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Vorkurs Mathematik für Studierende der Fachrichtungen Mathematik und Informatik Wintersemester 2020/21 Alexander Ullmann CAU Kiel (PerLe)

Vorkurs Mathematik 2015 · 2020. 10. 2. · Vorkurs Mathematik für Studierende der Fachrichtungen Mathematik und Informatik Wintersemester 2020/21 Alexander Ullmann CAU Kiel (PerLe)

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Vorkurs Mathematik

für Studierende der FachrichtungenMathematik und Informatik

Wintersemester 2020/21

Alexander Ullmann

CAU Kiel (PerLe)

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Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis v

Einleitung 1

1 Aussagen, Mengen und Quantoren 31.1 Aussagen und logische Verknüpfungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31.2 Mengen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51.3 Die Quantoren ∃ und ∀ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71.4 Verneinung (Negation) von Aussagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8

1.4.1 Negation von zusammengesetzten Aussagen . . . . . . . . . . . . . . . . . 81.4.2 Negation von Aussagen mit Quantoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91.4.3 Allgemeine Regel zum Negieren einer zusammengesetzten Aussage mit

Quantoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

2 Die Zahlenbereiche N,Z,Q,R 112.1 Bruchrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122.2 Rechenregeln für reelle Zahlen und Ordnungsrelationen . . . . . . . . . . . . . . . 152.3 Intervalle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16

3 Beweistechniken und einige Beweise Teil I 19

4 Potenzrechnung, Logarithmen und Rechnen mit Beträgen 234.1 Potenzen und Wurzeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244.2 Der Logarithmus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26

4.2.1 Die Logarithmengesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274.3 Der Betrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28

5 Gleichungen und Ungleichungen 295.1 Gleichungen und Ungleichungen in einer Variablen . . . . . . . . . . . . . . . . . 295.2 Quadratische Gleichungen und Ungleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31

5.2.1 Quadratische Gleichungen und Quadratische Ergänzung . . . . . . . . . . 315.2.2 Lösungsmengen quadratischer Ungleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . 32

5.3 Wurzelgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345.4 Bruchungleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35

iii

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iv INHALTSVERZEICHNIS

5.5 Betragsungleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365.6 ...in zwei Variablen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37

6 Funktionen 416.1 Definition und Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 416.2 Eigenschaften von Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 476.3 Die Umkehrfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48

7 Spezielle Funktionen 517.1 Konstante Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 517.2 Lineare Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52

7.2.1 Lineare Funktion im Sinne der Schulmathematik . . . . . . . . . . . . . . 527.2.2 Lineare Funktion im Sinne der Linearen Algebra . . . . . . . . . . . . . . 52

7.3 Quadratische Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 537.4 Polynomfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 547.5 Gebrochen rationale Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 557.6 Die Potenzfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 577.7 Die Exponentialfunktion und die Logarithmusfunktion . . . . . . . . . . . . . . . 597.8 Betragsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 597.9 Indikatorfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 607.10 Stückweise definierte Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 617.11 Trigonometrische Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62

7.11.1 Herleitung und Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 627.11.2 Die Additionstheoreme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64

8 Die komplexen Zahlen 658.1 Rechnen mit komplexen Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 668.2 Die Gaußsche Zahlenebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 678.3 Lösen quadratischer Gleichungen in C . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 718.4 Polardarstellung und Einheitswurzeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73

9 Analytische Geometrie in Ebene und Raum 759.1 Der Vektorraum Rn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 759.2 Die euklidische Ebene R2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76

9.2.1 Geraden in der Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 779.2.2 Der Schnitt von Geraden in der Ebene und lineare Gleichungssysteme mit

zwei Unbekannten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 799.2.3 Norm und Skalarprodukt in der euklidischen Ebene . . . . . . . . . . . . . 82

9.3 Der euklidische Raum R3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 839.3.1 Geraden und Ebenen im Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83

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INHALTSVERZEICHNIS v

10 Beweistechniken und einige Beweise Teil II 8910.1 Bearbeitung von Übungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8910.2 Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91

Index 93

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Einleitung 1

Einleitung

Dieser Kurs soll wichtige Bereiche Ihres Schulwissens möglichst konsistent aufbereiten. Er rich-tet sich insbesondere an Studierende, die Unsicherheiten im Umgang mit dem mathematischenSchulstoff haben, deren Mathematikunterricht länger zurückliegt oder deren mathematischerSchulstoff nicht alle für das Studium notwendige Voraussetzungen umfasste. Der Vorkurs musssich auf das Notwendigste beschränken, soll Sie aber schon vertraut machen mit der präzisenDarstellung mathematischer Sachverhalte, wie sie das Studium vermitteln und verlangen wird.

Die dargestellten Inhalte sind vielerorts, sei es frei erhältlich im Internet, oder auf dem Bücher-markt in guten Darstellungen zu finden. In diesen Kurs fließen aber die speziellen Erfahrungendes Lehrbetriebes von Dozenten der ersten Semester Mathematik ein. Über Jahre konnten wirgravierende Lücken vieler Studienanfänger im Umgang mit elementaren Rechentechniken undDefinitionen, wie Rechnen mit Beträgen oder den sicheren Umgang mit Ungleichungen beobach-ten. Wenn solche Lücken nicht aufgearbeitet werden, kann daran leicht das erfolgreiche Studiumscheitern. Auch beobachteten wir bei vielen Studienanfängern und -anfängerinnen große Hem-mungen, sich eigenständig an das Lösen auch einfacherer Übungsaufgaben zu machen. Das istaber unumgänglich um mit dem Fortschreiten des Stoffes Schritt zu halten und nicht irgendwann„abgehängt“ zu werden. Eine weitere Hürde für das Studium stellt für viele das Formulieren undAufschreiben eines vollständigen Beweises dar. Auch an diesen Aspekt des Mathematikstudiumswollen wir Sie in diesem Vorkurs bereits heranführen. Dieser Vorkurs soll jedem Studienanfängerund jeder Studienanfängerin die Chance bieten, im Studium von Anfang an alle Übungsangeboteoptimal für sich nutzen zu können und damit die Grundlage für ein erfolgreiches Mathematik-oder Informatikstudium an der CAU Kiel bieten.

Dieses Skript basiert auf einer überarbeiteten Version eines Vorkurses Mathematik, den ich von2009 - 2012 am KIT in Karlsruhe gehalten habe und der ursprünglich von Frau Dr. JohannaDettweiler entworfen wurde. Zur Einführung des Kurses an der CAU Kiel wurden Elemente ausbereits am Mathematischen Seminar in Kiel gehaltenen Vorkursen von Herrn Prof. HermannKönig und Herrn Dr. Hauke Klein übernommen. Im Rahmen des PerLe-Projekts hat außerdemHerrn Dr. Patryk Brzezinski an der Verbesserung des Skripts mitgewirkt.

Kiel, im Herbst 2020 Alexander Ullmann

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2 Einleitung

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Kapitel 1

Aussagen, Mengen und Quantoren

1.1 Aussagen und logische Verknüpfungen

Wenn man sich über Mathematik verständigen will, ist es unumgänglich zu verstehen, was ma-thematische Aussagen sind und wie sie verknüpft werden können. Erst dann kann man verstehen,was bspw. ein mathematischer Beweis ist. Daher fängt dieser Vorkurs mit mathematischen Aus-sagen an und behandelt in Kürze, wie daraus durch verschiedene Verknüpfungen neue Aussagenentstehen.

Definition 1.1.1 ((Mathematische) Aussagen). Eine Aussage im mathematischen Sinne ist einsprachliches Gebilde, dessen Wahrheitsgehalt stets mit „wahr“ oder „falsch“ angegeben werdenkann.

Beispiele 1.1.2. (1) Folgendes sind mathematische Aussagen:

• Dienstag ist ein Wochentag.

• Dienstag ist Montag.

• 2 ist eine gerade Zahl.

• 2 = 1.

(2) Folgendes sind keine mathematische Aussagen:

• Mathematik macht Spaß.

• x2 + 2x+ 1.

• x2 + 1 = 0. (Was ist x?).

• Diese Aussage ist falsch.

Ein zentraler Aspekt besteht nun darin, verschiedene Aussagen miteinander in Relation zu setzen.Dazu verwenden wir die folgenden logischen Verknüpfungen von Aussagen A,B:

3

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4 1. Aussagen, Mengen und Quantoren

BezeichnungSymbol Bedeutung der Verknüpfung

1. Negation ¬A nicht A2. Konjunktion (und) A ∧ B A und B3. Disjunktion (oder) A ∨ B A oder B4. Implikation (Folgerung) A ⇒ B aus A folgt B5. Äquivalenz (genau dann, wenn) A ⇔ B A und B sind äquivalent, d.h. es gilt

A ⇒ B und B ⇒ A

Sie werden definiert über Wahrheitstafeln (dabei steht „w“ für wahr und „f“ für falsch):

A B ¬A A ∧ B A ∨ B A ⇒ B A ⇔ Bw w f w w w ww f f f w f ff w w f w w ff f w f f w w

Aussagen, die durch logische Verknüpfung von anderen Aussagen entstehen, nennen wir gele-gentlich auch zusammengesetzte Aussagen.

Definition 1.1.3 (Tautologische Äquivalenz). Zwei (ggf. zusammengesetzte) Aussagen A und Bheißen tautologisch äquivalent, wenn Sie dieselben Wahrheitstafeln besitzen. Wir schreiben indiesem Fall A =||= B.

Zum Beispiel gelten (Nachweis über Wahrheitstafeln):

1. ¬(A ∨ B) =||=(¬A ∧ ¬B

),

2. (A ⇒ B) =||= (¬A ∨ B),

3. ¬(A ⇒ B) =||= (A ∧ ¬B),

4. (A ⇒ B) =||= (¬B ⇒ ¬A), aber A ⇒ B ist nicht tautologisch äquivalent zu B ⇒ A.

5. (A ⇐⇒ B) =||=(A ⇒ B ∧ B ⇒ A

)

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1.2. Mengen 5

Beispiele aus dem alltäglichen Sprachgebrauch (Achtung, hierbei handelt es sich streng genom-men nicht um Aussagen in unserem Sinn):

Zu 2. Die Aussage „Wenn Du nicht aufräumst, dann bekommst Du Stubenarrest“ lässt sich auf-fassen als Implikation A ⇒ B mit den Aussagen A : Du räumst nicht auf und B : Dubekommst Stubenarrest. In der Tat ist diese Aussage auch umgangssprachlich gleichwertigmit „Du räumst auf, oder Du bekommst Du Stubenarrest“, also mit ¬A ∨ B.

Zu 3. Ebenso lässt sich die Aussage „Wenn Du aufräumst, dann bekommst Du 10 Euro“ alsImplikation A ⇒ B auffassen, dieses mal mit den Aussagen A : Du räumst auf und B : Dubekommst 10 Euro. Diese Aussage ist offenbar falsch genau dann, wenn sie eine „Lüge“ ist,wenn der Angesprochene also aufräumt, aber keine 10 Euro bekommt, wenn also A wahrund B falsch ist, bzw. wenn A ∧ ¬B gilt.

Zu 4. Die Aussage „Wenn es regnet, wird die Straße nass“ lässt sich als Implikation A ⇒ Bauffassen mit den Aussagen A : Es regnet und B : Die Straße wird nass. Wenn die Straßealso nicht nass wird, kann es nicht regnen, d.h. wir haben tautologische Äquivalenz zurAussage ¬B ⇒ ¬A, aber wenn die Straße (wie auch immer) nass wird, können wird darausnicht folgern, dass es auch regnet.

Man beachte:

• Das logische „oder“ ist nicht-ausschließend, also nicht zu verwechseln mit „entweder ... oder“.

• Ist A falsch, so ist die Implikation A ⇒ B stets wahr („ex falso quodlibet“)! Zum Beispielgilt 1 < 0⇒ 2 = 3.

• Die Negation einer Implikation ist eine „und“-Aussage, vgl. dazu auch Punkt 3. oben unddas zugehörige sprachliche Beispiel.

1.2 Mengen

„Naiver“ Mengenbegriff nach Cantor: Eine Menge ist eine Zusammenfassung bestimmter,wohlunterschiedener Objekte unserer Anschauung oder unseres Denkens zu einem Ganzen. Fürjedes Objekt muss eindeutig feststellbar sein, ob es zu der Menge gehört oder nicht. Die zu einerMenge gehörenden Objekte heißen Elemente der Menge.

Mengen werden üblicherweise mit Großbuchstaben A,B,C, ... und ihre Elemente mit kleinenBuchstaben a, b, c, ... bezeichnet. Wir schreiben

a ∈ A für „a ist Element von A“ unda 6∈ A für „a ist nicht Element von A“.

Darstellung von Mengen. Elemente von Mengen werden durch geschweifte Klammern {...}zusammengefasst. Dies geschieht entweder durch die aufzählende Darstellung oder durch diebeschreibende Darstellung :

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6 1. Aussagen, Mengen und Quantoren

(1) Ein Beispiel zur aufzählende Darstellung von Mengen: Die Menge A der Buchstabendes Namens „Paula“, mit Unterscheidung großer und kleiner Buchstaben, ist:

A := {P, a, u, l, a} = {P, a, u, l}= {l, P, u, a}.

oder durch die Darstellung {x|x hat die Eigenschaft E}, wie zum Beispiel:

(2) Die beschreibende Darstellung von Mengen hat allgemein die Gestalt {x|x hat die Eigenschaft E},wie zum Beispiel: B := {x|x ∈ A, x ist ein Großbuchstabe } = {P} oderC := {x|x ist eine ungerade Zahl}.

(Dabei bedeutet X := Y „X sei definiert als Y “).

Ist für ein x aus einer MengeX die Eigenschaft E in Gestalt eines Ausdruckes E(x) gegeben,so sind gleichbedeutend {x ∈ X|x hat die Eigenschaft E} sowie {x ∈ X| E(x) ist wahr},oder meist kurz {x ∈ X| E(x)}. Die so definierte Menge ist dann eine Teilmenge von X

(s.u.).

Man beachte: Eine bedingte (also teilweise) aufzählende Darstellung von unendlichen Mengenmit „Pünktchenschreibweise“ ist zwar oft intuitiv und auch anschaulicher, aber niemals exakt.Definiert man zum BeispielM := {1, 2, 4, 8, 16, . . .}, so suggeriert dies zwarM = {n ∈ N | n = 2k

für eine k ∈ N}, aber es könnte genauso gut sein

M = {1, 2, 4, 8, 16, 30, . . .} = {n ∈ N | n ist die Anzahl der Teiler von m! für ein m ∈ N},

oder

M = {1, 2, 4, 8, 16, 31, . . .} =

{n ∈ N

∣∣∣∣∣n ist die maximale Anzahl von Gebieten, die man durchgeradliniges Verbinden von m Punkten auf einem Kreisrandaus einer Kreisscheibe ausschneidet für ein m ∈ N

}.

Eine beeindruckende Übersicht über bekannte Zahlenreihen (der auch diese Beispiele entnommensind), finden Sie unter http://oeis.org/.

Definition 1.2.1 (Teil- und Obermengen). Es seien A und B Mengen.

(1) Die Menge A heißt Teilmenge der Menge B, wenn jedes Element a aus A auch Elementvon B ist. Wir schreiben in diesem Fall A ⊆ B1. Ist A nicht Teilmenge von B, gibt es alsoein Element a ∈ A welches nicht Element von B ist, so schreiben wir A 6⊆ B.

(2) Ist A ⊆ B, so nennt man B auch Obermenge von A und notiert B ⊇ A.

(3) Gilt A ⊆ B und B ⊆ A, so sind die Mengen gleich und wir schreiben A = B.1Oft wird in diesem Fall auch die Notation A ⊂ B verwendet.

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1.3. Die Quantoren ∃ und ∀ 7

Beispiel 1.2.2. Definiere die Mengen A := {1, 2, 3}, B := {1, 2, 3, 4}, C := {1, 2, 3, 2, 1} undD := {2, 4}. Dann gilt:

A ⊆ B, A ⊆ C, C ⊆ A, A = C und A 6⊆ D.

Definition 1.2.3 (Leere Menge). Die Menge ∅, die kein Element besitzt, wird als leere Mengebezeichnet.

Achtung: Die leere Menge ∅ ist nicht zu verwechseln mit {∅} oder {0}; insbesondere ist {∅} 6= ∅,aber ∅ ⊆ {∅} und ∅ ∈ {∅} (Anschaulich: Ein Sack, in dem ein leerer Sack ist, ist selbst nichtleer).

Definition 1.2.4 (Schnitt- und Vereinigungsmenge, relatives Komplement). Seien A,B Mengen.

Die Schnittmenge A ∩B von A und B wird definiert als

A ∩B := {x | x ∈ A und x ∈ B}.

Die Vereinigungsmenge A ∪B von A und B

A ∪B := {x | x ∈ A oder x ∈ B}.

Als relatives Komplement von B in A wird definiert als A \B := {x ∈ A | x 6∈ B}.

Definition 1.2.5 (Das kartesiche Produkt von Mengen). Seien A,B Mengen. Dann heißt dieMenge aller geordneten Paare (a, b) von Elementen a ∈ A und b ∈ B

A×B := {(a, b) | a ∈ A, b ∈ B}

das sog. kartesische Produkt od. auch Kreuzprodukt von A und B.

Man beachte: Zwei geordnete Paare (a, b), (c, d) sind genau dann gleich, wenn a = c und b = d

gilt. Es gilt also zum Beispiel (1, 2) 6= (2, 1), aber hingegen {1, 2} = {2, 1}!

Beispiel 1.2.6. Definiere die Mengen A := {1, 2, 3} und B := {1, 3, 5}. Dann gilt

A ∩B = {1, 3}, A ∪B = {1, 2, 3, 5} ; und A\B = {2},

sowieA×B = {(1, 1), (1, 3), (1, 5), (2, 1), (2, 3), (2, 5), (3, 1), (3, 3), (3, 5)}.

1.3 Die Quantoren ∃ und ∀

Die Quantoren ∃ und ∀ sind logische Symbole, die der abkürzenden Schreibweise in der Aussa-genlogik dienen.

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8 1. Aussagen, Mengen und Quantoren

Sei X eine Menge und E eine Eigenschaft, durch die für jedes x ∈ X eine Aussage E(x) gegebenist. Wir schreiben in diesem Fall auch E(·), wobei der Punkt als Platzhalter für ein einzusetzendesElement steht und nennen E(·) eine Aussageform . Dann bedeuten:(

∃x ∈ X : E(x)): „Es existiert ein x ∈ X so, dass E(x) wahr ist.“ (1.3.1)

bzw. „Es existiert ein x ∈ X mit der Eigenschaft E .“(∀x ∈ X : E(x)

): „Für alle x ∈ X gilt E(x).“ (1.3.2)

Beispiel 1.3.1. Sei X die Menge der Teilnehmer dieses Vorkurses und E(x) die Aussage: „xträgt eine Brille.“

1. Dann bedeutet (1.3.1): „Mindestens ein Teilnehmer trägt eine Brille.“ In welchen Konstel-lationen ist diese Aussage wahr bzw. falsch?

2. (1.3.2) bedeutet: „Alle Teilnehmer tragen eine Brille.“

Diese Quantoren kann man auch iterativ verwenden: Seien X, Y Mengen, und sei E eine Aussa-geform auf X ×Y . Da man in diesem Fall zwei (möglicherweise) verschiedene Argumente für dieAussageform E hat, schreibt man hier auch E(·, ··).Dann bedeutet bspw.

∃x ∈ X : (∀y ∈ Y : E(x, y)) :„Es existiert ein x ∈ X so, dass für alle (1.3.3)

y ∈ Y die Aussage E(x, y) gilt.“

Beispiel 1.3.2. Sei X := Y := R. F(x, y) sei die Aussage x · y = 0. Dann bedeutet (1.3.3): „Esexistiert ein x ∈ R so, dass für alle y ∈ R x · y = 0 gilt.“Ist diese Aussage wahr? Wenn ja, für welche x?

Beispiel 1.3.3 (Bedeutung der Reihenfolge der Quantoren). Die Reihenfolge der auftretendenQuantoren ist für die Bedeutung der formulierten Aussage entscheidend. Die Aussagen ∀x ∃y :

E(x, y) und ∃y ∀x : E(x, y) haben eine unterschiedliche Bedeutung. So unterscheiden sich dieAussagen „Alle Anwesenden haben einen Schuh, der passt.“ und „Es gibt einen Schuh, der allenAnwesenden passt.“ oder auch die Aussagen ∀x ∈ R \ {0} ∃y ∈ R : x · y = 1 und ∃y ∈ R ∀x ∈R \ {0} : x · y = 1.

1.4 Verneinung (Negation) von Aussagen

Oft gelingt es bei einfachen Aussagen, diese „nach Gefühl“ zu verneinen. Bei Aussagen, die selbstwieder Verknüpfungen anderer Aussagen sind, wird das jedoch immer unzuverlässiger. Es gibtjedoch klar Regeln, nach denen man vorgeht.

1.4.1 Negation von zusammengesetzten Aussagen

Seien A,B Aussagen. Aus Abschnitt 1.1 sind die folgenden Regeln bekannt:

(1) ¬¬A := ¬(¬A) =||= A.

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1.4. Verneinung (Negation) von Aussagen 9

(2) ¬(A ∧ B) =||= (¬A) ∨ (¬B).

(3) ¬(A ∨ B) =||= (¬A) ∧ (¬B).

(4) ¬(A ⇒ B) =||= A ∧ (¬B).

1.4.2 Negation von Aussagen mit Quantoren

Sei X eine Menge und E(·) eine Aussageform auf X.

(5) ¬(∀x ∈ X : E(x)) =||= (∃x ∈ X : ¬E(x)).

(6) ¬(∃x ∈ X : E(x)) =||= (∀x ∈ X : ¬E(x)).

Beispiele:

zu (5) Die Negation der Aussage „Alle Teilnehmer waren pünktlich da“ ist die Aussage „Mindestensein Teilnehmer war unpünktlich“.

zu (6) Die Negation der Aussage „Es gibt einen Teilnehmer mit Brille“ ist „Alle Teilnehmer tragenkeine Brille“, was natürlich eher als „Kein Teilnehmer trägt eine Brille“ formuliert wird.

1.4.3 Allgemeine Regel zum Negieren einer zusammengesetzten Aussage mitQuantoren

Damit erhalten wir eine einfache Regel, wie das Negieren einer Aussage „mechanisch“ zu bewerk-stelligen ist:

• Behalte die Reihenfolge bei!

• Vertausche ∃ und ∀.

• Verneine alle auftretenden zusammengesetzten Aussagen unter Verwendung der Regeln (1)- (4).

Beispiele: Seien A,B Aussagen, X,Y Mengen und E eine Aussageform.

1. ¬(∀x ∈ X : (∃y ∈ Y : E(x, y))

)=||=

(∃x ∈ X : (∀y ∈ Y : ¬E(x, y))

). Die Negation der

Aussage „Jeder Teilnehmer findet mindestens einen Satz des bisherigen Stoffes trivial“ istdie Aussage „Es gibt einen Teilnehmer der alle bisherigen Sätze nicht-trivial findet“

2. ¬(∃x ∈ X : (∀y ∈ Y : E(x, y))

)=||=

(∀x ∈ X : (∃y ∈ Y : ¬E(x, y))

). Die Negation der

Aussage „Es gibt einen Teilnehmer, der alle Anwesenden bereits kennt“ ist „Alle Teilnehmerkennen mindestens einen der Anwesenden nicht“.

3. ¬(∀x ∈ X : (∃y ∈ Y : E(x)⇒ E(y))

)=||=

(∃x ∈ X : (∀y ∈ Y : E(x) ∧ ¬E(y))

).

Beispiel 1.4.1. Seien X, Y Mengen und E eine Aussageform auf X×Y , welche für alle (x, y) ∈X × Y eine Aussage E(x, y) definiert. Formulieren Sie mithilfe von Quantoren die Aussage „Zujedem x ∈ X findet man genau ein y ∈ Y so, dass E(x, y) gilt.“. Bilden Sie zudem die Negationdieser Aussage.

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10 1. Aussagen, Mengen und Quantoren

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Kapitel 2

Die Zahlenbereiche N,Z,Q,R

Wir gehen an dieser Stelle davon aus, dass die grundlegenden Zahlenbereiche N,Z,Q,R bekanntsind und werden daher nur unformal and die wesentlichen Eigenschaften erinnern. Im Rahmenvon fortführenden Vorlesungen werden Sie zumindest teilweise auch eine stringente Konstruktiondieser Zahlenbereiche und Herleitung der charakterisierenden Eigenschaften kennenlernen.

Die natürlichen Zahlen N := {1, 2, 3, 4, . . .}: Es gibt eine kleinste natürliche Zahl, und jedeZahl n hat einen Nachfolger n + 1; es gibt also keine größte natürliche Zahl. In N sind die Re-chenoperationen + und · uneingeschränkt ausführbar, d.h. für a, b ∈ N gilt a+ b, a · b ∈ N.Die Frage, ob die Zahl 0 zu den natürlichen Zahlen gehört, ist nicht einheitlich geregelt, undhängt von der in der jeweiligen Veranstaltung bzw. vom Autor verwendeten Konvention ab. Inden Grundvorlesungen wird aber meist die hier vorgestellte Variante gewählt, in der 0 keine na-türlich Zahl ist, und man verwendet die zusätzliche Bezeichnung N0 := N∪{0} = {0, 1, 2, 3, . . .}.

Die ganzen Zahlen Z = {...,−3,−2,−1, 0, 1, 2, 3, ...}: In Z besitzt die Gleichung x + b = a

(a, b ∈ N, x unbekannt, a, b bekannt) stets eine Lösung. Es gilt N ⊆ Z. In Z gibt es im Gegensatzzu N keine kleinste Zahl. In Z sind die Rechenoperationen +,− und · uneingeschränkt ausführbar.

Die rationalen Zahlen Q ={x∣∣ x =

a

bfür ein a ∈ Z und ein b ∈ Z\{0}

}: Zwischen zwei ra-

tionalen Zahlen liegen stets noch (unendlich viele) andere rationale Zahlen. Es gilt Z ⊆ Q. In Qsind die Rechenoperationen +,− und · sowie teilen durch Elemente q ∈ Q\{0} uneingeschränktausführbar.

Die reellen Zahlen Es gibt keine Zahl q ∈ Q, für die gilt

q2 = q · q = 2.

Also: „√2 ist irrational “.

Beweis. Siehe Kapitel 3.

Jede rationale Zahl lässt sich als endliche oder periodische Dezimalzahl schreiben und umgekehrtstellt jede endliche oder periodische Dezimalzahl eine rationale Zahl dar. In diesem Kontext solles genügen, sich unter der Menge R der reellen Zahlen alle möglichen Dezimalzahlen vorzustellen,

11

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12 2. Die Zahlenbereiche N,Z,Q,R

also endliche, periodische und nicht endliche, nicht periodische Dezimalzahlen. Es gilt N ⊆ N0 ⊆Z ⊆ Q ⊆ R.

Beispiele 2.0.1. 1. 1 ∈ N.

2. 1, 17 ∈ Q.

3. 13 = 0.3333... ∈ Q besitzt eine nicht abbrechende, aber periodische Dezimalentwicklung.

4.√2 = 1, 41421... ∈ R besitzt eine nicht abbrechende und nicht periodische Dezimalentwick-

lung. π = 3.14159... ∈ R besitzt eine nicht abbrechende und nicht periodische Dezimal-entwicklung. Mit der Zahl π identifizieren wir die Länge eines Halbkreisbogens mit demRadius 1.

2.1 Bruchrechnung

Die Menge der rationalen Zahlen Q ist gleich der Menge aller sogenannten „Brüche“ der Gestaltab mit a, b ∈ Z und b 6= 0. Dabei nennt man die Zahl a den Zähler und die Zahl b den Nenner desBruchs a

b . Zwei Brücheab ,

cd ∈ Q haben den gleichen Wert bzw. stelle die gleiche rationale Zahl

dar genau dann, wenn a ·d = b · c ist, in diesem Fall gilt also ab = c

d . Insbesondere ändert sich derWert der durch einen Bruch dargestellten rationalen Zahl nicht, wenn man Zähler und Nennerdes Bruchs mit derselben Zahl multipliziert (den Bruch erweitert) oder durch einen gemeinsamenTeiler von Zähler und Nenner teilt (den Bruch kürzt). Zum Beispiel gilt

2

5=

2 · 22 · 5

=4

10=

6

15, 2 =

2

1=

10

5und

28

42=

2 · 143 · 14

=2

3.

Wir möchten die Kürzungs- und Erweiterungsregel zur Übung auch allgemein formulieren undbeweisen:

Kürzungs- und Erweiterungsregel für rationale Zahlen. Es sei ab ∈ Q eine rationale Zahl,und es sei n ∈ Z\{0}. Dann gilt

a

b=n · an · b

. (2.1.1)

Beweis. Es gilt a · (n · b) = n · a · b = b · (n · a), also ist ab = n·a

n·b .

Den Übergang von links nach rechts in der Identität (2.1.1) nennt man Erweitern des Bruchs,und den umgekehrten Übergang von rechts nach links Kürzen des Bruchs. Vor und nach konkre-ten Rechenoperationen mit Brüchen ist es üblich und zum Rechnen auch oft sinnvoll, die Brüchezunächst zu kürzen, so dass Zähler und Nenner teilerfremd sind.

Beispiele 2.1.1. Seien a, b, p, q ∈ Z mit a+ b, p, q 6= 0.

(a)1

2=

a+ b

2(a+ b)=

a+ b

2a+ 2b, (b)

a2 − b2

a+ b=

(a+ b)(a− b)a+ b

= a− b,

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2.1. Bruchrechnung 13

(c)24pq

8p2=

8p · 3q8p · p

=3q

p, (d)

p2q + pq2

pq=pq(p+ q)

pq= p+ q.

Addition und Subtraktion von Brüchen

Brüche mit gleichemNenner werden addiert/subtrahiert, indemman die Zähler addiert/subtrahiert:Seien a, b, c ∈ Z mit b 6= 0, dann gilt

a

b+c

b=a+ c

bund

a

b− c

b=a− cb

. (2.1.2)

Brüche mit nicht-notwendigerweise gleichen Nennern werden hingegen zunächst auf den Haupt-nenner gebracht und anschließend gemäß (2.1.2) addiert/subtrahiert: Seien a, b, c, d ∈ Z mitb, d 6= 0, dann gilt

a

b+c

d=a · db · d

+c · bd · b

=ad+ bc

bd.

Eine entsprechende Rechnung lässt sich auch für die Subtraktion durchführen, und wir erhaltenallgemein die folgende Regel:

a

b+c

d=ad+ bc

bdund

a

b− c

d=ad− bcbd

. (2.1.3)

Beispiele 2.1.2. Seien a, b, x ∈ Z mit a+ b, a− b, x, 2x+ 1 6= 0.

(a)2

5+

3

7=

2 · 7 + 3·5 · 7

=19

35,

(b)5

28− 8

21=

5 · 21− 8 · 2821 · 28

=105− 224

588=−119588

= −7 · 177 · 84

= −17

84,

(c)a

a− b+

a

a+ b=a(a+ b) + a(a− b)

(a− b)(a+ b)=a2 + ab+ (a2 − ab)

a2 − b2=

2a2

a2 − b2,

(d)2x

2x+ 1− 2x− 1

2x=

(2x)2 − (2x+ 1)(2x− 1)

2x(2x+ 1)=

4x2 − (4x2 − 1)

2x(2x+ 1)=

1

2x(2x+ 1).

In dem obigen Verfahren wurde der Hauptnenner stets durch Multiplikation der Nenner der zuverknüpfenden Brüche erzeugt. Dies ist nicht unbedingt notwendig, es reicht, ein gemeinsamesVielfaches der beiden Nenner zu bilden, welches im allgemeinen kleiner als das Produkt derNenner ist und somit zu einfacheren Rechnungen führt. In dem obigen Beispiel (b) lauten dieNenner 28 = 4 · 7 und 21 = 3 · 7, man erhält daher ein gemeinsames Vielfaches als (3 · 4) · 7 =

12 · 7 = 84, denn es ist

3 · 28 = 3 · (4 · 7) = 84 und 4 · 21 = 4 · (3 · 7) = 84.

Dies führt zu der einfacheren Rechnung

5

28− 8

21=

3 · 53 · 28

− 4 · 84 · 21

=15

84− 32

84=

15− 32

84= −17

84

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14 2. Die Zahlenbereiche N,Z,Q,R

Multiplikation von Brüchen

Seien a, b, c, d ∈ Z mit b, d 6= 0, dann wird das Produkt der Brüche ab und c

d folgendermaßenerklärt:

a

b· cd=a · cb · d

. (2.1.4)

Zwei Brüche werden also multipliziert, indem man jeweils Nenner und Zähler miteinander mul-tipliziert.

Beispiele 2.1.3. Sei x ∈ Z mit x− 1, x+ 1 6= 0.

(a)1

3· 57=

1 · 53 · 7

=5

21, (b)

2

5· 34=

2 · 35 · 4

=6

20=

3

10,

(c)x− 1

2· 6

x2 − 1=

6(x− 1)

2(x− 1)(x+ 1)=

3

x+ 1.

Dabei vereinfachen sich die Rechnungen unter Umständen, wenn man bereits vorab Zähler undNenner „über Kreuz“ kürzt, wie zum Beispiel:

7

8· 1021

=6 76 2 · 4

· 6 2 · 53· 6 7

=1

4· 53=

5

12.

Division von Brüchen

Wir wollen nun zu einem gegebenen Bruch ab mit a, b ∈ Z\{0} das zugehörigemultiplikativ inverse

Element (ab )−1 bestimmen, also diejenige rationale Zahl r mit der Eigenschaft r · ab = a

b · r = 1.Nach der Regel zur Multiplikation von Brüchen gilt

a

b· ba=a · bb · a

=ab

ab= 1,

also gilt(ab

)−1=b

a.

Mit den üblichen Notationen r−1 = 1 : r = 1r für r 6= 0 erhalten wir damit allgemein für

a, b, c, d ∈ Z mit b, c, d 6= 0:

a

b:c

d=

abcd

=a

b·( cd

)−1=a

b· dc=ad

bc.

Man dividiert also durch einen Bruch cd 6= 0, indem man mit seinem Kehrbruch d

c multipliziert.

Beispiele 2.1.4. Seien a, b ∈ Z mit a 6= 0.

(a)1

6:3

2=

1

6· 23=

1

3· 13=

1

9, (b)

ab

6:a

3=ab

6· 3a=

3 · ab6a

=b

2.

Wir formulieren abschließend alle Rechenregeln für Brüche in einer Übersicht.

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2.2. Rechenregeln für reelle Zahlen und Ordnungsrelationen 15

Regeln der Bruchrechnung

Seien a, b, c, d ∈ Z mit b, d 6= 0.

Addition von Brüchena

b+c

d=ad+ bc

bd

Subtraktion von Brüchena

b− c

d=ad− bcbd

Multiplikation von Brüchena

b· cd=a · cb · d

Teilen durch einen Bruch(ab

)−1=b

a(falls a 6= 0)

Division von Brüchena

b:c

d=

abcd

=a

b·( cd

)−1=a

b· dc=ad

bc(falls c 6= 0)

2.2 Rechenregeln für reelle Zahlen und Ordnungsrelationen

Für das Rechnen mit den reellen Zahlen a, b, c ∈ R gelten folgende Rechenregeln:

Kommutativgesetz derAdditionMultiplikation

a+ b = b+ a

ab = ba

Assoziativgesetz derAdditionMultiplikation

(a+ b) + c = a+ (b+ c)

(ab)c = a(bc)

Distributivgesetz a(b+ c) = ab+ ac

1. binomische Formel (a+ b)2 = a2 + 2ab+ b2

2. binomische Formel (a− b)2 = a2 − 2ab+ b2

3. binomische Formel (a+ b)(a− b) = a2 − b2

Vorzeichenregeln −(−a) = a

−(a+ b) = −a− b−(a− b) = −a+ b

Wir vereinbaren für x, y ∈ R:

x = y steht für „x ist gleich y“,

x < y steht für „x ist echt kleiner als y“,

x ≤ y steht für „x ist kleiner oder gleich y“,

x > y steht für „x ist echt größer als y“,

x ≥ y steht für „x ist größer oder gleich y“.

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16 2. Die Zahlenbereiche N,Z,Q,R

Man beachte: Nach Definition gilt x < y ⇒ x ≤ y für alle x, y ∈ R, aber im allgemeinen giltx ≤ y 6⇒ x < y!

Die reellen Zahlen können auf der Zahlengeraden veranschaulicht werden. Jeder reellen Zahlentspricht genau ein Punkt auf der Zahlengeraden und umgekehrt. Für zwei beliebige reelleZahlen x, y kann eindeutig entschieden werden, ob x < y, x = y oder x > y gilt. Auf der Mengeder reellen Zahlen ist also eine Ordnungsstruktur gegeben. Für diese gelten folgendeRegeln für das Rechnen mit Ungleichungen.

Seien a, b, c ∈ R. Dann gilt

Aus a < b und b < c folgt a < c.

Aus a < b und c > 0 folgt ac < bc

Aus a < b und c < 0 folgt ac > bc

Aus a < b folgt a+ c < b+ c

ab > 0 gilt genau dann, wenn (a > 0 und b > 0) oder (a < 0 und b < 0)

ab < 0 gilt genau dann, wenn (a > 0 und b < 0) oder (a < 0 und b > 0)

ab = 0 gilt genau dann, wenn (a = 0 oder b = 0)

Entsprechende Aussagen gelten auch für ≤ und ≥ anstelle von < bzw. >.

Beispiel 2.2.1. Lösen Sie die folgenden Ungleichungen und geben Sie die LösungsmengeL := {x ∈ R| Ungleichung bzw. Gleichung ist für x definiert und x erfüllt sie} an:

x− 2 > 2x− 1

2(x− 1) < 6(x+ 53)

2.3 Intervalle

Seien a, b ∈ R mit a ≤ b.

Definition 2.3.1 (Intervalle). Das offene Intervall (a, b) ist die Menge

(a, b) := {x ∈ R | a < x < b}.

Das abgeschlossene Intervall [a, b] ist die Menge

[a, b] := {x ∈ R | a ≤ x ≤ b}.

Die halboffenen Intervalle sind definiert als die Mengen

(a, b] := {x ∈ R | a < x ≤ b}, [a, b) := {x ∈ R | a ≤ x < b}

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2.3. Intervalle 17

Ist speziell a = b, so gelten [a, a] = {a}, bzw. [a, a) = (a, a] = (a, a) = ∅. Als Intervallgrenzensind auch ±∞ zugelassen. Daraus ergeben sich fünf weitere unbeschränkte Intervalltypen:

(−∞, a) := {x ∈ R | x < a} (−∞, a] := {x ∈ R | x ≤ a}(a,∞) := {x ∈ R | x > a} [a,∞) := {x ∈ R | x ≥ a}(−∞,∞) := R

Der Schnitt zweier Intervalle ist stets ein Intervall (evtl. die leere Menge). Die Vereinigung zweierIntervalle kann ein Intervall sein, muss es aber nicht.

Beispiel 2.3.2.

(a) [3, 4] ∩ [1,∞) = [3, 4]. (b) [−2, 0) ∩ (−1, 0] = (−1, 0).

(c) [4, 7] ∩ [8, 9) = ∅. (d) [7, 8] ∩ [8, 9) = [8, 8] = {8}.

(e) [4, 5) ∪ (−3, 1] ist kein Intervall. (f) [4, 5] ∪ (−3, 4) = (−3, 5].

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18 2. Die Zahlenbereiche N,Z,Q,R

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Kapitel 3

Beweistechniken und einige BeweiseTeil I

Mathematische Beweise

Kann eine Behauptung B allein durch logische Verknüpfungen aus einer gegebenen VoraussetzungA, bereits bewiesenen Aussagen und geltenden Axiomen gefolgert werden, so gilt B als bewiesen.Wir unterscheiden die folgenden Beweistechniken:

1. Der direkte Beweis. Man zeigt direkt die Implikation A ⇒ B. Dazu setzt man A vorausund folgert die Gültigkeit von B. Übliche Formulierung: „Es gelte A. Zu zeigen: Es gilt B....“.

2. Beweis über Kontraposition.Man zeigt die tautologisch äquivalente Aussage ¬B ⇒ ¬Adirekt. Übliche Formulierung: „Es gelte ¬B. Zu zeigen: Es gilt ¬A. ...“.

3. Beweis durch Widerspruch. Man zeigt (A ∧ ¬B)⇒ (C ∧ ¬C) für eine weitere AussageC. Übliche Formulierung: „Es gelte A. Annahme: Es gilt ¬B ... also gilt C ∧¬C. Dies ergibteinen Widerspruch, also ist die Annahme falsch, und somit gilt B.“.

In der Praxis sind die zu beweisenden Aussagen nicht einfach Implikationen, sondern mittelsJunktoren und Quantoren zusammengesetzte Aussagen. Wir wollen kurz darauf eingehen, wieman einfache Typen solcher zusammengesetzten Aussagen beweistechnisch behandelt. Sei dazuX eine Menge und A(·) eine Eigenschaft auf X.

1. Zu beweisen ist eine Aussage vom Typ: ∀x ∈ X : A(x). Übliches Beweisschema: „Seix ∈ X. Zu zeigen: Es gilt A(x). ...“.Man leitet nun die Aussage A(x) her unter Verwendung der Information, dass x ∈ X ist.

2. Zu beweisen ist eine Aussage vom Typ: ∃x ∈ X : A(x). Übliches Beweisschema: „Setzex := .... Dann ist x ∈ X, und wir zeigen: Es gilt A(x). ...“.Bei diesem Typ Beweis muss man in der Regel viel Vorarbeit leisten (z.B. Rechnungen,Gleichungen lösen etc.), um den Kandidaten x zu finden, den man hier angibt. Dieser

19

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20 3. Beweistechniken und einige Beweise Teil I

Herleitung wird im Beweis aber nicht mehr notiert, stattdessen wird nach Angabe dasKandidaten x direkt nachgewiesen, dass die Aussage A(x) wahr ist.

Beweis von Mengengleicheiten. Oft sind Aussagen vom Typ A = B für Mengen A,B zuzeigen. In diesem Fall ist die folgende Beweisstrategie auf Basis der Äquivalenz (A = B) ⇐⇒((A ⊆ B) ∧ (B ⊆ A)

)üblich:

„⊆“: Sei x ∈ A. Zeige: x ∈ B.

„⊇“: Sei x ∈ B. Zeige: x ∈ A.

Wir zeigen nun einige einfache Beispiele für mathematische Beweise auf. Weitergehende und auchkomplexere Beispiele werden wir zum Ende des Vorkurses betrachten.

Beispiele

Beispiel 1Beweisen Sie: Das Quadrat jeder geraden natürlichen Zahl ist gerade.Wir werden diese Aussage zunächst weiter formalisieren. Setze

G := {n ∈ N | ∃ k ∈ N : n = 2k},

dann ist G die Menge der geraden Zahlen, und die zu beweisende Aussage lautet:

∀n ∈ G : n2 ∈ G.

Beweis. Sei n ∈ G. Wähle ein k ∈ N mit n = 2k. Dann gilt

n2 = (2k)2 = 4k2 = 2 · (2k2).

Mit k′ := 2k2 ∈ N folgt n2 = 2k′, also ist n2 ∈ G nach Definition.

Beispiel 2Beweisen Sie: Das Quadrat jeder ungeraden natürlichen Zahl n ist ungerade.

Diesen Beweis überlasse ich (erstmal) Ihnen. Machen Sie sich außerdem klar, dass mit Beispiel2 auch die Kontraposition der Aussage bewiesen ist, welche lautet:

∀n ∈ N : n2 ∈ G⇒ n ∈ G.

Beispiel 3 Beweisen Sie: Die Darstellung einer rationalen Zahl r als gekürzter Bruch pq ist ein-

deutig.

Wir führen hierzu nur einen informellen Beweis, da uns einige Grundlagen (z.B. aus der Teilbar-keitstheorie) noch nicht zur Verfügung stehen.

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Beweis. Vorbemerkung: Nach Definition der rationalen Zahlen bezeichnen zwei Zahlen mn ,

jk ,

m, j ∈ Z, n, k ∈ N, das gleiche Element r ∈ Q, falls m · k = j · n gilt. Bsp. 69 = 4

6 , da 6 · 6 = 4 · 9gilt.

Zum Beweis: Sei r ∈ Q. Wir geben zwei Darstellungen von r als gekürzter Bruch vor, seien alsop, p′ ∈ Z und q, q′ ∈ N mit ggT(p, q) = ggT(p′, q′) = 1 und r = p

q = p′

q′ (ggT bezeichne dengrößten gemeinsamen Teiler). Wegen p q′ = q p′ gilt q | p q′ („q teilt p q′“), wegen ggT(q, p) = 1

muss zudem q | q′ gelten. Analog zeigt man q′ | q.

Aus q | q′ und q′ | q folgt nun aber q = q′ und damit p = p′. Damit ist die behauptete Eindeutigkeitgezeigt.

Wir bemerken außerdem ohne Beweis, dass jede rationale Zahl r = pq auch eine Darstellung als

gekürzter Bruch besitzt. Es reicht dazu, aus p und q den größten gemeinsamen Teiler ggT(p, q)zu kürzen.

Unter Verwendung von Beispiel 3 können wir uns nun dem folgenden bereits angekündigtemBeispiel zuwenden.

Beispiel 4 Beweisen Sie:√2 ist irrational.

Diese Formulierung setzt bereits voraus, dass wir wissen, dass es ein Objekt√2 gibt, und wir

zeigen, dass es nicht in Q liegt. Beim axiomatischen Aufbau der Zahlenbereiche geht es abergerade darum, ausgehend von der Menge Q zu beweisen, dass Q „unvollständig“ ist (vgl. Kapitel1), und dies zur Motivation für die Konstruktion der reellen Zahlen zu nehmen. Man kennt alsozu diesem Zeitpunkt noch keine reellen Zahlen und insbesondere ist das Objekt

√2 noch gar

nicht definiert. Wie in Kapitel 1 beschrieben, wählen wir stattdessen die Formulierung: „Es gibtkeine rationale Zahl, deren Quadrat 2 ist“. Dies formalisieren wir als:

∀ q ∈ Q : q2 6= 2.

Beweis. Wir führen den Beweis durch Widerspruch, wir nehmen also an, es gibt ein q ∈ Q mitq2 = 2. Nach der Bemerkung im Anschluss an Beispiel 3 finden wir m,n ∈ N mit ggT(m,n) = 1

und q = mn . Mit unserer Annahme folgt

2 = q2 =m2

n2(∗)

und damit 2n2 = m2. Also ist m2 gerade, und nach Beispiel 2 (Kontraposition!) ist auch m einegerade Zahl, d.h. wir finden ein k ∈ N mit m = 2 ·k. Damit folgt 2n2 = m2 = 4k2, also n2 = 2k2.Also ist auch n2 und damit n eine gerade Zahl (Hier verwenden wir wieder die Kontrapositionvon Beispiel 2).Dies ist ein Widerspruch zur Annahme ggT(m,n) = 1. Also ist unsere Annahme falsch und somitdie Behauptung wahr.

Zum Abschluss des Kapitels bringen wir einen Beweis für die Unendlichkeit der Menge der Prim-zahlen, der in dieser Form auf Euklid zurückgeht. Dabei verwenden wir die Tatsache, dass jedenatürliche Zahl außer der Zahl 1 stets einen Primteiler besitzt.

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22 3. Beweistechniken und einige Beweise Teil I

Beispiel 5 Beweisen Sie: Es gibt unendlich viele Primzahlen.

Beweis. Wir führen den Beweis durch Widerspruch, wir treffen also die

Annahme: Es gibt nur endlich viele Primzahlen.

Sei {p1, . . . , pn} ⊆ N mit n ∈ N die Menge aller Primzahlen. Betrachte nun das Produkt all dieserPrimzahlen m := p1 · p2 · ... · pn und die Zahl q := m+ 1 > 1.

Sei p ∈ N ein Primteiler von q. Dann ist p ∈ {pi|i = 1...n}, wähle also j ∈ {1, . . . , n} mit p = pj .Dann teilt p sowohl m als auch m + 1 und damit auch die Differenz 1 = m + 1 − m, also istp = 1. Dies ist ein Widerspruch dazu, dass p eine Primzahl ist.

Also ist unsere Annahme falsch, und es gibt unendlich viele Primzahlen.

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Kapitel 4

Potenzrechnung, Logarithmen undRechnen mit Beträgen

In den folgenden Kapiteln werden wir uns mit verschiedenen Rechenregeln und -methoden be-schäftigen, die Ihnen auch in der Schule bereits begegnet sein sollten. Bitte beachten Sie inHinblick auf Ihr bald beginnendes Studium der Mathematik folgende Punkte:

1. Die mathematischen Begriffe werden hier nicht ganz exakt, aber dafür in einem Stil ein-geführt, der Ihnen auch aus der Schule noch geläufig sein sollte. Tatsächlich ist es ohneausreichendes mathematisches Grundlagenwissen, wie Sie es in den ersten Wochen desStudiums erlernen werden, zumeist gar nicht möglich, die hier verwendetetn Begriffe exaktzu definieren. Beachten Sie aber, dass im Verlauf Ihres Studiums natürlich die in den je-weiligen Vorlesungen angegebenen Definitionen und Herleitungen relevant sind und nichtdie – zuweilen unexakten – Begriffsbildungen aus der Schule oder diesem Vorkurs.

2. Bei dem hier präsentierten Stoff handelt es sich im wesentlichen um Rechentechniken,aber nicht um formale Beweise! Sie werden zu Beginn Ihres Studiums Aufgaben gestelltbekommen, die einigen dieser Rechenaufgaben sehr ähnlich sehen, werden in dem Fallaber aufgefordert, einen formalen Beweis zu erstellen, der – meist erheblich – von diesenRechentechniken abweicht. Dennoch sind ausreichende Rechenfähigkeiten unerlässlich, umüberhaupt auf Lösungen bzw. Aussagen zu kommen, die man anschließend auch beweisenkann.

3. Wir verwenden keine Taschenrechner und – außer zu Übungs- und Anschauungszwecken– keine Computer-Algebra-Systeme (CAS). Bedenken Sie, dass Taschenrechner aufgrunddes Problems endlichen Speichers so gut wie nie exakt rechnen können, da sie (fast) immerrunden müssen. CAS sind hier im Vorteil, aber natürlich ist es gerade ein Bestandteil desMathematik-Grundstudiums, die Theorie zu erlernen, die diesen Systemen zugrunde liegt(Vgl.: Ein Kfz-Mechaniker ist gerade jemand, der ein Auto nicht nur fahren können soll,sondern auch genau wissen, wie es funktioniert).

23

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24 4. Potenzrechnung, Logarithmen und Rechnen mit Beträgen

4.1 Potenzen und Wurzeln

Definition 4.1.1 (Ganzzahlige Potenzen). Für Zahlen a ∈ R und m ∈ Z wird die m-te Potenzvon a definiert als

am := 1, falls m = 0,

am := a · a · . . . · a︸ ︷︷ ︸m−mal

, falls m > 0,

am :=1

a−m, falls m < 0, a 6= 0.

Die Zahl a heißt Basis, m heißt Exponent .

Für alle a, b ∈ R \ {0} und n,m ∈ Z gelten die folgenden Potenzgesetze:

(a) a0 = 1 und 00 = 1, (b) an · am = an+m,

(c) an

am = an−m, (d) an · bn = (a · b)n,

(e) an

bn =(ab

)n, (f) (am)n = am·n.

Definition 4.1.2 (Die q-te Wurzel). Für a ≥ 0 und q ∈ N ist die q-te Wurzel aus a diejenigeeindeutig bestimmte Zahl x ∈ R mit x ≥ 0, für die xq = a gilt.

Notation: a1q oder q

√a.

Für ungerade q ∈ N lässt sich q√a auch für a < 0 definieren: in diesem Fall ist x = − q

√−a die

Lösung der Gleichung xq = a, wir definieren daher q√a := − q

√−a. (Z.B. ist x = −2 = − 3

√8 die

Lösung von x3 = −8, also 3√−8 = −2.)

Beispiele 4.1.3.

(a) 10√1024 =

10√210 =

(10√2)10

= 2. (b) 6 =√4√9 =√4 · 9 =

√36 = 6.

(c)√64√4=√

644 =

√16 = 4. (d) 3

√2√64 =

2√

3√64 = 6

√64 = 2.

(e) 3√√

125 =√

3√125 =

√5.

Man beachte, dass der Ausdruck√5 im letzten Beispiel bereits als Endergebnis angesehen wird,

da mit diesem Symbol eine wohldefinierte reelle Zahl bezeichnet wird. Falls zusätzlich (warumauch immer) eine Dezimaldarstellung gewünscht wird, schreibt man z.B. · · · =

√5 ≈ 2, 2361.

Achtung: die (zuweilen in der Schule verwendete) Notation√5 = 2, 2361 ist hingegen nicht

zulässig! Gleichheit im mathematischen Sinn ist die (abstrakte) Gleichheit zweier Objekte (vgl.Kapitel 1) und kann nicht durch irgendwelche Konventionen (wie „Runden nach der viertenNachkommastelle“) relativiert werden. Selbst für einen Computer ist es unmöglich, eine exakteDezimaldarstellung der Zahl

√5 anzugeben, da er nur endlichen Speicher besitzt, die Zahl

√5

aber irrational ist.

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4.1. Potenzen und Wurzeln 25

Definition 4.1.4 (Potenzen mit rationalem Exponenten). Für a ∈ R, a > 0 und r ∈ Q mit r = pq ,

p ∈ Z, q ∈ N definieren wir die (gebrochene) Potenz ar durch

ar := apq :=

(a

1q

)p.

Exkurs: Um die Definition von ar mathematisch sauber zu rechtfertigen, muss man noch zeigen,dass die Potenz ar wohldefiniert ist, also unabhängig von der konkreten Darstellung der rationalenZahl r als Bruch p

q : man kann dieselbe Zahl r auf verschiedene Arten als Bruch schreiben, zumBeispiel ist 3

9 = 26 = 1

3 , und es ist zu zeigen, dass durch die a priori verschiedenen Ausdrücke(a

1q

)p, in diesem Beispiel

(a

19

)3,(a

16

)2, a

13 , jedesmal dieselbe Zahl definiert wird. Formal ist also

zu zeigen: ist r = pq = m

n mit p,m ∈ Z und q, n ∈ N, liegen also zwei - möglicherweise verschiedene

- Darstellungen der Zahl r ∈ Q vor, so ist (dennoch)(a

1q

)p=(a

1n

)m. Wir geben kurz an, wie

man dies einsehen kann: Es sei r ∈ Q und seien p,m ∈ Z und q, n ∈ N mit r = pq = m

n , alsonp = qm. Unter Verwendung der bereits bekannten Rechenregeln für Potenzen und Wurzeln(aber nicht durch „Vorgriff“ auf Rechenregeln für allgemeine Potenzen!) erhalten wir:

(a1q )p =

n

√((a

1q )p)n

=n

√(a

1q )np =

n

√(a

1q )qm =

n

√((a

1q )q)m

= n√am

=n

√((a

1n )n)m

=n

√(a

1n )mn =

n

√((a

1n )m

)n= (a

1n )m.

Auch für rationale Exponenten gelten die obigen Potenzgesetze: Für alle a, b ∈ (0,∞) undr, s ∈ Q gilt:

(a) a0 = 1 und 00 = 1, (b) ar · as = ar+s,

(c) ar

as = ar−s, (d) ar · br = (a · b)r,

(e) ar

br =(ab

)r, (f) (ar)s = ar·s.

Dies lässt sich auf die Definition von Wurzeln sowie die bereits formulierten Potenzgesetze fürganzzahlige Exponenten zurückführen, was wir hier nicht beweisen wollen. Der Anschauung hal-ber formulieren wir hier einige Gesetze noch mit der Wurzelschreibweise: Seien a ≥ 0 und n, k ∈ Nund m ∈ Z. Dann gelten die sogenannten Wurzelgesetze

(a) n√am = ( n

√a)m und n

√an = ( n

√a)n = a, (b) n

√a · n√b = n√ab,

(c)n√an√b= n√

ab , (d) n

√k√a = nk

√a = k

√n√a,

(e) n√a · k√a =

nk√ak+n.

Achtung: Wir haben für a > 0 den Ausdruck ax nur für rationales x definiert. Im Rahmender Vorlesung Analysis 1 werden Sie sehen, wie man die Definition auch auf beliebige x ∈ Rausdehnen kann.

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26 4. Potenzrechnung, Logarithmen und Rechnen mit Beträgen

Beispiel 4.1.5. Rationalmachen des Nenners Treten Brüche mit irrationalen Nennern n√am =

amn , a > 0, n,m ∈ N, m < n auf, so erweitert man den Bruch mit a1−

mn .

Zum Beispiel ist

13√2=

1

21/3· 2

2/3

22/3=

3√4

2.

Ist der Nenner der Gestalt√a±√b mit a 6= b, so wird der Bruch mit

√a∓√b erweitert, Beispiel:

1√2 +√3=

1√2 +√3·√2−√3√

2−√3=

√2−√3

2− 3=√3−√2.

4.2 Der Logarithmus

Definition 4.2.1 (Der Logarithmus). Es seien a, b ∈ R mit a, b > 0 und b 6= 1. Unter demLogarithmus von a zur Basis b

c = logb(a), a > 0, b > 0, b 6= 1

versteht man diejenige eindeutig bestimmte reelle Zahl c ∈ R mit der Eigenschaft bc = a.Notation: c = logb(a).

Die Identität c = logb(a) ist also äquivalent zur Gleichung bc = a.

Achtung: Es handelt sich hierbei um die übliche Definition für Logarithmen, die Ihnen auch ausder Schule geläufig sein sollte. Diese ist jedoch aus mehreren Gründen problematisch:

• Wie oben bereits erwähnt, haben wir den Ausdruck bc für irrationales c ∈ R\Q nochgar nicht definiert! Wir werden dies jedoch zunächst stillschweigend hinnehmen, in unserenkonkreten Rechenbeispielen werden wir nur Ausdrücke bc mit rationalem c behandeln, bzw.es ist stets sichergestellt, dass die aufretenden Logarithmen rational sind.

• Zudem muss sichergestellt werden, dass für alle a, b ∈ R mit a, b > 0 und b 6= 1 tatsächlichgenau eine Lösung x ∈ R der Gleichung bx = a existiert. Dies wird ebenfalls im Rahmender Vorlesung Analysis I geklärt werden.

Beispiele 4.2.2.

(a) 2x = 16⇔ x = 4, (b) 3x = 19 ⇔ x = −2,

(c) logx(36) = 2⇔ x = 6, (d) logx(

164

)= −6⇔ x = 2,

(e) log5(125) = x⇔ x = 3, (f) log 12

(116

)= x⇔ x = 4,

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4.2. Der Logarithmus 27

(g) log3(x) = 5⇔ x = 243, (h) log2(x) = −5⇔ x = 132 .

Eine besondere Rolle spielt die sog. Eulersche Zahl e. Eine exakte Definition für e wollen undkönnen wir zu diesem Zeitpunkt nicht geben, es sei nur daran erinnert, dass ungefähr gilt e ≈2, 71828... (eine exakte Definition der Zahl e erfolgt in der Vorlesung Analysis 1). Für a > 0

notieren wir

ln(a) := log(a) := loge(a).

für den natürlichen Logarithmus. Wegen seiner herausragenden Rolle wird in der Mathematikder natürliche Logarithmus oft einfach als der Logarithmus bezeichnet.

Es gilt insbesondere

a = blogb a und ac = ec ln a für alle a, b > 0, b 6= 1, c ∈ Q,

und es gilt immer

logb 1 = 0, logb b = 1 für alle b > 0, b 6= 1.

4.2.1 Die Logarithmengesetze

Es seien x, y, b > 0 mit b 6= 1 und z ∈ R. Dann gelten die folgenden Logarithmengesetze:

(a) logb(x · y) = logb(x) + logb(y),

(b) logb

(xy

)= logb(x)− logb(y),

(c) logb(xz) = z · logb(x).

Für spezielle Werte von x, y, z erhält man weitere Regeln, zum Beispiel erhält man mit x = 1 aus(b) die Regel logb(1/y) = − logb(y), und ein Spezialfall von (c) für Wurzeln lautet zum Beispiel

logb(n√x)=

1

n· logb(x) für alle n ∈ N.

Die Logarithmen einer Zahl bezüglich verschiedener Basen lassen sich ineinander umrechnen:Seien a, b, d > 0 mit b, d 6= 0. Dann gilt

logb(a) = logb(dlogd a

)= (logd(a))(logb(d))

also gilt die folgende Umrechenformel:

logd a =logb a

logb d, für alle a, b, d > 0 mit b, d 6= 0.

Beispiele 4.2.3. Beispiele zu den Logarithmengesetzen: Man vereinfache die folgenden Aus-drücke!

1. log(32) + log(4) + log(18) + log(81)

2. log2√a+ ba3b2

3√c(a+ c)2

3. log(a+ b) + 2 log(a− b)− 1

2log(a2 − b2)

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28 4. Potenzrechnung, Logarithmen und Rechnen mit Beträgen

4.3 Der Betrag

Definition 4.3.1 (Der (reelle) Betrag). Es sei a ∈ R. Dann wird der Betrag |a| von a definiertals

|a| :=

{a für a ≥ 0,

−a für a < 0.

Beispiel 4.3.2. | − 3| = −(−3) = 3, da − 3 < 0; |3| = 3, da 3 > 0; |0| = 0.

Man kann sich also den Betrag |a| als den (nicht-negativen) Abstand der Zahl a zur 0 auf der Zah-lengerade vorstellen. Allgemeiner definieren wie den Abstand zweier beliebiger Zahlen a, b ∈ Rals Betrag der Differenz |a− b|.

Es seien a, b ∈ R, dann gelten die folgenden Rechenregeln

(a) |a| ≥ 0, und |a| = 0 genau dann, wenna = 0,

(b) |a · b| = |a| · |b|,

(c) |a+ b| ≤ |a|+ |b| („Dreiecksungleichung“), (d) |a| =√a2.

Beispiel 4.3.3. Geben Sie alle a ∈ R an, für die folgenden Aussagen zutreffen:

(a) a2 = 4, (b) a2 > 3

Beispiel 4.3.4. Schreiben Sie die folgenden Mengen als Vereinigung von Intervallen und skiz-zieren Sie diese.

(a) A := {x ∈ R | 1 < |x| ≤ 2}, (b) B := {x ∈ R | |x− 2| < 5}

Beispiel 4.3.5. Auflösen von Betragsungleichungen Sei ε > 0. Geben Sie die Menge aller x ∈ Rals Intervall an, für die folgenden Ungleichungen erfüllt sind.

(a) |x| ≤ ε, (b) |x− 2| < ε.

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Kapitel 5

Gleichungen und Ungleichungen

In diesem Abschnitt sollen aus der Schule bekannte Techniken zum Lösen bestimmter Gleichun-gen und Ungleichungen wiederholt werden.

5.1 Gleichungen und Ungleichungen in einer Variablen

Allgmein gesprochen handelt es sich bei der Aufgabe Lösung einer Gleichung in einer Unbe-kannten"darum, einen vorgegebenen Term, in dem eine unbekannte Variable auftaucht (die wirmeistens mit x bezeichnen) so gemäß bekannter zulässiger Regeln äquivalent umzuformen, dassman die Menge aller möglichen v, die die durch diesen Term definierte Identität erfüllen, ablesenkann. Wir wollen uns zunächst mit dieser – mathematisch nicht exakten – Beschreibung zufriedengeben, und betrachten ein konkretes

Beispiel. Bestimme die Menge aller x ∈ R\{−1}, die die Gleichungx

x+ 1= 2 (5.1.1)

erfüllen. Man nennt den vorgegebenen Bereich D := R\{−1} auch die Definitionsmenge derGleichung (5.1.1), und die gesuchte Menge L := {x ∈ D | x erfüllt (5.1.1)} die Lösungsmenge(siehe auch Beispiel 2.2.1.1) der Gleichung (5.1.1).

Zum Lösen einer Gleichung ist es fundamental, dass der Defintionsbereich D explizit angegebenwird, damit man weiß, in welchem Zahlenbereich eine Lösung gesucht wird! Zum Beispiel hatdie Gleichung (x2 − 2)(x2 − 1) = 0 genau eine Lösung im Fall D = N, genau zwei Lösungen imFall D = Q und genau vier Lösungen im Fall D = R (nämlich jeweils welche?). Oft wird jedochdurch den Namen der Variablen bereits suggeriert, in welchem Zahlenbereich gerechnet wird:mit x wird üblicherweise eine reelle Variable bezeichnet, mit n eine Variable aus den natürlichenZahlen und mit z eine Variable aus den komplexen Zahlen, und es wird dem Leser als Aufgabeüberlassen, einen „maximalen“ Definitionsbereich zu ermitteln, für den die Gleichung noch sinn-voll definiert ist. Wird werden hier jedoch in der Regel den jeweiligen Definitionsbereich angeben.

Wir kommen nun zur konkreten Lösung der Gleichung (5.1.1). Dazu sei x ∈ R\{−1}, dann gilt:x

x+ 1= 2⇔ x = 2 · (x+ 1)⇔ x = 2x+ 2⇔ 0 = x+ 2⇔ x = −2,

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30 5. Gleichungen und Ungleichungen

und da in jedem Schritt tatsächlich Äquivalenzumformungen vorgenommen wurden, folgt damitL = {−2}.

Wir nehmen eine analoge Begriffsbildung für Ungleichungen vor, welche wir wieder an einemBeispiel erläutern wollen:

Beispiel. Bestimme die Menge aller x ∈ R\{−1}, die die Ungleichung

x

x+ 1< 2 (5.1.2)

erfüllen. Auch in diesem Fall bezeichnet D := R\{−1} die Definitionsmenge und L := {x ∈D | x erfüllt (5.1.2)} die Lösungsmenge der Ungleichung (5.1.2).

Man geht nun nun analog zum Lösen eine Gleichung vor, indem man versucht, durch Äquivalen-zumformungen die gegebene Ungleichung so umzuformen, dass man die Lösungsmenge ablesenkann. Hierzu muss man nun aber die Regeln für das Rechnen mit Ungleichungen beachten. Ineinem ersten Schritt wollen wir wieder die gegebene Ungleichung mit dem Term x+1 multiplizie-ren, müssen hierbei jedoch das Vorzeichen beachten! Daher nehmen wir eine Fallunterscheidungvor (dies wird uns auch in späteren Beispielen zum Lösen von Ungleichungen öfter begegnen):

Es sei x ∈ R\{−1}.

Fall 1: x+ 1 > 0, also x > −1. In diesem Fall gilt

x

x+ 1< 2⇔ x < 2 · (x+ 1)⇔ x < 2x+ 2⇔ 0 < x+ 2⇔ x > −2.

Da wir x > −1 vorausgesetzt haben, gilt insbesondere auch x > −2, also ist die Ungleichungxx+1 < 2 für alle x ∈ (−1,+∞) erfüllt, es gilt also L ∩ (−1,+∞) = (−1,+∞).

Fall 2: x+ 1 < 0, also x < −1. In diesem Fall gilt

x

x+ 1< 2⇔ x > 2 · (x+ 1)⇔ x > 2x+ 2⇔ 0 > x+ 2⇔ x < −2.

Dies zeigt L ∩ (−∞,−1) = (−∞,−2).

Die gesamte Lösungsmenge ist also L = (−∞,−2) ∪ (−1,+∞) = R\[−2,−1].

Neben dem rechnerischen Weg lässt sich die Lösung in beiden Fällen auch graphisch veranschau-lichen - man beachte aber, dass eine Skizze zwar hilfreich sein kann, aber in der Regel niemalseine konkrete Recnung ersetzt!

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5.2. Quadratische Gleichungen und Ungleichungen 31

Bild 5.A

5.2 Quadratische Gleichungen und Ungleichungen

5.2.1 Quadratische Gleichungen und Quadratische Ergänzung

Es seien p, q ∈ R. Unter einer quadratischen Gleichung verstehen wir eine Gleichung der Gestalt

x2 + px+ q = 0, D = R. (5.2.3)

Allgemeiner wird auch eine Gleichung der Gestalt ax2 + bx + c = 0,D = R mit a, b, c ∈ R unda 6= 0 als quadratische Gleichung bezeichnet – diese lässt sich jedoch durch Teilen durch a in dieGestalt (5.2.3) (mit p = b/a und q = c/a) überführen.

Die Lösungsmenge L von (5.2.3) lässt sich allgemein mithilfe der sogenannten Methode des Qua-dratischen Ergänzens bestimmen: Zunächst werden die Terme in x2 und x durch eine binomischeFormel ausgedrückt, und anschließend ein Korrekturterm eingeführt, um den „x-freien Teil“ desbinomischen Terms zu neutralisieren:

x2 + px+ q = x2 + 2 · p2· x+

(p2

)2− p2

4+ q =

(x+

p

2

)2−(p24− q). (5.2.4)

Somit gilt

x ∈ L⇔(x+

p

2

)2=p2

4− q.

Dies stellt eine andere Schreibweise der sogenannten p-q-Formel zur Lösung quadratischer Glei-

chungen dar: Ist p2

4 − q ≥ 0, so ist L ={− p

2 +√

p2

4 − q,−p2 −

√p2

4 − q}.

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32 5. Gleichungen und Ungleichungen

Wir betrachten dazu zunächst ein einfaches Zahlenbeispiel:

Beispiel 5.2.1. Bestimmen Sie die Lösungsmenge der Gleichung x2 − x− 6 = 0, D = R.

Quadratisches Ergänzen liefert formal

x2 − x− 6 = (x− 1

2)2 − (

1

2)2 − 6 = (x− 1

2)2 − 25

4,

also gilt für alle x ∈ R

x2 − x− 6 = 0 ⇐⇒ (x− 1

2)2 =

25

4⇐⇒ x− 1

2= ±

√25

4

⇐⇒ x =1

2± 5

2⇐⇒ x = −2 ∨ x = 3.

Die Lösungsmenge der gegebenen quadratischen Gleichung ist also L = {−2, 3}.

Wir kehren zu dem allgemeinen Fall zurück: Offenbar gibt es genau drei mögliche Fälle für dieGestalt der Lösungsmenge der quadratischen Gleichung (5.2.3):

Fall 1: p2

4 − q > 0 (5.2.3) besitzt genau zwei Lösungen, L ={− p

2+

√p2

4− q,−p

2−√p2

4− q},

Fall 2: p2

4 − q = 0 (5.2.3) besitzt genau ein Lösung, L ={− p

2

},

Fall 3: p2

4 − q < 0 (5.2.3) besitzt keine Lösungen, L = ∅.

Dies lässt sich auch den den folgenden Schaubildern veranschaulichen, in denen jeweils die zurGleichung (5.2.3) in den drei verschiedenen Fällen skizziert ist.

Bild 1 Bild 2 Bild 3

5.2.2 Lösungsmengen quadratischer Ungleichungen

Quadratische Ungleichungen können stets auf die Form

x2 + px+ q≥≤ 0, bzw. x2 + px+ q

>< 0

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5.2. Quadratische Gleichungen und Ungleichungen 33

mit p, q ∈ R gebracht werden.

Die Überlegungen aus dem vorangehenden Abschnitt zeigen, dass die Lösungsmenge L entwederleer, ein Intervall, oder die Vereinigung zweier disjunkter Intervalle ist, und auch in diesem Falllässt sich die Lösungemenge mithilfe der oben ausgeführten Technik des quadratischen Ergänzensbestimmen.

Beispiele 5.2.2.

(1) Zeigen Sie, dass für alle x ∈ R die Ungleichung x2 − 2x+ 3 > 0 erfüllt ist.

Lösung: Für alle x ∈ R gilt

x2 − 2x+ 3 = (x− 1)2 − 1 + 3 = (x− 1)2 + 2 ≥ 2 > 0,

und damit haben wir die Behauptung bewiesen.

(2) Bestimmen Sie die Lösungsmenge der Ungleichung x2 − x− 6 > 0.

Lösung: 1.Weg: über die Faktorisierung.

Aus 5.2.1 kennen wir die beiden Nullstellen x1 = −2 und x2 = 3 von x2 − x − 6. Also gilt füralle x ∈ R die Identität

x2 − x− 6 = (x+ 2)(x− 3) .

Bekanntlich ist dieses Produkt genau dann größer Null, wenn (x + 2 > 0 und x − 3 > 0) oder(x+ 2 < 0 und x− 3 < 0) erfüllt ist.Für alle x ∈ R gilt

x+ 2 > 0 ∧ x− 3 > 0

⇔ x > −2 ∧ x > 3

⇔ x ∈ (3,∞)

und

x+ 2 < 0 ∧ x− 3 < 0

⇔ x < −2 ∧ x < 3

⇔ x ∈ (−∞,−2) .

Die Lösungsmenge ist also die Menge L = (−∞,−2) ∪ (3,∞).

2.Weg: über die Anschauung.

Wie in Bild 1 dargestellt, ist das Schaubild von x2 − x − 6 eine nach oben geöffnete Parabel,welche die x-Achse in den Punkten −2 und 3 schneidet. Gesucht ist nun die Menge aller x ∈ R anwelchen die Parabel (echt) oberhalb der x-Achse liegt. Das entspricht in Bild 1 der gestricheltenMenge. Man sieht also L = (−∞,−2) ∪ (3,∞).

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34 5. Gleichungen und Ungleichungen

5.3 Wurzelgleichungen

Eine allgemeingültige Definition einer Wurzelgleichung wollen wir hier nicht geben. Stattdessenzeigen wir das allgemeine Vorgehen bei solchen Gleichungen anhand zweier Beispiele auf. Dabeiist besonders auf den Definitionsbereich zu achten, der hier im allgemeinen nicht mehr ganz Rist. Vorsicht ist auch bei den folgenden Umformungen geboten, denn es handelt sich nun nichtmehr unbedingt um Äquivalenzumformungen.

Das grundsätzliche Vorgehen lässt in den folgenden Beispielen besteht in wiederholtem Auflösender Gleichungen nach einer Wurzel und anschließendem Potenzieren. Das führt schließlich aufeine rationale Gleichung in x, d.h. einer Gleichung in der nur noch ganzzahlige Exponenten vonx auftauchen.

Achtung: Nicht alle Lösungen der resultierenden rationalen Gleichung sind Lösungen der Wurzel-gleichung. Dies liegt daran, dass das Quadrieren von Gleichungen im allgemeinen keine Äquiva-lenzumformung ist. Jedoch kann es außer den Lösungen der rationalen Gleichung keine weiterengeben. Durch Einsetzen dieser Lösungen in die Ursprungsgleichung erhält man die Lösungsmenge.

Beispiele 5.3.1. Bestimmen Sie jeweils einen geeigneten Definitionsbereich sowie die Lösungs-menge der folgenden Ungleichungen

(1) 7 + 3√2x+ 4 = 16,

(2)√x−√x− 1 =

√2x− 1.

(1) Wir wählen D = [−2,∞), so dass der Ausdruck unter der Wurzel stets nicht-negativ ist. Fürx ∈ D gilt dann

7 + 3√2x+ 4 = 16 (∗)

⇔ 3√2x+ 4 = 9

⇔√2x+ 4 = 3

⇒ 2x+ 4 = 9

⇔ x = 52

Einsetzen von x = 52 zeigt: x = 5

2 löst (∗). Damit ist L ={52

}.

(2) Wir wählen D = [0,∞) ∩ [1,∞) ∩ [12 ,∞) = [1,∞), so dass alle Ausdrücke unter den Wurzelstets nicht-negativ sind. Für x ∈ D gilt dann

√x−√x− 1 =

√2x− 1 (∗∗)

⇒ (√x−√x− 1)2 = 2x− 1

⇔ x− 2√x√x− 1 + (x− 1) = 2x− 1

⇔ 2√x(x− 1) = 0

⇔ (x = 1) ∨ (x = 0)

Jedoch ist 0 /∈ D, also entfällt diese Lösung für die ursprüngliche Gleichung (tatsächlich habenwir diese zusätzliche Lösung durch das Quadrieren im ersten Schritt dazugewonnen). Die Probefür x = 1 ∈ D hingegen liefert

√1−√1− 1 = 1 =

√2 · 1− 1

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5.4. Bruchungleichungen 35

Also ist L = {1}.

5.4 Bruchungleichungen

Auch in diesem Abschnitt verzichten wir auf eine allgemeine Definition und lassen das Beispielfür sich sprechen. Zu beachten ist dabei, dass das Multiplizieren mit dem Nenner zu Fallunter-scheidungen führt, abhängig vom Vorzeichen des Nenners.

Gesucht sei die Lösungsmenge L folgender Ungleichung:

2x+ 1

x− 3< 1 (5.4.5)

mit D = R\{3}. Sei nun x ∈ D. Wir wollen die Ungleichung mit dem Nenner x−3 multiplizieren,müssen dabei aber das Vorzeichen beachten, da sich ggf. das Ungleichheitszeichen umdreht. Wirunterscheiden daher die folgenden Fälle:

Fall 1: x− 3 > 0, also x > 3: Dann gilt

2x+1x−3 < 1

⇔ 2x+ 1 < x− 3

⇔ x < −4

Bezeichnen wir die Lösungsmenge in diesem Fall mit L1, so gilt L1 = (3,∞)∩(−∞,−4) = ∅.

Fall 2: x− 3 < 0, also x < 3: Dann gilt

2x+1x−3 < 1

⇔ 2x+ 1 > x− 3

⇔ x > −4

Für die Lösungsmenge dieses Falles gilt L2 = (−∞, 3) ∩ (−4,∞) = (−4, 3)

Für die Gesamtlösungsmenge L gilt nun L = L1 ∪ L2 = (−4, 3).

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36 5. Gleichungen und Ungleichungen

Bild 5.B

5.5 Betragsungleichungen

Mit der gleichen Technik wie im vorherigen Abschnitt (Fallunterscheidungen) lassen sich auchUngleichungen, in denen Beträge vorkommen, bearbeiten. Wir betrachten als Beispiel die folgen-de Ungleichung:

|2x+ 1|x− 3

≤ 1, D = R\{3}. (∗)

Sei x ∈ D. Analog wie im vorherigen Beispiel nehmen wir zum Durchmulitplizieren mit demNenner zunächst die Fallunterscheidung x > 3 oder x < 3 vor.

Fall 1: x > 3. Dann gilt

(∗)⇔ |2x+ 1| ≤ x− 3

⇔ 2x+ 1 ≤ x− 3

⇔ x ≤ −4

Analog zu 5.4 Fall 1 ist hier L1 = ∅.

Fall 2: x < 3. Dann gilt zunächst wieder

(∗)⇔ |2x+ 1| ≥ x− 3 (∗∗)

Um den Betrag |2x + 1| aufzulösen, nehmen wir eine erneute Fallunterscheidung vor: Esgilt 2x+ 1 ≥ 0⇔ x ≥ −1

2 .

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5.6. ...in zwei Variablen 37

Fall 2a: x ≥ −1/2, insgesamt ist in diesem Fall also x ∈ (−∞, 3) ∩ [−1/2,∞) = [−1/2, 3). Esgilt 2x+ 1 ≥ 0, und damit

(∗∗)⇔ 2x+ 1 ≥ x− 3

⇔ x ≥ −4

Also ist L2a := [−1/2, 3) ∩ [−4,∞) = [−1/2, 3).

Fall 2b: x < −1/2. Insgesamt ist in diesem Fall also x ∈ (−∞, 3)∩(−∞,−1/2) = (−∞,−1/2).Es gilt 2x+ 1 < 0, und damit

(∗∗)⇔ −(2x+ 1) ≥ x− 3

⇔ −3x ≥ −2⇔ x ≤ 2/3

Also ist L2b := (−∞,−1/2) ∩ (−∞, 2/3) = (−∞,−1/2).

Insgesamt ist L = L1 ∪ L2a ∪ L2b = (−∞, 3).

Anmerkung: Die hier verwendetet Methode, sukzessive Fall Unterscheidungen vorzunehmen,um die Uugleichung mit Termen in x durchzumultiplizieren bzw. Beträge aufzulösen, funktioniertzwar immer, führt aber unter Umständen auf viele verästelte Fallunterscheidungen. Oft lassensich diese durch vorheriges ßcharfes Hinsehen"vermeiden, wie auch in diesem Beispiel in Fall 2(x ∈ (−∞, 3)): Wegen x < 3 gilt stets |2x+1| ≥ 0 > x− 3, und wegen (∗)⇔ |2x+1| ≥ x− 3 istdaher in diesem Fall die Ungleichung (∗) stets erfüllt, also ist die Lösungsmenge im Fall 2 gleichL2 = (−∞, 3).

5.6 Gleichungen und Ungleichungen in zwei Variablen

Wir erinnern an die Definition des kartesische Produkts: Seien A, B Mengen, dann ist

A×B = {(a, b) | a ∈ A, b ∈ B}.

Die euklidische Ebene. Wir betrachten nun speziell den Fall A = B = R. Das kartesischeProdukt R2 := R × R ist die Menge aller geordneten Paare (x, y) von Elementen x, y ∈ R. Wirkönnen uns R2 durch ein Koordinatensystem in der Ebene veranschaulichen. Mit dieser Inter-pretation bezeichnet man R2 auch als die euklidische Ebene.

Das kartesische Produkt zweier Intervalle. Seien nun A,B ⊆ R Intervalle. Dann ist daskartesische Produkt A×B eine Teilmenge von R2 und lässt sich folgendermaßen darstellen:

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38 5. Gleichungen und Ungleichungen

Das kartesische Produkt A×B der Intervalle A = [1, 4] undB = [1, 2] im Koordinatensystem.

Achtung: Nicht jede Teilmenge von R2 lässt sich als kartesische Produkte darstellen!

Beispiele 5.6.1. Teilmengen des R2 als Lösungsmengen von (Un-)Gleichungen in zwei Variablen.

1. S := {(x, y) ∈ R2 |x2 + y2 ≤ 1}

2. K := {(x, y) ∈ R2 |x2 + y2 = 1}

3. R := {(x, y) ∈ R2 | |x|+ |y| ≤ 1}

4. T := {(x, y) ∈ R2 | 0 ≤ y ≤ 1, x2 − y2 > 0}

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5.6. ...in zwei Variablen 39

Beispiel 5.6.2 (Vertauschen von x und y). Vergleichen Sie die beiden Mengen

A := {(x, y) ∈ R2 | (y − 1)2 + x2 ≤ 1, x ≥ 0}

und

B := {(x, y) ∈ R2 | (y, x) ∈ A} = {(x, y) ∈ R2 | (x− 1)2 + y2 ≤ 1, y ≥ 0}

B entsteht durch Spiegelung von Aan der Achse x = y.

Beispiel 5.6.3. Ermitteln Sie die Lösungsmenge L in R2, deren Elemente die folgende Unglei-chung erfüllen

2x− |y − 1| < 1.

Mit anderen Worten, es soll die folgende Menge konkret bestimmt werden:

L := {(x, y) ∈ R2 | 2x− |y − 1| < 1}.

Sei (x, y) ∈ R2. Zum Lösen der Ungleichung 2x − |y − 1| < 1 lösen wir wie bereits zuvor dieBetragsstriche durch eine Fallunterscheidung auf und lösen dann die Ungleichungen nach y auf:

Fall 1: y ≥ 1, d.h. |y − 1| = y − 1. Dann gilt:

2x− |y − 1| < 1

⇔ 2x− (y − 1) < 1

⇔ −y < −2x⇔ y > 2x.

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40 5. Gleichungen und Ungleichungen

Also ist L1 := {(x, y)|y ≥ 1, y > 2x} Teilmenge von L.

Fall 2: y < 1, d.h. |y − 1| = 1− y. Dann gilt:

2x− |y − 1| < 1

⇔ 2x− (1− y) < 1

⇔ y < 2− 2x.

Insgesamt ist also L = L1 ∪ L2 mit L2 := {(x, y)|y < 1, y < 2− 2x}.

Skizzieren Sie die Lösungsmenge!

Bemerkung: Bei diesem Beispiel könnte man auch obige Überlegung über das „Vertauschen“ vonx und y anwenden:

Es gilt (nachrechnen): 2x − |y − 1| < 1 ⇔ x < 12 + 1

2 |y − 1|. Vertauschen wir hier x und y, soerhalten wir y < 1

2 + 12 |x − 1|. Die zugehörige Lösungsmenge lässt sich dann folgendermaßen

skizzieren.

Spiegeln an der Geraden x = y liefert dann die Skizze der ursprünglich gesuchten Menge.

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Kapitel 6

Funktionen

6.1 Definition und Grundlagen

Definition 6.1.1. Seien X,Y Mengen. Eine Vorschrift f , die jedem Element x ∈ X genauein Element y ∈ Y zuordnet, heißt Funktion oder auch Abbildung von X nach Y . Wir set-zen in diesem Fall f(x) := y. X bezeichnen wir als Definitionsbereich und schreiben hierfürDef(f) := X. Weiter bezeichnen wir Y als Werte- oder auch Zielbereich von f . Schreibweise:f : X → Y, x 7→ f(x).

Ist f : X → Y eine Funktion, so heißt Bild(f) := {y ∈ Y | ∃x ∈ X : y = f(x)} das Bildoder auch Bildbereich/-menge oder die Wertemenge von f . Man beachte: der Bildbereich einerFunktion, also die Menge der tatsächlich angenommenen Werte, ist eine – im allgemeinen ech-te – Teilmenge des Zielbereichs von f . Zum Beispiel für die Funktion f : R → R, x 7→ x2 istBild(f) = [0,∞).

Anmerkung: Eine Funktion hat also stets drei „Bestandteile“, neben der eigentlichen Zuord-nungsvorschrift x 7→ f(x) nämlich auch Definitions- und Zielbereich. So haben zum Beispiel dieFunktionen

f : R→ R, x 7→ x2,

g : [0,∞)→ [0,∞), x 7→ x2

zwar dieselbe Zuordnungsvorschrift x 7→ x2, aber verschiedene Definitions- und Zielbereiche. Diesist zum Beispiel wichtig bei der Frage, ob eine Funktion eine Umkehrfunktion besitzt (dies ist fürg der Fall, aber nicht für f) - diese Frage werden wir allgemein später im Abschnitt 6.3 behandeln.

Achtung: Wir unterscheiden die Funktion f von ihren Funktionswerten f(x). Insbesondere ist„f(x)“ keine zulässige Schreibweise für die ganze Funktion f , sondern nur die Bezeichnung deseinen Funktionswertes f(x) für ein festes x ∈ X.

Definition 6.1.2 (Der Graph einer Funktion). Für eine Funktion f : X → Y heißt die MengeG(f) := {(x, y) ∈ X × Y | y = f(x)} der Graph der Funktion f . Gilt X,Y ⊂ R, so ist derGraph G(f) eine Teilmenge des R2, und die Funktion f lässt sich gut durch ihren Graphenveranschaulichen:

41

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42 6. Funktionen

Bild 6.A Graph einer Funktion als Teilmenge des R2

Anmerkung: Der oben beschriebene Funktionenbegriff sollte Ihnen von der Schule geläufig seinund stellt zudem eine anschauliche und zum Arbeiten auch praktische Begriffsbildung dar. Den-noch ist diese Definition mathematisch noch nicht exakt (was für ein mathematisches Objekt isteine „Zuordnungsvorschrift“?) - die Beschreibung über den Graphen stellt hingegen eine Mög-lichkeit dar, Funktionen sehr abstrakt, aber dafür konkret als bestimmte Typen von Mengen zudefinieren. Ohne dies weiter zu vertiefen, soll diese Variante der Definition hier genannt werden:

Definition einer Funktion als Menge. Seien X,Y Mengen. Ein Funktion f von X nach Yist eine Teilmenge f ⊆ X × Y so, dass es zu jedem x ∈ X genau ein y ∈ Y gibt mit (x, y) ∈ f .Wir schreiben in diesem Fall f : X → Y , und für (x, y) ∈ f schreiben wir y = f(x).

Definition 6.1.3 (Hintereinanderausführung von Funktionen). Seien X,Y,A,B Mengen undf : B → Y und g : A → X beliebige Funktionen. Dann wird die Verkettung von f mit gdefiniert als

f ◦ g : Def(f ◦ g)→ Y, x 7→ f(g(x))

mit Def(f ◦g) = {x ∈ Def(g) |g(x) ∈ Def(f)} = {x ∈ A |g(x) ∈ B}. Man bezeichnet f ◦g als diedie Hintereinanderausführung oder auch Verkettung von g und f oder sagt kurz f nach g oderf „Kringel“ g.

Beispiel 6.1.4. Seien f : R → R, x 7→ 4 − x2 und g : [0,∞) → R, x 7→√x. Bestimmen Sie die

Funktionen f ◦ g und g ◦ f mit ihren Definitionsbereichen.

Es gilt Def(f ◦ g) = {x ≥ 0 |√x ∈ R} = [0,∞), und für alle x ∈ [0,∞) gilt

(f ◦ g)(x) = f(g(x)) = f(√x) = 4− (

√x)2 = 4− x.

Umgekehrt ist Def(g ◦ f) = {x ∈ R | 4− x2 ≥ 0} = [−2, 2], und für alle x ∈ [−2, 2] gilt

(g ◦ f)(x) = g(f(x)) = g(4− x2) =√

4− x2.

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6.1. Definition und Grundlagen 43

Definitions- und Bildbereich reeller Funktionen

Im Folgenden sei stets D ⊆ R und f : D → R eine Funktion. Eine solche Funktion nennt manauch reellwertige (reelle) Funktion. In dieser Situation ist Bild(f) = {y ∈ R| ∃x ∈ D : f(x) = y}der Bildbereich von f .

Oft werden reelle Funktionen - im Gegensatz zur obigen Definition - etwas lax nur durch ihreAbbildungsvorschrift vorgegeben, und auf eine konkrete Angabe des Definitionsbereiches wirdverzichtet. In diesem Fall bezeichnen wir mit Dmax(f) den maximalen Definitionsbereich von f ,dies ist die größte Teilmenge von R, auf der die Abbildungsvorschrift x 7→ f(x) noch „sinnvoll“definiert ist. Weiter heißt in diesem Fall Bmax(f) = {y ∈ R | ∃x ∈ Dmax(f) : f(x) = y} dermaximale Bildbereich von f .

Mit dem oben eingeführten Begriff der Verkettung von Funktionen lässt sich mathematisch sau-ber (wenn auch noch nicht ganz exakt) formulieren, was mit dem „maximalen Definitionsbe-reich“ einer Zuordnungsvorschrift gemeint ist: Die von uns notierten Zuordnungsvorschriftensind Terme, die die Verkettung bestimmter elementarer Funktionen darstellen, deren Defini-tionsbereich bekannt ist - wie z.B. der elementaren Funktionen

√· : [0,∞) → R, x 7→

√x,

log : (0,∞) → R, x 7→ log(x), oder der Inversionsabbildung R\{0} → R, x 7→ 1x . Der maximale

Definitionsbereich einer Zuordnungsvorschrift, die sich als Verkettung solcher elementare Funk-tionen darstellen lässt, ist schlicht der Definitionsbereich dieser Verkettung gemäß der obigenDefinition.

Beispiele 6.1.5. 1. Die Funktion f sei durch die Zuordnungsvorschrift

x 7→ log(−x2 + x+ 2)

gegeben. Geben Sie den maximalen Definitionsbereich Dmax(f) und Bildbereich Bmax an,indem Sie f in geeigneter Weise als Verkettung zweier Funktionen schreiben.

Lösung: Die Funktion f ist in der Form f = u ◦ v mit den (elementaren) Funktionenu = log : (0,∞)→ R, x 7→ log(x) und v : R→ R, x 7→ −x2 + x+ 2. Dann ist

Dmax(f) = Def(u ◦ v) = {x ∈ R |x ∈ Dmax(log)} = {x ∈ R | − x2 + x+ 2 > 0}.

Durch scharfes Hinsehen erhalten wir die zwei Nullstellen −1 und 2 der quadratischenGleichung x2− x− 2 = 0 (Normalform). Wir verfahren wie in Abschnitt 5.2.2 dargestellt.Für alle x ∈ R gilt

−x2 + x+ 2 > 0⇔ x2 − x− 2 < 0⇔ (x+ 1)(x− 2) < 0⇔ x ∈ (−1, 2).

Also ist Dmax(f) = (−1, 2). Wir bestimmen nun den Bildbereich: Nach Definition gilt

Bmax(f) = {log(y) | y = v(x) für ein x ∈ Dmax(f)}.

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44 6. Funktionen

Wir bestimmen daher zunächst den Bildbereich von v: Mit quadratischer Ergänzung er-halten wir

v(x) = −x2 + x+ 2 = −(x2 − x− 2) = −[(x− 1/2)2 − 1/4− 2

]= 9/4− (x− 1/2)2

für alle x ∈ R, und hieraus lesen wir ab: Bmax(v) = {v(x) | x ∈ Dmax(f)} = (0, 94 ]. Damitfolgt

Bmax(f) = {log(y) | y ∈ Bmax(v)} = {log(y) | y ∈ (0, 9/4]} = (−∞, log(9/4)].

(Für das letzte „=“ verweisen wir – zunächst – auf die Anschauung, tatsächlich gehen hierArgumente wie Monotonie und Stetigkeit der Funktion log ein.)

2. Die Funktion f sei durch die Abbildungsvorschrift x 7→√1 +

1

xgegeben. Bestimmen Sie

den maximalen Definitionsbereich Dmax(f) und den maximalen Bildbereich Bmax(f).

Der Ausdruck√

1 +1

xist sinnvoll definiert, falls x 6= 0 und 1 + 1

x ≥ 0 ist. Die zweiteUngleichung ist auf jeden Fall erfüllt für x > 0; Ist hingegen x < 0, so gilt

1 +1

x≥ 0⇔ x+ 1 ≤ 0⇔ x ≤ −1.

Damit folgt Dmax(f) = (−∞,−1] ∪ (0,∞).

Zur Bestimmung des Bildbereichs stellen wir zunächst fest, dass Bmax(f) ⊆ [0,∞) ist, daWurzeln immer nicht-negativ sind. Außerdem ist 1 /∈ Bmax(f), denn wäre f(x) = 1 für ein

x ∈ Dmax(f), so wäre√

1 + 1x = 1, also auch 1 + 1

x = 1 und damit 1x = 0, was aber nicht

möglich ist.

Sei nun umgekehrt y ∈ [0,∞), y 6= 1. Dann gilt für alle x ∈ Dmax(f):√1 +

1

x= y ⇔ 1 +

1

x= y2 ⇔ x+ 1 = xy2 ⇔ x− xy2 = −1

⇔ x(1− y2) = −1⇔ x =1

y2 − 1

(beachte, dass y2 6= 1, also y2 − 1 6= 0 ist). Wenn wir zeigen können, dass x := 1y2−1 ∈

Dmax(f) ist, so haben wir gezeigt, dass y = f(x) ∈ Bmax(f) ist und damit insgesamtBmax(f) = [0,∞)\{1}. Dazu machen wir eine Fallunterscheidung:

Fall 1: y > 1. Dann ist y2 − 1 > 0, also auch x = 1y2−1 > 0 und damit x ∈ Dmax(f).

Fall 2: y < 1, also auch 0 ≤ y2 < 1. Dann ist −1 ≤ y2 − 1 < 0, und hieraus folgt−1 ≥ 1

y2−1 (machen Sie sich dies anhand der Rechenregeln für Ungleichungen klar!). Alsoist x = 1

y2−1 ≤ −1 und damit auch in diesem Fall x ∈ Dmax(f).

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6.1. Definition und Grundlagen 45

3. Geben Sie den Definitionsbereich der durch die Zuordnungsvorschrift

x 7→ −√4− (x− 1)2

definierten Funktion f an, und skizzieren Sie den Graphen der Funktion.

Lösung: Es gilt Dmax(f) = {x ∈ R | 4− (x− 1)2 ≥ 0}. Dazu berechnen wir:

4− (x− 1)2 ≥ 0

⇔ |x− 1| ≤ 2

⇔ −2 ≤ x− 1 ≤ 2

⇔ −1 ≤ x ≤ 3

für alle x ∈ R, also ist Dmax(f) = [−1, 3].

Als eine Anwendung der obigen Definition der Hintereinanderausführung von Funktionen wollenwir uns verschiedenen Manipulationen von Graphen widmen, wie Verschieben, Spiegeln, Streckenoder Stauchen. Dieses wird durch besonders einfache Verkettungen bewirkt, auch wenn diese derEinfachheit halber nicht mehr explizit aufgeschrieben werden. Die Betrachtung dieser Verket-tungen erlaubt einem häufig, auf einfache Weise den Graphen der resultierenden Funktion f zuzeichnen oder Definitions- und Bildbereich zu bestimmen.

Beispiel 6.1.6. Definiere h : R→ R, x 7→ −x2 + x+ 2.

Es gilt h(x) = −x2 + x+ 2 = −(x2 − x− 2) = −[(x− 1/2)2 − 1/4− 2

]= −

[(x− 1/2)2 − 9/4

]für alle x ∈ R.

Der Graph von h entsteht nun aus dem Graphen der Funktion g : R → R, x 7→ x2 durchVerschieben um 1/2 nach rechts, Verschieben um −9/4 nach unten und Spiegelung an derx-Achse. Genauer gilt h = f2 ◦ g ◦ f1 mit den Funktionen f1 : R → R, x 7→ x − 1/2 undf2 : R→ R, y 7→ −(y − 9/4).

Daraus ist ersichtlich, dass Dmax(f) = R und Bmax(f) = (−∞, 9/4] gilt.

Wir betrachten nun eine allgemeinere Situation: Die Funktion f (anstelle von h) sei durch

f(x) = ±c · g(± b(·x+ a)

)+ d, a,b, c,d ∈ R,b, c > 0

gegeben, wobei g eine elementare Funktion mit Dmax(g) = R ist. Ist Dmax(g) 6= R, so müssendie Definitionsbereiche der kombinierten Funktionen entsprechen angepasst werden, worauf wirhier wegen der Übersichtlichkeit aber nicht eingehen.

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46 6. Funktionen

Im Folgenden werden wir alle Schritte an-hand g(x) = x3 illustrieren.

Bild 6.B g(x) = x3

In Bezug auf den Graphen von f(x) = ±c · g(± b(·x+ a)

)+ d bewirkt

a eine Verschiebung des Graphen von g um −a entlang der x-Achse (s. Bild 4.M);

b eine 1/b-fache Streckung in Richtung der x-Achse (für b > 1 wird der Graph also gestaucht)(s. Bild 4.N);

− vor b eine Spiegelung an der Achse x = −a (s. Bild 4.O);

Bild 6.C g(x− 1) = (x− 1)3 Bild 6.D g(1/2(x− 1)) Bild 6.E g(−1/2(x− 1))

c eine c-fache Streckung in Richtung der y-Achse (s. Bild 4.P);

− vor c eine Spiegelung an der x-Achse (s. Bild 4.Q);

d eine Verschiebung des Graphen um d in Richtung der y-Achse (s. Bild 4.R).

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6.2. Eigenschaften von Funktionen 47

Bild 6.F 3 · g(−1/2(x− 1)) Bild 6.G −3 · g(−1/2(x− 1)) Bild 6.H 3 · g(−1/2(x− 1)) + 1

6.2 Eigenschaften von Funktionen

Definition 6.2.1 (Monotonie von Funktionen). Eine Funktion f : D → R, x 7→ f(x) heißt auf Dmonoton wachsend (fallend), falls für alle x1, x2 ∈ D mit x1 < x2 gilt

f(x1) ≤ f(x2) ( bzw. f(x1) ≥ f(x2)) .

Entfallen die Gleichheitszeichen, so spricht man von strenger Monotonie.

Beispiele 6.2.2. 1. Die Funktion f : [0,∞)→ R, x 7→ x2 ist streng monoton wachsend.:

Beweis. Seien x1, x2 ∈ [0,∞) mit x1 < x2. Dann gilt x2 − x1 > 0 und x2 > x1 ≥ 0, alsoauch x2 + x1 ≥ x2 > 0 und damit

f(x2)− f(x1) = x22 − x21 = (x2 − x1)(x2 + x1) > 0, also f(x1) < f(x2).

2. Die Funktion f : R→ R, x 7→ x2 ist weder monoton wachsend noch monoton fallend.

Beweis. Es ist −1 < 0 und f(−1) = 1 > 0 = f(0), also ist f nicht monoton wachsend, undes ist 0 < 1, aber f(0) = 0 < f(1), also ist f auch nicht monoton fallend.

3. Die Wurzelfunktion√· : [0,∞)→ R, x 7→

√x ist streng monoton wachsend.

Beweis. Seien x1, x2 ∈ [0,∞) mit x1 < x2. Dann gilt x2 − x1 > 0 und x2 > x1 ≥ 0, alsoauch

√x2 +

√x1 ≥

√x2 > 0 und damit

f(x2)− f(x1) =√x2 −

√x1 =

(√x2 −

√x1)(√x2 +

√x1)√

x2 +√x1

=x2 − x1√x2 +

√x1

> 0,

also f(x1) < f(x2).

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48 6. Funktionen

Definition 6.2.3 (gerade und ungerade Funktionen). Eine Funktion f : R → R, x 7→ f(x) heißtgerade oder symmetrisch, bzw. ungerade oder antisymmetrisch, wenn gilt

f(−x) = f(x), bzw. f(−x) = −f(x) für alle x ∈ R.

Bild 6.I monotonwachsende Funktion

Bild 6.J gerade Funktion Bild 6.K ungerade Funktion

6.3 Die Umkehrfunktion

Dieser Abschnitt ist der Berechnung von Umkehrfunktionen gewidmet. Dabei ist zu beachten,dass im allgemeinen nicht jede Funktion überhaupt eine Umkehrfunktion besitzt!

Im folgenden sei f : R ⊇ D → R eine reelle Funktion.

Existiert zu jedem y ∈ Bild(f) genau ein x ∈ D mit y = f(x), so nennt man die Funktion injektiv.Nach den Ausführungen zum Quantor „Es existiert genau ein ...“ im Rahmen von Beispiel 1.8.1(vgl. zweite Vorlesung) ist die Funktion genau dann injektiv, wenn folgendes gilt:

∀x1, x2 ∈ D : f(x1) = f(x2)⇒ x1 = x2.

Ist f injektiv, so heißt die Funktion

f−1 : Bild(f)→ R, y 7→ x, wobei x ∈ D die eindeutige Zahl mit f(x) = y ist,

die Umkehrfunktion von f .

Nach Definition gilt offenbar Bild(f−1) = Def(f) = D. Um dies in der Notation deutlich zumachen, wird die Umkehrfunktion oft auch mit der expliziten Angabe des Bilds geschrieben als

f−1 : Bild(f)→ Def(f), y 7→ x, (wobei x ∈ Def(f) die eindeutige Zahl mit f(x) = y ist).

Für alle x ∈ D und y ∈ Bild(f) gilt nach Definition:

f−1(f(x)) = x und f(f−1(y)) = y.

Man kann sich überlegen (wir werden dies in den untenstehenden Beispiele auch tun), dass dieGraphen von f und f−1 symmetrisch zur Geraden y = x liegen, man erhält den Graphen derUmkehrfunktion f−1 also durch Spiegeln des Graphen von f an der Hauptdiagonalen.

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6.3. Die Umkehrfunktion 49

Beispiele 6.3.1. (1) Streng monotone Funktionen sind immer injektiv und besitzen somitauch immer eine Umkehrfunktionen.

(2) Die Funktion f : [0,∞) → R, x 7→ x2 ist streng monoton wachsend, vgl. Beispiel6.2.2 (1), also insbesondere injektiv, Ihre Umkehrfunktion ist die Wurzelfunktion√· : [0,∞)→ R, x 7→

√x.

(3) Die Funktion f : R→ R, x 7→ x2 ist nicht injektiv, denn es gilt f(1) = 1 = (−1)2 = f(−1),aber 1 6= −1, bzw. mit anderen Worten: y := 1 liegt im Bildbereich von f aber besitzt zweiverschiedene Urbilder.

Wir kommen nun zu etwas aufwendigeren Beispielen, bei denen insbesondere die Umkehrfunktionzu berechnen ist.

Beispiele 6.3.2. 1. Zeigen Sie, dass die Funktion f : R\{−1} → R, x 7→ x−1x+1 injektiv ist.

Geben Sie die Umkehrfunktion von f an und zeichnen Sie deren Graphen.

Lösung: Wie auf der Skizze zu sehen, ist die Funktion f injektiv und somit invertierbar,wir geben aber zusätzlich noch einen formalen Beweis: Seien dazu x1, x2 ∈ R\{−1} mitf(x1) = f(x2). Dann gilt

x1 − 1

x1 + 1= f(x1) = f(x2) =

x2 − 1

x2 + 1,

und damit folgt (x1 − 1)(x2 + 1) = (x2 − 1)(x1 + 1), also

x1x2 − x2 + x1 − 1 = (x1 − 1)(x2 + 1) = (x2 − 1)(x1 + 1) = x2x1 − x1 + x2 − 1,

und hieraus folgt schließlich −x2 + x1 = −x1 + x2, also 2x1 = 2x2 und damit x1 = x2, waszu zeigen war.

Zur Bestimmung der Umkehrfunktion müssen wir nun formal die Gleichung y = x−1x+1 nach

x auflösen. Sei dazu x ∈ R\{−1} und y = x−1x+1 . Dann ist auch y 6= 1, denn es kann nicht

x− 1 = x+ 1 sein. Damit können wir die folgenden Umformungen vornehmen:

y = x−1x+1

⇔ (x+ 1)y = x− 1

⇔ x(y − 1) = −1− yy 6=1⇔ x = −

(y+1y−1

)Dies zeigt, dass es zu jedem y ∈ R\{1} genau ein x ∈ R\{−1} gibt mit f(x) = y, alsoist insbesondere Bild(f) = R\{1}, und dieses x ist gegeben als x = −

(y+1y−1

). Um die

Umkehrfunktion f−1 zu notieren, muss man sich klarmachen, dass das obige y die Variablesein soll und man daher in der letzten Gleichung x und y vertauschen muss. Wir erhaltenalso als Umkehrfunktion:

f−1 : R\{1} → R, x 7→ −(x+ 1

x− 1

)

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50 6. Funktionen

mit Bild(f−1) = R\{−1}.

Bild 6.L Graph der Funktion f Bild 6.M Graph der Funktion f−1

2. Sei a > 0. Geben Sie den maximalen Definitionsbereich Dmax(f) und den zugehörigenBildbereich Bmax(f) von der durch die folgende Abbildungsvorschrift definierte reellenFunktion f an:

x 7→ 1

a+√x.

Zeigen Sie ferner, dass f injektiv ist und bestimmen Sie die Umkehrfunktion f−1.

Lösung: Es gilt Dmax(f) = [0,∞). Für jedes x ≥ 0 gilt zudem

0 <1

a+√x≤ 1

a+√0=

1

a,

also ist Bmax(f) ⊆ (0, 1/a]. Sei nun x ≥ 0, dann gilt:

y = 1a+√x

⇔ a+√x = 1

y

⇔√x = 1

y − a√x≥0 bzw. y≤ 1

a⇔ x =(1y − a

)2Dies zeigt, dass Bmax(f) = (0, 1/a] ist (ist y ∈ (0, 1/a], so ist y = f(x) für

x =(1y − a

)2∈ Dmax(f)), und es ergibt sich die Umkehrfunktion

f−1 : (0, 1/a]→ [0,∞), x 7→(1

x− a)2

.

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Kapitel 7

Spezielle Funktionen

In diesem Kapitel wird eine Reihe von elementaren Funktionen mit ihren Graphen und elemen-taren Eigenschaften angegeben.

7.1 Konstante Funktionen

Eine konstante Funktion ist eine Funktion der Gestalt

f : R→ R, x 7→ a

mit einer festen Zahl a ∈ R.

Konstante Funktionen sind monoton wachsend und monoton fallend (aber nicht „streng“!) undbesitzen keine Umkehrfunktion.

x

y

-3 -2 -1 0 1 2 3

-3

-2

-1

1

2

3

f(x) = 2

Bild 7.A

51

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52 7. Spezielle Funktionen

7.2 Lineare Funktionen

7.2.1 Lineare Funktion im Sinne der Schulmathematik

Unter einer linearen Funktion im Sinne der Schulmathematik versteht man eine Funktionder Gestalt

f : R→ R, x 7→ a · x+ b

mit festen Zahlen a, b ∈ R. Sie hat die folgenden Eigenschaften:

• f ist monoton, genauer gilt:

– Ist a > 0, so ist f streng monoton wachsend.

– Ist a < 0, so ist f streng monoton fallend.

– Ist a = 0, so ist f konstant und somit monoton wachsend und monoton fallend.

• Im Fall a 6= 0 besitzt f die Umkehrfunktion

f−1 : R→ R, x 7→ x− ba

=1

a· x− b

a.

x

y

-3 -2 -1 0 1 2 3

-3

-2

-1

1

2

3

f(x) = 1.5 · x+ 2

Bild 7.B

7.2.2 Lineare Funktion im Sinne der Linearen Algebra

Im Rahmen der linearen Algebra werden lineare Funktionen (allgemein auf Vektorräumen anstellevon R) folgendermaßen definiert:

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7.3. Quadratische Funktionen 53

Definition 7.2.1 (Lineare Funktion). Eine Funktion f : R → R heißt linear, wenn für allex, y, c ∈ R gilt

f(x+ y) = f(x) + f(y) und f(cx) = c f(x).

Wie man leicht einsieht, ist für jedes a ∈ R die Funktion fa : R → R, x 7→ a · x linear im Sinnedieser Definition. Tatsächlich sind dies auch schon alle lineare Funktionen, es gilt also:

Die Funktion f : R→ R ist genau dann linear, wenn es ein a ∈ R gibt mit f = fa.

Wir wollen dieses Aussage beweisen. Dafür überlegen wir vorab: Wenn es ein solches a gibt, somuss insbesondere f(1) = fa(1) = a ·1 = a sein. Wir nehmen dies nun umgekehrt als Motivation,a := f(1) zu wählen, was auch zum gewünschten Ziel führt – dies zeigt der folgende

Beweis. Sei f : R → R linear. Definiere a := f(1). Wir zeigen, dass dann f = fa ist. Sei dazux ∈ R beliebig, dann gilt

f(x) = f(x · 1) f linear= x · f(1) = x · a = a · x = fa(x).

Also ist f = fa.

Insbesondere gilt für lineare Funktionen f immer f(0) = 0.

Im Vergleich zu dem Begriff Lineare Funktion aus der Schulmathematik (Abschnitt 7.2.1)beschränkt man sich also nur auf solche Funktionen f : R → R, x 7→ a · x + b für die b = 0 ist.Die Funktion

f : R→ R, x 7→ a · x+ b

wird im Fall b 6= 0 im Rahmen der Linearen Algebra als affin-lineare Funktion bezeichnet(Bedeutung: verschobene lineare Funktion).

Beispiel 7.2.2. Skizzieren Sie den Graphen solch einer Funktion im Falle

1. a = 0, b = 2

2. a = 1, b = 0

3. a = −1, b = −0.5

7.3 Quadratische Funktionen

Eine quadratische Funktion ist eine Funktion der Gestalt

f : R→ R, x 7→ a · x2 + b · x+ c

mit festen Zahlen a, b, c ∈ R. Sie ist im Fall a 6= 0 weder monoton steigend noch fallend undbesitzt keine Umkehrfunktion. Der Graph ist in diesem Fall eine Parabel, genauer im Fall a > 0

eine nach oben und im Fall a < 0 eine nach unten geöffnete Parabel.

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54 7. Spezielle Funktionen

Für die Veranschaulichung einer quadratischen Funktion verweisen wir auf Abschnitt 5.2, in demder Fall a = 1 behandelt wird. Der allgemeine Fall ändert sich nur dahingehend, dass es sich imFall |a| < 1 um eine gestreckte und im Fall |a| > 1 um eine gestauchte Parabel handelt.

x

y

-4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4

-4

-3

-2

-1

1

2

3

4

f(x) = 2x2 − 2x+ 1

f(x) = −12 · x

2 − 2x

Bild 7.C

7.4 Polynomfunktionen

Ein (reelle) Polynomfunktion ist eine Funktion der Gestalt

f : R→ R, x 7→ a0 + a1x+ a2x2 + ...+ anx

n =:n∑j=0

ajxj

mit n ∈ N0 und a0, a1, ..., an ∈ R. Ist an 6= 0, so nennt man f eine Polynomfunktion n-ten Gradesund n heißt der Grad von f .

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7.5. Gebrochen rationale Funktionen 55

Bild 7.D Graph einer Polynomfunktion fünften Grades

Die bereits eingeführten Funktionen stellen sich als Spezialfälle von Polynomfunktionen heraus:

• Konstante Funktionen sind Poynomfunktionen vom Grad 0.

• Affin-lineare Funktionen sind Poynomfunktionen vom Grad 1.

• Quadratische Funktionen sind Poynomfunktionen vom Grad 2.

Im Zusammenhang mit Polynomfunktionen ist oft die Frage nach Nullstellen von Bedeutung,also nach Stellen x0 ∈ R mit f(x0) = 0. Wir zitieren hierzu einige Tatsachen, die teilweise ausder Schule bekannt sind und im Laufe Ihres Studiums bewiesen werden:

• Eine Polynomfunktion n-ten Grades hat höchstens n Nullstellen.

• Ist f eine Polynomfunktion mit Grad n ∈ N (also f nicht konstant) und x0 eine Nullstellevon f , so gibt es eine Polynomfunktion g vom Grad n − 1 mit f(x) = (x − x0) · g(x) füralle x ∈ R. Man gewinnt g aus f mithilfe von Polynomdivision.

• Es gibt Formeln zur Berechnung der Nullstellen von Polynomen mit Grad höchstens vier(p-q-Formel für Grad 2, Cardanische Formeln für Grad 3 und 4).

• Es gibt keine allgemeine Formel zur Berechnung der Nullstellen von Polynomen mit Gradfünf oder größer (Galoistheorie).

7.5 Gebrochen rationale Funktionen

Sind g, h Polynomfunktionen und ist N := {x ∈ R | h(x) = 0} die Nullstellenmenge von h, sonennt man

f : R\N → R, x 7→ g(x)

h(x)

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56 7. Spezielle Funktionen

eine gebrochen rationale Funktion.

Beispiele:

(1) f : R\{0} → R, x 7→ 1

x

(2) f : R\{1} → R, x 7→ x+ 1

x− 1

(3) f : R\{−2} → R, x 7→ x2 + 2x− 3

x+ 2

(4) f : R\{1, 2} → R, x 7→ x3 − x2 + 2x− 2

x2 − 3x+ 2

x−6 −5 −4 −3 −2 −1 1 2 3 4 5 6

y

−15

−10

−5

5

10

15

f(x) = x2+2x−3x+2

Gebrochen rationale Funktionen lassen sich oft vereinfachen mithilfe von Polynomdivision undFaktorisieren und Kürzen. Dies wird in den Grundvorlesungen allgemein behandelt werdenund soll hier nur exemplarisch für die Funktion in Beispiel (4) gezeigt werden.

Polynomdivision Für alle x ∈ R\{1, 2} gilt f(x) = x+ 2 + 6x−6x2−3x+2

.

Faktorisieren und Kürzen Formal gilt 6x− 6 = 6(x− 1) und x2 − 3x+ 2 = (x− 1)(x− 2),und damit folgt formal

f(x) = x+ 2 +6x− 6

x2 − 3x+ 2= x+ 2 +

6(x− 1)

(x− 1)(x− 2)= x+ 2 +

6

x− 2.

Hierdurch kann der Definitionsbereich von f vergrößert werden auf R\{2}, da die Nullstelle1 im Nenner wegfällt.

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7.6. Die Potenzfunktion 57

7.6 Die Potenzfunktion

Die (allgemeine) Potenzfunktion ist definiert als

f : (0,∞)→ R, x 7→ xα

mit festem α ∈ Q.

Sie hat allgemein die folgenden Eigenschaften:

• Im Fall α = 0 ist f konstant.

• Für α > 0 ist f streng monoton steigen und für α < 0 ist f streng monoton fallend.

• Im Fall α 6= 0 besitzt f die Umkehrfunktion f−1 : (0,∞)→ R, x 7→ x1α .

Die allgemeine Potenzfunktion umfasst verschiedene Spezialfälle, in denen der maximale Defini-tionbereich Dmax(f) vergrößert werden kann.

1. α = 0. f ist die konstante Funktion f(x) = 1 mit Dmax(f) = R.

2. α = 1. f ist die lineare Funktion f(x) = x (siehe auch Abschnitt 7.2) mit Dmax(f) = R.

3. Allgemeiner: Ist α ∈ N0, so gilt Dmax(f) = R. Dabei ist die Funktion gerade für α geradeund ungerade für α ungerade.

4. α ∈ Z, α ≤ −1. Dann ist Dmax(f) = R \ {0}.

5. α 6∈ Z, α > 0. In diesem Fall ist f(0) = 0, der Definitionsbereich lässt sich also auf [0,+∞)

erweitern. In Spezialfällen, etwa α = 13 , gilt sogar Dmax(f) = R.

6. α 6∈ Z, α < 0. Hier ist sicher 0 /∈ Dmax(f). In Spezialfällen, etwa α = −13 , gilt sogar

Dmax(f) = R\{0}.

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58 7. Spezielle Funktionen

Bild 7.F

Bild 7.G

Beispiel 7.6.1. Es sei n ∈ N, n ≥ 2. Dann ist die Funktion f : [0,∞) → R, x 7→ xn injektiv(denn f ist streng monoton wachsen), und die Umkehrfunktion f−1 ist gegeben durch

f−1(x) = n√x = x

1n für alle x ∈ Dmax(f

−1) = [0,∞).

Der Graph der Umkehrfunktion f−1 entsteht durch Spiegelung des Graphen von f an der Achsex = y, wie man in Bild 7.F sehen kann.

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7.7. Die Exponentialfunktion und die Logarithmusfunktion 59

7.7 Die Exponentialfunktion und die Logarithmusfunktion

Sei a > 0, a 6= 1. Die Funktion

f : R→ R, x 7→ ax(= ex ln(a)

)nennt man Exponentialfunktion mit Basis a. Im Fall a = e heißt f einfach die Exponential-funktion.

Man beachte: Nach dem Kommentaren in Abschnitt 2.1.3 haben wir ax für x ∈ R\Q noch garnicht definiert. Dies wird aber im Rahmen der Vorlesung Analysis 1 nachgeholt.

Die Exponentialfunktion ist streng monoton wachsend, also injektiv. Die Umkehrfunktion derExponentialfunktion zur Basis a ist die Logarithmusfunktion

loga : R>0 → R, x 7→ loga(x)

Bild 7.H

7.8 Betragsfunktion

Die Betragsfunktion ist definiert durch

f : R→ R, x 7→ |x|.

Sie ist stückweise linear auf (−∞, 0) und [0,∞).

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60 7. Spezielle Funktionen

x

y

-3 -2 -1 0 1 2 3

-3

-2

-1

1

2

3

f(x) = |x|

Bild 7.I

7.9 Indikatorfunktion

Sei A ⊆ R. Die Indikatorfunktion von A ist definiert als

1A : R→ R, x 7→

{1 falls x ∈ A,0 sonst.

x

y

-3 -2 -1 0 1 2 3

-3

-2

-1

1

2

3

f(x) = 1[−1,2](x)

Bild 7.J

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7.10. Stückweise definierte Funktionen 61

7.10 Stückweise definierte Funktionen

Die bisher definierten Funktionen wurden bis auf die Indikatorfunktion durch eine einheitlicheAbbildungsvorschrift auf ihrem Definitionsbereich eingeführt. Ausnahmen sind die zuletzt einge-führten Indikatorfunktionen und die Betragsfunktion. Allgemein kann eine Funktion durch Anga-be einer Funktionsvorschrift auf Teilintervallen spezifiziert werden. Wir bringen ein Beispiel einerimmer noch einfachen Funktion, die aber nicht zu den elementaren Funktionen gehört. Dennochlässt sie sich durch Fallunterscheidungen aus elementaren (nämlich affin-linearen) Funktionenzusammensetzen.

Beispiel 7.10.1. Schreiben Sie die Funktion f : R→ R, x 7→ 2− |1− x| − |x+ 2| ohne Beträge,indem Sie sie auf geeigneten Intervallen als affin-lineare Funktionen schreiben. Skizzieren Sieihren Graphen.

Lösung: Zunächst ermitteln wir die kritischen Punkte, in denen die Terme innerhalb der Be-tragsstriche das Vorzeichen wechseln. Das sind die Punkte 1 und −2. Das führt uns auf die dreiTeilintervalle von R: (−∞,−2), [−2, 1) und [1,∞) auf denen eine einheitliche Darstellung ohneBeträge möglich ist.

Sei x ∈ (−∞,−2). Hier gilt: f(x) = 2− |1− x| − |x+ 2| = 2− (1− x) + (x+ 2) = 3 + 2x.

Sei x ∈ [−2, 1). Hier gilt: f(x) = 2− (1− x)− (x+ 2) = −1.

Sei x ∈ [1,∞). Hier gilt: f(x) = 2 + (1− x)− (x+ 2) = −2x+ 1.

Insgesamt erhalten wir:

f(x) =

3 + 2x falls x < −2,−1 falls − 2 ≤ x < 1,

1− 2x falls x ≥ 1.

Bild 7.K Graph der Funktion f

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62 7. Spezielle Funktionen

7.11 Trigonometrische Funktionen

7.11.1 Herleitung und Definition

Für ein rechtwinkliges Dreieck gelten die Defini-tionen

sinα := Gegenkathete/Hypotenuse,

cosα := Ankathete/Hypotenuse,

tanα := Gegenkathete/Ankathete.

Bild 7.LDiese Definition ist nur für α < 90◦ möglich.

Die sog. Trigonometrischen Funktionen sin und cos erweitern diese Darstellung auf den Defini-tionsbereich R. Dies soll aus der Anschauung des Einheitskreises hergeleitet werden.

Bild 7.M

Umrechnung von Grad- und Bogenmaß

Der Umfang des Einheitskreises ist 2π. Daraus leitet sich das Bogenmaß ab, das im Folgen-den statt des Gradmaßes verwendet wird. Es gilt 180◦=̂π, zwischen dem Gradmaß a und demBogenmaß b bestehen also die Beziehungen

a◦ =180◦

πb und b =

π

180◦a◦.

Dabei wird das Bogenmaß als eine reelle Zahl interpretiert, man hat also keine Maßeinheit für b.

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7.11. Trigonometrische Funktionen 63

Über die Anschauung am Einheitskreis können wir die Definition von Sinus und Cosinus auf be-liebige reelle Zahlen aussdehnen, wobei wir diese als Winkel gemessen im Bogenmaß auffassen. Soerhalten wir die Funktionen sin : R→ R, x 7→ sin(x) und cos : R→ R, x 7→ cos(x), und wir kön-nen folgendes ablesen: Der Bildbereich Bmax(sin) und Bmax(cos) sind jeweils das Intervall [−1, 1].

Schaubild des Sinus und Cosinus.

Bild 7.N

Schaubild des Tangens und Cotangens.Der Tangens

tan(x) :=sin(x)

cos(x)

ist definiert auf

R \ {x | cos(x) = 0}= R \ {kπ + π

2 |k ∈ Z}.

Der Cotangens

cot(x) :=cos(x)

sin(x)

ist definiert auf

R \ {x | sin(x) = 0}= R \ {kπ | k ∈ Z}.

Bild 7.O

Die Funktionen sin und cos, bzw. tan und cot sind periodisch mit den Perioden 2π bzw. π, dasheißt, für alle x ∈ R und k ∈ Z gilt

sin(x) = sin(x+ 2kπ), cosx = cos(x+ 2kπ),

tan(x) = tan(x+ kπ), cotx = cot(x+ kπ).

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64 7. Spezielle Funktionen

7.11.2 Die Additionstheoreme

Seien x, y ∈ R. Dann gilt:

1. sin2(x) + cos2(x) = 1, mit der Schreibweise sin2(x) := (sin(x))2,

2. sin(x± y) = sin(x) cos(y)± cos(x) sin(y),

3. cos(x± y) = cos(x) cos(y)∓ sin(x) sin(y).

Die Additionstheoreme lassen sich geometrisch am Einheitskreis herleiten. Außerdem werden sieim Rahmen der Analysis-Vorlesung mit analytischen Methoden bewiesen, denen aber insbeson-dere eine formale Definition der Funktionen sin, cos zugrunde liegen.

Setzt man bei 2. und 3. den Spezialfall x = y ein, so erhält man

sin(2x) = 2 sin(x) cos(x) und cos(2x) = cos2(x)− sin2(x) für alle x ∈ R.

Beispiel 7.11.1. Sei x ∈ R, dann folgt mit den Additionstheoremen:

cos(2x) = cos2(x)− sin2(x) = cos2(x)−(1− cos2(x)

)= 2 cos2(x)− 1,

bzw. cos2(x) =1

2(cos(2x) + 1).

Neben der bereits formulierten 2π-Periodizität kann man noch weitere Symmetrien von sin undcos aus der Definition am Einheitskreis ablesen, etwa:

∀x ∈ R : sin(x+ π) = − sin(x) und cos(x+ π) = − cos(x).

Beispiel 7.11.2. Machen Sie sich anschaulich klar, dass für alle x ∈ R gilt

sin(x+

π

2

)= cos(x) und cos

(x+

π

2

)= − sin(x),

und beweisen Sie dies mit den Additionstheoremen.

Spezielle Werte von Sinus, Cosinus und Tangens.

a) Leiten Sie folgende spezielle Funktionswerte am Einheitskreis her.

x in ◦ x im Bogenmaß sinx cosx tanx

0◦

30◦

45◦

b) Mithilfe der Ergebnisse aus a) und den Additionstheoremen berechnen Sie sin(π/8) undcos(π/8).

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Kapitel 8

Die komplexen Zahlen

Einigen von Ihnen sollten die komplexen Zahlen bereits aus der Schule vertraut sein. Aber auchsonst ist in der Regel allgemein bekannt, dass eine Grundidee der komplexen Zahlen darin liegt,aus negativen Zahlen eine Wurzel ziehen zu können. Insbesondere wird die Zahl i =

√−1 einge-

führt (wobei diese Notation problematisch ist – dazu später mehr). In Anbetracht der „Alltagser-fahrung“ bzw. des üblichen Umgangs mit den bekannten Zahlenbereichen N,Z,Q,R könnte diesals eine unnatürliche und eher künstliche Konstruktion erscheinen. Tatsächlich aber sind ausge-hend von den natürlichen Zahlen (die auch erst nach langen Zeiten rein geometrischer Mathema-tik formalisiert wurden) auch die anderen bekannten Zahlenbereiche ähnlich entstanden aus derUnzulänglichkeit, in dem gegebenem Zahlenbereich gewisse „natürliche“ mathematische Problemelösen oder auch nur behandeln zu können. So erscheinen die natürlichen Zahlen N = {1, 2, 3, . . .}nicht nur dem Namen nach „natürlich“, schließlich entsprechen sie unserer Alltagserfahrung desZählens. Nun sind aber in N Gleichungen der Gestalt n + x = m für gegebene m,n ∈ N imallgemeinen nicht lösbar – dies führt auf die Einführung der ganzen Zahlen Z. Und auch, wennsich eine negative Zahl zunächst nicht aus der Alltags-Anschauung erklären lässt (was ist −1Apfel?), so lässt sich doch die Operation mit einer negativen Zahl (einen Apfel von gegebenenwegnehmen) erklären. Ähnlich sind die rationalen Zahlen entstanden aus der Unfähigkeit, in demBereich der ganzen Zahl zu teilen – und auch hier finden sich sehr anschauliche Alltagsbeispiele(Uhr, Kuchen). Schließlich hat man in den rationalen Zahlen auch „Lücken“ entdeckt: In einemQuadrat mit der Seitenlänge 1 hat die Hauptdiagonale – deren Konstruktion geometrisch trivialist – nach dem Satz von Pythagoras die Länge x mit der Eigenschaft x2 = 12 + 12 = 2. Damitkann x aber keine rationale Zahl sein (dies haben wir bereits bewiesen). Ausgehend von dieserProblematik wurden die rationalen Zahlen „vervollständigt“ zu der Menge der reellen Zahlen R.

Ein anscheinend natürliches Problem hat nun auf die Erfindung der komplexen Zahlen geführt: Im16. Jahrhundert stellte sich der Mathematiker Geronimo Cardano (1501-1576) die Aufgabe,eine Strecke der Länge 10 so in zwei Stücke zu zerlegen, dass das aus ihnen gebildete Rechteckdie Fläche 40 hat. Dies führt auf die quadratische Gleichung x(10 − x) = 40, und quadratischeErgänzung zeigt, dass diese Gleichung keine reellen Lösungen besitzt:

x2 − 10x+ 40 =[(x− 5)2 − 25

]+ 40 = (x− 5)2 + 15 ≥ 15 > 0.

65

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66 8. Die komplexen Zahlen

Cardano rechnete dennoch weiter und erhält als Lösungen die Ausdrücke

x1 = 5 +√−15 und x2 = 5−

√−15.

Und auch wenn diese Ausdrücke zunächst gar nicht definiert sind, wenn man „naiv“ mit ihnenrechnet, liefern sie genau das Gewünschte, nämlich

x1 + x2 = 5 +√−15 + 5−

√−15 = 10,

und x1 · x2 =(5 +√−15

)·(5−√−15

)= 52 −

(√−15

)2= 25− (−15) = 40.

Im Laufe der Zeit stellte man nun fest, dass das formale Rechnen mit Wurzeln aus negativenZahlen viele fruchtbare Erkenntnisse liefert, unter anderem allgemeine Lösungsformeln zur Be-stimmung der Nullstellen von Polynomen 3. und 4. Grades. Ebenso ließen sich Probleme, diesowohl in Formulierung als auch Lösung eigentlich rein reeller Natur sind, durch den Umweg mitdem Rechnen mit nicht-reellen Wurzeln aus negativen Zahlen erst vollständig lösen.

8.1 Rechnen mit komplexen Zahlen

Ausgehend von der Idee√−a =

√−1 ·√a für a > 0 reicht es, die Wurzel aus der Zahl −1 ziehen

zu können. Wir definieren daher die sogenannte imaginäre Einheit i mit der Eigenschaft

i2 = −1.

Eine allgemeine komplexe Zahl ist nun eine Zahl der Gestalt z = a + ib, zusammengesetzt ausreellen Zahlen a, b ∈ R und der imaginären Einheit i, und wir setzen

C := {a+ ib | a, b ∈ R}.

Man nennt C die Menge oder auch den Körper der komplexen Zahlen. Um einen sinnvollen Um-gang mit dieser neuen Art Zahlen möglich zu machen, sollten die elementare RechenoperationenAddition und Multiplikation, sowie die zugehörigen inversen Operationen Subtraktion und Di-vision, sinnvoll erklärt werden können. Man rechnet dazu formal mit komplexen Zahlen unterVerwendung der bekannten Rechenregeln für reelle Zahlen sowie der axiomatisch gefordertenIdentität i2 = −1, so gilt zum Beispiel:

(2 + i) · (3− 2i) = 6 + 3i− 4i− 2i2 = 6− i+ 2 = 8− i.

Allgemein erhalten wir für komplexe Zahlen a+ ib und c+ id:

(a+ ib) + (c+ id) = a+ ib+ c+ id = (a+ c) + i(b+ d),

(a+ ib) · (c+ id) = ac+ a · (id) + ibc+ (ib)(id) = ac+ i ad+ i bc+ i2 · bd= ac− bd+ i(ad+ bc).

Ähnliche Rechnungen können wir auch für die inversen Operationen Subtraktion und Divisiondurchführen, wobei man sich im zweiten Fall eines Tricks bedient. Seien a+ ib, c+ id ∈ C, danngilt:

(a+ ib)− (c+ id) = a+ ib− c− id = (a− c) + i(b− d),

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8.2. Die Gaußsche Zahlenebene 67

(a+ ib) : (c+ id) =a+ ib

c+ id· c− idc− id

=(a+ ib)(c− id)c2 − (id)2

=(ac+ bd) + i(bc− ad)

c2 + d2

=ac+ bd

c2 + d2+ i

bc− adc2 + d2

.

Dies zeigt, dass der Zahlenbereich C gegenüber den Rechenoperationen Multiplikation und Ad-dition und den zugehörigen inversen Operationen Subtraktion und Division abgeschlossen ist,es entstehen also durch Verknüpfung von komplexen Zahlen keine komplizierteren Ausdrücke,sondern immer nur wieder Ausdrücke der Gestalt a+ ib.

Definition 8.1.1 (Real- und Imaginärteil einer komplexen Zahl). Zu einer gegebenen komplexenZahl z = a + ib nennt man a den Realteil und b den Imaginärteil von z und schreibt hierfüra = Re(z) und b = Im(z).

Um diese Definition zu rechtfertigen, müssen wir noch zeigen, dass der Real- und Imaginärteileiner komplexen Zahl wohldefiniert sind, dass also durch z 7→ Re(z) und z 7→ Im(z) Funktionendefiniert werden.1 Seien dazu a, b, c, d ∈ R mit z = a+ ib und z = c+ id, dann ist zu zeigen, dassa = c und b = d ist. Wir folgern

a+ ib = z = c+ id, also a− c = i(d− b), und Quadrieren liefert (a− c)2 = −(d− b)2,

also folgt

(a− c)2 + (d− b)2 = 0.

Wegen (a− c)2 ≥ 0 und (d− b)2 ≥ 0 folgt hieraus aber schon (a− c)2 = 0 und (d− b)2 = 0 unddamit wie behauptet a = c und b = d.

Beispiele 8.1.2. 1. (1 + i√2) · (1− i

√2) = 1 + i

√2− i

√2− (i

√2)2 = 1 + 2 = 3,

2.1

1 + i=

1− i(1 + i)(1− i)

=1− i

1 + i− i+ 1=

1− i2

=1

2− 1

2i,

3.3 + i

1− 2i=

(3 + i)(1 + 2i)

(1− 2i)(1 + 2i)=

3 + i+ 6i− 2

1− 2i− 2i+ 4=

1 + 7i

5=

1

5+

7

5i.

8.2 Die Gaußsche Zahlenebene

Wie oben gezeigt wurde, lässt sich jede komplexe Zahl z ∈ C eindeutig identifizieren mit demreellen Zahlenpaar (Re(z), Im(z)) ∈ R2. Formal lässt sich dies so ausdrücken: Die Abbildung

F : C→ R2, z 7→ (Re(z), Im(z)) ist injektiv mit Umkehrabbildung F−1 : R2 → C, (a, b) 7→ a+ib.

Wir erhalten so eine geometrische Anschauung für komplexen Zahlen als Zahlenpaarer in einemzweidimensionalen Koordinatensystem, der sogenannten Gaußschen Zahlenebene, wobei der Re-alteil einer komplexen Zahl auf der „x-Achse“ und der Imaginärteil auf der „y-Achse“ abgetragen

1Vgl. mit Aufgabe 5.1 c): So sind zum Beispiel Zähler und Nenner einer rationalen Zahl r ∈ Q nicht wohldefi-niert, da sie von der konkreten Darstellung der Zahl r als Bruch a

babhängen.

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68 8. Die komplexen Zahlen

werden. Im Beispiel unten (Bild 8.A) ist die komplexe Zahl z = a + ib als Vektor in R2 einge-zeichnet.

Im

Rea

b(a, b) = a+ ib

Bild 8.A

Im

Rea

ba+ ib

c

dc+ id

a+ c

b+ d(a+ c) + i(b+ d)

Bild 8.B

Die Rechenoperationen für komplexe Zahlen (Addition, Multiplikation) lassen sich ebenfallsgeometrisch interpretieren. Die Addition komplexer Zahlen ist die Vektoraddition im Paralle-logramm, wie sie ihnen vielleicht noch aus der Vektorrechnung bekannt ist (vgl. Bild 8.B). Auchdie Multiplikation komplexer Zahlen hat eine geometrische Interpretation, bevor wir zu dieserkommen, führen wir noch einige neue Bezeichnungen ein.

Definition 8.2.1 (Betrag und die Konjugierte einer komplexen Zahl). Es sei z ∈ C und a :=

Re(z), b := Im(z), also z = a + ib. Dann nennt man |z| :=√a2 + b2 den Betrag von z und

z := a− ib die (komplex-)konjugierte Zahl zu z.

Anschaulich ist |z| die Länge von z, bzw. der Abstand von z zum Ursprung 0 in der GaußschenZahlenebene, und die Komplex-Konjugation von z entspricht einer Spiegelung an der reellenAchse. Für jede komplexe Zahl z ∈ C gilt offenbar nach Definition |Re(z)| ≤ |z|, | Im(z)| ≤ |z|sowie |z| = |z| und z = z. Wir formulieren noch weitere Rechenregeln.

Für alle komplexen Zahlen z, w ∈ C gilt:

1. |z| ≥ 0, und |z| = 0⇔ z = 0,

2. |w · z| = |w| · |z|,

3. |w + z| ≤ |w|+ |z| (Dreiecksungleichung),

4. z · w = z · w und z + w = z + w,

5. Re(z) = 12(z + z) und Im(z) = 1

2i(z − z),

6. |z|2 = z · z.

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8.2. Die Gaußsche Zahlenebene 69

Die meisten dieser Regeln ergeben sich unmittelbar aus den Definitionen, sobald man alle entspre-chenden Terme ausrechnet. Wir wollen daher an dieser Stelle nur einige dieser Regeln beweisen.Seien dazu z = a+ ib, w = c+ id ∈ C.

Zu 1. |z| ≥ 0 folgt aus der Definition als Wurzel, und es gilt

|z| = 0 ⇐⇒ |z|2 = 0 ⇐⇒ a2 + b2 = 0 ⇐⇒ a = b = 0 ⇐⇒ z = 0.

Zu 5. Dies folgt aus der Definition von z.

Zu 6. Es gilt z · z = (a+ ib)(a− ib) = a2 − (ib)2 = a2 + b2 = |z|2.

Zu 3. Mithilfe von 2. und 4.-6. sowie der Definition von Betrag und komplex-konjugierter Zahlbeweisen wir nun die Dreiecksungleichung. Es gilt

|z + w|2 = (z + w)(z + w)4.= (z + w)(z + w) = zz + wz + zw + ww

4.,6.= |z2|+ wz + wz + |w|2 5.,6.

= |z2|+ 2Re(wz) + |w|2 ≤ |z2|+ 2|wz|+ |w|22.= |z2|+ 2|w| |z|+ |w|2 = |z2|+ 2|w| |z|+ |w|2 = (|z|+ |w|)2,

und durch Wurzelziehen folgt die Dreiecksungleichung.

Wie die letzte Rechnung zeigt, kann man durch die Verwendung von Beträgen und komplex-konjgierten Zahlen Rechnungen einfacher und übersichtlicher gestalten, als wenn man konkretmit Real und Imaginärteil rechnet. So erhält man zum Beispiel auch eine einfachere Darstellungder multiplikativ Inversen einer komplexen Zahl z 6= 0: Nach 6. gilt z · z = |z|2, also folgt

1

z=

z

|z|2.

Wir kehren damit zurück zur geometrischen Interpretation der komplexen Multiplikation. Dazubetrachten wir zunächst zwei Spezialfälle:

1. Das Multiplizieren mit einer positiven Zahl. Es sei r > 0 eine positive (und damitinsbesondere reelle) Zahl und z = a+ ib ∈ C. Dann ist r · z = ra+ i(rb), es werden also sowohlReal- als auch Imaginärteil von z um den selben Faktor r gestreckt (im Fall r ≥ 1) bzw. gestaucht(im Fall r < 1). Die Zahl r · z hat also in der Gaußschen Zahlenebene dieselbe Richtung wie z,allerdings die Länge |rz| = r · |z|.

Im

Rea

bz

rz (r > 1)

ra

rbrz (r > 1)

ra

rb

z

rz (r < 1)

ra

rb

rz (r > 1)

ra

rb

Bild 8.C

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70 8. Die komplexen Zahlen

2. Das Multiplizieren mit einer komplexen Zahl vom Betrag 1. Sei nun w ∈ C mit|w| = 1. Dann liegt w in der Gaußschen Zahlenebene auf dem Einheitskris, nach dem vorherigenAbschnitt lässt sich daher w schreiben also w = cos(ϕ) + i sin(ϕ) mit einem ϕ ∈ [0, 2π). Seiweiter z ∈ C\{0}, dann ist |wz| = |w| |z| = |z|, somit hat wz dieselbe Länge wie z, liegt also aufdem selben Kreis um den Ursprung wie die Zahl z. Folglich handelt es sich bei der Multiplikationmit w um eine Drehung. Dies können wir noch präzisieren: Setze r := |z| > 0 und z0 := z

r , danngilt z = r · z0 und |z0| = 1. Also finden wir ein ψ ∈ [0, 2π) mit z0 = cos(ψ) + i sin(ψ). Mit denAdditionstheoremen folgt nun

w · z = r · (cos(ϕ) + i sin(ϕ)) · (cos(ψ) + i sin(ψ))

= r ·([cos(ϕ) cos(ψ)− sin(ϕ) sin(ψ)] + i [cos(ϕ) sin(ψ) + sin(ϕ) cos(ψ)]

)= r (cos(ϕ+ ψ) + i sin(ϕ+ ψ)).

Im

Re

z

ψ

1

1 w

ϕ

ϕ

w · z

ϕ + ψ

ϕ

Bild 8.D

2. Die allgemeine Multiplikation zweier komplexer Zahlen. Insgesamt erhalten wir: Sindw, z ∈ C, so findet man Winkel ϕ,ψ ∈ [0, 2π) mit z = |z|(cos(ϕ)+i sin(ϕ)) und w = |w|(cos(ψ)+i sin(ψ)), und es gilt

z · w = |z||w| (cos(ϕ+ ψ) + i sin(ϕ+ ψ)),

das heißt, die Beträge werden multipliziert und die Winkel addiert.

Im

Re

z

ψ

ϕ

w|w| · z

w · z

w|w| · z

ϕ

w · z

ϕ + ψ

Bild 8.E

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8.3. Lösen quadratischer Gleichungen in C 71

Eine formale Definition der komplexen Zahlen

Bisher haben wir die imaginäre Einheit i als formales Objekt behandelt, und erklärt, wie man mitdiesem rechnen kann. Tatsächlich bietet die Anschauung von C als Gaußsche Zahlenebene (unddamit mengenmäßig als R2) auch eine Möglichkiet, die komplexen Zahlen exakt zu definieren.Dies wird in den Grundvorlesungen ausführlich gemacht werden, und es soll hier nur kurz dieIdee genannt werden: Man definiert C := R2, und motiviert durch die bereits hergeleitetenRechenregeln sowie der gewünschten Interpretation des Paares (a, b) mit der komplexen Zahla+ ib definiert man anschließend die Verknüpfungen

(a, b) + (c, d) := (a+ c, b+ d)

(a, b) · (c, d) := (ac− bd, ad+ bc)

für alle (a, b), (c, d) ∈ R2. Nun wird die reelle Achse mit der x-Achse identifiziert, also jedesa ∈ R mit dem Paar (a, 0), und wir definieren i := (0, 1). Dann folgt in der Tat mit der obendefinierten Multiplikation i2 = (0, 1) · (0, 1) = (−1, 0), mit der vorherigen Identifikation von Rmit der x-Achse in R2 also i2 = −1, und für alle a, b ∈ R gilt (a, b) = a · (1, 0)+ b · (0, 1) = a+ ib.

8.3 Lösen quadratischer Gleichungen in C

Wir kommen nun zu dem eingangs gestellten Problem zurück, nämlich dem Lösen quadratischerGleichungen in C. Dabei lasse wir auch komplexe Koeffizienten zu, es seien also p, q ∈ C, undwir suchen alle komplexen Lösungen z der Gleichung

z2 + pz + q = 0. (∗)

Dafür beweisen wir zunächst:

(1) Jede komplexe Zahl besitzt eine Wurzel, das heißt, zu jedem z ∈ C existiert ein w ∈ C mit

w2 = z.

Beweis. Sei z ∈ C.

Fall 1: z ∈ (−∞, 0]. Dann ist −z ∈ [0,∞), setze also w := i√−z, dann folgt w2 = i2 · (−z) = z.

Fall 2: z /∈ (−∞, 0]. Dann ist z + |z| 6= 0. Definiere w :=√|z| z + |z||z + |z||

, dann folgt:

w2 = |z| · (z + |z|)2

|z + |z||2= |z| · z2 + 2z|z|+ |z|2

(z + |z|) · (z + |z|)= |z| · z2 + 2z|z|+ zz

|z|2 + z|z|+ z|z|+ |z|2

= |z| · z(z + 2|z|+ z)

|z| (2|z|+ (z + z))= z.

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72 8. Die komplexen Zahlen

Anmerkungen. (i) Die Aussage (1) lässt sich verschärfen zu: Jedes z ∈ C\{0} besitzt genauzwei Wurzeln.. Ist nämlich w ∈ C eine Wurzel von z, so gilt auch (−w)2 = w2 = z, und wegenz 6= 0 ist auch w 6= 0, also w 6= −w. Dies sind aber auch bereits alle Wurzeln von z: Ist nämlichu ∈ C mit u2 = z, so folgt u2 = z = w2, also

0 = u2 − w2 = (u− w) · (u+ w), also u− w = 0 oder u+ w = 0,

und damit u ∈ {−w,w}.

(ii) Wir verwenden für komplexe Zahlen die Redewendung „w ist eine Wurzel von z“, aber nicht,w ist die Wurzel aus z. Insbesondere verwenden wir für z ∈ C\[0,+∞) nicht das Symbol „

√z“.

Wie in (i) gezeigt, besitzt jedes komplexe Zahl 6= 0 genau zwei Wurzeln, und es wäre nicht klar,welche davon mit dem Symbol „

√z“ bezeichnet wird. Diese Situation ist im Reellen anders, dort

besitzt zwar auch jede Zahl x > 0 genau zwei Wurzeln (nämlich eine positive und eine negative),per Definition ist aber

√x stets die positive Wurzel aus x.

Ein weiteres Problem in der Bezeichnung√z liegt darin, dass aus dem Reellen bekannte Wur-

zelgesetze ihre Gültigkeit verlieren würden! Aus diesem Grund wird in der Mathematik – wieeingangs erwähnt – auch nicht die Notation i =

√−1 verwendet. Diese Bezeichnung könnte zum

Beispiel zu dem folgenden Irrschluss führen:

−1 = i2 =√−1 ·√−1 =

√(−1) · (−1) =

√1 = 1 (Wo liegt der Fehler?)

Wir kommen nun allgemeiner zum Lösen der quadratischen Gleichung (∗) mittels quadratischerErgänzung. Für alle z ∈ C gilt

z2 + pz + q = 0 ⇐⇒(z +

p

2

)2−(p24− q)= 0 ⇐⇒

(z +

p

2

)2=p2

4− q.

Damit folgt:

(2) Sei w ∈ C eine Wurzel aus p2

4 − q, dann lautet die Lösungsmenge der Gleichung (∗)

L := {z ∈ C | z2 + pz + q = 0} ={− p

2+ w,−p

2− w

}.

Beispiele 8.3.1. Bestimmen Sie die (komplexen) Lösungsmengen der folgenden quadratischenGleichungen.

(a) z2 − 6z + 13 = 0, (b) 2(1 + i)z2 + 4z + 3(i− 1) = 0.

Beispiel 8.3.2. Bestimmen Sie die (komplexe) Lösungsmenge der Gleichung z3+z2−z+2 = 0.

Wir haben gezeigt, dass im Komplexen (im Gegensatz zum reellen Fall) jedes Polynom 2. Gradeseine Nullstelle besitzt. Allgemeiner gilt der

Fundamentalsatz der Algebra. Jedes nicht-konstante komplexe Polynom besitzt eine komple-xe Nullstelle.

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8.4. Polardarstellung und Einheitswurzeln 73

Dies ist eines der zentralen Ergebnisse über komplexe Zahlen und war gleichzeitig einer derHauptgründe zu ihrer Einführung. Es gibt sehr viele Beweise für diesen Satz, üblicherweise wirder mit analytischen Methoden bewiesen. Ein besonders einfacher Beweis beruht auf Methodender Funktionentheorie, in welcher komplexe Funktionen studiert werden, und wird üblicherweisein der Vorlesung Analysis IV vorgestellt.

8.4 Polardarstellung und Einheitswurzeln

Bei der Veranschaulichung der komplexen Multiplikation haben wir bereits den folgenden Um-stand verwendet: Zu jeder komplexen Zahl z ∈ C\{0} gibt es ein r > 0 (nämlich r := |z|) undein eindeutig bestimmtes ϕ ∈ [0, 2π) mit

z = r (cos(ϕ) + i sin(ϕ)).

Man nennt dies die Darstellung von z in Polarkoordinaten.

Im

Rea

bz = a+ ib

r = |z|

ϕ

Bild 8.F

Mithilfe dieser Darstellung lassen sich die sogenannten n-ten Einheitswurzeln gemäß der folgen-den Definition sehr einfach bestimmen.

Definition 8.4.1 (n-te Einheitswurzeln). Es sei n ∈ N. Dann heißt jedes komplexe Zahl z ∈ Cmit zn = 1 eine n-te Einheitswurzel.

Die n-ten Einheitswurzeln sind also genau die komplexen Lösungen der Gleichung zn−1 = 0. Daein Polynom n-ten Grades höchstens n Nullstellen besitzt, gibt es also auch höchstens n solcherEinheitswurzeln.

Sei n ∈ N fest, dann erfüllt jede n-te Einheitswurzel z insbesondere 1 = |zn| = |z|n, also |z| = 1,und ist somit von der Gestalt

z = cos(ϕ) + i sin(ϕ) für ein ϕ ∈ [0, 2π).

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74 8. Die komplexen Zahlen

Wir haben oben bereits mithilfe der Additionstheoreme für Sinus und Cosinus gezeigt

z2 =(cos(ϕ) + i sin(ϕ)

)2= cos(2ϕ) + i sin(2ϕ).

Ein weiteres Anwenden der Additionstheoreme liefert

z3 = z2·z =(cos(2ϕ)+i sin(2ϕ)

)·(cos(ϕ)+i sin(ϕ)

)= cos(2ϕ+ϕ)+i sin(2ϕ+ϕ) = cos(3ϕ)+i sin(3ϕ).

Induktiv folgt allgemein

zn = cos(nϕ) + i sin(nϕ).

Somit ist zn = 1 genau dann, wenn cos(nϕ) = 1 und sin(nϕ) = 0 ist, und dies ist genau dannder Fall, wenn nϕ ein ganzzahliges Vielfaches von 2π ist, wenn also ϕ = 2πk

n ist für ein k ∈ Z.Damit erhalten wir alle n-ten Einheitswurzeln als

{z ∈ C | zn = 1} ={cos(2πkn

)+ i sin

(2πkn

) ∣∣ k = 0, 1, . . . , n− 1}.

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Kapitel 9

Analytische Geometrie in Ebene undRaum

In diesem Abschnitt wollen wir einige grundlegende Zusammenhänge zur Vektorrechnung imzwei- und dreidimensionalen wiederholen und dabei die Begriffsbildung vorbereiten, die in derLinearen Algebra eingeführt wird. Wir wollen dabei zunächst im anschaulichen Bereich von Ebeneund Raum rechnen – der gemeinsame Rahmen für beides ist jedoch das Rechnen im allgemeinenVektorraum Rn, daher werden wir diesen allgemeineren Fall zuerst behandeln.

9.1 Der Vektorraum Rn

Es sei n ∈ N. Wir definieren den reellen Standardraum

Rn := R× · · · × R︸ ︷︷ ︸n−mal

= {x = (x1, . . . , xn) |x1, . . . , xn ∈ R}

als die Menge aller geordneten reellen n-Tupel. Dabei heißen die Zahlen xj die Komponentendes n-Tupels x ∈ Rn. In Hinblick darauf, dass wir die Elemente von Rn als Vektoren verstehen,verwenden wir für x ∈ Rn auch die Notation als Spaltenvektor, also

x =

x1...xn

.

Die elementaren Rechenoperationen mit Vektoren sind nun die Vektoraddition (bzw. -subtraktion)und die skalare Multiplikation (welche nicht mit dem „Skalarprodukt“ zu verwechseln ist): Seienx, y ∈ Rn und λ ∈ R, dann definieren wir

x± y := (x1 ± y1, . . . , xn ± yn) ∈ Rn, und λ · x := (λx1, . . . , λxn) ∈ Rn.

Diese Operationen sind uns im zweidimensionalen bereits bei der Veranschaulichung der kom-plexen Addition und Multiplikation mit reellen Zahlen in der Gaußschen Zahlenebene begegnet.Man beachte, dass x+ y und λ · x per Definition wieder Vektoren sind.

75

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76 9. Analytische Geometrie in Ebene und Raum

Die Fälle n = 1, 2, 3 entsprechen unserer geometrischen Anschauung: R1 ist die Zahlengerade, R2

die (euklidische) Ebene, und R3 der (euklidische) Raum. Für R4 oder allgemeiner Rn mit n > 3

haben wir keine entsprechende geometrische Anschauung mehr. Trotzdem handelt es sich umnatürliche Rechengrößen: Hat man zum Beispiel ein Portfolio aus n Wertpapieren, und von demWertpapier j den Bestand xj , so stellt der Vektor x = (x1, . . . , xn) eine kompakte Darstellungdes gesamten Portfolios dar. Hat das j-te Wertpapier den Wert aj , so ergibt sich der Gesamtwertdes Portfolios zu

b = a1x1 + · · ·+ anxn =n∑j=1

ajxj .

Es handelt sich hierbei um einen einfachen Fall einer sogenannten linearen Gleichung, wie mansie in der linearen Algebra studiert. Die hier vollzogene Rechenoperation bezeichnet man auch als(Standard-)Skalarprodukt des Vektors a = (a1, . . . , an) mit dem Vektor x gemäß der folgenden

Definition 9.1.1 ((Standard-)Skalarprodukt von Vektoren im Rn). Für alle x, y ∈ Rn heißt

〈x, y〉 := x1y1 + · · ·+ xnyn =n∑j=1

xjyj ∈ R

das (Standard-)Skalarprodukt von x mit y.

Es sind ebenfalls die Notationen x • y oder sogar x · y anstelle von 〈x, y〉 verbreitet – diese ber-gen jedoch die Gefahr, dass man das Skalarprodukt mit der skalaren Multiplikation verwechselt,zumal es in der Mathematik nicht üblich ist, Vektoren durch einen aufgesetzten Pfeil (also ~xanstelle von x) noch zusätzlich als solche zu kennzeichnen. Wir sprechen daher nochmals diefolgende Warnung aus.

Warnung: Das Skalarprodukt wird mit zwei Vektoren gebildet und liefert eine reelle Zahl alsWert, im Gegensatz zur skalaren Multiplikation, welche eine Zahl mit einem Vektor verknüpftund wieder einen Vektor als Ergebnis hat!

Wir führen noch eine weitere Bezeichnung ein, die wir im nächsten Abschnitt auch nachträglichgeometrisch motivieren werden.

Definition 9.1.2 (Euklidische Norm im Rn). Es sei x ∈ R. Dann heißt die Zahl

‖x‖ :=√〈x, x〉 =

( n∑j=1

x2j

)1/2die euklidische Norm oder auch die Länge des Vektors x

9.2 Die euklidische Ebene R2

Wir kommen nun zurück zu den konkreten geometrischen Anschauungen zu den genannten Be-griffen. Dabei können wir auf den vorherigen Abschnitt zurückgreifen, in dem wir den R2 bereits

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9.2. Die euklidische Ebene R2 77

als Visualisierung für die komplexen Zahlen untersucht haben. Insbesondere sind uns die Vektor-addition sowie die skalare Multiplikation bereits bekannt, und die euklidische Norm entsprichtgerade dem komplexen Betrag und somit tatsächlich der Länge eines Vektors. Bevor wir auch ei-ne anschauliche Interpretation des Skalarprodukts im R2 vorstellen, beschäftigen wir uns jedochmit den elementaren vektoriellen Objekten im R2, den Geraden.

9.2.1 Geraden in der Ebene

Wir wollen die anschauliche Vorstellung einer Gerade im Raum formalisieren. Dazu gibt es zweikanonische Ansätze:

(1) Die Beschreibung einer Gerade in parametrischer Darstellung mithilfe von (Aufpunkt- undRichtungs-)Vektoren.

(2) Die Beschreibung einer Gerade als Lösungsmenge einer linearen Gleichung.

(1) Geraden in Parameter-Darstellung. Seien v, v′ ∈ R2 mit v 6= v′. Dann gibt es genau eineGerade G ⊆ R2, die die beiden Punkte v und v′ enthält, und diese können wir folgendermaßenbeschreiben: Ausgehend von v erstreckt sich die Gerade in Richtung des Vektors w := v′ − v,und wir erhalten

G = {x ∈ R2 | ∃λ ∈ R : x = v + λw} =: v + Rw.

(Dabei ist v + Rw zunächst einfach eine kompakte Notation für die angegebene Menge).

Beispiel 9.2.1. Es seien v := (−1,−1) und v′ := (1, 3). Setze w := v′ − v = (2, 4), dann ist dieGerade G, die durch v und v′ verläuft, gegeben durch

G = v + Rw = {x ∈ R2 | ∃λ ∈ R : x = (−1,−1) + λ(2, 4)}.

Bild 9.A

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78 9. Analytische Geometrie in Ebene und Raum

In dieser Beschreibung lässt sich sehr gut die Lage der Gerade G in der Ebene ablesen, bzw.die Gerade G zeichnen, es ist jedoch schwieriger, für einem gegebene Punkt x ∈ R2 rechnerischfestzustellen, ob x ∈ G ist. Dazu ist eine andere Darstellung von G besser geeignet, die wirzunächst konkret für dieses Beispiel herleiten wollen. Sei dazu x = (x1, x2) ∈ R2.

Ist x ∈ G, so gibt es ein λ ∈ R mit x1 = −1 + 2λ und x2 = −1 + 4λ, und dann gilt

x2 − 2x1 = (−1 + 4λ)− (−2 + 4λ) = 1.

Erfüllt umgekehrt x = (x1, x2) die Gleichung x2− 2x1 = 1, und setzt man λ := x1+12 ∈ R, so gilt

x1 = −1 + 2λ (nach Setzung von λ), sowie

−1 + 4λ = −1 + 2x1 + 2 = 1 + 2x1 = 1 + (x2 − 1) = x2,

also ist x ∈ G. Damit haben wir in diesem Beispiel gezeigt, dass gilt

G = {(x1, x2) ∈ R2 |x2 − 2x1 = 1},

das heißt, G ist die Lösungsmenge der linearen Gleichung x2 − 2x1 = 1, was die zweite Möglich-keit darstellt, eine Gerade im R2 zu beschreiben.

(2) Geraden als Lösungsmengen linearer Gleichungen. Seien a1, a2, b ∈ R fest mit (a1, a2) 6=(0, 0) und

L := {(x1, x2) ∈ R2 | a1x1 + a2x2 = b}.

Dann beschreibt L als Teilmenge von R2 eine Gerade.

Wir haben in dem obigen Beispiel bereits gesehen, wie man aus einer Parameter-Darstellung einerGeraden G eine zugehörige lineare Gleichung gewinnen kann so, dass G die Lösungsmenge dieserGleichung ist. Dies ist auch allgemein stets möglich, was wir an dieser Stelle aber nicht beweisenwollen (dies wird in allgemeinerem Rahmen in der Vorlesung Lineare Algebra I bewiesen werden).Stattdessen zeigen wir – auch wieder nur exemplarisch – wie man umgekehrt die Lösungsmengeeiner linearen Gleichung in Parameter-Darstellung bringen kann.

Beispiel 9.2.2. Setze L := {(x1, x2) ∈ R2 |x1+3x2 = 6}. Wir wollen L in Parameter-Darstellungbringen, also Vektoren v, w ∈ R2 so bestimmen, dass gilt

L = {x ∈ R2 | ∃λ ∈ R : x = v + λw}.

Dafür bestimmen wir zunächst konkret zwei Punkte v, v′ ∈ L, etwa v = (0, 2) und v′(6, 0) (allge-mein gibt man einen der Werte x1, x2 vor und bestimmt den anderen mithilfe der vorgegebenenlinearen Gleichung), und setzen w := v′ − v = (6,−2) sowie

G := v + Rw = {x ∈ R2 | ∃λ ∈ R : x = (0, 2) + λ(6,−2)}.

Wir behaupten nun, dass L = G ist.

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9.2. Die euklidische Ebene R2 79

Beweis. Sei x = (x1, x2) ∈ R2.

„⊆“: Es gelte x ∈ L, dann gilt x1+3x2 = 6, also x1 = 6− 3x2. Setze λ := x16 ∈ R, dann gilt nach

Definition x1 = 6λ, und weiter gilt

2− 2λ = 2− 1

3x1 = 2− 1

3(6− 3x2) = 2− (2− 3x2) = x2.

Also ist x = (x1, x2) = (6λ, 2− 2λ) = (0, 2) + λ(6,−2) ∈ G.

„⊇“: Es gelte x ∈ G. Dann finden wir ein λ ∈ R mit

x = (0, 2) + λ(6,−2) = (0, 2) + (6λ,−2λ) = (0 + 6λ, 2− 2λ) = (6λ, 2− 2λ),

also x1 = 6λ und x2 = 2− 2λ. Es folgt

x1 + 3x2 = 6λ+ 3(2− 2λ) = 6,

also ist x ∈ L.

9.2.2 Der Schnitt von Geraden in der Ebene und lineare Gleichungssystememit zwei Unbekannten

In diesem Abschnitt geht es um die Fragestellung, wie man die Schnittmenge von zwei (oderauch mehr) Geraden in der Ebene bestimmen kann. Wir werden sehen, dass dies auf das Lösenvon linearen Gleichungssystemen mit zwei Unbekannten führt. Auch wenn diese sich im Falln = 2 noch vergleichsweise einfach mit verschiedenen Ad-hoc-Methoden lösen lassen, wollen wirbereits zeigen, wie man solche Gleichungssysteme systematisch behandeln kann, um so bereitsdie Methoden für den mehr-dimensionalen Fall vorzubereiten.

Wir beginnen mit einem konkreten Beispiel: Die Geraden G1, G2 ⊆ R2 seien als Lösungsmengenlinearer Gleichungen gegeben als

G1 ={(x1, x2) ∈ R2 |x1 + 4x2 = 8

},

G2 ={(x1, x2) ∈ R2 |x1 − x2 = 3

}.

Wie die folgende Graphik zeigt, schneiden sich G1 und G2 in genau einem Punkt, den wir rech-nerisch bestimmen wollen.

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80 9. Analytische Geometrie in Ebene und Raum

Bild 9.B

Sei also x = (x1, x2) ∈ R2, dann gilt x ∈ G1 ∩G2 genau dann, wenn gilt

x1 + 4x2 = 8,

x1 − x2 = 3.

Wir haben also ein lineares Gleichungssystem (lineares GLS) in zwei Unbekannten zu lösen. InHinblick darauf, dass wir bereits vorbereiten wollen, wie man auch höher-dimensionale lineareGleichungssysteme effizient lösen kann, werden wir dazu das Gleichungssystem nur mit Umfor-mungen vom folgenden Typ vereinfachen:

(G1) Vertauschen von Gleichungen,

(G2) Multiplizieren einer Gleichung mit einer festen Zahl ungleich 0,

(G3) Addition des Vielfachen einer Gleichung zu einer anderen Gleichung.

(Es handelt sich hierbei um die zulässigen Umformungen, mit deren Hilfe der Gauß-Algorithmuszur Lösung linearer GLS formuliert und umgesetzt wird.) Wie man leicht sieht, überführt jededieser Operationen das vorgegebene lineare GLS in ein äquivalentes System, das heißt, die Lö-sungsmenge bleibt gleich. Damit kehren wir zu unserem expliziten Beispiel zurück.

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9.2. Die euklidische Ebene R2 81

Wir ziehen also die erste Gleichung von der zweiten ab und erhalten so das äquivalente GLS

x1 + 4x2 = 8,

− 5x2 = −5.

Wir teilen nun die zweite Gleichung durch −5 und ziehen anschließend von der ersten Gleichungdas vier-fache der so entstanden neuen zweiten Gleichung ab und erhalten damit schließlich diezum ursprünglichen GLS äquivalenten Gleichungen

x1 = 4,

x2 = 1.

Also ist G1∩G2 = {(4, 1)}, das heißt in Worten: Die Gerade G1 und G2 schneiden sich im Punkt(4, 1).

Wie wir in diesem Beispiel gesehen haben, führt das Bestimmen der Schnittmenge von Geradenauf das Lösen eines linearen Gleichungssystems. Aus der geometrischen Anschauung ist klar,dass es für zwei Geraden in der Ebene genau drei Möglichkeiten gibt:

(i) Die Geraden schneiden sich in genau einem Punkt, das heißt, das zugehörige lineare GLSist eindeutig lösbar,

(ii) Die Geraden schneiden sich nicht (sind also parallel, aber nicht deckungsgleich), das heißt,das zugehörige lineare GLS besitzt keine Lösung,

(iii) Die Geraden sind deckungsgleich, das heißt, das zugehörige lineare GLS besitzt unendlichviele Lösungen.

Im Eingangsbeispiel lag der Fall (i) vor, und wir bringen zum Abschluß dieses Abschnitts einBeispiel für die Fälle (ii) und (iii): Für b ∈ R definiere die Geraden

G :={(x1, x2) ∈ R2 |x1 − x2 = 1

},

Gb :={(x1, x2) ∈ R2 | 2x1 − 2x2 = b

}.

Für x = (x1, x2) ∈ R2 gilt dann x ∈ G∩Gb genau dann, wenn x das folgende lineare GLS erfüllt:

x1 − x2 = 1,

2x1 − 2x2 = b.

Zieht man von der zweiten Gleichung das zwei-fache der ersten Gleichung ab, so erhält man dasäquivalente GSL

x1 − x2 = 1,

0 = b− 2.

Im Fall b 6= 2 gibt es folglich keine Lösungen (es liegt Fall (ii) vor), und im Fall b = 2 gibtes unendlich viele Lösungen, nämlich gerade die Menge aller x ∈ G (es liegt Fall (iii) vor, dieGeraden G und Gb sind in diesem Fall gleich).

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82 9. Analytische Geometrie in Ebene und Raum

9.2.3 Norm und Skalarprodukt in der euklidischen Ebene

Als weitere Strukturelemente neben Vektoraddition und skalarer Multiplikation haben wir dieallgemein Norm eines Vektors und das Skalarprodukt zweier Vektoren eingeführt. Im Spezialfalln = 2 sehe diese folgendermaßen aus: Seien x = (x1, x2), y = (y1, y2) ∈ R2, dann ist

‖(x1, x2)‖ =√x21 + x22, und 〈x, y〉 = x1y1 + x2y2.

Die Norm ‖x‖ haben wir bereits an anderen Stellen (etwa in Beispiel 5.6.1 oder im Abschnitt8.2) als die (euklidische) Länge des Vektors x erkannt. Sie hat die folgenden Eigenschaften (dieaus den entsprechenden Eigenschaften des komplexen Betrags folgen):

(N1) Für alle x ∈ R2 gilt ‖x‖ ≥ 0, und es gilt ‖x‖ = 0 ⇐⇒ x = 0.

(N2) Für alle x ∈ R2 und λ ∈ R gilt ‖λ · x‖ = |λ| · ‖x‖.

(N3) Für alle x, y ∈ R2 gilt ‖x+ y‖ ≤ ‖x‖+ ‖y‖.

Wir wollen im folgenden auch eine geometrische Interpretation des Skalarprodukts herleiten.Dafür stellen wir zunächst fest, dass die folgenden allgemeinen Rechenregeln gelten, welche man(auch für den allgemeinen Fall n ∈ N) leicht durch direktes Nachrechnen verifiziert:

(S1) Für alle x, y, z ∈ R2 und λ ∈ R gilt

〈λx+ y, z〉 = λ〈x, z〉+ 〈y, z〉 und 〈x, λy + z〉 = λ〈x, y〉+ 〈x, z〉.

(S2) Für alle x, y ∈ R2 gilt 〈x, y〉 = 〈y, x〉.

(S3) Für alle x ∈ R2\{0} gilt 〈x, x〉 > 0.

Seien nun x, y ∈ R2. Ist x = 0 oder y = 0, so ist auch 〈x, y〉 = 0, wir wollen diesen wenigerinteressanten Fall daher ausschließen und nehmen an, dass x 6= 0 und y 6= 0 ist. Dann schließenx, y einen (nicht-stumpfen) Winkel ein, der zwischen 0 und π liegt - diesen bezeichnen wir alsden (unorientierten) Winkel zwischen x und y und notieren ](x, y). Damit lässt sich die folgendealternative Darstellung für das Skalarprodukt von x mit y herleiten:

〈x, y〉 = ‖x‖ · ‖y‖ · cos(](x, y)). (∗)

Bevor wir (∗) beweisen, wollen wir einige Schlussfolgerungen ziehen:

(a) Es gilt stets |〈x, y〉| ≤ ‖x‖ ‖y‖.

(b) Dabei gilt |〈x, y〉| = ‖x‖ ‖y‖ genau dann, wenn | cos(](x, y))| = 1, also ](x, y) = 0 oder](x, y) = π ist. Anschaulich bedeutet dies, dass x und y entweder in die selbe oder in dieentgegengesetzte Richtung zeigen.

(c) Es gilt 〈x, y〉 = 0 genau dann, wenn cos(](x, y)) = 0 ist, und dies ist genau dann der Fall,wenn ](x, y) = π

2 ist, wenn also x und y senkrecht aufeinander stehen.

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9.3. Der euklidische Raum R3 83

(d) Ist x ein Einheitsvektor, das heißt, gilt ‖x‖ = 1, so ist 〈x, y〉 = ‖y‖ · cos(](x, y)), also〈x, y〉 · x = ‖y‖ cos(](x, y)) · x, und dies ist gerade die Projektion von y auf die durch x(und 0) aufgespannte Gerade.

Beweis von (∗). Definiere x0 := 1‖x‖ · x und y0 := 1

‖y‖ · y. Mit der Rechenregel (N2) für dieNorm folgt ‖x0‖ = 1

‖x‖ · ‖x‖ = 1 und analog auch ‖y0‖ = 1. Also liegen x0 und y0 auf demEinheitskreis, und wir finden ϕ,ψ ∈ [0, 2π) mit x0 = (cos(ϕ), sin(ϕ)) und y0 = (cos(ψ), sin(ψ)).Es gilt cos(−ϕ) = cos(ϕ) und sin(−ϕ) = − sin(ϕ), mit dem Additionstheorem für den Cosinusfolgt daher

〈x0, y0〉 = cos(ϕ) cos(ψ)+sin(ϕ) sin(ψ) = cos(−ϕ) cos(ψ)−sin(−ϕ) sin(ψ) = cos(ψ−ϕ) = cos(|ψ−ϕ|).

Anschaulich erkennt man, dass ](x, y) = |ψ − ϕ| oder ](x, y) = 2π − |ψ − ϕ| ist, und in beidenFällen folgt somit

〈x0, y0〉 = cos(](x, y)),

also

〈x, y〉 = 〈‖x‖x0, ‖y‖ y0〉(S1)= ‖x‖ · ‖y‖ · 〈x0, y0〉 = ‖x‖ · ‖y‖ · cos(](x, y)).

9.3 Der euklidische Raum R3

In diesem Abschnitt wollen wir uns mit der Darstellung sowie dem Schnitt von Geraden undEbenen im Raum R3 beschäftigen. Dabei folgen wir prinzipiell der Darstellung aus Abschnitt 9.2und werden eher exemplarisch als strukturell vorgehen. Eine erschöpfende Theorie aller in diesemKapitel genannten Themen werden Sie im Rahmen der Vorlesung Lineare Algebra kennenlernen.

9.3.1 Geraden und Ebenen im Raum

Ähnlich wie im zweidimensionalen kann man Geraden und Ebenen im Raum wiederum in Para-metergestalt oder als Lösungsmengen von linearen Gleichungen (Ebenen) bzw. Gleichungssyste-men (Geraden) darstellen.

(1) Geraden und Ebenen in Parameter-Darstellung. Wie im vorherigen Fall verläuftdurch zwei Punkte v, v′ ∈ R3 mit v 6= v′ genau eine Gerade G, und eine zugehörige Parameter-Darstellung gewinnt man mit w := v′ − v wiederum als G = v + Rw. Desweiteren gibt es imRaum die Möglichkeit, drei Punkte v, v′, v′′ auszuwählen so, dass v, v′, v′′ nicht auf einer Geradenliegen. In diesem Fall spannen die Punkte v, v′, v′′ eine Ebene auf, welche sich mit den Vektorenw := v′ − v, u := v′′ − v darstellen lässt als

E = {x ∈ R3 | ∃λ, µ ∈ R : x = v + λw + µu} =: v + Rw + Ru.

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84 9. Analytische Geometrie in Ebene und Raum

(2) Geraden und Ebenen als Lösungsmengen von linearen Gleichungssystemen. Wieim vorherigen Fall lassen sich Geraden und Ebenen im R3 auch als Lösungsmengen von linea-ren Gleichungssystemen beschreiben. Sind a1, a2, a3, b ∈ R fest mit (a1, a2, a3) 6= (0, 0, 0), sobeschreibt die Lösungsmenge

L = {(x1, x2, x3) ∈ R3 | a1x1 + a2x2 + a3x3 = b}

eine Ebene im Raum. Für die Beschreibung von Geraden im R3 benötigt man hingegen ein Glei-chungssystem aus (mindestens) zwei lineare Gleichungen. Geometrisch bedeutet dies, dass maneine Gerade im Raum als Schnitt zweier Ebenen darstellt.

Bild 9.C

Beispiele 9.3.1. (1) Definiere die Ebene E1 := {(x1, x2, x3) ∈ R3 |x1 + x2 − 2x3 = 2}. Wirwollen E in Parametergestalt bringen, dazu wählen wir drei Punkte aus E1, die nicht auf einergemeinsamen Geraden liegen, etwa (2, 0, 0), (0, 2, 0), (0, 0,−1), und setzen v := (2, 0, 0), w :=

(0, 2, 0)− v = (−2, 2, 0) und u := (0, 0,−1)− v = (−2, 0,−1), dann lässt sich E1 auch schreibenals

E1 = v + Rw + Ru = (2, 0, 0) + R(−2, 2, 0) + R(−2, 0,−1).

(Den formalen rechnerischen Beweis sparen wir an dieser Stelle aus, er lässt sich aber analog wieim zweidimensionalen führen.)

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9.3. Der euklidische Raum R3 85

(2) Definiere die zweite Ebene E2 := {(x1, x2, x3) ∈ R3 | 2x1 + x2 − 4x3 = −2}. Dann ist E2

nicht parallel zu E1 (das könnte man vorab zeigen, was wir hier aber nicht machen, da es ausunserer Rechnung folgen wird), folglich ist die Schnittmenge E1 ∩ E2 eine Gerade, die wir imfolgenden bestimmen wollen (das heißt, in Parameter-Gestalt angeben). Dazu haben wir dasfolgende lineare Gleichungssystem zu lösen:

x1 + x2 − 2x3 = 2

2x1 + x2 − 4x3 = −2.

Dafür führen wir wieder den bereits im zweidimensionalen verwendeten Gauß-Algorithmus durch:Zunächst ziehen wir von der zweiten Gleichung des doppelte der ersten ab und erhalten

x1 + x2 − 2x3 = 2

− x2 = −6.

Im nächsten Schritt multiplizieren wir zunächst die zweite Gleichung mit −1 und ziehen sieanschließend von der 1. Gleichung ab und erhalten

x1 − 2x3 = −4x2 = 6

.

Wir führen nun den Parameter λ := x3 ein und können die allgemeine Lösung ablesen alsx1 = −4 + 2λ und x2 = 6, beziehungsweise in vektorieller Schreibweisex1x2

x3

=

−4 + 2λ

6 + 0 · λ0 + λ

=

−460

+

0

λ

=

−460

︸ ︷︷ ︸v′:=

+λ ·

2

0

1

︸ ︷︷ ︸w′:=

.

Damit ist ist die Schnittgerade der Ebenen E1 und E2 gegeben als E1 ∩ E2 = v′ + Rw′.

(3) Definiere die Gerade

G :=

2

0

−1

+ R

1

1

0

.

Wir wollen den Schnittpunkt von G mit E1 bestimmen, wobei wir die Parameter-Darstellungvon E1 verwenden. Dazu lässt sich vorab überlegen, dass überhaupt G ∩ E1 6= ∅, also nicht Gparallel zu E1 ist – wir werden jedoch stattdessen wieder direkt mit der Rechnung starten. Seidazu x ∈ R3, dann gilt x ∈ G ∩ E1 genau dann, wenn einerseits ein λ ∈ R existiert mit

x =

x1x2x3

=

2

0

−1

+ λ ·

1

1

0

,

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86 9. Analytische Geometrie in Ebene und Raum

und andererseits t, s ∈ R existieren mit

x =

x1x2x3

=

2

0

0

+ t ·

−220

+ s ·

−20−1

.

Insgesamt muss also gelten 2

0

−1

+ λ ·

1

1

0

=

2

0

0

+ t ·

−220

+ s ·

−20−1

,

beziehungsweise

λ ·

1

1

0

+ t ·

2

−20

+ s ·

2

0

1

=

0

0

1

.

Wir erhalten so ein lineares Gleichungssystem für die Unbekannten λ, t, s:

λ + 2t + 2s = 0

λ − 2t = 0

t = 1

.

Wir führen wieder den Gauß-Algorithmus durch: Zunächst wird von der zweiten Gleichung dieerste subtrahiert, und anschließend die neue 2. Gleichung durch −4 geteilt, dies ergibt

λ + 2t + 2s = 0

t + 12s = 0

s = 1

.

Einsetzen von s = 1 in die zweite Gleichung liefert t = −12s = −1

2 , und Einsetzen von t unds in die erste Gleichung liefert λ = −2t − 2s = −1. Dies zeigt zunächst, dass eine Lösungexistiert, also G∩E1 6= ∅ ist, und wir können den Schnittpunkt x berechnen, indem wir entwederλ = −1 als Parameter in die Geradengleichung für G oder t = −1

2 , s = 1 als Parameter in dieGeradengleichung für E1 einsetzen:

x =

2

0

−1

+ (−1) ·

1

1

0

=

1

−1−1

.

Anmerkung. Ein alternativer Lösungsweg besteht darin, statt der Parameter-Darstellung von E1

zu verwenden, dass E1 genau die Lösungsmenge der linearen Gleichung

x1 + x2 − 2x3 = 2

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9.3. Der euklidische Raum R3 87

ist. Ist nämlich x ∈ R3, so gilt (wie bereits oben verwendet) x ∈ G genau dann, wenn ein λ ∈ Rexistiert mit

x =

x1x2x3

=

2

0

−1

+ λ ·

1

1

0

=

2 + λ

λ

−1

,

und folglich gilt zusätzlich x ∈ E1 genau dann, wenn x1 + x2 − 2x3 = 2 ist, wenn also gilt

2 = (2 + λ) + λ− 2 · (−1) = 4 + 2λ, also λ = −1,

was mit unserer bereits hergeleiteten Lösung übereinstimmt.

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88 9. Analytische Geometrie in Ebene und Raum

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Kapitel 10

Beweistechniken und einige BeweiseTeil II

Dieser Abschnitt knüpft an Kapitel 3 an, in dem wir bereits Grundlegendes zu Beweistechnikenkennengelernt haben. Abschließend soll nun aufgezeigt werden, wie man konkret an mathemati-sche Probleme, wie sie wöchentlich auf den Übungsblättern zu bearbeiten sind, herangeht.

10.1 Bearbeitung von Übungsaufgaben

Die grundsätzliche Herangehensweise zur Bearbeitung einer Aufgabe lässt sich grob in drei Pha-sen aufteilen:

(1) Man stellt als erstes sicher, dass man alle Objekte und Bezeichnungen, die in der Aufgabevorkommen, kennt! Hierzu muss man in der Regel Definitionen im Vorlesungsmitschriebnachschlagen!

(2) Es folgt die Bearbeitungsphase. In dieser kreativen Phase sammelt man Ideen zusammen,mit deren Hilfe man später schließlich die Aufgabe lösen und den Beweis erstellen kann. Indieser Phase wird man viel ausprobieren, ggf. auch viele falsche Wege einschlagen – davondarf man sich aber nicht entmutigen lassen. Zudem darf man in dieser Phase nach eigenemGutdünken ßchlampen", schließlich handelt es sich hier um die eigenen Überlegungen.

Wichtig: Diese Phase ist nicht zu verwechseln mit dem eigentlichen Erstellen des formalenBeweises und damit der eigentlichen Lösung der Aufgabe.

(3) Abschließend wird ein formaler Beweis in Reinschrift erstellt, und dieser wird als Aufga-benbearbeitung abgegeben. Diese Phase darf keinenfalls unterschätzt werden und nimmtunter Umständen noch mal eine Menge Zeit in Anspruch!

Zentral für die Aufgabenbearbeitung ist also neben dem Finden der eigentlichen Idee auch derabschließende korrekte Aufschrieb eines formalen Beweises. Daher folgen noch einige Hinweise,wie man dies bewerkstelligen kann.

89

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90 10. Beweistechniken und einige Beweise Teil II

Formulieren eines Beweises und Aufschreiben von Lösungen.

Die Lösung einer Aufgabe besteht in der Regel aus dem Formulieren einer wahren Aussage gemäßder Aufgabenstellung sowie einem formalen Beweis dieser Aussage.

Ausnahme: Einige Aufgaben fordern Sie dazu auf, ein bestimmtes (Rechen-)Schema bzw. einenbestimmten Algorithmus durchzuführen, oder zum Beispiel eine Skizze zu erstellen.

Wichtig: Die abgegebene Lösung muss vollständig ohne das Übungsblatt verständlich sein.

Das übliche Schema einer Lösung sieht wie folgt aus:

[Voraussetzung: · · · ] (optional)Behauptung: · · ·Beweis: · · ·

Formulierung einer wahren Ausssage

Lautet die Aufgabe zum Beispiel „Für welche x ∈ R gilt A(x)?“, so lautet die zu beweisendeAussage

{x ∈ R |A(x)} = {· · · }.

Eine mögliche Formulierung wäre zum Beispiel:

Voraussetzung: Sei x ∈ R.

Behauptung: A(x) ⇐⇒ . . .

Beweis: „⇒“: · · ·„⇐“: · · ·

Lautet die Aufgabe zum Beispiel „Prüfen Sie, ob für alle x ∈ R die Aussage A(x) gilt!“ bzw.„Gilt für alle x ∈ R die Aussage A(x)?“, so formulieren Sie entweder

Behauptung: ∀x ∈ R : A(x)

falls die Aussage wahr ist, oder

Behauptung: ∃x ∈ R : ¬A(x)

falls die Aussage falsch ist - je nachdem, was gilt.

Formulierung eines Beweises.

Hierbei geht es nicht darum, alles zu notieren, was man sich überlegt hat, sondern einen logischschlüssigen Beweis zu führen. Ein solcher unterscheidet sich in der Regel erheblich von den Vor-überlegungen und Rechnungen, die man zum Auffinden des Beweises angestellt hat. Insbesondere

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10.2. Beispiele 91

unterscheidet sich oft die logisch korrekte Reihenfolge der Argumente von der Reihenfolge derIdeenfindung.

Der Beweis ist ein Text in deutscher Sprache! Formulieren Sie nicht nur Satzfetzen, sonderngrammatikalisch korrekte, vollständige Sätze. Dabei können mathematische Objekte im Satzeben auch als Objekte (im grammatikalischen Sinn) verwendet werden, zum Beispiel:

„Die Menge M ist leer.“

„Für alle x ∈ N gilt x ≤ 2.“

Hingegen dürfen Quantoren und logische Junktoren nur in abgesetzten Formeln eingesetzt wer-den, wobei der korrekte Umgang mit diesen Symbolen zu beachten ist. Zudem dürfen mathema-tische Symbole nicht als Abkürzung für deren sprachlichen Gebrauch verwendet werden. NICHTerlaubt sind zum Beispiel:

„Die Menge M ist = ∅.“

„Es ist N ⊆ R so, dass ∀x aus N gilt x ≤ 2.“

„Die Menge M ist leer +x ≤ 2 ∀x ∈ N .“

Erlaubt hingegen sind zum Beispiel folgende Formulierungen:

„Es gilt: M = ∅.“

„∀x ∈ N : x ≤ 2.“

„Es gilt: M = ∅, und zusätzlich:

∀x ∈ N : x ≤ 2.“

Zudem dürfen (Un-)Gleichungen nicht kommentarlos aneinandergereiht werden, sondern müssenebenfalls nach den obigen Regeln behandelt werden.

Wichtig: Verwenden Sie den logischen Junktor „⇒“ nur dort, wo er auch hingehört, nämlich ineine abgesetzte logische Aussage vom Typ: A⇒ B.

Beachten Sie schließlich, dass der Beweis so zu notieren ist, dass der Leser ihn ohne zusätzlichemündliche Erläuterungen nachvollziehen kann.

10.2 Beispiele

Wir wollen zunächst an die bereits in Kapitel 3 eingeführten grundsätzlichen Beweisstrategienerinnern, wobei wir dafür zunächst keine konkreten Aussagen verwenden, um so den Blick voll-ständig auf die eigentliche Beweisstruktur konzentrieren zu können.

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92 10. Beweistechniken und einige Beweise Teil II

Aufgabe 1. Es seien A,B, C mathematische Aussagen. Zeigen Sie (ohne das Aufstellen einerWahrheitstafel), dass gilt:[

(A ⇒ C) ∧ (B ⇒ C)]⇒[(A ∨ B)⇒ C

].

Wir formulieren nun eine mögliche Lösung:

Voraussetzung: Es seien A,B, C mathematische Aussagen.

Behauptung: Es gilt:[(A ⇒ C) ∧ (B ⇒ C)

]⇒[(A ∨ B)⇒ C

].

Beweis. Es gelte A ⇒ C und B ⇒ C.

Zu zeigen: A ∨ B ⇒ C.

Es gelte also A ∨ B, dann ist zu zeigen, dass auch C gilt.

Fall 1: Es gilt A. Da nach Voraussetzung gilt A ⇒ C, folgt damit C.

Fall 2: Es gilt B. Da nach Voraussetzung gilt B ⇒ C, folgt auch in diesem Fall C.

In beiden Fällen gilt also C, und damit ist die Behauptung bewiesen.

Als nächstes betrachten wir wiederum ein elementares Beispiel, das demonstrieren soll, wie manmit Quantoren in der Voraussetzung und in der Behauptung umgeht.

Aufgabe 2. Seien A,B,M ⊆ N Mengen.

(a) Es gelte: ∀a ∈ A∃b ∈ B : a = 4 · b. Es gelte M ⊆ A. Zeigen Sie:

∀x ∈M ∃y ∈ N : x = 2 · y.

(b) Es gelte: ∃a ∈ A∀b ∈ B : b ≤ 2 · a. Außerdem gebe es ein x ∈ N mit x+5 ∈ B. Zeigen Sie:

∃a ∈ A : a > 2.

Zum Abschluss üben wir das Vorgehen zum Bearbeiten von Aufgaben sowie zum Erschließenneuer mathematischer Begriffe an konkreten mathematischen Objekten. Dazu behandeln wirexemplarisch Aufgaben rund um den bereits bekannten Funktionsbegriff. Das eigentliche ma-thematische Handwerk zu den folgenden Aufgaben und Begriffen wird in der letzten Vorlesungvorgeführt.

Aufgabe 3. Es seien X,Y, Z nicht-leere Mengen und f : X → Y und g : Y → Z Funktionen.Zeigen Sie:

f, g injektiv ⇒ g ◦ f injektiv .

Page 98: Vorkurs Mathematik 2015 · 2020. 10. 2. · Vorkurs Mathematik für Studierende der Fachrichtungen Mathematik und Informatik Wintersemester 2020/21 Alexander Ullmann CAU Kiel (PerLe)

10.2. Beispiele 93

Wir führen nun neue Begriffe ein, mit denen wir im Anschluss weitere Aufgaben formulieren.

Definition 10.2.1 (Bild und Urbild unter Funktionen). Es seien X,Y Mengen und f : X → Y

eine Funktion, sowie A ⊆ X und B ⊆ Y . Dann heißt

f(A) := {y ∈ Y | ∃x ∈ A : y = f(x)}

das Bild von A unter f , und die Menge

f−1(B) := {x ∈ X | f(x) ∈ B}

das Urbild von B unter f .

Hinweis: Sie sollten an dieser Stelle innehalten und versuchen, diese Begriffsbildung zu verste-hen. Dazu sollte man einerseits genau studieren, was die formale Definition genau aussagt, undzum anderen durch Beispiele veranschaulichen. Werden keine Beispiele ind er Vorlesung gebracht,so sollte man auf jeden Fall eigene Beispiele überlegen, an denen man sich die neuen Begriffeveranschaulicht!

Aufgabe 4. Es seien X,Y Mengen und f : X → Y eine Funktion, sowie A,B ⊆ X undC,D ⊆ Y . Zeigen Sie:

a) f(A ∪B) = f(A) ∪ f(B).

b) f(A ∩B) ⊆ f(A) ∩ f(B), wobei die Inklusion im allgemeinen echt ist.

c) f−1(C ∩D) = f−1(C) ∩ f−1(D).

d) f(f−1(C)) ⊆ C.

Wir führen nun weitere Begriffe ein.

Definition 10.2.2. Es seien X,Y Mengen und f : X → Y eine Funktion. Dann heißt f surjektivwenn f(X) = Y ist.

Bemerkung. Da stets f(X) ⊆ Y ist, ist f genau dann surjektiv, wenn Y ⊆ f(X) ist, wenn alsogilt:

∀ y ∈ Y ∃x ∈ X : y = f(x).

Hinweis: Wie bereits nach Definition 10.2.1 vermerkt, sollte man sich nun selbst, ggf. durchHinzuziehen von Beispielen, klar machen, was dieser Begriff bedeutet.

Aufgabe 5. Es seien X,Y, Z nicht-leere Mengen und f : X → Y und g : Y → Z Funktionen.Zeigen Sie:

f, g surjektiv ⇒ g ◦ f surjektiv.