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Vortrag: Trösten – nicht vertrösten 1. Februar 2017, Gemeindehaus Blankenese Vernissage Ausstellung TROST 45 Sehr verehrte Damen und Herren, die Ausstellung TROST 45 zeigt Geschichte – politische Geschichte Europas wie sie sich auf Geschichte von einzelnen Menschen langwierig ausgewirkt hat. Tiefe Verletzungen, Leid, Schmerz, Trauma – verursacht durch schreckliche persönliche Erfahrungen – was konnte diesen Erfahrungen etwas entgegensetzen und neues Leben eröffnen? – kurz: was war ihr Trost? Diese Bilder der Ausstellung sollen heute Abend Anregung sein, grundsätzlicher über das Thema „Trost“ nachzudenken. Und wenn wir dies tun, dann müssen wir ausgehen von persönlicher Lebensgeschichte, von Leiderfahrungen, die wir selber durchlebt oder mit anderen erlebt haben. Darum zu Beginn: 3 kurze Schicksale: 1. Eine Frau stirbt mit 96 Jahren – im Beerdigungsgespräch kommt ihre lange und reiche Geschichte zur Sprache – und ihr größter Verlust. Die Liebe ihres Lebens hat sie als ganz junge Frau verloren, er war Soldat und fiel vor Stanlingrad, kam nie zu ihr und zu ihrer gemeinsamen Tochter zurück. – Sie fing ein anderes Leben an, heiratete und bekam zwei weitere Kinder. Sie war nicht unglücklich mit diesem Leben, ein fröhliches, harmonisches Familienleben, erzählen die Kinder. Aber der Schmerz des Verlustes blieb. „Und dann hat sie spät ihren Frieden damit gefunden.“, erzählt die Tochter, die gemeinsam mit ihr, als sie weit über 80 Jahre alt ist, nach St. Petersburg reist. Und sie findet den Ort, wo sein Name geschrieben steht. Lange verweilt sie dort und meditiert diesen Namen. Mit dem Besuch an dem Ort des Namens schließt sich ein Blutig-offener Kreis ihres Lebens und ihr Schmerz findet tiefgreifend Trost. 2. Die Geschichte einer noch jungen Frau, voller Lebenskraft, ein Bündel Hoffnung, aufgeregt vom Leben, weil es so spannend ist, tiefe Freude strahlt sie aus und Lust am Experimentieren. Zwei wunderbare Kinder, mit denen sie so glücklich ist. Die chronische Krankheit ihrer Tochter scheint sie selbstverständlich anzunehmen und ihrer unbändigen Hoffnung einzuverleiben. Und dann trifft es sie selbst: Krebs. Sie bleibt unbeirrt hoffnungsvoll und lebendfreudig. Zweifel spürt man ihr nicht ab. Auf meine Frage, wie sie es hinbekommt so stark zu bleiben, antwortet sie: weil ich Menschen mit mir habe, bei denen ich still und heimlich ganz schwach sein kann, ich lasse mich fallen und werde wunderbar aufgefangen – und das tröstet mich sehr. 3. Ein 18-jähriges Mädchen wird von einem Lastwagen erfasst, der Fahrer hat sie beim Rechts-Abbiegen nicht gesehen, wie sie mit ordentlich Schwung auf dem Radweg daherkam, es musste schnell gehen, die Schule sollte bald beginnen. Sie kommt samt Fahrrad unter die großen Räder. Alle Versuche der Rettungskräfte,

Vortrag: Trösten – nicht vertrösten · Die Wortfamilie „Trost, trösten, getröstet werden“ ist nicht mehr sehr geläufig in unserer Alltagssprache – obwohl, und ... Ich

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Vortrag:Trösten–nichtvertrösten1.Februar2017,GemeindehausBlankenese

VernissageAusstellungTROST45SehrverehrteDamenundHerren,dieAusstellungTROST45zeigtGeschichte–politischeGeschichteEuropaswiesiesichaufGeschichtevoneinzelnenMenschenlangwierigausgewirkthat.TiefeVerletzungen,Leid,Schmerz,Trauma–verursachtdurchschrecklichepersönlicheErfahrungen–waskonnte diesen Erfahrungen etwas entgegensetzen und neues Leben eröffnen? – kurz:was war ihr Trost? Diese Bilder der Ausstellung sollen heute Abend Anregung sein,grundsätzlicher über das Thema „Trost“ nachzudenken. Undwennwir dies tun, dannmüssenwirausgehenvonpersönlicherLebensgeschichte,vonLeiderfahrungen,diewirselberdurchlebtodermitanderenerlebthaben.DarumzuBeginn:3kurzeSchicksale:

1. EineFraustirbtmit96Jahren–imBeerdigungsgesprächkommtihrelangeundreicheGeschichtezurSprache–undihrgrößterVerlust.DieLiebeihresLebenshatsiealsganzjungeFrauverloren,erwarSoldatundfielvorStanlingrad,kamniezuihrundzuihrergemeinsamenTochterzurück.–SiefingeinanderesLebenan, heiratete und bekam zwei weitere Kinder. Sie war nicht unglücklich mitdiesemLeben,ein fröhliches,harmonischesFamilienleben,erzählendieKinder.AberderSchmerzdesVerlustesblieb.„UnddannhatsiespätihrenFriedendamitgefunden.“,erzähltdieTochter,diegemeinsammitihr,alssieweitüber80Jahrealt ist, nach St. Petersburg reist. Und sie findet den Ort, wo sein Namegeschriebensteht.LangeverweiltsiedortundmeditiertdiesenNamen.MitdemBesuch an dem Ort des Namens schließt sich ein Blutig-offener Kreis ihresLebensundihrSchmerzfindettiefgreifendTrost.

2. DieGeschichteeinernochjungenFrau,vollerLebenskraft,einBündelHoffnung,

aufgeregt vom Leben,weil es so spannend ist, tiefe Freude strahlt sie aus undLust amExperimentieren. ZweiwunderbareKinder,mit denen sie so glücklichist. Die chronische Krankheit ihrer Tochter scheint sie selbstverständlichanzunehmenund ihrerunbändigenHoffnungeinzuverleiben.Unddann trifftessie selbst: Krebs. Sie bleibt unbeirrt hoffnungsvoll und lebendfreudig. Zweifelspürt man ihr nicht ab. Auf meine Frage, wie sie es hinbekommt so stark zubleiben, antwortet sie:weil ichMenschenmitmirhabe, bei denen ich still undheimlich ganz schwach sein kann, ich lassemich fallen undwerdewunderbaraufgefangen–unddaströstetmichsehr.

3. Ein18-jährigesMädchenwirdvoneinemLastwagenerfasst,derFahrerhat sie

beim Rechts-Abbiegen nicht gesehen, wie siemit ordentlich Schwung auf demRadwegdaherkam,esmussteschnellgehen,dieSchulesolltebaldbeginnen.SiekommtsamtFahrradunterdiegroßenRäder.AlleVersuchederRettungskräfte,

sie zu retten misslingen, sie stirbt auf dem Weg ins Krankenhaus. – In derBegleitung ihrer Eltern fällt mir auf, dass sie alles Tröstliche, was ihnen vonvielenMenschenentgegenkommt, aufsaugen, ja förmlich suchen. Sieüberseheneinfach,wassiebittermachenkönnte. IneinemGesprächkommenwiraufdenLKW-Fahrer zu sprechen und siewehren sich gegen jede Schuldzuweisung amTodihrerTochter.„Erhatsienichtgesehen.“,sagtderVater,„IchbinselberLKWgefahren,ichweiß,erhatsienichtgesehen.“–DerVaterbesuchtdenFahrer,willihmsagen,dasssieihmnichtbösesind.Sieredenmiteinander,sindganzehrlichund offen, erzählen sich, was in ihnen vorgeht. In dieser unmittelbarenBegegnung des Vaters, dessen Tochter vom Lastwagen überfahren wurde, mitdemFahrer,derdenLastwagensteuerte,erfahrenbeideTrost.

Soweit die drei Geschichten von Trosterfahrungen. Ein Grundsatz zu diesemschwierigen Thema vorweg – und dafür sollen die Geschichten stehen: Trost ist vorallem Trosterfahrung, die im Rückblick gedanklich gedeutet und verstanden werdenkann. Intellektueller, gedachter Trost, auch theologischer, wird schnell zu einerhaltlosen Vertröstung, weil er zwar Richtigkeiten formulieren und aussprechen kann,aberderganzindividuellenTrostbedürftigkeitkeineRechnungträgt.Ein markantes Beispiel der Bibel dafür sind Hiob und seine drei Freunde, die mitsauberentheologischenDarlegungen,diedertheologischenTraditionundLehrmeinungvoll genügen, doch keinerlei Trost spenden können. Sie erreichen den Hiob nicht, imGegenteil,erfühltsichinseinemLeidnichternstgenommen–derTrostgehtvollnachhintenlos.Übrigens:DieHiob-GeschichteinihrerDynamikinsgesamtkannwunderbarals Geschichte zumTrost gelesenwerden. Ich habemich aber gegen dieseGeschichteentschieden,dainderbegrenztenZeitsonstkeineanderenAspektezumThemamöglichwären.Zunächst: Was meinen wir, wenn wir von Trost sprechen? In welchenBedeutungszusammenhängen bewegen wir uns? Die Wortfamilie „Trost, trösten,getröstetwerden“istnichtmehrsehrgeläufiginunsererAlltagssprache–obwohl,unddazu kommenwir dann später – das Erleben/ Nichterleben von Trost die Menschenauchheutesehrunmittelbarbetrifft.DasdeutscheWortTrostkommtetymologischvonderWurzelderuoderdreuundhatdieBedeutung„Kernholz“,„Festigkeit“,auch„Baum“,„Eiche“ und „Verlässlichkeit“ sind nächstliegende Bedeutungen. Verwandt damit dieWorte „treu“ und „Treue“, „trauen“ und „Vertrauen“. Trost kann in diesemGesamtzusammenhang sowohl eine passive Empfindung von Vertrauen, Festigkeit,Hoffnung bedeuten, als auch eine aktive Gewährung/Empfangen von Festigkeit durchdieTatbedeuten.SchondiesesprachlicheAnnäherungandasdeutscheWortTrost istüberausaufschlussreich.Doch möchte ich diesen Kreis noch erweitern, indem ich versuche, den biblischenSprachzusammenhang zu erhellen. In der Hebräischen Bibel wird in sehrunterschiedlichen Zusammenhängen von Trost und Tröstung gesprochen sowohl von

MenschendieeinandertröstenalsauchvonGott,derMenschenTrostgibtoderist.DiehebräischenWortebasierengrundsätzlichaufeinerdreikonsonantigenWurzel,vonderjeweilseingrößererBedeutungszusammenhangabgeleitetwerdenkann,derm.E.nichtseltensinnerhellendfüreintieferesVerständniseinesZusammenhangesseinkann.In diesem Fall finden sich neben „Trost, trösten, sich trösten (lassen)“ auch dieBedeutungen: „Mitleid, Zornbesänftigung, Reue, sich gereuen lassen und Rache“. DieGrundbedeutungaber,diesichauchimArabischenbelegenlässt,ist„heftigatmen,Luftschnappen, schnaufen, aufseufzen“ und auch „wieder atmen können, aufatmen,durchatmen“ – Hier liegt die Vorstellung zu Grunde, dass nach einer Atemnot oderAtemerregung,derruhigeundregelmäßigeAtemwiedergefundenwird.InderBibelistLebenAtem,dieNäfäsch,dieSeele,atmet–nichtdieLunge,dieSeele.GotthauchtdemMenschenAtemeinundwecktihnsozumLeben.SchöpfungspendetAtem,ermöglichtso Leben. Wenn Trost in diesem Zusammenhang verstanden und interpretiert wird,dann istTrostechteWiederbelebung.Wergetröstetwird, erfährtHilfeundKraft zumAufatmenundzumLeben.TrostlosigkeitbedeutetAtemnot,akuteLebensbedrohung.ImGriechischendesNeuenTestamentesistTrostParaklese,alsodasgleicheWort,dasauch für „Ermahnung“ oder „Ermunterung“ gebraucht wird. Wenn in denneutestamentlichen Briefen, meistens im Schluss-Drittel nach grundsätzlichentheologischen Ausführungen die Folgerungen für die Handlungsweisen der Christendarausentwickeltwerden,dannstehthieroftdiesesWortParaklese.Etwasvereinfachtgesagt: Der Glaube an Christus ist Zuspruch und Anspruch zugleich, Imperativ undIndikativ, Ermahnung und Trost. Natürlich gibt es Stellen, an denen die Bedeutung„Trost“ eindeutig ist, aber in der Wortbedeutung ist diese Spannung angelegt. TrostermuntertzuneuemLeben,ermahntzusorgsamen,aufmerksamenLeben.Dieses gilt es nun theologisch zu entfalten, indem wir bei einigen Texten der Bibelgenauer hinsehen. Das Thema Trost begegnet in der Bibel im Kontext von Trauer,Schmerz, Wut und Verzweiflung insbesondere angesichts von Verlust- undLeiderfahrung. Die Erfahrungen sind so tiefgreifend, dass es wirklich alslebensbedrohlich erlebt wird. Vertröstungen sind entweder gar nicht zu finden oderwerden–wieimFalledesHiobalssolchebenannt,auchdiefalschenProphetenwerdender Vertröstung bezichtigt. Um die Dimension zu erfassen, in der Trost biblischverstandenwird,solleinMotivhelfen,dasssichverschiedentlichinderBibelfindet:dieUntröstlichkeit.Als Jakob die Nachricht vom Tod seines Sohnes Josef überbracht bekommt, derangeblichvonwildenTierenangefallenundgefressenwordensei,vollziehterzwardieüblichen Trauerriten, weigert sich aber, sich trösten zu lassen, wie es in Genesis 37wörtlich heißt. Er weigert sich den Tod seines Sohnes, ein Teil seines Lebens, seinerPerson,hinzunehmenundzumLebenzurückzukehren.Jakobverbleibtgewissermaßenin der Atemnot. Der einzige Trostwäre für ihn, so sagt er selbst, zu seinem Sohn insTotenreichhinabzusteigen.DiesesMotiv findet sich auch an anderer Stelle u.a. inden

Psalmen. Im Gebet vor Gott verweigert der Beter, sich trösten zu lassen, weil derSchmerzüberVerlustundLeiderfahrungzugroßist–ervermagnichtaufgehobenundaufgewogen zu werden. Hier wird vielleicht sehr deutlich, wie derBedeutungszusammenhangReue,ZornbesänftigungundRachemitTrostinVerbindungkommt.Es gibt Leiderfahrungen, die verursacht sind, z.B. Menschenleben, die durchpersönlichesVerschuldenausgelöschtwerden,AngehörigebleibenzurückmiteineroftunheilvollenMischung ausTrauer undWut, aus Leere undRachegefühlen.UndbevordieserTodnichtgesühntist,kommtTrostnichtinBetrachtodernichtzurWirkung,dieSeele nicht zurRuhe, zumDurchatmen, geschweigedennAufatmen. Ich könnte IhnenmanchekonkretenBeispieleausderSeelsorgeerzählen,wodieWeigerungsichtröstenzulassenimMittelpunktsteht.Auchjene,diewiederundwiedergebetsmühlenartigvonihrentraumatischenErfahrungendesKriegesberichten–auchdarinfindetsichnebenverzweifeltemVersuch, zu verarbeiten, auchdasMoment, sichnicht trösten lassen zuwollen oder vielmehr zu können. Trost braucht auch immer die Versöhnungmit derkonkretenGeschichte–zumindesteinenWegdahin.

MUSIKImAltenTestamentkönnenwirjaimmergrundsätzlichzweiLinienunterscheiden:aufdereinenSeitedasKollektivdesVolkesIsrael,dessenGeschichtealseinemitdemGottJHWHerzähltwird.AufderanderenSeite,derEinzelnevorGott,dargestelltinerzähltenGeschichten, in Weisheitstexten und in Gebeten der Psalmen. Die Geschichte desKollektivs,desVolkesGottesistkeineswegseineErfolgsgeschichteundschongarnichteineRuhmesgeschichte–sieistüberStreckeneineLeid-undTrostgeschichte.Auchhiermüssteichnuneigentlichsehrweitausholen,umdieseThesezuuntermauern,abermirbleibt nur, auf einen Geschichtszusammenhang und einen besonderen Texthinzuweisen.DieVerlust-undLeidgeschichtedesVolkesfindetsichereinenkonzentriertenTief-oderHöhepunkt:DerUntergang des geteiltenKönigreiches, die Zerstörung Jerusalems unddes erstenTempels 587 vorChristus.Daswarnicht nur ein verlorenerKrieg als einelogische Folge von korrupter Politik. Das Exil bedeutete den Untergang einestheologischen Grundverständnisses, das Volk war in seinem Mark getroffen, hattesozusagenseineExistenzberechtigungundIdentitätverloren.Wassolltedatrösten?EsherrschtkollektiveUntröstlichkeit.DasVolkwargetrennt:dieeinen im Exil in Babylon, die anderen Fremde im eigenen Land. Und in beidenZusammenhängentretenMenschenimAuftragGottesinErscheinungundverkündigenTrost, die Propheten Jesaja, Jeremia, Hesekiel und andere, daneben eine neueGeschichtsschreibung, die Geschichte des Exodus aus der Sklaverei ins gelobte Landwirdneuerzählt,natürlichnichtohneParallelenzuraktuellen historischenSituation.

DieVerkündigungderProphetenistvollerWorteundMotivedesTrostes,ichgreifeeinTextbeispielheraus.Der Prophet Jeremia tritt in Jerusalem auf bei den Zurückgebliebenen. Das biblischeBuch der Klagelieder beschreiben in eindrücklicher Weise die Untröstlichkeit diesergesamtenSituation.DasistfürdasVerständnisdieserGeschichtesehrlesenswert.InKapitel31desJeremiabuchesheißtes:SosprichtderHerr:„DasVolk,dasdemSchwertentronnenist,hatGnadegefundeninderWüste;IsraelziehthinzuseinerRuhe.DerHerristmirerschienenvon ferne: Ichhabedich jeund jegeliebt,darumhabe ichdichzumirgezogenauslauterGüte. ...Siehe,eskommtdieZeit,sprichtderHerr,dawillichmitdemHause Israel undmit dem Hause Juda einen neuen Bund schließen, nicht wie der Bundgewesen ist, den ichmit ihrenVätern schloss, als ich sie bei derHandnahm,um sieausÄgyptenlandzu führen,meinBund,densiegebrochenhaben,ob ichgleich ihrHerrwar,sprichtderHerr; sonderndas sollderBundsein,den ichmitdemHause Israel schließenwillnachdieserZeit,sprichtderHerr:IchwillmeinGesetzinihrHerzgebenundinihrenSinnschreiben,undsiesollenmeinVolksein,undichwillihrGottsein.UndeswirdkeinerdenandernnocheinBruderdenandernlehrenundsagen:»ErkennedenHerrn«,dennsiesollenmichalleerkennen,beide,KleinundGroß,sprichtderHerr;dennichwillihnenihreMissetatvergebenundihrerSündenimmermehrgedenken.“Dies ist aus meiner Sicht einer der wichtigsten Texte alttestamentlicher Theologieüberhaupt,nichtnurauschristlicherPerspektive,diediesenTextgernealsVerheißungaufdenNeuenBund inChristusverstandenhabenwollte.Vielmehr istderBundauchein sehrwichtiger theologischerGedankedesAltenTestamentes an sich.GottesBundmitdenMenschenerfährt immerwiedereineErneuerung imLaufederGeschichte.Soauch hier in dieser prekären Lage der Geschichte des Volkes Gottes – am Tiefpunkterneuert Gott die innige Beziehung des Bundes und knüpft so an eine sehr langeGeschichtedieserBeziehungan.Bezeichnender Weise wird dieser Abschnitt auch „Trostbüchlein“ bzw. „Trostrolle“genannt.Hierwirdtheologischbegründet,wassichindenLebenserfahrungenebenfallsimmerwiederzeigt:TrostwirdoftinBeziehungenerfahren.DawoMenschenwirklichmitleiden im möglichst wahrsten Sinne, da kommen wir uns so nahe, dass Trosterfahrbarwird.Die gelebte und erlebteBeziehung vonGott undMensch, vonMenschundMensch istguteGrundlage,dassTrostwirklichgeschehen kann.DafürgehtauchGottinverlässliche,vertrauensvolleBeziehungzudenMenschen,denBund.Neben den schon benannten neutestamentlichen Erkenntnissen zu unserem Thema,seienhierzweiweitereBedeutungszusammenhängeerwähnt:1.InderBergpredigtJesustehtderberühmteSatz:„SeligsinddieTrauernden,dennsiewerden getröstet werden.“ (Matthäus 5,4) Dasmussman ja so übersetzen: In GottesAugenkönnensichglücklichschätzen,dieTrauerempfinden,dennsiesollengetröstet

werden.MenschlichesLebenistpersemitErfahrungenverbunden,dieTrauernachsichziehen:ErfahrungenvonLeid,Schmerz,VerlustvongeliebtenMenschen,eigeneSchuldund Versagen. Schon in der frühen Kirchengeschichte wurde dieser Vers aus denSeligpreisungensoausgelegt,dasssichdieTraueraufdieSündebezieht,aufdieeigeneund auf die fremde Sünde. Das Verständnis der Trauer wurde also verengt auf dasLeidenanderge-odergarzerstörtenBeziehungvonGottundMensch.Damit geht eine sehr wesentliche Weite verloren, die mit dem ursprünglichenVerständnis der grundsätzlichen Trostbedürftigkeit des Menschen verbunden ist, wiesiesichausmeinerSichthiereigentlich findet.DieTrauerbeziehtsichebennichtnur(aberauch)aufdieSchuldunddieSündedesMenschen.Wichtigisteshier–unddasistfürdasThemaTrostsehrwesentlich–dasswirMenschenzuunsererTraurigkeiteinenZuganggewinnen. „Selig sinddieTrauernden“,meint auch,dassesgut ist, derTrauerdenberechtigtenundgesundenRaumimLebeneinzuräumenundsichalstrostbedürftigzu erkennen und zu verstehen. Wir sind als Menschen grundsätzlich aufTrosterfahrungenangewiesen,weilundsofernwirMenschensind.2.Nunkönntemanmeinen,Glaube–wasVertraueninGottundseinWirkeninLebenundWelt bedeutet –würde schon die Trostbedürftigkeit desMenschen erfüllen, dassderinGottvertrauendeMenschschondurchdiesesVertrauenalleingetröstetsei.Zwarsteht Trost –wie dieWortbedeutung ja schonnahelegt –mit demVertrauen in einerengen inneren Beziehung, aber das eine bringt das andere nicht von selbst mit sich.VertrauenwirunsundunserLebenGottan,sosindwirimmernochtrostbedürftig.DieVertrauensbeziehungdesGlaubensistlediglichRahmen,dassTrostgeschehenkann.DieseallzuschlichteRechnung,dassderGlaubepersedieTrostbedürftigkeitstillt,hältzumeinendenErfahrungendesLebensnicht stand, zumanderen trägteseinemsehrwichtigen Grundgeschehen des christlichen Glaubens m.E. nicht genügend Rechnung:Der Kreuzigung Jesu Christi.Wenn ich die Kreuzigung ganz grundsätzlich theologischverstehenwill,dannstehensichimLeidenundSterbenJesuGottundGottunbegreiflichgegenüber und treten auf geheimnisvolle Art auseinander. In Gott selber scheint eineDiskrepanzauf,wennichimtrinitarischenVerständnisGottVaterundGottSohnnichtdochauseinandernehmenwill,als leideundstürbeinChristusnichtGottselber.WennichdieGottheitJesuChristiauchimLeidenundSterbengeltenlasse,bleibtinGottselbereinAbgrund, eine tiefeFremdheit,unddieserAbgrund,dieseFremdheitwirdauchzuOsternnichtaufgehoben,sondernwirdehernochverstärkt.InallenLeiderfahrungenkommenwirmitdiesemAbgrund,dieserFremdheitGottesinBerührung.UndwersichdieserFremdheitnichtzustellenvermag,kanndenTrost,derausdemVertrauenzuGotterwächst,nichterfahren.Undwertröstenwill,mussbereitsein,mitMenschen vor diesemAbgrund zu stehen, ohne ihn überbrücken zu könnenundauchzuwollen.Esgehtdarum,gemeinsamdieFremdheitGottesauszuhaltenundanzunehmen.WahrenTrostimGlauben,ebenkeineVertröstung,findenwirnur,wennwirüberdieseFremdheithinausVertrauenzuGottgewinnen.

Wir eröffnen heute eine Ausstellung mit Bildern von Menschen, die in ihren Bildernfestgehaltenhaben,wie sieTrost trotzunsäglichenLeiderfahrungen gefundenhaben.EineganzeGenerationhat traumatischeErfahrungenhintersich lassenmüssen,um janicht nur für sich selber neu anzufangen, ganze Völker mussten neu anfangen, neueLebenskraft, neuenMut,neueHoffnung finden.Unddasoftmalsüberviele Jahrzehnteimmerwiederneu.DieseseelischeLeistungderGeneration45habeichimmerwiederinden Biografien mit großem Respekt bewundert, darum ist es gut, ihnen mit dieserAusstellungBeachtungundAchtungzuschenken.Aber:wirmüssenkeinenationalenKatastrophenerleben,umtrostbedürftigzuwerden,wir sind alsMenschengrundsätzlich trostbedürftig, dennkeinmenschlichesLeben istvor dem Abgrund gefeit. Sich als trostbedürftig zuwissen und sich als trostbedürftiganzuvertrauen, istLebensaufgabevonunsallen. IndiesemSinnesagt Jesus:Selig sinddieTrauernden,dennsiewerdengetröstetwerden.“