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Vom therapeutischen Nihilismus zum Paradigma einer personalisierten Krebstherapie L ungenkrebs ist weltweit die häu- figste Krebserkrankung und die häufigste Krebstodesursache. Die 2-Jahres-Überlebensrate beträgt seit Jahrzehnten unverändert < 15%. Bei keiner Krebserkrankung liegt die we- sentliche Ursache so offen auf der Hand wie beim Lungenkrebs das Rauchen. Umso skandalöser sind die halbher- zigen Unternehmungen der Politik, hier dem weltweit todbringenden Ge- schäft der Tabakkonzerne entgegenzu- wirken – nicht zuletzt deshalb, weil das Rauchen nach neuerem Verständnis nicht mehr als Charakterschwäche, sondern als eine in der Jugend begin- nende Suchterkrankung aufgefasst wer- den muss. Erste Erfolge der Antirau- cherkampagnen zeigen sich vor allem in den westlichen Industrienationen an einem langsamen Abfall der Mortalität bei männlichen Rauchern, während mit einem weiteren Anstieg der Lun- genkrebstoten bei Frauen und in den unterentwickelten Ländern gerechnet werden muss. Für eine wirksame Früherkennung sind, wie Goßmann berichtet, die tech- nischen Voraussetzungen mit der Niedrigdosis-Mehrzeilen-CT (Com- putertomographie) gegeben. Für die Implementierung eines Screeningver- fahrens zur Früherkennung reicht der Nachweis einer höheren Rate an dia- gnostizierten Karzinomen in frühen Stadien allerdings nicht aus; entschei- dend ist die Senkung der Mortalität in der Screeningpopulation. Solange dies nicht in randomisierten Studien bewie- sen ist, sind die weitverbreiteten An- gebote zur CT-basierten Früherken- nung bei Risikopatienten als unseriös zu betrachten. Hier muss das Ergebnis großer laufender randomisierter Stu- dien, wie z.B. des US-amerikanischen National Lung Screening Trial des Na- tional Cancer Institute, abgewartet werden. onkopipeline 2010;3:69–70 DOI 10.1007/s15035-010-0189-1 In der Therapie des Bronchialkar- zinoms konnten in der Vergangenheit nur die Chirurgen über nennenswerte Behandlungserfolge berichten. Wie Stoelben & Ludwig beschreiben, kön- nen chirurgische Verfahren in frühen und ausgewählten intermediären Sta- dien, in enger interdisziplinärer Ab- sprache z.T. mit Chemotherapie und/ oder Strahlentherapie, 40–80% der Pa- tienten heilen. Allerdings werden auf- grund der bei Erstdiagnose zumeist fortgeschrittenen Tumorerkrankung nur ca. 20% aller Patienten überhaupt der Chirurgie zugeführt. Für die überwiegende Mehrzahl der Patienten war Chemotherapie über Jahrzehnte, z.T. in Kombination mit Bestrahlung, die einzige therapeutische Option. Substantielle Fortschritte wur- den hier allerdings vor allem bei der Kontrolle der Nebenwirkungen, ins- besondere der platininduzierten Übel- keit, erreicht, während die Überlebens- verlängerung auch durch die neueren Substanzen nur marginal blieb. In die- ser frustranen Situation waren die Er- wartungen an die seit wenigen Jahren in die klinische Evaluation drängenden, aufgrund ihrer molekularen Zielstruk- tur definierten Substanzen („targeted drugs“) groß. Wie Nogova et al. dar- legen, sind bei einem Einsatz dieser Substanzen in unselektionierten Pati- entengruppen jedoch allenfalls mini- male Verbesserungen der Therapieer- gebnisse zu erreichen, bei Weitem keine Durchbrüche. Dafür bedarf es einer konsequenten Entwicklung per- sonalisierter Ansätze. Die Behand- lungen von Patienten mit aktivierenden Mutationen des epidermalen Wachs- tumsfaktor-Rezeptors (EGFR) mit EGFR-Tyrosinkinaseinhibitoren oder, als jüngstes Beispiel, von Patienten mit EML4-ALK-Fusionsgenen mit einem oralen c-MET/ALK-Inhibitor sind eindrucksvolle Beispiele für das Poten- tial solcher Ansätze. Eine Voraussetzung für die Umset- zung personalisierter Ansätze ist ein tiefes Verständnis der onkogenen Ab- hängigkeiten („oncogene addiction“) einer Tumorzelle. Vereinfacht ausge- drückt: Ein zielgerichtetes Medikament ist nur dann therapeutisch wirksam, wenn es die Folgen einer genetischen Aberration unterdrückt, von der die Tumorzelle in ihrem malignen Wachs- tum abhängig ist. Diese Entwicklung bedeutet eine enorme Aufwertung der Grundlagenforschung im Kontext der klinischen Onkologie. Wie Zander et al. beschreiben, stehen valide, geno- misch charakterisierte präklinische Zelllinien- und Mausmodelle zur Wei- terentwicklung dieser Strategie mitt- lerweile zur Verfügung. Zunehmend gewinnt die moleku- lare Bildgebung am Übergang von präklinischer zu klinischer Forschung an Bedeutung. Wie Dietlein et al. be- richten, wird der Einsatz der Positro- nenemissionstomographie, die beim präoperativen Staging des nichtklein- zelligen Bronchialkarzinoms (NSCLC) bereits Eingang in die Standarddiagnos- tik gefunden hat, um pharmakodyna- mische Messungen und die frühe Prä- dikation des therapeutischen Anspre- chens auf „targeted drugs“ in Maus- modellen und beim Menschen aktuell erweitert. Auch die klassische Studienland- schaft beim Bronchialkarzinom wird sich mit der Weiterentwicklung per- sonalisierter Ansätze grundlegend ver- ändern. Die zahlreichen Phase-III-Stu- dien der letzten Jahre zum ungerich- teten Einsatz von „targeted drugs“ beim NSCLC, die nur marginal posi- tive Ergebnisse (u.a. Cetuximab, Van- detanib) erbrachten oder komplett scheiterten (u.a. Sorafenib, Motesanib, ASA404), zeigen überdeutlich, dass die „one size fits all“-Strategie zunehmend der Vergangenheit angehört. Die Evaluation neuer Substanzen in molekular definierten Patientenko- horten erfordert eine qualitativ hoch- wertige molekulare Diagnostik. Wie Heukamp & Büttner zeigen, ist dies alles andere als trivial. Eine solche Dia- gnostik muss nicht nur akkurat sein, 2010;3:69–70 (Nr. 2), © Urban & Vogel, München 69 EDITORIAL onkopipeline

Vom therapeutischen Nihilismus zum Paradigma einer personalisierten Krebstherapie

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Vom therapeutischen Nihilismus zum Paradigma einer personalisierten Krebstherapie

Lungenkrebs ist weltweit die häu-figste Krebserkrankung und die

häufigste Krebstodesursache. Die 2-Jahres-Überlebensrate beträgt seit Jahrzehnten unverändert < 15%. Bei keiner Krebserkrankung liegt die we-sentliche Ursache so offen auf der Hand wie beim Lungenkrebs das Rauchen. Umso skandalöser sind die halbher-zigen Unternehmungen der Politik, hier dem weltweit todbringenden Ge-schäft der Tabakkonzerne entgegenzu-wirken – nicht zuletzt deshalb, weil das Rauchen nach neuerem Verständnis nicht mehr als Charakterschwäche, sondern als eine in der Jugend begin-nende Suchterkrankung aufgefasst wer-den muss. Erste Erfolge der Antirau-cherkampagnen zeigen sich vor allem in den westlichen Industrienationen an einem langsamen Abfall der Mortalität bei männlichen Rauchern, während mit einem weiteren Anstieg der Lun-genkrebstoten bei Frauen und in den unterentwickelten Ländern gerechnet werden muss.

Für eine wirksame Früherkennung sind, wie Goßmann berichtet, die tech-nischen Voraussetzungen mit der Niedrigdosis-Mehrzeilen-CT (Com-putertomographie) gegeben. Für die Implementierung eines Screeningver-fahrens zur Früherkennung reicht der Nachweis einer höheren Rate an dia-gnostizierten Karzinomen in frühen Stadien allerdings nicht aus; entschei-dend ist die Senkung der Mortalität in der Screeningpopulation. Solange dies nicht in randomisierten Studien bewie-sen ist, sind die weitverbreiteten An-gebote zur CT-basierten Früherken-nung bei Risikopatienten als unseriös zu betrachten. Hier muss das Ergebnis großer laufender randomisierter Stu-dien, wie z.B. des US-amerikanischen National Lung Screening Trial des Na-tional Cancer Institute, abgewartet werden.

onkopipeline 2010;3:69–70DOI 10.1007/s15035-010-0189-1

In der Therapie des Bronchialkar-zinoms konnten in der Vergangenheit nur die Chirurgen über nennenswerte Behandlungserfolge berichten. Wie Stoelben & Ludwig beschreiben, kön-nen chirurgische Verfahren in frühen und ausgewählten intermediären Sta-dien, in enger interdisziplinärer Ab-sprache z.T. mit Chemotherapie und/oder Strahlentherapie, 40–80% der Pa-tienten heilen. Allerdings werden auf-grund der bei Erstdiagnose zumeist fortgeschrittenen Tumorerkrankung nur ca. 20% aller Patienten überhaupt der Chirurgie zugeführt.

Für die überwiegende Mehrzahl der Patienten war Chemotherapie über Jahrzehnte, z.T. in Kombination mit Bestrahlung, die einzige therapeutische Option. Substantielle Fortschritte wur-den hier allerdings vor allem bei der Kontrolle der Nebenwirkungen, ins-besondere der platininduzierten Übel-keit, erreicht, während die Überlebens-verlängerung auch durch die neueren Substanzen nur marginal blieb. In die-ser frustranen Situation waren die Er-wartungen an die seit wenigen Jahren in die klinische Evaluation drängenden, aufgrund ihrer molekularen Zielstruk-tur definierten Substanzen („targeted drugs“) groß. Wie Nogova et al. dar-legen, sind bei einem Einsatz dieser Substanzen in unselektionierten Pati-entengruppen jedoch allenfalls mini-male Verbesserungen der Therapieer-gebnisse zu erreichen, bei Weitem keine Durchbrüche. Dafür bedarf es einer konsequenten Entwicklung per-sonalisierter Ansätze. Die Behand-lungen von Patienten mit aktivierenden Mutationen des epidermalen Wachs-tumsfaktor-Rezeptors (EGFR) mit EGFR-Tyrosinkinaseinhibitoren oder, als jüngstes Beispiel, von Patienten mit EML4-ALK-Fusionsgenen mit einem oralen c-MET/ALK-Inhibitor sind eindrucksvolle Beispiele für das Poten-tial solcher Ansätze.

Eine Voraussetzung für die Umset-zung personalisierter Ansätze ist ein tiefes Verständnis der onkogenen Ab-

hängigkeiten („oncogene addiction“) einer Tumorzelle. Vereinfacht ausge-drückt: Ein zielgerichtetes Medikament ist nur dann therapeutisch wirksam, wenn es die Folgen einer genetischen Aberration unterdrückt, von der die Tumorzelle in ihrem malignen Wachs-tum abhängig ist. Diese Entwicklung bedeutet eine enorme Aufwertung der Grundlagenforschung im Kontext der klinischen Onkologie. Wie Zander et al. beschreiben, stehen valide, geno-misch charakterisierte präklinische Zelllinien- und Mausmodelle zur Wei-terentwicklung dieser Strategie mitt-lerweile zur Verfügung.

Zunehmend gewinnt die moleku-lare Bildgebung am Übergang von präklinischer zu klinischer Forschung an Bedeutung. Wie Dietlein et al. be-richten, wird der Einsatz der Positro-nenemissionstomographie, die beim präoperativen Staging des nichtklein-zelligen Bronchialkarzinoms (NSCLC) bereits Eingang in die Standarddiagnos-tik gefunden hat, um pharmakodyna-mische Messungen und die frühe Prä-dikation des therapeutischen Anspre-chens auf „targeted drugs“ in Maus-modellen und beim Menschen aktuell erweitert.

Auch die klassische Studienland-schaft beim Bronchialkarzinom wird sich mit der Weiterentwicklung per-sonalisierter Ansätze grundlegend ver-ändern. Die zahlreichen Phase-III-Stu-dien der letzten Jahre zum ungerich-teten Einsatz von „targeted drugs“ beim NSCLC, die nur marginal posi-tive Ergebnisse (u.a. Cetuximab, Van-detanib) erbrachten oder komplett scheiterten (u.a. Sorafenib, Motesanib, ASA404), zeigen überdeutlich, dass die „one size fits all“-Strategie zunehmend der Vergangenheit angehört.

Die Evaluation neuer Substanzen in molekular definierten Patientenko-horten erfordert eine qualitativ hoch-wertige molekulare Diagnostik. Wie Heukamp & Büttner zeigen, ist dies alles andere als trivial. Eine solche Dia-gnostik muss nicht nur akkurat sein,

2010;3:69–70 (Nr. 2), © Urban & Vogel, München 69

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Wolf J. Personalisierte Krebstherapie

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sondern auch schnell dem ungeduldig auf den Therapiebeginn wartenden Kliniker übermittelt werden. Im Zu-sammenspiel von auf molekulare Dia-gnostik spezialisierten Pathologen und den Pathologen vor Ort ist bei der Im-plementierung in die klinische Routi-ne hier ebenfalls noch manches logis-tische Problem zu lösen.

Nach Jahrzehnten des therapeu-tischen Nihilismus verläuft die aktuelle Entwicklung beim Bronchialkarzinom nun beeindruckend schnell in Rich-tung auf die Ablösung weitgehend in-effektiver konventioneller onkolo-

gischer Konzepte und die Implemen-tierung personalisierter Ansätze. Damit einhergehend wird die klassische Dia-gnose Lungenkrebs ihre klinische Re-levanz verlieren. Zunehmend werden molekular definierte, oft kleine Sub-gruppen entscheidend für die Wahl des richtigen Medikaments sein. Die hier-zu notwendige enge Zusammenarbeit von Partnern in Grundlagenforschung, Industrie und Klinik wird die Begriffe Interdisziplinarität und translationale Forschung neu definieren. Profitieren werden am Ende die Patienten.

Jürgen Wolf