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V. Dolmetscherfragen in kirchlichen Zusammen- hängen V. 1 Sprachliche Vermittlungsprobleme auf Synoden des Frühmittelalters Die Akten der frühen Ökumenischen Konzilien sind in der Regel zweisprachig, also griechisch und lateinisch überliefert. Das Verhältnis beider Sprachen ist oft kompliziert und die authentische Sprachform der Akten nicht immer zu klären, damit bleibt auch offen, in welcher Sprache im Konzil selbst geredet, ggf. auch verhandelt wurde, ob Dolmetscher tätig waren. Vor diesem Hintergrund ver- dient die Lateransynode von 649 ein gewisses Interesse. Die Akten dieser Late- ransynode, die keine gesamtkirchliche Geltung erlangte, wurden seit dem 6. Ökumenischen Konzil von 680 schweigend übergangen und verfielen damit dem Verdikt. Überliefert sind auch diese Akten in lateinischer und griechischer Sprache. Erich Caspar hat dazu betont, daß die „Debatten der Synode“ natür- lich in lateinischer Sprache geführt worden seien und daß auch die lateinische Version der Synodalakten original sei. Gleichwohl sei eine „merkwürdige Dop- pelsprachigkeit“ zu verzeichnen, 325 die Peter Classen als „eigenartige Zweispra- chigkeit der Lateransynode von 649 mit lateinischen Klerikern und griechi- schen Mönchen und eologen“ angesprochen hat. 326 Da bereits zu Beginn der zweiten Sitzung eine Gruppe von 36 griechischen Mönchen die Synode bat, Übersetzungen zuzulassen, wird man von regelmäßiger Dolmetschtätigkeit sprechen müssen, ehe die Verhandlungsergebnisse in zwei Sprachen fixiert wur- den. Weitere Zeugnisse, die synodale Verfahrensweisen erkennen lassen, sind rar. Schon deshalb wird man sich mit Einzelaussagen begnügen müssen. In Alkuins Briefsammlung ist ein Brief des Bischofs Georgios von Ostia überliefert, in dem dieser über zwei angelsächsische Reformsynoden des Jahres 786 dem Papst Hadrian I. berichtete. Die Beschlüsse des Concilium Merchiorum seien auch in der Volkssprache verlesen worden: Et in conspectu concilii clara voce singula capi- tula perlecta sunt et tam latine quam theodisce. 327 Für diese gezielte Zweisprachig- keit gibt es eine zeitnahe Parallele. In den Lorscher Annalen heißt es von Karl dem Großen für die Aachener Synode von 802: „Er veranlaßte die Bischöfe zusammen mit den Priestern und Diakonen, daß alle Canones, die die heilige Synode rezipiert hatte, erneut verlesen werden, dazu auch die päpstlichen De- creta, und er befahl, daß sie in Gänze vor allen Bischöfen, Priestern und Diako- Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst Library Authenticated Download Date | 10/9/14 3:28 PM

Vom Dolmetschen im Mittelalter (Sprachliche Vermittlung in weltlichen und kirchlichen Zusammenhängen) || V. Dolmetscherfragen in kirchlichen Zusammenhängen

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V. Dolmetscherfragen in kirchlichen Zusammen-

hängen

V. 1 Sprachliche Vermittlungsprobleme auf Synoden des

Frühmittelalters

Die Akten der frühen Ökumenischen Konzilien sind in der Regel zweisprachig,

also griechisch und lateinisch überliefert. Das Verhältnis beider Sprachen ist oft

kompliziert und die authentische Sprachform der Akten nicht immer zu klären,

damit bleibt auch off en, in welcher Sprache im Konzil selbst geredet, ggf. auch

verhandelt wurde, ob Dolmetscher tätig waren. Vor diesem Hintergrund ver-

dient die Lateransynode von 649 ein gewisses Interesse. Die Akten dieser Late-

ransynode, die keine gesamtkirchliche Geltung erlangte, wurden seit dem 6.

Ökumenischen Konzil von 680 schweigend übergangen und verfi elen damit

dem Verdikt. Überliefert sind auch diese Akten in lateinischer und griechischer

Sprache. Erich Caspar hat dazu betont, daß die „Debatten der Synode“ natür-

lich in lateinischer Sprache geführt worden seien und daß auch die lateinische

Version der Synodalakten original sei. Gleichwohl sei eine „merkwürdige Dop-

pelsprachigkeit“ zu verzeichnen,325 die Peter Classen als „eigenartige Zweispra-

chigkeit der Lateransynode von 649 mit lateinischen Klerikern und griechi-

schen Mönchen und Th eologen“ angesprochen hat.326 Da bereits zu Beginn der

zweiten Sitzung eine Gruppe von 36 griechischen Mönchen die Synode bat,

Übersetzungen zuzulassen, wird man von regelmäßiger Dolmetschtätigkeit

sprechen müssen, ehe die Verhandlungsergebnisse in zwei Sprachen fi xiert wur-

den.

Weitere Zeugnisse, die synodale Verfahrensweisen erkennen lassen, sind rar.

Schon deshalb wird man sich mit Einzelaussagen begnügen müssen. In Alkuins

Briefsammlung ist ein Brief des Bischofs Georgios von Ostia überliefert, in dem

dieser über zwei angelsächsische Reformsynoden des Jahres 786 dem Papst

Hadrian I. berichtete. Die Beschlüsse des Concilium Merchiorum seien auch in

der Volkssprache verlesen worden: Et in conspectu concilii clara voce singula capi-tula perlecta sunt et tam latine quam theodisce.327 Für diese gezielte Zweisprachig-keit gibt es eine zeitnahe Parallele. In den Lorscher Annalen heißt es von Karl

dem Großen für die Aachener Synode von 802: „Er veranlaßte die Bischöfe

zusammen mit den Priestern und Diakonen, daß alle Canones, die die heilige

Synode rezipiert hatte, erneut verlesen werden, dazu auch die päpstlichen De-

creta, und er befahl, daß sie in Gänze vor allen Bischöfen, Priestern und Diako-

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80 Dolmetscherfragen in kirchlichen Zusammenhängen

nen übersetzt werden“ – pleniter iussit eos tradi.328 – Gleichzeitig tagten im Jahr

802 in Aachen Äbte und Mönche: Sie lasen die Benediktsregel, und Sachver-

ständige übersetzten sie – eam tradiderunt sapientes in conspectu abbatum et mo-nachorum.329 Auf der ebenfalls parallel tagenden Aachener Reichsversammlung

von 802 ließ schließlich Karl der Große alle Stammesrechte verlesen. Sie waren

lateinisch fi xiert und wurden jetzt übersetzt: Fecit omnes leges in regno suo legi et tradi.330 Aus dem Jahre 805 ferner datiert ein lateinisches Mahnschreiben Karls

des Großen an Bischof Ghaerbald von Lüttich, in dessen Schlußpassage der

Adressat aufgefordert wird, den Brief wiederholt öff entlich lesen und übersetzen

zu lassen. Zusätzlich sollten gute Dolmetscher in die einzelnen Taufkirchspren-

gel und Klöster seiner Diözese geschickt werden, die alles zu übersetzen hätten,

wie es im Schreiben stünde: et bonos interpretes mittite qui omnia tradant, sicut superius diximus.331

Ein für Synoden vielleicht etwas untypisches Beispiel, das aber in die ange-

schnittenen Zusammenhänge gehört, bietet die Synode von Ingelheim, die im

Juni 948 unter dem Vorsitz eines päpstlichen Legaten tagte. Ernst Dümmler

notierte, daß die Synode „in üblicher Weise mit Gebet, der Verlesung des Evan-

geliums und der Canones eröff net wurde, die man zum Verständnis der Laien

dann in die Volkssprachen übertrug“.332 In Ingelheim waren auch der französi-

sche König Ludwig IV. und der deutsche König Otto I. anwesend und wurden

selbstverständlich bevorzugt behandelt. Denn als es um die Klageschrift des Erz-

bischofs Artold von Reims ging, die an Papst Agapit II. gerichtet werden sollte,

sah man sich veranlaßt, beiden Königen den Text zusätzlich in deutscher bzw.

althochdeutscher Sprache vorzulesen bzw. zu übersetzen (iuxta Teutiscam lin-guam interpretationem).333 Die Angabe legt die Gewißheit nahe, daß der franzö-

sische König zwar ebenfalls nicht hinreichend Latein verstand, wohl aber die

deutsche Übersetzung.

Weil Zeugnisse über synodale Verfahrensweisen außerordentlich selten sind,

sei der Beleg einer französischen Synode hinzugefügt, die 995 in Mouzon tagte

und deren Akten von dem Reimser Erzbischof schriftlich fi xiert wurden, also

von jenem berühmten Gerbert von Aurillac, der vier Jahre später als Silvester II.

den päpstlichen Stuhl bestieg. In Mouzon hatte der Bischof von Verdun ein

päpstliches Schreiben vorzutragen: Er erhob sich (surrexit) et Gallice concionatus est.334 Daß Haimo von Verdun hier sprach, ist verständlich, denn der Bischof der

bilinguen Grenzregion konnte französisch reden; interessanter ist, daß er vor

dem Erzbischof von Reims und vielen Äbten aus Frankreich auf dieser Synode

nicht lateinisch, sondern in der Volkssprache bzw. französisch sprach. Es scheint,

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Auf Synoden des Frühmittelalters 81

als wären auf der Synode weite Th emenbereiche ohnehin in französischer Spra-

che erörtert worden.

Ein anderer Beleg führt in das Schottland der zweiten Hälfte des 11. Jahr-

hunderts. Hier fungierte der schottische König Malcolm III. auf einer von sei-

ner Frau einberufenen Reformsynode als Dolmetscher. Die Verhandlungsspra-

che war nicht Latein, sondern Englisch und die schottisch-gälische Sprache des

Landes. König Malcolm III. wird nachgerühmt, daß er die Anglica lingua und

das Lateinische wie seine schottisch-gälische Muttersprache beherrschte.335

Merkwürdigerweise sprachen auf den britischen Inseln häufi g nicht alle, zu-

mal hohen Kleriker die jeweiligen Volkssprachen, so daß sie oft für ihre Predig-

ten auf Dolmetscher angewiesen waren, was zu bösen Spannungen führen

konnte, erst recht, wenn sogar für die Beichte ein Dolmetschen unentbehrlich

war.336 Dabei kannte das Frühmittelalter längst Predigten in der Volkssprache,

aber eben auch gedolmetschte. Vielleicht war der heilige Lambert, der vermut-

lich 703 ermordete Bischof von Maastricht, sogar eine Ausnahme: quia Th euto-nice lingue peritus erat, et sine interprete sermo conserebatur, predigte er besonders

wirkungsvoll.337 Ein wichtiges Anliegen der bedeutenden Reformsynode von

Tours 813 war u. a., daß die Predigten übersetzt werden sollten, und etwa

gleichzeitig forderte Th eodulf von Orléans, daß jeder Priester in der Kirche

öff entlich nur in der Sprache lehren dürfte, die seine Zuhörer verstehen könn-

ten.338 Resultiert daraus nicht oft genug die Notwendigkeit, Dolmetscher heran-

zuziehen, wird man fragen dürfen. Hier soll die sprachliche Vermittlungs-

thematik auf früh- und hochmittelalterliche Synoden beschränkt bleiben, und

zugleich sei betont, daß die angeführten Belege häufi g beiläufi ge Funde sind.

Auch nur annähernde Vollständigkeit konnte nicht beabsichtigt sein und keine

zusätzliche Orientierung auf hoch- und spätmittelalterliche Synoden. Immer-

hin soll angemerkt werden, daß auf den spätmittelalterlichen Konzilien Latein

die Geschäftssprache war und „in Schrift und Rede eine neue Blüte“ erfuhr.339

Gerade „das Lateinische als Universalsprache der Kirche, der Gelehrten und

Diplomaten“ habe erst zur Realisierung konziliarer Bemühungen entscheidend

beigetragen und „Kommunikation, bei allen Konfl ikten, leicht“ gemacht. Es

besteht allerdings die Vermutung, daß sich solche Feststellungen allzu stark an

der konziliaren Schriftlichkeit orientieren, mindestens die mündlichen Tätig-

keitsbereiche zugunsten der schriftlich fi xierten Reden und Traktate vernachläs-

sigen. Auch hier könnten die Formen der Überlieferung zu vorsichtiger Beurtei-

lung Anlaß geben.

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82 Dolmetscherfragen in kirchlichen Zusammenhängen

V. 2 Sprachliche Vermittlungsprobleme bei Missionspredigten

Ein Blick auf Missions- und Kreuzzugspredigten soll Antworten andeuten. Be-

gonnen sei mit Bedas Nachricht, daß Augustinus mit fast 40 Männern in Bri-

tannien (595/596) gelandet sei, um die Bekehrung des Landes durchzuführen.

Auf Anordnung von Papst Gregor dem Großen habe er vom Stamm der Fran-

ken Dolmetscher erhalten (de gente Francorum interpretes), ohne die off enbar

kaum erfolgversprechende Missionsarbeit zu leisten war.340 Beda wird ferner die

Nachricht verdankt, daß König Oswald von Nordhumbrien (ca. 633–641) dem

iroschottischen Bischof Aidan, den er selbst einst aus Hy-Iona nach Lindisfarne-

Holy Island geholt hatte, bei dessen Missionspredigten als Dolmetscher gehol-

fen hat. Anders als Aidan, qui Anglorum linguam perfecte non noverat, war König

Oswald perfekt zweisprachig: Er hatte nämlich die lingua Scottorum, aus der er

nun dolmetschte, während seines Exils vollständig gelernt (iam plene didice-rat).341 Bedas Nachricht hat im Jahre 1125 Wilhelm von Malmesbury aufgegrif-

fen und in einer für seine Zeit, die off enbar an die Existenz von Dolmetschern

gewöhnt war, vermutlich typischen Weise modifi ziert. Er schrieb nämlich: So-

fern Bischof Aidan seine Hörer (auditores) irisch anzusprechen beabsichtigte

und ein Dolmetscher fehlte (et interpres deesset), sei der König sogleich persön-

lich, sogar in vollem Königsornat, eingesprungen.342 Auch Bischof Colman rief

einmal auf der Synode von Streanaeshalch/Whitby (663/664) seinen Priester

Wilfrid zur Unterstützung, weil dieser „besser und deutlicher in der Sprache der

Angeln als ich durch einen Dolmetscher erklären (könne), was wir meinen“.343

Im Gegensatz auch zu manchen missionsgeschichtlichen Forschungen wird

man nicht nur von häufi g bezeugten mangelhaften Lateinkenntnissen vieler

Missionare ausgehen müssen, sondern auch von mangelnden Kenntnissen des

jeweiligen Missionsraumes, so daß Dolmetschdienste zwingend notwendig

wurden. Außer der Beteiligung fränkischer Dolmetscher an der römischen An-

gelsachsenmission von 595/596 ist auch insbesondere im Umkreis von Winfrid-

Bonifatius das Bemühen belegt, durch sorgfältige Sprachschulung künftiger

Missionare die Sprachhürden zu meistern.344 Noch Otto I. setzte bei der Missio-

nierung des um Altenburg gelegenen Th üringerlandes einen Regensburger

Mönch namens Boso ein, dessen slavische Sprachkenntnisse aus der slavischen

Missionsschule von St. Emmeram stammten.345 Otto von Bamberg dagegen war

bei seiner Slavenmission auf die Unterstützung des christlichen Polenherzogs

angewiesen, der ihm de gente illa tam Slavicae quam Teutonicae linguae gnaros satellites mitgab – also auch Dolmetscher zum Dolmetschen, wie Ottos Heili-

genvita ausdrücklich vermerkt.346

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Bei Missionspredigten 83

Nachträglich muß erwähnt werden, daß Konstantin (Kyrill) und Method,

die „Lehrer der Slaven“, „die Sprache der südslavischen Makedonen/Bulgaren

beherrschten“ und das Slavische als liturgische Sprache einführten.347 Etwa um

863 richtete der byzantinische Kaiser ein Empfehlungsschreiben für Konstantin

an Rastislav von Mähren: Er sende diesem „durch gottes gnade den weisesten

mann, der auch der mährischen sprache mächtig ist; die Mähren möchten nun

nicht säumen sich zu bekehren“.348 Persönlich benötigte Konstantin keinen

Dolmetscher.

Bei der Mission und anschließenden Vertiefung des christlichen Glaubens

konnte sich der lateinische Kirchenritus als Hemmnis erweisen. So berichtet

beispielsweise Adam von Bremen in seiner Bischofsgeschichte der Hamburger

Kirche, der Slawenfürst Gottschalk (1043–1066) habe sich „häufi g ohne Rück-

sicht auf seinen Stand in der Kirche mahnend an das Volk [gewandt], um in

slawischer Sprache die geheimnisvollen Worte der Bischöfe und Priester ver-

ständlich zu machen“.349 Er tat es mit deutlichem Erfolg. Dabei kann off enblei-

ben, ob der Obodritenfürst dolmetschte oder die Glaubensbotschaft inhaltlich

interpretierte. Die deutsche Sprache, vermutlich auch die lateinische, dürfte

Gottschalk im herzoglich sächsischen Kloster Lüneburg gelernt haben, wo er in

seiner Jugend eine Art „wissenschaftlicher Erziehung“ (litteralibus erudiebatur studiis) erhalten hatte.350

An anderer Stelle erwähnt Adam, daß der rechtgläubige Dänenkönig einen

wichtigen Rat erteilt habe. Erzbischof Adalbert plante eine größere Missions-

reise in den Norden, was der König ihm mit bemerkenswerter Begründung aus-

redete: „Er machte ihm nämlich klar, leichter ließen sich die Barbarenvölker

durch Menschen ihrer eigenen Sprache und ähnlicher Lebensart bekehren, als

durch Fremde, die ihre Volksbräuche (ritum nationis) ablehnten. Er brauche nur

durch seine Freigebigkeit und Leutseligkeit die Zuneigung und Treue der Män-

ner zu erwerben, die zur Verkündigung des Gottesworts unter den Heiden zur

Verfügung ständen.“351

Der angeschnittene Missionskomplex soll verlassen werden mit einer für die

livländische Heidenmission typischen Nachricht, die neben dem Einsatz eines

Missionsdolmetschers zusätzliche theatralisch-didaktische Anstrengungen ver-

rät. Zitiert sei aus der livländischen Chronik Heinrichs von Lettland: „Im Win-

ter [des Jahres 1206] wurde mitten in Riga ein sehr schönes Prophetenspiel

aufgeführt, damit die Heidenschaft die Anfangsgründe des christlichen Glau-

bens durch überzeugende Anschauung lerne. Der Inhalt des Spieles wurde den

Anwesenden, sowohl den Neugetauften als den Heiden durch einen Dolmet-

scher aufs sorgfältigste ausgelegt. Als aber die Gewappneten Gideons mit den

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84 Dolmetscherfragen in kirchlichen Zusammenhängen

Philistern stritten, begannen die Heiden aus Furcht, getötet zu werden, zu fl ie-

hen, wurden jedoch behutsam zurückgerufen.“352 Das Rigaer Straßentheater im

Missionseinsatz sollte eine friedliche Alternative zur üblichen „Schwertmission“

sein, es scheiterte aber auch an Unzulänglichkeiten der Dolmetscher. Heinrich

von Lettland, der sich einmal stolz als Bischof Alberts sacerdos […] et interpres nennt, war gewiß am „großen Spiel“ in Riga beteiligt.

V. 3 Sprachliche Vermittlungsprobleme bei Kreuzzugspredigten

Nur kurz kann das Gebiet der Kreuzzugspredigt gestreift werden, wo häufi ger

Dolmetscherhilfe bezeugt ist. Auch Erzbischof Baldwin von Canterbury mußte

sich 1188 seine Kreuzzugsrede für Waliser dolmetschen lassen, ohnehin be-

herrschte längst nicht jeder Kreuzzugsprediger die jeweilige Landessprache.353

Giraldus Cambrensis hat zwar walisisch gesprochen, auf seiner Reise durch

Wales gleichwohl nur in französischer und lateinischer Sprache gepredigt, dabei

aber Verwunderung erregt, weil er Leute zu Tränen gerührt haben soll, die keine

dieser Sprachen kannten.354 In Giralds Verhalten liegen Rätsel, und aufschluß-

reich mag die scherzhafte Bemerkung eines Begleiters sein, wonach Giraldus „ja

viele Leute zum Kreuzzug motiviert (habe), aber wenn er in walisischer Sprache

gepredigt hätte, dann wäre wohl kein Waliser daheim zurückgeblieben“.355 Den-

noch kam es einmal zu einer Probe der Wirksamkeit von Giralds Predigt, denn

nachdem diese von Dolmetschern ins Walisische übersetzt worden war, überleg-

ten es sich viele Zuhörer anders und nahmen ihr Versprechen, ins Heilige Land

zu ziehen, wieder zurück.356 Giraldus war verständlicherweise enttäuscht dar-

über, suchte aber den eigentlichen Grund dafür in der Grobschlächtigkeit des

Dolmetschers.

Ähnliche Schwierigkeiten sind für Bernhard von Clairvaux, den berühmte-

sten Kreuzzugsprediger, nicht bezeugt. Auch deutsche Bevölkerungsgruppen,

die seine Sprache nicht verstanden, wurden von seinen Predigten mitgerissen, so

daß der jeweils nach ihm sprechende Dolmetscher nach unserem Verständnis

eigentlich fast überfl üssig gewesen sein müßte.357 Für Bernhard sind zwei Dol-

metscher gleichwohl zu ermitteln: Spät erst war ein gewisser Heinrich Mönch in

Clairvaux geworden und factus […] est interpres Abbatis, eo quod in utraque lin-gua, Gallica videlicet et Teutonica, multum foret expeditus.358 Ähnlich qualifi ziert

dürfte Salems erster Abt Frowin gewesen sein, der am Bodensee als „Franzose“

galt und zuvor Bernhards langjähriger Reisebegleiter und Dolmetscher gewesen

war.359 Beachtenswert ist auch die Kreuzzugspredigt des zisterziensischen Kardi-

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Latein im kirchlichen Alltag 85

nallegaten Heinrich von Albano, der zuvor Abt von Clairvaux war: „obwohl er

französischer Herkunft und der deutschen Sprache unkundig war, entfl ammte

er mit Hilfe eines Dolmetschers in angenehmer Belehrung die Sinne vieler tüch-

tiger Krieger in Deutschland für den Kreuzzug“.360

Weniger bekannt ist das Wirken eines anderen Zisterziensers, des französi-

schen Wanderpredigers Radulf. In einer für seinen Orden untypischen Weise

zog dieser Mönch im Jahre 1146 mit einigem Erfolg durch die rheinischen

Städte und bewog mit seiner Predigt angeblich „viele Tausende“, das Kreuz zu

nehmen. Dieser Erfolg erscheint aus heutiger Sicht umso beachtlicher, als der

Franzose auf den zweisprachigen Abt Lambert aus dem belgischen Kloster Lob-

bes als Dolmetscher angewiesen war, seine Predigtsprache das rheinische Publi-

kum also inhaltlich nicht unmittelbar erreichte.361

In einem kurzen Zwischenresümee bliebe festzuhalten, daß im kirchlichen

Bereich – für viele Jahrhunderte belegbar – off ensichtlich großer Bedarf an

Kenntnissen in den jeweiligen Volkssprachen bestand, der oft genug zur Heran-

ziehung von Dolmetschern zwang. Deren Einsatzfeld reichte von der Missions-

predigt bis hin zur Kreuzzugspredigt, umfaßte aber auch wichtige Bereiche der

alltäglichen Seelsorge, die sozusagen normale Predigt und off enbar auch gele-

gentliche Hilfe bei der Beichte.

V. 4 Latein im kirchlichen Alltag

Dort, wo der Einsatz dolmetschender Helfer besonders problematisch war, ver-

schärfte sich die Notwendigkeit, daß niederer wie höherer Klerus zweisprachig

waren, und bezieht man die Kenntnisse des Lateinischen ein, sogar häufi g wohl

mehrsprachig sein mußten.

Ehe dieser Aspekt der Zwei-und Mehrsprachigkeit im kirchlichen Bereich

etwas vertieft werden soll, wäre abermals zu unterstreichen, daß nicht einmal

unter Klerikern das Lateinische durchgängige Verkehrssprache sein konnte. Zu

den bisher angeführten Belegen aus dem Synodalbereich seien weitere Andeu-

tungen hinzugefügt: Ekkehard IV. von St. Gallen berichtet eher beiläufi g, daß in

seinem Kloster der Speisemeister (refectorarius) Sindolf, der zum Dekan der

Werkleute (operariorum positus est decanus) bestimmt worden war, selbst kein

Latein verstand.362 Für einen St. Galler Mönch war die Unkenntnis des Latein

immerhin denkwürdig, im Gegensatz dazu ist aber auf Ekkehard II., einen an-

deren Mönch von St. Gallen, hinzuweisen, der eine abendliche Diskussion bei

Kaiser Otto I. und seinem Sohn, König Otto II., „als ein Meister in der Kurz-

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86 Dolmetscherfragen in kirchlichen Zusammenhängen

schrift notierte (und zwar) nahezu lückenlos im selbenWortlaut auf der Schreib-

tafel. Und daran hatte hinterher sein Otto (II.), wie er uns selber berichtet hat,

großen Spaß, da ihm der Text wieder vorgetragen wurde und er selber nichts als

die Abkürzungszeichen auf der Tafel wahrnahm.“363

Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, daß ein Dolmetscher im Mittelalter in

ähnlicher Weise Notizen in Kurzschrift für seine Arbeit genutzt hat, ja über-

haupt entsprechende Fähigkeiten besaß. Es erscheint aber angesichts dieser

St. Galler Nachricht vom Ende des 10. Jahrhunderts nicht ausgeschlossen, daß

gelegentlich auch andere bei ihrer Dolmetschertätigkeit zu kurzschriftlichen

Notizen in der Lage waren. Doch zurück zum Problem der innerklösterlichen

Umgangssprache.

Gottfried von Viterbo, der vor 1184 lange Jahre in Friedrich Barbarossas

Hofkapelle gedient hatte, erinnerte sich mit Dankbarkeit daran, daß man im

Kloster auf dem Bamberger Michelsberg sich nur lateinisch unterhalte, was wie

eine besondere Ausnahme klingt: Nullaque vulgaris vox audet in urbe sonari / Sola solet cunctis lingua Latina dari.364 Andererseits verstanden im berühmten

St. Gallen schon in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts nicht einmal alle

Mönche mehr Latein. Die zumeist fast ausschließlich lateinisch verfaßte Über-

lieferung verdeckt freilich solche Sachverhalte allzuoft. Selbst im Zisterzienser-

orden mußte das Generalkapitel von 1242 zwingend als Qualifi kationskrite-

rium verlangen, daß künftige Äbte in der Lage sein müßten, im Ordensplenum

(dem alljährlichen Generalkapitel) Latein zu sprechen: et in Capitulo generali litteraliter loqui.365

Zu den ganz seltenen Ausnahmen gehört auch ein Blick in den schulischen

Alltag in Magdeburg. Brun von Querfurt (ca. 974–1009) berichtet in seiner

Leidensgeschichte des heiligen Bischofs und Märtyrers Adalbert (von Prag), in

der Domschule von Magdeburg seien „die Hörer“ gewohnt gewesen, „lateinisch

zu sprechen, und es wagte keiner, vor dem Magister in der Volkssprache zu re-

den“.366

Lateinkenntnisse allein reichten aber nicht immer. Als beispielsweise König

Stephan von England (1135–1154) dem Abt Gervasius von Luda einen in Hi-bernia (Irland) gelegenen Ort zur Gründung eines Klosters schenkte, delegierte

Gervasius hierzu seinen Mönch Gilbert. Der hatte jedoch Probleme. Er ging

zum König und beklagte, daß er die Sprache jenes Landes nicht spreche. Der

König erklärte daraufhin, „er werde mit Gottes Hilfe für ihn einen sehr guten

Dolmetscher fi nden: Er rief den Ritter Owein herbei und befahl ihm, mit Gil-

bert zu gehen und mit ihm in Irland zu bleiben.“ Das Kloster wurde gegründet,

beide blieben auch zweieinhalb Jahre dort: „Gilbert war Kellermeister des Klo-

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Fremdsprachen an der Kurie 87

sters und Owein für alle Angelegenheiten im klösterlichen Außenbereich der

Beauftragte, ein gottergebener Amtsträger und sehr zuverlässiger Dolmetscher“

(interpresque fi delissimus).367

Die Notwendigkeit von Dolmetschern in irischen Zisterzen ist häufi ger be-

zeugt. Besonders ragen die Erfahrungen Stephan Lexingtons heraus, der in den

20er Jahren des 13. Jahrhunderts irische Klöster visitierte, deren Konvente sich

konspirativ verhalten hatten, letztlich weil sie Konsequenzen der auch Irland

erfassenden normannischen Invasion nicht hinnehmen wollten. Dies betraf vor

allem die Sprache der anglonormannischen Fremdherrschaft, welche neben die

irische Landessprache treten sollte. Die Äbte sprachen Latein und Französisch,

nicht aber Irisch, die ausschließliche Sprache ihrer irischen Konvente. Aus dem

Sprachkonfl ikt wurde schnell ein ethnischer. Doch der Ordensvisitator blieb

unerbittlich und bestand auf den Sprachforderungen des Generalkapitels der

Zisterzienser: Niemand dürfe künftig in irischen Klöstern als Mönch aufge-

nommen werden, der nicht in französischer oder lateinischer Sprache beichten

könne (nisi qui culpam suam confi teri noverit gallice vel latine).368 In welchem

Umfang Stephan Lexington selbst gegenüber Iren und Walisern auf Dolmet-

scher angewiesen war, bleibt freilich off en.

Andere brauchten sprachliche Vermittlung, denn die Unterschiede zwischen

dem Englischen und dem Irischen waren gravierend. Ein Einzelfall, den die

Fabula ineptissima aus der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts erwähnt, mag das

Problem illustrieren: Ein irischer Mönch befi ndet sich mit Gehilfen auf einer

Pilgerreise durch England. Dort wird er unwissentlich in ein Verbrechen hinein-

gezogen. In dem Moment, in dem er das Haus eines Juden betreten will, den er

für einen Christen hält, wird er von umstehenden Engländern gewarnt – ver-

geblich: At illi non intellexerunt linguam Anglicanam, Hybernienses erant.369

V. 5 Fremdsprachen an der Kurie

Nur schwer erkennbar ist, ob an der Kurie regelmäßig oder nur gezielt auf Dol-

metscher zurückgegriff en wurde. Eine Prüfung dieser Frage kann von der kuri-

alen Legationspraxis ausgehen und dann wenigstens mit einem Blick auf fremd-

sprachigen Unterricht im „Studium an der päpstlichen Kurie“ eine Voraussetzung

zu klären suchen.

Keine unmittelbare Antwort ergibt sich aus Helene Tillmanns Untersuchung

über „Die päpstlichen Legaten in England bis zur Beendigung der Legation

Gualas (1218)“, weil die Päpste bei der „Auswahl der Legationsträger“ hier häu-

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88 Dolmetscherfragen in kirchlichen Zusammenhängen

fi g dem Wunsch der Antragsteller entsprachen. Überhaupt ist durchweg eine

starke Rücksichtnahme auf den englischen König zu erkennen, insofern Ver-

wandte oder Vertraute des englischen Königs regelmäßig als päpstliche Legaten

für England bevorzugt wurden.370 Aus dieser Praxis läßt sich aber auch ablesen,

daß die Kurie darum wußte, wie wichtig für ihre Legaten Vertrautheit mit dem

betreff enden Land und seiner Sprache war.

Bei päpstlichen Legaten für Deutschland entfi elen off enbar solche Vorausset-

zungen. Zwei Beispiele illustrieren den Sonderfall der Kreuzzugspredigt. Zu

1188 berichtet der sogenannte Ansbert, daß der Kreuzzugslegat Heinrich von

Albano, der des Französischen und Deutschen unkundig war, per interpretem gleichwohl mit seiner süßen Rede die Herzen vieler tüchtiger Krieger in Teuto-nia für den Kreuzzug vorbereitet habe.371 Interessant ist vor allem die Redepra-

xis, die auf einen Dolmetscher zwingend angewiesen war und ihn selbstver-

ständlich beizog. Diese Aufgabe schien der Kardinal Johannes von St. Stephan

bei seiner Kreuzzugspredigt auf dem Reichstag von Gelnhausen am 28.10.1195

zu ignorieren. Es war aber ein Glücksfall, daß der Erzbischof Konrad von Mainz

den von seiner Predigt vor sächsischen und thüringischen Fürsten und Herren

erschöpften Kardinal ablöste. Konrad von Mainz „setzte die Predigt in deut-

scher Sprache fort, damit durch die vertrauten heimatlichen Laute diejenigen

zur Kreuznahme bewogen wurden, die der ‚romanisierende‘ Kardinal nicht

hatte überzeugen können. In der Tat hatten seine Worte, unterstützt durch sein

Beispiel (eigener Kreuznahme), glänzenden Erfolg.“372

Ein an der Kurie wohl neu erwachendes Interesse an Missionaren, die auf-

grund ihrer Sprachkenntnisse im Vorderen Orient einsetzbar wären, dokumen-

tiert ein Brief von Innozenz IV. an den Kanzler der Universität Paris vom

22. Juni 1248. Darin teilte der Papst ihm mit, er habe veranlaßt, daß zehn junge

Männer, die des Arabischen und anderer Sprachen des Orients kundig seien,

nach Paris zum Th eologiestudium geschickt werden, um später in den übersee-

ischen Gebieten tätig sein zu können.373 An Dolmetscher ist hier zwar kaum

gedacht, doch die Erkenntnis vom Wert fremder Sprachen bei der Mission ist

deutlich.

Für eine an der Kurie selbst üblicher werdende Praxis, allen reisenden Abge-

sandten einen sprachgewandten Dolmetscher zuzuordnen, spricht eine Anord-

nung von Papst Innozenz IV. vom 18. Februar 1251. Damals schickte er seinen

Kapellan zu Fürsten des Reiches mit einem besonderen Auftrag und verfügte,

daß dieser den frater Th eoderich, magister domus Teutonicorum Prusciae, qui linguam Teutonicam noverit, mitnehme.374

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Fremdsprachen an der Kurie 89

Eine leicht veränderte Verfahrensweise ist für 1278 und 1279 bezeugt, sie

bezieht sich aber off enbar nicht mehr auf Kreuzzugslegationen. In das päpstli-

che Register von Nikolaus III. wurde zum 18.12.1278 eine Anweisung an den

Legaten Giff ridus de Anagnia eingetragen, der zu wichtigen und schwierigen

Verhandlungen zu König Rudolf nach Deutschland reisen sollte. Weil er des

Deutschen und der dortigen Dialekte nicht mächtig war, sollte er einen oder

mehrere, geistliche oder weltliche zuverlässige Leute zu seiner Hilfe als Dolmet-

scher mitnehmen. Überdies sollte er sie schwören lassen, ihm und seinen Ver-

handlungspartnern alle wechselseitigen Verhandlungsbeiträge getreulich zu refe-

rieren und darzulegen. Zusätzlich sollten diese Dolmetscher schwören, daß sie

Verhandlungsgeheimnisse auch später nicht aufdecken würden.375

Der Bischof von Tripolis, der ad partes Alamannie zu schwierigen Verhand-

lungen reisen sollte, erhielt ebenfalls eine solche Instruktion. Sie ist unter dem

Datum vom 3.6.1279 in das päpstliche Register eingetragen und bis auf ganz

geringfügige Abweichungen im Wortlaut identisch mit jener erwähnten Eintra-

gung vom 18.12.1278. Diese lange Zeit nicht erkannten Übereinstimmungen

legen die Vermutung nahe, daß es sich um eine bereits formelhafte Kanzleipra-

xis handelte, mithin muß auf einen wohl häufi ger notwendig gewordenen

Rückgriff auf Dolmetscher bei kurialen Legationen geschlossen werden.376 Be-

achtlich scheint zu sein, daß die päpstliche Instruktion an mehrere interpretes denkt, wesentlich ist auch, daß diesen Leuten Eide abverlangt wurden, korrekte

Dolmetscherdienste zu leisten und Verschwiegenheit zu üben, letztere sogar

noch nach Beendigung der unmittelbaren Verhandlungen. Dieser Befund legt

ein technisch-institutionelles Verständnis der Dolmetschertätigkeit nahe, und

zwar gewiß beiderseits, also seitens der Dolmetscher als auch ihrer Auftraggeber.

Die langfristige Verschwiegenheitspfl icht deutet auch darauf hin, daß solche

Dolmetscher häufi ger Verwendung fanden oder ganz allgemein zur kurialen

Verfügung standen, mindestens verfügbar sein konnten. Die ebenfalls ausdrück-

lich zur korrekten Wiedergabe verpfl ichteten Dolmetscher scheinen über ent-

sprechende sprachliche Voraussetzungen einwandfrei verfügt zu haben, denn

anders hätte die eidliche Verpfl ichtung zum fi deliter referre et exponere recht ge-

ringen Sinn. Qualifi zierte Dolmetscher dieser Art müßten grundsätzlich inner-

halb wie außerhalb der kurialen Geistlichkeit oder ihrer Verwaltung existiert

haben, durften die Legaten doch aliquem vel aliquos religiosos vel seculares fi deles […] interpretes verpfl ichten.

Daß auch in späteren Jahrhunderten päpstliche Legaten, die nach Deutsch-

land geschickt wurden, ihrerseits die Landessprache nicht beherrschten, ergibt

sich bereits aus dem Sonderfall des griechischen Kardinals Bessarion, der zusätz-

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90 Dolmetscherfragen in kirchlichen Zusammenhängen

lich zu seiner Muttersprache fl ießend Lateinisch und Italienisch in Schrift und

Wort beherrschte und auf seiner Legationsreise 1460 in Wien auch die teusch zungen gelert (gelernt) hat.377 Dieses Beispiel zeigt, daß der Legat intensiv be-

müht war, die notwendige Sprachpraxis in dem ihm bislang unbekannten Land

sich anzueignen. Da Bessarions Sprachkenntnisse jedoch als ganz außergewöhn-

lich herausgestellt wurden, ergibt sich wohl im Umkehrschluß ein im allgemei-

nen recht regelmäßiges Defi zit. Nicht uninteressant ist aber auch, daß Bessarion

in Wien seine Begrüßungsrede vor Abgesandten des Mainzer Erzbischofs ins

Deutsche von Johann Hinderbach übersetzen ließ. In ähnlicher Weise wie Bes-

sarion wurde der aus dem französischen Südwesten stammende und des Deut-

schen unkundige Ablaßlegat Raimund Peraudi in Deutschland von einem Dol-

metscher begleitet.378

Einen knappen Einblick in kuriale Tätigkeitsbereiche gewährt die Rech-

nungslegung päpstlicher Kollektoren im 14. Jahrhundert. Petrus Durandi, sei-

nerseits Kanoniker der Kathedrale von Embrun und päpstlicher Kaplan, no-

tierte unter seinen Ausgaben im August 1319 eine Art Sonderposten. Er bezog

sich auf nuncii, die von Mainz zur Römischen Kurie reisten und hob einen

deutschen nuncius hervor, der einen anderen nichtdeutschen nuncius bis zur

Grenze Deutschlands führte und dafür 10 Haller Schillinge erhielt.379 Im De-

zember 1319 ergibt sich ein ähnlicher Posten. Der päpstliche Kollektor gab ei-

nem namentlich nicht genannten deutschen Diener einen ausgewiesenen Geld-

betrag mit der Begründung, dieser habe den nuncius geführt auf dem Weg bis

zur deutschen Sprachgrenze (usque ad egressum lingue Th eutonice).380 Sieht man

von den sehr bemerkenswerten Belegen für eine real und präzis empfundene

Sprachgrenze hier einmal ab, so bleibt als Faktum, daß päpstliche Boten im

deutschen Sprachraum auf sprachkundige Reiseführer bzw. auf Dolmetscher

angewiesen waren und daß diese für ihren Dienst eine Besoldung erhielten, die

korrekt gegenüber den kurialen Schatzmeistern abgerechnet wurde, also nicht

beiläufi g war.

V. 6 Von der Kurie organisierter Fremdsprachenunterricht

Off en bleibt bei allen bisherigen Nachrichten, woher die kurialen Dolmetscher

ihre Kenntnisse und ihre speziellen Fähigkeiten hatten. Dies führt unter ande-

rem zur Frage, ob ggf. an der Kurie selbst entsprechende Sprachkenntnisse und

Fähigkeiten erwerbbar waren bzw. gelehrt wurden. In der Tat lassen sich erste

Ansätze eines an der Kurie organisierten Fremdsprachenunterrichts zu Beginn

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Von der Kurie organisierter Fremdsprachenunterricht 91

des 14. Jahrhunderts nachweisen. Zwar ist nicht eindeutig, daß diese Sprach-

kurse speziell für Dolmetscher durchgeführt wurden, doch lohnt es insgesamt,

den interessanten Details etwas Aufmerksamkeit zu widmen.

Eine grundlegende Entscheidung für einen kurialen Sprachunterricht brachte

das Konzil von Vienne 1311/12. Im Vorfeld des Konzils hatte Ramon Lull nach

mehrmaligen Anläufen im Mai 1309 Papst Clemens V. eine entsprechende Bot-

schaft überreicht, den Liber de acquisitione Terrae Sanctae. In ihr betonte er, daß

für die Konsolidierung der geforderten Unterwerfung des Heiligen Landes und

die Bekehrung seiner Bewohner „die Kenntnis der orientalischen Sprachen un-

erläßliche Vorbedingung sei“. Ramon Lull sprach sich daher für Studienzentren

in Paris, Rom und Toledo aus, in denen Arabisch, Hebräisch, Griechisch und

Tatarisch gelehrt werden solle.381 Das Konzil modifi zierte den Vorschlag und

erweiterte ihn noch: Vorgesehen wurde die Errichtung von Schulen „und zwar

am römischen Hof, gleich wo er residiert, sowie an den Zentren der gelehrten

Studien zu Paris, Oxford, Bologna und Salamanca. In jeder dieser Schulen soll

es katholische Professoren geben, die eine genügende Kenntnis der hebräischen,

arabischen und chaldäischen Sprache besitzen, je zwei Fachleute für jede Spra-

che: Sie versehen die Leitung der Schule, übersetzen die verschiedenen in diesen

Sprachen verfaßten Werke getreulich ins Lateinische und lehren diese Sprachen

selbst andere, so daß ihre Schüler hinreichend unterrichtet mit Gottes Hilfe die

erhoff te Frucht bringen und den Glauben unter den im Unglauben lebenden

Völkern verbreiten können.“382 Das Konzil nahm dieses Dekret sehr ernst, wie

sich an den Finanzregelungen erkennen läßt: „Die Begleichung der Unkosten

und Honorare wird am römischen Hof der Apostolische Stuhl übernehmen; in

Paris der König von Frankreich; in Oxford die Prälaten, Klöster, Kapitel, Kon-

vente, exemten und nichtexemten Kollegien von England, Schottland, Irland

und Wales; ebenso wird man in Italien für Bologna verfahren und in Spanien

für Salamanca.“383

Zumindest partielle Vorbilder gab es in Sevilla schon länger. Denn laut Stif-

tungsbrief hatte Alfons der Weise das dortige Studium 1254 für Latein und

Arabisch, was für Missionszwecke notwendig war, gegründet.384 Schon 1250

sollte an spanischen Dominikanerschulen aus dem gleichen Grunde Arabisch

gelehrt werden. Ob aber des Ordensgenerals Humbert noch weiterreichender

und allgemeiner Appell von 1255 ad linguam arabicam, hebraicam, grecam seu aliam barbaram addiscendam befolgt wurde, bleibt etwas undeutlich.385 Für die

Mission war ein Bedarf an sprachkundigen Leuten jedoch off enkundig, und als

spezielle Zielgruppe galten diejenigen Dominikaner, die in fremde Länder ge-

hen sollten bzw. gehen würden. Aus diesem Sachverhalt könnte man auch

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92 Dolmetscherfragen in kirchlichen Zusammenhängen

schließen, daß sie selbst von Dolmetschern ganz oder mindestens weitgehend

unabhängig werden sollten. Jedenfalls ließ Humbert „umgehend“ von Spanien

aus „das Missionswesen […] zentralistisch organisieren und Sprachschulen für

Arabisch, Griechisch und Hebräisch einrichten, deren Besuch für die Missio-

nare obligatorisch wurde“.386

Die Realisierung dieser alten Beschlüsse blieb schwierig. Immerhin sind

Konzentrationsbemühungen erkennbar, wenn das Generalkapitel der Domini-

kaner 1291 beschloß, es sollten „immer in der Hispania“ Lehranstalten in he-braico et in arabico bestehen.387 Gewiß nicht besser waren die entsprechenden

Studienbedingungen im Franziskanerorden. Roger Bacon beispielsweise,388 der

sich für das Fremdsprachenstudium einsetzte und selbst Kenntnisse des Hebrä-

ischen, Arabischen und Griechischen erworben hatte, tadelte allgemein die

franziskanischen Studienverhältnisse: „Kaum jemand außer den englischen Mi-

noriten beschäftige sich mit dem Studium von Griechisch, Hebräisch, Arabisch

oder Chaldäisch.“389

Konkrete Belege für kurialen Sprachunterricht fi nden sich in den Gehaltsli-

sten der apostolischen Kammer unter Johann XXII. Am 19. November 1317

wird fr. Conrado, electo magistro linguarum in curia das Gehalt bezahlt,390 beim

nächsten Zahlungstermin wird er archiepiscopus, magister linguarum genannt.391

Konrads Nachfolger ist bei der Gehaltszahlung vom 8.4.1318 fr. Bonifacius, magister linguarum de novo deputatus per dominum nostrum.392 Zehn Jahre lang

(letztmalig am 13.8.1328) erscheint er in den Gehaltslisten, nach ihm fehlen

lange (besoldete) Sprachlehrer, und der Abt Barlan von St. Salvator in Konstan-

tinopel, der 1342 an der Kurie Griechisch las (in curia legenti grecum)393 wie

auch der gleichzeitig besoldete Narsesius archiep. Manesgarden. similiter in curia legenti, der ab August 1343 zweimonatliche Gehaltszahlungen erhielt,394 könn-

ten bereits Ausnahmen sein.

Nicht erkennbar ist, welche Sprachen von den erwähnten Konrad und Boni-

facius gelehrt wurden. Armenisch dürfte es nicht gewesen sein, denn vom

19. September 1321 bis zum 28. Mai 1323 werden Raynerio de Costansa presbi-tero et Alexandro Petri clerico, nuntiis regis Ermenie, qui debent docere in curia linguas eorum, von der apostolischen Kammer Saläre angewiesen.395 Diese Ge-

sandten des armenischen Königs fungierten sozusagen als außerplanmäßige

Lehrer ihrer Landessprache – vermutlich für die Dauer ihres längeren Aufent-

haltes an der Kurie.

Die gewiß nicht zahlreichen vorgelegten Zeugnisse erlauben immerhin die

Feststellung, daß an der Kurie regulärer Fremdsprachenunterricht stattfand.

Damit ist aber nicht gesagt, wo und in welcher Zuordnung solcher Unterricht

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Von der Kurie organisierter Fremdsprachenunterricht 93

erteilt wurde, auch ist die Palettenbreite des Fremdsprachenangebots nicht voll

erkennbar. Als institutioneller Bezug käme durchaus die Romana curia oder

Kurien-Universität in Frage, die sich seit 1245 entwickelte, teils parallel zur rö-

mischen Stadtuniversität (seit 1303), teils zur Universität Avignon (ebenfalls seit

1303).396 Ausdrücklich belegt ist der Fremdsprachenunterricht an der Kurien-

Universität jedoch nicht.

Gelöst waren die Fremdsprachenprobleme trotz mancher Ansätze ohnehin

nicht, doch das Bewußtsein ihrer anhaltenden Bedeutung blieb erhalten. In

Papst Gregors XI. Kanzleiregel vom 11.6.1373 wird deutlich, daß etwa im Pfar-

reibereich die lateinische Sprache nicht ausreicht, sondern lokale bzw. regionale

Sprachkenntnisse vorhanden sein müssen. Mit dieser Erkenntnis dürften euro-

paweite Dimensionen angesprochen sein. So wird als Bedingung genannt: per-sona ipsa bene intelligat et intelligibiliter loquatur ydioma illius loci, ubi dicta par-rochialis ecclesia consistat – daß „die Person die Sprache des Ortes, wo die

Pfarrkirche steht, gut versteht und sie verständlich spricht“.397

Sorgen bereitete die Sprachausbildung wohl regelmäßig. So forderte Pierre

d‘Ailly 1416 in seiner Schrift über „die Kirchenreform“ u. a. eine strenge Aus-

wahl bei akademischen Prüfungen und Stellenbesetzungen, denn „so erhielte

man Lehrer der Rhetorik und der Griechischen und Lateinischen Sprache – Un-

kenntnis in diesen Fächern ist für die Kirche überaus schädlich“.398 Der Begrün-

dung kann man folgen, insbesondere auch den nachdrücklichen Hinweis auf

das Griechische positiv vermerken. Daß aber auch das Lateinische dazu gehört,

ist fast nicht zu glauben und stellt Teilbereichen der zeitgenössischen Priester-

ausbildung ein vernichtendes Zeugnis aus. Ein solches fand sich schon bei Matt-

häus von Krakau, der im Vorfeld des Konstanzer Konzils in seiner Schrift von

1403 über den „Sumpf der Römischen Kurie“ (De squaloribus curie Romane) Mißstände bei Beichtvätern anprangerte, wo widersinnig das Amt des Poeniten-

tiars verkauft werde, auch an inkompetente und manchmal sogar an „völlig

ungebildete und unerfahrene, mitunter auch [an] Leute, die kein Wort Latein

sprechen können“.399

Das Anprangern solcher Mißstände war gravierend, es beschäftigte auch das

Konzil von Basel. Im Reformdekret der 19. Sitzung vom 7. September 1434

ging es um Judenbekehrung: „Damit aber diese Predigt um so mehr Frucht

bringt, je größere Sprachkenntnisse die Prediger haben, befehlen wir, es solle in

jeder Weise die vom Konzil von Vienne erlassene Konstitution befolgt werden

über die beiden Lehrbeauftragten in den dort genannten Studien für hebräische,

arabische, griechische und chaldäische Sprache.“400 Die Baseler Konzilsväter ver-

gaßen nicht, auch angemessene Vergütungen für die Leiter der entsprechenden

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94 Dolmetscherfragen in kirchlichen Zusammenhängen

Studienhäuser zu verlangen, was unbedingt für die Ernsthaftigkeit ihres Anlie-

gens spricht.

Im Jahr darauf, am 14. Mai 1435, regelte das Baseler Konzil auf Antrag Bi-

schof Michaels von Samland, daß die Neugetauften jeweils in ihrer Sprache

geistlich zu betreuen seien.401 Bei diesen Personen an der Grenze von Samaiten

handelte es sich gewiß um litauische Einwanderer. Da die überlieferte Konzils-

bulle von Leuten verschiedener Sprache (diversarum linguarum) spricht, ist ein

großes Ausmaß an Pfl ichten zu erkennen, die dem Bischof oblagen, aber kaum

zu bewältigen waren. Zum Völkergemisch in Samaiten gehörten Deutsche,

Preußen, Russen (Ruthenier), Polen, Masowier, Litauer und Livländer. Ob ih-

nen allen gegenüber die Konzilsforderung realisierbar war, bleibt off en.402 Ande-

rerseits waren die Beichtabnahmen mit Dolmetscherhilfe ein äußerst gravieren-

der Mißstand, der nach Korrekturen förmlich schrie: Pfarrer, die in den

Grenzgebieten ipsorum parrochianorum ydeoma intelligibiter loqui ignorantes con-fessiones per interpretes audire presumunt […], et plerique ex ipsis parrochianis hoc modo confi teri erubescentes moriuntur non confessi seu in peccatis sordere dinoscun-tur in grave periculum animarum. Künftig dürften die Pfarrstellen nur mit Per-

sonen besetzt werden,„die die Sprache der Pfarrkinder intellibiliter sprechen

und die Beichte ohne Dolmetscher abnehmen können“. 403

Kaum erkennbar ist, ob solche und ähnliche Forderungen vorgeordneter

kirchlicher Instanzen erfüllt werden konnten. Zum einen liegt dies an Mängeln

in der Überlieferung, zum anderen gewiß daran, daß allgemeine Verhältnisse

nur selten schriftlichen Niederschlag fanden. Dabei ist die Hinzuziehung von

Dolmetschern (Tolken) für den Gottesdienst keine beiläufi ge Angelegenheit,

die beliebig herbeigeführt werden konnte. So gibt es noch 1547 anläßlich einer

Kirchenvisitation in Pobethen im Samland das Verlangen, den dortigen Pfarrer

abzuberufen, weil er für den (preußischen) Gottesdienst keinen Tolken benutze.

Die Kirchenvisitation von 1569 vermerkte dann auch, daß man in Pobethen

keinen Tolken habe.404 Andererseits gab 1595 der namentlich bekannte Paul

Megott an, „er habe in Pobethen 40 Jahre lang als Tolke gedient in preußischer,

kurischer und litauischer Sprache, auch bei der Übersetzung des Katechismus

geholfen“.405 Diese Nachrichten stehen nicht isoliert. In Zinten beispielsweise

wird 1543 „den Undeutschen“ ein Tolk bestellt und im Visitationsrezeß von

1575 dazu erläuternd bemerkt: „hier ist ein Tolk von Nöten, der dem polni-

schen Gesinde den Katechismus polnisch vorsage“. Einen polnischen Tolken

gab es dann in Zinten bis 1630.406

Unverhältnismäßig reich dokumentiert für das einschlägige Interesse am

Dolmetschen und an Dolmetschern ist der missionarische und diplomatische

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Kommunikation der Kurie mit fremden Herrschern 95

Verkehr zwischen der päpstlichen Kurie und dem Orient im 13. und 14. Jahr-

hundert. Berthold Altaner hat die betreff enden Quellen eingehend untersucht

und sowohl Probleme des einschlägigen Sprachunterrichts an der Kurie als auch

die Tätigkeit von Dolmetschern in den östlichen Reichen behandelt.407 Er

spricht ausdrücklich vom „Dolmetscherwesen“, das auf römisch-katholischer

Seite für den Orient, vornehmlich im Verkehr mit Kleinarmenien, dem arabisch

sprechenden Orient und für die Beziehungen zu den Tataren benötigt wurde

und teilweise auch zur Verfügung stand. Freilich zeigte sich bei den zumeist

angemieteten Dolmetschern oft eine beachtliche Einseitigkeit, etwa wenn sie

sich als unfähig bekannten, theologische Fragen zu vermitteln oder solche Texte

zu übersetzen.408 Gravierender noch war es, daß ein Dolmetscher selten mehrere

Fremdsprachen beherrschte, was für die Übersetzung schriftlicher Botschaften

oft mehrstufi ge Translationsvorgänge erforderte und auch mündliche Verhand-

lungen mitunter unmöglich machte.409 Dabei waren außer lateinischen und

griechischen Sprachkenntnissen solche des Syrischen, das auch als das Arabische

bezeichnet wurde, des Persischen, des Tatarischen, des Türkischen und des Fran-

zösischen gefragt. In einigen Fällen verfügten die asiatischen Adressaten über

einen eigenen „Dolmetscherapparat“, doch waren die Schwierigkeiten im

mündlichen wie schriftlichen Verkehr mit dem Orient außerordentlich groß.

Am Beispiel der Tatarenfahrten des Dominikaners Fr. Ascelinus, des Franzis-

kaners Johannes Pian Carpino, des Dominikaners Andreas Longjumeau, die in

getrennten Gesandtschaften im Auftrag von Papst Innozenz IV. 1245 zu den

Tataren aufbrachen und am Beispiel des gleichfalls berühmten Franziskaners

Wilhelm Rubruk, der 1253 seine Missionsreise ins Land der Tataren begann,

sind die Schwierigkeiten und auch Versuche, diese zu meistern, gut zu verfol-

gen.410

V. 7 Dolmetscher für die Kommunikation der Kurie mit fremden

Herrschern

Es klang bereits an, daß die Kurie dem gezielten Erwerb von Sprachkenntnissen

Bedeutung zumaß, wenngleich off en blieb, ob entsprechende Bemühungen von

Dauer waren, unklar auch, in welchem Ausmaß solche Fremdsprachenkompe-

tenz benötigt und genutzt wurde. Diese Frage lenkt den Blick auf relevante

Außenkontakte der Kurie und insbesondere auf diplomatische Beziehungen zu

Herrschern in Europa und Asien. Allerdings gilt das Interesse bei all diesen Kon-

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96 Allgemeine Fremdsprachenkenntnisse

takten ausnahmslos der sprachlichen Verständigung, den Möglichkeiten und

Schwierigkeiten oraler Kommunikation.

Begonnen sei mit Kontakten zu Byzanz. Berthold Altaner hat 1936 einen

Beitrag über „Die römische Kurie und Konstantinopel“ vorgelegt und insbeson-

dere betont, daß bei den Unionsverhandlungen zwischen Rom und den griechi-

schen Kaisern während des 13. und 14. Jahrhunderts „die Byzantiner in der

Regel diejenigen [waren], die durch Abordnung von Dolmetschern selbst die

Durchführung der Verhandlungen ermöglichten“.411 Die päpstliche Seite

konnte seltener sprachkundige Delegationsmitglieder aufbieten, oft genug

wurde darüber auch geklagt. Humbert von Romans machte 1274 allerdings die

Einschränkung, daß die Dolmetscher ggf. verläßlich sein müßten. Die griechi-

sche Seite war besser mit Dolmetschern ausgestattet, so beispielsweise 1348 und

1352, als in Avignon verhandelt wurde und ein Nicolaus, interpres maior sowie

später Raphael, episcopus Archadiensis OFM, genannt werden. Als auf dem Kon-

zil von Lyon (1274) über die Union mit den Griechen verhandelt wurde, wirkte

auf Seiten des Kaisers Michael Paläologus ein Grieche als Gesandter und Dol-

metscher zugleich.

Es ist unverkennbar, daß es wegen fehlender Dolmetscher zu beachtlichen

Mißerfolgen kommen konnte. Beispielsweise war die Kurie 1351 nicht in der

Lage, den Gesandten, die nach Armenien reisten, einen Dolmetscher zuzuord-

nen, so daß es bei einer reinen Briefübergabe bei dem Katholikos der Armenier

blieb, Verhandlungen mangels Sprachkenntnissen bzw. deren Überbrückung

durch Dolmetscher hingegen entfi elen. Da über Mißerfolge nicht oder eher

verschleiernd berichtet wird, ist mit einer größeren Dunkelziff er von Fällen

sprachlichen Unverständnisses zu rechnen.

Auff ällig ist, daß besonders die päpstliche Seite von mangelnder Sprachkom-

petenz recht oft betroff en war, was in gewissem Gegensatz zu fremden Völkern

steht. 1233 begegnete ein Dominikaner im fernen Osten in Orenburg einem

tatarischen Gesandten, der „deutsch, ungarisch, russisch, kumanisch, saraze-

nisch und tatarisch sprach“.412 Dies war kein Einzelfall, denn tatarische Herr-

scher waren off enbar durchweg bemüht, geeignete Dolmetscher für etwa anfal-

lenden Bedarf zur Verfügung zu haben. So hatten es bereits die Hunnen getan.

Auf Dolmetscher angewiesen war der russische Erzbischof Petrus bei seiner

Teilnahme am (I.) Konzil von Lyon 1245. Er selbst verstand weder „lateinisch,

noch griechisch, noch hebräisch“, doch sein Anliegen vertrat er „sehr gut (per-optime) gegenüber dem Papst mit Hilfe eines Dolmetschers“. 413

Statt weiterer Einzelbeispiele sei das Problem des mündlichen Sprachkon-

takts zwischen dem päpstlichen Hof und den Höfen fremder Völker noch ein-

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Kommunikation der Kurie mit fremden Herrschern 97

mal angesprochen. Von einem ‚geordneten Dolmetscherwesen‘ wird man an der

mittelalterlichen Kurie kaum sprechen können, vielleicht war das Bedürfnis

nach einem solchen auch nicht allzu eklatant, denn die Gesandten, die nach

Rom kamen und ihr Begehren vortrugen, brachten selbst Dolmetscher mit oder

mieteten sie vor Ort. In dieser Situation befand sich der byzantinische Hof

nicht, aber aus vermutlich schon sehr traditionellen Gründen und Einsichten

gab es mit dem interpres maior an der Spitze ein „besonderes Hofamt“. Dies hat

B. Altaner belegt, der auch für Ägypten von einer Konzentration des Dolmet-

scherwesens in der „Staatskanzlei“ und von zum Teil ähnlichen Verhältnissen in

„den islamischen Staaten Nordafrikas, Kleiasiens und Syriens“ spricht, auch auf

die Tataren verweist.414 So wird man für das Papsttum einstweilen nicht von ei-

nem geordneten Dolmetscherwesen sprechen können, doch sind selbst bei an-

ders gearteten Verhältnissen und entsprechend geringerem Bedarf immerhin

beachtenswerte Ansätze vorhanden gewesen. Erstaunlich bleibt gleichwohl, daß

die Kurie die Bedeutung unterschätzte, die hinreichender Sprachkompetenz bei

mündlicher Kontaktnahme und Kommunikation zukam.

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