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Hintergrund: Argentinien Nr. 48 / August 2015 | 1 Vorwahlen in Argentinien: Eine kleine Chance zum Wechsel Franziska Bandmann & Jörg Dehnert Hintergrund: Argentinien Nr. 48 / 13. August 2015 Zusammenfassung Die Vorwahlen sind ein wichtiges Stimmungsbarometer für die bevorstehenden Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in Argentinien am 25. Oktober 2015. Im Gegensatz zu anderen Ländern werden in den argentinischen Vorwahlen die Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen nicht nur innerhalb der Parteien von ihren Mitgliedern, sondern von allen Wählern Argentiniens ermittelt. In den Vorwahlen vom 9. August 2015 gewann die Wahlallianz der Regierungspartei deutlich. Der Kandidat der Opposition Mauricio Macri muss auf Unterstützung durch die peronistische Wahlallianz „Unidos por una Nueva Alternativa“ (Vereint für eine neue Alternative) hoffen, deren Kandidat Sergio Massa mit 20% der Stimmen auf den dritten Platz kam.

Vorwahlen in Argentinien

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Die Vorwahlen in Argentinien sind ein wichtiges Stimmungsbarometer für die bevorstehenden Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in Argentinien am 25. Oktober 2015. Im Gegensatz zu anderen Ländern werden in den argentinischen Vorwahlen die Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen nicht nur innerhalb der Partei von Parteimitgliedern, sondern von allen Wählern Argentiniens ermittelt. In den Vorwahlen vom 9. August 2015 gewann die Wahlallianz der Regierungspartei deutlich. Der Kandidat der Opposition Mauricio Macri muss auf Unterstützung durch die peronistische Wahlallianz "Unidos por una Nueva Alternativa" (Vereint für eine neue Alternative) hoffen, deren Kandidat Sergio Massa mit 20% der Stimmen auf den dritten Platz kam.

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Hintergrund: Argentinien Nr. 48 / August 2015 | 1 Vorwahlen in Argentinien:Eine kleine Chance zum Wechsel Franziska Bandmann & Jrg Dehnert Hintergrund: Argentinien Nr. 48 / 13. August 2015 Zusammenfassung DieVorwahlensindeinwichtigesStimmungsbarometerfrdiebevorstehenden Prsidentschafts-undParlamentswahleninArgentinienam25.Oktober2015. ImGegensatz zuanderen Lndernwerden indenargentinischenVorwahlendie Kandidaten fr die Prsidentschaftswahlen nicht nur innerhalb der Parteien von ihrenMitgliedern,sondernvonallenWhlernArgentiniensermittelt.Inden Vorwahlenvom9.August2015gewanndieWahlallianzderRegierungspartei deutlich.DerKandidatderOppositionMauricioMacrimussaufUntersttzung durch die peronistische Wahlallianz UnidosporunaNuevaAlternativa (Vereint freineneueAlternative)hoffen,derenKandidatSergioMassamit20%der Stimmen auf den dritten Platz kam. Hintergrund: Argentinien Nr. 48 / August 2015 | 2 Was sind PASOS? AmvergangenenSonntagfandeninArgentiniendieVorwahlenzurPrsidentschafts-undParla-mentswahlam25.OktoberdiesesJahresstatt.DieVorwahlenwerdenPasosgenannt,dasistdie Abkrzung fr Elecciones Primarias Abiertas Simultneas Obligatorias was auf Deutsch bersetzt offe-ne, zeitgleiche und verpflichtende Vorwahlen heit. Die 32 Millionen Whler Argentiniens entschieden durch ihre Stimmabgabein diesen Vorwahlen, welcher Kandidat im Oktober als Prsidentschaftskan-didat seiner Partei erneut auf den Stimmzetteln auftauchen und welche Wahlallianz durch ein Ergeb-nis von unter 1,5 Prozent bei den Vorwahlen nicht mehr zur Verfgung stehen wird. DieVorwahlensinddeswegenwichtig,weilsie einengutenVorgeschmackaufeinmgliches ErgebnisbeidenendgltigenWahlenimOkto-bergebenundUmfragendurchMeinungsfor-schungsinstituteinArgentinienseltenunab-hngigundnochseltenerzuverlssigsind.Bei denBrgermeisterwahlenvonBuenosAires beispielsweise,beidenenUmfragendemletzt-endlichenSiegereinenVorsprungvonmindes-tenszehnProzentvorhergesagthatten,gabes beiderWahlnureinenknappenVorsprungvon drei Prozent. Die Ausgangssituation und der mgliche Erbe DieamtierendePrsidentin,CristinaFernndezdeKirchner,darfnachderVerfassungArgentiniens keinedritteAmtszeitbestreiten.FreineentsprechendeVerfassungsnderung,diesieinErwgung zog, fehlte ihr eine ausreichende Mehrheit. Kirchner hinterlsst ihrem Nachfolger ein Land, das sich in einer tiefen Wirtschaftskrise befindet. Eine hohe Inflation, steigende Kriminalittsraten und politische Skandale haben das Land in den letzten Jahren der Regierungszeit Kirchners geprgt, wobei auch die PrsidentinselbstwiederholtindenMittelpunktderSkandalerckte.Trotzdemhatsichschnellein Kandidat gefunden, der Kirchners Erbe antreten mchte:Daniel Scioli, der seit 2007 Gouverneur der ProvinzBuenosAiresist.Zuvorwarer(whrendderRegierungszeitvonNstorKirchner,Cristina FernndezdeKirchnersEhemann)PrsidentdesSenats,VorsitzenderderPeronistischenParteiund sogar Vizeprsident. Sciolis Mitte-links-Parteienbndnis FrenteparalaVictoria (Front fr den Sieg) sttzt sich besonders auf die Whler der Unterschicht, da sich fr diese Whlergruppe in der Regierungszeit Kirchners eini-ges punktuell verbessert hat. So wurde beispielsweise ein Kindergeld fr Bedrftige eingefhrt, das 8,5 MillionenArgentiniererhalten.WennesdenArbeiternbessergeht,gehtesdemLandbesser,wird Scioli auf seiner Homepage zitiert. Auch die Wahlwerbung, vor der es in den Wochen vor den Vorwah-lennahezukeinEntkommengab,konzentriertesichstarkaufdieseBevlkerungsgruppe.Zudemver-spricht er die Grndung neuer Ministerien, wie einem Ministerium fr Transport und Logistik, also eine brokratische Expansion. Hintergrund: Argentinien Nr. 48 / August 2015 | 3 Die Herausforderer Die hchsten Zustimmungswerte der Spitzenkandidaten innerhalb der oppositionellenWahlallianzenerreichteMauricio Macri,derfrdas Bndnis Cambiemos (Lasst uns verndern) antritt. Das Bndnis be-steht aus der konservativ-liberalen Partei PRO (PropuestaRepublica-na/ republikanischer Vorschlag), der UCR (UninCvicaRadical / Ra-dikale Brgerunion), der linksliberalen CC (CoalicinCvica ARI/ Br-gerlicheKoalition)undderUnionparalaLibertadundwirdseit seinerGrndungvonderFriedrichNaumann-StiftunginArgentinien untersttzt. Der amtierende Brgermeister von Buenos Aires, Mauricio Macri, der vor seiner politischen Karriere als Unternehmer und Prsident des Fuballvereins Boca Juniors bekannt wurde, gehrt der konservativen Partei PRO (Propuesta Republicana) an. Macri wirbt fr einen schnel-len Wandel Argentiniens und eine unverzgliche ffnung der Mrkte. Whrend des Wahlkampfes be-wegte er sich jedoch immer weiter in Richtung Mitte, befrwortete beispielsweise das Kindergeld fr Bedrftige,umbeivielenpotenziellenWhlernnichtvonBeginnankategorischausgeschlossenzu werden. EinweitererernstzunehmenderHerausfordereristSergioMassa.EristMitglieddesargentinischen KongressesundBrgermeisterderStadt Tigre.ErwarselbstlangefrdasloseParteibndnisFrente paralaVictoriaaktiv,arbeitetealsKabinettschefvonCristinaFernndezdeKirchnerundtrat 2013 zum ersten Mal unabhngig von der Regierungspartei an. Seine Zustimmungswerte sind bei Peronisten und Nicht-Peronisten gut. Das Parteibndnis, fr das er kandidiert, heit Unidos por una Nueva Alter-nativa (Vereintfreineneue Alternative) und fordert eine Erneuerungdes Landes im Rahmen eines moderaten Diskurses. Die Ergebnisse und die Konsequenzen InArgentinienherrschtWahlpflicht,einVerstodagegenwirdmiteinerGeldbuegeahndet,essei denn,derBrgerkannnachweisen,dasseramWahltagmehrals500kmweitvomheimischen Wahlort entfernt war. Da die Vorwahlen diesmal in die Ferienzeit fielen, machten viele Argentinier von diesemSchlupflochGebrauch,nursoerklrtsichdierelativniedrigeWahlbeteiligungvonknapp 70%. DenWahlsiegtrugenDanielScioliundseineWahlallianzFrenteparalaVictoriadavon,aufdie 38,4% entfielen. Den zweiten Platz erreichte mit 31,5% das Parteienbndnis Cambiemos. Hier setzte sichMauricioMacrimit24%gegenberseineinternenKonkurrentenSanz(4%)undCarrio(2,5%) klardurch.SergioMassaerreichtemit seinemWahlbndnisUnidosporunaNuevaAlternativaden dritten Platz mit 20 Prozent und setzte sich gegen den internen Mitbewerber Jos Manuel de la Sota durch. Scioli kann diesen relativen Sieg noch nicht in ein sicheres Ticket in die Casa Rosada einlsen.Kampagnenfoto Macri: Ich whle ihn Hintergrund: Argentinien Nr. 48 / August 2015 | 4 Bei der Wahl am 25. Oktober bentigter entweder ber 45 Prozent der abgegebenen gltigen Stim-men,oderaberber40ProzentderStimmenundeineDifferenzvonmehralszehnProzentpunkten Abstand zu Macri. Erreicht er weder das eine noch das andere, wird es im November unweigerlich zu einem zweiten Wahlgang kommen, einer Stichwahl zwischen Scioli und Macri. Es ist davon auszugehen, dass Sciolis Whler ihm treu bleiben werden. Die ganze Kraft der Peronisten und vor allem der Kirchneristen, die er bereits am spten Wahlabend eindringlich beschwor, wird sich also in den nchsten Monaten darauf konzentrieren, sein Ergebnis auf 40oder 45 Prozent zu heben. Einzelne Whler, die anderen Wahlallianzen ihre Stimme gaben, aber die die nun gewhlten Spitzen-kandidaten nicht untersttzen werden, knnten ihm dabei von Nutzen sein. Macri steht vor einer oder je nach Sichtweise sogar vor zwei groen Herausforderungen: Er muss si-cherstellen,dassdieinsgesamtbersechsProzentderWhler,dieeinenanderenKandidateninner-halbseinerWahlallianzgewhlthaben,nunihnuntersttzenundaufkeinenFallzuScioli-Untersttzern werden. Gleichzeitig muss er die Argentinier, die sich in den Vorwahlen fr Massa oder einenanderenKandidatenentschiedenhaben,davonberzeugen,dasserauchihrKandidat ist.Dies ist leichter gesagt als getan. Denn unter den Massa-Anhngern gibt es viele traditionelle Peronisten, fr die ein Abweichen auf einen nicht-peronistischen Kandidaten schwer wenn nicht sogar unmg-lich erscheint. Macri befindet sich damit in einem schwierigen Spagat: Auf der einen Seite stellt jeder einzelne Peronist, der sich nun im Zweifel fr Scioli entscheidet, ein hohes Risiko fr Macri dar und er mussfolglichallestun,umauchPeronistenansichzubinden.Dafrmssteerihnennochstrker entgegenkommen.GenauindiesemEntgegenkommenliegtjedochaucheingenausogroesRisiko: BisherigeWhlerseinesWahlbndnisses,diesichbewusstvondenPeronistenabgrenzenwollen, knnten davon abgeschreckt werden. Macris Chancen hngen also an zwei seidenen Fden: Wie viele derPeronistenknntensichvorstellen,einenNicht-Peronistenzuuntersttzen?Undwogenauliegt die Schmerzgrenze der bisherigen Cambiemos-Whler, wenn es darum geht, sich den von ihnen ver-schmhten Peronisten anzubiedern? 54 Prozent der argentinischen Brger sind der Meinung,derKirchnerismus,dernachder PolitikvonCristinaFernndezdeKirchner und ihrem inzwischen verstorbenen Ehemann benannt wurde, habeausgedient und soll bei den Wahlen im Oktober eine Niederlage erlei-den. Da der Kirchnerismus eine fundamentale TeilgruppedesPeronismusdarstellt,istauf denerstenBlickunerklrlich,dassesimOk-tobereinPeronistseinknnte,deralsneuer Prsident gewhlt wird. Ein zweiter Blick lsst jedoch deutlich werden, dass in Argentinien keine Einigkeit darber besteht, ob die gewnschte Nie-derlage des Kirchnerismus auch eine Niederlage des Peronismus beinhalten soll. Hat der Kirchnerismus verloren,wennderPeronistScioligewinnt,obwohldiesernochamWahlabendeinLobliedaufdie EheleuteKirchnersang?DasErgebnisderVorwahlenmachtdeutlich,dassdiessovieleArgentinier bejahen,dassdievielbeschriebeneundbeschworeneWechsel-undAufbruchsstimmungverpuffen und in vier weitere Jahre peronistischer Regierung mnden knnte.Scioli mit Noch-Prasidentin Kirchner Hintergrund: Argentinien Nr. 48 / August 2015 | 5 MagdiesfrdeneinenoderandereninternationalenBeobachterVerwunderungodergareinKopf-schtteln auslsen, so sind es die Argentinier selbst, die darber wohl am wenigsten berrascht w-ren: Schon vor der Wahl gab die Mehrzahl der Argentinier an, nicht daran zu glauben, dass sich durch die Wahlen in ihrem Land etwas ndern wird. Nur magere drei Prozent gehen von einer Verbesserung der Situation in Argentinien nach der Wahl aus. GouverneurswahleninderProvinzvonBuenosAiresundAbgeordnetenwahleninderStadtvon Buenos Aires Bei den Vorwahlen ging es nicht nur um die Vorwahlen fr die Prsidentschaftswahl im Oktober, son-dern auch um Vorwahlen fr die Gouverneurswahlen in der Provinz von Buenos Aires und um Vorwah-lenfrdieAbgeordnetenwahleninderStadtBuenosAires.WhrendsichinderProvinzvonBuenos Aires fast 39 Prozent dafr entschieden, fr FrenteparalaVictoria zu stimmen, gewann das Partei-enbndnis Cambiemos in der Stadt Buenos Aires mit 46 Prozent berragend. Besonders Patricia Bull-rich,aufdiealleine39ProzentderStimmenentfielen,kanndiesalsgroenSiegfeiern.Sieisteine langjhrige Partnerin der Friedrich Naumann-Stiftung in Argentinien. Der gewaltige Unterschied zwi-schen den Ergebnissen im stdtischen und lndlichen Raum ist weder bei den Vorwahlen fr die Prsi-dentschaftswahlen,nochbeidenanderenVorwahleneinegroeberraschung,dainsbesonderedie Stadt Buenos Aires schon immer eine Cambiemos-Hochburg war, whrend die eher lndlich leben-den und sozialisierten Whler dem Bndnis FrenteparalaVictoria die Treue auch in Zeiten hchster Inflation nicht entziehen. DerWunschnacheinemWechselwchstjedenTagimHerzenderArgentinier,schriebMacriam WahlabendaufseinerFacebook-Seite.DaCristinaFernndezdeKirchnernichtmehrantretenkann, wirdesdefinitivzueinemWechselinArgentinienkommen.NunbleibtdenArgentiniernbisOktober Zeit, um sich zu entscheiden, ob dieser Wechsel auf das Austauschen eines Kirchneristen durch einen Peronisten beschrnkt bleiben soll, oder ob sie Mut beweisen und sich auf eine echte Alternative eini-gen knnen. Franziska Bandmann ist Stipendiatin der FNF und Praktikantin im Projektbro Buenos Aires Redaktionell bearbeitet von Jrg Dehnert, FNF-Projektleiter fr Argentinien. Graphik und Bilder: FNF-Projektbro Buenos Aires Impressum Friedrich-Naumann-Stiftung fr die Freiheit (FNF) Bereich Internationale Politik Referat fr Querschnittsaufgaben Karl-Marx-Strae 2 D-14482 Potsdam