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Cornelia Heintze Blick über die Grenzen Was machen unsere Nachbarländer anders bei der Altenpflege. Blick auf Dänemark, Österreich und die Niederlande mit besonderer Berücksichtigung von Finanzierung und Personal Veranstaltung „Wir schauen über Grenzen – Was machen unsere Nachbarländer anders? der Arbeitnehmerkammer Bremen am 20. November 2019 Dr. Heintze

Vortragsfolien für 20.11 - Arbeitnehmerkammer...geography of thought : how Asians and Westerners think differently and why, New York [u.a.] : Free Press 2) The Rosetta Project: Measuring

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Page 1: Vortragsfolien für 20.11 - Arbeitnehmerkammer...geography of thought : how Asians and Westerners think differently and why, New York [u.a.] : Free Press 2) The Rosetta Project: Measuring

Cornelia Heintze

Blick über die Grenzen

Was machen unsere Nachbarländer anders bei der Altenpflege. Blick auf Dänemark, Österreich und die Niederlande mit besonderer Berücksichtigung von

Finanzierung und Personal

Veranstaltung „Wir schauen über Grenzen – Was machen unsere Nachbarländer anders?

der Arbeitnehmerkammer Bremen

am 20. November 2019

Dr. Heintze

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Finanzierung und Personalausstattung müssen im Systemkontext diskutiert werden: Anmerkung zur Einstimmung

2

Dr. Heintze

Denken vom Kontext her oder den Objekten macht einen Riesenunterschied

Das Aquarium-Experiment von Richard E. Nisbett (2003) und Takahiko Masuda (2006)

1) Ausgangspublikation:

Nisbett, Richard E. (2003): The

geography of thought : how Asians and Westerners think differently and why, New York [u.a.] : Free Press

2) The Rosetta Project: Measuring

National Differences mit Forschungsberichten von Klein, Helen A.; Lin, Mei-Hua; Radford, Mark; Masuda, Takahiko; Choi, InCheol

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Dr. Heintze

Gliederung

1) Deutsches Altenpflegesystem: Die Hauptprobleme im Dänemarkspiegel

Herausforderungen einer alternden Gesellschaft

Integrierte Leistungserbringung scheitert an den fragmentiert-zerklüfteten Strukturen

mit Steuerung primär durch Markt und Wettbewerb

Massiver Personalmangel und trotzdem bleibt die Aufwertung der Altenpflege ein

Lippenbekenntnis

Kein flächendeckender Tarifvertrag; geringe Tarifbindung

Als Teilleistungssystem stößt die Pflegeversicherung an ihre Grenzen

2) Es geht auch anders: Was Deutschland von Österreich und den Niederlanden

lernen könnte

Österreich 1: Hohe Tarifbindung und was sie erklärt

Österreich 2: Bereitschaft zum Paradigmenwechsel – Beispiel Burgenland

Niederlande als Beispiel für einen Systemwechsel: Kommunalisierung der

Organisierung und Steuerung aller Care-Leistungen mit Übertragung der

Finanzierungsmittel

3) Resümee

Bremen 20.11.19: www.dr-heintze-beratung.de

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b b

Die Alterung der Gesellschaft bedingt einen stark wachsenden Bedarf an professioneller Pflege

1.0

4

Dr. Heintze

Herausforderungen für Kranken- und Altenpflege aufgrund des

demografischen Wandels

1) Immer mehr Menschen leiden an mehreren chronischen Krankheiten gleichzeitig 2) Immer mehr Menschen leiden unter Demenz:

• Bei den Einwohnern ab 80 Jahren beträgt die Prävalenz mehr als 20% (Alzheimer Europe)

• Bei den Krankenhauspatienten wächst der Patienten-Anteil mit Demenz • 7 von 10 Heimbewohnern leiden unter Demenz (AOK-Pflegereport 2017)

3) 7 von 10 Frauen über 75 Jahren leben alleine (Stat. Bundesamt 2017) 4) Steigende Frauenerwerbstätigkeit: 2016 waren in DE 77,3% der Frauen im Alter von 20 – 64J erwerbstätig (1995: 63,9%), in Skandinavien im Mittel gut 81,3%. Jede zweite (SKAN: jede Dritte) arbeitet freilich nur in Teilzeit. Mit steigender Frauenerwerbstätigkeit sinkt die Verfügbarkeit informeller Pflegeressourcen.

Daraus erwachsen erhöhte Anforderungen an die (Kranken- und) die Altenpflege:

Menschen über 80 Jahren sind in hohem Maße unterstützungsbedürftig: Versorgung, Betreuung

und Aktivierung in der eigenen Häuslichkeit werden immer wichtiger

Demenzkranke benötigen strukturierte Tagesangebote (keine Standardlösungen, sondern

passgenau)

Versorgung in Heimen oder Sonderwohnformen: Qualifikation des Personals ist zu stärken;

BewohnerInnen benötigen feste Bezugspersonen in einem stabilen Umfeld.

Die Zahl der über 80-Jährigen stieg von 3,3 Mio (1995) auf fast 5 Mio (2017)

Bremen 20.11.19: www.dr-heintze-beratung.de

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b b

Integrierte Versorgung wäre nötig, wird vom System aber nicht unterstützt

1.1a

5

Dr. Heintze

Zerklüftete Strukturen (informell + formell) mit nicht-

kooperationsfähigen Trägersegmenten bei hoch-

bürokratischer Zuerkennung von Leistungen

(Rationierung öffentlicher Mittel) und einer Parallelwelt

expandierender grauer Pflegemärkte.

Nicht der individuelle Bedarf steht im Mittelpunkt, sondern die Geringhaltung der öffentlichen Ausgaben. Dabei Zulassung von Geschäftsmodellen, die primär auf Gewinnerzielung gerichtet sind. Leistungserbringung wurde an den Markt delegiert.

Gesetze sagen: Pflege hat den fachlichen Standards zu entsprechen. Tatsächlich geht es nur um Mindeststandards.

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Zerklüftete Strukturen im Dänemarkspiegel Dänemark: Kommunale Allzuständigkeit Deutschland: Zerklüftete Zuständigkeiten bei privater Hauptverantwortung

6

Dr. Heintze 1.1b

Kommune plant, steuert, ist Eigentümer

der meisten Pflege-immobilien und

erbringt das Gros der professionellen

Dienste

Sozialräumliche Ehrenamtsstrukturen

Ange-hörige

Private Eigentümer von Pflegeimmobilien

Private Dienst-leister

Dänische

Grundstruktur

Zentralstaat Übergeordnete Globalsteuerung, gesetzliche Vorgaben

Sicherstellung der erforderlichen Ausbildungs-kapazitäten (Fach- und Assistenzpersonal)

Das Deutsche System ist komplex-verworren. Dabei schwache Allgemeinwohlorientierung denn:

Wohlfahrtsverbände stehen untereinander

im Markt-Wettbewerb und verfolgen vorrangig eigene Verbandsinteressen.

Bei den Kommerziellen Anbietern dominiert die Gewinnerzielungsabsicht.

Kassen sind kaum örtlich verankert und

weder für die Strukturplanung noch die Einhaltung von Qualitätsversprechen zuständig.

Länder/Kommunen haben Planungs-

kompetenzen, sind bei der Umsetzung aber von kapital-kräftigen Investoren mit vorrangig Renditezeilen abhängig.

Heimaufsicht ist bezogen auf die Durch-

setzung von Qualitätszielen ineffektiv.

Graue Pflegemärkte expandieren. Trotzdem keine Datenerfassung

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b b

Massiver Personalmangel: Ein hausgemachtes Problem mit Ansage

1.2a

7

Dr. Heintze

Bremen 20.11.19: www.dr-heintze-beratung.de

Altenpflegefachkräfte: BewerberInnen pro 100

offene Stellen: 2013: 38; 2018: 19

Bessere Relation bei Helferstellen. Hier

verfügen die BewerberInnen aber häufig über

gar keine Berufsausbildung

Personalbemessung wird seit 20 Jahren

verschleppt (Willen zur Umsetzung fehlte

bislang)

Seit Jahren verweisen Studien auf den sich

zuspitzenden Personalmangel. Angemessene

Reaktion der Politik? Fehlanzeige!

Quelle: Bundesagentur für Arbeit 2019, Arbeitsmarktsituation im Pflegebereich, Berichte Arbeitsmarkt, Mai 2019

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Pflege in der Negativspirale: Selbst die gegebenen unzureichenden

Stellenschlüssel können ergo nicht mehr besetzt werden

8

1.2b

Dabei wirken zusammen:

• Zu hohe Arbeitsbelastung durch schlechte Personalschlüssel (Fachkräfte können wegen personeller Unterausstattung fachliche Standards nicht erfüllen). In Bayern ist die Personalausstattung am besten.

• Schlechte Bezahlung vor allem der Altenpflege: Lohnrückstand der Altenpflege gegenüber der Krankenpflege beträgt bei Fachkräften im Mittel 570 € (-17%), bei HelferInnen 550 € (-22%)

• Ausbildung weit unter Bedarf: Mit Blick auf den stark wachsenden Bedarf bei der Altenpflege wäre ein stetiger Kapazitätsausbau erforderlich gewesen.

• Jahrzehntelange Verschleppung der flächendeckenden Abschaffung des Schulgeldes: Trotz schlechter Bezahlung fällt aktuell vielfach noch Schulgeld an; Abschaffung erst ab 2020 im Rahmen der Umsetzung der Pflegeberufereform.

• Internationaler Rückstand bei der Aufwertung des Berufes: Auch die

Pflegeberufereform mit Umsetzung ab 2020 bringt die Pflege nicht auf das in anderen Ländern (Skandinavien, Niederlande, Belgien usw.) realisierte Professionalisierungsniveau. Bei der Altenpflege droht sogar eine Dequalifizierung. Auch die zerklüftete Landschaft von fast nur privaten Berufsfachschulen wirft Fragen auf.

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b b

Daher: Schlechte Bewertung der Arbeitsbedingungen

1.2c

9

Dr. Heintze

Bremen 20.11.19: www.dr-heintze-beratung.de

Quelle: Arbeitsbedingungen in der Alten- und Krankenpflege. So beurteilen die Beschäftigten die Lage. Sonderauswertung DGB-Index Gute Arbeit, September 2018

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Ohne massive Aufwertung der Pflege droht eine wachsende Versorgungslücke

Quellen: (1) Destatis: Gesundheit – Personal, Fachserie 12 Reihe 7.3.2, fortlaufend; Daten für 2017 aus:

Genesis-Datenbank: Gesundheitspersonal (Vollzeitäquivalente): Deutschland, Jahre, Einrichtungen, Ge-schlecht, Berufe im Gesundheitswesen ; (2) Bertelsmann Stiftung (Hg) (2012): Themenreport „Pflege 2030“, Gütersloh

10

1.2d

(1) Personalstand von 2017: Nach der Gesundheitspersonalrechnung gab es 2017 in den ambulanten und stationären Pflegediensten jahresdurchschnittlich insgesamt 786 Tsd. rechnerische Vollzeitkräfte. Die Destatis-Pflegestatistik mit Stichtag von Ende 2017 weist höhere Zahlen aus:

Ambulante Pflegedienste: 266.041 geschätzte VZÄ (vgl. Tab. 2.6)

Stationäre Pflegedienste: 552.470 geschätzte VZÄ (vgl. Tab. 3.8)

(2) Versorgungslücke nach Bertelmanns-Studie von 2012 (errechnet auf Basis der Pflegestatistik von Ende 2009): Für 2030 ergab sich eine Versorgungslücke von je nach Szenario bis zu rd. einer halben Million Vollzeitkräfte. Unter Status-quo-Bedingungen (Szenario 1) würden in der ambulanten Pflege 117 Tsd. und in der stationären Pflege 317 Tsd. Vollzeitkräfte fehlen.

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Personalzusatzbedarf nach aktuellen Studien

Quellen: (3) Jacobs, Klaus/Kuhlmey, Adelheid/Greß, Stefan/Klauber, Jürgen/Schwinger, Antje (Hg.) (2019):

Pflege-Report 2019. Mehr Personal in der Langfristpflege – aber woher?, Berlin: Springer (AOK Pflege-Report 2019); (4) RWI 2019: Pflegeheim Rating Report 2020: Zwischen Nachfragewachstum und Kostendruck„; zit. nach PM vom zugrunde.

11

1.2e

(3) AOK-Pflegereport 2019: Ausgangsfeststellung In der Dekade von 2007 bis 2017 gab es insgesamt gesehen keine Personalverbesserung; beim Fachpersonal sogar eine Verschlechterung (Ambulanter Bereich: 1 Vollzeitkraft versorgte 2007 6,5, 2017 aber höhere 7,3 Sachleistungsempfänger; Heime: Anstieg von 1:4,0 auf 1:4,3).

Zusätzlicher Personalbedarf bei reiner Trendfortschreibung: +130.997 auf dann 750 Tsd. Vollkräfte bis 2030 und + 379.373 Kräfte auf dann rd. 966 Tsd. bis 2050 (a.a.O. S. 15). Bei besserem Personalschlüssel steigt der Bedarf. Bei regionaler Angleichung der Personalausstattung erhöht sich der Mehrbedarf bis 2030 um 60.000 Vollzeitkräfte.

Aussage zu Bremen: bis 2050 Zusatzbedarf von rd. 40% Vollkräften (Ende 2017 gab es 11.432 Beschäftigte, darunter aber nur 2.416 VZ-Beschäftigte)

(4) RWI-Ratingreport 2020: Zusätzliche Vollzeitkräfte bei Trendfort-schreibung bis 2040: Stationäre Versorgung: 184.000 - 396.000; Ambulante

Versorgung: 107.000 bis 209.000. Darunter Fachkräfte: + 102.000 in der stationären und + 64.000 in der ambulanten Pflege.

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Geringe Tarifbindung Auch deshalb gilt: Die Pflege gehört zu den 10 am schlechtesten bezahlten Berufen - immer noch!

12

1.3a

Entwicklung der Pflegemindestlöhne

Bremen 20.11.19: www.dr-heintze-beratung.de

Quellen: (1) Bundesagentur für Arbeit, Arbeitsmarktbericht vom Mai 2019, S. 7f.; (2) Statistics Denmark;

Earnings by salary earners, salary, sex, components, sector, occupation and time, Daten mit Code LONS20

West Ost

Höhe (€) Steigerung Höhe (€) Steigerung

ab

01.11.2017 10,20 - % 9,50 - %

ab

01.01.2018 10,55 3,4 % 10,05 5,8 %

ab

01.01.2019 11,05 4,7 % 10,55 5,0 %

ab

01.01.2020 11,35 2,7 % 10,85 € 2,8 %

Monatsdurchschnittsgehälter des dänischen Gesundheits-personals in 2017 zum Vergleich (Arbeitgeber = Regionen und

Gemeinden):

Ärzte 9.478 € (70.787 DKK)

Pflegefachkräfte 5.347 € (39.936 DKK)

Assistenten 4.265 € (31.849 DKK)

Home-based personal care workers 4.189 € (31.282 DKK; kaufkraft-bereinigt: rd. 2.765 € )

Hinweis: Kaufkraftbereinigt fällt die Differenz aufgrund der in Dänemark höheren Lebenshaltungskosten geringer aus.

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Bei öffentlichen Trägern gute Bezahlung (> 3000 €/mtl) aber es gibt kaum noch öffentliche Träger

13

1.3b

Bremen 20.11.19: www.dr-heintze-beratung.de

Quellen: Amtliche Statistik (DE: Gesundheitsberichterstattung; http://www.gbe-bund.de/;

Dänemark: Statistik zu Plätzen in Heimen und Pflegewohnungen mit Code RESP; Österreich: Heimstatistik

14,9

25,8

39,7

19,5

31,9

52,5

66,0

17,2

48,5

0,0 0,5 2,1

43,6

56,5

63

54,4

65,3

56,9

35,8

30,4

76,9

51,5

9,3

28,6

11,2 5,9

15,1 11,2 11,8 3,6 5,9 0,0

100,0 99,5 97,9

47,1

0%

10%

20%

30%

40%

50%

60%

70%

80%

90%

100%

1991 1999 2017 1999 2017 1999 2017 1999 2017 1999 2009 2018 2017

Deutschland Bayern Schleswig-Holstein

Bremen Dänemark Österr.

Privat For-Profit

Privat Non-Profit

Öffentlich

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Über das Pflegelöhneverbesserungsgesetz zu einem flächendeckenden Tarifvertrag?

14

1.3c

Bremen 20.11.19: www.dr-heintze-beratung.de

Nach Pflegelöhneverbesserungsgesetz (BT-Drs. 19/13395; vom Bundesrat am 8.11.2019 angenommen)

soll versucht werden, über eine Änderung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes (§ 7a AEntG) einen

noch auszuhandelnden Tarifvertrag für allgemein verbindlich zu erklären. Ver.di versucht Tarifvertrag mit

einem vor kurzem gegründeten Bundesverband Altenpflege auszuhandeln. Bislang freilich stehen

wesentliche Trägerfraktionen – von Caritas bis zum DRK – abseits.

Wie? Ein Bundesverband Altenpflege wurde gegründet. Mit ihm ist Ver.di dabei einen Tarifvertrag

auszuhandeln. Problem: Wesentliche Trägerfraktionen – von Caritas bis zum DRK – verweigern sich.

Kosten für den Fall, dass Tarifvertrag in Anlehnung an den Tarifvertrag öffentlicher Dienst (TVöD)

zustande kommt: rd. 5 Mrd. € (BGM-Gutachten)

Problem der Übertragung auf die kirchlichen Arbeitgeber, die auf ihrem Sonderarbeitsweg

beharren: Mindestens 2 kirchliche Kommissionen müssen zustimmen und diese müssen zwei Drittel der

Pflegebeschäftigten im Bereich von Religionsgemeinschaften repräsentieren.

Alternative, wenn kein Tarifvertrag zustande kommt. Dann sollen durch Rechtsverordnung

Mindestlöhne auch für das Pflegefachpersonal festgelegt werden. 16 €/Std. sind in der Diskussion.

Dies läge weit unter dem, was im Rahmen des TVöD gezahlt wird.

Zum Vergleich: In Dänemark lagen die Gehälter der der Nurses in 2017 bei 5.000 – 5.500 €

(Kaufpreisbereinigt: ca. 3.500 €). Dies bei über 80 Prozent Tarifbindung.

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b b

Als Teilleistungssystem stößt die Pflegeversicherung an ihre Grenzen

1.4a

15

Dr. Heintze

Unzureichende Dynamisierung der Vergütungen = wachsende Kostenprivatisierung.

Beispiel: Der Eigenanteil an den pflegebedingten Heimkosten lag 1999 bei < 300 €. Jetzt

sind es mehr als das Doppelte (690 €). Der gesamte Eigenanteil stieg von 1.772 €

(2018) auf 1.891 € (1.7.2019).

Jede Verbesserung bei Entgelten und Personalausstattung geht im bestehenden

System geht zu Lasten der Pflegebedürftigen (Eigenanteile steigen). Pflegebedürftige

und Pflegekräfte werden so gegeneinander ausgespielt und Heime mit schlechten

Arbeitsbedingungen (kein Tarifvertrag, unzureichende Personalausstattung etc.) erzielen

einen Wettbewerbsvorteil.

Viele Pflegebedürftige sind schon jetzt finanziell mit den Eigenanteilen überfordert.

Nettoalterseinkünfte von 1-Person-Haushalten: < 1.500 € (in Ostdeutschland: < als 1.200 €)

Deckelung der Eigenanteile auf einem für die Pflegebedürftigen tragbaren Niveau ist

überfällig (sogenannter Sockel-Spitze-Tausch). Die DAK schlägt 450 € Eigenanteil vor (Report 2019)

Politik drückt sich vor der Finanzierungsfrage. Finanzierung durch Steuern? Finanzierung durch

höhere Beiträge zur Pflegeversicherung? Bei voller öffentlicher Refinanzierung der Mehrkosten

(ordentliche Löhne und mehr Personal) würden die öffentlichen Pflegeausgaben vermutlich um 0,3 –

0,4 BIP-Prozentpunkte auf den OECD-Durchschnitt ansteigen.

Bremen 20.11.19: www.dr-heintze-beratung.de

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Dänemark: Insgesamt geringere Gesundheitsausgaben; dabei

doppelt so hohe öffentliche Altenpflegeausgaben

(Longterm Care in % des BIP): Öffentliche Ausgaben im OECD-Vergleich 2015

Quelle: OECD 2017: Health at a Glance; OECD 2018: Health at a Glance, Europe 2018; Der OECD-Durchschnitt beinhaltet nur die 15 Länder, wo durchgängig Angaben auch zu Ausgaben für Sozialdienste verfügbar sind. 16

Dr. Heintze

2,38

2,69

2,53

2,32 2,26

1,32 1,26 1,20

1,29

0,53 0,57

0,22

0,88

0,35 0,02

0,11 0,05

0,37

0,00

0,20

0,40

0,60

0,80

1,00

1,20

1,40

1,60

1,80

2,00

2,20

2,40

2,60

2,80

3,00

3,20

3,40

3,60

3,80

Gesundheits-LTC Sozial-LTC

Hinweis:

Gesamte Gesundheitsausgaben (öff + privat) 2015 in % des BIP: Deutschland 11,1 % (2017: 11,3%); Dänemark 10,2% (2017: 10,1%)

DE verwendet nur 15% der gesamten öffentlichen Gesundheitsausgaben für die Langfristpflege verglichen mit über 25 bis 38% in Skandinavien und den Niederlanden. Dänemark erreicht 30%.

1.4b

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b b

Steuerfinanzierung der Mehrkosten?

1.4c

17

Dr. Heintze

In Dänemark 100% Steuerfinanzierung. Hauptvorteile sind:

1) Breite Risikobündelung. Die Finanzierungsbasis geht 1) über das Erwerbseinkommen

hinausgeht (Kapitaleinkommen, indirekte Steuern, Sonderabgaben) und umfasst 2) alle

Einwohner

Keine Rosinenpickerei durch Kassen

Keine Gliederung der Bevölkerung entlang von Status, Beruf, Branche

2) Je progressiver das Steuersystem, umso höher die Umverteilungswirkung

Steuerfinanzierung ist deshalb tendenziell gerechter als eine Finanzierung über Beiträge.

3) Hoher Grad an Flexibilität bei der Leistungsgestaltung

Leistungspakete können passgenau zugeschnitten werden

Keine Bindung der Leistungsgewährung an ein bestimmtes Kassenkollektiv

und den Eintritt eines Versicherungsfalles

4) Wenig Verschiebebahnhöfe

5) Höhere Kosteneffizienz, da

Teure Kassenverwaltungskosten entfallen (DE: Vorstandsgehälter von über 100 Kassen…)

Kosten für Mitgliederwerbung entfallen

Kosten für das Management von Verträgen sind gering (Finanzierung + Leistungserbringung

überwiegend aus einer Hand)

Theoretische Nachteile der Finanzierung durch Steuern

Transparenz und Anspruchssicherheit ist geringer als bei Sozialversicherungen.

Ermessen (von Pflegemanagerinnen) und Leistungsgewährung nach Kassenlage

System setzt hohe Steuermoral voraus, befördert sie bei guter Leistungsqualität aber auch

Bei unzulänglichem Steueraufkommen Gefahr permanenter Verteilungskonflikte

Nachteile kommen in Dänemark kaum zum Tragen, da Steuern nicht als Last diskutiert werden und

Wohlfahrt von der Bevölkerung als oberster Wert (noch vor Freiheit) betrachtet wird.

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Dr. Heintze

2 Es geht auch anders: Was Deutschland von Österreich und den Niederlanden lernen könnte

Österreich 1: Hohe Tarifbindung und was sie erklärt

Österreich 2: Bereitschaft zum Paradigmenwechsel – Beispiel Burgenland

Niederlande als Beispiel für einen Systemwechsel: Kommunalisierung

der Organisierung und Steuerung aller Care-Leistungen mit Übertragung der

Finanzierungsmittel

Bremen 20.11.19: www.dr-heintze-beratung.de

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In Österreich liegt die Tarifbindung bei annähernd 100 Prozent

19

Dr. Heintze 2.1

Tarifbindung in Deutschland

Heime Ambulante

Dienste

ABL NBL ABL NBL

Tarifbindung (Verbandstarifvertrag) 50 29 28 19

Quelle: Sechster. Pflegeversiche-rungsbericht v. 15.12.2016,

BT-Drs. 18/10707, S. 65

Wesentliche Gründe 1) System von Arbeiterkammer und Wirtschaftskammer mit Pflichtmitgliedschaften. Die

Mitglieder der zuständigen Fachabteilung der Wirtschaftskammer handeln mit

Gewerkschaften Kollektivverträge aus. Diese gelten für alle Beschäftigten. Tarifflucht

einzelner Arbeitgeber ist ausgeschlossen. Folge: Österreich hat weltweit eine der

höchsten Tarifbindungen.

2) Öffentliche Arbeitgeber spielen anders als in Deutschland eine wichtige Rolle, was für die

Entgelthöhe bedeutsam ist.

3) Es gibt kein Sonderarbeitsrecht der Kirchen. Bei kirchlichen Einrichtungen gilt das

Streikrecht und das normale Arbeitsrecht. Gewerkschaften schließen z.B. mit den

karitativen Einrichtungen der katholischen Kirche einen einheitlichen Kollektivvertrag.

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•Dr. Heintze Österreich: Burgenland verpflichtet Heimträger auf

Gemeinnützigkeit

2.2-1

(1) Das burgenländische Sozialeinrichtungsgesetz vom Oktober 2019

Das Ziel: „Es ist unser erklärtes Ziel für ein Maximum an Pflegequalität zu sorgen.

Gewinnorientierung darf bei der Pflege unserer Mütter, Väter und Großeltern keine

Rolle spielen“ (Soziallandesrat Christian Illedits am 18. Oktober 2019 bei der Vorstellung des Gesetzes;

Gesetz trat am 1.11.19 in Kraft).

Der Weg: Das Gesetz regelt die Errichtung, den Betrieb und die Organisation von

Heimen. Betreiber, die Landesmittel beziehen, müssen nach einer Übergangszeit von

vier Jahren gemeinnützig haushalten. Das bedeutet, dass Einrichtungen, in die

Landesmittel fließen, ihre Gewinne in das Pflegeangebot reinvestieren müssen.

Relevanz: Die Langfristpflege wird in Österreich aus Steuern finanziert, das

Pflegegeld überwiegend vom Bund; die Dienstleistungen von Ländern und Gemeinden.

(2) Bezug zu Deutschland

Wachsende Bedeutung renditeorientierte Kapitalgesellschaften auf dem Pflegemarkt.

Sie setzen nur rd. 50% ihres Umsatzes für Personal ein verglichen mit über 60% bei kommunalen und privaten Non-Profit-Trägern. Mittel der Pflegeversicherung, der Heimbewohner und der Kommunen (Hilfe zur Pflege) dienen der Renditeerwirtschaftung.

Diskussion um Gewinnbegrenzung ist nicht zielführend. Riesiger Kontrollaufwand und trotzdem verblieben Schlupflöcher.

Zuständigkeit für Heime liegt seit der Föderalismusreform bei den Ländern, was für mutige Politik genutzt werden könnte.

https://burgenland.spoe.at/de/aktuell/meldungen/detail/580/neues-gesetz:-„geld-aus-der-pflege-kommt-in-die-pflege!“.html

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•Dr. Heintze

Österreich: Burgenland bringt pflegende Angehörige in ein

Anstellungsverhältnis und bildet sie zu Pflegekräften aus

2.2-2

(1) Bessere Vereinbarkeit von Pflege und Beruf und Schaffung von

Anstellungsverhältnissen (Zukunftsplan Pflege)

Der Weg: In einem 2-jährigen Pilotversuch soll die Anstellung von Angehörigen

ermöglicht werden, die sich der Betreuung von Familienmitgliedern widmen und daher

keiner Beschäftigung nachgehen können. Dazu wird eine gemeinnützige Pflege + Service

gGmbH als eigener Rechtsträger geschaffen, der die pflegenden Angehörigen angestellt.

Sie erhalten bei 30 Wochenstunden ein Nettoeinkommen von 1.400 € (Kosten: 2.400 €),

bei Vollzeit (Pflegestufe 5) von 1.700 € (Kosten 3.100 €; davon Land: 2.147 €).

Finanzierung: Pflegegeld + Eigenanteil (rd. 31%); Burgenland (rd. 69%)

Koppelung mit Weiterbildung zur Pflegehilfskraft: Den teilnehmenden

Angehörigen wird Heimhelferausbildung angeboten, um ihren späteren Berufseinstieg

im Pflegebereich zu ermöglichen. Vertretungen im Urlaubs- oder Krankenfall werden

über Ersatzpersonal abgedeckt. Laut Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ) soll

das Modell bereits Ende 2019 starten.

(Quelle: Burgenland, Zukunftsplan Pflege. Bedarfs- und Entwicklungsplanung 2018 – 2030)

(2) Bezug zu Dänemark: Hier existiert eine analoge Regelung, die aber so gestaltet ist,

dass die professionelle Pflege nicht unter Druck gerät (zeitliche Limitierung der befristeten

Anstellung bei Kommunen auf max. 6+3 Monate). Mit Stand 1.1.2017 erhielt die Pflegeperson

ein Entgelt von 22.020 DKK, umgerechnet rd. 2.947 € (11-19). Geringe Inanspruchnahme.

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Niederlande als Beispiel für einen Systemwechsel

Dr. Heintze 2.3a

I. Deutschland und die Niederlande teilen hohen Grad der Vermarktlichung von Gesundheit und Pflege.

II. Bei der Altenpflege jedoch werden in NL die dauerhaften Pflegeleistungen zu 100% öffentlich finanziert (10% der Gesamtausgaben werden von Leistungsempfängern getragen). HeimbewohnerInnen zahlen einkommensabhängig einen Beitrag zu den Wohn- und Essenskosten.

Die CARE-Leistungen der Altenpflege wurden kommunalisiert (2007, 2015).

Ziele:

• Höhere Effektivität und Effizienz des Einsatzes öffentlicher Mittel

• Zurückdrängung der Fragmentierung bei der Leistungserbringung

• Einsparung öffentlicher Finanzmittel aufgrund von Effizienzgewinnen

Jetzt Mischsystem aus Steuer- und Beitragsfinanzierung

(1) Beitragsfinanziertes System für erheblich Pflegebedürftige

(2) Steuerfinanziertes kommunales Sozialunterstützungssystem

Finanzmitteltransfer an die Kommunen: 8 - 10% der öffentlichen Gesundheitsausgaben; 7 Mrd. € (rd. 1 BIP-Prozentpunkt). Betrag liegt unter dem

Finanzmitteleinsatz vor dem Systemwechsel. Kommunalisierung ist insoweit auch Teil einer Sparpolitik.

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Die Niederlande II

Dr. Heintze 2.3b

Aufgaben der Gemeinden nach dem Systemwechsel

Bedarfsfeststellung durch „Gemeindeschwestern“

Organisierung notwendiger Unterstützungsleistungen unter Einbindung des persönlichen Netzwerkes der unterstützungsbedürftigen Person. Im Bedarfsfalle organisiert die Kommune die Leistungen. Sie kann dafür Gebühren erheben (soziale Staffelung ist möglich).

Einkaufshilfe, Essen auf Rädern, Mobilitätsdienste, Hauswirtschaftsdienste, Kontakthilfen

Stationäre oder teilstationäre Versorgung; Verhinderungspflege für informelle Pflegepersonen

Notwendige Umbauten in der eigenen Häuslichkeit

Gewährung eines Persönlichen Budgets auf Antrag (Kann-Leistung). Budget wird nicht mehr als frei verfügbarer Geldbetrag ausgereicht, sondern bildet einen Verfügungsrahmen. Rechnungen müssen bei der Social Insurance Bank eingereicht werden.

23

Quellen: Kroneman, M. et al. 2016: Netherlands. Health System review, in: Health Systems in Transition Vol. 18, No.

2; NL Gesundheits- und Sozialministerium (Stand 2018); The Netherlands Institute for Social Research (2018): The Social Support Act 2015 in Practice: https://www.scp.nl/english/Publications/Summaries_by_year/Summaries_2018/The_Social_Support_Act_2015_in_practice

Alders, P./Schut, F.T. (2019): The 2015 long-term care reform in the Netherlands: Getting the financial incentives right?, in: Health Policy 123 (2019) 312-316: https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0168851018305980

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Resümee

Dr. Heintze 3.

Altenpflege ist zu sehr private und zu wenig öffentliche Aufgabe. Die öffentliche Unter-finanzierung und öffentliche Nicht-Verantwortungsübernahme für Strukturen und Ergebnisse hat negative Folgen:

Familienpflege als Blackbox: Anerkannt Pflegebedürftige haben keinen Anspruch auf Erstellung und Erfüllung eines individuellen Pflegeplanes.

Einführung einer Personalbemessung wird seit 20 Jahren diskutiert und gefordert, aber nicht umgesetzt, weil die bestehende personelle Unterausstattung dann behoben werden müsste. Aktuell existiert ein bunter Flickenteppich von Personalschlüsseln. Sie sind in Bayern am besten (Mehr als 20% besser als in Berlin, Mecklenburg-Vorpommern oder Sachsen-Anhalt).

Keine Dynamisierung von Leistungen und Vergütungen. Dies wirkt faktisch wie eine Leistungsrationierung. Die gerade erfolgte minimale Beitragssatzanhebung um 0,5 Prozentpunkte dient dem Ausgleich der Defizite, die bei der Pflegeversicherung seit 2017 entstehen. Grund: Die Umstellung auf einen erweiterten Pflegebedürftigkeitsbegriff wurde

nicht ausfinanziert.

Keine öffentliche Refinanzierung von mehr Personal und besserer Bezahlung: Jede Verbesserung (mehr Personal, Bezahlung von Tariflöhnen etc.) führt zum einem Anstieg der von den Pflegebedürftigen zu zahlenden Eigenanteile. Pflegebedürftige werden so gegen Pflegekräfte ausgespielt.

Obwohl unterfinanziert, werden aus dem System noch Mittel für die Bedienung der Renditeinteressen von Kapitalanlegern abgesaugt. Dies geht zusätzlich zu Lasten der Qualität und der Arbeitsbedingungen.

Kaum gewerkschaftlich organisiert: Der Organisationsgrad liegt bei unter 10 Prozent. In den skandinavischen Ländern liegt er bei bis zu 90 Prozent (Finnland, Island).

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"Wenn es aber Wirklichkeitssinn gibt",…, „dann muss es auch etwas geben, dass man Möglichkeitssinn nennen kann. (…) Es ist die Wirklichkeit, welche die Möglichkeiten weckt, und

nichts wäre so verkehrt, wie das zu leugnen.“ (Robert Musil: Der Mann ohne Eigenschaften, Rowohlt Verlag, Ausgabe 1970, S. 16f.)

Vielen Dank

für Ihre Aufmerksamkeit

Dr. Heintze