2
Sozial- und Pr~iventivmedizin M(~decine sociale et pr(~ventive 23, 371-372 (1978) Vorbeugende Massnahmen bei der Gestaltung unserer Umwelt ' M. Schiir 2 Das fibergeordnete Ziel der Umweltgestaltung besteht in der Beseitigung oder Vermeidung yon gesundheits- sch~idigenden Faktoren und der Schaffung einer Urn- welt, welche das Wohlbefinden der Menschen f6rdert. Auf folgende drei Fragen sucht die Arbeitsgruppe eine Antwort zu geben: 1. Inwiefem ist die Umwelt gesundheitsgef~ihrdend? 2. Wie kann auf die Umwelt im Sinne der Zielsetzun- gen Einfluss genommen werden? 3. Welches konkrete Vorgehen dr/ingt sich auf? Sowohl die natiirliche als auch die durch den Men- sehen gestaltete (kiinstfiche) Umwelt k6nnen Einfluss auf das Wohlbefinden und dieGesundheit des Men- schen ausfiben. Schiidigungen und Bel~istigungen kfn- hen fiber die Luft, das Wasser oder den Boden direkt und indirekt zustande kommen. Nur ein kleiner Teil der Umwelteinflfisse ist quantifizierbar; und nur ein kleiner Teil der gesundheitlichen Auswirkungen ist klinisch effassbar, l~ber die kumulative Wirkung ver- schiedenartiger Umweltnoxen lassen sich keine ver- bindlichen Aussagen machen. Epidemiologisch-statistisch nachweisbare somatische Gesundheitsschfiden werden praktisch nur durch Ver- unreinigungen der Luft vemrsacht. Eine Vielfalt yon anderen Umwelteinflfissen stellen jedoch potentieUe Gesundheitsgefahren dar; so zum Beispiel chemisch oder mikrobiell verunreinigtes Wasser, Pestizide im Boden, ionisierende Strahlung usw. In bezug auf Unf~ille ist auf die Zusammenhgnge mit dem Lebensraum und der Siedlungsstruktur hinzuwei- sen. Das Unfallgeschehen ist komplex Und von vielen exogenen und endogenen Faktoren abh/ingig. Als Ur- sachen yon VerkehrsunfSllen seien lediglich die unzu- 1/ingliche Beschaffenheit der Verkehrswege, der schlechte Unterhalt der Fahrzeuge, das Fahrverhalten und das Missachten von Vorschriften erw~ihnt. Die Todesursachenstatistik l~isst die Bedeutung und den Umfang des Unfallgeschehens deutlich erkennen. Wohlbefinden und Gesundheit kfnnen aber auch durch psychosoziale Umweltfaktoren beeintrfichtigt werden. Psychische St6rungen und psychosomatisehe Leiden als Folge stehen dabei im Vordergrund. Die relevanten Bereiche der psychosozialen Umwelt find: 1. Arbei# Arbeitsplatz, Arbeitsklima, Arbeitstempo, Arbeitszeit, Arbeitsweg, Lohn usw. 2. Wohnen und Freizeit: Siedlungsstruktur (Unzug~ing- lichkeit), Erholungsgebiet usw. i Bericht der Arbeitsgruppe <<Umweltgestaltung>~ des ForumDavos 78: Grenzender MedizinHI: Pr~ivention und ihreMfgliehkeiten. 2Prof. Dr. med., lnstitut fiir Sozial-und Praventivmedizin der Uni- versit~it ZiJrich,Gloriastrasse32, 8006 Ziirich. Tab. 1. Todesfiille infolge Unfall nach Alter und Geschlecht (Schweiz 1975) Alter unter20J. 20--50J. 50J. u./ilte~ Unfallart m f m f m f Verkehrsunfalle Sturz Ertrinken Maschinenunf~ille allefibrigen Unglle total 187 105 21 11 25 9 24 7 68 35 325 167 405 92 88 9 29 3 68 5 89 35 679 144 368 178 365 611 32 11 50 9 86 79 901 888 3. Soziale Beziehungen: Abh~ingigkeit, Gewohnheit, Konsumverhalten, Passivit~it, Isolation usw. Die Massnahmen zur Gestaltung der Umwelt bestehen in individuellen und kollektiven Aktivit~ten. Diese sind nicht nur auf die VerhiJtung von Gesundheits- sch~den gerichtet, sondern dienen auch der F6rderung der Gesundheit und der Verbesserung der Lebensqua- lit~it. Bei den staatlichen Massnahmen stehen die gesetz- lichen Vorkehren im Vordergrund. Die noch beste- henden Liicken in der Umweltschutzgesetzgebung sol- len durch das Umweltschutzgesetz geschlossen wer- den. Es wird allerdings bedauert, dass dadurch nur Teilaspekte des Umweltschutzes geregelt werden. Die Aufsplitterung in viele Gesetze (Gewfisserschutz-, Gift- und Strahlenschutzgesetz usw.) tr~igt den 6kolo- gischen Zusammenh~ingen zu wenig Rechnung. Ebenso gosse Bedeutung kommt den Massnahmen und der Gesetzgebung fiber die Energie zu. Die einsei- tige Abh~ingigkeit vom O1, die Belastung der Umwelt durch einzelne Energietrager, insbesondere aber durch den Verschleiss von Energie, das Durchsetzen yon Energiesparmassnahmen und die Ffrdemng um- weltfreundlicher Altemativenergien sind auf dem Ge- biete der Energie die wichtigsten Anliegen. In bezug auf die psychosoziale Umwelt k6nnen fol- gende Aspekte und Massnahmen zu einer Verbesse- rung der Situation beitragen: a) Erkenntnis der Wechselwirkungen zwischen psy- choszialer Umwelt und Gesundheit b) Untersuchung der Zusammenh/inge zwischen Arbeitswelt und Mensch (z. B. Arbeitsklima-Ab- sentismus) c) Information und Aufklhrung d) Realisierung von Massnahmen, die auf Erkennt- nisse gestiitzt werden kfnnen 371

Vorbeugende Massnahmen bei der Gestaltung unserer Umwelt

Embed Size (px)

Citation preview

Sozial- und Pr~iventivmedizin M(~decine sociale et pr(~ventive 23, 371-372 (1978)

Vorbeugende Massnahmen bei der Gestaltung unserer Umwelt ' M. Schiir 2

Das fibergeordnete Ziel der Umweltgestaltung besteht in der Beseitigung oder Vermeidung yon gesundheits- sch~idigenden Faktoren und der Schaffung einer Urn- welt, welche das Wohlbefinden der Menschen f6rdert. Auf folgende drei Fragen sucht die Arbeitsgruppe eine Antwort zu geben: 1. Inwiefem ist die Umwelt gesundheitsgef~ihrdend? 2. Wie kann auf die Umwelt im Sinne der Zielsetzun-

gen Einfluss genommen werden? 3. Welches konkrete Vorgehen dr/ingt sich auf? Sowohl die natiirliche als auch die durch den Men- sehen gestaltete (kiinstfiche) Umwelt k6nnen Einfluss auf das Wohlbefinden und dieGesundheit des Men- schen ausfiben. Schiidigungen und Bel~istigungen kfn- hen fiber die Luft, das Wasser oder den Boden direkt und indirekt zustande kommen. Nur ein kleiner Teil der Umwelteinflfisse ist quantifizierbar; und nur ein kleiner Teil der gesundheitlichen Auswirkungen ist klinisch effassbar, l~ber die kumulative Wirkung ver- schiedenartiger Umweltnoxen lassen sich keine ver- bindlichen Aussagen machen. Epidemiologisch-statistisch nachweisbare somatische Gesundheitsschfiden werden praktisch nur durch Ver- unreinigungen der Luft vemrsacht. Eine Vielfalt yon anderen Umwelteinflfissen stellen jedoch potentieUe Gesundheitsgefahren dar; so zum Beispiel chemisch oder mikrobiell verunreinigtes Wasser, Pestizide im Boden, ionisierende Strahlung usw. In bezug auf Unf~ille ist auf die Zusammenhgnge mit dem Lebensraum und der Siedlungsstruktur hinzuwei- sen. Das Unfallgeschehen ist komplex Und von vielen exogenen und endogenen Faktoren abh/ingig. Als Ur- sachen yon VerkehrsunfSllen seien lediglich die unzu- 1/ingliche Beschaffenheit der Verkehrswege, der schlechte Unterhalt der Fahrzeuge, das Fahrverhalten und das Missachten von Vorschriften erw~ihnt. Die Todesursachenstatistik l~isst die Bedeutung und den Umfang des Unfallgeschehens deutlich erkennen. Wohlbefinden und Gesundheit kfnnen aber auch durch psychosoziale Umweltfaktoren beeintrfichtigt werden. Psychische St6rungen und psychosomatisehe Leiden als Folge stehen dabei im Vordergrund. Die relevanten Bereiche der psychosozialen Umwelt find: 1. Arbei# Arbeitsplatz, Arbeitsklima, Arbeitstempo,

Arbeitszeit, Arbeitsweg, Lohn usw. 2. Wohnen und Freizeit: Siedlungsstruktur (Unzug~ing-

lichkeit), Erholungsgebiet usw.

i Bericht der Arbeitsgruppe <<Umweltgestaltung>~ des Forum Davos 78: Grenzen der Medizin HI: Pr~ivention und ihre Mfgliehkeiten.

2 Prof. Dr. med., lnstitut fiir Sozial- und Praventivmedizin der Uni- versit~it ZiJrich, Gloriastrasse 32, 8006 Ziirich.

Tab. 1. Todesfiille infolge Unfall nach Alter und Geschlecht (Schweiz 1975)

Alter unter20J. 20--50J. 50J. u./ilte~

Unfallart m f m f m f

Verkehrsunfalle Sturz Ertrinken Maschinenunf~ille alle fibrigen

Unglle total

187 105 21 11 25 9 24 7 68 35

325 167

405 92 88 9 29 3 68 5 89 35

679 144

368 178 365 611 32 11 50 9 86 79

901 888

3. Soziale Beziehungen: Abh~ingigkeit, Gewohnheit, Konsumverhalten, Passivit~it, Isolation usw.

Die Massnahmen zur Gestaltung der Umwelt bestehen in individuellen und kollektiven Aktivit~ten. Diese sind nicht nur auf die VerhiJtung von Gesundheits- sch~den gerichtet, sondern dienen auch der F6rderung der Gesundheit und der Verbesserung der Lebensqua- lit~it. Bei den staatlichen Massnahmen stehen die gesetz- lichen Vorkehren im Vordergrund. Die noch beste- henden Liicken in der Umweltschutzgesetzgebung sol- len durch das Umweltschutzgesetz geschlossen wer- den. Es wird allerdings bedauert, dass dadurch nur Teilaspekte des Umweltschutzes geregelt werden. Die Aufsplitterung in viele Gesetze (Gewfisserschutz-, Gift- und Strahlenschutzgesetz usw.) tr~igt den 6kolo- gischen Zusammenh~ingen zu wenig Rechnung. Ebenso gosse Bedeutung kommt den Massnahmen und der Gesetzgebung fiber die Energie zu. Die einsei- tige Abh~ingigkeit vom O1, die Belastung der Umwelt durch einzelne Energietrager, insbesondere aber durch den Verschleiss von Energie, das Durchsetzen yon Energiesparmassnahmen und die Ffrdemng um- weltfreundlicher Altemativenergien sind auf dem Ge- biete der Energie die wichtigsten Anliegen. In bezug auf die psychosoziale Umwelt k6nnen fol- gende Aspekte und Massnahmen zu einer Verbesse- rung der Situation beitragen: a) Erkenntnis der Wechselwirkungen zwischen psy-

choszialer Umwelt und Gesundheit b) Untersuchung der Zusammenh/inge zwischen

Arbeitswelt und Mensch (z. B. Arbeitsklima-Ab- sentismus)

c) Information und Aufklhrung d) Realisierung von Massnahmen, die auf Erkennt-

nisse gestiitzt werden kfnnen

371

Sozial- und Pr~iventivmedizin M6decine sociale et pr(~ventive 23, 372-378 (1978)

e) langfristige Planung Konkrete Massnahmen w~iren zum Beispiel: 1. bei der Arbeit: die Mitbestimmung der Arbeit-

nehmer bei der Arbeitsplatzgestaltung - die Schaffung bzw. Unterstiitzung yon Organi-

sationsformen, welche die Bediirfnisartikulation zulassen

- flankierende Massnahmen (z. B. Betriebspsycho- logen; flexible Arbeitszeit)

2. im Bereich Wohnen und Freizeit: Siedlungsge- staltung, Verbesserung der Umwelt (Wohnung)

- F6rderung aktiver, kreativer Freizeitgestaltung (Offnung von Schulen, Sportanlagen; Motivation spezieller Gruppen wie Eltem usw.)

3. in den sozialen Beziehungen: Verbesserung der Kommunikation, Sozialisation

- Schulreform (solidarisches statt Konkurrenzver- halten)

- F6rderung der zwischenmenschlichen Beziehun- gen (Einbezug von Randgruppen; Integration Betagter in die Familien usw.).

Durch sinnvolle Umweltgestaltung kann ein wesent- licher Beitrag zur Erhaltung und F6rderung der Ge- sundheit des Menschen geleistet werden; es kann dadurch aber auch das Verhalten des Menschen in giinstigem Sinne beeinflusst werden.

Arbeitsgruppe: Umweltgestaltung Zusammenfassung Vorbeugende Massnahmen bei der Gestaltung unserer Umwelt Die natiirliche als auch die vom Menschen gestaltete Umwelt beein- flussen das Wohlbefinden und die Gesundheit des Menschen. Die Umweltgestaltung hat die F6rderung der Gesundheit und die Besei- tigung yon Gesundheitsgefahren zum Ziel, wobei sowohl den physi-

schen als auch den psychosozialen Faktoren Rechnung getragen werden muss. Zu den Umweltbereichen, die in bezug auf die Ge- sundheitsgefiihrdung vordergrfindig sind, geh6ren die Arbeit, das Wohnen, die Freizeit und auch die Energie. Die Umweltschutz- und die Energiegesetzgebung k6nnen einen wesentlichen Beitrag zur Umweltgestaltung leisten.

Groupe de travail <~Am~nagement de I'environnement~ R~sum~ Mesures de prevention dans l'am~nagement de notre environne- ment L'environnement naturel tout eomme celui model6 par l'homme exercent une influence marqu6e sur le bien-~tre et la sant6 de l'homme. L'am6nagement de l'environnement a pour but de pro- mouvoir la sant6 et d'6carter les dangers qui la menacent. I1 doit tenir compte des facteurs physiques aussi bien que des facteurs psycho-sociaux. Parmi les aspects de l'environnement qui figurent au premier plan ~ ce sujet, il Iaut citer le travail, l'habitat, les loisirs et 6galement les questions d'6nergie. La 16gislation sur la protection de l'environnement et sur l'6nergie peut apporter une contribution essentielle '~ l'am6nagement d e l'environnement.

Report o[ the working party: "Environment" Summary Preventive measures in the management of the environment The natural and the man made environment influence the wellbeing and the health of the population. The management of the environ- ment aims at the improvement of health and the disposal of health risks. The physical and the psycho-social environment has to be taken into consideration, especially in connection with work, housing, energy consumption and spare time activities. Laws concerning en- vironmental protection and energy supply could contribute to im- provement of the environment.

Teilnehmerliste der Arbeitsgruppe c~Umweltgestaltung~, R. Fr6scher, Bern; H. P. Graf, Bern; C. Kleiber (Experte), Lau- sanne; G. Latzel, Ziirich; Ed. Leuthold, Ziirich; R. Liithi, Bern; E. Neser, Luzern; M. ScNir (Vorsitz), Ziirich; C. Schucan, Allschwil; W. Stebler, Basel.

5. Arbeitsplatzgestaltung A u f kaum einem Gebiet wurden priiventive Mass- nahmen so griindlich und erfolgreich durchgesetzt wie bei der Gestaltung der Arbeitspliitze. Und den- noch verlangen die stiindig neuen und wechselnden Anforderungen vermehrte .4nstrengungen. Nach Beispielen aus der Ergonomie - eine Disziplin, die der Amerikaner als ~<human factors engineering~> bezeichnet- werden die yon der Arbeitsgruppe als notwendig erachteten weiteren Massnahmen aufge- fiihrt.

5. Am nagement des places de travail II n' est gu~re de domaine oft des mesures preventives aient gtd appliqudes de mani~re aussi intensive et avec autant de succ~s que celui de l'amgnagementdes places de travail. En dgpit de ce fait, des exigences sans cesse changeantes demandent des efforts accrus. Avec des exemples tir~s du domaine de l'ergonomie - une discipline que les Am~ricains dgsignent par ~<human factors engineering~, les autres mesures consid~rdes comme ngcessaires par le groupe de tra- vail sont prgsent~es.

Ergonomie et M decine du Travail au service de la prevention1 E. Grandjean 2

1. Introduction Les buts de la M6decine du Travail et ceux de l'Ergo- nomie se ressemblent beaucoup: La M6decine du Tra-

vail cherche/t prot6ger la sant6 du travailleur, l'Ergo- nomie veut promouvoir le bien-6tre du travailleur. Si les buts sont presque les m6mes, il ne va pas de m6me

1 Bas6 sur une conf6rence pr6par6e pour le congr6s: Limites de la m6decine IlL La prdvention et ses possibilit6s. Forum Davos 1978.

a Prof. Dr m6d., Institut d'Hygi~ne et de Physiologie du Travail de l'Ecole Polytechnique F6d6rale Zurich, CH-8092 Zurich.

372