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Vom Kohlenstoff Zur DNA_Leseprobe

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Die organische Chemie beschäftigt sich mit der Chemie des Lebens. Deshalb schien sie auch etwas Besonderes zu sein: Während die anorganische Chemie auf einfachen, physikalischen Regeln basierte, glaubte man, dass man für die organische Chemie eine besondere Lebenskraft benötigte.Erst im 19. Jahrhundert erkannte man, dass es diese Lebenskraft gar nicht gab, sondern dass die organische Chemie denselben Regeln gehorcht wie die anorganische Chemie.Dennoch ist die organische Chemie besonders. Sie konzentriert sich auf die Chemie des Kohlenstoffs, dem wandlungsfähigsten Element des Periodensystems. Nur dem Kohlenstoff ist es möglich, beliebig lange Ketten zu bilden, womit er die Basis aller organischen Moleküle wie dem Alkohol, Zucker, Fetten, Proteinen und der DNA bildet, aber auch der Ausgangsstoff der Kunststoffchemie ist.Diese Einführung in die organische Chemie bietet einen kleinen Einblick in die Vielfalt der Kohlenstoffverbindungen.

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Vom Kohlenstoff zur DNA

Eine kleine Einführung

in die organische Chemie

Kurt Martin

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Copyright © 2015 Kurt Martin, Red Horse, München

Red Horse sind: Peter Hauser, Kurt Martin und Jack Eden

Email: [email protected] http://www.facebook.com/pages/Red-Horse/148020228618240

All rights reserved.

Das komplette Buch finden Sie hier: http://www.amazon.de/dp/B019UXGZW4

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1. EINLEITUNG

2. DIE ANFÄNGE

2.1. Von der Lebenskraft zur Kohlenstoffchemie

2.2. Der Kohlenstoff

3. KOHLENSTOFFVERBINDUNGEN

3.1. Allgemeines

3.2. Kohlenwasserstoffe 3.2.1. Gesättigte Kohlenwasserstoffe 3.2.2. Ungesättigte Kohlenwasserstoffe 3.2.3. Aromatische Kohlenwasserstoffe 3.2.4. Halogenierte Kohlenwasserstoffe

3.3. Funktionelle Gruppe 3.3.1. Alkohole 3.3.2. Aldehyde und Ketone 3.3.3. Carbonsäuren 3.3.4. Amine

4. ISOMERIE

4.1. Chiralität

4.2. Weitere Isomerien

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5. REAKTIONEN

5.1. Einführung

5.2. Substitution

5.3. Addition

6. POLYMERE

6.1. Polymerisation

6.2. Kunststoffe

6.3. Biopolymere 6.3.1. Kohlenhydrate 6.3.2. Lipide 6.3.3. Proteine 6.3.4. Nukleinsäuren

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1. Einleitung Schon früh wussten die Menschen, dass man Stoffe verändern konnte, wenn sie zum Beispiel kochten, Farben mischten oder Bronze herstellten. Und sie sahen auch, dass Lebewesen ebenfalls Stoffe umwandeln konnten, wenn sie zum Beispiel Leben gebaren oder Lebensmittel verdauten. Doch obwohl in beiden Fällen Stoffe ineinander umgewandelt wurden, so hatte doch niemand Zweifel daran, dass es sich um zwei grundverschiedene Fälle handeln musste: Im ersten Fall wurden leblose Dinge ineinander umgewandelt, im anderen Fall war die Umwandlung Teil des Lebens. Während die Umwandlung im ersten Fall eine einfache chemische Reaktion war, die nach physikalischen Gesetzen ablief, brauchte man im zweiten Fall eine Lebenskraft, damit die Umwandlung stattfinden konnte. Damit hatte man die Grenze zwischen anorganischer und organischer Chemie definiert: Letztere konnte es nur geben, weil ihr eine Lebenskraft innewohnte. Diese schöne Trennung geriet ins Wanken, als es dem deutschen Chemiker Friedrich Wöhler im Jahr 1828 gelang, Harnstoff außerhalb eines Organismus herzustellen. Er braucht nur einige Chemikalien zu verrühren, so als koche er einen Kuchen, und erhielt den organischen Harnstoff – ohne irgendeine Lebenskraft bemühen zu müssen. Vielleicht war der Unterschied zwischen der organischen und der anorganischen Chemie doch nicht so groß, wie man immer gedacht hatte? Tatsächlich stellte sich heraus, dass man alle Chemikalien der organischen Chemie mit gewöhnlichen Mitteln der anorganischen Chemie herstellen kann; es braucht dafür keine besondere Lebenskraft. Die Organik und die Anorganik gehorchen denselben Gesetzen. Und eigentlich hätte man diese Unterscheidung damit fallenlassen können.

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Eine kleine Besonderheit haben die organischen Moleküle aber dennoch: Sie bauen auf dem Kohlenstoff auf. Und der Kohlenstoff ist wahrlich ein bemerkenswertes Molekül. Der Kohlenstoff kann bis zu vier Bindungen eingehen. Und er ist das einzige Molekül, welches scheinbar endlose Ketten bilden kann. Kohlenstoff kann sich beliebig oft an Kohlenstoff reihen. Kein anderes Element besitzt diese Fähigkeit. Das zweiterfolgreichste in dieser Hinsicht, das Silizium, erlaubt es gerade einmal, Ketten aus bis zu fünfzehn Atomen zu formen – ein Bruchteil dessen, was mit Kohlenstoff möglich ist. Damit kann der Kohlenstoff eine Vielfalt an Verbindungen schaffen, die kein anderes Element erreicht. Deshalb sind der Kohlenstoff und seine Verbindungen die Verbindungen, die das schaffen, was wir Leben nennen. Und so bezeichnet man heute die Kohlenstoffchemie als organische Chemie – hat aber im Hinterkopf, dass auch der Kohlenstoff denselben physikalischen und chemischen Gesetzen gehorcht wie alle anderen Elemente. Mit seiner Variabilität schafft der Kohlenstoff Millionen verschiedener Verbindungen. Diese Vielfalt an Verbindungen nutzen wir zum Beispiel industriell aus, um die Kunststoffe herzustellen, die unser modernes Leben prägen. Und die Natur nutzt diese Vielfalt aus, um die zahllosen Proteine herzustellen, die in unserem Körper die unterschiedlichsten Aufgaben wahrnehmen, aber auch unsere Nährstoffe wie die Kohlenhydrate und Fette und nicht zuletzt den Speicher unserer Erbinformation, die DNA. Diese kleine Einführung in die organische Chemie erzählt die Geschichte von der Entdeckung der Kohlenstoffchemie bis zur Entschlüsselung der Erbinformation.

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2. Die Anfänge

2.1. Von der Lebenskraft zur Kohlenstoffchemie

Die Anfänge der modernen Chemie reichen bis ins 17. Jahrhundert zurück. Etwa zwanzig Jahre nach Galileos Tod und gut fünfundzwanzig Jahre vor Newtons Veröffentlichung der Principia Mathematica, die die damals bekannte Physik beschrieb, veröffentlichte im Jahr 1661 der britische Naturphilosoph Robert Boyle ein Buch mit dem Titel „The Sceptical Chymist“ (Der skeptische Chemiker), in dem er versuchte, die Chemie auf eine wissenschaftliche Basis zu stellen. Berühmt wurde das Buch vor allem durch seine Definition der Elemente als Stoffen, die durch chemische Mittel nicht weiter zerlegt werden können. Diese Definition ist auch heute noch gültig. Vorher hatte man Feuer, Erde, Luft und Wasser als die grundlegenden Elemente betrachtet, aus denen sich alle anderen Stoffe zusammensetzen. Im Jahr 1669 entdeckte der deutsche Alchemist Henning Brand mit dem Phosphor das erste Element der Neuzeit, den in den nächsten Jahren zahlreiche weitere Elemente folgen sollten. Doch die moderne Chemie begann erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, gut 100 Jahre nach der Veröffentlichung Boyles, als der französische Chemiker Antoine Laurent de Lavoisier die Verbrennung als eine Reaktion der Ausgangssubstanz mit dem Sauerstoff der Luft beschrieb. Nun verstand man immer besser, wie sich durch die Kombination der verschiedenen Elemente die Stoffe bildeten, die wir in unserer Natur wahrnahmen. Diese Kombination konnte auf zwei verschiedenen Arten geschehen: Anorganische Substanzen wurden durch die geschickte Hand des Chemikers hergestellt. Der Chemiker brachte die entsprechenden Elemente

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zusammen, beachtete einige Besonderheiten der Rezepturen, wie die eingebrachten Mengen der Chemikalien oder die Temperatur, und am Ende erhielt er die gewünschte Substanz. Anders schien dies bei den organischen Substanzen zu sein. So brauchte man Lebewesen, um Zucker herzustellen. Ende des 18. Jahrhunderts hatte der englische Naturforscher Joseph Priestley gezeigt, dass Pflanzen Kohlendioxid atmen. Ganz offensichtlich nutzen sie das Kohlendioxid, um andere chemische Verbindungen wie den Zucker herzustellen. Doch diese Umwandlung, so die vorherrschende Meinung, die der schwedische Chemiker Jöns Jakob Berzelius im Jahr 1808 formulierte, musste anders verlaufen als die Umwandlung anorganischer Stoffe, die der Chemiker in seinem Labor vornehmen konnte. Schließlich handelte es sich bei Lebewesen um lebendige Wesen und nicht um leblose Dinge wie einen Stein. Die Welt der Biologie, die von diesen lebendigen Wesen handelte, musste eine ganz andere sein als die Welt der Physik, die sich mit den Bewegungen lebloser Objekte befasste. Der Unterschied zwischen Lebewesen und leblosen Objekte war nach damaliger Auffassung eine „Lebenskraft“. Bei Menschen mochte man sie Seele nennen, bei niederen Tieren stritt man sich, ob sie eine vollständige Seele besaßen oder nur ein schwaches Abbild davon. Doch wie auch immer sie im Detail aussah: Leben brauchte eine Lebenskraft. Und chemische Umwandlungen, die in einem Lebewesen stattfanden, mussten irgendwie an diese Lebenskraft gekoppelt sein. Ohne die Lebenskraft wäre kein Leben möglich – und damit auch keine chemische Umwandlung, die für Lebewesen charakteristisch ist. Die Chemie war also so etwas wie eine Mittlerin zwischen der Physik und der Biologie, doch die Disziplin der anorganischen Chemie, die den physikalischen Gesetzen gehorchte und im Labor vollzogen werden konnte, unterschied sich grundlegend von der Disziplin der organischen Chemie, die eine Lebenskraft benötigte. Diese scharfe Trennlinie wurde im Jahr 1828 vom deutschen Chemiker Friedrich Wöhler durchstoßen. Wöhler ließ

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Silbercyanat (AgNCO) mit Ammoniumchlorid (NH4Cl) reagieren – und erhielt dabei Harnstoff (CH4N2O):

Der Harnstoff (siehe Abbildung 1) ist der Hauptbestandteil des Urins – und damit ohne jeden Zweifel eine organische Substanz. Und genauso sollte es ohne jeden Zweifel unmöglich sein, Harnstoff wie eine x-beliebige Chemikalie einfach im Labor herstellen zu können, schließlich gab es in den kalten Glasgefäßen des Chemikers keine Lebenskraft.

Nun hatte Wöhler aber Harnstoff im Labor hergestellt – und die Chemiker begannen, ihre Trennung der Welt in organische und anorganische Substanzen zu überdenken. Gänzlich fiel diese Trennung zusammen, als es im Jahr 1897 dem deutschen Chemiker Eduard Buchner gelang, die alkoholische Gärung – ein unzweifelhaft mit dem Leben verbundener Stoffwechselprozess – in einem Reagenzglas ablaufen zu lassen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war die Theorie der Lebenskraft nicht mehr aufrecht zu halten.

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Da nun gezeigt worden war, dass die gleichen Gesetze und Regeln, die für die anorganische Chemie galten, auch für organische Chemie galten, hätte man die Einteilung der Chemie in Anorganik und Organik beenden können. Doch auch wenn die organische Chemie die Idee von der Lebenskraft aufgeben musste, so waren ihre Verbindungen doch etwas Besonderes. Denn obwohl sich die organischen Verbindungen allein um das Element Kohlenstoff gruppieren, gibt es von diesen Kohlenstoffverbindungen mehr Verbindungen als von allen anderen Elementen. Momentan schätzt man die Zahl der bekannten Kohlenstoffverbindungen auf über 40 Millionen. Offensichtlich hat der Kohlenstoff etwas, das kein anderes Element besitzt. Und so hielt man die Unterteilung der Chemie in anorganische und organische Chemie bei, definiert die organische Chemie aber nun nicht mehr über die „Lebenskraft“, sondern bezeichnet die Chemie des Kohlenstoffs als organische Chemie.

2.2. Der Kohlenstoff

Der Kohlenstoff gehört zur vierten Hauptgruppe des Periodensystems der Elemente. Er kann in verschiedenen Formen vorkommen, etwa als weiches Graphit oder als harter Diamant, und ist in diesen Formen schon seit dem Altertum bekannt. Der Kohlenstoff hat die Ordnungszahl 6, er besitzt also sechs Protonen und sechs Elektronen. Zwei dieser Elektronen füllen die innerste Schale vollständig auf, während die anderen vier Elektronen die zweite Schale besetzen. Diese besteht aus einem s-Orbital, welches sich kugelförmig um den Kern ausdehnt, und drei p-Orbitalen, welche hantelförmig entlang der drei Achsen eines Koordinatensystems liegen. Die Abbildung 2 zeigt die drei Orbitale, dargestellt als Isoflächen, d.h. man sieht die Begrenzungsfläche, wo die Aufenthaltswahrscheinlichkeit, das Elektron anzutreffen, 90% erreicht.

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Man sieht, dass die Elektronen sich im 2s-Orbital näher am Kern befinden als die Elektronen in den 2p-Orbitalen. Dies führt dazu, dass die Elektronen in den 2s-Orbitale stärker vom Kern angezogen werden und diese deshalb energetisch niedriger liegen. Die Elektronen sollten deshalb das 2s-Orbital vollständig besetzen, und die verbleibenden beiden Elektronen verteilen sich auf die p-Orbitale (siehe Abbildung 3).

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Betrachten wir nun ein Molekül wie das Methan (CH4), bei dem ein Kohlenstoffatom eine Bindung mit vier Wasserstoffmolekülen eingeht. Bei der kovalenten Bindung teilen sich die Atome teilweise ihre Valenzelektronen. Ein Wasserstoffelektron könnte das 2px-Orbital auffüllen, ein weiteres das 2py-Orbital und zwei weitere könnten helfen, das 2pz-Orbital zu füllen. Damit hätte der Kohlenstoff die Edelgaskonfiguration erreicht und seine Elektronenschale aufgefüllt. Allerdings ist die letzte Bindung keine Bindung mit dem Kohlenstoff, sie wird ja nur von Elektronen des Wasserstoffs gebildet. So kann der Kohlenstoff also keine Bindung eingehen. Nun könnte man sich vorstellen, dass bei der Bindung ein Elektron des 2s-Orbitals in das 2pz-Orbital wechselt. Dann würde sich ein Wasserstoffelektron mit je einem Elektron des Kohlenstoffs aus der zweiten Schale paaren. In diesem Fall hätte man vier echte Bindungen. Allerdings unterscheidet sich das 2s-Orbital energetisch von den 2p-Orbitalen. Damit sollte sich auch die Bindung des 2s-Orbitals mit dem Wasserstoff von den Bindungen der 2p-Orbitale mit dem Wasserstoff unterscheiden. Doch dies beobachtet man nicht. Alle vier Bindungen sind gleichwertig. Der amerikanische Physiker Linus Pauling schlug 1931 eine Lösung für dieses Rätsel vor: Die vier Atomorbitale des Kohlenstoffs (das 2s- und die drei 2p-Orbitale) überlagern sich zu vier gleichwertigen Orbitalen. Man spricht von Hybridorbitalen (vom Lateinischen hybrida – Mischling), genauer von sp3-Hybridorbitalen, da ein s- und drei p-Orbitale sich überlagern. Die Hybridorbitale sind energetisch und chemisch identisch. Sie werden durch Linearkombinationen aus den vier Atomorbitalen gewonnen. Im Methanmolekül erhält man damit vier bindende und vier antibindende Molekülorbitale, wobei nur die vier bindenden vollständig besetzt sind (siehe Abbildung 4).

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Alle vier Molekülorbitale sind sogenannte σ-Orbitale. Damit meint man, dass die Orbitale rotationssymmetrisch zur Bindungsachse sind (wären sie das nicht, würde man sie als π-Orbitale bezeichnen). Wir können leicht sehen, dass dies korrekt ist, wenn wir uns die räumliche Ausrichtung der sp3-Hybridorbitale überlegen: Die Orbitale sind von Elektronen besetzt, d.h. sie sind alle negativ geladen und stoßen sich voneinander ab. Zugleich sind sie aber auch an das Kohlenstoffatom gebunden, d.h. sie können sich nicht beliebig weit voneinander entfernen. Tatsächlichen gehen die sp3-Hybridorbitale von einem Zentrum weg und zeigen in die Ecken eines Tetraeders; hier haben sie den maximal möglichen Abstand zueinander. Abbildung 5 zeigt das Stäbchenmodell des Methans. Der rot gezeichnete Kohlenstoff sitzt im Zentrum, die vier Wasserstoffatome zeigen in die Ecken eines gedachten Tetraeders. Der Winkel zwischen zwei Hybridorbitalen beträgt 109,5°.

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Die aus den 1s-Orbitalen und den vier Hybridorbitalen des Kohlenstoffs geformten Molekülorbitale sind rotationssymmetrisch zu den jeweiligen Verbindungsachsen zwischen Kohlenstoff und Wasserstoff, so dass es sich tatsächlich um σ-Orbitale handelt. Der Kohlenstoff kann aber auch andere Verbindungen eingehen. Eine Verbindung ist das Ethen (C2H4). Hier bildet der Kohlenstoff eine Doppelbindung aus, es sind also zwei Wasserstoffatome an je ein Kohlenstoffatom gebunden und die beiden Kohlenstoffatome sind untereinander mit einer Doppelbindung verbunden:

Wie bildet aber nun der Kohlenstoff die Doppelbindung, wenn die Orbitale so hybridisiert sind, dass sie in die Ecken eines Tetraeders zeigen? Dies ist schwierig zu realisieren. Es zeigt sich, dass in diesem Fall nur zwei p-Orbitale mit dem s-Orbital hybridisieren, während ein

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p-Orbital unverändert bleibt. Die Doppelbindung wird dann von dem p-Orbital und einem Hybridorbital geformt, während die beiden anderen Hybridorbitale sich mit den beiden Wasserstoffatomen verbinden. Man spricht von einer sp2-Hybridisierung. Die Hybridorbitale sind in einer Ebene angeordnet und zeigen in die Ecken eines Dreiecks (siehe Abbildung 6). Die Winkel zwischen den Orbitalen betragen 120°. Das Hybridorbital resultiert in einer σ-Bindung, das nicht hybridisierte p-Orbital liefert eine π-Bindung zur Doppelbindung.

Der Kohlenstoff kann auch eine Dreifachbindung ausbilden, z.B. beim Ethin (C2H2). Hier bleiben zwei p-Orbitale unverändert und bilden eine Zweifachbindung, während das s und ein p-Orbital sich zu einem sp-Hybridorbital verbinden. Von den beiden Orbitalen des sp-Hybridorbitals verbindet sich eines mit dem Wasserstoff, das andere Orbitale stellt die dritte Bindung zum Kohlenstoff her. Die Hybridorbitale sind in diesem Fall längs ausgerichtet und bilden einen Winkel von 180°. Eine sp-Hybridisierung hat man zum Beispiel auch beim Kohlendioxid (CO2), wo der Kohlenstoff zu jedem Sauerstoffatom eine Doppelbindung aufbaut. Das Besondere am Kohlenstoff ist nun aber nicht, dass er verschiedenen Hybridisierungen eingehen und Einfach-, Doppel- und Dreifachbindungen aufbauen kann. Das wirklich besondere

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ist die Fähigkeit des Kohlenstoffs mit anderen Kohlenstoffatomen beliebig lange Ketten zu Formen. Ein Kohlenstoffatom kann sich an ein anderes Kohlenstoffatom binden und immer so weiter. Bisher ist nicht bekannt, dass es eine maximale Länge für diese Ketten gäbe. Anders sieht dies beim nächsten Nachbarn des Kohlenstoffs aus, dem Silizium. Auch Silizium kann Ketten bilden (die Silane), allerdings liegt die maximale Kettenlänge hier bei 15 Silizium-Silizium-Bindungen. Damit verteidigt das Silizium souverän den zweiten Platz der kettenbildenden Elemente, aber seine Leistung verblasst neben Fähigkeiten des Kohlenstoffs. Und die Ketten des Kohlenstoffs müssen ja noch nicht einmal linear sein. Sie können auch noch zahllose Abzweigungen aufweisen. Nur so ist die Vielfalt der organischen Verbindungen möglich – und nur so ist das Leben möglich, welches eine derartige Vielfalt an Verbindungen benötigt.

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3. Kohlenstoffverbindungen

3.1. Allgemeines

Der Kohlenstoff verbindet sich am häufigsten mit Wasserstoff. Dabei kann es, wie schon beschrieben, vorkommen, dass der Kohlenstoff nur Einfachbindungen aufweist. Dann spricht man von einer gesättigten Verbindung. Weist der Kohlenstoff in dem Molekül Doppel- oder Dreifachbindungen auf, dann spricht man von ungesättigten Verbindungen. Neben dem Wasserstoff verbindet sich der Kohlenstoff auch noch recht häufig mit Sauerstoff und Stickstoff, aber auch mit zahlreichen anderen Elementen wie Schwefel oder Phosphor. Die reinen Kohlenwasserstoffe sind genau genommen recht langweilig. Wasserstoff und Kohlenstoff besitzen annähernd dieselbe Elektronegativität (Wasser hat eine Elektronegativität von 2,2 und Kohlenstoff von 2,55 auf der Pauling-Skala). Die Elektronegativität beschreibt, wie stark ein Atom ein Elektron anzieht, d.h. der Wasserstoff und der Kohlenstoff ziehen die Elektronen etwa gleich stark an. Die Bindung ist also unpolar. Anders ist dies, wenn sich Kohlenstoff mit anderen Elementen verbindet. Stickstoff hat eine Elektronegativität von 3,04, Sauerstoff gar von 3,44. Diese Bindungen sind deshalb polar – und hier findet die interessante Chemie statt. Die chemische Reaktivität einer Kohlenstoffverbindung wird im Wesentlichen von diesen Molekülteilen bestimmt. Man spricht daher von funktionellen Gruppen. Ganz pragmatisch teilt man organische Moleküle deshalb in einen Kohlenwasserstoff-Teil ein (den man oft auch nur als Rest (R) bezeichnet) und den funktionellen Teil. Bekannte funktionelle Gruppen sind der Alkohol mit einer OH- oder Hydroxyl (manchmal auch Hydroxy)-Gruppe, Aldehyde

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und Ketone mit einer C=O- oder Carbonyl-Gruppe, Carbonsäuren mit einer COOH- oder Carboxyl-Gruppe und Amine mit einer NH2- oder Amino-Gruppe (siehe Abbildung 7).

Auch wenn die Kohlenwasserstoffe, der Rest, an sich chemisch recht langweilig sind, so sind sie doch ein Hauptbaustein der Kohlenstoffverbindungen. Außerdem bestimmen sie in der Regel die Größe Kohlenstoffverbindung, weshalb wir uns zuerst mit den Kohlenwasserstoffen befassen wollen.

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3.2. Kohlenwasserstoffe

Die Kohlenwasserstoffe sind weit verbreitet. Sie finden sich in allen lebenden Organismen. Die Hauptquellen für die chemische Industrie sind die fossilen Brennstoffe wie Erdöl, Erdgas und Kohle. Doch selbst im Weltall, auf Kometen und in interstellarer Materie findet man einfache Kohlenwasserstoffe wie Methan und Ethan, aber auch komplizierte Verbindungen wie Aminosäuren. Die Kohlenwasserstoffe kann man in drei Gruppen unterteilen: Die gesättigten, die ungesättigten und die aromatischen Kohlenwasserstoffe.

3.2.1. Gesättigte Kohlenwasserstoffe

Die gesättigten Kohlenwasserstoffe weisen nur Einfachbindungen auf. Man bezeichnet diese Kohlenwasserstoffe auch als Alkane. Das kleinste Alkan ist das schon erwähnte Methan. Es besteht aus einem Kohlenstoffatom, um das sich vier Wasserstoffatome gruppieren. Die weiteren Alkane erhält man, indem man an das Kohlenstoffatom jeweils ein weiteres Kohlenstoffatom mit einer Einfachbindung hinzufügt und die ungesättigten Bindungen des Kohlenstoffs mit Wasserstoffatomen auffüllt. Das Alkan mit zwei Kohlenstoffatomen ist das Ethan (C2H6), dann kommt das Butan (C3H8), Propan (C4H10), Pentan (C5H12) und immer so weiter. Die Bezeichnung der Alkane für mehr als fünf Kohlenstoffatome leitet sich von dem griechischen Zahlwort ab, an das die Endung „–an“ gehängt wird. Die Summenformel der Alkane ist CnHn+2. Die Kohlenstoffverbindungen können auf unterschiedliche Weise dargestellt werden. Die Abbildung 8 zeigt einige gleichwertige Darstellung für das Pentan C5H12=H3CCH2CH2CH2CH3. Bei der ersten Darstellung wird versucht, die dreidimensionale Form des Moleküls darzustellen. Die ausgemalten Dreiecke zeigen auf den Betrachter hin, die

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gestrichelten zeigen vom Betrachter weg. Die zweite und dritte Darstellung sind am geläufigsten, die vierte Version, bei der man die Kohlenstoff- und Wasserstoffatome weglässt, wird vor allem bei sehr großen Molekülen benutzt, um das Bild des Moleküls durch die immer gleiche Darstellung von Kohlenstoff- und Wasserstoffatomen nicht zu unübersichtlich werden zu lassen.

Man kommt von den Alkanen zu einem Kohlenwasserstoffrest, der sich zum Beispiel an eine funktionelle Gruppe binden kann, wenn man ein Wasserstoffatom wegnimmt. Diese Reste werden

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als Alkyle bezeichnet und bekommen die Enden „-yl“ (siehe Abbildung 9).

Verzweigte Kohlenstoffketten erhält man, indem man ein Wasserstoffatom zum Beispiel gegen ein Alkyl austauscht. Wenn man nun einen Kohlenwasserstoff mit mehreren Kohlenstoffatomen hat, dann möchte man natürlich wissen, an welcher Stelle man den Wasserstoff durch ein Alkyl ersetzt hat. Um dies zu kennzeichnen, fügt man vor dem Namen die Ziffer des Kohlenstoffatoms ein, an welchem die Substitution stattgefunden hat. Nehmen wir als Beispiel das Butan. Am zweiten Kohlenstoffatom soll ein Wasserstoff gegen einen Methylrest

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ausgetauscht werden. Das Molekül heißt dann 2-Methylbutan. Es ist in Abbildung 10 dargestellt.

Wenn man Abbildung 10 genauer betrachtet, dann stellt sich die Frage, von welcher Seite man zählen soll. Wir sind hier von rechts gekommen und haben an das zweite Kohlenstoffatom die Methylgruppe angefügt. Genauso gut hätte man von links zählen können, dann hätte man die Methylgruppe an das dritte Kohlenstoffatom angefügt, und dasselbe Molekül müsste 3-Methylbutan heißen. Hier gilt allerdings die Regel, dass die Bezifferung so gewählt wird, dass sie möglichst niedrig ist. Ein 3-Methylbutan gibt es deshalb nicht. Was wäre nun, wenn man die Methylgruppe an das erste Kohlenstoffatom angefügt hätte? Hätte man dann ein 1-Methylbutan? Wenn man die Kette einfach um eine weitere Methylgruppe verlängert, dann hat man einfach das nächsthöhere Alkan, in diesem Fall wäre es einfach das Pentan. Ein 1-Methylbutan gibt es deshalb ebenfalls nicht. Natürlich kann man auch mehrere Alkylgruppen an ein Kohlenwasserstoffmolekül anbringen. Abbildung 11 zeigt ein Heptanmolekül, an das drei Methylgruppen angebracht wurden, und zwar an den Positionen 2, 3 und 5. Damit heißt das Molekül 2,3,5-Trimethylheptan.

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Kommen wir noch einmal zum 2-Methylbutan zurück. Dieses Molekül besitzt fünf Kohlenstoffatome und zwölf Wasserstoffatome. Seine Summenformel ist deshalb C5H12, und dies ist auch die Summenformel des Pentans. Wenn zwei unterschiedliche Moleküle dieselbe Summenformel haben, dann spricht man von Isomerie. Auf die unterschiedlichen Arten der Isomerie werden wir später noch einmal genauer eingehen. Um unverzweigte Moleküle wie das Pentan von seinem verzweigten Pendant wie das 2-Methylbutan zu unterscheiden, bezeichnet man die unverzweigten Moleküle auch mit einem „n-“, während die verzweigten ein „i-“ bzw. die Vorsilbe „iso-“ erhalten. Damit steht i- oder iso-Pentan für das verzweigte Molekül, n-Pentan für das unverzweigte Molekül. Die Siedepunkte der unverzweigten Formen sind durchweg höher als die der verzweigten Formen, da sich zwischen den langgetreckten Kohlenstoffketten leichter Anziehungskräfte ausbilden können, die beim Verdampfen überwunden werden müssen. So siedet n-Pentan bei 36°C, Isopentan aber schon bei 28°C. Die Alkane sind wie alle unpolaren Kohlenwasserstoffe in Wasser unlöslich (als hydrophob), lösen sich jedoch gut in organischen Lösungsmitteln (sie sind lipophil). Bei Normalbedingungen (also Raumtemperatur und Atmosphärendruck) sind Alkane bis zum Butan gasförmig, dann flüssig und ab etwa 18 Kohlenstoffatomen haben die Alkane eine wachsartige Konsistenz.

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3.2.2. Ungesättigte Kohlenwasserstoffe

Ungesättigte Kohlenwasserstoffe sind Kohlenwasserstoffe, die mindestens eine Doppelbindung haben. Besitzen die Kohlenwasserstoffe genau eine Doppelbindung, dann bezeichnet man sie als Alkene. In Alkenen sind die doppelbindenden Kohlenstoffatome sp2-hybridisiert. Die Doppelbindung besteht aus einer σ-Bindung der Hybridisierung und der π-Bindung des nicht hybridisierten p-Orbitals. Die Alkene werden wie die Alkane benannt, nur lautet die Endung diesmal „-en“. Ein Methen gibt es nicht, da es ja nur ein Kohlenstoffatom enthielte, was naturgegeben keine Doppelbindung ausüben kann. Das erste Alken ist das Ethen, dann kommt das Propen, Buten und so weiter (siehe Abbildung 12).

Beim Buten und Verbindungen mit mehr Kohlenstoffatomen muss man aber bedenken, dass die Doppelbindung nun an verschiedenen Stellen liegen kann. Beim Buten kann die erste Bindung eine Doppelbindung sein, oder die zweite (mittlere); die

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dritte Bindung als Doppelbindung wäre identisch zur ersten, weshalb sie nicht weiter betrachtet wird. Um diese Modifikationen zu unterscheiden, gibt man im Namen des Alkens auch noch an, an welcher Stellung die Doppelbindung zu finden ist, d.h. man hat ein 1-Buten oder ein 2-Buten. Die allgemeine Summenformel der Alkene lautet: CnH2n. Weist ein Kohlenwasserstoff mehr als zwei Doppelbindungen auf, dann spricht man von Polyenen. Der Name der Verbindung hängt von der Anzahl der Doppelbindungen ab. Bei zwei Doppelbindungen spricht man von Dienen, bei drei von Trienen, bei vier Doppelbindungen von Tetraenen usw. Ein Pentan mit zwei Doppelbindungen heißt damit Pentadien. Je nachdem, wie die Doppelbindungen zueinander liegen, kann man drei Fälle unterscheiden (siehe Abbildung 13). Bei der kumulierten Doppelbindung liegen zwei Doppelbindungen nebeneinander. Das zentrale Kohlenstoffatom ist sp-hybridisiert, d.h. die Doppelbindungen sind linear. Bei der konjugierten Doppelbindung sind die Doppelbindungen durch genau eine Einfachbindung getrennt. Die betroffenen Kohlenstoffatome haben genau drei Bindungspartner und sind sp2-hybridisiert. Die π-Bindungen der nicht-hybridisierten p-Orbitale stoßen aneinander, d.h. die Elektronen können sich in der π-Elektronenwolke ausbreiten. Sie sind delokalisiert, und alle Bindungen haben einen partiellen Doppelbindungscharakter. Dies stabilisiert die Verbindung.

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Bei der isolierten Doppelbindung sind die Doppelbindungen durch mindestens zwei Kohlenstoff-Einfachbindungen voneinander getrennt, d.h. die Doppelbindungen wechselwirken nicht miteinander. Neben Doppelbindungen kann der Kohlenstoff auch Dreifachbindungen aufbauen. Kohlenwasserstoffe mit Dreifachbindung werden Alkine genannt. Vertreter sind das Ethin oder 1-Butin (siehe Abbildung 14). Die Summenformel für Alkine lautet CnH2n-2.

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Die kettenförmigen Kohlenwasserstoffe (egal ob gesättigt oder ungesättigt) bezeichnet man auch als Aliphate. Da die Bindungen des Kohlenstoffs bei der Hybridisierung unter bestimmten Winkeln stattfinden, kann er ebenfalls ringförmige Verbindungen aufbauen, die als cyclische Kohlenwasserstoffe bezeichnet werden. Die Bezeichnung der cyclischen Kohlenwasserstoffe wird von den Namen der linearen Kohlenwasserstoffe abgeleitet, es wird nur ein „Cyclo-“ davorgesetzt. Ringe aus vier oder weniger Kohlenwasserstoffen stehen unter einer starken Spannung und sind nicht stabil. Die Gruppe der cyclischen Wasserstoffe beginnt deshalb in der Regel mit dem Cyclopentan, dann kommt das Cyclohexan (siehe Abbildung 15), aber es gibt ebenso cyclische Kohlenwasserstoffe mit Doppelbindungen wie das Cyclopenten, Cyclohexen und so weiter.

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Eine besondere Gruppe der cyclischen Kohlenwasserstoffe fiel schon früh durch ihren recht angenehmen (aromatischen) Geruch auf, weshalb man sie als Aromate bezeichnete. Sie bilden die dritte Gruppe der Kohlenwasserstoffe.

3.2.3. Aromatische Kohlenwasserstoffe

Der wohl bekannteste Vertreter der aromatischen Kohlenwasserstoffe ist das Benzol. Dabei handelt es sich um eine Verbindung aus sechs Kohlenstoffatomen und sechs Wasserstoffatomen (C6H6). Lange war es unklar, wie die Atome in diesem Molekül angeordnet sind. Die Lösung fand schließlich der deutsche Chemiker August Kekulé im Jahr 1865 (es soll im Traum eine Schlange gesehen haben, die sich in den Schwanz beißt): Das Benzol-Molekül ist kein langgestrecktes Molekül, sondern bildet einen Ring, wie ihn Abbildung 16 darstellt.

Die Winkel zwischen den Kohlenstoffbindungen betragen 120°. Man hat also eine sp2-Hybridisierung des Kohlenstoffs: Ein Hybridorbital bindet den Wasserstoff an den Kohlenstoff, die beiden anderen Hybridorbitale stellen die Verbindung zu den benachbarten Kohlenstoffatomen her.

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Dann bleibt pro Kohlenstoff noch ein Elektron in einem p-Orbital. Theoretisch könnte man mit den sechs Elektronen der p-Orbitale drei bindende π-Molekülorbitale füllen. Aber wo liegen diese? Man könnte sich vorstellen, dass zwischen zwei Kohlenstoffatomen eine Doppelbindung herrscht, zwischen den Nachbarn dann aber nur eine Einfachbindung. Dafür gäbe es aber mehrere Möglichkeiten, die Abbildung 17 zeigt zwei extreme Grenzfälle. Solche Grenzfälle möglicher Bindungsverhältnisse werden als Mesomerie bezeichnet.

Welche von den beiden Grenzfällen (oder irgendeine Zwischenform) wird nun in der Natur realisiert? Es zeigt sich, dass die Bindungen zwischen den Kohlenstoffatomen völlig gleichwertig sind. Es ist nicht möglich, die Bindungen zu unterscheiden, so als gäbe es gar keine Doppel- und Einfachbindungen, sondern nur eine Bindungsart. Und das ist tatsächlich auch der Fall. Das Benzol-Molekül erhält ein p-Elektron von jedem Kohlenstoff. Jeder Kohlenstoff hat damit auch an den entstehenden π-Molekülorbitalen denselben Anteil. Man kann nicht sagen, dass ein π-Orbital zwischen zwei Kohlenstoffatomen konzentriert sei – und an einer anderen Stelle gibt es das Elektron nicht. Die π-Orbitale sind über das ganze Benzolmolekül „verschmiert“; es handelt sich um delokalisierte Orbitale. Diese findet man, wie schon erwähnt, in

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konjugierten Doppelbindungen. Diese delokalisierten Orbitale deutet man beim Benzol-Molekül durch einen Kreis an, der in die Strukturformel einbeschrieben wird (siehe Abbildung 18).

Wird vom Benzolmolekül ein Wasserstoffatom entfernt (d.h. man hat nur C6H5), dann spricht man von einer Phenylgruppe. Zwei Phenylgruppen können sich miteinander verbinden und Biphenyl bilden, einen farblosen, kristallinen Feststoff, der als Fungizid eingesetzt wird (siehe Abbildung 19).

Phenylgruppen können aber auch Wasserstoffatome bei Kohlenwasserstoffen ersetzen. So können zwei Phenylgruppen zwei Wasserstoffatome des Methans ersetzen und Diphenylmethan bilden, welches als Lösungsmittel für Farbstoffe benutzt wird (siehe Abbildung 20).

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Es ist aber auch möglich, dass sich mehrere Ringe direkt miteinander verbinden. Solche Verbindungen werden Polycyclische aromatische Kohlenwasserstoffe (kurz: PAK) genannt. Der einfachste PAK ist das Naphthalin (C10H8), eine Verbindung aus zwei Benzolringen (siehe Abbildung 21). Naphthalin ist ein farbloser Feststoff, der wegen seines charakteristischen Geruchs früher ein Hauptbestandteil von Mottenkugeln war. Heute wird Naphthalin nur noch als Zwischenprodukt in der Synthese von Kunststoffen eingesetzt.

Zu den PAKs zählt man auch Verbindungen, die keine reinen Kohlenwasserstoffe sind, sondern Sauerstoff, Stickstoff oder andere Elemente beinhalten. In der Summe kommt man so auf einige hundert PAKs. PAKs sind ein natürlicher Bestandteil von Kohle und Erdöl, und sie entstehen bei der unvollständigen Verbrennung organischer Verbindungen. PAKs sind deshalb weltweit nachzuweisen, was ein Problem ist, da viele von ihnen eindeutig krebserregend und giftig sind. So kann der kurze Kontakt mit PAKs schon zu Hautentzündungen sowie Reizungen der Atemwege, Augen und

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des Verdauungstraktes. Eine technische Bedeutung haben PAKs deshalb kaum.

3.2.4. Halogenierte Kohlenwasserstoffe

Eine spezielle Gruppe der Kohlenwasserstoffe entsteht, wenn man den Wasserstoff ganz oder teilweise durch Halogene ersetzt. Am häufigsten nutzt man hierfür das Chlor, doch es gibt auch fluorierte, bromierte oder iodierte Kohlenwasserstoffe. Die Halogene sind deutlich größer und massereicher als der Wasserstoff. Dies hat zur Folge, dass die halogenierten Methan- und Ethanderivate nicht gasförmig, sondern flüssig sind. Außerdem schirmen die großen Halogene den zentralen Kohlenstoff vor anderen Molekülen, insbesondere dem Sauerstoff gut ab, so dass halogenierte Kohlenwasserstoffe nur schlecht verbrannt werden können. Diese Reaktionsträgheit machte man sich vor allem bei den Fluorchlorkohlenwasserstoffen (FCKWs) zunutze. Bei den FCKWs sind einige oder alle Wasserstoffatome durch Chlor- und Fluoratome ersetzt worden. Die ersten FCKWs (siehe Abbildung 22), das Trichlorfluormethan (CFCl3, unter dem Namen „Frigen 11“ im Handel) und das Dichlordifluormethan (CF2Cl2, als „Frigen 12“ im Handel) waren 1929 vom amerikanischen Chemiker Thomas Midgley bei General Motors synthetisiert worden. Midgley bewies die Harmlosigkeit der Substanzen, indem er sie einatmete und damit eine Kerze ausblies. Ein paar Jahre vorher hatte er für General Motors das Tetraethylblei (Pb(CH2CH3)4)) entwickelt, welches als „Blei“ dem Benzin zugesetzt wurde, um das „Klopfen“, also das unkontrollierte Zünden vom Benzin im Verbrennungsraum, zu vermeiden. Dank dieses Zusatzes wurde über Jahrzehnte giftiges Blei durch die Autos in die Atmosphäre abgegeben.

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Die FCKWs wurden als Treibgase, Kältemittel oder Lösungsmittel verwendet, da sie ja chemisch völlig inert zu sein schienen. Dies ist auch in der unteren Atmosphäre der Fall. Doch da FCKWs nicht reagieren, reichern sie sich in der Atmosphäre an und steigen langsam nach oben. In den oberen Schichten der Atmosphäre ist die UV-Strahlung deutlich stärker als auf der Erdoberfläche. Sie ist hier so stark, dass ein Chloratom von den FCKWs abgespalten werden kann, welches dann mit dem dort vorhandenen Ozon (O3) reagiert und es zu molekularem Sauerstoff (O2) abbaut. Doch das Ozon in den oberen Schichten schützt uns vor der UV-Strahlung der Sonne. In den 1980er Jahren beobachtete man das erste Mal Ozonlöcher über den Polen, also Bereiche, wo das Ozon teilweise völlig abgebaut worden und die UV-Schutzschicht verschwunden war. Da man befürchtete, dass die FCKWs bei noch höherer Konzentration die Ozonschicht global abbauen könnten, wurde ab den 1990er Jahren die Verwendung von FCKWs weltweit stark eingeschränkt. Mittlerweile erholt sich die Ozonschicht wieder, doch es wird aufgrund der Langlebigkeit der FCKWs noch Jahrzehnte dauern, bis die Ozonschicht wieder komplett hergestellt ist. Mit seinen Erfindungen der FCKWs und des Tetraethylbleis gilt Thomas Midgley aber als der Mann, der mehr Auswirkungen auf die Atmosphäre hatte als sonst jemand. Ein früher ebenfalls oft benutzter halogenierter Kohlenwasserstoff ist das Trichlormethan (HCCl3), besser bekannt als Chloroform (siehe Abbildung 23). Es wurde,

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nachdem es 1831 unabhängig von Samule Guthrie, Justus von Liebig und Eugène Soubeiran hergestellt worden war, lange Zeit als Narkotikum eingesetzt.

Man hat also zum einen halogenierte Kohlenwasserstoffe wie die FCKWs, die praktisch nicht abbaubar sind, und man hat zum anderen halogenierte Kohlenwasserstoffe wie das Chloroform, welches in kleinen Mengen narkotisierend wirken, und in größeren Mengen schlicht giftig sind. Zum Teil stehen die halogenierten Kohlenwasserstoffe sogar im Verdacht, Krebs zu erzeugen. Nach einer anfänglichen Euphorie über die neuen Wunderstoffe, werden sie deshalb heute deutlich kritischer betrachtet und immer seltener eingesetzt.