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Vollkommene Voraussicht und wirtschaitliches Gleichgewicht Von Oskar Morgenstern, Wien I. Den Stolz der theoretischen ~konomie bildet die Theorie des all- gemeinen wirtschaftlichen Gleichgewichtes, die in verschiedenen Formen entwickelt worden i,st. Die Abweichungen betreffen aber ge- ringfiigige Angelegenheiten, so dal~ im grol~en und ganzen von einer eJnheitlichen Theorie gesprochen werden kann, ob diese nun mathe- matiseh geraint oder sinngem/il~ in Worten vorgetragen sei. Um so merkwtirdiger ist es, dal~ sich in der gesamten Literatar weder gena~e noch voll,standige Angaben fiber die der Theorie vom allgemeinen Gleiehgewicht zugrunde liegenden Annahmen in ordentlicher Weise zusammengesteltt finden. ~elbst bei Walr~a~s ur~d Pareto sucht man vergebens darnaeh, obwohl man meinen mfifite, da{~ gerade von ihnen und ihren Nachfol.gern der Herleitung der Lehrs~tze aus den Pr~missen besondere Beachtung hEtte geschenkt werden mfissen. In dem fest- zustellenden Mangel kommt deutIich die allgemeine logi, sehe Naeh- 1/~ssigkeit zum Ausdruek, die die theoretische 6konomie zu einem viel hSheren Grade kennzeichnet, als bisher klargemacht worden ist. Man pflegt sich in der 0konomie angesieh~s einer Reihe von Fragen, die heute noch vSllig ungelSst sind, allzu rasch zu berutfigen und geht auf Spezialfr~gen ~ber, zu denen sich um so weniger atrssagen lal~t, ~e l~nger der andere Zustand andauert. Ein besondevs beaehtliches Bei- spiel bietet die Tatsache, dal~ die mathematischen Okonomen -- gleieh- giiltig, ob es sich ~am das allgemeine oder um irgendein spezielles Gleichgewicht handelt -- sich damit begniigt h~ben, fostzustellen, dal~ ebensoviel Gleichungen wie Unbekannte vorhanden sind, anstatt nun erst mathematisch genau zu beweisen, daRes fiir diese Gleichungen iiberhaupt eine, und zwar genau eine LSsung gibtl). Die nachfolgenden, sehr kurz gehaltenen und daher oft vielleich~ nut andeut~n~sweisen Ausfiihrungen bezwecken auf ein Problem der Gleichgewichtstheorie -- und damit ~eder Abaft yon theoretischer 1) Vgl. hierzu K. Menger und A. Wald in: Ergebnisse eines m athe- mati schen Kolloquium, s, Wien 1935. It,eft 6. Zeitschr. f. NationalSkonomie, VL Bd. 3. H. 22

Vollkommene Voraussicht und wirtschaftliches Gleichgewicht

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Vollkommene Voraussicht und wirtschaitliches Gleichgewicht

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Oskar Morgenstern, Wien

I.

Den Stolz der theoretischen ~konomie bildet die Theorie des all- gemeinen wirtschaftlichen Gleichgewichtes, die in verschiedenen Formen entwickelt worden i,st. Die Abweichungen betreffen aber ge- ringfiigige Angelegenheiten, so dal~ im grol~en und ganzen von einer eJnheitlichen Theorie gesprochen werden kann, ob diese nun mathe- matiseh geraint oder sinngem/il~ in Worten vorgetragen sei. Um so merkwtirdiger ist es, dal~ sich in der gesamten Li tera tar weder gena~e noch voll, standige Angaben fiber die der Theorie vom allgemeinen Gleiehgewicht zugrunde liegenden Annahmen in ordentlicher Weise zusammengesteltt finden. ~elbst bei Walr~a~s ur~d P a r e t o sucht man vergebens darnaeh, obwohl man meinen mfifite, da{~ gerade von ihnen und ihren Nachfol.gern der Herleitung der Lehrs~tze aus den Pr~missen besondere Beachtung hEtte geschenkt werden mfissen. In dem fest- zustellenden Mangel kommt deutIich die allgemeine logi, sehe Naeh- 1/~ssigkeit zum Ausdruek, die die theoretische 6konomie zu einem viel hSheren Grade kennzeichnet, als bisher klargemacht worden ist. Man pflegt sich in der 0konomie angesieh~s einer Reihe von Fragen, die heute noch vSllig ungelSst sind, allzu rasch zu berutfigen und geht auf Spezialfr~gen ~ber, zu denen sich um so weniger atrssagen lal~t, ~e l~nger der andere Zustand andauert. Ein besondevs beaehtliches Bei- spiel bietet die Tatsache, dal~ die mathematischen Okonomen - - gleieh- giiltig, ob es sich ~am das allgemeine oder um irgendein spezielles Gleichgewicht handelt - - sich damit begniigt h~ben, fostzustellen, dal~ ebensoviel Gleichungen wie Unbekannte vorhanden sind, anstatt nun erst mathematisch genau zu beweisen, d a R e s fiir diese Gleichungen iiberhaupt eine, und zwar genau eine LSsung gibtl).

Die nachfolgenden, sehr kurz gehaltenen und daher oft vielleich~ n u t andeut~n~sweisen Ausfi ihrungen bezwecken auf ein Problem der Gleichgewichtstheorie - - und damit ~eder Abaft yon theoretischer

1) Vgl. hierzu K. M e n g e r und A. W a l d in: Ergebnisse eines m athe- mati schen Kolloquium, s, Wien 1935. It,eft 6.

Zeitschr. f. Nat iona lSkonomie , V L Bd . 3. H . 22

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(Skonomie -- hinzuweisen, das sich sofort erhebt, wenn einmal die ge- wil~ v611ig bereohtigte Prtif~ng einer man~hmal ausgesprochenen manchmal verschwiegenen Pr~misse ~eglicher Theorie unternommen wird. ~ handelt sich um die Annahme der (bier synonym gebrauch- ten) , ,vol len V o r a u s s i c h t " oder , , v o l l k o m m e n e n V o r a u s - s ich t" , die angeblieh eine der Vorbedingungen des Gleichgewichtes ist. Wie framer auch die genaue Fassung oder Formulierung der Vor- aussetzung bei den einzelnen, sofort anzuffihrenden Autoren 1,auten mSge, werde ich im folgenden zeigen, dait ein yon diesen dogmen- historisch vielleicht interessanten, aber an sich wegen ihrer Unvoll- sti~ndigkeit unwesentlichen Bemerkungen, ein echtes Problem ~eglicher Theorie aufgezeigt werden kann, dessen LSsung unbedingt anzu- streben ist.

Nehmen wir aus den Schriften diverser Theoretiker einzelne Ar- beiten heraus, ,so erhalten wir folgendes typische Bild: J.R. H icks , dem es ~sogar explicite darauf ankommt, die Rolle der Voraussicht zu bestimmen, gelangt nach einer Veratlgemeinerung des Gleichgewichts- begriffes bei W a l r a s und P a r e t o zu der Feststellung: ,,Die Vor- b e d i n g u n g f i i r G l e i c h g e w i c h t i s t v o l l s t ~ n d i g e V o r a u s - s i ch t" l ) , woraws er dann die immerhin wichtige Folgerung zieht, dal~ die Geldtheorie au~erhalb der Gleichgewichtstheorie falle, da der Gerd- gebrauch mit unvollstandiger Voraussicht in engem Zusammenhange stehe (S. 448). ,,Die s t i l l scFhwe ' igende A n n a h m e vollkommener Voraussicht nimmt dem ,num4raire' tats~chlieh ~eden monetaren Zweck" ~S. 446). Stillschweigend ist die erwahnte Annahme bei W a l r a s und P a r e t o gemacht, da sich in ihren ~Sehriften hierfiber keine pr~zise A~al~erun,g findet. H i c k s h~lt weiter alterdings freie Konkurrenz mit unvollkommener Voraussicht ftir vereinbar. Dem steht strikte die Auffassung F . H . K n i g h t s gegenfiber, der sich in seinem bekannten Werke fiber ,,Risk, Uncertainty and Profit" (Boston 1921) wie folgt aultert: ,,Chief among the simplifications of reality pre- requisite to the achievement of perfect competition is, as has been emph~asized all alton, g, the ~ s u m p t i o n of p r a c t i c a l omni- s c i e n c e on the p a r t of e v e r y m e m b e r of the c o m p e t i t i v e s y s t e m " (S. 197). H.L. Moore, der sich ebenso wie H i c k s darfiber beklagt, daR es keine genaue und vollstandige Darlegung der Pr'~ni'ssen des Gleichgewichtes gibt, stellt diese nach bestem VermSgen zusammen, wobei er die Frage der Voraussicht der Wirt- sch,aftssub~ekte bezeichnenderweise fiberhaupt nicht erwi~hnt~). In- teressant i~t aber ein in dieser Z~sammenstellung enthaltenes Zitat a~s dem ,,Cours" von P u r e t o : ,,L'~changeur subit les prix du march~ sans essayer de les modifier de propos d~liber¢. Ces prix sont modifies effectivement par son offre et sa demande, mais

1) j. R. Hi c k s, @leichgewicht und Kon~unktur. Zeitschrift fiir Natio- nalSkonomie, Bd. IV, S. 445.

2) Synthetic Economics, New York 1929.

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c'es t ~ s o n i n s u " (S. 15), was wieder nicht auf vollkommene Voraus- sicht hindeutet, die das Indi~dduum zu anderem Verhalten veranla~sen k5nnte, tI. v. S t a e k e l b e r g bringt in seiner Schrift ,,Marktform und Gleichgewicht" (Wien 1934) ebenfalls eine Z~sammenfassung aller Gleichgewichtsbedingungen; auch in dieser ist kein Wort fiber die Vorau~ssicht enthalten, was um so merkwfirdiger anmutet, als gerade die yon S t~acke lbe rg in diesem Buche dargelegte und entwickelte Duopoltheorie ausdrficklich davon handelt, welche Anne~hmen die ein- zetnen Duopolisten fiber das Verhalten der ~eweiligen Partner machen, bzw. w~s sie fiber deren Ansichten fiber den Markt wissen.

Als bekannt darf vorausgesetzt werden, dal~ die gesamte Ris i k o- t h e o r i e , so grol~ auch hier die Differenzen si~d, wohl einheitlich der Auf~assung ist, daff volle Vorau~ssicht ~edes Ri.siko beseitige, dieses eben ein Produkt der Unvollkommenheit der Vorau,ssieht sei. Das- selbe gilt f~r die Theorie des Unternehmergewinnes, die als eine Frucht der Risikountersuehungen anzusehen ist; .sie lehrt, dal~ zwischen der Gr5ffe des Risikos der Unternehmertatigkeit und dem Unternehmer- gewinn eine Beziehung besteht. Irving F i scher nimmt in seiner ,,Theory of Interest" (New York 1930) au.sdrficklich in einzelnen Ka- piteln als wesentlichen Bestandteil seiner Theorie vollkommene Vor- au~sicht an. Ebenso spricht J.M. K e y n e s in seinem ,,Treatise on Money" 5fter yon ,,correct forecasting" oder ,,accurate forecasting", w~s allerdings nicht ~nbedingt mit ,,vollst~ndiger Voraus,sicht" zu- sammenfatlen mul~, obwohl der Begleittext diese Interpretation nahe- legt: das von dieser Qualifizierung der ¥oraussicht abhangige geld- theoretische Gleichgewicht wird offenbar bei K e y n e s in das allge- meine wirtscha~ftliche Gleichgewicht einbezogen; gegenw~rtig hat sich K e y n e s ~edoch H i c k s ' Meinung angeschlossen.

Anderseits ist wieder F. A. H a y e k der Ansicht, daff die bis- herige Gleichgewiehtstheorie zeitlos und ohne Einbeziehung eines Vor- aussichtselementes aufgestellt worden sei: ,,Die haupts~chliche Schwie- rigkeit der traditionellen Analyse bestand natfirlich in ihrer vSlligen Abstraktion vom Zeitelement. Ein Gleichgewichtsbegriff, der im wesent- l~chen nur auf eine zeitlos gedachte Wirtschaft Anwendung hatte, konnte nicht yon grol~em Wert sein. Glficklicherweise hat sich aber gerade in dieser Hinsicht in letzter Zeit viel gefindert. Es ist klar ge- worden, dal~ an Stelle einer einfaehen Vernachl~ssigung des Zeit- momentes ganz ,bestimmte Annahmen fiber die Ei~stellung der han- delnden Personen gegenfiber der Zukunft treten mfissen. Die V o r au s - se t z u n g e n dieser Art, die die Gleichgewichtsanalyse machen muff, s i n d im w e s e n t l i e h e n , daff a l l e b e t e i l i g t e n P e r s o n e n die relevanten Vorgange in der Zukunft r i e h t i g v o r a u s s e h e n und da~ diese Voraussicht nieht nut die Veranderung in den objektiven Daten, sondern a u c h da s V e r h a l t e n a l l e r a n d e r e n P e r s o n e n ein- schtiel~en muff. Es i st nicht meine Absicht, reich bier eingehender mit dieser neueren Entwicklung der Gleichgewichtsanalyse als solcher zu bef~ssen. Ich hoffe aber, daff diese knappen Andeutungen genfigen

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werden, gewisse Schlul~folgerungen, d'ie sich daraus fiir die Analyse dynamischer Vorg~nge ziehen lassen, verstandlicher zu machen. Es scheint mir n~ml~ich, a l s ob s i c h u n t e r d i e s e n G e s i c h t s p u n k - t e n endlich gewissen B e g r i f f e n, die die meisten von uns in etwas leichtfertiger Weise zu gebrauchen gewohnt sind, e i n b e s t ~ m m t e r S i n n g e b e n 1 i e l~ e. Ich denke bier an die gerade in der Kon~unktur- theorie so h~ufig gebrauchten Aussagen, daft ,sich entweder ein g a n - z e s W i r t s c h a f t s u y s t e m o d e r e i n b e s t i m m t e r P r e i s w i e e t w a d e r Z i n s im G l e ~ c h g e w i c h t o d e r n i c h t im G l e i c h g e - w i c h t b e f ~ n d e n " l ) .

Wie sich zeigt, sind diese repr~sentativen Ansichten keineswegs einheitlich; es fiberwiegt ~edoch der Geda~ke, da~ die theoretische Vollkommenheit des Gleichgewichtes nicht ohne die Annahme voll- sti~ndiger Voraussicht bei den Wirtschaftern und Unternehmern zu er- reichen sei. Diese Idee steckt, zumindest wie in den-eben angeftihrten Spezialtheorien, auch in den Arbeiten ~ener Autoren, die keine Aus- sagen fiber das hier aufgeworfene Problem machen. ~ e r dies iiber- haupt vermeidet, kann natiirlich spiiter ~eder ~beliebigen Ansicht sein oder gewesen sein, was aber nichts mit wissenschaftli~her Erkenntnis zu tun hi~tte.

:Schlie~lich sei noch mit nur einem Worte darauf hingewiesen, dal~ in der Kon~unkturtheorie den ,,Irrtiimern in der Zeit" (M. F a n n o ) oder den ,,Expectations of businessmen" (A.C. P i g o u ) und ihren Schwankungen wegen der dann w altenden unvollkommenen Voraus- sicht eine erhebliche, bis ~etzt ~edoCh noch 'keineswegs gekl~rte Rolle zugewiesen wird. Wenn ihnen eine wichtige Stellung zukommt, so haben rein theoretische Untersuchungen wie diese bier auch ein weiteres Interesse, fall~s sie ein solches zu beanspruchen benStigen, handelt es sich doch bei dem aufzurollenden Problem um eine der Grundlagenfragen der theoretischen Okonomie und Soziologie. Die Bezugnahme der Darstellung auf die Theorie des Gleichgewichtes gilt daher nicht in dem Sinne, als ob es sich um eine spezielle, unterschied- liche Variante der Theorie iiberhaupt handelte, sondern das Gleich- gewich~stheorem vertritt bei diesen ~:berlegungen der Einfachheit halber ~ede Art yon iikonomischer Theorie schlechthin.

H° Bei den ~ben angefii.hrten und - - soweit ersichtlieh - - auch bei

den iibrigen Autoren wird einfach von ,,voller" oder ,,vollkommener" Voraussicht gesprochen, ohne daft n~here ErSrterungen, was darunter zu verstehen sei, folgen, offenbar aus dem Glauben heraus, dab es sich um eine vSllig durchsichtige Sache handle. Ohne Rtieksicht auf lite- rarische Beziehungen, sei diese Frage daher kurz systematisch beant-

1) Preiserwartungen, Moneti~re Sti~rungen u~d Fehlinvestitionen; Na- tionalokonomisk Tidskrift 1935. 73. Bd. Heft 3. Sperrungen yon mlr. 0. M.

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wortet. Zuniich~st ist die Fr~gestellung als unvoltstiindig ,zu ,bezeich, nen, denn es ist zu fragen: Voraussicht wessen?, welcherart Dinge oder Ereignisse?, ffir welche 5rtliche Verh~ltnisse?, fiir welche Zeit- dauer?. Diese Unterfragen, ~ s deren Beantwortung erst ein Sinn f fir ,vollkommene Voraussicht" gewonnen werden kann, fiihren in eine ganze Vietfalt von Problemen.

Al.s erste Antwort ist festzuhalten, dal~ schlechthin volle Vor- aussicht, in bezug auf die Z e i t d a u e r al,s u n b e s c h r ~ i n k t genom- men, eine Voraussicht bis zum Weltuntergang oder zumindest fiber den letzten Zeitpunkt hinaus, ffir den noch yon irgendwem in tier Ge- sel, Isch~aft (also auch vom S t a a t selbst) d~sp,o~iert werden soll, be- deuten mtiltte. Dies ist allerhand und zeigt sofort den tibertriebenen Gebrauch gewisser undefinierter Priimissen der theoreti.schen Oeko- nomie. Anderseit,s mul~ als wesentlich angenommen werden, dal~ eben bei v o l l e r Voraussicht k e i n e r l e i Beschr~nkung auferlegt i,st. Bezeichnet man ~edoch bereits die Voraussicht bis zu einem gewissen, genau angebbaren Zeitpunkt - - gleichgiiltig, ob dieser nun mit der nachsten Sekunde oder in fernerer Zukunft ~gegebe~ 'ist - - Ms diejenige, die ,,voltkommen" genannt wird, so ist dies ausdriicklich hinzuzu- ffigen, da son.st einer dieses Wort enthaltenden Aussage kein Sinn abgewonnen werden kann. Die Implikation der Zeit gilt ftir ~ede Art von Voraussicht, also auch ffir u n v o l l k o m m e n e . Sie ist bei der Okonomie deswegen yon fiberragender Bedeutung, well daraus hervorgeht, dal~ auch bei den elementarsten Satzen der Gleichgewichts- theorie bereits mitangegeben sein mul~, fiir welchen Zeitraum der Ab- tauf atls erstreckt geda(~ht wird, wetche Produktionsabl~iufe gegeben sind und fiber welche Zeitr~ume die Individuen ffir sich und ihre Nachkommen di~sponieren. Hieraus ergi, bt sich, dalt in der Gleich- gewichtstheorie die Rolle des Zeitfaktors gekliirt und das Zeitmo~nent fiberhaupt in einwandfrei angebbarer Weise in ihm e n t h a 1 t e n sein mull Wie bekannt, ist dies weder bei W a l r a s noeh bei P a r e t o oder irgendeinem der ,anderen Autoren der F~all. Man stSiit also bereits hier auf eine Unklarheit dieser Theorie, die, wie spiiter erheIlen wird, noch zu einem argen Di*lemma ffihrt.

Die nStige Prazi,sierung der 5 r t l i c h e n Bedingungen kann in diesem Rahmen wohl unterbleiben, da die hier aufzuzeigenden Schwierig- keiten hinter denen, die durch das Zeitmoment geschaffen werden, zuriiektreten. Dagegen ist die Frage, w a s denn eigentlich voraus- gesehen werden soll, schon beachtlicher, insofern als die Verwick- lungen durch die Tatsache des Gesamtzusammenhanges aller wirt- schaftlichen Geschehnisse entstehen. Die Gleichgewiehtstheorie mul~ auch hier voraussetzen, dal~ al~les wirtschaftliche Geschehen voraus- gesehen werden muii, da eben, wie sie selbst lehrt, volle Interdependenz besteht. Eine Aufliisung des Falles in Teitgewichte widerspriiche der Ausgangsposition eines a l l g e m e i n e n Gleichgewichtes, abgesehen davon, dal~ ein Teilgewieht weitere wirtschaftliche Vorg~nge, in die es eingebettet ist, vorau, ssetzt.

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Wird a~lso gefragt, w a s denn eigentlich vorausgesehen werden soll, so handelt es sich hier um keine triviale Sache, obwohl die Ant- wort verh~ltnism~tltig einfach zu geben ist: ¥orausgesehen werden sollen ,,wirtschaftl'iche" Binge und Ereignisse. Unter der zulassigen Annahme, es sei genau bekannt, was darunter zu verstehen ist (z. B. Preise, Produktionsertrage ~sw.), finder man, dal~ infolge der Interdependenz aller wirtschaftlichen Prozesse und Gegebenheiten untereinander, und dieser mit aJ]len anderen Tatsachen kein noch so kleiner Ausschnitt aus dem Geschehen angegeben werden kSnnte, dessen ¥oraass ich t nieht zugleich die Voraussicht des gesamten Restes bedeutete. Sollte irgendein Rest vernachl~ssigt werden - - etwa weil fiir das praktische V e r h a l t e n zu ,,unwichtig", so miiltte man ihn dennoch genau voraussehen, um ihn eben gerade als , ,un w i c h t i g" vernachl~ssigen zu kSnnen. So ~ndert sich also nichts an der im- pliziten Mitbestimm~ang im F alle einer ,,vollen" ¥oraussicht . Wie weir man diese Mitsetzung gelten lassen will, ist eine praktische An- gelegenheit, die nichts mit dem theoretischen Problem zu tun hat. Es ist wesentlich, bier bereits darauf hinzuweimsen, dal~ die Voraussicht kom- plexer wirbschaftlicher GrSlten, wie z. B. Preise, Geldstriime, Kosten, Gewinne usw., eben wegen der Vold'kommenheit dieser Voraussicht bedingt, dalt auch die Konstituenten dieser komplexen Gr5l~en mit vorausgesehen werden. Die wichtigsten und letztlich entscheidenden Elemente dieser Art sind die i n d i v i d u e l l e n ~ v ~ e r h a l t e n s a k t e aus denen die komplexen GrSfien hervorgehen. Das vorausschauende In- dividuum ,mult also nicht nur genau den Einflul~ seines eigenen t tan- delns auf die Preise kennen, sondern auch den aller anderen Individuen und den seines eigenen zukiinftigen Yerhaltens auf das der anderen, namentlich der ftir ihn persSnlich relevanten. Der Krei,s dieser relevanten Individuen ist aufierordentlich groin, da doch auch alle indirekten Wirkungen genau mitvorausgesehen werden miissen. Wie man sie'ht, wird man bei verniinftiger Abgrenzung der Voraussicht, wie bei der zeitlichen Erstreckung, auch bier bei der sachlichen Breite und Tiefe sehr enge Schranken aufrichten miissen. Dann ist es abet wieder keine ,,vollkommene Voraussicht". Diese, wenn sie nicht begrenzt wird, ffihrt fibrigens dazu, dalt die Individuen auch eine v¢ll- st~ndige Einsicht in die - - erst dutch die Gleiehgewichtstheorie zu liefernde - - theoretische ~)konomie haben mfissen, denn wie anders sollten sie sonst die Fernwirklmgen voraussehen kSnnen? Die wissen- schaftstheoretiseh und logisch interessanten Folgerungen, die sich h ieraus ergeben, mfissen etwas n~iher besprochen werden, z~mal sie fiber alas vorliegende Problem hinausweisen.

Die unwahrscheinlich hohen An,sprtiche, die an die intellektuelIe Leistungsfiihigkeit der Wirtschaftssub~ekte geste~llt werden, beweisen zugleicb, dalt in den Gleichgewichtssystemen keine gewShnlichen Menschen erfal~t werden, sondern mindestens untereinander genau gleiche Halbgiitter, falls eben die Forderung voller Voraussicht effiillt sein so~lt. Damit ist ,also nichts a~zufangen. Wenn ,,voile" oder ,,voll-

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kommene" Voraussicht i~a streng angebbaren und yon den 5konomi- schen Autoren offenbar gemeinten Sinne einer u n b e s c h r ~ n k t e n V o r a u s s i c h t den Gleichgewichtstheorien zugrunde gelegt werden soll, so handelt es sich um eine vSll~g sinnlose Annahme; werdea Be- schrankungen derart eingefiihrt, daft die eben angedeutete ,,Volt- kommenheit" der Voraussieht nicht erreicht wird, so s i n d d i e s e B e s c h r a n k u n g e n g a n z g e n a u zu s p e z i f i z i e r e n ; sie wfirden so eng gezogen werden miissen, dal~ die eigentliche Absicht, durch die ,hohe, de f a c t o unbegrenzte, Voraus,sicht angeblich vSllige Ra- fiona.titat des Systems zu erzielen, verloren geht. Aus diesem Dilemma gibt es fiir die theoretische Okonomie keinen A~sweg. In dieser Ab- handlung wird ,also nicht nur ,,voile" und ,,vollkommene" Voraus- sicht als gleiehbedeutend gebraucht, sondern beide werdea au~erdem in dem wesentlich genaueren Sinne der U n b e s c h r a n k t h e i t ver- wendet. Dieser Ausdruck ware atteh deswegen vorzuziehen, weil sich bei den WSrtern ,,vollkommen" oder ,,unvollkommen" leicht Wertungen einstellen, die hier nirgends eine Rolle spielen.

Ich gehe nunmehr dazu itber, etwas naher zu pr~fen, welche Be- dingtmgen sich ergeben, wean volle Voraussicht angeaommen wird und namentIich die w e c h s e l s e i t i g e E i n b e z i e h u n g d e r Vor - a u s s i c h t v e r m u t i l i c h e n f r e m d e n V e r h a l t e n s im Sinne der AuflSsung der komplexen GrSften wie Prei, se usw erfotgt. Tatsache ist, daf eine Kalkulation der Wirkungen des ktinftigen eigenen Ver- haltens auf ktinftiges fremdes Verhalten und v i e e v e r s a immer erfolgt, also ~ e d e r z e i t e m p i r ~ s c h b e o b a c h t b a r ist. Jedochbricht dieKette der gemutmaftten ineinandergreifenden ,,Reaktionen" verh~ltnism~ftig bald ab; oft ~spielen sie auch wegen der Machtigkeit der aufteren Daten der physikalischen Natur keine fiberm~ftige Rollle, es sei denn auf gewissen Markten (z. B. BSrse). Etwa, s anderes ist es bei unbe- schrankter Voraussicht. Ei, n Beispiel fiir das sigh dann ergebende P a r a d o x o n bei nut zwei Partnern gab ich bei anderer Gelegenheit and darf es hier einfach reproduzieren: ,Als Sherlock Holmes yon seinem Gegner Moriarty ver~olgt, von London nach Dover abf~hrt, und zwar mit einem Zuge, tier auf einer Zwischenstation halt, steigt er dort ~us, ,anstatt nach Dover weiterzufahren. Er hat namfiGh Moriarty auf dem Bahnhof gesehen, schatzt ihn fiir sehr klug und erwartet, daft Moriarty einea schnelleren Extrazug nehmen werde, um ihn in Dover zu erwarten. Diese Antizipation Holmes' st~tlt sich als richtig heraus. Was abet, wenn Moriarty noch kliiger gewesen ware, Holmes' geistige Fahigkeiten hSher eingesch~tzt und demnach Holmes Aktion vorausgesehen hatte? Dann w~re er offeabar nach der Zwischenstation gefahren. Das h~tte Holmes wieder kalkulieren und daher sich fiir Dover entscheiden mfissen. Worauf Moriarty wieder anders ,,reagiert" hatte. Vor lauter Nachdenken w~ren sie gar nicht zum Handeln gekommen oder der geistig Unterlegene hatte sich schon am Viktoria-Bahnhof dem anderen fibergeben milssen, well die ganze Flucht unnStig geworden ware. Beispiele so~lcher Art lassen

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sich von i~beralt herholen. Schach, Strategie ~sw., doch sind dazu Fachkenntnisse Voraussetzung, die das Beispiel lediglich be- schweren"l).

Man iiberzeugt sich unschwer, dal~ hier e in u n a u f l d s b a r e s P a r a d o x o n vorliegt. Die Situation wird nicht verbessert, sondern noch wesentlich verschlimmert, wenn wir start zwei Individuen mehrere annehmen, sofern wir sie - - wie z. B. beim Tausche der Fall i~st - - in eine 'Stollung zueinander bringen, die der hier vor- gefiihrten ent,spricht. I m m e r l i e g t e i n e u n e n d l i c h e K e t t e y o n w e c h s e l s e i t i g v e r m u t e t e n R e a k t i o n e n u n d G e g e n r e a k - ti~)nen vor . D i e s e K e t t e k a n n niemal~s d u t c h e i n e n Ak t d e r E r k e n n t n i s , s o n d e r n i m m e r n u t d u r c h e i n e n W i l l k f i r a k t , dural1 e i n e n E nt~schlut~ a b g e b r o c h e n w e r d e n . Dieser Ent- schlul~ mfiltte a,ber yon den betrachteten zwei oder mehr Individuen auch wieder vorausgesehen werden, wodurch bewiesen ist, daI~ das Paradox bestehen bleibt, wie immer man die Sache auch wenden und drehen mag. U n b e s c , h r g n k t e V o r a u s . s i c h t u n d w i r t s c h a f t - l i c h e s G l e i c h , g e w i c h t s,ind,al,so m i t e i n a n d e r u n v e r t r ~ g l i c h . Kann aber das Gleichgewicht bei mangelhafter, ungleichartiger, be- liebig verteilter Vora~ssicht fiberhaupt zustande kommen? Dies i,st die Frage, die sich sofort erhebt, die Beantwortung erheischt. Man kann auch so fragen: Ist Voraussicht in die Bedingungen des Gleich- gewichtes fiberhaupt echt eingefiihrt worden oder stehen nicht viel- mehr die Theoreme des Gleichgewichtes in iiberhaupt keinem er- wiesenen Zusammenhang mit der Annahme fiber die Voraussicht, so dalt es sich um eine Scheinannahme handelt?

Das Beispiel d~s hier f fir die Abschatzu~g des vermutlichen Ein- flusses zukfinftigen eigenen Verhaltens auf zukfinftiges fremdes Ver- halten und dossen Riickwirkungen auf das eigene angefiihrt wurde, mag trivial erscheinen. Es ist daher geboten, darauf hinzuweisen, dal~ es in der gesamten Literatur nirgends eine Untersuchung dieser Zu- sammenh~tnge gibt, und zwar weder auf zwei Personen beschrgnkt, noch auf eine Vielheit ausgedehnt. Die entstehenden F~lle sind so i~beraus kompliziert, dait nur weitgehende Anwendung der Mathe- matik helfen kdnnte, die wechselseitigen Abh~ngigkeiten anzugeben. Die Beziehungen zwischen voneinander abh~ngigem menschlichen Verhatten ,sind auch ohne die Annahme yon Voraussicht yon fast un- vorutellbarer Kompliziertheit und bediirfen dringend der Untersuchung. Diese wiirde ein rein formales Gerippe liefern, in das erst die spe- ziellen Abh~ingigkeiten zwischen Mengen und Preisen, wie wir sie in der C)konomie zu ermitteln trachten, eingepal~t werden kdnnten, wodurch die theoretische ~)konomie fiberkaupt erst an sicherem ~Grund ge- wdnne. Als bisher einzige Untersuchung s t r e n g formaler Natur fiber men,schliche Gruppenbildung, wenn auch auf anderem ,Gebiete

1) Wir/~schaftsprognose, Eine Untersuchung ihrer "~oraussetzungen und Mdgliohkeiten. Wien: J. Springer. 1928. S. 98.

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und eingeschr~inkt auf nebeneinander bestehende, voneinander unab- h~ingige Individuen, sei auf ein Werk yon K. M e n g e r verwiesenl) , das hoffentl ich von 0konomen und Soziologen in seiner grundlegen- den Bedeutung mit der Zeit e rkannt werden wird.

Neben der Annahme der v~Iligen, ur~beschr~nkten Voraussicht scheidet aber auch - - wie ebenfalls schon in ,Wirtschaftsprognose" (Wien 1928) ausgeffihrt - - die Annahme aus, es besttinde i i b e r h a u p t k e i n e V o r a u s s i e h t , denn das wfirde ganzliche An,arehie des Ver- haltens der Menschen bedeuten, mit der Er fahrung in glattem ~Vider- spruch stehen und die Existenz der Wirt, sehaft ebenso unmSglich machen, wie die der Wirtschaftstheorie, die wie alle Wissensehaft, ein Minimum von Beharrung in der Welt voraussetzen mulk Dal~ es keinerlei Voraussieht gabe, w~rde der At~ssage gleichkommen, d al~ d i e W a h l a k t e d e r W i r t s c h a f t s s u b ~ e k t e f i b e r h a u p t n i e h t g e o r d n e t w e r d e n k S n n t e n , was offenbar zu einer anderen, und zwar wirklich unentbehrlichen Bedingung des G~leichgewichtes einen Widersprueh bedeutet. Es 'kann also festgehalten werden, dat~ irgend- ein positiver Grad yon ,,Wissen" um zukiinftiges Verhalten, d. h. eine mit mehr oder minder Wahrscheinlichkeit ausgestattete Annahme fiber die Zukunft ffir das Wirtschaften unentbehrlieh ist. Dies driiekt sich z. B. auch darin aus, dal~ die Individuen heute durchfiihrbare K~iufe unterlassen, well ihnen die Er fahrung gezeigt hat, daI~ sich die Preise bis morgen oder fibermorgen usw. nicht ver~indern. Wfirden sie derartige Annahmen nicht machen kSnnen, sondern fiberhaupt keine haben, so w~ire ~ede Vermutung fiber die morgigen Preise gleich wahrscheinlich. Man ersieht hieraus auch zugleich die grol~e Rolle der V e r g a n g e n h e i t ffir das wirtschaf~liche Verhalten, die von L. ~ o b b i n s in voller Uberein~stimmung m'it G. C a s s e l ganz ver- kannt wird, wenn er ausdrficktich feststellt: ,,The past is irrelevant"~). Es ist voltkommen unmSglich, aus dem gegenw~rtigen Verhalten der W irtschafter und UnteI~ehmer sich die Vergangenheit wegzudenken, zu der auch die eben abgelaufene Minute gehSrt!

Trotzdem sich zeigen l~il~t, dal~ vSltige Voraussicht zu Wider- sprfichen fiihrt, ist es nStig, bei dieser Idee noch etw~s zu verweillen, da sich eine ganze Anzahl von Nebenergebnissen gewinnen lassen, die fiir die theoretische 0konomie von Bedeutung ,sind oder werden kSnnen. Die Notwendigkeit, daR ~edes Individuum bei v511iger Vor- aussicht alle wir tschaft l ichen Zusammenh~inge iiberschauen, also die theoretische Okonomie beherrsehen mul~, fiihrt zu einer wi,ssenschafts-

1) K. Menger" Moral, Wille und Weltgestaltung. Grun, dlegung zur Logik der Sitten. Wien: Y. Springer. 1934. Beso~dere Aufmerk~samkeit ist den im IV. K, apitel entwickelten neuen mathematischen Methaden zu schen- ken, .die Anwendungen und Erweiterungen auf die verschieden,artigsten 5konomischen Probleme zulassen. Namentlich ergeben sich Anwendungen fiir die theoretische Grundlegung tier WirtschaftspoIitik.

~) An Essay on the Nature and Significance of Economic Science. London 1932. S. 62.

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logisch merkwiirdigen Tatsache. Ware vStlige Voraussicht eine un- erli~ltliche Bedingung ftir die Aufstel'lung der Gleichgewichtstheorie, so ergii, be sich das weitere Paradox, dal~ die Wi.ssenschaft bei dem 0 b-

e kt, das sie erst erfo~schen soil, .schon vorausgesetzt w~ird, dait ohne diese Annahme das Ob~ekt 'in dem spezifischen betrachteten Sinne iiberhaupt nicht existieren kSnnte.

Die wi,ssen,schaftslogische Situation i~t am klars ten gegeniiber den Nat~rwissensehaften darzut~an. Bei der Phys ik oder Chemie wird in gar ke iner Weise die Pr~exis tenz physikal ischer oder che- mischer Lehrs~tze bei den yon diesen Wi, ssenschaften zu erklaren- den 0bjekten - - z. B. den Atomen und Elementen - - vorausgesetzt , derart , dMt die At.ome Annahmen i~ber das Verhal ten ~and die Zu- st~inde der anderen Atome m, achen mfiltten. E,s besteht begreif l icher- wei,se eine restlose, vSllige Trennung. Bei der theoreMschen Oko- nomie als bei dem entwickeltesten Repr~sentanten der Sozialwissen- sehaf ten ist dies ganz ander.s, denn das Phanomen tier Wir~schaft kann ffberhaupt nicht exisi~ieren - - und zwar in gar ke iner se iner Abwandlungen, wie immer die Ve~kniipfung yon mehreren Einzel- wir~schaften gew~htt werden mag, ob Natural tausch oder entwickel- ter Geldverkehr , ob mit oder ohne ,staatliche Wirtschaft~spolitilk und Steuern - - , wenn ~aicht wen~igstens gewisse einfachste Elemente dieser Wi~ssenschaft ~selbst, in der Form der Einsicht in Zusammen- h~nge, ,beim Objekt (bei den Individuen) vora~sgesetz t werden. Hier in l iegt eine Art Wider~spruch, der jedoch meines Eraehtens vermieden ~verden kann, a l terdings nicht fiir den vorhin besproche- hen Fall, wo v o l l e Kenntnis der noch nicht exis t ierenden Wi.ssen- schaft den Individuen wegen vSll'iger Vora~ssicht zugeschr ieben werden mullte. Der A~sweg diirfte in . a n a l o g e r Anwendung der sogenannten R u , s s e l l s c h ~ e n T y p e n t h e o r i e ~) in der Logis t ik liegen. Dies wiirde bedeuten, dali man au f G r u n d yon v o r a u s g e - s e t z t e r Kenntni,s theore t ischer S~itze vom Typus I bei den W~rt- schaftssubjekten in der Theor ie Lehrs~tze h6heren, also mindestens vom zweiten Typus formul ieren kann; auf Grund der Kenntnis der S~tze des Typus I I mindestens Lehrs~tze yore Typus I I I aufzustellen vermag u,sw. Aber, wie man sieht, mu~ man vo~n ~ n t e n her, yon dem einfachsten Typus ass au2bauen ~nd kann nieht sofor t mit den obersten Type n beginnen. Dies spr~che gegen jenen yon vornhere in vera l lgemeinernd beginnenden Typus von ~Gleiehgewichtstheorie, wie er yon W a l r a s geschaffen wurde; Mlerdings nicht in dean S inne, daIt dieser Typus yon Theor ie t tberhaupt nicht zu er re ichen sei, sondern nur insofern, dal~ am Anfang zu viel vora~sgesetz t sein mag, was ~selbst noch der Anal:~se zugi~nglieh und bediirft ig ist. Es i,st also de~kbar, dat~ fiir den dri t ten T y t ~ s (des , G r a d e s der Ent- wicklung) der theoret isehen (Skonomie die Wir tschaf tssubjekte tat-

1) Fiir eine Darstellung vgl. u .a .D. H i l b e r t und W. A c k e r m a n n : Grun,dziige .der theoreti'schen Logik, Berlin 1928. Kap. IV, § 4.

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siichlich die Kenntni~sse vom zwei ten Typ~s haben. Dann mull sich in~sgesamt etwas .anderes ergeben, als .wenn sie sich - - was genau ,so gu t mSglich ware - - jedoch nu r naeh dem ersten, uls dem niedrig- sten Typus verhal ten. Darauf ~soll ~aber h ier nicht wel ter einge- gangen werden.

Es i.st natfirlieh nStig, den ers ten Tylau~ als den unters ten n~her zu bestimmen. E r mull zweifellos die geringstmSgliche Anzahl von Elementen enthalten. Begrei f l icherweise handelt es ,sich bei diesen Erwi igungen um die re in l'ogisehen Beziehungen, weswegen diese Ausfiihr~n, gen auch ganz ~bstrakt ve r fahren diirfen. Der ~nters te T y p u s k, ann theoretisch auf fotgende We~se ermittel t werden: Die Individuen kSnnen zun~chst ganz beliebige Ansiehten und Meinnn- gen fiber die ffir ihr Verhal ten im engsten Bereiche relewanten Zu- sammenh~inge haben. Sind diese Ans4chten alle falseh, ,so wird - - c e t e r i s p a r i b u s - - der Ausgangsz~stand keine Behar rung auf- wei, sen und die Bei,behaltung des Befr iedigungsplanes wird nicht gelin'gen. Al~so gehen ~sie durch Anpas,sung - - ~ ie beim Tausche - - zu Korrekturen fiber; dies geschieht so lange, als big b lo i i durch Ver- iinderung ihrer Meinungen (von allem anderen strikte ~bgeseh~n) keine Ve~besserung im Sinne einer Wohlfahr tskonstanz mehr ein- tritt. Damit wird m i n d e s t e n s die F o r t d a . u e r des Zustandes er- reicht, jedoch nicht au~sgeschlossen, dall infolge vertiefter E~nsicht ein ebenfall,s best~indiger Z~stand uuf mehr oder minderem h5heren Niveau cbei gleiehen Gfitervorri i ten mSglieh ware. Die ~nit diesem einfachsten Zustand notwendig verbundenen A~sichten fi~ber die 5ko- nomischen Zusammenhange bezeichnen wir (ffir die betrachtete Wirtschaftsorgani ,sat ion) als die , ,Kenntnisse vom Typu~s I", der als der un te rs te Typu.s charakteri ,siert wird. Hier is t der Ort, um .auf folgendes hin.zuweisen: Da weder bei W~alr.as noch bei P a r e t o eindeutig gesagt i~st, dal~ volle Vora~ssicht eine ih re r Annahmen ist, dies ,aber vor ihren neuzeitliehen Interpreten - - wie wir gesehen haben - - yon ihnen behauptet wird, kann auch angenommen werden, dait ,sie sich den Vorgang der B i 1 d u n g des Gleichgew~ichtes o h n e vollkommene Voraussicht vorstell ten. Der oben besehriebene An- passun~svorgang ist n~imlich viillig analog dem der Preisermit t lun 'g bei W a l r a s durch den , , p r i x e r i 6 " und seine sukzessiven Kor- rekturen durch die versehiedenen Gebote der K~.ufer; gleiches gilt fiir E d g e w o r t h s Idee des , , r e c o n t r a c t i n g " . I-Iiitten die K~iufer alle wollkommene Vor.au~ssicht, so miil~te der ,,prix cri6" sogleich der endgfiltige Pre i s sein. Man wird sich h ie r fe rner tier bekannten W a l r a s schen Formul i e rung er innern, da~ alas ~Gleiehgewicht ,,p a r t a t , o n n e m e n t " zustandekommt, eine An~Mcht, tier aach S e h u m - p e t e r zu h~aldigen scheint. S u k ' z e s s i v e A n p a s , s u n g e n s i n d j e d e n f a l l s u n v e r t r i t g l i c h m i t v o l l k o m m e n e r V o r a u s - s i c h t . Es i,st .aJber iiberau~s bezeichnend, dal~ man ,stets versucht, mittels der theoret ischen 0konomie Endzustiinde naeh S t s rungen immer durch graduel le Anpas,sungsvorg~inge zu erreiehen. Die tech-

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nischen Schwier igkei ten sofor t ige r Anp~ssung gegeben, verschwia- den sie doch in dem Auge~blick, als die Zeitpunkte, wann sie voll- endet sein werden, bekannt s ind und daher die Anpass~aag der Preise im Siane der Erre ichung eines Gleichgewichtes s o f o r t ge- geben sein mull Entweder wird also die Theor ie widerspruchsvol l verwendet , oder sie enth~lt, nach den Annahmen der Autoren, wie W a l r a s und P a r e t o , keineswegs die A~ussagen fiber vollkommene Voraussicht.

Wie man sich unschwer fiberzeugt, entspricht es auch der Wir;k- lic:h~keit, ist es empiri~sch be(~bachtbar, dab es in vielen Liindera sehr verschiedenar t ige Zustiinde der wir tschaft l ichen Wohlfahr t geben kSnate, wean wir yon allen I)~ten lediglich da~jenige der Einsicht in die 5konomischen Zusam~nenh~tnge ~ari ieren lassen. ,,Riickst~tn- dige" L~nder mfissen nicht immer nur solche sein, in denen vera t te te Produkt ionsmethoden angewendet werden und ,,Kup,ital~mangel'" herrscht , sondern namentlich auch solche, in denen die iikono- mi~sche Bildung sehr ger ing i~st. Daher erSffnen sich Anwendungs- mSglichkeiten yon Unters:uchun'gen dieser Art yon Keantn i s f ragen auch ffir den gr.ot~en Bereich der Wir~schaftspolitik, so.wie im wei- teren Sinne a~eh ffir den ganzen Fragenk(~mplex des , ,rationalen I-Iandeln,s", der ja offen'bar auch mit der b ier di~k~atierten Pr(~bIem- gruppe eng z~sammenh~ngt und des,sen Implikat ionen noch keines- wegs ~ganzlich :~ufgedeckt Mad.

Dem Anschein nach ist folgende, diese Schwier igkei ten vermei- dende ~berlegun 'g mSglich: Es genfigt doch offenbar, wenn jedes der betreffenden Wir t schaf t angehSrende Individuum einfach weilt, wie die konkre te Situation ,auf einem bestimmtea ,zukfi'nftigen Markte sein wird, o h n e daft es a~ach nur eine Aha~ang h.a~ben m,Jl~, wie die dort zu erwar tenden Pre ise und Ta~schakte ~auf seine eigenen Tuusche, sMnen ~Gfiterbesitz, seine Absichten ~and die a l ler anderen zurfickzufiihren sind. Die,se Meiaung ist aber unzutreffend, denn es wird ja von der Theor ie gteichfal ls .angen(~mmen, dal~ sich die Indi- viduen r a t i o n a l verhalten. Die ,,I£ationalit~t" ,setzt aber ihrerseit,s ~-ieder voraus, dali sich die Wir tschaf tssubjekte fibber Beziehungen und Abh~ngigkeiten im klaren sind, dal~ sie daher Zusammenhi~nge bis zu gewissem Grade auch wirklich durcl~schauen.

10s ist nunmehr wei terhin aSti'g, ~nit al ler Schi~rfe auf folgendes hinzuweisen: Wenn voll~kommene Vor,au.ssicht sei teas eines a u ~en- ,s t eh e n d e n B e o~b a ch t e r s angenommen wird, dana handelt es sich um a n d e r e als die bisher besprochenen Fragen. Was fiber einen sol- chen Be(~bachter - - in diesem Fal le .at,so z. B. den theoret ischen Oko- nomen - - zu sagen ist, ergibt durchaus paral le le Aus~sagen zu den aus Theologie und Logik bekannten ~berlegungen fiber die All- wissenheit Gottes von der Zukunft und fiber die damit zusam- menh~ngendea Schwierigkeitea der Willensfreiheit. los ist wohl klar, dait zwischen a) der blolt t h e o r e t i s c h e n Erkenntnis yon Zusammenh~ngen und b) der vollkommenen Voraussicht zu unter-

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scheiden ist, denn die letztere ist dadurch gekennzeichnet, dal~ ein konkretes (meist wohl als h i s t o r i s c h zu bezeichnendes) Objekt in Hinblick auf die Einzelabl~ufe in allen Details iiber- blickt werden sell. Dies ist mehr, als ein Theoret iker ~emals mit se iner Theor ie wird leisten kSnnen. Es mag der I-tinweis a~af diese Dinge geniigen, um den Untersehied zu markieren. D a ~ i r mit der Stel lung eines so lcherar t au~sgestatteten Beobachters nicht be~al~t Mnd - - well er ftir die Gleiehgewichts theor ie keine notwendige An- ~ahme 4ar~tellt - - , so ,br.aucht das Prob lem nicht d iskut ier t zu wer- den. So verwicke l t es :auch sein m~g, so ,sch.wierige F r a g e n der Logi~ bei se iner exukten Behandlung auch ~aufgeworfen werden mSgen, es steht an Komplizier~heit doch gegeni iber der Idee der i n d i- v i d u e 11 e n vol lkommenen Vorauss ich t welt zuriick, weil bei dieser eben die zus~itzliche Annahme gemacht wird, daIi auch a l l e be- t r a c h t e t e n Indiv iduen d,ieses vol lkommene Wissen, und zwar daher unterein.ander das g 1 e i c h e vol lkommene Wissen haben. Das fi ihrt zu vSllig urrauflSsbaren Paradoxen , wie berei ts wel ter oben darge leg t w,arde. Wenn a~oer schon einmal au~s einem e i n f a c h e n Gesiohtspunkte her au[s die Unvermeidbarke i t eines Paradoxo~as ge- ze ig t werden muSte (wegen der Ref lexe des eigenen Verha l tens in dem der anderen und vice versa), so ist es ,offenbar iiberflfi'ssig, alle, oder i~berhaupt n u t wei te re Aspekte dieses Pa.radoxons anzufi ihren, denn mit se inem Nachweis scheidet die Idee, es kSnne ,,vollkom- mene Vor.aussicht" eine notwendi'ge, ju .~berhaupt eine s innvol le An- nahme fiir die ,Gleichgewichtstheorie bilden, yon vornhere in aus der ErSr terung aus. Ebensowenig kann sie fiir irgendwelche Spezial- theorien verwendet werden.

l~m aber Millverst~indnissen vorzubeugen, m~lt jedoch gezeigt werden, dalt fotgende Annahme .zu ~ k e i n e m Wide r sp ruche fiihrt: Angenommen, die Gleichgewich~stheorie e x i . s t i e r e b e r e i ~ in ~ab- schliel~end vol lendeter Fo rm (d. h. derart , dal~ es keine yon ihr noch zu 15,sende Aufgabe mehr ,gi,bt), ,so kSnnen wir einen Fal l konst ru- ieren, derart , dal~ diese voltendete Wissensch, af t .allen Wir tschaf t s - subjekten gleichmatl ig bekannt sei und won allen gleich gu t ver- s tanden wtirde. Wenn wir nicht die z u s ~ t z 1 i c h e Annahme machen, dal~ sie a u l ~ e r d e m vol lkommene Vora~assieht 'besitzen, so haben wir es ledigl'ich mit einer ~a~z autiergew6hnl'ich hoehgebildeten Schicht yon Wirtschaft~ssubjekten zu tun, ohne c~alt damit ~rgendeine Be- haup tung ausgesprochen ware, die ein neues oder neuar t iges Pro- blem entstehen liel~e. Auf keinen Fal l hat ,sich eine fiir die T.heorie entscheidende Ander~ang des Objektes er, geben.

Diese A nnahme der vol lkommenen K e n n t n i s e iner v.ollendeten Gleichgewichts theor ie ist aber ke ineswegs mit der W a l r a s s e h e n Idee vol ler Vor.a~ssicht identiseh. Geze ig t wurde, dalt le tz tere wohl die e rs te re vora~ssetze, aber, wie man bald sieht, die U m k e h r u n g ist nicht zulassig. E~s kann also eine Gruppe yon ~rirVschaftss~b- jekten eine vol tkommene Kenntnis der Wissen, sc~haft haben, aber

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diese mfissen dabei nicht wesent l ich anders in die Zukunf t schauen, al,s es die Menschen heute tun. Diese Ind iv iduen zeichnen sich n u r durch t ie feren Einbl ick in die Zusammenh~nge aus, die sich aus dem A~satz der Daten ergeben. Aber in diesen A~s~ttzen kSnnen sie sich irren, ~:ann ,sich Optimism~s und Pess imismus ~ul~ern ~sw. I n dieser Gle ichgewich tswir t schaf t kSnnen daher I r r t f imer vorfal len, geheime Informati , onen exist ieren, t empora re Monopole der Kenntnis yon Da- ten~nderungen t) ,bestehen, daher auch R isken, Un te rnehmergewinne usw. Wenn daher in der heut igen Gleichgewichts theor ie ~behauptet wird, d~att Risken und Gewi~ane im Gleich.gewicht ausgescha l te t seien, no mfil~te dies of fenbar auf andere Weise begrfindet werden, ,al,s mit dem Hinweis auf vol lkommene Voraussioht . Zu die-sere Zwecke wi rd es nStig sein, noch wei tere Beziehungen zwi,schen dem ~Grade der Vora~s~sicht und dem Gleichgewicht ,a~tszu,sp~ren.

Diese Fest~stelI~ngen kSnnen dutch die Einf f ihrung der Unter- scheidung yon t e c h n i ~ s e h e r V o r a u s s e h b a r k e i t und e f f e k - r i v e r V o r a u , s s i c h t pri~zisiert werden. Damit wird au f e inige Elemente der Kenn tn i s f r agen hingewiesen, die wegen ihrer Ver- n, a c h l ~ s i g u n g , z. B. in der Ri,s.ikotheorie angedeute t werden sollen. Die e f fek t ive Vorau, ssicht kann g e r i n g e r (~nd n~r durch Zufal l grSI~er) se in Ms die techni,sche Vora~ssehbarke i t , dies ist z. B. der Fall , wenn eine Reg ie rung Inf la t ion t re ibt ~and gle ichzei t ig glaubt , das Geld'gleichgewicht nicht zu stSren. Nach den jeweils t e c h n i s e h erh~Itl ichen Daten besteht je n,ach dem Grade der trats~chlichen An- wendung der 5konomischen Wi~senschaft ein verschiedenes Ausmat~ yon e f fek t ive r Vorauss icht ; dies bedeutet , dal~ t rotzdem infolge an- derer S tSrungen - - z. B. weil die Leu te wider E r w a r t e n das zusatz- liche CGeld hor ten oder dergleichen - - :nicht die Fo lgen e int re ten miissen, die ~ach dem angeno,mmenen erfabrun,gsgem~il~en Zusam- menhang der Dinge e rwar te t :werden durften. Es l iegt eben eine T r e n n u n g zwischen der t t e r s t e l lung einer Schlul~kette und den auch anderwei t ig abh~tngigen Mstor ischen Ere ign i s sen vor.

Urn den Unterschied zwischen techni,scher Voraussehba rke i t und effektiver Voraussicht k larzumachen und zuglMch um zu zeigen, dat~ er im ganzen Bereiche des menschlichen Verha l tens (damit also ffir die gesamte theoret ische Soziologie) gegeben ist, sei ein einfaches Beispiel angeft ihr t : Wenn ein mit dem sti~dtischen Ve rkeh r ve r t r au- ter Pass~nt eine belebte Stral~e fiberquert, so wird er den vorfiber- fahrenden Autos ~i'n einer solehen Weise ausweichen, dali er ~nver - sehr t ~bleibt. E r kann dies tun, well ihm z. B. die F ahrordnung und die Fahrgewohnhe i t en bekannt sind, er die Geschwindigke i ten der Automobile abzuschatzen gelernt hat usw. Er weili also, was die Autos tun sollen, und was sie tats~chlich erfahrung,sge~ni~fi ffir sons t ige Eigenscl~aften haben. E r verf i ig t daher fiber ein gewisses Mat~ von tech'nischer Voraussehbarke i t , die er ,auf die konkre t e Si tuat ion an-

1) VgL hieriiber Wirtsehaf~prognose, Wien 1928, S. 8 f, S. 30 usw.

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wendet, wod~arch er zu einer be~stimmten effektiven Voraussicht ge- langt. Ist unser P.a, ssant aber ein plbtzlich in die Stadt versetzter Wilder, ,so wird er ~sich nicht zu verhal ten wissen, obwohl ihm nach einiger Zeit die gleichen Angaben t e c h n i s c h ebenfalls z~r Ver- ftig~ng ~sttinden. Er wird nicht wissen, in welcher Strecke die Autos bremsen kb~nnen, daI~ sie ii~erhoten diirfen, was d~as Auff lammen des roten und des griinen Lichtes bedeutet usw. Aber es kunn dennoch geschehen, dalt der Wilde hell bleibt ~nd der geii,bte St~idter fiber- fahren wird, we'il gerade bei diesem z. B. die Bremse eines begeg- nenden Autos versagt , w.as er technisch n i c h t voraussehen konnte. Nur ,,vollkommene Voraussicht", oder zumindest eine solche "Voraus- sicht, die da~s kri~sche Element in sich schlbsse, die also die Kenntnis yon e i n z e t n e n h i s t o r i s e h e n Fallen und Geschehnissen giibe, h~itte aueh die Kenntnis dieses Einzelfal les vermittelt, oder ein Zu- fall h~itte den Passanten dieser 'Gefahr entrinnen lassen.

]~s gibt also im sozialen Leben eine weitergehende Vorausseh- barkeit - - diese ist vor allem das Werk der Wissenschaft - - als sie prakt isch angewendet ~ i r d and :angewendet werden mutt. Vor allen Dingen ist das Ausmaft der Vor, aussicht sehr ungleich und bei ver- schiedenen Bevblker~ngstei len ganz verschieden verteilt, ein Urn- stand, dem ,sp~tter noc'h gebtihrend Reche~sehaft zu t ragen sein wird.

Kehren wir nochmals zu der Idee der voltkommenen Voraus- sieht zuriick, ~m ein weiteres Verh~ltnis klarz~stellen, des in der Theorie ,bisher ebenfall~s im Dunkel gel assen worden ist. Bei voll- kommener Vora~ssicht (wit nehmen an, d, al~ man sich darunter etwas ganz Genaues denken kbnne) fiillt offenbar die V o r , a u s s i c h t mit der E r w a r t u n : g ~) der Zukunf t z~sammen. Wenn ich ganz genau weiR, daft in drei Tagen ein ganz besti,mmter Preis eine ganz be- stimmte Hbhe haben wird, dann ist es da.sselbe, wenn ich den Ein- tritt dieses Ereignisses ,auch wirkl ich erwarte. Wiirde ich einen an- deren Pre is erwarten, so h~itte ich ikei,ne sichere, vollkommene ¥ o r - .alrssicht. In einer solchen W i r t s c h a f t wi~ren a~so alle St immungs-

~) Die Einfiihrung des Erwartungsmomentes in ,die Theorie ist also w.esenttich schwieriger, 'als jenen Autoren klar zu sein scheint~ die bereits darin einen Fortschritt der Theorie erblieken, wenn yon ,,Erwartung" un- definiert gesprochen wird.

Ich denke hier z. B. an G. M y r d a h Der Gleichgewichtsbegriff als Instrument der geldtheor.etischen An.alyse. (Beitr~ge zur Geldtheorie, Wien 1933, S. 361 ft.) M y r d a 1 erklart ~S. 384) ausdriicklich, ,,die Anti- zipation in das geldtheoretiscbe System einfiigen" zu wollen. Allerdings wird dann nicht analysiert, worin die Antizipationen bestehen, welche Be- stimmungsgriinde sie haben usw. A~ch trifft k.eineswegs zu, daft Antizipa- tion und Erwartung zusammenfallen miissen; doch will ich auf diese weitere Sbhwierigkeit hier nicht eingehen. Ein a nderer A~tor, der hier zu nennen ware, ist F. A. H a y e k (s. o. S. 339), sowohl wegen seiner Anwendung der J e v o n s - W i c k s e 11 schen Investierungsfunktion, als .auch wegen seiner Ansicht, es kbnne die volle Voraussieht eine P r ~ i z i s i e r u n g der Gleich- gewichtsgedanken bringen, wiihrend sie nur ein P a rad ox on liefert!

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faktoren au.sgeschaltet. Bei nicht votlk, ommener Voraussicht, bei MSglichkeit eines anderen Preises - - well ich z .B . StSrungs- momente in der Erwar tung nicht ausschalten kann - - ist es dagegen immer denkbar, dal~ ich au,s Griinden des Tem- peraments, der Laurie, des Wagemutes usw. meine Erwar tung anders gestalte, al,s mir die technische Voraussehbarkeit etwa gebieten wtirde. Ich bin z .B . einmal geneigt und ein anderes Mal nicht geneigt, ein R i s i k o einzugehen. Mit anderen Wor- ten: wo es an der wirklichen, endgiiltigen effektiven Voraussicht gebricht, treten Erwar t~ngsmomente auf, falls dws wirt,schaftliche Individuum geniitigt ist, in Hinblick auf die Z~akunft bereits jetzt Handlungen .zu set'zen oder s, olche zu unterl.~ssen. D i e E r w,a r t u n g h a n g t a l s o i m m e r n u r z u m T e l l y o n d e r V o r a u s s i c h t ab, sie kann ~sogar v~ilti'g in der Luf t hangen, w~s dann al lerdings ffir da~s I ndivid~um mit einer Entta~tschung, Einrbufie an Kapital oder mit einem Gewi'nn enden wird. Wie man sofort sieht, mul~ die Ri- siko~heorie von dieser Seite a~s angepackt werden. Es liegt bier ein anatoges Verhalten vor, wie das von K. M e n g e r 1) beschriebene, won ach die Individuen unter naher angebbaren Umst~tnden Unsicher- heitsmomente anders b e w e r ten, als sich nach der Wahrscheinlich- (ke~it,srechnung ermitteln last. Da ,aber zum Aufbau einer ordent- lichen Risikotheorie wesentlich welter ausgehol t werden miil~te und namentlich dem Aufbau der W ahrscheinlichkeitstheorie genau Rech- hung zu t ragen ware, mag es mit diesen Bemerkungen v o r l ~ f i g sein Bewenden haben. ~)

]~s ist viellei(~ht nicht uninteressant , au f einige Implikat ionen (ikonomischer Art hinzuweisen, die die ,,vollko~nmene Vorau~ssicht" in sich schtiefit. Man wird ~a~s ihnen sogleich erkennen, c~a~ diese Annahme der Gleichgewicht,stheorie niemals zugrunde liegen kSnnte und diejenigen irren, die sie Autoren wie W a l r a ~ s und P a r e t o zu- schreiben, die al,s Repr~sentanten der ,Gleichgewichtstheorie a~tfge- faint werden. Zuniich, st ergi'bt sich ~ne~kwiirdigerweise, 4alt man a~af Grund der Ann,ahme voll,kommener Vorau~ssicht sogar m a t e r i e 11 e Aus~sagen i],ber eine ,solche Wir~schaft maehen kann. Sie sind im we- sentlichen negat iver Art. So wird es z. B. keine Lotter ien und Spiel- sale geben, den'n wet wiirde ,spielen, wenn festst.finde, wohin der Gewinn g inge? Telephon, Telegraph, Zeitungen, Anno~acen, Plakate, Reklame u~sw. waren eben~alls ti~berfliissig, wie auf der Hand liegt. A.ber auch die dazugehSrigen, heute oft sehr erheblichen Industr ien

1) K. M e n g e r: Das Unsicherheitsmoment in der Wertlehre, Zeitschrift fiir National(ikonomie, Bd. V. 193~.

~) ]~s empfiehlt ,sich, an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dal~ diese Abweichungen ~ter Erwartungen un<l ihre Be~lingtheit durch Stimmungs- elemente zur Ursache von D i s k o n t i n u i tii t e n werden, die in der Wirt- schaftstheorie verschiedentlich Schwierigkeiten schaffen. Hier ware die Stelle ftir .die u. a. von P a r e t o , F a n n o und P i g o u betonten psychischen Faktoren im Koniunkturverlaufe.

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mit ,allen ihren vielen Nebenindustr ien wtirden fehlen. Die Post hat te ml r Patkete zu bestellen und jene Briefe, die dokumentarische Unterl,agen bedeuten, denn wozu s onst Br iefe schreiben? Es erfibrigt sich wohl, den Fal l wei terzuspinnen, aber maan sieht, wie unfiber- tegt in der theore~ischen Okonomie oft von ,,grundlegenden An- nahmen" dort gesprochen wird, w o e s sich lediglich um Uns~nn handelt.

Wenn man vom Gleichgewieht spricht , muff natfirlic'h genau angegeben sein, ~as darunter zu vers tehen i.st. Die h ie r gemachten A~ssagen beziehen sich ,auf die fiblichen Vo~stellungen, bei denen es sich darum h~ndelt, einen (synchronisierten) KreislaufprozeI~ zu be- schrei,ben. Es wird zugelassen, dal~ die Wirtschaft streng periodische Schwankungen mitmacht, dalt Leute sterben, geboren werden, unter Um- st~nden sich die Wirtsch, aft f iberhaupt ,ausdehnt usw. tSs ist klar, dal~ fiir einen dieser Ar t gefaRten Gleichgewichtsbegri f f die voll- kommene Vor,aussieht zu den erwahnten Paradoxen ffihrt. Diese wiirden ,sich darin auRern, dal~ yon einer glei(~hfiirmigen Fortffih- rung der Wir~schaft keine Rede sein kSnnte. Wenn jedoch gemeint ist, daR die Gleichgewichts theorie nur einen absolut stmarren Z u- s t a n d beschreibt, d,ann kann man nat~irlich die vollkommene Vor- aussicht einffihren, denn es lcann sich ex definit ione nichts ~ndern, weft eben a l l e s ~starr und unveri inderl ich gegeben ist. Wtirde auoh nur eine einzige ¥:ariation eintreten, so ware yon einem ~Gleichge- wicht, oder ,aueh nur von einer T e n d e n z z u m .Gleichgewicht, keine Rede mehr, sondern man hat te das ~beschriebene Paradox als Ergeb- nis vor s ich. Es ist kl,ar, dal~ eine ,Gleichgewichtstheorie, die n u t einen s t a r r e n Z~as tand , der u n a b ~ t n d e r l i c h g e g e b e n ist, ,,er- kl~irt" und die wegen dieser einen Gru~dannahme ,au~erstande ist, i rgend etwas fiber die W i r t s eh,a f t zu sa, gen, wenn eine V;ari,ation eintri t t , f fir die Erkenn tn i s v611ig belangl(~s ist ~nd 4aher auch gar nioht den Namen einer Theor ie und Wi'ssen~s~haft verdienen wfirde.

Es ware ,auch nicht r icht ig zu sagen, dalt Konstanz der Daten die vollkommene Voraussicht impliziere. Denn es l iegt auf der l~and, dal~ i rgendwelche Daten ~sehr wohl viillig fest gegeben sein kiinnen, mohne dal~ dieser Umstand den Individuen bekannt zu sein braucht. Dagegen gil t die umgekehr te Beziehung, da die vorausge- sehenen Ereigni.sse ais ,gegeben" eingesetzt werden kiinnen. Nur ist es unsinnig anzunehmen, daft alle 2mkfinftigen Ereignisse ge- geben sein kSnnten, wo'zu .aufierdem die gegensei t ige A,hsch~tzung des individuellen Ve~,haltens kommt.

Bedeutsamer ist nun der folgende Fall , der sich auf eine kon- kre te iikonomi.sche Theor ie bezieht. Wi r betrachten die Konkurrenz- und Mo'nopoltheorie. Bei Konkur renz (bestimmt n,ach P a r e t o) ist jegl icher Gewinn ,abwesend, beim 'Monopol ist er determinier t als das Maximum einer gewissen F~nkt ion mit Nebenbeding~ungen. Die Duo- poltheorie, die in den letzten J ah ren eingehendes Studium land, zeigt deutlich, 4alt gewi.~se Annahmen dariiber gemacht werden mfi.ssen,

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ob der eine Duopotist mit sog~irannter ,,Mengen"- oder , ,Preisabhan- gigkei t" des anderen rech~aet und v i c e v e r s ~ . Die Theor ie mull b ier ,als bekannt v.orausgesetzt werden. Nun hat C h a m b e r I i n ~) ein- leuChtend gezeigt, dall die Duopolisten ein Gewinn~naximum dann erreichen, wenn sie beide zum Monopolpreis verka,ufen, was einer s t i l l s c h w e i g e n d e n V e r a , b r e d ~ t n g entspricht. Dagegen wird sich, gleichgiilti'g wie grol~ die Zahl der A~lbieter ist, also auc.h schon bei Duopol, der Konlkurrenzpreis ergeben, wenn jeder das Verhal ten des anderen ve rnach l~s ig t . Wenn a l so die beiden Duo- poIisten genfigende Voraussicht haben, so werden sie sofort zum Monopolpreis i~bergehen und an dem d.ann erre ichten Gleichgewicht wird s ich ~ichts mehr andern. Nehmen wir nun an, dall wir es nicht mit zwei, sondern der Reihe nach ~nit 3, 4, 5 . . . n Anbietenden zu tun haben, wobei eine beliebig grolle Zahl dieser Folge schon den Bedingungen der f re ien Ko'nkurrenz yore Typ~as P a r e t o s gentige, so ist nicht einzusehen, warum der meistens behauptete Prozefi ei:ner mehr oder ~ninder schnellen Annaherung des Monopolpreises fiber verschiedene Zwischenstufen an den Konkur renzpre i s ledig- lich wegen der Vermehrung der Anbietenden fiberhaupt e int re ten sollte. Haben die Individuen vollkommene Voraussicht - - wie doch angeblich ffir die g a n z e Theor ie die grundlegende Annahme lauten soil - - , ~so bleiben sie beim Mo~aopoIpreis, denn der Monopolgewinn, di~cidiert durch die Zahl der Anbieter , mult jedem einzelnen immer noch einen grSlteren Gewinn sichern ,als bei f re ie r Konk~arreIrz; das heittt der Gewinn der einzelnen mul~ grSller sein als Null. Da die Wir t schaf te r einen ~och so kleinen Gewinn gar kei~em Gewinn vorziehen, i*st die Situation in diesem Punk te eindeutig. Werden daher in einer Konkurrenzwirts(~haft die nioht vollkommen voraus- schauenden I n d i v i d u e n durch s, olohe ersetzt, die volle Vor.aussicht h, aben, so mfil~ten sich die Pre i se offenbar erhtlhen und die Grund- voratrssetzung der Gteichgewichtstheorie, ¢tall bei f re ie r Konkur renz der Kostenpreis gez~hlt wiirde, ist automatisoh beseitigt. Zweifel los ein paradoxes Ergebnis .

Nieht genug damit: Es besteht keine MSgtichkeit, diesen Prozell der C h a m b e r 1 i nschen Monopolisierung gerade auf einen einzigen Mark~, z. B . der Kons~amgiiter, zu beschr~nken. Es werden also auch die Produkt ionsfak toren nu t noch zu Monopolpreisen abgegeben werden, wodurch mSglicherweise die Monopolgewinne der letzten Stufen ganz verschwinden mi~ssen. Wenn aber ~anivemelles Monopol entsteht, ist zlt f ragen, o'b dadurch nioht ein indeterminier tes Preis- systom entsteht'. Dies mfiltten die Wirtsch.after auch wieder voraus- sohen usw. Es kann 'natiirlich sein, d.att einzelne Produkt ionsmit te l , ,privat" ,sind (in der Terminologie yon HiC,ks~), dann braucht die-

I) E. C h a m b c r l i n : The Theory of Monopolistic Competition. Cam- bridge, M~ss. 1933.

~) J. R. H i c k s; Ann~al Survey of Economic Theory: The Theory of Monopoly, in: Econometrica, Bd. 3, 1935, S. 4,

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set Prozel~ nicht zur Unbestimmtheit zu fiihren. Jeden~alls ist es nStig, sich dari~ber ins k lare zu kommen, welc~he Voraussicht bei den einzelnen anzunehmen i~st, damit eine geschlossene Theor ie iiberh~upt a~fgestet l t werden kann. Denn dali i rgendein p o s i t i v e s Mal~ yon Voraussieht unter leg t werden mltl~, wurde berei ts gezeigt. F e r n e r mul~ man ~streng im Ra'hmen der Ann~ahmen ~bleiben, denn es i'st nicht einzusehen, ob das Abgehen vo~n Chamberlinschen Monopot schon bei 3 oder e~st ~bei 10 oder bei 1000 Anbietenden geschieht, ob d~s u'nter allen Umsti~nden gleichmailig gesehieht und ob es immer gleich wahrscheinl ieh i,st. E s kSnnte schliel~lich noeh schei- nen, al,s ob die ,blolle K e n n t n i ~ s der Duopo l~eo r i e schon genfigen wiirde, um den eben gekennzeichneten Monopoli~sierung,sprozelt aus- zuliisen, ~ s mit dem fr i iheren Beweise eines Unterschiedes zwi: schen vol tkommener Vorawssicht ~and ro l l e r Kenntnis der theoreti- schen (~konomie seitens der Wir~schaftssubjekte in Widersprueh stiinde. Es liegt aber kein Wider spruch vo r : Voll~kommene ¥orau,s- sicht (bei Kenntnis der Duopol- und Oligopoltheorie) schlieltt in sich, d, afi jeder einzelne auch vom anderen weiB, daft er die Duopol- ~heorie beher~scht und ef fekt iv anzuwenden entschlo,ssen ist. Inso- ~ern geht sie schon f iber die Theor ie hi~nau,s, denn dieses W i s s e n ist keiner ihrer Bestandteile, ebensowenig wie dws Wi~ssen davon, genau welehe 0 r i en t i e rung der jeweil ige Monopolpartner t atsachlich vornehmen wird ~nd Wie er die eigene Reaktton dara~af ei,nsehiitzt. Al.so ist yon einem Widerspruch keine Rede. Die Griinde anzuffih- ten, waruu~ p r a ~ k t i s c h der gesehilderte Monopolisierungsprozel~ nicht e intreten wird, eri ibrigt sich.

III . Au, s den ges~m~en Dar legungen ergibt sich, daft die Annahme

vollkommener Voraussicht aus der Theor ie ausscheidet. E,s scheint, ~.ls ~b dies eine vSllig negat ive Fest,stelbang wi~re, doch ware dies insofern unberechtigt , aI,s s ich :gleichzeitig Wege zeigen I~ssen, auf denen die Fo~schung wei terz~schrei ten hat, obwohl diese Wege sehr miihsam si~d. Z~n~ehs~ e~gibt sich, da~ alle an ,,vollk,ommene Vor-: aussieh~" gekniipften F o l g e r u n g e n ~al, sch sind, ~bzw., *soweit es sich um e m p i r i s e h e B e o b a o h t u n g e n handelt, diese in der Luf t hi~ngen und daher in andere Zusammenh~'nge eingeordnet werden miissen. Nazmentlich i, st dabei an den Unternehmergewinn zu denken, sowie an die angebliche - - yon J. R. t t ( c k s mehrfach be- tonte und yon vieten iibernommene - - ~Spaltung der Theorie in eine a l l g e m e i n e Gleichgewichtstheorie und in ei~e spe- z i e l l e Theorie vom Geldgleichgewicht, die yon der ersteren getrennt sei, wie eingangs dieser Abhandlung erw~ihnt wurde. Diese Trennung ist al~o, wenn sie nu r aus diesem Grunde bestehen soll, zweifellos unzuli~ssig, yon einem anderen Gesichts- punkt aus mag ~ie Sinn haben. Die Risikotheorie bedarf ebenfalls e ines viilligen Neuaufbaues ; dies erhell t schon daraus, daft eine der

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interessantesten und einflv_ltreich.sten Formen der Risikotheorie, namlich diejenige F. H. K n i g h t s , wie a~s dem Zitat 'auf S. 338 her- vorgeht, auf schwankendem Boden steht. Bei anderen Theorien dieses Gebietes tr ifft da~ in noah starkerem Malte zu. Dabei darf man sioh gerade yon der Ausbildung der Risikotheorie, in der alle U berlegungen yon der Art, wie sie z.B. in der vorliegenden Abhand- lung ,angestellt wurden, kutminieren, nicht nur interessante, sondern ,auch wirklich weittragende Entwicklungen versprechen. Dies gilt ganz besonders a~s dem @runde, dal~ gerade in der ~allerjfingsten Zeit entscheidende neue E~kenntnis,se der VCah~cheintichkeits- theorie erzielt worden sind.

Es kann n~an gezeigt werden, in welcher Ric'hbung die weitere Forschung fort zusetzen ist. Dadurch, (~al~ als bewiesen anzusehen ist, d,a~ es immer positive Erwartu, ngen fiber Zukfinftiges gibt u_nd dal~ diese Erwartungen mit einem gewissen ~Grade von Voraussicht verknfipft sind, diese wiederum ein gewisses Mindestmalt von Ein- sicht 4n die 5konomischen Zusammenhange voraussetzen, so ist klar, daR sich ¥ a r i a t i o n e n der Erwartungen - - wegen Variation einer oder mehrerer dieser Komponenten - - im Preisgeffige und d~aher im Produktionsaufbau auswirken ~nfi~sen. Wir ;brauchen ja nur einen Auger~blick ,anzuneh~nen, dal~ in einer Wirtschaft ,alle Unternehmer eine wesentlich weiterrei~hende ,,Vorau, ssicht" haben als alle Kon- sumenten (wenn die Trenn~a'ng ~nte~stellt wird); auf Grund dieser Daten wird sich ein Prei, ,ssystem ergeben. Yariieren wir nun diese Daten, ebenso wie wir dies z. B. bei den Produktionsdaten zu tun gewohnt sind, z. B. der, art, dal~ wir die Verteilung der zwei Kl.assen von ,,Voraussicht" gerade umkehren, so mul~ offen,bar ein anderes Preissystem resultieren. Es ist yon vornherein keineswegs zu fiber- blicken, welches die S t a b i t i t i ~ t ~ s b e d i n g u n g e n sind, die often- bar aufgestellt werden miissen. Denn wenn man bei dem Gleichge- wichtsschema bleiben will, d, ann wird es nieht vielerlei, sondern w~hrsaheinlich n'ar s~hr wenige Arten der Verteilung ,ungleicher Grade von ,,¥oi, a~a, ssicht" u~d Erwartungen seitens der WirVschafts- subjekte ge'ben, die mit stabilem ,Gleichgewicht vertr~tglich sind. Das Problem kSnnte also folgendermalten gestellt werden: Genau welche Verteilung welcher Mal~e an Erwartungen und Voraussicht entspre- chen den Bedingungen des durgh die W a l r a s s c h e n Glei~hungen beschriebenen C~leichge~idlltes? Es ist ein weiter Weg, bis diese Frage einmal zufrieden, stellend ,beantwortet sein wird, und wer weil~, ob es bei der Idee des ~Gleichgewichtes ii~berh~upt bleiben kann? Die Va- riati.onen der Erwartungen, die man ~anz unzweideutig vornehmen kann, zeigen auch, da~ dieser Faktor durch die Methode seiner Be- handlung den anderen Faktoren - - z. B. den Meng~n~nderungen der Produktion,smittel --, die das Gesamtergebnis beeinfluJssen, gleich- geordnet ist.

Zum Schlul~ ~sei no¢h darauf hingewiesen, d~al~ im Bereiche die- ses Problems vielleiaht zun~chst eine grofie Anzahl empiriseher Ein-

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zelstudien angestellt werden mul~, am fiber die Tragweite des Erwar~ungsmomentes - - dessen Bedeutung kaum auf allen Markten die gleiche sein kann - - einigermafien ein Bild zu gewinnen. Es ware z. B. durchaus denkbar, konkre te Transakt ionen, fiir die hin- reichende Daten vorl iegen, dahingehend zu priifen, was i~hr Ergeb- his, vergl iehen mit dem tats~ichlichen, gewesen ware, hat te ~nan di- verse Erwartung,skoeff iz ienten eingesetzt. Empir isehe Studien dieser Ar t sind gewil~ mSglich, nur werden sie eine neue Technik erfor- dern, da die gewShnlichen Methoden der Statisti~k hier versagen miissen, weil man es z unachst allzu.sehr mit Einzelfa l len zu tun hat. Auf Grund dieser empiri'schen St~dien und vermittel,s des schon vor- handenen Er~ahrungsmateriats, wie es z. B. in der ~Vertlehre zum Ausdruck kommt, wird na~iirlich a~ch de~art z~l ve r fah ren sein, daft in konkre ten Theoremen der en~haltene, a~ber ,meist unausgespro- chene Er~ar tuI rgs- und Vora~ss iehtfaktor aufgespi i r t wird. Zum Teil fal len diese Nachpri i fungen mit den Entwicklungen zusammen, die die Theor ie duroh die Einfiihr~ang des Zeitfa~:tors nimmt. Zeit und E rwar tung sind ju xmtereinander, wie sich ergeben hat, in inni- ger Wei~se verkniipft . Bei diesen Untersuchungen wird man vor allem denjenigen F ragen A~afmerksumkeit zu schenken h,aben, wo es sich ~m V.ari~ationen handelt, damit der bisher nicht behandel te Fak to r der mit jeder ~ari.ation verbundenen Voraussicht nicht Sohwankungen mitmaeht, die anderen Elementen z.ugeschrieben werden. Fruch~bare Bei~spiele der Einff ihrung des Erwar tungs- momentes bilden die schon erw~ih'nten Spezial~heoreme der Duopol- theorie.

Die Ausf i ihrungen diirften gezeigt haben, dalt in der Gleichge- wich~stheorie zumindest ein in se iner Rolle unge'klartes vari~ables Element enthalten i st, yon dem die Theor ie rnit ,abhangig ist. In der Theor ie t r i t t ,al,so eine Verfal,schung ,a~f, deren A~smal~ zurzei t noeh unbek,annt i,st. Die Vermutungen sprechen daf~ir, dal~ diese Verfal- schung nicht ~n, betraehtl ich i,st - - yon den anderen bisher un,berfick- sichtigten Momenten gleicher Ar t gar~z zu schweigen.