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Die Sudetendeutsche Akademie der Wissenschaften und Kün- ste veranstaltete im Zentrum Sankt Bonifaz der gleichnami- gen Benediktinerabtei in Mün- chen ihren jährlichen Festabend und feierte zugleich ihr 40jähri- ges Bestehen. Die Jubiläumsre- de hielten die beiden Vizeprä- sidenten der Akademie, Stefan Samerski und Ursula Haas. Den Festvortrag lieferte Arnold Sup- pan: Der Historiker sprach über „Saint-Germain, Trianon und die Folgen für die europäische Friedensordnung“. Nach dem Jahresbericht von Akademie- präsident Günter J. Krejs wur- de mit dem Adolf-Klima-Preis die junge österreichische Histo- rikerin Samantha Wehr ausge- zeichnet, auf die der Wiener Ge- schichtsprofessor Peter Becker die Laudatio hielt. Musikalisch erfreuten die Flötistin Christine Müller und die Pianistin Mado- ka Ueno die Gäste. Z weifellos verfehlte die Pari- ser Konferenz ihr oberstes Ziel: die Schaffung einer neu- en stabilen Friedensordnung“, resümierte Suppan in seinem Festvortrag. Ob allerdings poli- tisch, wirtschaftlich und militä- risch „vernünftigere“ Regelun- gen in diesen beiden Friedens- verträgen von Paris und ethnisch „gerechtere“ Grenzziehungen den Aufstieg von Faschismus und Nationalsozialismus verhin- dert und den Siegeszug des Sta- linismus eingedämmt hätten, sei heute nicht zu beweisen, so der emeritierte Professor für Osteu- ropäische Geschichte an der Uni- versität Wien. Allerdings habe et- wa Adolf Hitler schon in den frü- hen zwanziger Jahren mit seiner Agitation gegen die Regelungen des Versailler Vertrages – vor al- lem gegen die alleinige Kriegs- verantwortlichkeit Deutschlands, die Reparationsforderungen und die militärische Entmachtung – begonnen und mit seiner For- derung nach einem „Anschluß“ Österreichs und des Sudetenlan- des die Karte des Selbstbestim- mungsrechts ausgespielt. Suppan vollzog in seinem bril- lanten Vortrag über die Pariser Konferenzen von 1919/20 detail- liert nach, wie die Entscheidun- gen damals getroffen wurden. Die Verträge von Saint-Germain und Trianon hätten völkerrecht- lich die Aufteilung der Habsbur- ger-Monarchie auf sieben Nach- folgestaaten besiegelt, was auch anhand einer Karte veranschau- licht wurde. „Unter Nationen-Bauen ver- standen alle Nationalitäten Österreich-Ungarns sowie im üb- rigen Ostmittel- und Südosteu- ropa die Verbindung zwischen Ethnikum, Territorium und Sou- veränität“, so Suppan. Die politi- schen Vertreter aller Völker hät- ten am Ende des Ersten Welt- krieges auf „ihrem“ Territorium ihren eigenen, selbständigen Nationalstaat errichten wollen. Der eigene Nationalstaat hät- te nicht nur politische, ökono- mische, soziale und kulturelle, sondern vor allem auch physi- sche Sicherheit garantieren sol- len. Aufgrund der ethnisch ge- mischten Siedlungsstrukturen in der Habsburger-Monarchie habe aber diese Anwendung des natio- nalen Selbstbestimmungsrechts zu vielfältigen Abgrenzungs- konflikten zwischen den Völkern führen müssen. „Die westlichen imperialen Großmächte, die sich als Nationalstaaten verstanden, wollten hingegen auf den Terri- torien Österreich-Ungarns, des östlichen Deutschen Reiches, Rußlands und des Osmanischen Reiches wirtschaftlich konsoli- dierte ,Nationalstaaten‘ mit stra- tegischen Grenzen schaffen!“ Dies sei auf dem Gebiet des ehemaligen Zarenreiches und der ehemaligen Habsburger- Monarchie (abgesehen von Bos- nien-Herzegowina) erst nach 1990 annäherungsweise einge- treten, auf dem Boden des Os- manischen Reiches nicht einmal bis heute gelungen. Während nach dem Ende des Ersten Welt- krieges die Verträge von Saint- Germain und Trianon in Tsche- choslowakei, Polen, Rumänien, Jugoslawien und Italien von Po- litik und Öffentlichkeit wegen der Gebietsgewinne überwie- gend positiv aufgenommen wor- den seien und dieses positive Image im wesentlichen bis heute behalten hätten, hätten die Ver- träge in Österreich, Ungarn und Deutschland aus ebenso nach- vollziehbaren Gründen lange Zeit als schwerste Demütigung und Bestrafung gegolten. Mit dem Staatsvertrag 1955 und dem Beitritt zur Europäischen Union 1995 seien allerdings in Öster- reich die negativen Konnotatio- nen zu Saint-Germain verblaßt. Im Geschichtsbild der vertrie- benen Sudetendeutschen über- schatteten inzwischen die Ver- treibung 1945/46 die Groß- mächte-Entscheidungen von Saint-Germain 1919 und Mün- chen 1938, die deutschen Süd- tiroler nutzten mit ihrer Terri- torial- und Personalautonomie Möglichkeiten im europäischen Binnenmarkt, und die meisten Kärntner feierten alle zehn Jah- re die erfolgreiche Volksabstim- mung von 1920. Dagegen sei die für Österreich negative Volks- abstimmung von Ödenburg/So- pron 1921 auch im Burgenland weitgehend in Vergessenheit ge- raten. Und viele Fragen, die sich von 1918 bis 1920 in den Nachfolge- staaten Österreich-Ungarns, des Zarenreiches und des Osmani- schen Reiches gestellt hätten, stünden zum Teil bis heute auf der Tagesordnung der Weltpoli- tik, wenn man an Bosnien-Her- zegowina, Kosovo, Mazedonien, Moldova, die Ukraine, Georgien, Armenien, Syrien, Libanon, Isra- el, Palästina und den Irak den- ke. Ausführlich hat Suppan sei- ne neuen Forschungsergebnis- se in dem Werk „The Imperialist Peace Order in Central Euro- pe: Saint-Germain and Trianon, 1919–1920“ vorgelegt, das so- eben im Verlag der Österreichi- schen Akademie der Wissen- schaften erschien. Abschließend zitierte Suppan in seinem Vortrag zustimmend das Londoner Wochenmagazin „The Economist“, das schon vor 20 Jahren über die Verträge nach dem Ersten Weltkrieg feststell- te: „The war‘s final crime was a peace treaty whose harsh terms would ensure a second war.“ Die für die Kriegsverlierer über- aus harten Vertragsbedingun- gen und die Schaffung von Na- tionalitätenstaaten mit zahlrei- chen Minderheiten hätten also schon die Voraussetzungen für einen zweiten großen Krieg ge- schaffen. Dieser Zweite Weltkrieg mit seinen schrecklichen Folgen ha- be somit indirekt auch zur Grün- dungsgeschichte der Sudeten- deutschen Akademie vor fast ge- nau 40 Jahren geführt, wie ihre beiden Vizepräsidenten schilder- ten: Der Theologe Stefan Samer- ski faßte die historischen Daten zusammen, während die Schrift- stellerin Ursula Haas einige be- deutende Mitglieder vorstellte. „Die Sudetendeutsche Aka- demie der Wissenschaften und Künste wurde am 20. Juli 1979 gegründet“, so Samerski. Trei- bende Kraft seien die Sude- tendeutsche Landsmannschaft unter dem damaligen Volks- gruppensprecher Walter Be- cher sowie dem damaligen SL- Bundeskulturreferenten Viktor Aschenbrenner und der Staats- rechtler Otto Kimminich gewe- sen, der auch erster Präsident wurde. In seinem Geleitwort 1980 habe der damalige Bayeri- sche Ministerpräsident Franz Josef Strauß ihre Arbeit gesell- schaftspolitisch so ausgewiesen: „... die Balance zwischen Selbst- bewahrung und Integration ih- rer Volksgruppe in die neue Hei- mat geistig und gefühlsmäßig zu begründen und zu fördern“. Die Akademie verstehe sich von An- fang an als eine Vereinigung von herausragenden Wissenschaft- lern und Künstlern, die „der Su- detendeutschen Volksgruppe auf besondere Weise verbun- den sind“. Die Akademie um- fasse satzungsgemäß etwa 120 Mitglieder, meist deutsche und österreichische. Seit der politi- schen Wende suche man gezielt auch den Austausch mit tsche- chischen und slowakischen Wis- senschaftlern und Künstlern. Da- bei kreise die inhaltliche Arbeit der Akademie um die „Darstel- lung der wissenschaftlichen und künstlerischen Potenz der Sude- tendeutschen Volksgruppe“. Die Akademie ist aufgeteilt auf die Klassen der Geisteswis- senschaften, der Naturwissen- schaften und der Künste und Kunstwissenschaften. Dazu prä- sentierte Ursula Haas berühmte Mitglieder wie den Nobelpreis- träger Peter Andreas Grünberg, den Germanisten Kurt Krolop, den Bildhauer Otto Herbert Ha- jek und den Schriftsteller Josef Mühlberger. Prinzipiell und historisch ge- sehen sei die Sudetendeutsche Akademie eine Gelehrtengesell- schaft, die dem Austausch hoch- rangiger Forscher diene, faß- te Samerski zusammen, also nicht wie Schule und Universi- tät ausbilde und auf das Berufs- leben oder den Gelderwerb vor- bereite. „Dies geschieht auch durch Veranstaltungen, Veröf- fentlichungen, materielle Un- terstützung und durch die Pfle- ge des wissenschaftlich-künst- lerischen Gedankenaustausches im In- und Ausland und durch die Förderung ihres Fachgebie- tes, ihrer Studien und des wis- senschaftlichen Nachwuchses.“ Daher vergebe die Akademie seit 1989 jährlich auch den Adolf-Kli- ma-Preis. Dieser Nachwuchs- preis diene der finanziellen För- derung junger Wissenschaftler und Künstler, die entweder su- detendeutscher Abstammung sind oder sich mit wissenschaft- lichen beziehungsweise künstle- rischen Problemen des Sudeten- deutschtums befassen, und wird durch die Adolf-Klima-Stiftung finanziert. „Diese Form der Wis- senschaftsförderung ist einzigar- tig und zukunftsweisend“, schloß Samerski. Und diese schöne Tradition wurde auch gleich wieder ge- pflegt: In Anwesenheit von Luit- gard Klima, der Stifterin des ur- sprünglich Klima-Stipendium genannten Preises, wurde die junge Wiener Historikerin Sa- mantha Wehr als neue Adolf-Kli- ma-Preisträgerin ausgezeichnet. Ihre Diplomarbeit zum Thema „Die zweite Generation erzählt: Nachkommen vertriebener Su- detendeutscher in Österreich über Vertreibung, Heimat und Identität“ sei eine verdienstvol- le wissenschaftliche Studie auf der Basis von Interviews mit An- gehörigen von Vertriebenen, so der Laudator Peter Becker. „Das Familiengedächtnis dient ne- ben der öffentlichen Erinnerung auch als Gerüst zur Vermittlung von historischem Wissen“, be- tonte der aus dem Banat stam- mende Historiker. Er enthüllte als Pointe: „Samantha Wehr ist die Enkelin der Schriftstellerin Il- se Tielsch, die sich in ihrem Ro- manwerk immer mit der Vertrei- bung der Sudetendeutschen be- schäftigt hat.“ Und Ilse Tielsch, die selbst seit 1981 Mitglied der Akademie ist und 1983 den Gro- ßen Sudetendeutschen Kultur- preis erhielt, war ebenfalls zur Preisverleihung aus Wien ange- reist. Die berühmte Dichterin aus Südmähren hatte eingangs der aus Graz angereiste Akademie- Präsident Günter Krejs hocher- freut begrüßt, neben vielen an- deren Ehrengästen wie etwa dem Vorstandsvorsitzenden der Su- detendeutschen Stiftung, Ort- fried Kotzian. Krejs übermittel- te freundliche Grüße von Volks- gruppensprecher Bernd Posselt, der wegen des CSU-Parteitages verhindert war, und gab einen kurzen Jahresbericht: Nach dem Tod von vier Mitgliedern seit dem letzten Jahr würden nun sechs neue Mitglieder berufen. Die be- liebten Ringvorlesungen, bei de- nen Mitglieder der Akademie spezielle Forschungsergebnis- se ihrer Disziplinen vorstellten, seien immer noch durch die Bau- arbeiten im Sudetendeutschen Haus eingeschränkt. Immer- hin sei der 38. Band der Akade- mie-Schriftenreihe erschienen, der von der Geisteswissenschaft- lichen Klasse unter Kurt Franz herausgegeben wurde. An Wür- digungen gebe es die Verlei- hung des Großen Sudetendeut- schen Kulturpreises an den Wis- senschaftler Gottfried Konecny zu vermelden sowie die Verlei- hung des SL-Publizistikpreises an Wolfram Hader, den neu er- nannten Sekretar der Kunstklas- se, auf dem Sudetendeutschen Tag. „Und dort zelebrierte auch unser Mitglied Bischof Rudolf Voderholzer den großartigen Festgottesdienst“, strahlte Krejs. Zelebriert wurde auch die musikalische Umrahmung des Festabends mit Stücken von Jo- hann Sebastian Bach, Bohuslav Martinů und Antonín Dvořák: Madoka Ueno begleitete am Flü- gel einfühlsam Christine Müllers meisterliches Querflötenspiel. Susanne Habel KULTUR Sudetendeutsche Zeitung Folge 43 | 25. 10. 2019 7 Festabend der Sudetendeutschen Akademie der Wissenschaften und Künste in München Vor 40 Jahren gegründet Der Festredner Professor Dr. Arnold Suppan, 2002 berufen in die Akademie, und deren Präsident, Professor Dr. Günter J. Krejs. Unten: Vizepräsident Pro- fessor Stefan Samerski zeigt das Akademie-Logo mit Kaiser Karl IV. und re- feriert gemeinsam mit Vizepräsidentin Ursula Haas. Akademiepräsident Professor Dr. Günter J. Krejs, Laudator Dr. Peter Becker, Preis-Stifterin Luitgard Klima, SL-Kulturpreisträgerin Ilse Tielsch neben ihrer Enkelin, der diesjährigen Klima-Preisträgerin Samantha Wehr, und deren Verlobten Timon Höbert. Bilder: Michael Santifaller Pianistin Madoka Ueno und Christine Müller mit Querflöte.

Vor 40 Jahren gegründet - Sudetendeutsche Akademie...Germain und Trianon in Tsche-choslowakei, Polen, Rumänien, ... „The war‘s final crime was a peace treaty whose harsh terms

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Page 1: Vor 40 Jahren gegründet - Sudetendeutsche Akademie...Germain und Trianon in Tsche-choslowakei, Polen, Rumänien, ... „The war‘s final crime was a peace treaty whose harsh terms

Die Sudetendeutsche Akademie der Wissenschaften und Kün-ste veranstaltete im Zentrum Sankt Bonifaz der gleichnami-gen Benediktinerabtei in Mün-chen ihren jährlichen Festabend und feierte zugleich ihr 40jähri-ges Bestehen. Die Jubiläumsre-de hielten die beiden Vizeprä-sidenten der Akademie, Stefan Samerski und Ursula Haas. Den Festvortrag lieferte Arnold Sup-pan: Der Historiker sprach über „Saint-Germain, Trianon und die Folgen für die europäische Friedensordnung“. Nach dem Jahresbericht von Akademie-präsident Günter J. Krejs wur-de mit dem Adolf-Klima-Preis die junge österreichische Histo-rikerin Samantha Wehr ausge-zeichnet, auf die der Wiener Ge-schichtsprofessor Peter Becker die Laudatio hielt. Musikalisch erfreuten die Flötistin Christine Müller und die Pianistin Mado-ka Ueno die Gäste.

Zweifellos verfehlte die Pari-ser Konferenz ihr oberstes

Ziel: die Schaffung einer neu-en stabilen Friedensordnung“, resümierte Suppan in seinem Festvortrag. Ob allerdings poli-tisch, wirtschaftlich und militä-risch „vernünftigere“ Regelun-gen in diesen beiden Friedens-verträgen von Paris und ethnisch „gerechtere“ Grenzziehungen den Aufstieg von Faschismus und Nationalsozialismus verhin-dert und den Siegeszug des Sta-linismus eingedämmt hätten, sei heute nicht zu beweisen, so der emeritierte Professor für Osteu-ropäische Geschichte an der Uni-versität Wien. Allerdings habe et-wa Adolf Hitler schon in den frü-hen zwanziger Jahren mit seiner Agitation gegen die Regelungen des Versailler Vertrages – vor al-lem gegen die alleinige Kriegs-verantwortlichkeit Deutschlands, die Reparationsforderungen und die militärische Entmachtung – begonnen und mit seiner For-derung nach einem „Anschluß“ Österreichs und des Sudetenlan-des die Karte des Selbstbestim-mungsrechts ausgespielt.

Suppan vollzog in seinem bril-lanten Vortrag über die Pariser Konferenzen von 1919/20 detail-liert nach, wie die Entscheidun-gen damals getroffen wurden. Die Verträge von Saint-Germain und Trianon hätten völkerrecht-lich die Aufteilung der Habsbur-ger-Monarchie auf sieben Nach-folgestaaten besiegelt, was auch anhand einer Karte veranschau-licht wurde.

„Unter Nationen-Bauen ver-standen alle Nationalitäten Österreich-Ungarns sowie im üb-rigen Ostmittel- und Südosteu-ropa die Verbindung zwischen Ethnikum, Territorium und Sou-veränität“, so Suppan. Die politi-schen Vertreter aller Völker hät-ten am Ende des Ersten Welt-krieges auf „ihrem“ Territorium ihren eigenen, selbständigen Nationalstaat errichten wollen. Der eigene Nationalstaat hät-te nicht nur politische, ökono-mische, soziale und kulturelle, sondern vor allem auch physi-sche Sicherheit garantieren sol-len. Aufgrund der ethnisch ge-mischten Siedlungsstrukturen in der Habsburger-Monarchie habe aber diese Anwendung des natio-nalen Selbstbestimmungsrechts zu vielfältigen Abgrenzungs-konflikten zwischen den Völkern führen müssen. „Die westlichen imperialen Großmächte, die sich als Nationalstaaten verstanden, wollten hingegen auf den Terri-torien Österreich-Ungarns, des östlichen Deutschen Reiches, Rußlands und des Osmanischen Reiches wirtschaftlich konsoli-dierte ,Nationalstaaten‘ mit stra-tegischen Grenzen schaffen!“

Dies sei auf dem Gebiet des ehemaligen Zarenreiches und der ehemaligen Habsburger-Monarchie (abgesehen von Bos-nien-Herzegowina) erst nach 1990 annäherungsweise einge-treten, auf dem Boden des Os-manischen Reiches nicht einmal bis heute gelungen. Während

nach dem Ende des Ersten Welt-krieges die Verträge von Saint-Germain und Trianon in Tsche-choslowakei, Polen, Rumänien, Jugoslawien und Italien von Po-litik und Öffentlichkeit wegen der Gebietsgewinne überwie-gend positiv aufgenommen wor-den seien und dieses positive Image im wesentlichen bis heute behalten hätten, hätten die Ver-träge in Österreich, Ungarn und Deutschland aus ebenso nach-vollziehbaren Gründen lange Zeit als schwerste Demütigung und Bestrafung gegolten. Mit dem Staatsvertrag 1955 und dem Beitritt zur Europäischen Union 1995 seien allerdings in Öster-reich die negativen Konnotatio-nen zu Saint-Germain verblaßt.

Im Geschichtsbild der vertrie-benen Sudetendeutschen über-schatteten inzwischen die Ver-treibung 1945/46 die Groß-mächte-Entscheidungen von Saint-Germain 1919 und Mün-chen 1938, die deutschen Süd-tiroler nutzten mit ihrer Terri-torial- und Personalautonomie Möglichkeiten im europäischen Binnenmarkt, und die meisten Kärntner feierten alle zehn Jah-re die erfolgreiche Volksabstim-mung von 1920. Dagegen sei die für Österreich negative Volks-abstimmung von Ödenburg/So-pron 1921 auch im Burgenland weitgehend in Vergessenheit ge-raten.

Und viele Fragen, die sich von 1918 bis 1920 in den Nachfolge-staaten Österreich-Ungarns, des Zarenreiches und des Osmani-schen Reiches gestellt hätten, stünden zum Teil bis heute auf der Tagesordnung der Weltpoli-tik, wenn man an Bosnien-Her-zegowina, Kosovo, Mazedonien, Moldova, die Ukraine, Georgien, Armenien, Syrien, Libanon, Isra-el, Palästina und den Irak den-ke. Ausführlich hat Suppan sei-ne neuen Forschungsergebnis-se in dem Werk „The Imperialist Peace Order in Central Euro-pe: Saint-Germain and Trianon, 1919–1920“ vorgelegt, das so-eben im Verlag der Österreichi-schen Akademie der Wissen-schaften erschien.

Abschließend zitierte Suppan in seinem Vortrag zustimmend das Londoner Wochenmagazin „The Economist“, das schon vor 20 Jahren über die Verträge nach dem Ersten Weltkrieg feststell-te: „The war‘s final crime was a peace treaty whose harsh terms would ensure a second war.“ Die für die Kriegsverlierer über-aus harten Vertragsbedingun-gen und die Schaffung von Na-tionalitätenstaaten mit zahlrei-chen Minderheiten hätten also schon die Voraussetzungen für

einen zweiten großen Krieg ge-schaffen.

Dieser Zweite Weltkrieg mit seinen schrecklichen Folgen ha-be somit indirekt auch zur Grün-dungsgeschichte der Sudeten-deutschen Akademie vor fast ge-nau 40 Jahren geführt, wie ihre beiden Vizepräsidenten schilder-ten: Der Theologe Stefan Samer-ski faßte die historischen Daten zusammen, während die Schrift-stellerin Ursula Haas einige be-deutende Mitglieder vorstellte.

„Die Sudetendeutsche Aka-demie der Wissenschaften und Künste wurde am 20. Juli 1979 gegründet“, so Samerski. Trei-bende Kraft seien die Sude-tendeutsche Landsmannschaft unter dem damaligen Volks-gruppensprecher Walter Be-cher sowie dem damaligen SL-Bundeskulturreferenten Viktor Aschenbren ner und der Staats-rechtler Otto Kimminich gewe-sen, der auch erster Präsident wurde. In seinem Geleitwort 1980 habe der damalige Bayeri-sche Ministerpräsident Franz Josef Strauß ihre Arbeit gesell-schaftspolitisch so ausgewiesen: „... die Balance zwischen Selbst-bewahrung und Integration ih-rer Volksgruppe in die neue Hei-mat geistig und gefühlsmäßig zu begründen und zu fördern“. Die Akademie verstehe sich von An-fang an als eine Vereinigung von herausragenden Wissenschaft-lern und Künstlern, die „der Su-detendeutschen Volksgruppe auf besondere Weise verbun-den sind“. Die Akademie um-fasse satzungsgemäß etwa 120 Mitglieder, meist deutsche und österreichische. Seit der politi-schen Wende suche man gezielt auch den Austausch mit tsche-chischen und slowakischen Wis-senschaftlern und Künstlern. Da-bei kreise die inhaltliche Arbeit der Akademie um die „Darstel-lung der wissenschaftlichen und künstlerischen Potenz der Sude-tendeutschen Volksgruppe“.

Die Akademie ist aufgeteilt auf die Klassen der Geisteswis-senschaften, der Naturwissen-schaften und der Künste und Kunstwissenschaften. Dazu prä-sentierte Ursula Haas berühmte Mitglieder wie den Nobelpreis-träger Peter Andreas Grünberg, den Germanisten Kurt Krolop, den Bildhauer Otto Herbert Ha-jek und den Schriftsteller Josef Mühlberger.

Prinzipiell und historisch ge-sehen sei die Sudetendeutsche Akademie eine Gelehrtengesell-schaft, die dem Austausch hoch-rangiger Forscher diene, faß-te Samerski zusammen, also nicht wie Schule und Universi-tät ausbilde und auf das Berufs-

leben oder den Gelderwerb vor-bereite. „Dies geschieht auch durch Veranstaltungen, Veröf-fentlichungen, materielle Un-terstützung und durch die Pfle-ge des wissenschaftlich-künst-lerischen Gedankenaustausches im In- und Ausland und durch die Förderung ihres Fachgebie-tes, ihrer Studien und des wis-senschaftlichen Nachwuchses.“ Daher vergebe die Akademie seit 1989 jährlich auch den Adolf-Kli-ma-Preis. Dieser Nachwuchs-preis diene der finanziellen För-derung junger Wissenschaftler und Künstler, die entweder su-detendeutscher Abstammung sind oder sich mit wissenschaft-lichen beziehungsweise künstle-rischen Problemen des Sudeten-deutschtums befassen, und wird durch die Adolf-Klima-Stiftung finanziert. „Diese Form der Wis-senschaftsförderung ist einzigar-tig und zukunftsweisend“, schloß Samerski.

Und diese schöne Tradition wurde auch gleich wieder ge-pflegt: In Anwesenheit von Luit-gard Klima, der Stifterin des ur-sprünglich Klima-Stipendium genannten Preises, wurde die junge Wiener Historikerin Sa-mantha Wehr als neue Adolf-Kli-ma-Preisträgerin ausgezeichnet. Ihre Diplomarbeit zum Thema „Die zweite Generation erzählt: Nachkommen vertriebener Su-detendeutscher in Österreich über Vertreibung, Heimat und Identität“ sei eine verdienstvol-le wissenschaftliche Studie auf der Basis von Interviews mit An-gehörigen von Vertriebenen, so der Laudator Peter Becker. „Das Familiengedächtnis dient ne-ben der öffentlichen Erinnerung auch als Gerüst zur Vermittlung von historischem Wissen“, be-tonte der aus dem Banat stam-mende Historiker. Er enthüllte als Pointe: „Samantha Wehr ist die Enkelin der Schriftstellerin Il-se Tielsch, die sich in ihrem Ro-manwerk immer mit der Vertrei-bung der Sudetendeutschen be-schäftigt hat.“ Und Ilse Tielsch, die selbst seit 1981 Mitglied der Akademie ist und 1983 den Gro-ßen Sudetendeutschen Kultur-preis erhielt, war ebenfalls zur Preisverleihung aus Wien ange-reist.

Die berühmte Dichterin aus Südmähren hatte eingangs der aus Graz angereiste Akademie-Präsident Günter Krejs hocher-freut begrüßt, neben vielen an-deren Ehrengästen wie etwa dem Vorstandsvorsitzenden der Su-detendeutschen Stiftung, Ort-fried Kotzian. Krejs übermittel-te freundliche Grüße von Volks-gruppensprecher Bernd Posselt, der wegen des CSU-Parteitages verhindert war, und gab einen kurzen Jahresbericht: Nach dem Tod von vier Mitgliedern seit dem letzten Jahr würden nun sechs neue Mitglieder berufen. Die be-liebten Ringvorlesungen, bei de-nen Mitglieder der Akademie spezielle Forschungsergebnis-se ihrer Disziplinen vorstellten, seien immer noch durch die Bau-arbeiten im Sudetendeutschen Haus eingeschränkt. Immer-hin sei der 38. Band der Akade-mie-Schriftenreihe erschienen, der von der Geisteswissenschaft-lichen Klasse unter Kurt Franz herausgegeben wurde. An Wür-digungen gebe es die Verlei-hung des Großen Sudetendeut-schen Kulturpreises an den Wis-senschaftler Gottfried Konecny zu vermelden sowie die Verlei-hung des SL-Publizistikpreises an Wolfram Hader, den neu er-nannten Sekretar der Kunstklas-se, auf dem Sudetendeutschen Tag. „Und dort zelebrierte auch unser Mitglied Bischof Rudolf Voderholzer den großartigen Festgottesdienst“, strahlte Krejs.

Zelebriert wurde auch die musikalische Umrahmung des Festabends mit Stücken von Jo-hann Sebastian Bach, Bohuslav Martinů und Antonín Dvořák: Madoka Ueno begleitete am Flü-gel einfühlsam Christine Müllers meisterliches Querflötenspiel.

Susanne Habel

KULTURSudetendeutsche ZeitungFolge 43 | 25. 10. 2019 7

� Festabend der Sudetendeutschen Akademie der Wissenschaften und Künste in München

Vor 40 Jahren gegründet

Der Festredner Professor Dr. Arnold Suppan, 2002 berufen in die Akademie, und deren Präsident, Professor Dr. Günter J. Krejs. Unten: Vizepräsident Pro-fessor Stefan Samerski zeigt das Akademie-Logo mit Kaiser Karl IV. und re-feriert gemeinsam mit Vizepräsidentin Ursula Haas.

Akademiepräsident Professor Dr. Günter J. Krejs, Laudator Dr. Peter Becker, Preis-Stifterin Luitgard Klima, SL-Kulturpreisträgerin Ilse Tielsch neben ihrer Enkelin, der diesjährigen Klima-Preisträgerin Samantha Wehr, und deren Verlobten Timon Höbert. Bilder: Michael Santifaller

Pianistin Madoka Ueno und Christine Müller mit Querflöte.