessische Landesregierung mit Beschluss

vom 8. November 2010 einen „Hessischen Preis 'Flucht, Vertreibung, Eingliederung'“ gestiftet, der alle zwei Jahre für „hervorra-gende kulturelle, literarische oder wissen-schaftliche Leistungen“ zum Thema „Ver-treibung“ verliehen wird. Er ist mit 7.500 Euro dotiert.

Ehrenplakette

Der ehemalige hessische Ministerpräsi-dent Roland Koch, unter dessen Ägide die Initiative in Sachen „Vertreibung“ gestar-tet wurde, hat dafür am 27. August die BdV-Ehrenplakette erhalten - während der Feierlichkeiten zum diesjährigen „Tag der Heimat“. Bei der Veranstaltung hatte BdV-Präsidentin Erika Steinbach Äußerungen getätigt, die in mancher Hinsicht de Zayas' Thesen recht nahekommen. So hatte sie behauptet, die „Wurzeln der Vertreibung“ reichten bis in die „Mitte des 19. Jahrhun-derts“ zurück und dürften nicht „ahisto-risch an den Beginn des Zweiten Weltkriegs geknüpft“ werden. Auch bei de Zayas heißt es in einer Relativierung der Bedeutung des deutschen Vernichtungskriegs: „Auch der dynamische slawische Nationalismus des 19. Jahrhunderts und die Beschlüsse der Verträge von Versailles, St. Germain und Trianon (...) müssen als Ursachen mit berücksichtigt werden.“(*6) Aus: Informationen zur Deutschen Außenpolitik. www.german-foreign-policy.com--------------------------------------------------------------(*1) Alfred de Zayas: 50 Thesen zur Vertreibung, London/München 2008(*2) Alfred de Zayas: 50 Thesen zur Vertreibung, London/München 2008(*3) Alfred de Zayas: 50 Thesen zur Vertreibung, London/München 2008(*4) „Historische und menschliche Tragödie“; Junge Freiheit 24/2006(*5) Neuer Überblick zur Kriegsschuldfrage 1939; Preußische Allgemeine Zeitung 05/2007(*6) Alfred de Zayas: 50 Thesen zur Vertreibung.

Anlässlich der Auszeichnung von Herrn Doktor Andrzej Cechnicki mit dem Bun-desverdienstkreuz bin ich gebeten worden, Ihnen den Ordensträger vorzustellen und die Gründe für diese Auszeichnung darzu-legen.

Nun ist kaum anzunehmen, dass in die-sem Saal jemand sitzt, der nicht weiß, wer Andrzej Cechnicki ist, und wohl jeder wäre in der Lage, mindestens drei gewichtige Gründe zu nennen, warum eine Auszeich-nung für Andrzej Cechnicki überfällig ist. Eine Würdigung der Person und Verdiens-te des heute Ausgezeichneten erscheint mir dennoch nicht überflüssig, und ich will versuchen, zu dem persönlichen Bild, das die meisten von Ihnen von ihm haben, den einen oder anderen Strich oder Farbton hinzuzufügen.

Das Bundesverdienstkreuz wird deut-schen und ausländischen Männern und Frauen „verliehen für Leistungen, die im Bereich der politischen, der wirtschaftlich-sozialen und der geistigen Arbeit dem Wie-deraufbau des Vaterlandes dienten, und soll eine Auszeichnung all derer bedeuten, deren Wirken zum friedlichen Aufstieg der Bundesrepublik Deutschland beiträgt.“ So heißt es in dem Erlass, den Bundespräsi-dent Theodor Heuss, Bundeskanzler Kon-rad Adenauer und der Bundesinnenminis-ter Robert Lehr am 7. September 1951 unterzeichneten, also fast auf den Tag ge-nau vor 60 Jahren.

Wie hat der Krakauer Psychiater An-drzej Cechnicki zum friedlichen Aufstieg Deutschlands beigetragen?

Zur Beantwortung dieser Frage sei mir er-laubt, mich zunächst an die deutschen Teil-nehmer dieser Feier zu wenden. Sie haben alle eine ziemlich weite Anreise bis hierher gehabt. Wir sind also mitten in Polen - und doch sind wir an einem deutschen Ort, am ehemaligen Konzentrationslager Ausch-witz.

Welche Spannung liegt in diesem Ereig-nis: die Verleihung des Bundesverdienst-kreuzes an einen Polen, im Schatten von Auschwitz!

Es war der ausdrückliche Wunsch Andrzej Cechnickis, das Bundesverdienstkreuz

an diesem Ort, an dem auch Angehörige seiner Familie ermordet wurden, aus der Hand des deutschen Generalkonsuls in Krakau zu empfangen.

Hätten sich die politischen Führer der Bundesrepublik der frühen Nachkriegs-jahre solch eine Szene vorstellen können? Selbst im Akt der Überreichung wird das Anliegen, das sie mit dem Bundesver-dienstkreuz verbanden, ver-wirklicht nämlich: Deutsch-land möge aus dem Abgrund des nationalsozialistischen Zivilisationsbruchs aufstei-gen und wieder einen Platz unter den europäischen Na-tionen einnehmen.

Andrzej Cechnicki ist kein Politiker. Er ist Psychiater mit Leib und Seele. Er hat sich der Arbeit mit den emp-findsamsten, verletzlichsten Menschen in unserer Gesell-schaft, den Schizophrenen, verschrieben. Seit über 35 Jahren ist er der Krakauer Psychiatrischen Universi-tätsklinik verbunden, seit fast zwanzig Jahren koordi-niert er das integrierte Ver-sorgungssystem für Schi-zophreniekranke und ihre Angehörigen in der Stadt Krakau. Erst vor wenigen Mo-naten wurde seine jahrzehntelange Arbeit als Wissenschaftler, Hochschullehrer und Arzt mit der Erteilung der Venia Legendi, der Habilitation, durch die Medizinische Fakultät der Jagiellonen-Universität Krakau belohnt. Als Landeskoordinator der polni-schen Antistigma-Kampagne „Schizofrenia - Otwórzcie Drwi“ (Open the Door) ist er seit vielen Jahren einer breiteren Öffent-lichkeit bekannt. Er gehört zu denjenigen, die in ausländischen Fachkreisen der pol-nischen Psychiatrie seit Jahren ein Gesicht geben.

Andrzej Cechnicki wurde 1950 in War-schau geboren. Die Menschen in Polen waren befreit, aber sie lebten nicht in Frei-heit, sie gehörten zum Reich der formalen und materiellen Gleichheit. Die Folgen der

deutschen Besatzung, des Terrors und der Zerstörung waren noch überall sichtbar. Die Menschen redeten dennoch wenig über die Vergangenheit, die Vergangenheit schien nur noch in Denkmälern und Fei-ertagsreden vorzukommen - oder in Alb-träumen. Andrzej Cechnicki wuchs in einer Welt voller Tabus auf, in der seine Sensi-bilität für die verdrängten und abseitigen Dinge geweckt wurde – und für besondere, randständige Menschen.

1967 ging Andrzej zum Studium der Medizin nach Krakau. Hier herrschte in relativer Abgeschiedenheit ein außeror-dentlich anregendes intellektuelles und künstlerisches Klima: Theater, Jazz, bilden-de Kunst, Literatur und Philosophie. Der Psychiater Antoni Kępiński erreichte mit

seinen existenzphilosophischen Vorlesun-gen und Büchern eine breite Öffentlichkeit. 1974 trat Andrzej Cechnicki als Volontär in die Psychiatrische Universitätsklinik ein. Hochschullehrer, Assistenten und Studen-ten begegneten einander in fast familiärer Weise. Seinen Lehrern Adam Szymusik und Maria Orwid blieb Andrzej ein Leben lang verbunden. Gemeinsam arbeiten, lernen, forschen, die Probleme des Alltags meis-tern, feiern – alles vermischte sich zu ei-nem intensiven Lebensgefühl. Jeder neue Kollege hatte etwas beizutragen.

Andrzej Cechnickis Beitrag war, die Tü-ren nach draußen, vor allem nach West-deutschland zu öffnen. Natürlich gab es Kontakte der Krakauer Hochschullehrer ins Ausland. Doch wirkten diese Kontak-te kaum über den Rahmen persönlicher Bekanntschaft hinaus. Andrzej Cechnicki

Dr. Andrzej Cechnicki

Überbrückung eines historischen AbgrundesLaudation anlässlich der Verleihung des Bundeverdienstkreuzes

Von Friedrich Leidinger

Prof. Dr. Andrzej Cechnicki. Foto: Leidinger

Deutsch-Polnischer Preis für Pöttering und Buzek

Dr. Hans-Gert Pöttering (EVP/CDU), ehemaliger Präsident des Europäischen Parlaments und Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung, ist gemeinsam mit dem Präsidenten des Europäischen Parlaments, Jerzy Buzek, in Warschau mit dem Deutsch-Polnischen Preis ausgezeichnet worden. Damit würdigte das aus deutschen und polnischen Mitgliedern bestehende Preiskomitee die „besonderen Verdienste um die Entwicklung der deutsch-polnischen Beziehungen“ der beiden Europa-Politiker. Die jährliche Vergabe des Deutsch-Polnischen Preises wurde im Deutsch-Polnischen Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit vom 17. Juni 1991 vereinbart. Das Preisgeld von ins-gesamt 20.000 Euro möchten Hans-Gert Pöttering und Jerzy Buzek für die Förderung von weißrussischen und moldawischen Studenten am Europa-Kolleg in Natolin bei Warschau zur Verfügung stellen.

Bielefeld - Rzeszów

Zwanzig Jahre Partnerschaft

Mit einem umfangreichen Festpro-gramm wurde im Oktober das Jubiläum der Städtepartnerschaft Bielefeld mit Rzeszów begangen. Vor zwanzig Jahren wurde diese Partnerschaft in überra-schend kurzer Zeit realisiert. Doch die Bemühungen um eine solche Partner-schaft reichten schon viele Jahre zu-rück.

Die Deutsch-Polnische Gesellschaft Bielefeld hatte sich schon seit ihrer Gründung mit dem Thema Städtepart-nerschaft befasst. Mitte der 80er Jah-re wurde dann unter dem Vorsitz des SPD-Bundestagsabgeordneten Kurt Vogelsang ein neuer Vorstoß unter-nommen. Doch das Problem: Bielefeld hatte mit Vertriebenenorganisationen „Patenschaften“ vereinbart, deren Formulierungen Hindernisse beim Ver-ständigungsprozess bildeten. DPG-Vor-standsmitglied Karl Forster verhandelte mit allen Ratsfraktionen und konnte mit einem Ergebnis nach Warschau ins polnische Aussenministerium fahren: Der Stadtrat erklärt die Formulierungen „aus der Zeit ihrer Entstehung“ bedingt und betont, auf dem Vertrag von War-schau zu stehen. Im Ministerium war man zufrieden und den Kontakten zu polnischen Städten (Vorschläge waren Lublin und Rzeszów) stand fast nichts mehr im Wege. Bis der damalige Ober-bürgermeister Bielefelds beim Vertrie-benenverband groß tönte „Wir lassen an den Patenschaften nicht rütteln“.

Da war erst mal wieder Sendepau-se. 1990 dann ein neuer Anlauf der Deutsch-Polnischen Gesellschaft. Man wollte Kontakt nach Rzeszów aufneh-men, da die Stadt ähnliche Strukturen (Industrie, Universität etc.) aufwies, wie Bielefeld. Eine Woche lang wurden bei einer Messe Unterschriften gesammelt, die dem Stadtrat vorgelegt wurden. Und ausgerechnet der CDU-Oberbür-germeister konnte sich schnell dafür er-wärmen, Kontakte nach Polen zu knüp-fen. Schon ein Jahr später (Herbst 1991) wurde der Vertrag vereinbart, im Mai 1992 wurde er in Rzeszów feierlich unterzeichnet.

Karl Forster

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PERSONALIEN KULTUR/GESCHICHTE

auch vielfältige Verbindungen von Königs- und Adelshäusern. So heiratete 1642 Anna Katharina Konstanze Wasa, eine polnische Prinzessin, Philipp Wilhelm von Pfalz-Neu-burg. Einzelstücke ihres Brautschatzes, der 70 Wagenladungen umfasste, lassen Reichtum und Pracht erahnen. In diesem Kontext darf August der Starke nicht feh-len, der als König von Polen politisch eher glücklos agierte, aber Spuren in der Kunst und in Bauwerken hinterließ.

1831 erfasste deutsche Demokraten eine echte Polenbegeisterung, als sie nach deren misslungenem Novemberaufstand den Geschlagenen Unterstützung und So-lidarität auf ihrer Flucht nach Westeuropa zukommen ließen. Zu den Sympathisanten gehörte Richard Wagner, der seine Polonia-Ouvertüre als Hommage an Polens Frei-heitswillen komponierte.

Der zweite Teil der Ausstellung ist jün-gerer Geschichte gewidmet. Deutsch-pol-nische Künstlernetzwerke der 20er Jahre des vergangenen Jahrhunderts begehrten gegen Nationalismus und Krieg auf. Als Mittler gilt Jankel Adler, dessen Bild »Meine Eltern« zu sehen ist. Die Darstellung des Neubeginns der deutsch-polnischen Bezie-hungen nach dem Krieg zeigt schmerzliche Wahrheiten, reizt auch zum Widerspruch. Das Aufbegehren der Solidarnosc-Bewe-gung in den 1980er Jahren in Polen und deren Folgen für die Welt animierte Künst-ler zur Auseinandersetzung mit dem realen Sozialismus. Belegt in der Ausstellung u.a

durch Günther Ueckers »Splitter für Polen«. Ein umfangreiches Begleitprogramm will das Nachdenken über das deutsch-polni-sche Miteinander fördern.

Die Ausstellung ist noch bis zum 9. Januar im Martin-Gropius-Bau in Berlin zu sehen.Wir danken der Tageszeitung „Neues Deutsch-land“ für die Nachdruckerlaubnis.

Beachtenswerte Ausstellung in Berlin:

Brautschatz und SplitterTür an Tür - Polen-Deutschland 1000 Jahre Kunst und GeschichteVon Daniela Fuchs-Frotscher

Das historisch nicht immer unkompli-zierte Beziehungsgeflecht der deutsch-polnischen Nachbarschaft wird in der Aus-stellung »Tür an Tür Polen – Deutschland. 1000 Jahre Kunst und Geschichte« durch eine originelle Perspektive betrachtet. Kunstwerke, Dokumente, aber auch Bü-cher, Filme, Musik zeigen, dass die Ge-schichte beider Nachbarländer nicht nur Konflikte, sondern auch Gemeinsamkeiten bieten. Die Frage, ob der berühmte Bild-schnitzer des Spätmittelalters Veit Stoß oder der geniale Astronom Nikolaus Ko-pernikus Deutsche oder Polen waren, stellt sich heute nicht mehr. Sowohl das Leben und Schaffen des Künstlers als auch des

Wissenschaftlers hoben bereits zu ihrer Zeit Grenzen auf.

Kupferstiche und Skulpturen des Nürn-berger und Krakauer Meisters Stoß und die Erstausgabe des 1543 erschienenen Hauptwerks »De Revolutionibus Orbium Coelestium« von Kopernikus gehören zu den 800 Exponaten, die aus ganz Europa zusammengetragen wurden. Der Direktor des Warschauer Königsschlosses Profes-sor Andrzej Rottermund spricht von einer logistischen Meisterleistung, die seine Mitarbeiter und die Berliner Partner vom Martin-Gropius-Bau bewältigen mussten,

um die seit 2006 geplante Ausstellung zu realisieren. Zu den Höhepunkten gehören Werke u.a. von Dürer, Cranach d.Ä., Uecker und Beuys.

Der historische Teil der Ausstellung be-ginnt mit Gnesen, dem Ort des ersten deutsch-polnischen Gipfeltreffens zwi-schen den Königen Otto III. und Boleslaw I. im Jahre 1000. Beide Monarchen frönten nicht nur dem Kult um den heiligen Adal-bert, sondern es kam dort zur Anerkennung der politischen Souveränität des frühen polnischen Staates. Zum Reiz der Ausstel-lung gehört, dass immer wieder Arbeiten zeitgenössischer Künstler hinzugefügt wurden. Diese erfrischende Mischung er-schließt dem Besucher neue Perspektiven der Betrachtung historischer Ereignisse. Ein Beispiel wäre die 1987 geschaffene In-stallation »Heiliger Adalbert« von Miroslaw Balka, die aus Leinwand, Holz, Hafer und Neonröhren besteht. Diese Art der Präsen-tation trägt deutlich die Handschrift der international renommierten Chefkuratorin Anda Rottenberg aus Warschau, die sich bisher mit modernen Kunstausstellungen einen Namen gemacht hat.

»Das Magazin der Geschichte« eine Stahl-gitterkonstrukti-on, präsentiert im Lichthof des Grop ius -Baus , hat der Künstler Jaroslaw Kozaki-ewicz extra für diese Ausstel-lung geschaffen. Sie steht als Me-tapher für das G e f a n ge n s e i n der deutsch-polnischen Ge-schichte, die immer wieder Stereotype vom jeweils Anderen hervorbringt. Realität und Mythos werden hier am Beispiel der Schlacht bei Grunwald/Tannenberg ge-zeigt, wo der Deutsche Orden von einem polnisch-litauischen Heer 1410 vernich-tend geschlagen wurde. (sh. Seite 14)

Neben Trennendem wie die Weltkriege und Besatzung gehören zum Miteinander

Herzogin Hedwig, um 1530, Mischtechnik auf Pergament auf Leinwand übertragen, 69,5 x 54,5 cm © Bayerische Schlösserverwaltung.

Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Władysław Bartoszewski ist Vorsitzender des wissen-schaftlichen Beirats der Ausstellung. Foto: Ulrike Höck

trachtete danach, eine Basis für offenen Dialog und Begegnung zu schaffen. Das war weder selbstverständlich noch risiko-los.

Erinnern wir uns: 1966 hatten Polens katholische Bischöfe ihren deutschen Brü-dern einen offenen Brief geschrieben, den diese eher verständnislos aufnahmen. Bis in die siebziger Jahre lag über der BRD der Mehltau der Verleugnung und Verdrän-gung. Erst nach 1979, nach der Ausstrah-lung des amerikanischen Fernsehfilms Holocaust, interessierte sich eine breitere Öffentlichkeit dafür, wie weit die deutschen Eliten – Ärzte, Juristen, Verwaltungsleute, Ökonomen, Wissenschaftler - in die NS-Verbrechen verstrickt waren.

Dieselben Eliten bildeten nach dem Krieg die Pfeiler der bundesrepublikanischen Ge-sellschaft, sie garantierten die politische Integration der BRD in den Westen. Und Polen spielte keine Rolle. Wer interessier-te sich damals in der BRD für Polen? Wem würde ein junger polnischer Psychiater da-mals in Westdeutschland begegnen?

Polnische Ärzte pflegten damals, ihr Ge-halt durch Jobs im Ausland aufzubessern. Von ihren Reisen brachten sie Geld nach Hause. Andrzej Cechnicki brachte neue Ideen und Adressen mit.

Seine erste Reise führte ihn 1979 in die Schweiz, wo er mit Luc Ciompi und Am-bros Uchtenhagen zwei Vordenker einer neuen Psychiatrie kennenlernte. Dann kam Süddeutschland. Formell arbeitete er in einer Privatklinik als „Milieutherapeut“, tatsächlich hatten die Patienten einen kompetenten Psychiater vor sich. Von Be-such zu Besuch reiste Cechnicki durch die BRD, wuchs das Netzwerk, füllte sich sein Adressbuch, hatte seine Klinik in Krakau einen weiteren Partner gefunden.

Aber noch fehlte diesen Beziehungen der Inhalt, fanden die deutschen Partner nicht nach Polen, gab es kein Thema für einen Dialog.

Schließlich Krakau, April 1985: Der Inter-nationale Kongress „Krieg, Okkupation und Medizin“ unter Vorsitz von Professor Józef Bogusz. Hier trifft Andrzej Cechnicki Klaus Dörner und seine Mitarbeiter. Ihr Interesse ist die Aufklärung der Morde an psychisch Kranken durch die Deutschen in Polen. Mit dem 1. September 1939, dem Tag des deutschen Überfalls auf Polen, begann auch Krieg gegen die psychisch Kranken. Deutsche Psychiater, deutsche Soldaten und Polizisten haben überall im deutschen Machtbereich hunderttausende psychisch Kranker als „lebensunwert“ ermordet, in

Polen wurden nicht selten ganze Kranken-häuser „liquidiert“, manchmal das Perso-nal gleich dazu.

40 Jahre nach dem Krieg verlangte die psychiatrische Versorgung in beiden deut-schen Staaten, und auch in Polen, drin-gend nach einer Verbesserung. Die Lage der Psychiatrie war eine politische. Es ging um die Überwindung von Isolation und Ausgrenzung, um Menschenrechte. Eine Reform konnte nur in Gang kommen, wenn diese entsetzlichen Ereignisse nicht länger verdrängt wurden. Psychiatrie ist vielleicht nicht für jeden eine wichtige Sache, aber der Umgang mit den schwächsten Men-schen in einer Gesellschaft ist ein Grad-messer für den zivilisatorischen Zustand dieser Gesellschaft, dafür, ob sie an allge-meingültige humanistische Werte gebun-den ist. Was lag näher, als diese Werte in einem deutsch-polnischen Dialog auf dem Gebiet der Psychiatrie mit allen Beteiligten zu begründen.

Die Tür war offen. Andrzej Cechnickis Vorarbeit machte es möglich, dass 1987 dreißig Psychiater aus der BRD auf den Spuren der ein halbes Jahrhundert zuvor aus deutschen Anstalten in den Osten ver-legten Patienten durch Polen reisten, als erste Deutsche seit dem Ende des Krieges in Meseritz, Gnesen oder Warta mit ihren polnischen Kollegen zusammentrafen und über die Schicksale der Deportierten, die Ereignisse des Kriegs und der Besatzung und über die Probleme der heutigen Psych-iatrie diskutierten.

Deutsch-polnischer Dialog

Der Dialog polnischer und deutscher Psychiater über Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart ist Lehrstück bürgerlicher grenzüberschreitender, internationaler Zu-sammenarbeit. Er hat längst auch Freunde und Kollegen in Israel – viele von ihnen aus Polen stammend – und in der Ukrai-ne einbezogen. Er beteiligt Fachleute und Betroffene – Patienten und Angehörige – freie Vereinigungen und Institutionen der Gesundheitsversorgung.

Andrzej Cechnicki hat diese Bewegung mit unermüdlichem Engagement vorange-trieben, begleitet und gelegentlich auch in ihrer Richtung beeinflusst. Er brachte Men-schen zusammen, die sich nie begegnet wären, und die sich nun zu gemeinsamer Aktion zusammenschlossen. Er lieferte die Stichworte, um den Dialog im Fluss zu hal-ten. Wenn ihm die Worte fehlten, so holte er sich Rat bei seiner Frau Maria, die den

verschütteten und verborgenen Dingen wieder Namen gab. Wie sehr Maria Cech-nicka mit scharfsinniger Intuition und po-etischer Kreativität zu seiner Arbeit beige-tragen hat, kann nicht überschätzt werden.

Andrzej Cechnicki tat dies nicht ohne persönliche Opfer, er verzichtete auf mate-riellen Erfolg und Karrieremöglichkeiten, er war niemals auf einen persönlichen Vorteil bedacht, er machte nicht viel Aufhebens um mögliche persönliche Nachteile oder die Gefahr des Scheiterns. Ein solches Ver-halten mag man als irgendwie altmodisch empfinden. Ich nenne es aristokratisch und finde, Andrzej Cechnicki zeigt sich hierin als „typisch polnisch“. Denn in der Zeit, als die Polen ihren Staat verloren hatten, lebte das Polentum im polnischen Adel weiter, und seine Werte wurden für alle modernen Polen beispielhaft: Ehre, Uneigennützig-keit, Opferbereitschaft, Mut, Freiheit (nicht als Instrument der Selbstverwirklichung, sondern als Teilnahme an der kollektiven Souveränität).

Dem ritterlichen Handeln Andrzej Cech-nickis verdanken wir Deutschen die Über-brückung eines historischen Abgrundes, der uns nicht allein von unserem östlichen Nachbarn trennte, sondern von der uni-versellen Wertegemeinschaft. Über die-se Brücke erhielten wir die Möglichkeit, unserem Nachbarn wieder zu begegnen. Mehrere Tausend Menschen aus Polen und Deutschland, aus Israel, aus der Ukraine haben im zurückliegenden Vierteljahrhun-dert diese Möglichkeit genossen. Heute ist für uns der Weg zum Nachbarn fast selbst-verständlich.

Die Verleihung des Bundesverdienst-kreuzes an Dr. Andrzej Cechnicki ist ein Zeichen der längst fälligen Anerkennung und des Dankes. Und, dass er dieses Kreuz angenommen hat, dafür möchte ich ihm ebenfalls danken.

In fast allen deutsch-polnischen Reden gibt es das Leitmotiv der „Versöhnung“, und viele von Ihnen werden sich wundern, warum dieses Wort nicht längst gefallen ist.

Ich will als Antwort mit wenigen Zeilen aus dem Vermächtnis des Herrn Cogito von Zbigniew Herbert schließen:

Und übe keine vergebung wahrlich es liegt nicht an dir nachsicht zu üben im namen derer die in der frühe verraten wurden hüte dich dennoch vor überflüssigem hochmut betrachte dein narrengesicht im spiegel und wiederhole: ich wurde be-rufen – gab’s denn nicht bessre

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KULTUR/GESCHICHTE KULTUR/GESCHICHTE

35 Stickerinnen und Sticker haben 18 Monate an einer 1:1-Kopie des berühmten Matejko-Gemäldes Schlacht bei Grunwald gestickt. Das Werk ist in der Ausstellung „Tür an Tür“ im Berliner Martin-Gropius-Bau bis zum 9. Januar zu sehen. Grzegorz Żochowski (Entwurf der Stickvorlage) Działoszyn, 2008-2010 Mouliné, Kanevas, Kreuzstickerei, 920 x 405 cm © 35 twórców pasjonatów malarstwa Jan Matejki, Działoszyn. Foto: Urszula Czapla

„Schlacht bei Tannenberg“ übersetzen die Ausstellungsmacher im Martin Gro-pius Bau in Berlin (sh. Bericht auf Seite 11) fälschlich die gestickte Kopie des berühmten Matejko-Gemäldes „Bitwa pod Grunwaldem - Schlacht bei Grun-wald“. Damit will man der deutschen historischen Sicht nahekommen. Tho-mas Willms hat sich Original in War-schau und Kopie in Berlin angesehen und seine Anmerkungen zu Bild und Ge-schichte für POLEN und wir zu Papier gebracht.

Das Warschauer Nationalmuseum ist so ehrfurchtgebietend wie alle alten Kunst-hallen. Knarrende Holzdielen, monströse dunkle Türen, Lederpolster und dann ge-strenge Adelsporträts, dicke Engel, malt-rätierte Heilige und Mätressen mit tiefen Dekolletes, die auf einen hernieder blicken. Und doch erwartet einen in Warschau et-was Besonderes. In einem riesigen Saal tritt man vor ein nationales Heiligtum: „Bit-wa pod Grunwaldem“, die „Schlacht von Grunwald“, unglaubliche 9 mal 4,5 Meter groß.

Anmerkung zu einem Bild:

Patriotische KreuzsticheVon Thomas Wilms

Der Eindruck muss im Jahre der Enthül-lung 1878 noch gewaltiger gewesen sein als heute, wo man durch ähnlich dimen-sionierte Shampoo-Werbung doch etwas abgestumpft ist.

Der Künstler Jan Matejko wäre mit die-sem Arrangement zweifellos zufrieden gewesen, denn das Gemälde war nie da-für gedacht eine Kaufmannsstube zu zie-ren, sondern von vornherein ein Mittel im Kampf um nationale Selbstbehauptung. Begonnen 1872, kurze Zeit nachdem das Deutsche Reich sich kriegerisch etabliert hatte, sah es für nationalbewusste Polen wahrlich nicht gut aus. Keine Armee, kein Staat, keine Triumphe. Da musste der Sieg eben aus der Vergangenheit geborgt wer-den.

Die Bildsprache ist so einfach wie durch-

schlagend: Im Zentrum der siegreiche be-krönte König, im Brokatgewand und vor siegreich wehendem polnischen Adler, links von ihm der Verlierer – Hochmeister Ulrich von Jungingen - im Moment der Ka-tastrophe, die Deutschordens-Fahne sin-kend, einfachen Fußsoldaten ausgeliefert. Der Rest des Gemetzels, auf dem man üb-rigens keinen Tropfen Blut sieht, tritt hinter dieser Kernaussage zurück.

Was hier ins Jahr 1410 verlegt wurde, steht außer Frage: „Wir haben es euch schon mal gezeigt und wir werden es euch wieder zeigen!“ Exakt so wurde das Gemäl-de über Jahrzehnte auf beiden Seiten auch

empfunden, auf polnischer Seite teilweise bis in die Gegenwart. Deutscherseits saß der Ärger so tief, dass man noch 1914 meinte „die Schmach tilgen“ zu müssen, indem man den Sieg über die russische (!) Armee in Ostpreußen als „Schlacht bei Tannenberg“ bezeichnete, um auf diese Weise nicht nur die 500 Jahre zurücklie-gende Niederlage zu egalisieren, sondern auch gleich den „falschen“ Namen.

Die Ideologisierung spitzte sich im Fol-genden immer weiter zu: der Deutschor-densritter wurde zum Vorläufer des ost-wärts ziehenden SS-Mannes stilisiert und Tannenberg/Grunwald zum Heldenkampf

zwischen Germanen und Slawen, hüben wie drüben, eine Art Stalingrad des Mittel-alters.

Das tatsächliche mittelalterliche Gesche-hen ist hinter all dem nahezu verschwun-den. Wer kämpfte hier überhaupt gegenei-nander? Der noch heute mit Sitz in Wien existierende „Deutsche Orden“ war ein Mönchsorden wie Johanniter und Malteser und hatte wie diese eine merkwürdige ka-ritativ-kriegerische Doppelrolle. Nach dem Verlust des Heiligen Landes an die Musli-me richteten seine Hochmeister ihr Augen-merk auf die Bekehrung anderer „Heiden“ östlich des deutschen Siedlungsgebietes

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POLITIK NACHRUF

und errichtete dort eine eigene Herrschaft. Dieser Orden war tatsächlich in allererster Linie katholisch (!), nicht deutsch, seine höchste Autorität der Papst (!), nicht der Kaiser, seine Leitheilige die Jungfrau Maria (!), nicht der Reichsadler und seine Ange-hörigen waren Mönche (!), nicht preußi-sche Junker.

Aggression und Intrige

Seine Expansion beruhte selbstverständ-lich auf Aggression, Intrige und was der damalige Politbetrieb so zu bieten hatte. Keineswegs aber betrieb er eine Vertrei-bungspolitik. Wozu auch: Im dünn besie-delten Europa war Land ohne Menschen nämlich fast nichts wert. Solange die Abga-ben flossen, Hand- und Spanndienste, so-wie Heeresfolge geleistet wurde, war alles andere nicht so wichtig. Und so dämmert die Erkenntnis herauf, dass 1410 die we-nigen hundert deutschsprachigen katholi-schen Mönche in ihrem Gefolge mit hoher Wahrscheinlichkeit tausende polnisch-sprachige Untertanen hinter sich hatten oder was auch immer vor 600 Jahren unter „Deutsch“ und „Polnisch“ zu verstehen ge-wesen ist.

Umgekehrt handelt es sich beim schwert-schwingenden König mitnichten um den polnischen König, den nicht einmal Matej-ko zum Kriegshelden machen mochte, und der ihn vielmehr rechts hinten ins Gestrüpp verfrachtete, sondern um den litauischen Fürsten Vytautas. Der wiederum hatte in seinem Gefolge Tataren und andere Step-penbewohner, deren Christianität mindes-tens zweifelhaft war.

Heidnische Tartaren

Der amerikanische Schriftsteller und Po-lenfreund James A. Michener ließ es sich in seiner Romandarstellung („Poland“) dieser Schlacht denn auch nicht nehmen, ausge-rechnet heidnische Tataren den entschei-denden Schlag gegen die katholischen Mönche führen zu lassen.

Untergegangen ist der Deutsche Orden übrigens nach Grunwald nicht, ebenso we-nig wie Rom nach Cannae. Der Deutsch-ordensstaat kollabierte als Modernisie-rungsverlierer erst ein Jahrhundert später als sein letzter Hochmeister in einer Art Management-Buy-out das Gebiet in ein protestantisches Fürstentum umwandelte, das von seiner Herkunft die nächsten Jahr-hunderte möglichst wenig wissen wollte: Preußen.

Lange wurde es geleugnet, dass Rassis-mus und Antisemitismus auch in Polen Raum greift. Jetzt ist auch die evange-lische Kirche in Polen mit einer Erklä-rung an die Öffentlichkeit gegangen.

Anfang August wurde die Synagoge in Orla, einem Ort, in dem viele Polen weiß-russischer Herkunft wohnen, mit faschisti-schen und rassistischen Parolen besprüht: „Juden ins Gas“, „Ganz Polen den Polen“ und „White Power“.

Ende August drangen unbekannte Täter in das „Zentrum für Islamische Kultur“ in Krynki ein, demolierten große Teile der In-neneinrichtung und steckten die Toiletten-räume in Brand.

In der gleichen Nacht wurden in 14 Orten der Gemeinde Puńsk litauische Gedenk-tafeln und ein Denkmal zerstört. Auf das Denkmal wurde das Zeichen der nationa-listischen Organisation „Falanga“ gemalt. Am 24. August wurde in der Gemeinde Bu-bele bei Sejny ein Obelisk zum Gedenken an einen litauischen Dichter beschädigt und mit Farbe beschmiert. Zwei Tage zuvor wurde die Wohnung eines pakistanischen Ehepaares in einer Siedlung in Białystok angezündet.

Am 31. August wurden in Jedwabne anti-semitische Parolen „Ich entschuldige mich nicht für Jedwabne“, „Sie waren gut brenn-bar“ und das Hakenkreuz auf das Denkmal für die ermordeten Juden gesprüht.

Nazis im Stadion

Schon länger waren in Fußballstadien Nazigruppen offen und ungestört aufge-treten. Eine von der Europäischen Fußball-Union (UEFA) in Auftrag gegebene Studie hatte bestätigt, dass bei Fußballspielen in den beiden EM-Ausrichterländern Polen und Ukraine Neonazi-Gruppen oft völlig ungehindert auf den Rängen faschistische Symbole zeigen können und Hasstiraden gegen Schwarze, Juden, Muslime oder Homosexuelle zunehmen. Fans von Legia Warschau johlten bei einer Party in Łodź „Juden in die Gaskammern!“ Im Stadion von Resovia Rzeszów wurde die „Wieder-holung der Kristallnacht“ angekündigt, und ein Hooligan aus der Gruppe der „White Patriots“ im schlesischen Czestochowa trägt das eintätowierte Hakenkreuz auf der

Rassistische Angriffe mehren sich:

Die „Arische Horde“ marschiertEvangelisch-Reformierte Kirche reagiert mit ErklärungVon Karl Forster

blanken Brust: „Wir hassen Nigger, Schwu-le und Juden“, sagt er. Durch Rzeszóws Straßen zogen einige Tausend Fussballfans hinter dem Transparent „Hier marschiert die Arische Horde“ und im Stadion hing ein Transparent „Tod den Krummnasen“. Alles ohne Einschreiten der Ordnungskräfte.

Inzwischen reagieren wenigstens die Me-dien. In einem offenen Brief hat nun auch die Evangelisch-Reformierte Kirche die Be-hörden aufgerufen, gegen die rassistischen Aktionen vorzugehen.

Erklärung:

Die Evangelisch-Reformierte Kirche in der Republik Polen möchte hiermit ihre tiefe Beunruhigung über die Anstoß erregenden Vorfälle ausdrücken, die in letzter Zeit in Jedwabne, Białystok, Puńsk und Orla statt-gefunden haben.

An den genannten Orten kam es zu schänd-lichen Taten. Man entweihte das Denkmal für die ermordeten Juden in Jedwabne, zündete das Zentrum der Islamischen Kul-tur in Białystok an, hinterließ beleidigende Aufschriften auf den Mauern der Synagoge in Orla und übermalte legale Aufschriften in litauischer Sprache in Puńsk.

Alle diese Ereignisse geben uns heute Anlass zu Befürchtungen hinsichtlich der moralischen Verfassung eines Teiles un-serer Bürger, die Hass gegenüber unseren Mitbrüdern hegen. Mitbrüdern, die sich zu einer andere Religion als die Mehrheit der Polen bekennen oder andere ethnische und nationale Wurzeln als die Mehrheit der Po-len haben.

Wir appelieren an die polnischen Behör-den, verstärkte Anstrengungen zur Aufde-ckung der Verursacher dieser unwürdigen Vorfälle zu unternehmen. Wir solidarisieren uns mit allen, die diese Akte des Vandalis-mus und der Gewalt persönlich berührt oder ebenso wie uns betroffen gemacht haben.

Wir drücken die Hoffnung aus, dass wir, die polnische Gesellschaft, noch die Kraft aufbringen, uns über alle Unterschiede hin-weg solch ungerechten Taten zu widerset-zen, die sich gegen unsere Nächsten rich-ten.Priester Marek Izdebski, Bischof, am 13.9.2011

Zum Tod unseres Beiratsmitglieds:

Versöhnen und Widerstehen: Franz von Hammerstein (1921–2011)Von Christoph Koch

Sein Eingang und sein Ausgang war ein unverbrüchliches protestantisches Chri-stentum, ein quellklares, vorbehaltloses und vor keiner Konsequenz zurückschre-ckendes Christentum, das den So zialismus als seinen na türlichen Nachfahren auszu-machen vermochte. Das Christentum war die Brücke, über die er mit der gesellschaft-lichen Wirklichkeit seiner Tage verkehrte. Es war zugleich die feste Burg, die ihm den Rückzug auf die für diesen Verkehr erfor-derliche Distanz er laubte und ihm sicheren Stand auf durch die Zeitumstände aufge-wühltem Grund ge währte. Die Fe stigkeit der Burg schien seinem Charakter etwas Erratisches mit zu tei len. In Wirk lichkeit war das Erratische ererbt. Zu ihm hatten sich das Bewußtsein der Über stän dig keit und der dagegen aufbegehrende Stolz der Beständigkeit der vorigen Generation des deutschen Adels verdichtet, dem mit dem Untergang der Monarchie unter den Füßen die Republik ausgebrochen war und der, so weit er nicht die Seiten wechselte, aus der überkommenen Perspektive des Mili-tärs oder des di plomatischen Dienstes zu-sah, wie eine längst im Feudalstaat einge-richtete Bourgeoisie die un gewollte Gabe der Republik vertat, die ihr die Revolution anderer gesellschaftlicher Kräfte, de rer sie sich schämte, in die Hand gedrückt hatte. Aus dem Widerspruch von Selbst-achtung und Resignation resultiert das Hammerstein’sche Schweigen, mit dem der Vater nicht allein den Bruch der älteren Töchter mit den Traditionen des Standes quittierte. Der Sohn, dem weit aus geringe-re Zumutungen ins Haus standen, hat es in die eigene Familie hinübergerettet. Daß auch das Christentum eine Rückzugspositi-on war – er war zu klug, es nicht zu wissen, doch hat er mit um so stärkerer Zuversicht darüber hinweggesehen.

Franz von Hammerstein wurde 1921 in Berlin als Sohn des Freiherrn Kurt von Hammerstein-Equord und Maria Freiin von Lüttwitz geboren. Die Mutter war die Tochter des Generals Walther von Lütt-witz, der 1919 als Oberbefehlshaber der Reichswehr den Spartakusaufstand nie-derschlug und 1920 die treibende Kraft des Kapp-Putsches war. Der Vater, aus ge-

meinsamem Militärdienst Freund des spä-teren Reichskanzlers Kurt von Schleicher, war maß geblich an der bis zum Juli 1933 anhaltenden geheimen Zusammenarbeit von Reichswehr und Roter Ar mee betei-ligt. In der Weimarer Republik stieg er als Chef der Heeresleitung in die oberste Füh-rungsposition der Reichswehr auf (1930). Nachdem sein Vorstoß bei Hin denburg, die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler zu verhindern, gescheitert war und er sich die Vergeblichkeit seines Widerstands ge-gen die Nationalsozialisten eingestehen mußte, reich te er Ende 1933 sein Entlas-sungsgesuch ein. Von Anfang stand er in Kontakt mit dem militärischen Widerstand gegen Hitler, und es heißt, daß er im Zuge seiner vorübergehenden Reaktivierung zu Beginn des Zweiten Weltkriegs geplant habe, Hitler zu beseitigen. Seine beiden ältesten Söhne, Kunrat und Ludwig, waren am Putschversuch gegen Hitler vom 20. Juli 1944 beteiligt. Die drei älteren Töchter hatten dem elterlichen Milieu bereits frü-her den Rücken gekehrt und teils revoluti-onärere Wege eingeschlagen. Marie Luise trat im ersten Semester ih res Jurastudiums in die Kommunistische Partei ein; Maria Therese hatte ein intensives Interesse für das Judentum entwickelt, bewahrte mit Hil-fe von Vater und Schwester Juden vor der Verhaftung und wanderte nach einem miß-glückten Aufenthalt in einem israelischen Kibbuz 1935 mit ihrem Mann nach Japan aus; Helga kam in jungen Jahren durch ihren polnisch-jüdischen Freund Leo Roth mit der illegalen Arbeit der KPD in Berüh-rung, der sie 1930 beitrat. Erst unlängst hat man in Moskau Dokumente gefunden, die aus der Schreibtischschublade ihres Vaters stammen. In der engeren Familie Hammerstein hat es keinen Nationalsozia-listen gegeben.

Welch ein Umfeld! Die Jugend Franz von Hammersteins gliedert sich in zwölf Jahre Niedergang der Wei marer Republik und zwölf Jahre Aufstieg und Fall des Dritten Reiches. Wegen eines Sehfehlers vor der Einberufung bewahrt, wurde er zur Arbeit in der Rüstungsindustrie dienstverpflich-tet und absolvierte eine Ausbildung als Industriekauf mann. Nach dem 20. Juli

1944 wurden im Zuge der Suche nach den flüchtigen Brüdern er, seine Mutter und seine Schwestern Helga und Hildur – der Vater war 1943 gestorben – in Sippenhaft genommen. Mutter, Franz und Hildur trafen sich in der Grünen Minna wieder, die sie als Sonderhäftlinge Himmlers auf die Reise in die weitgehend inexistente „Alpenfestung“ schickte. In den Wirren des Kriegsendes endet die Irrfahrt für Mutter und Tochter in den Südtiroler Bergen, für den Sohn auf dem Fußmarsch von Dachau in den Süden, ehe die Familienmitglieder von den Ameri-kanern befreit werden.

Das mit geringfügiger Verspätung an-getretene erwachsene Leben Franz von Hammersteins beginnt mit einem Fazit. Er bezieht Position sowohl im Gefüge der Familie als auch ge genüber der Geschichte seines Landes, indem er sich zum Studi-um der Theologie entschließt. Der Keim zu dem Entschluß ist früh gelegt. Ein Umzug der Familie hatte es gefügt, daß der ka-tholisch Getaufte 1937 in der Dahlemer Bekenntnisgemeinde den Konfirmations-unterricht von Martin Niemöller besuchte und von diesem konfirmiert wurde, ehe Niemöller drei Wochen später als „persön-licher Gefangener“ Hitlers in das Konzen-trationslager Sachsenhausen eingeliefert wurde. Hammersteins Entscheidung für die Theologie ist nicht die Entscheidung einer gläubigen anima candida, sondern über den Glauben hinaus ein politischer Entschluß. Seither steht sein Leben unter dem Motto der Begriffe „Versöhnen“ und „Widerstehen“, die kluge Leute – leider in umgekehrter Reihenfolge – über die Fest-schrift zu seinem 85. Geburtstag gesetzt haben. Tatsächlich steht von beiden Zie-len das erstere voran. Der Versöhnung der vor allem von deutscher Seite nicht erst durch den beispiellosen Zivilisationsbruch des Nationalsozialismus unter den Völkern ebenso wie im eigenen Volk aufgerissenen Trennungen und Gegensätze und dem Wi-derstand gegen alle Versuche, den Prozeß

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NACHRUF NACHRUF

der Befreiung des westlichen Teils des aus tiefstem Fall hervorgegangenen Nach-kriegsdeutschlands aus den Verfehlungen der Vergangenheit zu hindern, dient fortan nicht allein sein berufliches, sondern sein ganzes Leben mit zunehmender, bisweilen auch rücksichtsloser Ausschließlichkeit. Dabei geht es auch im Falle größter Auf-richtigkeit naturgemäß nicht ohne Unvoll-kommenheiten ab, sei es, daß das Herz den Kopf (niemals umgekehrt) vom letzten Durchdringen des Gegenstandes zurück-hält, sei es, daß das Verständnis des Ge-genstands anderer und umfangreicherer Instrumente bedarf, als sie der theologi-sche Zugang bereithält, sei es endlich, daß ein für die Sache relevanter Gegenstand scheinbar außerhalb des Anliegens der Versöhnung liegt.

Noch während seiner Studienzeit beginnt Hammerstein mit unerschöpflicher Energie und mit unerschütterlicher Standfestig-keit eine nachgerade gigantisch anmuten-de Aktivität, deren Breitenwirkung heute kaum mehr überschaubar ist. Die folgen-den Zeilen vermögen davon nur ein grobes Bild zu zeichnen.

An vorderster Stelle des gewählten Le-bensvorsatzes steht die Versöhnung zwi-schen Ju den und Deutschen, die eine kritische Solidarität mit dem Staat Israel einschließt. Mit jüdischer Geschichte und

Kultur war Franz von Hammerstein vor allem während eines Studienaufenthalts in den USA vertraut geworden, wo er auf jüdische Emigranten aus Deutschland traf. Während dieser Zeit war er zusammen mit Eberhard Bethge, dem Betreuer des Nach-lasses von Dietrich Bonhoeffer, an der Gründung der Gesellschaft für Christlich-Jü di sche Zusammenarbeit beteiligt, die seit 1951 die jährliche „Woche der Brüderlich-keit“ organisiert. In den USA wurden auch die Grundlagen seiner Auseinandersetzung mit Leo Baeck und Martin Buber gelegt. Bereits 1951 schenkt er seiner späteren Frau das Hauptwerk „Ich und Du“ des jüdi-schen Religionsphilosophen. Sieben Jahre später erscheint seine Dissertation „Über das Messiasproblem bei Martin Buber“.

Im gleichen Jahr gründete Hammerstein mit dem Magdeburger Kirchenrechtler Lo-thar Kreyssig, der als Richter seine Stim-me gegen das nationalsozialistischen Eu-thanasieprogramm erhoben hatte, Harald Poelchau, dem Gefängnisseelsorger der nationalsozialistischen Hinrichtungstätte Plötzensee, und den Pfarrern der Beken-nenden Kirche Martin Niemöller und Ernst Wilm die Aktion Sühnezeichen, die seither Hunderte junger Freiwilliger nach Israel und in die von Deutschland unterworfe-nen und vom Krieg betroffenen Länder geschickt hat, wo sie an der Aufarbeitung der Vergangenheit, der Betreuung der Op-fer, der Pflege der Gedenkstätten und in sozialen Einrichtungen mitarbeiten. Inter-nationale Begegnungsstätten in Jerusalem, Oświęcim (Auschwitz), Paris und Coventry, die von Aktion Sühnezeichen initiiert und errichtet wurden, sind lediglich die her-ausragenden Orte ungezählter von ihr or-ganisierter Begegnungen von ehemaligen Häftlingen, Verfolgten, Zwangsarbeitern, Kriegsgefangenen, von Widerstandsgrup-pen aus allen betroffenen Ländern, von

KZ-Insassen und ihren Befreiern, von Zeit-zeugen und Angehörigen nachgeborener Generationen, die die Erinnerung an das Geschehen wachhalten, das Verständnis seiner Geschichte vertiefen und das Be-wußtsein der Zusammengehörigkeit über nationale, religiöse und weltanschauliche Unterschiede hinaus bestärken.

Die Arbeit von Aktion Sühnezeichen stieß bei den Opfervölkern des Nationalsozialis-mus anfangs auf Mißtrauen und Skepsis, in weiten Teilen des Tätervolkes auf teils ge-hässige Ablehnung. Die Diffamierungen als Nestbeschmutzer und Va ter landsverräter trafen die Mitarbeiter und die Freiwilligen von Aktion Sühnezeichen wie die Träger anderer Initiativen, die sich die Überwin-dung der nationalsozialistischen Hinterlas-senschaft zur Aufgabe machten, und wa-ren in den Jahren, in denen Hammerstein die Arbeit der Organisation als ihr General-sekretär leitete (1968 – 1975), noch kaum verstummt.

Im Anschluß an diese Tätigkeit war Franz von Hammerstein beim Weltkirchenrat in Genf mit der Betreuung des christlich-jü-dischen Dialogs befaßt. Für sein Eintreten für die christlich-jü dische Verständigung wurde er 2001 mit dem Bundesverdienst-kreuz ausgezeichnet. Zwei Jah re später erhielt er zusammen mit Günter Särchen, dem katholischen Mitbegründer der Ak tion Sühnezeichen der DDR, den Lothar-Kreys-sig-Friedenspreis.

Die Arbeit für Aktion Sühnezeichen bot den Anstoß und die Grundlage für das zweite große Anliegen Franz von Hammer-steins: den Dialog über die Gräben des Kal-ten Krieges hinweg. In all seinen Funktionen hat er unter dem Leitstern der Versöhnung auf unzähligen Wegen und auf allen Ebenen das Gespräch mit Partnern aus den sozia-listischen Ländern Osteuropas, allen voran aus Polen, der Sowjetunion und der Tsche-choslowakei, die als Territorien der Auswei-tung des deutschen „Lebensraums“ und als Lieferstätten der Rohstoffversorgung des Deutschen Reiches ausersehen waren, gesucht und geführt. Die Hypothek, die auf den Gesprächen lag, war weitaus größer als die aktuellen politischen und ideologi-schen Gegensätze der unterschiedlichen Gesellschaftssysteme. Alle drei Länder waren Schauplatz deutscher Kriegsver-brechen, Polen und die Tschechoslowakei waren zudem die Ursprungsländer der im Zuge der Niederlage des Dritten Reiches geflüchteten, vertriebenen und ausgesie-delten deutschen Bevölkerung und hatten von den Alliierten der Antihitlerkoalition

große Teile des Deutschen Reiches zuge-sprochen bekommen, Polen endlich war überdies der hauptsächliche Schauplatz der Vernichtung der jüdischen Bevölke-rung aus allen Teilen Europas. Der Dialog mit Polen verband Franz von Hammerstein mit der Deutsch-Polnischen Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland. Länger, als ich zurückdenken kann, gehörte er mit anderen Vertretern von Aktion Sühnezei-chen dem Beirat unserer Gesellschaft an, und beharrlich hat er auf die hartnäckigen Fragen von Freunden, die uns das Erstge-burtsrecht neiden, ob er diese Zugehörig-keit mit seinem Gewissen vereinbaren könne, geantwortet: ja, das könne er sehr wohl. Umgekehrt habe ich unsere Gesell-schaft lange Jahre im Kuratorium der Ak-tion Sühnezeichen vertreten, in dem er als Ehrenvorsitzender keine passive Rolle spielte.

Seinen beruflichen Lebensweg hat Franz von Hammerstein in harmonischer Folge-richtigkeit beschlossen. Als Direktor der Evangelischen Akademie zu Berlin blieb er der rastlose Mittler des Dialogs. 1986 trat er in einen ebenso rastlosen Ruhestand. In der Konsequenz seines Lebensentwurfs war er in zahlreichen Organisationen, die sich die Überwindung von der Geschichte gezogener Gräben zum Ziel setzten, ein meist aktives Mitglied. So in der Gedenk-stätte Deutscher Widerstand und in der Stiftung Topographie des Terrors, in der Internationale der Kriegsdienstverweigerer und im Martin-Niemöller-Friedenszentrum. Sein Einsatz für die osteuropäischen Län-der hat den Zusammenbruch des Sozialis-mus, den er als Tragödie verstand, über-dauert. So hat er 1992 Starthilfe für die

Ein Foto der Skulptur „Franz von Hammerstein“ des Berliner Bildhauers und Grafikers Christian Theunert (1899-1981), dem im Dritten Reich die Berufsausübung verboten war, steht im Wohn-zimmer der Hammersteins. Theunerts Nachlass wurde 1996 dem Archiv der Akademie der Küns-te vermacht. Foto: Privatarchiv Hammerstein

Franz von Hammerstein mit Ehefrau Verena Foto: Aktion Sühnezeichen / Friedensdienste

Initiative Deutsch-Russischer Austausch e. V. geleistet, die sich die Förderung der Zivilgesellschaft in Rußland, Weißruss-land und der Ukraine zur Aufgabe macht. In Rußland unterstützte er die Arbeit von Memorial, das sich der Geschichte und der juristischen und sozialen Lage der Opfer der deutschen Okkupation und des Stali-nismus annimmt, und wurde 1993 Mitglied seiner deutschen Sektion. 1994 stellte er sich für die Überführung der Hinterlas-senschaft der Gesellschaft für deutsch-so wjetische Freundschaft der DDR in die Stiftung West-Östliche Begegnungen zur Verfügung, die sich den deutsch-russischen, deutsch-weiß rus sischen und deutsch-ukrainischen Beziehungen und dem Aufbau demokratischer Strukturen in den ostslavischen Nachfolgestaaten der UdSSR widmet und deren Vorsitz er zehn Jahre lang inne hatte.

Welch ein Lebensweg und welche Dis-tanz, die er durchmessen hat! Das Lebens-werk Franz von Hammersteins verkörpert exemplarisch die mögliche Ankunft des deutschen Adels auf dem Boden der Re-publik, der deutschen freilich, d. h. einer schwierigen Republik, die in besonderem Maße die Entscheidung für ihre freiheitli-chen und befreienden Möglichkeiten for-dert, die als Möglichkeiten zur Verwirkli-chung aufgegeben sind. Das Leben Franz von Hammersteins ist dieser Aufgabe in denkbar vollkommener Weise gerecht ge-worden.

Franz von Hammerstein ist am 15. August 2011 gestorben. Seine Frau Verena, die dieses Leben getragen und ermöglicht hat, meint, daß er auch Fehler hatte. Man sollte es nicht für möglich halten. Franz von Hammerstein Foto: ASF

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POLEN und wirZeitschrift für deutsch-polnische Verständigung.

Redaktionsanschrift:

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20 POLEN und wir 4/2011 21POLEN und wir 4/2011

Trettin ist erfreut über den überwältigen Zuspruch der Ausflügler für diese erste an-gebotene Tagestour zum polnischen Nach-barn und sieht darin das Interesse an einer Verbesserung des grenzüberschreitenden Verkehrs bestätigt. Dies gilt auch für pol-nische Fahrgäste, für die Berlin und Um-gebung attraktive Reiseziele darstellen, so der Marschall der Wojewodschaft Lubuskie Maciej Szykuła. Und „unsere polnischen Städte und Gemeinden freuen sich, wenn die Gäste aus Berlin künftig mit der Bahn anreisen können“

Besuch in Gorzów

Hiervon konnten sich auch die Berliner Ausflügler überzeugen. Eine Stadtvisite in Gorzów führte sie an die Westuferprome-

nade der Warta, wo Bahnbögen ähnlich den Berliner S-Bahnbögen umgestaltet werden und Cafés zum Verweilen einladen. Neue Spielplätze und Wasserspiele begeistern die Kinder, Sonnenkollektoren zeugen von umweltfreundlicher Planung. Beim Besuch auf dem Marktplatz boten sich kurze Einbli-cke in die neuere Geschichte. Mit Bahn und

TOURISMUS BÜCHER

Europa rückt stetig näher zusammen, aber die Fahrt mit der Bahn zum Nachbarn Polen ist noch immer beschwerlich. Zeit-raubende Lokwechsel, Unterbrechungen der Elektrifizierung oder eingleisige Bahn-strecken schmälern das Reisevergnügen. Umso erfreulicher ist, dass nun eine ent-scheidende Hürde genommen wurde: Die Bahntöchter DB Regio und Arriva Polen ha-ben die Zulassung für die Triebwagen der Baureihe VT646 für den Einsatz in ganz Po-len und Deutschland erhalten. Damit wird hier erstmals auch im Regionalverkehr der grenzüberschreitende Schienenverkehr ohne Lokwechsel, der vor kurzem beim Warschau-Berlin-Express realisiert wurde, möglich.

Erster Ausflug

Am 26. August 2011 war es endlich so-weit: DB-Regio Nordost und Arriva RP star-teten den ersten Ausflug mit dem neuen Triebwagen ins Nachbarland Polen, beglei-tet von führenden Vertretern der Wojewod-schaft Lubuskie, des Landes Brandenburg und der beiden DB-Konzerntöchter. Der Premierenzug nahm auch 90 Touristen aus Berlin mit auf die Reise ins nahegelegene polnische Międzyrzecz.

Während die Touristen die Fahrt durch Brandenburg und die Wojewodschaft Lu-buskie genossen, erläuterten Vertreter aus Polen und Deutschland der mitreisenden Presse die Bedeutung der Neuerung. „Wir brauchen gute Verbindungen zwischen Brandenburg und Polen“ so der branden-burgische Verkehrsminister Jörg Vogel-sänger. „Die Zulassung der Triebwagen für beide Länder ist ein wichtiger Schritt.“ Der Zug verfügt nun über die Polnische Zugsicherung SHP und die Sicherungsein-richtung Funkstopp, die Displays wurden angepasst und sind komplett zweisprachig gestaltet. Die technischen Voraussetzun-gen für den grenzüberschreitenden Ver-kehr sind nun erfüllt. Der früher notwen-dige Lokwechsel kann entfallen und die gewonnene Zeitersparnis macht Bahnfah-ren zwischen Deutschland und Polen be-sonders im Nahverkehr attraktiver.

Der Bahnbevollmächtigte Dr. Joachim

Premiere im grenzüberschreitenden Bahnverkehr:

Reisen ohne LokwechselLokführer erlernen die polnische SpracheVon Ulrike Höck

Bus ging es weiter nach Międzyrzecz und zur Burg an der Obra. Gut gestärkt von tra-ditioneller polnischer Küche, erkundeten die Reisenden die Burganlage. Sie wurden von Rittern in glänzender Rüstung empfan-gen und durften sich im Bogenschießen üben oder im Folterkeller gruseln. Beim Museumsbesuch faszinierte besonders die hervorragende Sammlung wertvoller Sargporträts, von denen einige zurzeit in der Ausstellung im Martin-Gropius-Bau zu sehen sind. Mit Renaissancemusik und Tanzdarbietungen des jungen preisgekrön-ten Ensembles „Antiquo More“ fand der Besuch einen stimmungsvollen Ausklang.

Sprachkurse gefragt

Für die Zukunft sind weitere Touren ge-plant, jedoch wird gerade erst das Netz neu ausgeschrieben. DB-Regio dürfte gute Chancen mit der Baureihe VT646 bei der Ausschreibung der Strecke für 2014 ha-ben. In der Zwischenzeit werden in einem Schulungszentrum in Szczecin die Lokfüh-rer aus Deutschland ausgebildet. Auch aus Sicherheitsgründen wird hier besonderer

Wert auf die polnischen Sprachkenntnisse gelegt. „Die Nachfrage übersteigt bei wei-tem die Zahl angebotener Ausbildungsplät-ze, wir sind selbst darüber erstaunt“ so ein Sprecher der Bahn. Für die Lokführer heißt es jetzt also: die Schulbank drücken, pol-nische Schienenverkehrsregeln lernen und Vokabeln pauken.

Der neue Triebwagenzug besucht erstmals einen polnischen Bahnhof. Foto: Höck

Jan Karskis Bericht an die Welt

Geschichte eines Staatesim UntergrundVon Renate Weiß

Was beeindruckt den Leser heute an diesem Bericht, da doch bereits viele Pu-blikationen über die polnische Untergrund-bewegung von 1939 bis 1945 erschienen sind? Das ist vor allem die Authentizität dieses Buches.

Mich haben zwei Ereignisse besonders beschäftigt. Die zweite Reise Karskis nach Frankreich bzw. nach London als Kurier der Exilregierung. Er gelangte über viele Um-wege und schwierige Fahrten mit dem Zug, zu Fuß, und per Schiff 1943 nach London. Er berichtete den Vertreten der polnischen Exilregierung und auch Vertretern der eng-lichen Regierung über seine Erlebnisse und über die Situation in Warschau, Lublin und Krakau, über sein illegales Eintauchen in das Ghetto und das KZ Bełżec; über seine eigene Inhaftierung und die Folter (1940 ), sowie seine Befreiung aus dem Gestapoge-fängnis, dem Krankenlager. Die Rettungs-aktion für Jan Karski erfolgte auf Anwei-sung von Józef Cyrankiewicz (Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei) unter Anleitung von Staszek Rosa (Stasnisław Rosieński, 1943 ermordet), den er aus Kra-kau kannte, aber nicht wusste, dass er zum Untergrund gehört. Eine ganze Gruppe von Kämpfern der PPS (Sozialdemokratische Partei Polens) war an dieser Befreiung be-teiligt.

Er charakterisiert Józef Cyrankiewicz (später Ministerpräsident in der Volksre-publik Polen) im Zusammenhang mit ihrer beider Arbeit im Untergrund. „Während meines Aufenthalts in Krakau wohnte ich bei einem Mann namens Józef Cyna, mit dem ich schon vor dem Krieg befreundet war. Er war Anführer der Sozialistischen Partei und ein erstklassiger Journalist ... . Von den zahlreichen Vertretern der politi-schen Führung, denen ich begegnete, war er offenbar der Einzige, der erkannte, dass es ein fataler Fehler war, sich auf die Stärke Frankreichs zu verlassen.” Bereits hier er-kannte Cyrankiewicz die eigennützige Rolle

der Alliierten bei der Befreiung Polens vom Faschismus. Obwohl die polnischen Sol-daten an fast allen Fronten kämpften und an der Befreiung Berlins teilnahmen, wur-de Polen nicht zu den Verhandlungen zum Potsdamer Abkommen hinzugezogen.

Analysen

Karski schreibt nicht nur über Persön-lichkeiten des Untergrunds, sondern ana-lysiert auch gesellschaftliche Bewegungen.

„Von den vier Bewegungen, die am tiefs-ten im polnischen Bewusstsein verankert waren, besaß die Sozialistische im Kampf um die Unabhängigkeit die wahrscheinlich stärkste und ungebrochene Tradition. Sie hatte großen Einfluss bei den polnischen Arbeitern erlangt, die Vorreiter im Kampf um die Unabhängigkeit gewesen waren. Aus ihren Reihen stammen die mutigsten, unerbittlichsten und aufopfeungsvollsten Kämpfer.“ Zusammenfassend betont er „Die Arbeiter spielten eine maßgebliche Rolle bei der Verteidigung Warschaus...“

„Die Nationalbewegung hatte ebenfalls tiefe Wurzeln in der Bevölkerung. Die Grundidee ‚Alles für die Nation‘ war von enormer Bedeutung für den Kampf Polens um die Selbsterhaltung als Nation und um die zahllosen Tragödien und Niederlagen zu überstehen. Diese politisch starke Partei hatte Zulauf aus allen Klassen und Schich-ten.“

„Historisch gesehen war die Bauernpar-tei die jüngste der vier Organisationen.“ „Die vierte Kraft , die christliche Arbeiter-bewegung, ist infolge ihrer ideologischen Orientierung ähnlich demokratisch ausge-richtet“

Er analysiert die parlamentarischen Ver-hältnisse im Vorkriegspolen, zeigt die Veränderungen, die sich im Untergrund entwickelten und die Rolle der Parteien für eine demokratische Entwicklung. „Die politischen Parteien repräsentierten die

In diesem Jahr erschien in Deutschland Jan Karskis „Mein Bericht an die Welt“. Als „Geschichte eines Staates im Untergrund“ war der Bericht in vierhundertausend Exemplaren 1944 in USA herausgegeben, und war sofort vergriffen. Daraufhin er-schien dieser Bericht in England, Schweden, Norwegen und Frankreich. 1999 wur-de das Buch in Polen verlegt und nun eben bei uns.

überwiegende Mehrheit der polnischen Be-völkerung im Untergrundstaat“.

Wer war Jan Karski?

Es ist die Geschichte eines polnischen Patrioten. Er lebte mit seiner Familie in ei-ner großen interkulturellen Stadt, in Łódź. Er stammt aus einer Familie der polnischen Mittelschicht, hatte selbst den Ehrgeiz in die Diplomatie einzusteigen, Kariere zu machen. Dieser Ehrgeiz bedeutete harte Arbeit. Der Krieg brachte ihn auf einen an-deren Weg, der nicht nur diplomatisches Geschick, sondern Mut, analytische Fähig-keiten und eine bedingungslose Liebe zu seinem Land erforderte.

Er wurde Kurier der Untergrundregie-rung Polens, der nicht nur Informationen

nach Frankreich bzw. England vom Unter-grundkampf der Exilregierung übermittelte, sondern selbst zum großen Teil die Nach-richten von den verschiedenen Kämpfern, Organisationen und Strukturen des Unter-grundstaates erarbeitete.

Es wird in seinen Berichten die Vielfalt der Untergrundbewegung deutlich. Er übermit-telte nicht nur Instruktionen der Parteien, sondern auch der jüdischen Vertreter die nicht zu den Parteien gehörten, aber als jüdische Minderheit in Polen, Vertreter im Nationalrat in London hatten.

Bevor Karski in geheimer Mission 1943 nach London abreiste, hatte er noch eine Aussprache mit den jüdischen Vertretern des Untergrunds. Die jüdische Bevölkerung stand vor ihrer völligen Ausrottung. Die bei-

Jan Kozielewski wurde 1914 in Łodź geboren, 1942 nahm er den Namen Karski an.

Foto: Verlag Antje Kunstmann

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KULTURINACHRUF

Albert Mangelsdorffs Auftritt 1957 in Sopot wirkt bis heute nach

Diplomatie mit JazzVon Hans Kumpf

Landes erlernt und dann rege Verbindun-gen mit der dortigen Jazzszene gehalten. Keine Frage: 1957 geriet zu einem markan-ten Neuanfang in der deutsch-polnischen Jazzgeschichte. Auch nach mehr als einem halben Jahrhundert bleibt dieses Meeting mit der damals begonnenen gegenseitigen Zuneigung stets präsent – so musiziert der nimmermüde Saxofonist Emil Mangels-dorff (geboren 1925) in seinem Quartett aktuell mit zwei seit den 80er Jahren in Deutschland lebenden Polen, nämlich mit dem Bassisten Vitold Rek und dem Schlag-zeuger Janusz Stefanski.

Als im Februar 1997 das Festival in Olsz-tyn/Allenstein 40 Jahre Jazz-Partnerschaft zwischen den beiden Ländern würdigen und feiern wollte, wurde dieses honorige Ansinnen von den deutschen Kulturbüro-kraten nicht adäquat unterstützt. Stargast sollte Posaunist Albert Mangelsdorff sein. In der finanziellen und organisatorischen Unsicherheit kamen als Repräsentanten der im Sommer 1957 an der Ostsee auf-getretenen deutschen Formationen dann immerhin Emil Mangelsdorff und der Po-saunist Hans Wolf Schneider. Mit dabei wieder im völkerverbindenden Einsatz war auch Werner Wunderlich. Seine polnischen Freunde erinnerten sich noch lebhaft an die „Geheimgespräche“, welche seinerzeit in Sopot die beiderseitigen Jazzaktivitä-ten weiter in die Wege geleitet hatten. Für seine „Verdienste um die polnische Kul-tur“ ist Wunderlich später – sogar in der schwierigen Ära der doppelten Kaczynski-Regentschaft! - mit dem „Ehrenorden des polnischen Kulturministers“ ausgezeichnet worden. Mit Genugtuung registrierte Wer-ner Wunderlich, der noch in seinem neun-ten Lebensjahrzehnt per Radiosendungen über die Jazzaktivitäten in Polen informiert, dass ihn das „Jazz Forum“ auf der Titelseite der Septembernummer 2000 als „ambasa-dor polskiego jazzu“, als „Botschafter des polnischen Jazz“, würdigte.

Anderseits verteilten auch deutsche Di-plomaten bedeutungsvolle Orden. Dem Multiinstrumentalisten und Komponisten Andrzej Kurylewicz (1932-2007), wie seine singende Ehefrau Wanda Warska 1956 und 1957 in Sopot dabei, wurde im April 2001 von Deutschlands Mann in Warschau mit dem „Verdienstkreuz 1. Klasse“ bedacht.

2007, zum 50jährigen Jubiläum der pol-nisch-deutschen Sopot-Begegnung, ge-glückte das „Jazz Forum“ seine Leser nicht nur mit einem Reprint des Programmhefts von 1957, sondern wartete noch mit einer CD mit historischen Tondokumenten auf –

der Jazz 1956 beim ersten nationalen Fes-tival im Seebad Sopot. Für den internatio-nalen Touch sorgten dabei eine tschecho-slowakische und eine englische Formation. Dank des überwältigenden Erfolgs wagten es die studentischen Organisatoren, im Folgejahr die Festivität erheblich auszuwei-ten. Nun dienten dem wieder einwöchigen „II Festiwal Muzyki Jazzowej“ vom 14. bis 21. Juli 1957 als Veranstaltungsorte so-wohl die berühmte Waldoper als auch ein Sportstadion und eine Werfthalle in der Nachbarstadt Danzig.

Gleich mehrere Bands aus Deutschland wurden hierzu eingeladen, und dies kam zwölf Jahre nach Ende der furchtbaren Ok-kupation und des Krieges einer politischen Sensation gleich, nämlich die West-Berli-ner „Spree City Stompers“ und unabhän-gig davon diverse Musiker aus Frankfurt, dominiert von den Bläsern Albert und Emil Mangelsdorff sowie Joki Freund. Einge-fädelt hatte den hessischen Beitrag, der unter den Namen „Two Beat Stompers“, „Emil Mangelsdorff Swingtett“, „Joki Freund Quintett“ und „Frankfurt All Stars“ firmierte, Jazz-Experte Werner Wunderlich. Wunderlich hatte während seiner Kriegsge-fangenschaft in Warschau die Sprache des

Nach den politischen Umwälzungen in Europa vor über zwei Jahrzehnten gehört beim Jazz ein stimmiges Wechselspiel zwischen Polen und dem nun vereinigten Deutschland längst zur Normalität. Die brisant-prickelnde Atmosphäre vom pol-nischen Katakomben- und Underground-Jazz ist längst passé. Nach wie vor kommt man in der gemeinsamen Geschichte der swingenden Art aber trotzdem oft auf anno 1957 zurück. Und Namen wie die der deut-schen Brückenbauer Werner Wunderlich (Baden-Baden) und Bert Noglik (Leipzig) sowie die in Deutschland lebenden polni-schen Musiker Vitold Rek (Kontrabass), Ja-nusz Stefanski (Schlagzeug), Vladislav Sen-decki (Piano) und Leszek Zadlo (Saxofon) tauchen immer wieder auf. Die Vokalistin Urszula Dudziak und der Trompeter Tomasz Stanko, in seinem Heimatland vielmals zum „Jazzmusiker des Jahres“ gewählt, genießen im Westen geradezu Kultstatus. Zwei Fachzeitschriften informieren seit Jahrzehnten in Wort und Schrift ausführlich von der Szene im jeweiligen Nachbarland, nämlich das „Jazz Forum“ (Warschau) und das „Jazz Podium“ (Stuttgart).

Ganz groß an die polnische Öffentlichkeit - und wortwörtlich auf die Straße - gelangte

Albert Mangelsdorf Foto: Kumpf

den jüdischen Vertreter des Untergrunds waren sich dieser schrecklichen aussichts-losen Lage bewusst. Sie waren der Ansicht Hilfe könne nur von den Alliierten kommen.

Karski sollte diese Botschaft nach Lon-don, in die USA und zu den Vereinten Na-tionen bringen, damit keiner sagen könne, der Ernst der Situation sei nicht erkannt. Karski erhielt einen umfassenden Bericht über die Lage im Ghetto und in den Kon-zentrationslagern. Er wollte sich trotzdem davon selbst ein Bild machen. Es wurde die Möglichkeit organisiert, dass er sich selbst von der Situation überzeugt.

Seine Erlebnisse, die Grausamkeiten im Ghetto und im Lager sind kaum zu ertra-gen. Diese Erlebnisse verfogten ihn bis an sein Lebensende.

In London berichtete Karski vor allen möglichen Gremien, gab Pressekonferen-zen. „Aus britischer Sicht zählte das alles nicht viel.“ ( S: 535) schreibt er enttäuscht. Generell entstand bei ihnen der Eindruck, dass er zwar überall berichten musste, aber letztlich doch ein gewisser Unglau-ben zu spüren war.

„Mir wurde bald klar, dass die Außenwelt die beiden wichtigsten Prinzipien des pol-nischen Widerstandes nicht nachvollzie-hen konnten. Sie würden nie verstehen und würdigen können, welche Opfer und welcher Heldenmut darin lagen, dass sich unsere gesamte Nation weigerte, mit den Deutschen zu kollaborieren. … Die Tatsa-che, dass ein Staatsapparat im Untergrund normal funktionieren konnte, mit einem Parlament, einer Regierung, einem Justiz-wesen und einer Armee, war für sie reine Fantasie“. (S. 536 )

Im Mai 1943 wurde Karski in die USA beordert. Dort traf er mit amerikanischen Persönlichkeiten zusammen, auch mit dem Präsidenten Roosevelt. Dieser wollte alles wissen, über den Untergrund, über die Vernichtung der Juden. Aber auch er hat-te zwar großes Interesse gezeigt aber die Hilferufe der jüdischen Untergrundkämpfer wurden nicht gehört.

Heute wird oft einseitig die Rolle einzel-ner Personen und Parteien hervorgehoben, nicht aber die gesamte Untergrundbewe-gung gewürdigt, wie es Karski in seinem Bericht an die Welt 1944 in USA tat .

Jan Karski: Mein Bericht an die WeltGeschichte eines Staates im UntergrundÜbersetzt von Franka Reinhart, Ursel SchäferErschienen 2011 im Antje Kunstmann Verlag, 624 Seiten, 28,00€ISBN 978-3-88897-705-3

Mit einem beeindruckenden Gedenkakt haben Freunde und politische Weggefähr-ten Abschied vom Präsidenten des Inter-nationalen Auschwitz Komitees Noach Flug genommen, der am 11. August verstarb.

Bundespräsident Christian Wulff beton-te in seiner Rede: „Noach Flug hat uns Deutschen sein Vertrauen geschenkt. Er war überzeugt, dass wir uns mit unserer Vergangenheit auseinandersetzen und Antisemitismus und Rechtsextremismus bekämpfen, heute wie morgen. Deutsch-land verliert in Noach Flug einen groß-artigen Freund und ein echtes Vorbild an Menschlichkeit. Seine Botschaften waren Wahrhaftigkeit, Verständigung und Versöh-nung.“ Der israelische Gesandte, Emma-nuel Nahshon, schilderte in seiner Rede Noach Flugs Wirken als israelischer Diplo-mat und als Vorsitzender der Organisation Holocaust-Überlebender in Israel.

Marian Turski aus Warschau und Roman Kent aus New York erinnerten in ihren Reden an die gemeinsamen Jugendjahre mit Noach Flug im Ghetto von Lodz und die ersten Aktionen ihres gemeinsamen

Widerstandes gegen Hunger und Demüti-gung, als sie im Ghetto von Arbeitsstelle zu Arbeitsstelle zogen, und von jedem in eine Schüssel einen oder zwei Löffel Sup-pe erbaten, um sie an die weiterzugeben, die nichts zu essen hatten. Boaz Levin, der Enkel Noach Flugs, der derzeit in Berlin studiert, erinnerte in bewegenden Worten an seinen Großvater und Ratgeber, der ihm auch den Weg nach Deutschland und nach Berlin gewiesen habe. Christoph Heubner schilderte den Freund und Präsidenten des Internationalen Auschwitz Komitees als großherzigen und weitsichtigen Menschen, der die Entwicklung und den Weg des Inter-nationalen Auschwitz Komitees über Jahre geprägt und gefördert habe.

Als Nachfolger Flugs wurde Anfang Ok-tober der 1929 in Łódź geborene Roman Kent gewählt. Der heute in New York le-bende Kent ist Vorsitzender der „American Gathering of Jewish Holocaust Survivors“ und Schatzmeister der „Jewish Claims Conference“. Seit 2003 war er als Vize-präsident des Internationalen Auschwitz-Komitees aktiv.

Präsident des Internationalen Auschwitz-Komitees verstorben

Abschied von Noach FlugRoman Kent wurde zum Nachfolger gewählt

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24 POLEN und wir 4/2011 25POLEN und wir 4/2011

KULTUR KULTUR

14 Tracks von 75 Minuten Gesamtdauer. In die deutsche Sopot-Delegation von

1957 integrierte sich neben dem farbigen New-Orleans-Klarinettisten Albert Nicho-las als weiterer Amerikaner der professio-nell gut gelaunte Bill Ramsey, der ja nicht nur billige Schlager zu singen vermag. Von seiner Wahlheimat aus brach er wiederholt nach Polen auf, um dort zu konzertieren. 2001 tat sich Bill Ramsey bei einem Festi-val mit dem renommierten „Jazz Band Ball Orchestra“ zusammen, und das klingende Resultat gab es alsbald als CD-Beilage vom „Jazz Forum“. Zuvor hatte bei dem 1962 in Krakau gegründeten Ensemble als singen-der Gast aus Deutschland Sylvia Droste fungiert.

Aber auch in Deutschland erinnerte man sich konzertant und dezidiert an das mar-kante Jazztreffen von Sopot, zwar nicht in einem „runden“ Jubiläumsjahr, sondern am 26. Mai 2005 aus Anlass des binational ausgerufenen „Deutsch-Polnischen Jah-res“. In Frankfurt am Main ist längst der Schlagzeuger Janusz Stefanski heimisch geworden, und er initiierte die in der Alten Oper durchgeführte Veranstaltung mit dem englischen Titel „German Polish Jamboree. Three Jazz Generations 1957-2005“. Die ergrauten Brückenbauer der 50er Jahre trafen sich ebenso wie die „mittlere“ Ge-neration und der hoffnungsvolle Nach-wuchs. Nun wurden von polnischer Seite u.a. Adam Pieronczyk, das Wasilewski Trio und Anna Serafinska sowie die Sopot-Ve-teranen Jan Ptaszyn Wroblewski und Ro-man Dylag gewonnen. Podiumsgespräche und die Präsentation von Filmdokumenten vertieften den Blick zurück. Das deutsche „Jazz Podium“ brachte über dieses „Geman Polish Jamboree“ einen zweiseitigen Vor-bericht, und das polnische „Jazz Forum“ protokollierte die Veranstaltung gar auf sechs Seiten.

Schon im Jahre 2000 wurde in der Alten Oper ausgiebig polnisch gejazzt, da da-mals bei der Internationalen Buchmesse als „Gastland“ Polen diente. Jazzmusik aus Polen erfreut sich in Deutschland längst eines wohlklingenden Namens. Fielen in den 60er Jahren besonders agile Oldtime-Bands auf, die gerne auch in kleinen Loka-len spielten, so überraschen mittlerweile die Gäste aus dem Osten mit eigenständi-gem zeitlosem Jazz, oft mit Rockeinflüssen vermengt.

Am 19. Juli 1998 widmete das Festival „Jazz Open Stuttgart“ dem vielseitig akti-ven Joachim-Ernst Berendt zum (fast ver-jährten) 75. einen ganzen Abend. Der deut-

sche „Jazzpapst“ reiste 1957 im Tross von Werner Wunderlich nach Sopot mit (und verbreitete im Nachhinein gerne die schau-rige Mär, die Eisenbahnwagen seien – wie einst bei Lenins Trip von der Schweiz zur Oktoberrevolution – verplombt gewesen, lernte dort den Pianisten und später als Palanskis Filmkomponist berühmt gewor-denen Krzysztof Komeda kennen – und lud diesen dann wiederholt nach Deutschland zu Rundfunk-, TV- und Plattenproduktionen ein. Ein ausgedehnter Programmpunkt der Berendt-Feierlichkeiten war hier Polen vor-behalten. Pawel Brodowski, Chefredakteur der Zeitschrift „Jazz Forum“, und die Sän-gerin Urszula Dudziak, die zusammen mit dem trompetenden (Komponisten-Filius) Markus Stockhausen musizierte, bedank-ten sich in aller (Fernseh-)Öffentlichkeit für die Bemühungen Berendts um die polni-sche Jazzszene. Mittlerweile sind wichtige Konzertteile mittels DVD nachzuerleben („Best of Jazz Open Stuttgart 1998“), dabei auch das Robert Majewski Quintett.

Ökonomisch ergiebig und künstlerisch fördernd schien der deutsche Markt für viele polnische Jazzmusiker allemal. So er-klärte einst Urszula Dudziak, dass es für sie und ihren (damaligen) Ehemann Michal Ur-baniak wichtig gewesen sei, frühzeitig von dem Stuttgarter Intercord-Label „Spiegel-ei“ produziert worden zu sein. Inzwischen hatte sie längst mit ihrer (oftmals raffiniert elektronifizierten) Stimme Weltruhm er-langt und ihre Wohnsitze in die USA und nach Schweden verlegt. Die Idee zum Pro-jekt „Vocal Summit“, in dem sie auch mit dem späteren Pop-Hitparaden-Star Bobby McFerrin kooperierte, ging gleichfalls von Deutschland aus.

Noch in bester Erinnerung ist für den Trompeter Tomasz Stanko, dass er 1964 vom Norddeutschen Rundfunk zu ausge-dehnten Aufnahmen nach Hamburg ver-pflichtet wurde. Die in München ansässige Plattenfirma ECM stellte den individuell herzhaft-herb intonierenden Blechbläser immer wieder groß heraus, sei es zusam-men mit dem Trio des Pianisten Marcin

Wasilewski oder seinem „nordischen“ Quintett. Außerdem sorgte das wie ECM in München ansässige Label ACT dafür, dass sich polnische Pianisten wie Pawel Kaczmarczyk, Vladyslav alias Wladyslaw alias Vladislav alias Adzik Sendecki (in der Schweiz wohnhaft und in Hamburg als Keyboarder der NDR Big Band tätig) und Leszek Mozdzer auf dem Weltmarkt (noch) besser positionieren konnten.

Von 1966 bis 2002 gab es in Nürnberg alle zwei Jahre das Festival „Jazz Ost West“, kontinuierlich wurde dieses mit polnischen Musikern bestückt - ständiger Stammgast sozusagen war Tomasz Stanko. Zudem sorgt der unverwechselbare Stanko bei „JazzBaltica“, der swingenden Festivität in Kiel und Salzau, für eine hochwertige Kon-stante.

Nicht zu unterschätzen war zu Zeiten des Kalten Krieges das „Jazz Jamboree“ in Warschau. Ähnlich wie Nürnberg diente es früh als Drehscheibe und Informationsbör-se. Das polnische Festival ermöglichte vor dem Wendejahr 1989 unzählige deutsch-deutsche Kontakte - bei Musikern, Journa-listen und angereisten Zuhörern. Christoph Dieckmann übrigens beschrieb im Oktober 2005 bei der Eisenacher Tagung „Jazz in der DDR – Jazz in Osteuropa“ humorvoll seine aufregenden „Wallfahrtgeschichten“ nach Warschau zum „Jazz Jamboree“. Po-len und der Jazz gerieten für die Ostdeut-schen damals für ein Sinnbild der Freiheit.

Zum Bindeglied der internationalen Jazz-gemeinde und besonders auch zwischen der BRD und der DDR avancierte die in der polnischen Hauptstadt editierte Zeit-schrift „Jazz Forum“. 1967 (ein Jahrzehnt nach Sopot!), als auf polnische Initiative die Europäische Jazzföderation entstand, wurde diese in einer englischen Version zum systemübergreifenden Organ einer sich frei und unabhängig fühlenden Jazz-Welt. Fünf Jahre lang - bis zur Einführung des Kriegsrechts 1981 - gelang es zudem, eine deutschsprachige Ausgabe herauszu-bringen. Experten wie Bert Noglik und Rolf Reichelt reisten zum Übersetzen regelmä-ßig aus der Deutschen Demokratischen Republik an.

Mit der Doppelnummer 5/6-1992, 66 Seiten im DIN-A-4-Format, ausgeliefert erst Anfang 1993, verabschiedete sich das „Jazz Forum“ in der englischen und so-mit weltweit verstandenen Version. Wirt-schaftliche Zwänge machten diesen Schritt notwendig - eben eine Kehrseite der politi-schen Öffnung. Im Untertitel nennt sich die polnische Monatspostille jedoch bis heute

im internationalen Englisch „The European Jazz Magazine“.

Auch das „Jazz Jamboree“ in Warschau verlor in den letzten Jahren an (internati-onaler) Bedeutung. Dafür wurde 2008 in Deutschland nach polnischem Namensvor-bild das „European Jazz Jamboree Berlin“ ins Leben gerufen. Allerdings: Eine äußerst breite Palette länderübergreifender Jazz-begegnungen gab es Ende Mai 2009 bei dem ebenfalls von Uli Blobels „Jazzwerk-statt Berlin-Brandenburg“ organisierten Deutsch-Polnischen Festival „Sounds – No Walls – Friends & Neighbours in Jazz“. Zum 20jährigen Jubiläum des Mauerfalls wur-den bedeutende Bands aus Vergangenheit und Gegenwart eingeladen sowie viel mit-einander improvisiert und diskutiert. Die umfangreiche Liste der beteiligten Musi-ker umfasste das Marcin Wasilewski Trio, das polnische Quintett Kattorna mit dem deutschen Gastkollegen Ernst-Ludwig Pet-rowsky (Saxofon), das Silke Eberhard Trio mit Adam Pieronczyk, Mateusz Kolakowski (Solo-Piano), das Zbigniew Namyslowski Quintett, das Friedhelm Schönfeld Trio plus Lev Shpigel (Trompete), die Ulrich Gumpert Workshop Band, Vitold Rek als Solobas-sisten, das amerikanisch-polnische Billy Harper - Piotr Wojtasik Quintet, das Kayla Quintett sowie den Klarinettisten Theo Jör-gensmann mit den Oles-Zwillingen Marcin am Bass und Barolomej am Schlagzeug. Bereits mehrere CDs hat dieses länderü-bergreifende Trio vorgelegt.

An der Planung dieses von der Öffentli-chen Hand wesentlich unterstützten Festi-vals beteiligt war der vielfältig engagierte Leipziger Publizist Bert Noglik, der am 10. September 2008 im Polnischen Institut sei-ner Heimatstadt das „Silberne Verdienst-kreuz der Republik Polen“ erhielt. „Mit dem Verdienstkreuz werden Bürger geehrt, die sich besondere Verdienste um den polni-schen Staat und seine Bürger mit Taten er-worben haben, die nicht zu ihren sowieso zu erledigenden Pflichten gehören“, hieß es in der offiziellen Presseerklärung.

Zahlreiche Jazz-Aktivitäten entfalteten bereits 1997/98 die „Baden-württem-bergisch/ Polnischen Kulturbegegnun-gen“. „Kinderkreuzzug“, „Children Song“, „Oberek“ und „W olszynie“ - so heißen einige Stücke, die in den Ludwigsburger „Bauer Studios“ digital auf Band gebannt wurden. Bernd Konrad, Professor an der Stuttgarter Musikhochschule, bekam vom Land Baden-Württemberg Geldmittel zu-gewiesen, um ein deutsch-polnisches Jaz-zensemble zu formieren. Vor einem Auftritt

bei Stuttgarts „Südpool-Sommer-Festival“ bewerkstelligte das binationale Quintett digitale Aufnahmen, die dann im Radio ge-sendet wurden. Zu einer spekulierten Plat-tenproduktion kam es leider nicht.

Als prominenteste Persönlichkeit der Gruppe fungierte die aus den USA ange-reiste Urszula Dudziak. Zwei folkloristi-sche Lieder ihres Geburtslandes steuerte Urszula Dudziak zum gemeinsamen Unter-nehmen bei. Bei „Oberek“ handelt es sich um einen rhythmisch verspielten Tanz im Dreivierteltakt, und die eigentlich simple Dur-Tonleiter abwärts arrangierte sie bei „W olszynie“ („Wäldchen“) sehr lieblich und harmonisch anheimelnd. Die Bassklarinet-te von Bernd Konrad und das Flügelhorn von Herbert Joos gelangten mit der instru-mental geführten Stimme zu einer homo-genen Innigkeit.

Bei dem Werk „Kinderkreuzzug“ erinnerte sich Saxofonist Konrad des gleichnamigen Gedichts von Bertolt Brecht. Dieses er-schütternde Poem beginnt mit den Worten: „In Polen, im Jahr Neununddreißig/ War eine blutige Schlacht/ Die hatte viele Städ-te und Dörfer/ Zu einer Wildnis gemacht./

Die Schwester verlor den Bruder/ Die Frau den Mann im Heer/ Zwischen Feuer und Trümmerstätte/ Fand das Kind die Eltern nicht mehr.“ Den Inhalt und die Atmosphä-re der Brecht-Lyrik wollte Bernd Konrad da-bei nachzeichnen.

„Statt mit Chopin im Programm nach Berlin zu reisen, brachte Polens Präsident einen aufregenden jungen Pianisten mit. Mit ebenso wilden wie virtuosen Improvi-

sationen begeisterte der 33-jährige Leszek Mozdzer sein Publikum. Da konnte nicht einmal der Applaus für die Umarmung von Köhler und Kwasniewski mithalten“ – So berichtete euphorisch die ansonsten kriti-sche „taz“ über die feierlich-prominente Er-öffnungsveranstaltung des „Deutsch-Pol-nisches Jahres“ im April 2005. Auch zum fulminanten Abschluss vom „Polnischen Mai“ wenige Wochen später in Stuttgart war der aus Danzig stammende Tasten-künstler zur Stelle. Sein Bassist Olo Walicki und der in München geborene und derzeit in Berlin lebende Schlagzeuger Maurice de Martin schlugen im Theaterhaus-Konzert gleichfalls filigran sehr melodiöse und wei-che Töne an. Letztendlich ein homogenes Trio, bei dem – trotz des reichhaltigen No-tenmaterials – komponierte Parts und Im-provisationen fließend ineinander übergin-gen. Lyrische Balladen waren bestimmend.

Leszek Mozdzer auf die Frage nach sei-nen Erfahrungen in Deutschland: „Ich habe mit vielen deutschen Musikern zusam-mengearbeitet. Die Musiker sind wie eine riesige Familie, wir haben eine glänzende Kommunikation miteinander. Ich mag die

Art und Weise, wie in Deutschland Musik organisiert wird. Es stehen ziemlich gute Pianos zur Verfügung, es gibt grandiose Konzertsäle.“

Mit mehreren Performances bereicher-te das von der Philologin und Übersetze-rin Katarzyna Kumpf angeführte Projekt „Polnische Lyrik & Jazz“ die Kulturbegeg-nungen 1997/98 im Südweststaat. Musi-kalisch unterstützt wurde die Rezitatorin

Der Bassist Vitold Rek Foto: Kumpf

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KULTUR KULTUR

Erstmals erscheint auf dem deutschen Markt ein Sprachkalender zur polnischen Sprache.Die Blätter dieses abwechslungs-reich gestalteten Abreißkalenders präsen-tieren Dialoge, Redewendungen, Sprich-wörter oder Zitate, kurze Grammatik- oder Wortschatzübungen sowie wissenswerte Fakten zur Landeskunde. Zudem sind die Namenstage und Sternzeichen in den Ka-lender eingetragen.

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von ihrem Ehemann Hans Kumpf (Klari-nette, Theremin) und dem bereits erwähn-ten Vitold Rek. Unter seinem eigentlichen Namen Witold Szczurek hatte der Kontra-bassist seine Karriere in Polen begonnen, in Deutschland erhoffte sich der in Krakau (unter Penderecki) ausgebildete Saiten-virtuose jedoch mehr künstlerische Anre-gungen. Längst hat er sich hierzulande als Virtuose, als Dozent und als Festivalleiter in Frankfurt etabliert.

Auf Initiative von Bert Noglik formierte Rek - in Anlehnung dessen erfolgreichen Quartetts „East West Wind“ - eigens für die Leipziger Jazztage am 8. Oktober 1998 eine „Polish German Jazz Connection“. Mit dabei waren wiederum der Saxofonist Adam Pieronczyk sowie Janusz Stefanski (Schlagzeug) und Corinna Danzer (Saxo-fon). Die Kritik lobte sodann die enorme Spielfreude des länderübergreifenden Un-ternehmens. 2005 (im Deutsch-Polnischen Jahr!) gar hatte das Festival in der Bach-Stadt das jazzende Polen zum dominieren-den Thema.

Unzählig sind inzwischen die deutsch-polnischen Jazz-Aktivitäten geworden. Und dies spricht für sich. Grazyna Wanat bei-spielsweise entwickelte erstmals 2008 die kompakte Konzertreihe „Polen-Allergie“, welche mit hochwertigem Jazz etwaige Vorurteile gegenüber dem Nachbarland bekämpfen will. Das in der Franken-Metro-pole sehr aktive Kulturzentrum „Krakauer Haus“ zeichnet für diese Veranstaltung ver-antwortlich. Tomasz Stanko (aufgewach-sen in Nürnbergs Partnerstadt Krakau), Pink Freud, Aga Zaryan, Filip Wisniewski, Leszek Mozdzer und weitere Künstler aus Polen gaben sich bislang ein swingendes Stelldichein.

In Darmstadt hat nicht nur das Deutsche Polen-Institut seinen Sitz, sondern auch das auf das Joachim-Ernst-Berendt-Archiv zurückgehende Jazzinstitut. Es lag natür-lich nahe, interdisziplinär zu kooperieren. So wurden dort beispielsweise Mitte 2010 Ausstellungen mit jazzimpressionistischen Malereien von Mira und Alex Fleischer sowie eine Festivaldokumentation von Breslaus „Jazz nad Odra“ gezeigt. Schon 1985 hatte es im kulturell stets aktiven Darmstadt eine konzertmäßige Neuaufla-ge der Berendt-Produktion mit polnischer Lyrik (meisterhaft rezitiert von Gert West-phal) und Jazz gegeben. Als Interpreten der aufgefrischten Komeda-Kompositionen beteiligten sich jetzt u.a. Leszek Zadlo, Krzesimir Debski, Janusz Stefanski und Adzik Sendecki. Der LP-Veröffentlichung

folgte 1997 die CD-Version „Der Walzer vom Weltende“, erschienen bei „Litraton“ in Hamburg.

Bei diversen Partnerschaften, seien sie bezogen auf (Hoch-)Schulen oder Kom-munen, werden auch innige Jazzbeziehun-gen gepflegt. Seit 1998 existiert zwischen Neustrelitz und Szczecinek (Neustettin) eine Städtepartnerschaft. Bei einem Fest-konzert zum 700jährigen Bestehen von Szczecinek taten sich auf dem dortigen Marktplatz am 21. Juni 2010 gar 130 Ju-gendliche aus den beiden Regionen zusam-men, um das extra arrangierte Auftrags-werk „Rhythmi urbani“ unter dem Dirigat des Komponisten Krzesimir Debski urauf-zuführen. In den 80er Jahren tourte Jazz-geiger Debski viel in Deutschland mit sei-ner Formation „String Connection“, und er erinnert sich sehr gerne an diese aufregen-den Zeiten. Mittlerweile ist er besonders als universeller Filmkomponist bekannt.

Nach dem Vorbild der jugendlichen deutsch-französischen Big Band wurde auch ein Deutsch-Polnisches Jugendjazz-orchester gegründet. Der Landesmusikrat Niedersachsen ist bei diesem völkerverbin-denden Projekt maßgeblich verantwortlich.

Professor Bernhard Mergner leitet seit 2004 das Großensemble, die in Würzburg lebende Würzburg lebenden Komponis-tin und Vokalistin Sylwia Bialas arbeitete schon tonschöpferisch für den Klangkör-per. In Würzburg an der Musikhochschule tätig war bis zu seiner Pensionierung der 1945 in Krakau geborene Saxofonist Le-szek Zadlo. 2003 wurde der Jazzvirtuose zum Professor ernannt, an seinem Wohn-ort München übt Zadlo das Ehrenamt des Vorsitzenden der „Gesellschaft zur Förde-rung der deutsch-polnischen Verständi-gung e.V.“ aus. 1986 galt der Pole mit dem deutschen Pass sogar als der „erste offi-zielle Jazzlehrer in Bayern“. Außerhalb von Musikhochschulen bewährte sich Zadlo als erfahrener Dozent bei freien Jazzkursen, sowohl in Deutschland als auch in Polen.

Dass immer wieder gemeinsame instru-mentale Fortbildungen stattfinden, dient erst recht der Völkerverständigung. Aber der Jazz gilt eo ipso als eine internationale Musik, als eine Sprache weitgehend ohne Kommunikationsschwierigkeiten.

Es gibt freilich einen polnischen „Export-überschuss“ in punkto Gastspielreisen zu verzeichnen. Weit mehr polnische Musiker jazzen in Deutschland als dass deutsche Jazzer in Polen auftreten. Immerhin: Im Chopin-Jahr 2010 wurde dem gefeierten National-Komponisten eine ganz beson-

dere Ehre zuteil - der Kölner Trompeter Markus Stockhausen, jazzender Sohn des avantgardistischen Tonschöpfers Karlheinz Stockhausen, interpretierte zusammen mit dem Pianisten Adzik Sendecki am 4. Au-gust im Warschauer Lokal „Palladium“ et-liche Werke des Romantikers. 13 Tage spä-ter konzertierte Sendecki mit deutschen Kollegen nochmals in Warschau. Als regu-lärer Tastenmann der Big Band des Nord-deutschen Rundfunks beteiligte er sich im Sala Kongresowa bei dem Programm „Bob-by meets Chopin“ mit dem populären Vo-kalsolisten Bobby McFerrin. Im Mai 1911 wurde Sendecki mit dem Hamburger Mu-sikpreis ausgezeichnet, was natürlich auch in seiner Heimat vermerkt wurde.

Nicht zum ersten Mal hatte dabei das ex-perimentierfreudige Jazzorchester des NDR mit Polen zu tun. So führte es 2006 mit dem Saxofonisten Jan Ptaszyn Wroblews-ki als Stargast die Produktion „Jazz from Poland“ durch. Neben Wroblewski-Kompo-sitionen wurden auch Stücke von Tomasz Stanko und Krzysztof Komeda gespielt. Von dem legendären Komeda (1931-1969) kam nochmals „Astigmatic“ zum Zuge. Die Originalversion mit dem Quintett des gro-ßen Filmkomponisten wird in Polen als die beste einheimische Plattenproduktion aller Zeiten gewertet. Und hierbei beteiligt war auch ein Deutscher: Günter Lenz, der als Mitglied des Albert Mangelsdorff Quintetts 1965 beim „Jazz Jamboree“ gerade einen Auftritt absolviert hatte, konnte kurzfristig als Aushilfsbassist gewonnen und ins Stu-dio geholt werden. Die Abonnenten vom „Jazz Forum“ bekamen die am 25. Mai 2006 in Hamburg gefertigten Tonaufzeich-nungen von „Jazz from Poland“ auf CD ver-ewigt kostenlos mit dem September-Heft des gleichen Jahres geliefert.

„Polen tut Europa gut“ konstatierte An-fang Dezember 2010 in Warschau Bun-despräsident Christian Wulff. Für den Jazz bedeutet Polen längst ein Glücksfall, darf man hinzufügen. Zu Zeiten des Kalten Krie-ges wurden besonders in und von War-schau aus die swingenden Bande zwischen Ost und West geknüpft und gepflegt. Heut-zutage ist unaufgeregte Normalität einge-treten. In Zeiten vom gemeinsamen Europa und des Schengen-Abkommens können auch Jazzer unbeschwert hin- und herrei-sen – dies eben ohne lästige Visumspflicht und ohne Ärger mit argwöhnischen Zollbe-hörden, wenn es um den leidigen Instru-mententransport geht.

Kunstperformance im und am Zug

Kraków-Berlin XPRSVon Karl Forster

Stellen Sie sich einmal vor, sie sitzen be-quem im Eurocity Wawel von Kraków nach Berlin. Plötzlich stürmen einige Maskierte ind den Zug, machen Lärm, oder Musik, tanzen. Da kann es schon etwas dauern, bis sie verstehen: Das ist eine Kunstaktion.

Die Landschaft, die sie auf dieser Fahrt durchqueren, die Orte wie Katowice/Kat-towitz, Gliwice/Gleiwitz, Opole/Oppeln, Wroclaw/Breslau, Legnica/Liegnitz ha-ben für Polen wie auch für Deutschland eine besondere historische, politische und kulturelle Bedeutung. Sie bilden einen Fundus an Geschichten, die ein polnisch-deutsches Team im Auftrag des Maxim Gorki Theaters Berlin und des Narodowy Stary Teatr Kraków über mehrere Monate zusammengetragen hat.

Unter der künstlerischen Leitung des Re-gisseurs und Intendanten des Maxim Gorki Theaters Berlin, Armin Petras, wurden die Ergebnisse dieser Recherche von Schau-spielern beider Ensembles gemeinsam mit lokalen Partnern und Kulturinitiativen während einer Fahrt mit dem EC 340 von Kraków nach Berlin im Sommer zur Auffüh-rung gebracht.

„Wir hoffen, dass Sie auf dieser Reise we-der eine Verspätung noch eine Beschleu-nigung erleben“, so Michał Olszewski, Au-tor, Schriftsteller und Mitorganisator des Projekts zu den Reisenden, als sich der

Zug am Samstag um 7.30 auf seinen Weg machte. Verabschiedet wurde er dabei von Orchesterklängen… Kaiser Franz und der Schauspielerin Helena Modrzejewska.

Ungewöhnliche, besondere Gäste, traf man auf dieser ungewöhnlichen Zugfahrt eine ganze Menge. Meist verkörperten Schauspieler Rollen aus bekannten litera-rischen Vorlagen.

Literarisch und sportlich ging es in einem anderen Wagen zu, in welchem Thomas Ur-ban sein Buch über die deutsch-polnischen Beziehungen im Fußball präsentierte. Mit unglaubwürdigem Staunen hörten die Ver-sammelten über das abgesprochene Spiel im Jahre 1927, als wenig fehlte, und eine deutsche Mannschaft polnischer Meister geworden wäre.

Plötzlich lautes Getöse, als der Zug am Transparent „Zabrze begrüßt den General De Gaulle“ vorbeifuhr.

Dieser Charles De Gaulle stieg kurz zuvor in den Zug, wo der Gefeierte den Zugführer begrüßte, welchen er an seinen früheren Besuch erinnerte, wo er die bis heute be-kannten Worte über die besondere Polen-heit der Schlesier äußerte. Im Zug fanden weitere, unzählige Attraktionen statt: ein Armdrückerturnier, Treffen mit der Jugend aus Kędzierzyn-Kożle, welche sich für die Menschenrechte einsetzt, Workshops bei

welchem man aus Niveadosen Kameras bauen konnte, Recital der Lieder aus Opo-le, Filmvorführungen und Modevorführun-gen und noch viele andere Vorstellungen.

Eine unterhaltsame Zugfahrt, wenn auch mit kleinen „Störungen“. Eine Schulklasse hatte wohl wenig Interesse für die laufende Performance und störte beim Einstieg die Veranstaltung. Schließlich wollten sie ein-fach nur Zug fahren. Und die Performance der Bahn passte auch nicht so ganz: 45 Mi-nuten Verspätung, so ganz ohne Unterhal-tungsprogramm. Doch Schade, daß eine solche Kunstaktion wohl einmalig bleibt.

Bahnhof Źary: Siegerehrung im Armdrücken-Wettbewerb. Foto: Natascha von Steiger

Bahnhof Bolesławiec: der Gründer der „Glinolu-dy“ Bogdan Nowak. Foto: Natascha von Steiger

Unser Tipp:

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28 POLEN und wir 4/2011

K 6045DPAG Pressepost Entgelt bezahlt

Verlag Deutsch-Polnische Gesellschaftder Bundesrepublik Deutschlandc/o Manfred Feustelim Freihof 3, 46569 Hünxe

Liebe Leserin, lieber LeserWenn an dieser Stelle kein Versandetiket klebt,

sind Sie vielleicht noch kein Abonnent unserer Zeitschrift. Das sollte sich ändern.

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Bestellung an nebenstehende Anschrift.

Terminvormerkung: War die „Vertreibung“ Unrecht?

Freitag, 17. Februar – Samstag, 18. Februar 2012Die Umsiedlungsbeschlüsse des Potsdamer Ab-

kommens und ihre Umsetzung in ihrem völker-rechtlichen und historischen Kontext sind das The-ma einer Tagung an der Freien Universität Berlin.Noch fehlt die endgültige Bestätigung der Finan-

zierung der Tagung. Geht alles klar, veröffentlichen

wir in der Januar-Ausgabe das ausführliche Pro-gramm und die Anmeldemöglichkeiten. Bitte merken Sie sich jedoch bereits den Termin

vor. Deutsch-Polnische Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland e.V.

Bitte helfen Sie uns: Drei Klicks im Internet für POLEN und wir

Die ING-DiBa Bank fördert En-gagement im Verein! Von Sport über Kultur bis Jugendarbeit. Sie spendet je 1.000 Euro an die be-liebtesten 1.000 Vereine. Welche das sind, bestimmen Sie mit Ih-rer Stimme!Auch die Deutsch-Polnische Gesellschaft der Bun-

desrepublik Deutschland e.V. ist einer von bereits über 10.000 Vereinen, die sich um eine Spende be-worben haben.Jetzt sind Sie gefragt. Wenn wir im Internet genug

Stimmen erhalten und unter die 1000 besten auf-rücken, erhalten wir eine Spende der Bank in Höhe von 1000 Euro. Damit können wir eine Ausgabe unserer Zeitschrift finanzieren.Und so geht es: Jeder Internetnutzer darf drei

Stimmen vergeben. Man kann seine drei Stimmen auch nur einem Verein geben – wir freuen uns, wenn Sid uns mit allen drei Stimmen unterstützen.

Gehen Sie auf unsere Webseite www.polen-news.de, Hier finden Sie den Link zur Abstimmungs-seite. Hier tragen Sie Ihre Mai-ladresse ein und tippen einen vorgegebenen Code ein (Siche-

rungsmaßnahme um automatische Systeme aus-zuschließen). Sie erhalten dann eine Bestätigungs-meil mit einem Link. Wenn sich die Seite öffnet können Sie endgültig abstimmen. Erst jetzt ist ihre Stimme gezählt. Sie sehen nun, wieviele bereits für uns gestimmt haben, und auf welchem Platz wir sind. Nun können Sie das nochmal wiederholen. Bis

zu 3 Stimmen je e-mail-adresse können vergeben werden. Achtung: Am 15. November ist Akti-onsende. Also sofort abstimmenWenn wir es unter die ersten 1000 geschafft ha-

ben, dann haben Sie einen wichtigen Anteil geleis-tet, dass wir diese Spende erhalten. Vielen Dank.