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Anwaltsrecht Vorlage zum BVerfG: Mehrheitserfordernis in der Steuerberater- und Anwalts-GmbH GG Art. 12 Abs. 1, 100; BRAO §§ 59 e Abs. 2, 59 f Abs. 1 Der AGH Stuttgart holt eine Entscheidung des Bundesverfas- sungsgerichts ein, ob das Erfordernis der Anteils-, Stimmen- und Geschäftsführermehrheit zugunsten von Rechtsanwälten bei einer gemischten Anwalts- und Steuerberatungsgesellschaft mbH (§§ 59 e Abs. 2 Satz 1, 59 f Abs. 1 BRAO) gleichermaßen verfassungswidrig ist wie bei der gemischten Anwalts- und Patentanwaltsgesellschaft mbH (BVerfG, AnwBl 2014, 270), weil die Regelungen auch in die- ser Konstellation in die Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG un- verhältnismäßig eingreifen. (Leitsatz der Redaktion) AGH Stuttgart, Beschl. v. 19.10.2018 AGH 13/2018 II Sachverhalt: Die Klägerin wurde durch Gesellschaftsvertrag vom 15. September 2011 gegründet. Gründungsgesellschafter war Herr Rechtsanwalt, Steuerberater und vereidigter Buch- prüfer F., der auch Geschäftsführer der Klägerin ist. Die Klä- gerin wurde unter der Firma R. GmbH Rechtsanwaltsgesell- schaft Steuerberatungsgesellschaft Buchprüfungsgesell- schaftam 15. November 2011 unter HRB mit einem Stammkapital von 25.000,00 Euro in das Handelsregister des Amtsgerichts M. eingetragen. Durch Beschluss der Gesell- schafterversammlung vom 19. März 2012 erfolgte die Erhö- hung des Stammkapitals auf 165.000,00 Euro. Durch Be- schluss der Gesellschafterversammlung vom 10. Februar 2016 wurde die Firma der Klägerin in F. & GmbH Rechts- anwaltsgesellschaft Steuerberatungsgesellschaft Buchprü- fungsgesellschaftgeändert. Am 4.4.2016 wurde eine Einzel- prokura für Herrn J. in das Handelsregister eingetragen. Nach der von der Klägerin vorgelegten Liste der Gesell- schafter vom 18.12.2017 hält der Gesellschafter F. 50,12 Pro- zent des gesamten Stammkapitals (Nennbetrag des Ge- schäftsanteils 82.700,00 Euro). Der Gesellschafter J. hält ins- gesamt 49,88 Prozent des gesamten Stammkapitals (Nenn- betrag des Geschäftsanteils 82.300,00 Euro). Nach § 8 Abs. 3 der Satzung der Gesellschaft geben je angefangene 100,00 Eu- ro Geschäftsanteil eine Stimme. Folglich verfügt der Gesell- schafter F. über 827 Stimmen und der Gesellschafter J. über 823 Stimmen. Da die Beschlüsse der Gesellschafter mit ein- facher Mehrheit gefasst werden, liegt die Mehrheit der Stimmrechte bei dem Gesellschafter F. Gegenstand des Unternehmens der Klägerin sind gem. § 2 des Gesellschaftsvertrags der Klägerin die Beratung und Ver- tretung in Rechtsangelegenheiten sowie die für Buchprü- fungsgesellschaften und Steuerberatungsgesellschaften ge- setzlich und berufsrechtlich zulässigen Tätigkeiten gemäß § 129 in Verbindung mit § 43a Abs. 4 WPO sowie § 33 in Ver- bindung mit § 57 Abs. 3 StBerG. Handels- und Bankgeschäfte sind ausgeschlossen. Die Klägerin wurde mit Urkunde der Beklagten vom 23. November 2011 als Rechtsanwaltsgesellschaft zugelassen. Mit Urkunde der Steuerberaterkammer wurde sie am 21. November 2011 als Steuerberatungsgesellschaft an- erkannt. Ferner wurde sie mit Urkunde der Wirtschaftsprü- ferkammer vom 23. November 2011 als Buchprüfungsgesell- schaft anerkannt. Die Satzung der Klägerin enthält in § 6 Abs. 6 die Rege- lung: Zugleich müssen die Geschäftsführer mehrheitlich Rechtsanwälte sein (§ 59 f Abs. 1 Satz 2 BRAO). In § 7 Abs. 3 enthält sie die Regelung: Die Mehrheit der Geschäftsanteile und Stimmrechte muss Rechtsanwälten zustehen (§ 59 e Abs. 2 BRAO). Mit Schreiben vom 14. Februar 2018 teilte der Geschäfts- führer der Klägerin der Beklagten mit, es sei beabsichtigt, ne- ben dem bisherigen alleingeschäftsführungsbefugten Rechts- anwalt, Steuerberater und vereidigten Buchprüfer F. den Steu- erberater J. zum weiteren allein vertretungsberechtigten Ge- schäftsführer zu bestellen. Es sei ferner beabsichtigt, durch Übertragung von Geschäftsanteilen an der GmbH auf Herrn J. eine paritätische Beteiligung der beiden Gesellschafter Her- ren F. und J. herbeizuführen. Zu diesem Zweck solle die Sat- zung in der Form geändert werden, dass die §§ 6 Abs. 6 und 7 Abs. 3 gestrichen werden. Es werde um rechtsmittelfähige Be- lehrung bzgl. der Satzungsänderung und der Rechtsfolgen für den Fall der Durchführung gebeten. Mit Schreiben vom 29. Mai 2018 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass die beabsichtigten Änderungen gegen §§ 59 e Abs. 2, 59 f Abs. 1 Satz 2 BRAO verstoßen und daher rechtswidrig wären. Bei Änderung der Satzung sei sie ge- zwungen, die Zulassung zu entziehen. Die Klägerin ist der Auffassung, die Entscheidung der Be- klagten sei rechtswidrig und verletze sie in ihren Rechten. Die §§ 59 e Abs. 2, 59 f Abs. 1 Satz 2 BRAO seien verfassungswid- rig und nichtig. Sie würden die Klägerin in ihrer Berufsfrei- heit gem. Art. 12 Abs. 1 GG verletzen und verstießen zudem gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Mit Schriftsatz vom 19. Juni 2018, eingegangen am 21. Ju- ni 2018, hat die Klägerin gegen die Belehrung der Beklagten vom 29. Mai 2018 Klage erhoben. Die Klägerin beantragt, den Bescheid der Beklagten vom 29.5.2018 aufzuheben. Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 5.7.2018 auf die Kla- ge erwidert. Sie hat auf den Wortlaut der gesetzlichen Bestim- mungen des § 59 e Abs. 2 Satz 1 und § 59 f Abs. 1 Satz 2 BRAO verwiesen, wonach bei einer Rechtsanwaltsgesellschaft die Mehrheit der Geschäftsanteile und Stimmrechte Rechts- anwälten zustehen muss und auch die Geschäftsführer mehr- heitlich Rechtsanwälte sein müssen. Gegen diese Regelung würde die beabsichtigte Satzungsänderung verstoßen. Die Be- klagte sei an diese gesetzlichen Bestimmungen gebunden, ge- mäß Art. 100 Abs. 1 GG sei nur ein Gericht berechtigt, das ei- gene Verfahren auszusetzen und die Entscheidung des Bun- desverfassungsgerichts einzuholen, wenn es die gesetzliche Regelung für verfassungswidrig halte. Mit weiterem Schrift- satz vom 12.10.2018 hat die Beklagte betont, dass sie sich im Hinblick auf das unterbliebene Widerspruchsverfahren rüge- los auf die Klage einlasse. Die Durchführung eines Vorverfah- rens sei entbehrlich. Auch im Widerspruchsverfahren hätte die Beklagte genauso entschieden wie mit dem Ausgangs- bescheid. Für den weiteren Vortrag der Parteien wird auf die Akten Bezug genommen. Zwischen der Klägerin und der Beklagten war bereits in im Vorfeld ein Verfahren vor dem Anwaltsgerichtshof anhän- gig (AGH 9/2017 II). Dieses hatte ebenfalls die beabsichtigten Satzungsänderungen der Klägerin zum Gegenstand und wur- de am 10. November 2017 im Wege einer vergleichsweisen Vereinbarung beendet. Der Senat hatte in der mündlichen Verhandlung Zweifel daran geäußert, ob die im damaligen Verfahren streitigen Entscheidungen der Beklagten die Anfor- Rechtsprechung 168 AnwBl Online 2019 Anwaltsrecht

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Vorlage zum BVerfG: Mehrheitserfordernisin der Steuerberater- und Anwalts-GmbHGG Art. 12 Abs. 1, 100; BRAO §§ 59e Abs. 2, 59 f Abs. 1

Der AGH Stuttgart holt eine Entscheidung des Bundesverfas-sungsgerichts ein, ob das Erfordernis der Anteils-, Stimmen- undGeschäftsführermehrheit zugunsten von Rechtsanwälten bei einergemischten Anwalts- und Steuerberatungsgesellschaft mbH (§§ 59eAbs. 2 Satz 1, 59 f Abs. 1 BRAO) gleichermaßen verfassungswidrigist wie bei der gemischten Anwalts- und PatentanwaltsgesellschaftmbH (BVerfG, AnwBl 2014, 270), weil die Regelungen auch in die-ser Konstellation in die Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG un-verhältnismäßig eingreifen.(Leitsatz der Redaktion)

AGH Stuttgart, Beschl. v. 19.10.2018 – AGH 13/2018 II

Sachverhalt: Die Klägerin wurde durch Gesellschaftsvertragvom 15. September 2011 gegründet. Gründungsgesellschafterwar Herr Rechtsanwalt, Steuerberater und vereidigter Buch-prüfer F., der auch Geschäftsführer der Klägerin ist. Die Klä-gerin wurde unter der Firma „R. GmbH Rechtsanwaltsgesell-schaft Steuerberatungsgesellschaft Buchprüfungsgesell-schaft“ am 15. November 2011 unter HRB … mit einemStammkapital von 25.000,00 Euro in das Handelsregister desAmtsgerichts M. eingetragen. Durch Beschluss der Gesell-schafterversammlung vom 19. März 2012 erfolgte die Erhö-hung des Stammkapitals auf 165.000,00 Euro. Durch Be-schluss der Gesellschafterversammlung vom 10. Februar2016 wurde die Firma der Klägerin in „F. & GmbH Rechts-anwaltsgesellschaft Steuerberatungsgesellschaft Buchprü-fungsgesellschaft“ geändert. Am 4.4.2016 wurde eine Einzel-prokura für Herrn J. in das Handelsregister eingetragen.

Nach der von der Klägerin vorgelegten Liste der Gesell-schafter vom 18.12.2017 hält der Gesellschafter F. 50,12 Pro-zent des gesamten Stammkapitals (Nennbetrag des Ge-schäftsanteils 82.700,00 Euro). Der Gesellschafter J. hält ins-gesamt 49,88 Prozent des gesamten Stammkapitals (Nenn-betrag des Geschäftsanteils 82.300,00 Euro). Nach § 8 Abs. 3der Satzung der Gesellschaft geben je angefangene 100,00 Eu-ro Geschäftsanteil eine Stimme. Folglich verfügt der Gesell-schafter F. über 827 Stimmen und der Gesellschafter J. über823 Stimmen. Da die Beschlüsse der Gesellschafter mit ein-facher Mehrheit gefasst werden, liegt die Mehrheit derStimmrechte bei dem Gesellschafter F.

Gegenstand des Unternehmens der Klägerin sind gem. § 2des Gesellschaftsvertrags der Klägerin „die Beratung und Ver-tretung in Rechtsangelegenheiten sowie die für Buchprü-fungsgesellschaften und Steuerberatungsgesellschaften ge-setzlich und berufsrechtlich zulässigen Tätigkeiten gemäߧ 129 in Verbindung mit § 43a Abs. 4 WPO sowie § 33 in Ver-bindung mit § 57 Abs. 3 StBerG. Handels- und Bankgeschäftesind ausgeschlossen.“

Die Klägerin wurde mit Urkunde der Beklagten vom23. November 2011 als Rechtsanwaltsgesellschaft zugelassen.Mit Urkunde der Steuerberaterkammer … wurde sie am21. November 2011 als Steuerberatungsgesellschaft an-erkannt. Ferner wurde sie mit Urkunde der Wirtschaftsprü-ferkammer vom 23. November 2011 als Buchprüfungsgesell-schaft anerkannt.

Die Satzung der Klägerin enthält in § 6 Abs. 6 die Rege-lung:

„Zugleich müssen die Geschäftsführer mehrheitlichRechtsanwälte sein (§ 59 f Abs. 1 Satz 2 BRAO)“.

In § 7 Abs. 3 enthält sie die Regelung:„Die Mehrheit der Geschäftsanteile und Stimmrechte

muss Rechtsanwälten zustehen (§ 59e Abs. 2 BRAO)“.Mit Schreiben vom 14. Februar 2018 teilte der Geschäfts-

führer der Klägerin der Beklagten mit, es sei beabsichtigt, ne-ben dem bisherigen alleingeschäftsführungsbefugten Rechts-anwalt, Steuerberater und vereidigten Buchprüfer F. den Steu-erberater J. zum weiteren allein vertretungsberechtigten Ge-schäftsführer zu bestellen. Es sei ferner beabsichtigt, durchÜbertragung von Geschäftsanteilen an der GmbH auf HerrnJ. eine paritätische Beteiligung der beiden Gesellschafter Her-ren F. und J. herbeizuführen. Zu diesem Zweck solle die Sat-zung in der Form geändert werden, dass die §§ 6 Abs. 6 und 7Abs. 3 gestrichen werden. Es werde um rechtsmittelfähige Be-lehrung bzgl. der Satzungsänderung und der Rechtsfolgenfür den Fall der Durchführung gebeten.

Mit Schreiben vom 29. Mai 2018 teilte die Beklagte derKlägerin mit, dass die beabsichtigten Änderungen gegen§§ 59e Abs. 2, 59 f Abs. 1 Satz 2 BRAO verstoßen und daherrechtswidrig wären. Bei Änderung der Satzung sei sie ge-zwungen, die Zulassung zu entziehen.

Die Klägerin ist der Auffassung, die Entscheidung der Be-klagten sei rechtswidrig und verletze sie in ihren Rechten. Die§§ 59e Abs. 2, 59 f Abs. 1 Satz 2 BRAO seien verfassungswid-rig und nichtig. Sie würden die Klägerin in ihrer Berufsfrei-heit gem. Art. 12 Abs. 1 GG verletzen und verstießen zudemgegen Art. 3 Abs. 1 GG.

Mit Schriftsatz vom 19. Juni 2018, eingegangen am 21. Ju-ni 2018, hat die Klägerin gegen die Belehrung der Beklagtenvom 29. Mai 2018 Klage erhoben.

Die Klägerin beantragt,den Bescheid der Beklagten vom 29.5.2018 aufzuheben.Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 5.7.2018 auf die Kla-

ge erwidert. Sie hat auf den Wortlaut der gesetzlichen Bestim-mungen des § 59e Abs. 2 Satz 1 und § 59f Abs. 1 Satz 2BRAO verwiesen, wonach bei einer Rechtsanwaltsgesellschaftdie Mehrheit der Geschäftsanteile und Stimmrechte Rechts-anwälten zustehen muss und auch die Geschäftsführer mehr-heitlich Rechtsanwälte sein müssen. Gegen diese Regelungwürde die beabsichtigte Satzungsänderung verstoßen. Die Be-klagte sei an diese gesetzlichen Bestimmungen gebunden, ge-mäß Art. 100 Abs. 1 GG sei nur ein Gericht berechtigt, das ei-gene Verfahren auszusetzen und die Entscheidung des Bun-desverfassungsgerichts einzuholen, wenn es die gesetzlicheRegelung für verfassungswidrig halte. Mit weiterem Schrift-satz vom 12.10.2018 hat die Beklagte betont, dass sie sich imHinblick auf das unterbliebene Widerspruchsverfahren rüge-los auf die Klage einlasse. Die Durchführung eines Vorverfah-rens sei entbehrlich. Auch im Widerspruchsverfahren hättedie Beklagte genauso entschieden wie mit dem Ausgangs-bescheid.

Für den weiteren Vortrag der Parteien wird auf die AktenBezug genommen.

Zwischen der Klägerin und der Beklagten war bereits inim Vorfeld ein Verfahren vor dem Anwaltsgerichtshof anhän-gig (AGH 9/2017 II). Dieses hatte ebenfalls die beabsichtigtenSatzungsänderungen der Klägerin zum Gegenstand und wur-de am 10. November 2017 im Wege einer vergleichsweisenVereinbarung beendet. Der Senat hatte in der mündlichenVerhandlung Zweifel daran geäußert, ob die im damaligenVerfahren streitigen Entscheidungen der Beklagten die Anfor-

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derungen an eine gerichtlich überprüfbare rechtliche Beleh-rung erfüllen. Aus diesem Grund wurde vorgeschlagen, dasVerfahren einvernehmlich zum Abschluss zu bringen. DerKlägerin wurde angeraten, bei der Rechtsanwaltskammer aus-drücklich eine rechtsmittelfähige Belehrung bezüglich desAnliegens zu beantragen, die Satzungsänderung in der be-gehrten Form durchzuführen, verbunden mit dem Hinweisauf die Rechtsfolgen für den Fall der Durchführung der Sat-zungsänderung. Die Verbescheidung der Belehrung solle inder Form eines Verwaltungsakts erfolgen. Die Parteien habendaraufhin eine vergleichsweise Vereinbarung geschlossen,die die Rücknahme der Klage und die Aufhebung der Kostenzum Gegenstand hatte.Aus den Gründen: Das Verfahren ist nach Art. 100 Abs. 1Satz 1 GG auszusetzen. Nach Überzeugung des Senats istzur Verfassungsmäßigkeit der Regelungen der §§ 59e Abs. 2Satz 1, 59 f Abs. 1 BRAO eine Entscheidung des Bundesver-fassungsgerichts einzuholen (§ 80 Abs. 1 BVerfGG).

I. Die Frage, ob die §§ 59e Abs. 2 Satz 1, 59 f Abs. 1 BRAOmit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar sind, soweit sie bei einer Ge-sellschaft mit beschränkter Haftung zum Zweck der gemein-samen Berufsausübung von Rechtsanwälten und Steuerbera-tern zugunsten der Rechtsanwälte eine Anteils- und Stimm-rechtsmehrheit sowie deren Leitungsmacht und Geschäfts-führermehrheit vorschreiben und bei einer Missachtung eineZulassung als Rechtsanwaltsgesellschaft ausschließen, ist fürdie Entscheidung des Rechtsstreits erheblich. Der Senat hatbei Ungültigkeit der Normen anders zu entscheiden als beideren Gültigkeit.

Bei Ungültigkeit der Normen wäre die Klage begründetund der streitgegenständliche Bescheid wäre aufzuheben.Bei Gültigkeit der Normen wäre die Klage unbegründet undder Bescheid hätte Bestand. Auf die Verfassungsmäßigkeitder Normen kommt es auch deshalb an, weil es keine anderenGründe gibt, die Klage abzuweisen oder ihr stattzugeben unddie Verfügung ohne Rücksicht auf die Frage der Gültigkeitder §§ 59e Abs. 2 Satz 1, 59 f Abs. 1 BRAO aufzuheben.

1. Über die Klage kann nicht aus anderen Gründen ohneRücksicht auf die §§ 59e Abs. 2 Satz 1, 59 f Abs. 1 BRAO ent-schieden werden. Sie ist zulässig (a.) und die Begründetheitder Klage hängt von der Verfassungsmäßigkeit der §§ 59eAbs. 2 Satz 1, 59 f Abs. 1 BRAO ab (b.).

a) Die Klage ist zulässig. Gegen den Bescheid der Beklag-ten vom 29. Mai 2018 ist die Anfechtungsklage gem. § 112cAbs. 1 Satz 1 BRAO, § 42 Abs. 1 VwGO statthaft (aa.). DieDurchführung des Vorverfahrens nach § 112c Abs. 1 Satz 1BRAO, §§ 68 ff. VwGO ist vorliegend unterblieben. Sie waraber entbehrlich (bb.). Die übrigen Sachentscheidungsvoraus-setzungen liegen vor (cc.).

aa) Gegen den Bescheid der Beklagten vom 29. Mai 2018ist die Anfechtungsklage gem. § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO,§ 42 Abs. 1 VwGO statthaft.

Gem. § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO finden im Verfahren vordem Anwaltsgerichtshof die Vorschriften der Verwaltungs-gerichtsordnung Anwendung. Dies gilt mangels abweichen-der Regelung in der BRAO auch für die in § 42 Abs. 1 VwGOvorgesehenen Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen (Kili-mann in: Feuerich/Weyland, BRAO, 9. Auflage 2016, § 112c,Rn. 5a).

Die Anfechtungsklage ist gem. § 42 Abs. 1 VwGO gegenVerwaltungsakte statthaft. Ein Verwaltungsakt ist gem. § 35Satz 1 VwVfG jede Verfügung, Entscheidung oder andere ho-heitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines

Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft unddie auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist.Als eingreifende Verwaltungsakte in diesem Sinne sind auchmissbilligende Belehrungen auf Grundlage des § 73 Abs. 2Nr. 1, 4 BRAO zu sehen, wenn diese mit einem Handlungs-verbot verbunden sind (stRspr. des BGH, statt vieler sieheBGH, Urteil vom 27. Oktober 2014 – AnwZ (Brfg) 67/13 –,NJW 2015, 72 Rn. 7). Dies gilt auch für Auskünfte der Rechts-anwaltskammer über die Rechtmäßigkeit künftigen Verhal-tens, wenn sie nach ihrem bei der Auslegung maßgebendenobjektiven Erklärungswert aus Sicht des Empfängerhorizontsschon ausweislich der jeweils verwendeten Entscheidungsfor-mel über präventive Auskünfte hinausgehen (BGH, Urteilvom 27. Oktober 2014 – AnwZ (Brfg) 67/13 –, NJW 2015, 72Rn. 7 f.; Kilimann in: Feuerich/Weyland, BRAO, 9. Auflage2016, § 112c, Rn. 16). Als Gesichtspunkte, die im Rahmen ei-ner insoweit vorzunehmenden Auslegung für das Vorliegeneines belehrenden Hinweises beziehungsweise einer missbil-ligenden Belehrung sprechen, hat der BGH insbesondere an-gesehen, dass der Bescheid der Rechtsanwaltskammer mit ei-ner Entscheidungsformel versehen ist und in dieser – odersonst im Bescheid – die Rechtswidrigkeit eines bestimmtenVerhaltens festgestellt und ein konkretes Verbot ausgespro-chen wird und der Bescheid insgesamt erkennen lässt, dassdie Rechtsanwaltskammer sich bereits auf eine verbindlicheRegelung der aufgeworfenen Fragen festgelegt hat. Darüber hi-naus spricht es nach der Rechtsprechung des BGH für das Vor-liegen eines Verwaltungsakts, wenn der Bescheid mit einerRechtsmittelbelehrung versehen und dem Rechtsanwalt förm-lich zugestellt worden ist (BGH, Urteil vom 27. Oktober 2014– AnwZ (Brfg) 67/13 – NJW 2015, 72 Rn. 8; Urteil vom 3. Juli2017 – AnwZ (Brfg) 45/15 –, NJW 2017, 2556 Rn. 18 ff.).

Bei dem mit der Klage angegriffenen Schreiben der Be-klagten vom 29. Mai 2018 handelt es sich um eine solchemissbilligende Belehrung. In dem Schreiben stellt die Beklag-te fest, dass die von der Klägerin beabsichtigten Satzungs-änderungen rechtswidrig wären. Zwar enthält das Schreibenkein ausdrückliches Handlungsverbot oder Unterlassungs-gebot, es stellt jedoch für den Fall der Zuwiderhandlung dieEntziehung der Zulassung in Aussicht. Dies ist einem Hand-lungsverbot gleichzustellen, da aus dem objektiven Empfän-gerhorizont erkennbar ist, dass sich die Beklagte bereits imVorgriff auf das für den Fall der Zuwiderhandlung durch-zuführende Verfahren zum Entzug der Zulassung auf eineendgültige Regelung der aufgeworfenen Fragen festgelegthat (vgl. BGH, Urteil vom 27. Oktober 2014 – AnwZ (Brfg)67/13 –, NJW 2015, 72 Rn. 8). Es ist deshalb nach der Aus-legung des Senats auch unschädlich, dass die Beklagte denBescheid nicht mit einer Entscheidungsformel versehen hat.Zwar wäre eine solche Entscheidungsformel im Sinne einerkorrekten „Bescheidtechnik“ wünschenswert, die Auslegungdes Schreibens vom 29.5.2018 ergibt aber, dass dieses Schrei-ben das eindeutige Handlungsverbot hinsichtlich der be-absichtigten Streichung der Bestimmungen des § 59e Abs. 2BRAO beziehungsweise § 59 f Abs. 1 Satz 2 BRAO aus derSatzung enthält.

Auch die Tatsache, dass die Beklagte die Belehrung mit ei-ner, wenn auch inhaltlich falschen, Rechtsbehelfsbelehrungversehen und förmlich zugestellt hat, spricht für das Vorlie-gen eines mit der Anfechtungsklage angreifbaren Verwal-tungsakts (BGH, Urteil vom 27. Oktober 2014 – AnwZ (Brfg)67/13 –, NJW 2015, 72 Rn. 8).

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Schließlich ist bei der Auslegung nach dem objektivenEmpfängerhorizont auch das im Vorfeld beim Anwalts-gerichtshof durchgeführte Verfahren und sein Abschluss zuwürdigen (AGH 9/2017 II). Der Senat hatte schon in diesemVerfahren darauf hingewiesen, dass die Belehrung nur dannanwaltsgerichtlich anfechtbar ist, wenn es sich nicht nur umeinen präventiven Hinweis, sondern um eine missbilligendeBelehrung mit Verwaltungsaktqualität handelt. Eine solcheBelehrung hat der Kläger dann beantragt, die Rechtsanwalts-kammer wollte ebenfalls offensichtlich eine missbilligendeBelehrung durch Verwaltungsakt aussprechen und hat denVerwaltungsaktcharakter durch die Rechtsmittelbelehrungunterstrichen.

bb) Das grundsätzlich gem. § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO,§§ 68 ff. VwGO auch vor dem Verfahren vor dem Anwalts-gerichtshof durchzuführende Vorverfahren ist vorliegend un-terblieben (1). Das Vorverfahren war aber entbehrlich (2).

(1) Mangels anderweitiger Regelungen ist in Baden-Würt-temberg gem. § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 68 Abs. 1 S. 1VwGO vor Erhebung der Anfechtungsklage beim Anwalts-gerichtshof das Vorverfahren entsprechend der §§ 68 ff.VwGO durchzuführen.

Die Durchführung des Vorverfahrens ist im vorliegendenFall unterblieben. Die Klägerin hat ohne vorherigen Wider-spruch unmittelbar Klage gegen den Bescheid der Beklagtenvom 29. Mai 2018 erhoben. Ob hierfür die dem Bescheid bei-gefügte Rechtsmittelbelehrung ursächlich war, welche ent-gegen § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, §§ 58 Abs. 1, 68 Abs. 1 S. 1VwGO unmittelbar auf den Klageweg vor dem Anwalts-gerichtshof verweist, kann dahinstehen.

(2) Die Durchführung des Vorverfahrens war allerdingsentbehrlich. Zwar ist die Durchführung des Vorverfahrensweder gem. § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 68 Abs. 1 S. 2 Alt. 1VwGO gesetzlich ausgeschlossen noch liegt ein Fall des§ 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 68 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 VwGO vor.Die Durchführung ist vorliegend über diese gesetzlich aus-drücklich geregelten Fälle hinaus jedoch ausnahmsweise ent-behrlich, da der Zweck des Vorverfahrens nicht mehr erreichtwerden kann.

Das Bundesverwaltungsgericht hält in ständiger Recht-sprechung die Durchführung des Vorverfahrens für aus-nahmsweise entbehrlich, wenn dessen Zweck bereits Rech-nung getragen ist oder ohnehin nicht mehr erreicht werdenkann (statt vieler siehe BVerwG, Urteil vom 15. September2010 – 8 C 21.09 –, BVerwGE 138, 1 Rn. 24 ff. m.w.N.).

Für das Verfahren vor den Anwaltsgerichtshöfen geht derBundesgerichtshof in seiner Rechtsprechung für diejenigenFälle von der ausnahmsweisen Entbehrlichkeit des Vorverfah-rens gem. § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 68 Abs. 1 S. 1 VwGOaus, in denen sich die Parteien trotz Unterbleiben des Vorver-fahrens rügelos auf das gerichtliche Verfahren eingelassenhaben (BGH, Beschluss vom 23. Juni 2012 – AnwZ (Brfg)58/11 –, BRAK Mitt 2012, 247 Rn. 25). Dies findet in der be-rufsrechtlichen Kommentarliteratur Zustimmung (Kilimannin: Feuerich/Weyland, BRAO, 9. Auflage 2016, § 112c,Rn. 103; Deckenbrock in: Henssler/Prütting, BRAO, 4. Auf-lage 2014, Rn. 29).

Der Senat ist im Anschluss an die Rechtsprechung desBundesverwaltungsgerichts der Überzeugung, dass ein Vor-verfahren zusätzlich zu den in § 68 Abs. 1 Satz 2 VwGO ge-nannten Fällen ausnahmsweise auch dann entbehrlich ist,wenn dessen Zweck bereits Rechnung getragen ist oder ohne-hin nicht mehr erreicht werden kann. Zweck des Wider-

spruchsverfahrens ist die Selbstkontrolle der Verwaltung, derRechtsschutz für den Bürger und die Entlastung der Gerichte(BVerfGE 35, 65, 76; 40, 237, 256).

Das Vorverfahren kann seinen Zweck nicht mehr errei-chen, wenn feststeht, das der Widerspruch unabhängig vonder Begründung keinen Erfolg haben würde (BVerwG, Urteilvom 30. Oktober 2013 – 2 C 23.12 –, BVerwGE 148, 217Rn. 36). Dies ist unter anderem anzunehmen, wenn eine Ge-samtwürdigung der vorgerichtlichen Erklärungen der Behör-de ergibt, dass diese sich endgültig darauf festgelegt hat, demRechtsbehelfsbegehren nicht abzuhelfen und an der gebilde-ten Auffassung in jedem Fall festzuhalten (BVerwG, Urteilvom 30. Oktober 2013 – 2 C 23.12 –, BVerwGE 148, 217Rn. 37).

Dies ist vorliegend der Fall, so dass die Durchführung desVorverfahrens ein unnötiger Formalismus wäre. Die Beklagteist als Selbstverwaltungskörperschaft gem. § 112c Abs. 1Satz 1 BRAO, § 73 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 VwGO sowohl Aus-gangs- als auch Widerspruchsbehörde (BT Drs. 16/11385,29). Sie hat in ihrem Bescheid vom 29. Mai 2018 und in derKlageerwiderung vom 5. Juli 2018 unmissverständlich zumAusdruck gebracht, dass sie die beabsichtige Satzungsände-rung für mit §§ 59e Abs. 2, 59 f Abs. 1 Satz 2 BRAO unverein-bar hält. Die Beklagte geht im Bescheid auf die von der Kläge-rin auch im gerichtlichen Verfahren vorgebrachte möglicheVerfassungswidrigkeit der §§ 59e Abs. 2, 59 f Abs. 1 Satz 2BRAO ein. Sie äußert diesbezüglich zwar ausdrücklich eine„gewisse Sympathie“ für die Rechtsaufassung der Klägerin,macht aber deutlich, dass ihr auf Grund der geltenden Rechts-lage kein Entscheidungsspielraum zustehe. Der Beklagten seidie Möglichkeit, die streitgegenständlichen Normen verfas-sungsrechtlich überprüfen zu lassen, nicht gestattet. Bereitsdiese Ausführungen zeigen, dass sich die Beklagte darauffestgelegt hat, an der gebildeten Auffassung festzuhalten undauch einen möglichen Widerspruch zurückzuweisen.

Diese Erkenntnis wird durch die Äußerungen der Beklag-ten im Schreiben vom 14. März 2016 und den Bescheidenvom 24. Juni 2016 und 8. Februar 2017, die Gegenstand desVerfahrens vor dem erkennenden Senat im Jahr 2017 waren(AGH 9/2017 II), unterstrichen. Auch dort bringt die Beklagteunmissverständlich zum Ausdruck, dass sie die beabsichtigenSatzungsänderungen für mit §§ 59e Abs. 2, 59 f Abs. 1 Satz 2BRAO unvereinbar hält. Unter steter Betonung, dass auchdie Beklagte möglicherweise von der Verfassungswidrigkeitder §§ 59e Abs. 2, 59 f Abs. 1 Satz 2 BRAO ausgeht, wird dar-gelegt, dass sie keine Verwerfungskompetenz habe und andie bestehende Rechtslage gebunden sei.

Bei einer Gesamtwürdigung der Äußerungen der Beklag-ten steht fest, dass sie die beabsichtigen Satzungsänderungenfür mit §§ 59e Abs. 2, 59 f Abs. 1 Satz 2 BRAO unvereinbarhält. Ein Abweichen hiervon wäre auch bei der gem. § 112cAbs. 1 Satz 1 BRAO, § 68 Abs. 1 S. 1 VwGO erforderlichenDurchführung des Vorverfahrens nicht zu erwarten.

Schließlich hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 12. Okto-ber 2018 noch einmal ausdrücklich betont, dass sie sich rüge-los auf die Klage einlässt. Auch aus diesem Grund ist die vor-herige Durchführung eines Vorverfahrens entbehrlich.

cc) Die übrigen Sachentscheidungsvoraussetzungen einerAnfechtungsklage gem. § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, §§ 42 ff.VwGO liegen vor, sie ist daher insgesamt zulässig.

b) Die Begründetheit der Klage hängt von der Verfas-sungsmäßigkeit der §§ 59e Abs. 2 Satz 1, 59 f Abs. 1 BRAOab. Die Klage wäre begründet, wenn die §§ 59e Abs. 2 Satz 1,

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59 f Abs. 1 BRAO insoweit verfassungswidrig wären, als dasssie bei einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung zumZweck der gemeinsamen Berufsausübung von Rechtsanwäl-ten und Steuerberatern zugunsten der Rechtsanwälte eineAnteils- und Stimmrechtsmehrheit sowie deren Leitungs-macht und Geschäftsführermehrheit vorschreiben und bei ei-ner Missachtung eine Zulassung als Rechtsanwaltsgesell-schaft ausschließen. Sie wäre unbegründet, wenn die §§ 59eAbs. 2 Satz 1, 59 f Abs. 1 BRAO insoweit verfassungsgemäßwären.

Die Klage ist begründet, wenn der Bescheid der Beklagtenvom 29. Mai 2018 rechtswidrig ist und die Klägerin in ihrenRechten verletzt (§ 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 113 Abs. 1Satz 1 VwGO).

aa) Die Ermächtigungsgrundlage für den Bescheid der Be-klagten vom 29. Mai 2018 ist § 73 Abs. 2 Nr. 1, 4 BRAO. Hier-nach obliegt es dem Vorstand der Rechtsanwaltskammer, dieMitglieder der Kammer in Fragen der Berufspflichten zu be-raten und zu belehren sowie die Erfüllung der Pflichten zuüberwachen und das Recht der Rüge zu handhaben. § 73Abs. 2 Nr. 1, 4 BRAO ermächtigt die Rechtsanwaltskammerneben anwaltsgerichtlichen Maßnahmen oder Rügeverfahrenauch zur Erteilung missbilligender Belehrungen (BGH, Be-schluss vom 16. April 2007 – AnwZ (B) 40/06 –, NJW 2007,3499m.w.N.; BGH, Urteil vom 3. Juli 2017 – AnwZ (Brfg) 45/15 –, NJW 2017, 2556 Rn. 17).

bb) Anhaltspunkte für eine formelle Rechtswidrigkeit desBescheids der Beklagten vom 29. Mai 2018 sind für den Senatnicht ersichtlich und werden von der Klägerin auch nicht vor-gebracht.

cc) Eine missbilligende Belehrung gem. § 73 Abs. 2 Nr. 1,4 BRAO ist materiell nur rechtmäßig, wenn die gegenständli-che Handlung eine Berufspflichtverletzung darstellt und dieangedrohte Konsequenz tatsächlich zur Folge hat.

(1) Die Belehrung vom 29. Mai 2018 ist unter Heranzie-hung der §§ 133, 157 BGB sachgerecht auszulegen.

(a) In ihrem Bescheid vom 29. Mai 2018 führt die Beklagtewie folgt aus:

„in ihrem Schreiben vom 14. Februar 2018 erklären Sie, dassSie eine paritätische Beteiligung der beiden Gesellschafter anstre-ben, einerseits von Herrn RA und STB F. und Herrn Steuerbera-ter J. andererseits, bei gleichzeitiger Änderung der §§ 6 Abs. 6 und7 Abs. 3 der Satzung ihrer GmbH. Dabei wollen Sie die bisherigenRegelungen, dass die Rechtsanwälte mehrheitlich beteiligt seinmüssen beziehungsweise die Mehrheit der Geschäftsanteile undStimmrechte Rechtsanwälten zustehen muss, streichen.

In der Satzung selbst beziehen Sie sich in der (zu streichen-den) Bestimmung auf § 59e Abs. 2 BR AO beziehungsweise § 59 fAbs. 1 Satz 2 BRAO. Diese Vorschriften sind, wie Sie wissen,nicht geändert worden. Mit anderen Worten: Das Gesetz wider-spricht der von Ihnen gewünschten Änderung.

[…]Sollten Sie entgegen unserer Auskunft wie vorgesehen die Sat-

zung ändern, so wären wir gezwungen, Ihnen die Zulassung zuentziehen.“

(b) Die Auslegungsregeln der §§ 133, 157 BGB sind auf öf-fentlich-rechtliche Erklärungen entsprechend anzuwenden.Bei Verwaltungsakten kommt es wie bei empfangsbedürfti-gen Willenserklärungen nicht auf den wirklichen Willen desErklärenden (natürliche Auslegung), sondern auf den objekti-ven Erklärungsinhalt an. Maßgeblich ist, wie der Empfängerdie Erklärung nach Treu und Glauben unter Berücksichti-gung der für ihn erkennbaren Umstände verstehen musste.

Dabei ist vom Wortlaut der Erklärung auszugehen und derenobjektiver Gehalt unter Berücksichtigung des Empfängerhori-zonts zu ermitteln (stRspr des BVerwG, statt vieler sieheBVerwG, Urteil vom 20. Juni 2013 – 8 C 46.12 –, BVerwGE147, 81 Rn. 27).

(c) Die Belehrung ist objektiv so zu verstehen, dass die Be-klagte nicht allein die beabsichtigte Streichung der §§ 6 Abs. 6und 7 Abs. 3 der Satzung der Klägerin als Verstoß gegen die§ 59e Abs. 2 BRAO beziehungsweise § 59 f Abs. 1 Satz 2BRAO betrachtet und hierfür den Entzug der Zulassung inAussicht stellt, sondern, dass sie die beabsichtigte paritätischeBeteiligung des Steuerberaters J. an der Gesellschaft und dieBestellung als alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführerfür mit § 59e Abs. 2 BRAO beziehungsweise § 59 f Abs. 1Satz 2 BRAO unvereinbar hält und daher bei Vollzug dieserBeteiligung durch Änderung des Gesellschaftsvertrags die Zu-lassung zu entziehen sei.

(aa) Der Wortlaut der Belehrung lässt für sich genommenkeinen eindeutigen Schluss zu, welche beabsichtigte Ände-rung einen Verstoß gegen die §§ 59e Abs. 2, 59 f Abs. 1 Satz 2BRAO darstellen würde.

An den wesentlichen belehrenden Stellen führt die Be-klagte aus:

„Das Gesetz widerspricht der von Ihnen gewünschten Ände-rung.

[…]Sollten Sie entgegen unserer Auskunft wie vorgesehen die Sat-

zung ändern, so wären wir gezwungen, Ihnen die Zulassung zuentziehen.“

Diese Ausführungen legen zunächst ein Verständnis da-hingehend nahe, dass gerade und allein die Streichung der§§ 6 Abs. 6 und 7 Abs. 3 der Satzung als gesetzwidrig und inder Konsequenz zulassungsgefährdend angesehen wird.

Gleichzeitig stellt die Beklagte zu Beginn der Belehrungaber auch die beabsichtigte paritätische Beteiligung des Steu-erberaters an der Gesellschaft dar. Nach dem Wortlaut der Be-lehrung ist somit auch ein Verständnis dahingehend nahelie-gend, dass mit der als gesetzeswidrig bezeichneten Änderungdie beabsichtigte paritätische Beteiligung selbst gemeint istund diese zum Entzug der Zulassung führen würde.

(bb) Aus Sicht eines objektiven Empfängers ist nur ein sol-ches Verständnis sachgerecht, dass die Beklagte die beabsich-tigte paritätische Beteiligung des Steuerberaters J. an der Ge-sellschaft mit Bestellung zum alleinvertretungsberechtigtenGeschäftsführer für mit § 59e Abs. 2 BRAO beziehungsweise§ 59 f Abs. 1 Satz 2 BRAO unvereinbar hält und daher bei Voll-zug die Zulassung zu entziehen sei.

Der Klägerin geht es ausschließlich darum, neben demderzeitigen Gesellschafter, welcher Rechtsanwalt, Steuerbera-ter und vereidigter Buchprüfer ist, einen weiteren Steuerbera-ter paritätisch zu beteiligen und ihn zum alleinvertretungs-berechtigten Geschäftsführer zu bestellen. Dies hat der Mehr-heitsgesellschafter und alleinvertretungsberechtigte Ge-schäftsführer der Klägerin, Herr F., in der mündlichen Ver-handlung am 19.10.2018 noch einmal klar zum Ausdruck ge-bracht. An der Durchführung dieses Vorhabens sieht sie sichvor allem durch die in den §§ 6 Abs. 6 und 7 Abs. 3 ihrer Sat-zung vorgesehenen Mehrheitserfordernisse gehindert, wes-halb sie deren Streichung beabsichtigt. Ihr Hauptanliegenbleibt aber die Beteiligung des Steuerberaters, weshalb esnicht sachgerecht wäre, die aus diesem Anlass erfolgte Bitteder Klägerin um Belehrung durch die Beklagte und insbeson-

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Anwaltsrecht AnwBl Online 2019 171

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dere die erfolgte Belehrung der Beklagten auf die beabsichtig-ten Streichungen zu reduzieren.

Eine Belehrung allein zur Rechtmäßigkeit der Streichungder §§ 6 Abs. 6 und 7 Abs. 3 aus der Satzung der Klägerin ent-spricht nicht dem eigentlichen Begehren der Klägerin. DieBelehrung, ob die Streichung der genannten Satzungsrege-lungen für sich genommen rechtmäßig ist, bringt die Kläge-rin in der Sache nämlich nicht weiter. Die §§ 6 Abs. 6 und 7Abs. 3 der Satzung der Klägerin, welche vorsehen, dass dieMehrheit der Geschäftsführer Rechtsanwälte sein müssenund die Mehrheit der Geschäftsanteile und der StimmrechteRechtsanwälten zustehen muss, erschöpfen sich in der blo-ßen Wiedergabe des Wortlauts der §§ 59 f Abs. 1 Satz 2, 59eAbs. 2 Satz 1 BRAO auf welche sie auch Bezug nehmen. Wer-den sie aus der Satzung gestrichen, ändert sich an der Rechts-lage nichts. Der Kläger könnte die beabsichtigte paritätischeBeteiligung nicht ohne Gesetzesverstoß durchführen.

Die berufsgesellschaftsrechtlichen Vorgaben der §§ 59c ff.BRAO enthalten auch nicht die Verpflichtung, dass die Sat-zung einer Rechtsanwaltsgesellschaft den Wortlaut der §§ 59 fAbs. 1 Satz 2, 59e Abs. 2 Satz 1 BRAO wiederzugeben hat.Gem. § 59d Nr. 1 BRAO ist eine Rechtsanwaltsgesellschaftim Sinne des § 59c Abs. 1 BRAO unter anderem nur zuzulas-sen, wenn „die Gesellschaft“ den §§ 59e, 59 f BRAO ent-spricht. Dementsprechend ist gem. § 59h Abs. 3 Satz 1 dieZulassung unter anderem dann zu widerrufen, wenn „dieRechtsanwaltsgesellschaft“ nicht mehr die Voraussetzungender §§ 59e, 59 f BRAO erfüllt. Es kommt folglich allein daraufan, ob „die Gesellschaft“ die Vorgaben erfüllt. Prüfungsmaß-stab, ob die Zulassungsvoraussetzungen erfüllt sind, ist nichtallein die Satzung, sondern der Status quo der Gesellschaftzum Zeitpunkt der Prüfung (Anwaltsgerichtshof München,Urteil vom 25. Februar 2010 – BayAGH I – 25/09 –, BRAKMitt 2010, 214, 218). Entscheidend ist mit Blick auf die §§ 59 fAbs. 1 Satz 2, 59e Abs. 2 Satz 1 BRAO mithin nicht, ob derWortlaut des Gesetzes in der Satzung wiedergegeben ist, son-dern, ob die Mehrheitsverhältnisse und die Vertretungsregelnentsprechend der gesetzlichen Vorgaben ausgestaltet sind.

In der Konsequenz kann die bloße Streichung der §§ 6Abs. 6 und 7 Abs. 3 der Satzung der Klägerin den berufs-gesellschaftsrechtlichen Vorgaben der §§ 59c ff. BRAO nichtwidersprechen. Ein möglicher Widerspruch entstünde erstdurch die tatsächliche paritätische Beteiligung des Steuerbera-ters an der Gesellschaft und die Bestellung zum Geschäfts-führer, die auch so beabsichtigt ist.

Die Belehrung durch die Beklagte vom 29. Mai 2018 istobjektiv daher nur so zu verstehen, dass die beabsichtigte pa-ritätische Beteiligung des Steuerberaters J. an der Gesellschaftund die Bestellung zum alleinvertretungsberechtigten Ge-schäftsführer für mit § 59e Abs. 2 BRAO beziehungsweise§ 59 f Abs. 1 Satz 2 BRAO unvereinbar gehalten wird und beiVollzug die Zulassung zu entziehen sei.

(2) Die Frage, ob die in der Belehrung der Klägerin durchdie Beklagte vom 29. Mai 2018 genannte beabsichtigte paritä-tischen Beteiligung des Steuerberaters an der Gesellschafteine Berufspflichtverletzung darstellt und den angedrohtenEntzug der Zulassung tatsächlich zur Folge hat, hängt vonder Verfassungsmäßigkeit der §§ 59e Abs. 2 Satz 1, 59 f Abs. 1BRAO ab. Nur bei deren Verfassungsmäßigkeit läge eine Be-rufspflichtverletzung vor, die den angedrohten Entzug der Zu-lassung zur Folge hätte. Wären die Vorschriften verfassungs-widrig und nichtig, wäre die beabsichtigte Beteiligung kein

berufsrechtlicher Verstoß und die angedrohte Konsequenzunzulässig.

Auf die Verfassungsmäßigkeit kommt es auch an, weil eskeine anderen Gründe gibt, die Klage abzuweisen oder ihrstattzugeben und die Verfügung ohne Rücksicht auf die Frageder Gültigkeit der §§ 59e Abs. 2 Satz 1, 59 f Abs. 1 BRAO auf-zuheben.

(a) Die Klägerin beabsichtigt, den Steuerberater J. an derGesellschaft zu beteiligen. Die Beteiligung soll ausweislichdes Schreibens der Klägerin vom 14. Februar 2018 dergestalterfolgen, dass der Gesellschafter F. (Rechtsanwalt, Steuerbera-ter und vereidigten Buchprüfer) durch Übertragung von Ge-schäftsanteilen an den Steuerberater J. eine paritätische Betei-ligung an der Gesellschaft mit beschränkter Haftung herbei-führt. Zudem soll Herr J. neben dem bereits als Geschäftsfüh-rer bestellten Herrn F. zum weiteren alleinvertretungsberech-tigten Geschäftsführer bestellt werden.

(b) Die Beteiligung eines Steuerberaters an der Rechts-anwaltsgesellschaft ist grundsätzlich gem. §§ 59e Abs. 1Satz 1, 59a Abs. 1 Satz 1 BRAO zulässig. Anhaltspunkte da-für, dass Herr J. entgegen § 59e Abs. 1 Satz 2 BRAO nicht inder Rechtsanwaltsgesellschaft beruflich tätig sein wird, siehtder Senat nicht und sind auch von der Beklagten nicht vor-getragen. Auch die Bestellung eines Steuerberaters zum Ge-schäftsführer ist gem. §§ 59 f Abs. 2, 59e Abs. 1 Satz 1, 59aAbs. 1 Satz 1 BRAO grundsätzlich zulässig.

(c) Wie die Beklagte in ihrer Belehrung vom 29. Mai 2018richtigerweise feststellt, würde die beabsichtigte Beteiligungdes Steuerberaters jedoch gegen die §§ 59e Abs. 2 Satz 1, 59 fAbs. 1 Satz 2 BRAO verstoßen. Es läge zudem ein Verstoß ge-gen § 59 f Abs. 1 Satz 1 BRAO vor. Die Konsequenz dieser Ver-stöße wäre, wie die Beklagte ebenfalls richtigerweise fest-gestellt hat, dass der Klägerin gem. § 59h Abs. 3 Satz 1BRAO die Zulassung zu entziehen sei.

(aa) Gem. § 59e Abs. 2 Satz 1 BRAO muss die Mehrheitder Geschäftsanteile und der Stimmrechte Rechtsanwältenzustehen.

Der Wortlaut der Norm ist insoweit eindeutig, dass beiRechtsanwaltsgesellschaften eine Mehrheit hinsichtlich derGeschäftsanteile und Stimmrechte zugunsten von Rechts-anwälten vorliegen muss. Auf diese Weise soll gewährleistetwerden, dass das entscheidende Gewicht bei der Willensbil-dung der GmbH stets den Rechtsanwälten selbst zukommtund berufsfremde Einflüsse Dritter verhindert werden (Brüg-gemann in: Feuerich/Weyland, BRAO, 9. Auflage 2016, § 59e,Rn. 12; Henssler in: Henssler/Prütting, BRAO, 4. Auflage2014, § 59e, Rn. 19; Bormann in: Gaier/Wolf/Göcken, Anwalt-liches Berufsrecht, 2. Auflage 2014, § 59e BRAO, Rn. 19). Die-se Auslegung deckt sich mit dem Willen des Gesetzgebers,der die Mehrheitserfordernisse bezüglich der Anteils- undStimmrechte ausdrücklich zur Sicherung des maßgeblichenEinflusses der Rechtsanwälte auf die Geschicke der Rechts-anwaltsgesellschaft eingeführt hat (BT-Drs. 13/9820, S. 14).

Es ist nach der Überzeugung des Senats ausgeschlossen,die Vorschrift ohne Verletzung des Parlamentsvorbehalts ausverfassungsrechtlichen oder unionsrechtlichen Gründen soauszulegen, dass sie bei einer Gesellschaft mit beschränkterHaftung zum Zweck der gemeinsamen Berufsausübung vonRechtsanwälten und Steuerberatern eine Anteils- und Stimm-rechtsmehrheit zugunsten der Rechtsanwälte nicht vorsieht.Die Möglichkeit der verfassungskonformen Auslegung endetdort, wo sie zu dem Wortlaut und dem klar erkennbaren Wil-len des Gesetzgebers in Widerspruch treten würde (stRspr.

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des BVerfG, BVerfGE 130, 372, 397; Beschluss vom 22. März2018 – 2 BvR 780/16 –, NVwZ 2018, 1203 Rn. 150). Auch dierichtlinienkonforme Auslegung findet ihre Grenzen in demnach der inländischen Rechtstradition Erlaubten und sie darfnicht zu einer Auslegung des nationalen Rechts contra legemführen (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 26. September2011 – 2 BvR 2216/06 –, NJW 2012, 669 Rn. 47 m.w.N.). Auchinsoweit ist mithin der Wortlaut der Norm und der Wille desGesetzgebers ausschlaggebend (BVerfG, Nichtannahme-beschluss vom 26. September 2011 – 2 BvR 2216/06 –, NJW2012, 669 Rn. 56). Eine Umgehung des eindeutig formulier-ten und gewollten Mehrheitserfordernisses würde die Gren-zen der zulässigen Auslegung überschreiten und sich in di-rekten Widerspruch zum Wortlaut der Norm und dem Willendes Gesetzgebers setzen.

Die von der Klägerin beabsichtige paritätische Beteiligungdes Steuerberaters neben dem bisherigen Anteilseigner, wel-cher u.a. auch Rechtsanwalt ist, ist mit § 59e Abs. 2 Satz 1BRAO nicht vereinbar. Die Mehrheit der Geschäftsanteileläge nicht bei Rechtsanwälten. Gleiches gilt für die Stimm-mehrheit. Gem. § 8 Abs. 3 Satz 1 der Satzung der Klägerinrichtet sich die Anzahl der Stimmen nach den Geschäftsantei-len, so dass auch bezüglich der Stimmrechte keine Mehrheitbei einem Rechtsanwalt läge.

(bb) Gem. § 59f Abs. 1 Satz 1 BRAO muss die Rechts-anwaltsgesellschaft von Rechtsanwälten verantwortlich ge-führt werden.

Unter dem Kriterium der „verantwortlichen Führung“wird in der Literatur und der Rechtsprechung eine qualitativeAnforderung an die Geschäftsführung verstanden. EineRechtsanwaltsgesellschaft wird danach von Rechtsanwältenverantwortlich geführt, wenn sichergestellt ist, dass die maß-geblichen Geschäftsführungsentscheidungen von Rechts-anwälten verantwortet werden. Das sei etwa dann der Fall,wenn alle geschäftsführenden Rechtsanwälte zur Einzelver-tretung befugt sind und die Geschäftsführer, die nicht Rechts-anwälte sind, die Gesellschaft nur gemeinsam mit Rechts-anwälten vertreten können (BGH, Urteil vom 10. Oktober2011 – AnwZ (Brfg) 1/10 –, NJW 2012, 461 Rn. 8; Brügge-mann in: Feuerich/Weyland, BRAO, 9. Auflage 2016, § 59 fRn. 7). Nichtanwaltlichen Geschäftsführern kann danach al-lenfalls Gesamtvertretungsmacht zusammen mit anwalt-lichen Geschäftsführern eingeräumt werden, die ein alleini-ges Handeln des berufsfremden Geschäftsführers verhindernkönnen, nicht jedoch Einzelvertretungsmacht (BGH, Urteilvom 10. Oktober 2011 – AnwZ (Brfg) 1/10 –, NJW 2012, 461Rn. 8).

Eine solche Auslegung ergibt sich zwar nicht zwingendaus dem – insoweit nicht eindeutigen – Wortlaut des § 59 fAbs. 1 Satz 1 BRAO, sie ist nach der Überzeugung des Senatsaber zur Wahrung des vom Gesetzgeber beabsichtigtenZwecks notwendig. Eine Auslegung der Vorschrift dahin-gehend, dass auch Alleinvertretungsmacht nicht anwaltlicherGeschäftsführer zulässig ist, würde sich über den vom Gesetz-geber verfolgten Zweck hinwegsetzen.

Beabsichtigtes Ziel der Vorschrift ist ausweislich der Ge-setzgebungsmaterialien sicherzustellen, dass die ausschlag-gebende Entscheidungsgewalt den Rechtsanwälten zukom-men muss (BT-Drs. 13/9820, S. 15). Im Innenverhältnis solledem verantwortlichen Anwalt dasselbe Maß an Unabhängig-keit und Weisungsfreiheit zukommen wie einem Anwalts-sozius (BT-Drs. 13/9820, S. 15). Im Außenverhältnis sei dieverantwortliche Führung durch Vertretungsregeln zu gewähr-

leisten, die sicherstellen, dass Rechtsanwälte auch ohne Mit-wirkung anderer Berufsangehöriger die Gesellschaft vertretenkönnen (BT-Drs. 13/9820, S. 15). Dies sei beispielsweise derFall, wenn alle geschäftsführenden Rechtsanwälte zur Einzel-vertretung befugt sind und die Geschäftsführer, die nichtRechtsanwälte sind, die Gesellschaft nur gemeinsam mitRechtsanwälten vertreten könne (BT-Drs. 13/9820, S. 15).

Aus dem in den Gesetzesmaterialien genannten Beispielkann zwar nicht abschließend gefolgert werden, dass Allein-vertretungsmacht für Angehörige anderer Berufe nicht zuläs-sig sei, schließlich können die Rechtsanwälte die Gesellschafttrotzdem selbst und ohne Mitwirkung anderer Berufsangehö-riger vertreten. Es ist aber in einem solchen Fall nicht mehrgewährleistet, dass den Rechtsanwälten die ausschlaggebendeEntscheidungsgewalt zusteht. Dieses Ziel wird nur erreicht,wenn über die Regelungen der Vertretungsmacht sicher-gestellt ist, dass den Geschäftsführern, die nicht Anwälte sind,nur Gesamtvertretungsmacht zusammen mit anwaltlichenGeschäftsführern eingeräumt wird.

Die beabsichtigte Bestellung des Steuerberaters J. zum al-leinvertretungsberechtigten Geschäftsführer ist mithin mit§ 59 f Abs. 1 S. 1 BRAO nicht vereinbar.

(cc) Gem. § 59 f Abs. 1 Satz 2 BRAO müssen zudem dieGeschäftsführer mehrheitlich Rechtsanwälte sein.

Hinsichtlich dieses Mehrheitserfordernisses wird auf dieAusführungen zu § 59e Abs. 2 Satz 1 BRAO Bezug genom-men. Der Wortlaut der Norm ist insoweit eindeutig, dass beiRechtsanwaltsgesellschaften die Mehrheit der Geschäftsfüh-rer Rechtsanwälte sein muss. Nach der Überzeugung des Se-nats ist es innerhalb der Grenzen einer zulässigen Auslegungnicht möglich, sich aus verfassungsrechtlichen oder unions-rechtlichen Gründen über diesen Wortlaut hinwegzusetzenund die Vorschrift dahingehend auszulegen, dass ein Mehr-heitserfordernis zugunsten der Rechtsanwälte gerade nichtbesteht.

Die von der Klägerin beabsichtigte Bestellung des Steuer-beraters J. als weiteren alleinvertretungsberechtigten Ge-schäftsführer neben dem bisherigen geschäftsführenden Ge-sellschafter F., welcher u.a. auch Rechtsanwalt ist, ist mit§ 59 f Abs. 1 Satz 2 BRAO nicht vereinbar. Rechtsanwälte wür-den nicht die Mehrheit der Geschäftsführer sein.

(dd) Die §§ 59e Abs. 2 Satz 1, 59 f Abs. 1 BRAO sind desWeiteren auch nicht wegen vorrangigen europäischen Rechtsnicht anzuwenden.

Es steht nicht zur Überzeugung des Senats fest, dass die§§ 59e Abs. 2 Satz 1, 59 f Abs. 1 BRAO im Widerspruch zuArt. 15 Abs. 2 lit. c) oder Art. 25 der Dienstleistungsrichtlinie(Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments unddes Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen imBinnenmarkt, ABI. L 376 v. 27.12.2006, S. 36) stehen.

Es ist bereits klärungsbedürftig, ob die Dienstleistungs-richtlinie auf Rechtsanwälte angesichts der sektoralen euro-päischen Richtlinien für Rechtsanwälte (Richtlinie 77/249/EWG des Rates vom 22. März 1977 zur Erleichterung der tat-sächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs derRechtsanwälte, ABI. L 78 v. 26.3.1977, S.17, zuletzt geändertdurch Richtlinie 2006/100/EG v. 20. November 2006, ABI. L363 v. 20.12.2006, S. 141; Richtlinie 98/5/EG des Europäi-schen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 1998 zur Er-leichterung der ständigen Ausübung des Rechtsanwaltsberufsin einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem die Qualifika-tion erworben wurde, ABI. L 77 v. 14.3.1998, S. 36) überhauptumfassend anwendbar ist. Das Verhältnis dieser Vorschriften

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Anwaltsrecht AnwBl Online 2019 173

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zur Dienstleistungsrichtlinie ist für den sektoralen Bereichder Rechtsanwälte nicht geklärt (BGH, Beschluss vom 16. Mai2013 – II ZB 7/11 –, NJW2013, 2674 Rn. 41 m.w.N.).

Die richtige Anwendung des Unionsrechts auf die Rechts-frage ist auch nicht derart offenkundig, dass für einen ver-nünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt. Die unmittelbareAnwendung einer Richtlinienbestimmung setzt – nebendem fruchtlosen Verstreichen der Umsetzungsfrist – voraus,dass sie klar und genau, uneingeschränkt beziehungsweisebedingungsunabhängig ist und zu ihrer Ausführung keinerweiteren Rechtsvorschriften des staatlichen Normgebers be-darf (stRspr. des EuGH, siehe u.a. EuGH, Urteil vom 5. Fe-bruar 1963 – C-26/62, Slg. 1963, 1, 25 f. – Van Gend & Loos;Urteil vom 19. Januar 1982 – C-8/81, Slg. 1982, 53 Rn. 25 –Becker; Urteil vom 29. Mai 1997 – C-389/95, Slg. 1997, 1–2719 – Klattner). Bezüglich Art. 15 Abs. 2 lit. c) und Art. 25der Dienstleistungsrichtlinie ist dies nicht der Fall.

Art. 15 der Dienstleistungsrichtlinie gibt den Mitgliedstaa-ten auf, ihre Rechtsordnung daraufhin zu überprüfen, ob siedie Aufnahme oder Ausübung einer Dienstleistungstätigkeitunter anderem von Anforderungen im Hinblick auf die Betei-ligung am Gesellschaftsvermögen (Abs. 2 lit. c)) abhängigmacht, und, ob diese Anforderung nicht diskriminierend, er-forderlich und verhältnismäßig ist (Abs. 3). Diese Richtlinien-bestimmung verbietet mithin nicht offenkundig, klar und un-bedingt die Einführung von Anforderungen an die Gesell-schaftsbeteiligung, wie sie in § 59e Abs. 2 Satz 1 BRAO ent-halten sind, sondern stellt sie unter den Vorbehalt der Diskri-minierungsfreiheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßig-keit. Es verbleibt also ein entsprechender Ausgestaltungsspiel-raum für den nationalen Normgeber.

Art. 25 Abs. 1 Satz 1 der Dienstleistungsrichtlinie gibt denMitgliedstaaten auf, sicherzustellen, dass Dienstleistungs-erbringer keinen Anforderungen unterworfen werden, welchedie gemeinschaftliche oder partnerschaftliche Ausübung un-terschiedlicher Tätigkeiten beschränken. Gleichzeitig lässtSatz 2 lit. a) einschränkende Anforderungen für Angehörigereglementierter Berufe zu, um die Einhaltung von Standes-regeln und die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit zu ge-währleisten. Auch Art. 25 der Dienstleistungsrichtlinie unter-sagt mithin nicht offenkundig, klar und unbedingt die Ein-führung von Anforderungen hinsichtlich der Anteils- undStimmrechtsmehrheit sowie der Leitungsmacht und Ge-schäftsführermehrheit in Rechtsanwaltsgesellschaften. Auchhier bleibt ein Ausgestaltungsspielraum für den nationalenNormgeber (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Mai 2013 – II ZB7/11 –, NJW 2013, 2674 Rn. 49).

2. Die Sache ist außerdem nicht gem. Art. 267 AEUV demGerichtshof der Europäischen Union vorzulegen.

Grundsätzlich besteht zwischen der Vorlage an das Bun-desverfassungsgericht gem. Art. 100 Abs. 1 GG und der Vor-lage an den Gerichtshof der Europäischen Union gem.Art. 267 AEUV keine feste Rangfolge (BVerfG, Beschlussvom 11. Juli 2006 – 1 BvL 4/00 –, BVerfGE 116, 202, 214 ff.;BVerfG, Beschluss vom 04. Oktober 2011 – 1 BvL 3/08 –,BVerfGE 129, 186, 198 ff.). Eine Vorlage an den Gerichtshofder Europäischen Union ist nur dann vorrangig durchzufüh-ren, wenn geklärt werden muss, ob die vorzulegende Normin Umsetzung eines Rechtsaktes der Europäischen Union un-ter Ausfüllung eines nationalen Umsetzungsspielraums erlas-sen wurde (BVerfG, Beschluss vom 04. Oktober 2011 – 1 BvL3/08 –, BVerfGE 129, 186, 199).

Allerdings handelt es sich bei den §§ 59e Abs. 2 Satz 1, 59 fAbs. 1 BRAO nicht um Regelungen, die in Umsetzung vonunionsrechtlicher Rechtsakten, insbesondere der Dienstleis-tungsrichtlinie von 2006, erlassen wurden. Die Vorschriftenbestehen mit dem heutigen Inhalt seit der Gesetzesfassungvom 31. August 1998 (BGBl. I S. 2600). Zwar befand sich derRegelungsinhalt des heutigen § 59e Abs. 2 Satz 1 BRAO biszur Gesetzesfassung vom 12. Dezember 2007 (BGBl. IS. 2840, 2848) in § 59e Abs. 3 Satz 1 BRAO. Durch das Gesetzvom 12.12.2007 wurde der früher geltende § 59e Abs. 2 BRAOgestrichen, der frühere § 59e Abs. 3 BRAO wurde § 59e Abs. 2BRAO. Eine inhaltliche Änderung der Vorschrift ist damitnicht erfolgt.

3. Auch der Beschluss des Bundesverfassungsgerichtsvom 14. Januar 2014, 1 BvR 2998/11 (BVerfGE 135, 90) stehteiner Vorlage nicht entgegen. Ausweislich der Entscheidungs-formel hat das Bundesverfassungsgericht die §§ 59e Abs. 2Satz 1, 59 f Abs. 1 BRAO zwar für mit Art. 12 Abs. 1 GG un-vereinbar und nichtig erklärt, diese Entscheidung aber aufden Fall begrenzt, dass die Vorschriften der Zulassung vonBerufsausübungsgesellschaften von Rechts- und Patentanwäl-ten entgegenstehen. Die nun vorgelegte Rechtsfrage wurdemithin noch nicht entschieden.

II. Der Senat ist der Überzeugung, dass die §§ 59e Abs. 2Satz 1, 59 f Abs. 1 BRAO mit Art. 12 Abs. 1 GG unvereinbarsind, soweit sie bei einer Gesellschaft mit beschränkter Haf-tung zum Zweck der gemeinsamen Berufsausübung vonRechtsanwälten und Steuerberatern zugunsten der Rechts-anwälte eine Anteils- und Stimmrechtsmehrheit sowie derenLeitungsmacht und Geschäftsführermehrheit vorschreibenund bei einer Missachtung eine Zulassung als Rechtsanwalts-gesellschaft ausschließen.

1. Die §§ 59e Abs. 2 Satz 1, 59 f Abs. 1 BRAO greifen indas Grundrecht der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG einund sind verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt.

a) Art. 12 Abs. 1 GG schützt die Berufsfreiheit, also dasRecht, eine Tätigkeit als Beruf zu ergreifen und frei aus-zuüben (BVerfG, Beschluss vom 14. Januar 2014 – 1 BvR2998/11 –, BVerfGE 135, 90 Rn. 52). Gem. § 19 Abs. 3 GGkönnen juristische Personen den Schutz der Berufsfreiheitbeanspruchen, soweit sie eine Erwerbszwecken dienende Tä-tigkeit ausüben, die ihrem Wesen und ihrer Art nach in glei-cher Weise einer juristischen wie einer natürlichen Person of-fensteht (BVerfG, Beschluss vom 14. Januar 2014 – 1 BvR2998/11 –, BVerfGE 135, 90 Rn. 53). Dies gilt auch für eineRechtsanwaltsgesellschaft, die darauf gerichtet ist, die Tätig-keit des Rechtsanwalts auszuüben.

b) Die §§ 59e Abs. 2 Satz 1, 59 f Abs. 1 BRAO greifen in dieBerufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG ein, soweit sie bei einerGesellschaft mit beschränkter Haftung zum Zweck der ge-meinsamen Berufsausübung von Rechtsanwälten und Steuer-beratern zugunsten der Rechtsanwälte eine Anteils- undStimmrechtsmehrheit sowie deren Leitungsmacht und Ge-schäftsführermehrheit vorschreiben und bei einer Missach-tung eine Zulassung als Rechtsanwaltsgesellschaft ausschlie-ßen.

Die Vorschriften versagen es einer Rechtsanwaltsgesell-schaft, neben den Rechtsanwälten auch Steuerberater oder an-dere Mitglieder sozietätsfähiger Berufe nach § 59a Abs. 1BRAO bzgl. der Geschäftsanteile und Stimmrechte paritätischzu beteiligen sowie Mitglieder dieser Berufe als alleinvertre-tungsberechtigte Geschäftsführer in gleicher Anzahl wieRechtsanwälte zu bestellen. Im Falle eines Verstoßes wird

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der Rechtsanwaltsgesellschaft die Zulassung nicht erteilt(§ 59d Nr. 1 BRAO) beziehungsweise die erteilte Zulassungwiderrufen (§ 59h Abs. 3 Satz 1 BRAO). Somit werdenRechtsanwaltsgesellschaften mit entgegenstehender Betei-ligungsform oder Geschäftsführerstruktur in ihrer Möglich-keit beschränkt, berufliche Tätigkeiten auszuüben, die nurRechtsanwälten vorbehalten sind. Sie sind nach den Regelun-gen des Rechtsdienstleistungsgesetzes sowie nach den Be-stimmungen des jeweils maßgeblichen Berufs- oder Verfah-rensrechts an der Beratung und Vertretung in allen Rechts-angelegenheiten (§ 3 Abs. 1 BRAO) gehindert (BVerfG, Be-schluss vom 14. Januar 2014 – 1 BvR 2998/11 –, BVerfGE135, 90 Rn. 55).

c) Diese Eingriffe sind nicht gerechtfertigt. In das durchArt. 12 Abs. 1 GG garantierte Grundrecht der Berufsfreiheitdarf nur auf gesetzlicher Grundlage und unter Beachtungdes Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit eingegriffen wer-den. Die §§ 59e Abs. 2 Satz 1, 59 f Abs. 1 BRAO stellen zwareine ausreichende gesetzliche Grundlage dar (aa.). Soweit siebei einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung zum Zweckder gemeinsamen Berufsausübung von Rechtsanwälten undSteuerberatern zugunsten der Rechtsanwälte eine Anteils-und Stimmrechtsmehrheit sowie deren Leitungsmacht undGeschäftsführermehrheit vorschreiben und bei einer Miss-achtung eine Zulassung als Rechtsanwaltsgesellschaft aus-schließen sind jedoch die Anforderungen an die Verhältnis-mäßigkeit eines Eingriffs nicht erfüllt (bb.).

aa) Die §§ 59e Abs. 2 Satz 1, 59 f Abs. 1 BRAO stellen eineausreichende gesetzliche Grundlage für einen Eingriff inArt. 12 Abs. 1 GG dar.

Gemäß Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG dürfen Eingriffe in dieBerufsfreiheit nur auf der Grundlage einer hinreichend er-kennbaren Regelung erfolgen, aus der sich die gesetzgeberi-sche Entscheidung über den Umfang und die Grenzen desEingriffs ergibt (BVerfG, Beschluss vom 12. Januar 2016 – 1BvL 6/13 –, BVerfGE 141, 82 Rn. 48; BVerfGE 54, 237, 245 f.;86, 28, 40). Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.Die §§ 59e Abs. 2 Satz 1, 59 f Abs. 1 BRAO schreiben für dieRechtsanwaltsgesellschaft eindeutig vor, dass die Anteils-,Stimmrechts- und Geschäftsführermehrheit jeweils beiRechtsanwälten liegen muss und diesen die Leitungsmachtüber die Gesellschaft zustehen muss. In Verbindung mit den§§ 59d Nr. 1, 59h Abs. 3 Satz 1 BRAO bilden die Vorschrifteneine Voraussetzung für die Zulassung als Rechtsanwalts-gesellschaft beziehungsweise deren Widerruf.

bb) Soweit die §§ 59e Abs. 2 Satz 1, 59 f Abs. 1 BRAO beieiner Gesellschaft mit beschränkter Haftung zum Zweck dergemeinsamen Berufsausübung von Rechtsanwälten undSteuerberatern zugunsten der Rechtsanwälte eine Anteils-und Stimmrechtsmehrheit sowie deren Leitungsmacht undGeschäftsführermehrheit vorschreiben und bei einer Miss-achtung eine Zulassung als Rechtsanwaltsgesellschaft aus-schließen sind jedoch die Anforderungen an die Verhältnis-mäßigkeit eines Eingriffs nicht erfüllt. Der Gesetzgeber ver-folgt mit den §§ 59e Abs. 2 Satz 1, 59 f Abs. 1 BRAO zwar legi-time Zwecke (1). Die Vorschriften sind auch geeignet dieseZwecke zu fördern (2). Sie sind aber nicht erforderlich umdie gesetzgeberischen Ziele zu erreichen (3).

(1) Der Gesetzgeber verfolgt mit den §§ 59e Abs. 2 Satz 1,59 f Abs. 1 BRAO legitime Zwecke.

Die §§ 59e Abs. 2 Satz 1, 59 f Abs. 1 BRAO dienen in ersterLinie dazu, in Rechtsanwaltsgesellschaften Entscheidungs-gewalt und Einfluss der gesellschaftsprägenden Berufsgruppe

der Rechtsanwälte zu wahren und hierdurch die anwaltlicheUnabhängigkeit, die berufsrechtlichen Qualifikationsanfor-derungen und die Beachtung des maßgeblichen Berufsrechtszu sichern (BVerfG, Beschluss vom 14. Januar 2014 – 1 BvR2998/11 –, BVerfGE 135, 90 Rn. 58–70).

Durch die Sicherung der Anteils- und Stimmrechtsmehr-heit sowie der Leitungsmacht und Geschäftsführermehrheitfür die Rechtsanwälte soll gewährleistet werden, dass die Ent-scheidungsgewalt bei den Rechtsanwälten liegt und diese beider Gefährdung der inneren und äußeren Unabhängigkeitder Berufsträger eingreifen können (BVerfG, Beschluss vom14. Januar 2014 – 1 BvR 2998/11 –, BVerfGE 135, 90 Rn. 60;BT-Drs. 13/9820, S. 14 f.). Im Verhältnis zu den Gesellschaf-tern und der Geschäftsführung soll dem im konkreten Fallverantwortlichen Rechtsanwalt dasselbe Maß an Unabhängig-keit und Weisungsfreiheit zustehen wie einem Anwaltssozi-us. Gleichzeitig soll auch die Unabhängigkeit der Gesellschaftgesichert werden, welche als Rechtsanwaltsgesellschaft selbstTrägerin der Zulassung ist (BVerfG, Beschluss vom 14. Janu-ar 2014 – 1 BvR 2998/11 –, BVerfGE 135, 90 Rn. 61). Die Re-gelungen zielen also auf die Sicherstellung der beruflichenUnabhängigkeit.

Mit dem Schutz der Unabhängigkeit verfolgt der Gesetz-geber einen legitimen Zweck. Die Sicherung der beruflichenUnabhängigkeit von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwältenergibt sich aus dem Gemeinwohlziel einer funktionierendenRechtspflege. Die Wahrung ihrer Unabhängigkeit ist unver-zichtbare Voraussetzung dafür, dass Rechtsanwälte als Orga-ne der Rechtspflege (§ 1 BRAO) und berufene Berater undVertreter der Rechtssuchenden (§ 3 Abs. 1 BRAO) durch ihreberufliche Tätigkeit zu einer funktionierenden Rechtspflegebeitragen. Hierbei können gerade die rechtlichen und fak-tischen Strukturen in Kapitalgesellschaften, die trotz des Zielseiner gemeinsamen Berufsausübung eine enge persönlicheKooperation der Berufsträger nicht zwingend erfordern, zuspezifischen Gefährdungen der beruflichen Unabhängigkeitführen. Der Gesetzgeber wollte dieser Gefahr begegnen.Dies zeigt sich an § 59 f Abs. 4 BRAO, wonach die Unabhän-gigkeit der Rechtsanwälte, die zu Geschäftsführern, Prokuris-ten oder Handlungsbevollmächtigten bestellt sind, bei derAusübung ihres Berufs zu gewährleisten ist und Einflussnah-men der Gesellschafter, namentlich durch Weisungen odervertragliche Bindungen, unzulässig sind. Weitergehend be-tont die Gesetzesbegründung, dass den einzelnen Berufsträ-gern innerhalb der Berufsausübungsgesellschaft dasselbeMaß an Unabhängigkeit zustehen muss wie einem Sozius inder Gesellschaft bürgerlichen Rechts oder der Partnerschaft;Vorgaben für seine Berufsausübung durch Kollegen sollennur ausnahmsweise etwa bei einem besonders haftungs-gefährdenden oder einem sonst berufsrechtswidrigen Verhal-ten zulässig sein (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Januar 2014– 1 BvR 2998/11 –, BVerfGE 135, 90 Rn. 63).

Der Schutz der beruflichen Unabhängigkeit ist auch imRecht der Steuerberater fest verankert. Nach § 57 Abs. 1StBerG haben Steuerberater und Steuerbevollmächtigte ihrenBeruf unabhängig, eigenverantwortlich, gewissenhaft, ver-schwiegen und unter Verzicht auf berufswidrige Werbungauszuüben. Sie haben sich nach § 57 Abs. 2 StBerG jeder Tä-tigkeit zu enthalten, die mit dem Beruf oder dem Ansehen ih-res Berufs nicht vereinbar ist. Sie haben sich auch außerhalbder Berufstätigkeit des Vertrauens und der Achtung würdigzu erweisen, die ihr Beruf erfordert. Diese Bestimmung giltnach § 72 Abs. 1 StBerG sinngemäß für die Steuerberatungs-

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gesellschaft sowie für Vorstandsmitglieder, Geschäftsführerund persönlich haftende Gesellschafter einer Steuerbera-tungsgesellschaft, die nicht selbst Steuerberater sind. Die be-rufliche Unabhängigkeit wird ferner durch § 32 Abs. 3 StBerGfür die Steuerberatungsgesellschaft garantiert. Danach bedür-fen Steuerberatungsgesellschaften der Anerkennung. Die An-erkennung setzt den Nachweis voraus, dass die Gesellschaftvon Steuerberatern verantwortlich geführt wird.

Zur unbeschränkten Hilfeleistung in Steuersachen sindnach § 3 Nr. 1 StBerG nur Steuerberater, Steuerbevollmächtig-te, Rechtsanwälte, niedergelassene europäische Rechtsanwäl-te, Wirtschaftsprüfer und vereidigte Buchprüfer befugt. Nach§ 3 Nr. 3 StBerG besteht diese Befugnis auch für Steuerbera-tungsgesellschaften, Rechtsanwaltsgesellschaften, Wirt-schaftsprüfungsgesellschaften und Buchprüfungsgesellschaf-ten. Diese Gesellschaften unterliegen den Berufspflichten,insbesondere der Unabhängigkeit (vgl. Glindemann, AnwBl2014, 214, 219 f.).

Durch die Sicherung der Anteils- und Stimmrechtsmehr-heit sowie der Leitungsmacht und Geschäftsführermehrheitfür die Rechtsanwälte soll des Weiteren gewährleistet werden,dass für die Rechtsanwaltsgesellschaft nur Personen bei derRechtsberatung und Vertretung tätig werden, die über die vor-geschriebene Zulassung als Rechtsanwalt verfügen. Über dieSicherung von Einfluss und Entscheidungsgewalt soll dafürSorge getragen werden, dass auch die rechtsbesorgenden Tä-tigkeiten der Gesellschaft selbst die fachlichen Qualifikations-anforderungen erfüllen (BVerfG, Beschluss vom 14. Januar2014 – 1 BvR 2998/11 –, BVerfGE 135, 90 Rn. 68). Weiterer le-gitimer Zweck ist damit die Sicherstellung der berufsrecht-lichen Qualifikationsanforderungen.

Auch im Recht der Steuerberater gelten hohe Qualifikati-onsanforderungen. Als Steuerberater darf nach § 35 Abs. 1StBerG nur bestellt werden, wer die Prüfung als Steuerberaterbestanden hat oder unter den Voraussetzungen des § 38StBerG von der Steuerberaterprüfung befreit wird, weil ereine vergleichbare Qualifikation vorzuweisen hat. Die Zulas-sung für die Steuerberaterprüfung setzt nach § 63 Abs. 1StBerG grundsätzlich den erfolgreichen Abschluss eines wirt-schaftswissenschaftlichen oder rechtswissenschaftlichenHochschulstudiums oder eines anderen Hochschulstudiumsmit wirtschaftswissenschaftlicher Fachrichtung und danacheine praktische Tätigkeit voraus.

Durch die Sicherung der Anteils- und Stimmrechtsmehr-heit sowie der Leitungsmacht und Geschäftsführermehrheitfür die an das anwaltliche Berufsrecht gebundenen Rechts-anwälte soll letztlich auch gewährleistet werden, das in derGesellschaft Entscheidungen und Maßnahmen unterlassenwerden, die dem Berufsrecht widersprechen (BVerfG, Be-schluss vom 14. Januar 2014 – 1 BvR 2998/11 –, BVerfG 135,90 Rn. 69). Insoweit ist allerdings einschränkend festzuhal-ten, dass derartige Verstöße gegen das einschlägige Berufs-recht keinesfalls zwingend infolge von Abhängigkeiten gegen-über Berufsfremden entstehen müssen (BVerfG, Beschlussvom 14. Januar 2014 – 1 BvR 2998/11, BVerfGE 135, 90Rn. 70). Ihnen kommt daher gegenüber der Sicherung beruf-licher Unabhängigkeit eine eigenständige Bedeutung zu. Auf-grund der Bindung an das eigene Berufsrecht kann die Domi-nanz der jeweils gesellschaftsprägenden Berufsträger bei denGeschäftsanteilen und Stimmrechten sowie bei der Leitungs-macht und Geschäftsführung dazu beitragen, dass deren Be-rufsrecht auch in der Gesellschaft beachtet wird. Da das Be-rufsrecht wiederum dem Funktionieren der Rechtspflege so-

wie dem Schutz der Rechtssuchenden dient, verfolgen die an-gegriffenen Vorschriften auch in dieser Hinsicht einen legiti-men Zweck.

(2) Die §§ 59e Abs. 2 Satz 1, 59 f Abs. 1 BRAO sind geeig-net, diese Zwecke zu erfüllen.

Für die Eignung reicht es aus, wenn durch die gesetzlicheRegelung der gewünschte Erfolg gefördert werden kann. Esgenügt bereits die Möglichkeit einer Zweckerreichung(stRspr. des BVerfG, siehe statt vieler BVerfG, Beschluss vom12. Januar 2016 – 1 BvL 6/13 –, BVerfGE 141, 82 Rn. 53).

Die Einführung eines Mehrheitserfordernisses bzgl. derGeschäftsanteile, Stimmrechte und Geschäftsführeranzahlsowie das Erfordernis der Leitungsmacht ist geeignet, die be-absichtigen Ziele zu fördern. Indem sichergestellt ist, dassRechtsanwälten die Mehrheit der Geschäftsanteile undStimmrechte zusteht, sie zudem die Mehrheit der Geschäfts-führer stellen und dass nur solche Geschäftsführer die Gesell-schaft allein vertreten können, die auch Rechtsanwälte sind,wird der Zweck, den Rechtsanwälten Einfluss und Entschei-dungsgewalt innerhalb der Rechtsanwaltsgesellschaft zu si-chern, erreicht. Es wird zugleich erreicht, dass Angehörige an-derer Berufe einen vergleichbaren Einfluss nicht erreichenkönnen. Die vom Gesetzgeber gewählten Voraussetzungenfür die Zulassung von Rechtsanwaltsgesellschaften sind da-mit grundsätzlich geeignet, den Schutz der beruflichen Un-abhängigkeit der handelnden Berufsträger und der Gesell-schaft sicherzustellen, die berufsrechtlichen Qualifikations-anforderungen zu sichern sowie schließlich ein Hindernisfür Entscheidungen und Maßnahmen zu schaffen, die demBerufsrecht widersprechen.

(3) Die §§ 59e Abs. 2 Satz 1, 59 f Abs. 1 BRAO sind inso-weit jedoch nicht erforderlich, um die gesetzgeberischen Zielezu erreichen.

Zur Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzeszählt die Erforderlichkeit, weil Eingriffe in Grundrechte nichtweiter gehen dürfen als das verfolgte Gesetzesziel dies erfor-dert. An der Erforderlichkeit fehlt es, wenn der Gesetzgeberhierfür ein anderes, gleich wirksames, aber das Grundrechtnicht oder weniger stark einschränkendes Mittel hätte wählenkönnen (BVerfG, Beschluss vom 14. Januar 2014 – 1 BvR2998/11 –, BVerfGE 135, 90 Rn. 74).

(a) Die §§ 59e Abs. 2 Satz 1, 59 f Abs. 1 BRAO sind – auchunter Berücksichtigung des Beurteilungs- und Prognosespiel-raums des Gesetzgebers – bei einer Gesellschaft mit be-schränkter Haftung zum Zweck der gemeinsamen Berufsaus-übung von Rechtsanwälten und Steuerberatern zum Schutzder anwaltlichen Unabhängigkeit nicht erforderlich, weil dieErreichung dieses Ziels bereits durch gesetzlich geregelte Be-rufspflichten der beteiligten Rechtsanwälte und Steuerberatersichergestellt ist. Diese zielen tätigkeitsbezogen auf konkreteVerstöße im Einzelfall und belasten damit die Berufsträgerweniger als die angegriffenen Beschränkungen des Gesell-schaftsrechts.

(aa) Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entschei-dung zum Zusammenschluss von Rechtsanwälten und Pa-tentanwälten dargelegt, dass es zum Schutz der anwaltlichenUnabhängigkeit ausreicht, wenn das jeweilige Berufsrechtder Anwälte (§ 43a Abs. 1 BRAO) beziehungsweise Patent-anwälte (§ 39a Abs. 1 PAO) das Verbot enthält, Bindungeneinzugehen, welche die berufliche Unabhängigkeit gefähr-den, und zugleich gewährleistet ist, dass diese Pflicht auchfür die Berufsausübungsgesellschaft selbst gilt (BVerfG, Be-schluss vom 14. Januar 2014 – 1 BvR 2998/11 –, BVerfGE

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135, 90 Rn. 76). Die anwaltliche Unabhängigkeit sei des Wei-teren dadurch hinreichend geschützt, dass in den § 59 f Abs. 4Satz 2 BRAO und § 52f Abs. 4 Satz 2 PAO die Einflussnahmeder Gesellschafter auf die berufliche Tätigkeit des einzelnenRechtsanwalts beziehungsweise Patentanwalts untersagt ist(BVerfG, Beschluss vom 14. Januar 2014 – 1 BvR 2998/11 –,Rn. 77). Zudem gehe von der interprofessionellen Zusam-menarbeit zwischen Rechtsanwälten und Patentanwälten kei-ne spezifische Gefährdung aus, die weitere Eingriffe in dieBerufsfreiheit rechtfertigen könnten, da keine Übergriffe indie berufliche Unabhängigkeit durch die Angehörigen der je-weils anderen Berufsgruppe zu befürchten seien. Beide Beru-fe würden sich gleichermaßen mit rechtlicher Beratung undVertretung befassen und ihnen sei aus dem eigenen Berufs-recht die große Bedeutung beruflicher Unabhängigkeit in ih-rem Aufgabenkreis bekannt. Wesentliche Abweichungen hin-sichtlich des Berufsethos und der der allgemeinen rechtlichenAusgestaltung seien nicht ersichtlich (BVerfG, Beschluss vom14. Januar 2014 – 1 BvR 2998/11 –, BVerfGE 135, 90 Rn. 78).

(bb) Diese Erwägungen lassen sich auf eine Gesellschaftmit beschränkter Haftung zum Zweck der gemeinsamen Be-rufsausübung von Rechtsanwälten und Steuerberatern über-tragen (so auch Glindemann, AnwBl 2014, 214, 219 f.; Kleine-Cosack AnwBl 2014, 221, 224; Singer, DStR-Beih 2015, 11,14 f.; Ost, DStR 2015, 442, 445 ff.; Römermann NZG 2014,481, 486; Hellwig, AnwBl 2016, 776, 777, 785; Brüggemannin: Feuerich/Weyland, BRAO, 9. Auflage 2016, § 59e Rn. 13;Bormann in: Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht,2. Auflage 2014, § 59e BRAO, Rn. 20). Auch von der interpro-fessionellen Zusammenarbeit mit einem Steuerberater gehtfür die anwaltliche Unabhängigkeit keine weitere spezifischeGefährdung aus, welche weitergehende Eingriffe in die Be-rufsfreiheit rechtfertigen könnte.

(1) Durch § 43a Abs. 1 BRAO ist es dem Rechtsanwalt ver-boten, Bindungen einzugehen, welche die berufliche Un-abhängigkeit gefährden. Gem. § 59m Abs. 2 BRAO gilt diesesVerbot auch unmittelbar für die Rechtsanwaltsgesellschaftselbst. Über § 59 f Abs. 4 Satz 2 BRAO wird ausgeschlossen,dass Gesellschafter, beispielsweise über Weisungen, auf dieberufliche Tätigkeit des einzelnen Rechtsanwalts Einflussnehmen. Insoweit genügt das Berufsrecht der Anwälte zurWahrung der anwaltlichen Unabhängigkeit, da in umfassen-der Weise solche rechtlichen wie faktischen, organisatori-schen wie nach außen wirkenden Gestaltungen von Gesell-schaftsstrukturen verboten sind, die Gefahren für die vom Ge-setz für beide Berufe vorausgesetzte Unabhängigkeit schaffenoder mit ihnen einhergehen (BVerfG, Beschluss vom 14. Ja-nuar 2014 – 1 BvR 2998/11 –, BVerfGE 135, 90 Rn. 76 f.).

Neben diesen gesetzlichen Bestimmungen ist ergänzendnoch auf die Verpflichtungen des Rechtsanwalts in der Be-rufsordnung (BORA) hinzuweisen, die das Bundesverfas-sungsgericht in seinem Beschluss zum Sozietätsverbot vonRechtsanwälten und Ärzten oder Apothekern zur Wahrungder anwaltlichen Unabhängigkeit herangezogen hat (BVerfG,Beschluss vom 12. Januar 2016 – 1 BvL 6/13 –, BVerfGE 141,82 Rn. 88). Nach § 30 Satz 1 BORA darf sich ein Rechtsanwaltmit Angehörigen anderer Berufe nur dann zu einer gemein-schaftlichen Berufsausübung verbinden, wenn diese bei ihrerTätigkeit das anwaltliche Berufsrecht beachten. Da die Ange-hörigen anderer Berufe nicht unmittelbar Normadressatender Berufsordnung der Rechtsanwälte und damit des anwalt-lichen Berufsrechts sind, wird die Vorschrift so verstanden,dass der Rechtsanwalt verpflichtet ist, seine nicht anwalt-

lichen Partner anzuhalten, dass diese bei ihrer Tätigkeit inder Berufsausübungsgemeinschaft das anwaltliche Berufs-recht beachten. Lassen sich die nichtanwaltlichen Partner hie-rauf nicht ein, darf der Rechtsanwalt die Partnerschaft nichteingehen oder fortsetzen, ohne seine berufsrechtlichenPflichten zu verletzen und deshalb Sanktionen befürchten zumüssen. Weiter bestimmt § 33 Abs. 2 BORA, dass jederRechtsanwalt bei beruflicher Zusammenarbeit gleich welcherForm zu gewährleisten hat, dass die Regeln der Berufsord-nung der Rechtsanwälte auch von der damit geschaffenen Or-ganisation eingehalten werden. Der anwaltliche Partner hatdanach das ihm Mögliche zu tun, um berufswidriges Verhal-ten der Berufsausübungsgemeinschaft zu beenden. Hierzuzählt auch die Verpflichtung, sich gegen Beeinträchtigungender anwaltlichen Unabhängigkeit gegenüber den Partnern ak-tiv zur Wehr zu setzen. Diese verhaltensbezogenen Pflichtensind grundsätzlich ausreichend, um Gefahren für die anwalt-liche Unabhängigkeit in der Rechtsanwaltsgesellschaft ent-gegenzuwirken (Hellwig, AnwBl 2016, 776, 781).

(2) Steuerberater sind berufsrechtlich ebenfalls verpflich-tet, die Unabhängigkeit zu wahren.

Es handelt sich bei Steuerberatern ebenfalls um Angehöri-ge eines freien Berufs, die aufgrund ihrer eigenen Berufsord-nung verpflichtet sind, Unabhängigkeit zu wahren. Vor die-sem Hintergrund sind abstrakte Grenzen der Zusammen-schlussfreiheit, die an die gesellschaftsrechtliche Struktur an-knüpfen, zur Vermeidung möglicher Übergriffe in die anwalt-liche Unabhängigkeit nicht erforderlich. Steuerberater übeneinen Beruf aus, der in seinen wesentlichen Strukturen ähn-lich ist wie der Anwaltsberuf. In seinem Beschluss vom4.7.1989 zum Sozietätsverbot von Anwaltsnotaren mit Nur-Steuerberatern (1 BvR 1460/85, 1239/87 –, BVerfGE 80, 269,280 ff.) hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, dassdie Steuerberatung ein Ausschnitt der Tätigkeit des Rechts-anwalts ist. Abgesehen davon, dass die Steuerberatung einTeil der Rechtsberatung sei, seien Stellung und Organisationbeider Berufsstände vergleichbar. Für beide sei anerkannt,dass sie neben der Interessenvertretung eine unabhängige Or-ganstellung in der (Steuer-)Rechtspflege einnähmen. SowohlRechtsanwälte wie auch Steuerberater seien in Kammern zu-sammengeschlossen, die im Rahmen der ihnen eingeräum-ten Selbstverwaltung die Einhaltung der beruflichen Pflichtenüberwachen. Daneben seien sie gleichermaßen einer Berufs-gerichtsbarkeit unterworfen. Die Standespflichten seien über-wiegend parallel geregelt und würden sich weitgehend de-cken. Die Erwägung, dass eine strengere Berufsauffassungder Rechtsanwälte bestehe und auf eine gleichzeitig ausgeüb-te Steuerberatertätigkeit durchschlagen könnte, hat das Bun-desverfassungsgericht als nicht stichhaltig eingestuft. Damitentbehrte auch die Erwartung der Grundlage, bei der Sozietätmit einem Rechtsanwalt-Steuerberater könnte es zu wenigerKonfliktlagen kommen als bei derjenigen mit einem Nur-Steuerberater. Diese Erwägungen des Bundesverfassungs-gerichts lassen sich dahingehend deuten, dass es bei einer Be-rufsausübungsgesellschaft von Rechtsanwälten und Steuer-beratern keine stichhaltigen Gründe für das Bestehen „abs-trakter Gefährdungslagen“ gibt, denen durch strukturelle Re-gelungen wie der Anteils- und Stimmrechtsmehrheit sowieder Leitungsmacht und Geschäftsführermehrheit für Rechts-anwälte begegnet werden müsste. Im Beschluss vom 8.4.1998(1 BvR 1773/96 –, BVerfGE 98, 49, 62) zum Sozietätsverbotvon Anwaltsnotaren und Wirtschaftsprüfern hat das Bundes-verfassungsgericht diese Erwägungen nochmals bestätigt.

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Auch dem Steuerberater ist die große Bedeutung der Un-abhängigkeit aus dem eigenen Berufsrecht bekannt. § 57Abs. 1 StBerG schreibt vor, dass Steuerberater ihren Beruf un-abhängig, eigenverantwortlich, gewissenhaft, verschwiegenund unter Verzicht auf berufswidrige Werbung auszuübenhaben. Gem. § 57 Abs. 2 Satz 1 StBerG hat sich der Steuer-berater jeder Tätigkeit zu enthalten, die mit seinem Berufoder mit dem Ansehen des Berufs nicht vereinbar ist. Gem.§ 2 Abs. 2 BOStB dürfen Steuerberater keine Bindungen ein-gehen, die ihre berufliche Entscheidungsfreiheit gefährdenkönnen. Diese Bestimmungen gelten nach § 72 Abs. 1 StBerGsinngemäß für die Steuerberatungsgesellschaft selbst sowiefür Vorstandsmitglieder, Geschäftsführer und persönlich haf-tende Gesellschafter einer Steuerberatungsgesellschaft, dienicht selbst Steuerberater oder Steuerbevollmächtigte sind.

Diese gesetzliche Verpflichtung des Steuerberaters zurunabhängigen Berufsausübung soll gewährleisten, dass derSteuerberater seine Aufgaben frei von sachfremden Einflüs-sen erfüllt. Sie dient damit dem Interesse des Mandanten aneiner optimalen Wahrnehmung seines Mandats und dem öf-fentlichen Interesse an einer funktionsfähigen Steuerrechts-pflege (Willerscheid, DStR 2018, 635, 636). Sie verlangt ins-besondere auch die Freiheit der Steuerberatung von allen Bin-dungen, die die berufliche Entscheidungsfreiheit beeinträch-tigen und dazu führen können, dass die Steuerberatung sichan anderen Vorgaben als dem rechtlichen Rahmen und demVorrang des Mandanteninteresses ausrichtet (BVerwG, Urteilvom 7. Dezember 2016 – 10 C 1.15 –, BVerwGE 156, 392,Rn. 21).

Das Berufsrecht der Steuerberater stimmt mit demjenigender Rechtsanwälte hinsichtlich der Bestimmungen zur Wah-rung beruflicher Unabhängigkeit mithin überein. Beiden istes untersagt, Bindungen eingehen, die ihre berufliche Un-abhängigkeit und Entscheidungsfreiheit gefährden können.

(3) Auch im Übrigen gleichen sich die Berufe des Rechts-anwalts und des Steuerberaters derart, dass ein weitergehen-der Schutz der anwaltlichen Unabhängigkeit über die Re-gelungen des Berufsgesellschaftsrechts nicht erforderlich ist.

Die Tätigkeit der Steuerberatung ist ein bloßer Ausschnittder Tätigkeit des Rechtsanwalts, dessen Aufgabenfeld umfas-sender gestaltet ist (BVerfG, Beschluss vom 4. Juli 1989 –1 BvR 1460/85 –, Rn. 41, juris). Auch die Stellung und Orga-nisation beider Berufsstände ähneln sich in ihrer Ausgestal-tung (BVerfG, Beschluss vom 4. Juli 1989 – 1 BvR 1460/85 –,BVerfGE 80, 269, 280). Während der Rechtsanwalt ein un-abhängiges Organ der Rechtspflege ist (§ 1 BRAO) gilt dassel-be für den Steuerberater mit Blick auf die Steuerrechtspflege(§ 1 Abs. 1 BOStB). Beide Berufe sind in Kammern zusam-mengeschlossen und der Berufsgerichtsbarkeit unterworfen,sodass im Rahmen der Selbstverwaltung die Einhaltung derBerufspflichten überwacht wird. Auch die Berufspflichtensind in den §§ 57ff. StBerG und §§ 43 ff. BRAO überwiegendparallel geregelt (BVerfG, Beschluss vom 4. Juli 1989 – 1 BvR1460/85 –, BVerfGE 80, 269, 281). Der Beruf des Steuerbera-ters gleicht dem Beruf des Rechtsanwalts letztlich auch durchseine Eigenschaft als freier, gehobener Beruf, der eine aka-demische Ausbildung voraussetzt und daher nicht geringwer-tiger eingeschätzt werden kann (BVerfG, Beschluss vom 4. Ju-li 1989 – 1 BvR 1460/85 –, BVerfGE 80, 269, 281 mit Verweisauf BGH, Beschluss vom 1. Dezember 1969 – NotZ 7–8/69 –,BGHZ 53, 103, 110).

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschlussvom 14.1.2014 zur Zulassung von Berufsausübungsgesell-

schaften von Rechts- und Patentanwälten im Vergleich der je-weiligen Berufsordnungen auch darauf abgestellt, dass imRecht der Patentanwälte mit § 52 f Abs. 4 Satz 2 PAO einemit § 59 f Abs. 4 Satz 2 BRAO vergleichbare Vorschrift exis-tiert, die Einflussnahmen der Gesellschafter auf die berufli-che Tätigkeit des einzelnen Rechtsanwalts oder Patentanwaltsuntersagt. Unzulässige Einflussnahmen seien deshalb sankti-onswerte Berufungspflichtverletzungen (BVerfGE 135, 90,119 Rn. 77). Eine dem § 59 f Abs. 4 Satz 2 BRAO vergleichbareVorschrift gibt es für die Steuerberatungsgesellschaft nicht.Daraus folgt allerdings nicht, dass die strukturellen Mehr-heitserfordernisse erforderlich wären, um unzulässige Ein-flussnahmen von Steuerberatern auf die in der Gesellschafttätigen Rechtsanwälte zu verhindern. Die gesetzliche Bestim-mung des § 59 f Abs. 4 BRAO gilt unmittelbar für die Rechts-anwaltsgesellschaft, sie stellt die Unabhängigkeit der handeln-den Rechtsanwälte gegenüber Weisungen der Geschäftsfüh-rer oder Gesellschafter auch dann sicher, wenn es entspre-chende ausdrückliche Regelungen für die Steuerberatungs-gesellschaft nicht gibt. Im Übrigen bezog sich der Beschlussdes Bundesverfassungsgerichts vom 14.1.2014 auf eine Ge-sellschaft in Gründung, die eine doppelte Zulassung alsRechtsanwaltsgesellschaft und als Patentanwaltsgesellschaftanstrebte und entsprechende Zulassungsanträge bei den zu-ständigen Berufskammern gestellt hatte. Aus diesen Gründenhat das Bundesverfassungsgericht auch auf die Vergleichbar-keit der Berufsrechte der Rechtsanwälte und Patentanwälteabgestellt. Damit lässt sich aus dem Beschluss vom 14.1.2014nicht ableiten, dass strukturelle Mehrheitserfordernisse nurdann nicht erforderlich sind, wenn die vollständige Vergleich-barkeit der Berufsrechte gegeben ist (so auch Hellwig, AnwBl2016, 776, 782). Entscheidend für die hier vorliegende Fra-gestellung ist, ob die anwaltliche Unabhängigkeit in derRechtsanwaltsgesellschaft durch für die Rechtsanwaltsgesell-schaft geltende tätigkeitsbezogene Vorschriften gewährleistetist. Dies ist wie ausgeführt der Fall.

(b) Die Regelungen in den §§ 59e Abs. 2 Satz 1, 59 f Abs. 1BRAO sind bei einer Gesellschaft mit beschränkter Haftungzum Zweck der gemeinsamen Berufsausübung von Rechts-anwälten und Steuerberatern auch zur Sicherung der rechts-anwaltlichen Qualifikationsanforderungen nicht erforderlich,weil für die Erreichung dieses Ziels das Berufsrecht ebenfallsweniger belastende, aber gleichermaßen geeignete Mittel be-reithält.

Zur Wahrung dieses Ziels genügt bereits der umfassendeBerufsträgervorbehalt in § 59 l Satz 3 BRAO, welcher sicher-stellt, dass auch in interprofessionellen Berufsausübungs-gemeinschaften sämtliche rechtsbesorgende Dienstleistun-gen stets nur von Berufsträgern erbracht werden dürfen, diein ihrer Person die gesetzlichen Voraussetzungen für dieseTätigkeit erfüllen (BVerfG, Beschluss vom 14. Januar 2014 –1 BvR 2998/11 –, BVerfGE 135, 90 Rn. 81–85).

Gem. § 59 l Satz 3 BRAO handelt die Rechtsanwaltsgesell-schaft bei der Vertretung vor Gerichten und Behörden als Pro-zess- und Verfahrensbevollmächtigte durch ihre Organe undVertreter, in deren Person die für die Erbringung rechtsbesor-gender Leistungen gesetzlich vorgeschriebenen Vorausset-zungen im Einzelfall vorliegen müssen. Hierdurch bleibt dietatsächliche rechtsbesorgende Tätigkeit nur solchen Berufs-trägern vorbehalten, die zur Rechtsanwaltschaft zugelassensind und damit die in § 4 BRAO bestimmten Qualifikations-erfordernisse in eigener Person erfüllen müssen (BVerfG, Be-schluss vom 14. Januar 2014 – 1 BvR 2998/11 –, BVerfGE 135,

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90 Rn. 82). Bei einer GmbH bedeutet dies, dass der handeln-de Rechtsanwalt Geschäftsführersein muss (§ 35 Abs. 1GmbHG).

Der Berufsträgervorbehalt des § 59I Satz 3 BRAO erfasstseinem Wortlaut nach zwar nur die Vertretung vor Gerichtenund Behörden als Prozess- und Verfahrensbevollmächtigte, erist jedoch auch auf reine Beratungsmandate anwendbar(BVerfG, Beschluss vom 14. Januar 2014 – 1 BvR 2998/11 –,BVerfGE 135, 90 Rn. 83 m.w.N.).

Über den Berufsträgervorbehalt hinaus bedarf es daherkeines weiteren Schutzes der rechtsanwaltlichen Qualifikati-onsanforderungen, wie er in den §§ 59e Abs. 2 Satz 1, 59 fAbs. 1 BRAO durch die vorgeschriebene Anteils-, Stimm-rechts und Geschäftsführermehrheit sowie die Leitungsmachtvorgesehen ist (BVerfG, Beschluss vom 14. Januar 2014 –1 BvR 2998/11 –, BVerfGE 135, 90 Rn. 85).

(c) Die §§ 59e Abs. 2 Satz 1, 59 f Abs. 1 BRAO sind bei ei-ner Gesellschaft mit beschränkter Haftung zum Zweck dergemeinsamen Berufsausübung von Rechtsanwälten undSteuerberatern auch für den Schutz vor berufsrechtswidrigemHandeln nicht erforderlich.

Die §§ 59e Abs. 2 Satz 1, 59 f Abs. 1 BRAO sind für die Er-reichung dieses Ziels nicht das mildeste Mittel. Es ist nicht er-forderlich, dass in die inneren Strukturen der Berufsaus-übungsgesellschaft eingegriffen wird. Vielmehr stellt sicheine persönliche Bindung sämtlicher Berufsträger an das fürdie Gesellschaft maßgebliche Berufsrecht als milderes Mitteldar, welches zudem unmittelbar an den berufsrechtlichenPflichten ansetzt und somit zumindest gleich geeignet undmöglicherweise sogar wirksamer ist (BVerfG, Beschluss vom14. Januar 2014 – 1 BvR 2998/11 –, BVerfGE 135, 90 Rn. 87 f.).Eine solche unmittelbare Bindung sämtlicher Berufsträger andas für die Gesellschaft maßgebliche Berufsrecht hat sichauch für andere Berufsausübungsgesellschaften bewährt(BVerfG, Beschluss vom 14. Januar 2014 – 1 BvR 2998/11 –,BVerfGE 135, 90 Rn. 88 mit Verweis auf § 56 Abs. 1 WPOund § 72 Abs. 1 StBerG).

Die Erforderlichkeit der Bestimmungen für Anteils- undStimmrechtsmehrheiten sowie Geschäftsführermehrheitenfür Rechtsanwälte in Rechtsanwaltsgesellschaften lässt sichschließlich nicht mit dem Argument begründen, dass esohne diese Bestimmungen theoretisch Rechtsanwaltsgesell-schaften geben könnte, in denen kein Rechtsanwalt mehr anverantwortlicher Position als Geschäftsführer tätig ist. Einesolche Konstellation ist schon nach geltendem Recht nichtmöglich. Nach § 59 i BRAO muss die Rechtsanwaltsgesell-schaft an ihrem Sitz eine Kanzlei unterhalten, in der verant-wortlich zumindest ein geschäftsführender Rechtsanwalt tätigist, für den die Kanzlei den Mittelpunkt seiner beruflichen Tä-tigkeit bildet. Liegt diese Voraussetzung nicht vor, ist die Zu-lassung nach § 59h Abs. 3 BRAO zu widerrufen. Nach demBerufsträgervorbehalt des § 59 l BRAO in der Auslegung desBundesverfassungsgerichts ist die Rechtsanwaltsgesellschaftaußerdem in der Rechtsberatung und -vertretung nur hand-lungsfähig, wenn ein Geschäftsführer Rechtsanwalt ist.

2. Eine weitergehende Unvereinbarkeit der §§ 59e Abs. 2Satz 1, 59 f Abs. 1 BRAO mit Art. 3 Abs. 1 GG steht nicht zurÜberzeugung des Senats fest.

Während in der Literatur eine gegen den allgemeinenGleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstoßende Ungleichbe-handlung darin gesehen wird, dass die §§ 59e Abs. 2 Satz 1,59 f Abs. 1 BRAO zwar für die Rechtsanwaltsgesellschaft Vor-gaben bezüglich einer Anteils- und Stimmrechtsmehrheit so-

wie einer Leitungsmacht und Geschäftsführermehrheit zu-gunsten von Rechtsanwälten vorsehen, ähnliche Regelungenaber für Personengesellschaften nicht bestünden (so u.a. Klei-ne-Cosack, AnwBl 2014, 221, 224), hält der Senat diese Un-gleichbehandlung für gerechtfertigt. Für diese unterschiedli-che Behandlung liegt ein sachlicher Grund vor. Dieser liegtdarin, dass die Rechtsanwaltsgesellschaft gem. § 59c Abs. 1BRAO, anders als die Sozietät oder die Partnerschaftsgesell-schaft, selbst zur Rechtsanwaltschaft zugelassen wird (BGH,Urteil vom 10. Oktober 2011 – AnwZ (Brfg) 1/10 –, NJW 2012,461 Rn. 23).

Der Aussetzungs- und Vorlagebeschluss ist unanfechtbar(Lenz/Hansel, BVerfGG, 2. Auflage 2015, § 80 Rn. 10).

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