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Nachrichten aus der Chemie | 56 | September 2008 | www.gdch.de/nachrichten
tersystems bot die Gelegenheit, die
an den beiden Universitäten angebo-
tenen Studiengänge in diesen Berei-
chen nicht nur anzunähern, sondern
vollkommen neu und vor allem ge-
meinsam zu gestalten.
Diese Chance wurde genutzt. Im
Rahmen der im Jahr 2004 begründe-
ten Initiative „NAWI Graz“, initiiert
durch Alfred Gutschelhofer, Rektor
der Karl-Franzens-Universität Graz,
und Hans Sünkel, Rektor der TU Graz,
wurden Kapazitäten in den naturwis-
senschaftlichen Disziplinen Chemie,
inklusive der technischen Chemie
und der chemischen Technologien,
technischen und molekularen Bio-
wissenschaften, Mathematik, Geo-
und Erdwissenschaften und Physik
gebündelt.
Trotz der sehr positiven Aussich-
ten und erweiterter Möglichkeiten
gab es gewisse Befürchtungen. Viele
Lehrende und Studierende meinten,
dass der jeweils stark ausgeprägte in-
dividuelle Charakter der beiden Uni-
versitäten gefährdet sei. Doch was
zunächst als „eine Kopfgeburt der
Rektorate, die anfangs beinahe die
Aura eines Geheimprojekts umgab“
(Hochschülerschaft der TUG) emp-
funden wurde, entwickelt sich präch-
tig.
In enger und konstruktiver Zusam-
menarbeit in allen Bereichen der Che-
mie, Technischen Chemie und der
chemischen Technologien und der
technischen und molekularen Bio-
wissenschaften wurden neue Studi-
enpläne erstellt.
In fachspezifischen Arbeitsgrup-
pen wurden Konzepte zu Bachelor-
studien entwickelt und mit Inhalten
gefüllt. In allen Phasen dieser Arbei-
ten wurden intensiv Studierende bei-
der Universitäten eingebunden. Der
Startschuss für die neuen Bachelor-
� Graz war im Jahr 2003 Europas Kul-
turhauptstadt und wurde bereits
1999 wegen des historischen Stadt-
kerns zum Unesco-Weltkulturerbe er-
klärt. Doch es ist nicht nur die His-
torie, welche Graz zu einer Stadt mit
hohem Wohnwert macht: Vier Uni-
versitäten (Technische Universität
(TUG), Karl-Franzens-Universität
(KFU), Universität für Musik und Dar-
stellende Kunst, Medizinische Univer-
sität) bilden derzeit ca. 36 000 Studie-
rende aus. Damit ist Graz eine junge
Stadt. Jetzt gibt es noch mehr Gründe
für Studierende der Naturwissen-
schaften sich für Graz zu entscheiden:
NAWI Graz (www.nawigraz.at)
Im Bereich der Naturwissenschaf-
ten gibt es an der TUG und der KFU
gemeinsame Studiengänge. Hier be-
richte ich insbesondere über den Be-
reich der Chemie und der molekula-
ren und technischen Biowissenschaf-
ten, welche sich sehr gut ergänzen:
Die KFU beheimatet ein Institut
für Chemie, an dem die klassischen
Disziplinen der analytischen, anorga-
nischen, organischen/bioorgani-
schen und physikalischen Chemie be-
heimatet sind, und das Institut für
molekulare Biowissenschaften. An
der TUG findet man Institute für Ana-
lytische Chemie und Radiochemie,
Anorganische Chemie, Biochemie,
Biotechnologie und Bioprozesstech-
nik, Chemische Technologie von Ma-
terialien, Lebensmittelchemie und
-technologie, Molekulare Biotech-
nologie, Organische Chemie und Phy-
sikalische und Theoretische Chemie
Beide Universitäten boten Di-
plomabschlüsse an, wobei sich die
Ausbildungsgänge durch die Anzahl
der Semesterstunden für Vorlesun-
gen und für Praktika, Prüfungsmodi
und vieles andere unterschieden. Die
Einführung des Bachelor- und Mas-
Von einer „Kopfgeburt“ zu einer realisierten Vision – NAWI Graz
Karl-Franzens-Universität Graz
Technische Universität Graz
Technische Universität Graz – Chemieneubau
961
curricula fiel zum Wintersemester
2006/7.
Die für das NAWI-Projekt zusätzlich
zur Verfügung stehenden § 141-Mit-
tel des BMWF (5,4 Mio Euro für die 1.
Stufe der Umsetzung des Projekts NA-
WI Graz) haben zu einer bedeutenden
Verbesserung der den Studenten zur
Verfügung stehenden Infrastruktur
genutzt.
Sehr erfreulich war das Engage-
ment der Studierenden, ihre Beiträge
erwiesen sich als außerordentlich
triftig und sind in großem Umfang
berücksichtigt worden. Natürlich
musste man bei der Neukonzeption
darauf achten, dass keine Überfrach-
tung stattfindet und trotzdem alle
Aspekte eines modernen Grundstudi-
ums beachtet werden. Auf jeden Fall
sollte eine ausgezeichnete praktische
Ausbildung gewährleistet werden.
Dem wurde mit entsprechenden La-
borübungen Rechnung getragen.
Auch die zunehmende Verschmel-
zung der Disziplinen soll für Studie-
rende transparent werden. So soll
den Studenten gezeigt werden, wie
sich verschiedenartige Fachgebiete
interdisziplinär entwickelt haben.
Dies sei am Beispiel der physika-
lischen/analytischen Chemie erläu-
tert: Während im Rahmen der Prakti-
ka in diesen Bereichen zunächst
Grundlagen der Thermodynamik und
Kinetik behandelt werden, erleben
die Studierenden in einem zweiten
Praktikumsteil im fünften Semester
die engen Zusammenhänge zwi-
schen analytischen und physiko-che-
mischen Aspekten grundsätzlicher
spektroskopischer Verfahren. Wäh-
rend hier die quantitativen Anwen-
dungen dieser Methoden vermittelt,
werden dort die Fundamente der be-
teiligten Energieniveaus, Übergänge
und Methodik ergründet. Eine solche
Kombination führt dazu, dass die Stu-
dierenden den vernetzten Charakter
des chemischen Wissens schon im
Grundstudium erfahren.
Für die Studierenden bedeutet es
einen Gewinn, innerhalb des Studi-
ums an einem Ort (Distanz zwischen
den Ausbildungsstätten ca. 1 km)
zwei „Kulturen“ kennen zu lernen.
Der individuelle Charakter von TUG
und KFU wird gewahrt. Es entstand
keine „NAWI-Universität Graz“, viel-
mehr förderte die intensivierte Zu-
sammenarbeit zwischen den beiden
Universitäten die Entwicklung zu-
kunftsträchtiger Masterstudiengän-
ge. Neben den „klassischen“ Diszipli-
nen „Chemie“ „Technische Chemie“
wurden Masterstudiengänge für
„Biochemie und Molekulare Biomedi-
zin“, „Biotechnologie“, und „Moleku-
lare Mikrobiologie“ möglich. Im Win-
tersemester 2008/09 wird ferner der
Masterstudiengang „Chemical and
Pharmazeutical Engineering“ star-
ten, welcher die Attraktivität von
NAWI Graz noch erhöhen wird.
In allen Bereichen, insbesondere in
den Masterstudiengängen, ist das
Angebot an Wahl- und Spezialvor-
lesungen stark erweitert worden. Ei-
ne höhere Anzahl von Dozenten steht
für alle Studenten zur Verfügung. Die
Studierenden können sich aus-
suchen, wo sie ihre Bachelor- oder
Masterarbeit schreiben wollen.
Natürlich ist eine Ausbildung an
zwei – wenn auch benachbarten –
Studienorten eine logistische He-
rausforderung. Grundsätzlich wurde
bei der Planung darauf geachtet, dass
keine unnötigen Wege zwischen Ver-
anstaltungsorten an der KFU und der
TUG zurückgelegt werden müssen.
Lehrveranstaltungen werden gebün-
delt und die Studenten müssen nicht
von Vorlesung zu Vorlesung weite
Strecken zurücklegen.
Prüfungstermine wurden gemein-
sam festgesetzt und die Inhalte wer-
den gemeinsam abgestimmt.
Natürlich entstehen auch im Be-
reich der Forschung bedeutende sy-
nergetische Effekte. Dies bezieht sich
auf eine verbesserte Koordination na-
turwissenschaftlicher Arbeitsfelder,
effizienterer Nutzung von Ressour-
cen und chancenreicherer Aquisition
von Großinvestitionen. Die For-
schungsaktivitäten werden in der die
„Graz Advanced School of Science“
(GASS) gebündelt. Hier entsteht im Be-
reich der Chemie und der molekula-
ren und technischen Biowissenschaf-
ten die Grazer Antwort auf die ge-
plante Eliteuniversität, ein Grazer
Center of Excellence der Naturwis-
senschaften für mehr als 250 Dokto-
ratsstudierende.
Erste Meilensteine auf diesem
Weg waren die Schaffung von Dokto-
ratskollegs wie beispielsweise das
FWF-DK „Molekulare Enzymologie“
oder das fForte-Wissenschafterin-
nenkolleg „FreChe Materie“ (BM:WF),
die eine interdisziplinäre Ausbildung
zwischen Chemie, Biochemie und
Biologie bieten.
Ein weiteres Beispiel bildet das am
6. Juni gestartete „Central Polymer
Laboratory“ (CePoL), eine Forschungs-
initiative von KFU und TUG. Hier ent-
stand ein gut ausgestattetes Zen-
trum zur Polymercharakterisierung,
welches es den Forschern beider Uni-
versitäten ermöglicht, auf Methodik
zurückzugreifen die einer einzelnen
Einrichtung bisher nicht zugänglich
war (www.cepol.nawigraz.at).
Die Organisation von NAWI Graz
wird im NAWI Graz-Dekanat abge-
wickelt. Hier laufen die Fäden aller an
NAWI Graz beteiligten Fachbereiche
zusammen und auf der Homapage
findet man alle Informationen von
Studienplänen bis zu neuesten Ent-
wicklungen (www.nawigraz.at).
Statt einer „Long and Winding
Road“ entstand also ein effizientes
und konstruktives „Come Together“.
Ein stetiger Dialog zwischen den be-
teiligten Fachbereichen von TUG und
KFU trägt zur permanenten Weiter-
entwicklung dieses dynamischen
Projektes bei. Dies sichert für den
Wissenschaftsstandort Graz nach-
haltig Exzellenz und stärkt ihn für die
Zukunft.
Georg Gescheidt, Graz
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