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318 Fortschritte der Kieferorthopiidie Bd. 25 H. 3 (1964) Herrn Pro[essor Dr. Dr. Gustav Korkhaus zum 70. Geburtstag gewidmet Aus der Universit~tsldinik und Poliklinik fiir Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten, Hamburg (Direktor: Prof. Dr. Dr. K. Schuchardt) Wachstumszonen und Wachstumszentren und ihre Bedeutung fiir die Morphogenese des Gesichtssch/idels ! Von Erich Hausser, Hamburg Mit 6 Abbildungen ill 13 Einzeldarstellungen Das Gesieht des Mensehen erf/ihrt w/ihrend der ontogenetiseben Entwieklung bis zum Eintritt in die Nutzperiode des bleibenden Gebisses ehm eharakteristisehe XVandlung, die dureh ein Zurfiektreten der Pr/ivalenz des Hirnseh/idels im Zu- sammenhang mit einer naeh vorn und abw/irts geriehteten Entwieklungstendenz des Uiltergesiehtes gekennzeiehnet ist und die dadureh zu bestimmten Ver- /inderungen des Profilverlaufs fiihrt. Diese Profilverttnderungen kSnnen jedoeh reeht versehiedenartig sein, sie sind nieht nur yon der Entwieklung des Kauorgans abh/tngig, soilderIIl mlterliegen aueh einer weitgehend endogen verankerten mad phylogenetiseh bedingteil Beeinflussung. Die differenzierten Ver/inderungen des Profilverlaufs werden dureh untersehied- lieh ausgepr/igte Waehstums- und Entwieklungsvorg/inge in den Waehstumszonen und an den Waebstumszentren des Gesiehtsseh/idels verursaeht, denn naeh den Untersuehungen yon Bj6rk, Broadbent, Brodie, Lieb, A. M. Sehwarz u. a. ist die sagittale ~Vaehstumstendenz an der Seh/~delbasis nur verh~ltnism~gig gering, die Vorentwicklung im Bereich der Oberkieferbasis dagegen gr6ger, w~ih- rend die Vorentwicklung des Untergesichtes im Bereich des Kinns am st~irksten in Erscheinung tritt. Diese wachstums- und entwicklungsbedingten Ver~Lnderun- gen im Aufbau des Gesichtssch~tdels unterliegeil nach den Feststellungen yon Baume, Korkhaus, Scott und Wurmbach einer ~teuerung, die im Bereich des Mittelgesichtes dureh die knorpeligen Anlagen der Nase, insbesondere der Nasenscheidewand, und i.m Bereich des Untergesichtes dutch die Zunge im Sinne eh~er Stemmk6rperwirkung ausgeiibt wird. Besonders wichtige Wachstumszen- tren ftir die Vorentwicklung des Mittelgesichtes sind nach Korkhaus die Syn- chondrosen der Sch/idelbasis und die Suturen des Mittelgesichtes, w/~hrend die Vorentwicklung des Kinnbereichs dutch Wachstums- und Entwieklungsvorg&nge in der Wachstumszone des aufsteigenden Astes am Kiefergelenk (Franke, Schmidhuber) und durch Umbauvorggnge am Kieferwinkel verursacht wird, ohne dag die Differenzierung des Kinnvorsprungs daran in nennenswertem Aus- mal~ beteiligt ist. Das L&ngenwachstum des Unterkiefers erfolgt nach W e in m a n n und Sic h e r dutch appositionelles Knorpelwachstum am Kiefergelenk und nicht dutch inter- stitielle Proliferation wie das L~ngenwaehstum der Extremit/iten und der Seh~idel- basis. Eine St6rung der Wachstumsvorg~nge ffihrt daher zu ganz bestimmten Ab- weichungen im Auibau des Gesichtsschgdels, indem bei einer Sch/~digung der Wacbstumszentren des Gesichtssch/~dels das Mittelgesicht und bei einer St6rung

Wachstumszonen und Wachstumszentren und ihre Bedeutung für die Morphogenese des Gesichtsschädels

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318 Fortschritte der Kieferorthopiidie Bd. 25 H. 3 (1964)

Herrn Pro[essor Dr. Dr. Gustav Korkhaus zum 70. Geburtstag gewidmet

Aus der Universit~tsldinik und Poliklinik fiir Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten, Hamburg (Direktor: Prof. Dr. Dr. K. Schuchardt)

Wachstumszonen und Wachstumszentren und ihre Bedeutung fiir die Morphogenese des Gesichtssch/idels !

Von Erich Hausser, Hamburg

Mit 6 Abbildungen ill 13 Einzeldarstellungen

Das Gesieht des Mensehen erf/ihrt w/ihrend der ontogenetiseben Entwieklung bis zum Eintr i t t in die Nutzperiode des bleibenden Gebisses ehm eharakteristisehe XVandlung, die dureh ein Zurfiektreten der Pr/ivalenz des Hirnseh/idels im Zu- sammenhang mit einer naeh vorn und abw/irts geriehteten Entwieklungstendenz des Uiltergesiehtes gekennzeiehnet ist und die dadureh zu best immten Ver- /inderungen des Profilverlaufs fiihrt. Diese Profilverttnderungen kSnnen jedoeh reeht versehiedenartig sein, sie sind nieht nur yon der Entwieklung des Kauorgans abh/tngig, soilderIIl mlterliegen aueh einer weitgehend endogen verankerten mad phylogenetiseh bedingteil Beeinflussung.

Die differenzierten Ver/inderungen des Profilverlaufs werden dureh untersehied- lieh ausgepr/igte Waehstums- und Entwieklungsvorg/inge in den Waehstumszonen und an den Waebstumszentren des Gesiehtsseh/idels verursaeht, denn naeh den Untersuehungen yon B j 6 r k , B r o a d b e n t , B r o d i e , L i e b , A. M. S e h w a r z u. a. ist die sagittale ~Vaehstumstendenz an der Seh/~delbasis nur verh~ltnism~gig gering, die Vorentwicklung im Bereich der Oberkieferbasis dagegen gr6ger, w~ih- rend die Vorentwicklung des Untergesichtes im Bereich des Kinns am st~irksten in Erscheinung tritt . Diese wachstums- und entwicklungsbedingten Ver~Lnderun- gen im Aufbau des Gesichtssch~tdels unterliegeil nach den Feststellungen yon B a u m e , K o r k h a u s , S c o t t und W u r m b a c h einer ~teuerung, die im Bereich des Mittelgesichtes dureh die knorpeligen Anlagen der Nase, insbesondere der Nasenscheidewand, und i.m Bereich des Untergesichtes dutch die Zunge im Sinne eh~er Stemmk6rperwirkung ausgeiibt wird. Besonders wichtige Wachstumszen- tren ftir die Vorentwicklung des Mittelgesichtes sind nach K o r k h a u s die Syn- chondrosen der Sch/idelbasis und die Suturen des Mittelgesichtes, w/~hrend die Vorentwicklung des Kinnbereichs dutch Wachstums- und Entwieklungsvorg&nge in der Wachstumszone des aufsteigenden Astes am Kiefergelenk ( F r a n k e , S c h m i d h u b e r ) und durch Umbauvorggnge am Kieferwinkel verursacht wird, ohne dag die Differenzierung des Kinnvorsprungs daran in nennenswertem Aus- mal~ beteiligt ist.

Das L&ngenwachstum des Unterkiefers erfolgt nach W e in m a n n und Sic h e r dutch appositionelles Knorpelwachstum am Kiefergelenk und nicht dutch inter- stitielle Proliferation wie das L~ngenwaehstum der Extremit/i ten und der Seh~idel- basis. Eine St6rung der Wachstumsvorg~nge ffihrt daher zu ganz bestimmten Ab- weichungen im Auibau des Gesichtsschgdels, indem bei einer Sch/~digung der Wacbstumszentren des Gesichtssch/~dels das Mittelgesicht und bei einer St6rung

E. Hausser, Wachstumszonen und Wachstumszentren und ihre Bedeutung usw. 819

in den Wachsturnszonen des Unterkiefers das Untergesicht in der Entwicklung gehernrnt wird. So kornrnt es bekanntlich bei der Dysostosis cranio-facialis Crou- z on auf Grund der friihzeitigen, bvschleunigten Ossifikation der Sch/~deln/~hte zu einer star- ken Entwicklungshernmung der Sch/~delbasis und des ganzen Mittelgesichtes, w/ihrend das Wachstum des Unterkiefers un- gestSrt verl/iuft, so dab infolge dieser Wachsturnsdifferenzen in der Sagittalen eine Progenie rnit einer weit vorspringenden Lip- pentreppe entsteht. Ahnliehe Auswirkungen einer Entwick- lungshemmung des Mittelgesich- tes sind auch bei der erblichen Chondrodystrophie, die nach W e i n r n a n n und S i c h e r dureh einen einfachen dominanten Faktor ~bertragen wird, zu be- obachten. Die Achondroplasie f/ihrt zu einer besonderen Art yon Zwergwuchs, da die Dys- funktion der Wachstumsknorpel nieht auf die ~Vachstumszentren des Gesichtssch/s beschr/inkt ist, sondern auch das L~ngen- Abb. la. Fernr6ntgenprofilaufnahmen e~ner 17�89 wachsturn der Extrernit/~ten in Jahre alten achondroplastischen Zwergin mit cha- starkem MaBe hemmt. Das rakteristischen Merkmalen der Chondrodystrophie Wachsturn des Unterkiefers wird im Aufbau des Gesichtssch/~dels aber nicht beeintr/~chtigt, weil bei der Chondrodystrophie nach W e i n m a n n und S i c h e r nur das interstitielle und nicht das appositionelle Knorpelwachs- turn gestSrt ist. Unter gfinstigen Verh/s kann allerdings bei der Chondrodystrophie trotz einer erheblichen Waehsturns- hemmung an der Seh/tdelbasis und im Mittelgesicht noch eine korrekte Beziehung der Zahn- reihen in Neutralokklusion ent- stehen, wie der Befund einer 171/2j/~hrigen Patientin demon- Abb. lb. Front- und Profilaufnahme der achondro- striert (Abb. 1 a, b). Auf Grund plastischen Zwergin der unterentwickelten, sehr klei- nen apikalen Basis stehen zwar alle oberen Z/~hne stark naeh%uBen gekippt und weisen die oberen Frontz/~hne eine besonders stark ausgepr/~gte Protrusionsstellung

320 For tschr i t te der Kieferorthoptidie Bd. 25 H. 3 (1964)

Abb. 2 a. FernrSntgenaufnahme eines 13 J ah re al ten M~dchens mi t Aplasie des rechten ~uBeren Ohres und des rechten aufsteigenden Un- terkieferastes. Der Unterkiefer und das K inn sind s ta rk nacb recht ver- schoben und auch die Entwicklung der ZahnbSgen, vor allen Dingen im Unterkiefer, ist erheblich beein-

tr~ichtigt

Abb. 2b. Front- und Profilaufnahme der Pa t i en t in mi t Aplasie des ~uBe- ren rechten Ohres und des rechten

aufsteigenden Unterkieferastes

Abb. 2 c. Gebil~ebenenmodelle der I)at ient in mi t Aplasie des ~ufieren rechten Ohres und des rechten auf-

steigenden Unterkieferastes

E. I-Iausser, Wachstumszonen und Wachstumszentren und ihre Bedeutung usw. 321

auf. In sagittaler Richtung w/ire daher ein SehneidezahnfiberbiB durchaus mSg- lieh, wenn nicht die Verkfirzung im oberen Frontzahngebiet zur Ents tehung tines offenen Bisses gef/ihrt h~itte, h n linken Seitenzahngebiet besteht in transversaler Richtung infolge der gehemmten Breitenentwieklung des Oberkiefers eine Kreuz- biBverzahnung. Die geringgradigen St6rungen der HSeker-Fissuren-Verzahnung auf der rechten Seite shad dureh Stellungsabweichungen im unteren Seitenzahn- gebiet als Folge vorzeitigen Milehzahnverlustes bedingt und haben keinen Zu- sammenhang mit der Chondrodystrophie.

Der Aufbau des Gesiehtssch~dels zeigt bei diesem Fall jedoch alle ehrakte- ristischen Merkmale des Krankheitsbildes der Chondrodystrophie: eine starke Verkfirzung der Sch/tdelbasis, eine tiefe Einziehung der Nasenwurzel, eine stark vorgew61bte Stirn und eine kleine Oberkieferbasis mit welt zur/iekliegendem Naso- spinale und Subspinale. Diese Besonderheiten im kn6ehernen Aufbau des Seh/i- dels spiegeln sieh aueh im ~ul3eren Bild des Kopfes und der Gesichtsform wider.

Seh~digungen der ~Vaehstumszone ann Kiefergelenk ffihren dagegen zu St6- rungen der Entwicklung des Untergesiehtes, die jedoeh nieht nut die Ausbildung des aufsteigenden Unterkieferastes und die Form des Unterkieferk6rpers naehhal- tig beeinflussen, sondern aueh die G~biBentwieklung, insbesondere die E~ltwiek- lung des unteren Zahnbogens in erhebliehem Ausmal3 beeintr/tehtigen k6nnen, wenn aueh nieht selten dureh die gegenseitige artikul/ire F/ihrung der Z/ihne ge- wisse Anpassungserscheinungen entstehen, die im Gebil3 zur Entstehung yon weni- get stark ausgepr/~gten Abweiehungen als am Kieferk6rper f/ihren.

Das Wachstum und die Entwieklung des Unterkie[ers werden bei eft, era F,~hlen der Waehstumszone am aufsteigenden Ast in ganz besonderem Mal3e beein- tr/ichtigt. So ist bei einer 13j~hrigen Patientin infolge eine r Aplasie des reehten Kiefergelenkes und des /iul3eren Ohres eine mandibul/ire Vorentwicklung des Unterkiefers auf der reehten Seite ausgeblieben, w/~hrend auf tier linken Seite das Wachstum und die Entwicklung des Unterkiefers ohne St6rungen abgelaufen sind (Abb. 2a, b, c). Infolge dieser einseitigen W/~chstumshemmung ist das Kinn stark naeh reehts versehoben und weist der Unterkiefer im ganzen auch eine starke Riicklage auf. Die mandibul/ire Waehstumshe.mmung auf der reehten Seite fiihrte aueh zu einer erhebliehen St6rung in der Entwick:tung de.s unteren Zahnbogens. Die unteren Frontz~hne sind entsprechend der Ent'Wickhingshemmung des Unter- kiefers stark naeh reehts verschoben und die reeh~ei~ Unteren Seitenz~hne stehen lingual, da auch die Breitenentwicklung de s:Unterkiefers eine hochgradige Hem- mung erf~hren hat. Weiterhin besteht auf der tinken Seite eine Linguo-Okklusion auf Grund der Abweiehung des ganzen Unterkiefers nach reehts. Das Fernr6ntgen- profilbild veransehaulicht besonders deutlich die groB~ Versehiedenheit der Unter- kieferentwieklung zwischen der rechten und der linken Seite auf Grund der Aplasie des rechten Kiefergelenkes, die zu den starken Abweichungen im GebiB und des /iul3eren Erseheinungsbildes gef/ihrt hat.

Als Folge einer Aplasie des linken Kiefergelenkes und der damit verbundenen Wachstumszone a.m Unterkiefer besteht dagegen bei einem 9j/ihrigen Jungen, bei dem inzwisehen eine operative Narbenkorrektur vorgenommen wurde, eine nur verh/iltnisms geringgradige Kinnverschiebung nach links, wenn auch eine starke Unterentwicklung des Unterkiefers in sagittaler Richtung vorhanden ist (Abb. 3a, b, e,). Auf der rechten Seite bestehen gute Okklusionsbeziehungen der Zahnreihen und auch auf der linken Seite ist ein Okklusionsk~otttakt der Seiten- z~hne vorhanden. Der untere Zahnbogen weist in der Eekzahnge~end der erkrank- ten Seite eine Abkniekung auf, die als eine Folge der Wachstumshemmung auf

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Abb. 3 a. Front- und Profilaufnahme eines 11 Jahre al ten Pa t ien ten mi t angeborener Aplasie des linken Kie- fergelenkes. Die Kinnverschiebung nach links ist n icht besonders s tark ausgeprS~gt, es bes teht jedoch eine starke Unterentwicklung des Unter- kiefers in sagit taler und transver-

saler Richtung

Abb. 3b. Gebi~ebenenmodelle des Pa t ien ten mi t angeborener Aplasie

des l inken Kiefergelenkes

Abb. 3 c. FernrSnten-Profi laufnahme des Pa t i en ten mi t angeborener Apla-

sie des l inken Kiefergelenkes

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der l inken Seite und dem unge- s tSr ten En twick lungsve r l au f auf der rech ten Seite anzusehen ist. Die l inken oberen Sei tenz~hne s tehen ebenfal ls mehr mesial als die rechten und auch im Aufbau des Mit te lges ichtes ist, wie das Fe rn r6n tgenb i ld erkennen lifftt, eine Asymmet r i e vorhanden . Wei te rh in wird an dem Fern- rSntgense i tenbi ld die aui~er- ordent l ich s ta rke Unte ren twick- lung des l inken aufs te igenden Astes deut l ich e rkennbar .

Diese verhii l tnism/il t ig ge- r inggradige Auswi rkung des Fehlens der Wachs tumszone am Unterkiefer dfirfte in en~em Zusammenhang mi t efiler gu t ausgebi lde ten I tScker -F i ssuren- Verzahnung und einer nachhal - t igen funkt ionel len Beanspru- chtmg des Kauorgans s tehen, indem durch die gegensei t ige Verzahnung der Zahnre ihen der Unterkiefer auch auf der ge- sch~digten Seite eine gewisse Ff ihrung erfahren ha t und die ausgiebige funkt ionel le Bean- spruchung eine giinstige Anpas- sung der muskul/ i ren Verh/ilt- nisse bewirkte , so dab dadurch die Folgen der W a c h s t u m s h e m - mung ver r inger t wurden.

In gleicher Weise wie eine Aplasie des Kiefergelenkes ver- mag auch eine im fri ihen Kin - desa l te r erfolgende Sch/~digung der Wachs tumszone des Kiefer- gelenkes zu einer erhebl ichen Beeintr/~chtigung der Un te r - k ieferentwicklung zu ffihren. So ist bei dem j e t z t 15 J a h r e a l ten Pa t i en ten , bei dem im Zusam- menhang mi t einer Mi t te lohren t - zf indung im Al te r yon 2 J a h r e n eine Ankylose des rechten Kie- fergelenkes e n t s t a n d - im Al te r yon 7 J ah ren wurde zur B i ldung einer Pseudar those ope ra t iv die 22*

Abb. 4a. FernrSntgen-Profilaufnahme eines 15 Jahre alten Patienten mit einer Sch~digung des rechten Kiefergelenkes im Anschlu~ an einer Mittelohrentziin- dung im Alter yon 2 Jahren. Im Alter von 7 Jahren wurde operativ eine Ankylose gelSst und Fettgewebe zur Schaffung einer Pseudarthrose eingelagert. Auf der rechten Seite besteht eine Distalokklusion um

�9 eine ganze Pr~molarenbreite und die untere Mittel- linie ist stark nach rechts verschoben. Das Kinn

weicht sehr stark nach der kranken Seite ab

Abb. 4b. Front- und Profilaufnahme des l%tienten mit einer infekti6sen Sch~digung des rechten Kiefer-

gelenkes

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Ankytose gel6st und Fettgewebe eingelagert - - , das vertikal und sagittal gerichtete Wachstum des Unterkiefers so stark gehemmt worden, dal~ nunmehr eine erheb-

liche Abweichung des ganzen Unterkiefers nach rechts besteht (Abb. 4a und b). Die starke sa- gittale Entwicklungshemmung des Unterkiefers kommt auch im Profilverlauf deutlich zum Ausdruck.

Die Schi~digung des Wachs- tumszentrums am aufsteigenden Ast des Unterkiefers hat die Entwickiung der For.m des Un- terkiefers, wie die ]~ ernront~en- aufnahme ausweist, stark beein- trs denn sowohl in verti- kaler als auch in sagittaler Rich- tung ist das Wachstum und die Entwicklung des Unterkiefers auf der rechten Seite in erheb- liehem Urafang geringer als auf der linken Seite.

Im Gebi• hat diese St6rung der Entwicklung des Unterkie-

Abb. Sa. Fernr6ntgen-Profilaufnahme eines 91/2 Jab- fers zu einer distalen Verzah- re ~lten Jungen mit einer traumatischen Sch~digung hung auf der rechten Seite um des rechten aufsteigenden Unttrkieferastes im Alter eine ganze Fri~molarenbreite ge-

yon 3 Jahren ffihrt, und mit dieser ungleichen Verzahnung ist auch eine erheb- liche Verschiebung der unteren Mittellhfie nach rechts verbun- den, ohne dab jedoch die trans- versulen Okklusionsbeziehfingen der Zahnreihen dadurch eine St6rung erfahren haben.

Eine wachstums- und ent- wicklungshemmende Wirkung kunn auch durch eine Schiidi- gung der Wachstumszone am Kiefergelenk infolge eines Trau- mas im frfihen Kindesalter ein- treten, wie der Fall eines

Abb. 5b. Front- und Profilaufnahme tines 9�89 Jahre 9~/2 Jahre alten Jungen zeigt, alten Jungen mit einer traumatischen Sch~digung der im Alter yon 3 Jahren bei des rechten aufsteigenden Unterkleferastes. Erheb- einem Rollerunfall einen Ge- lithe Kinnvtrschiebung. , nach rtchts und ausgepr~gte lenkfortsatzbrueh rechts erlitt Entwmkluffgshemmung des rechten Anteils der Man-

" dibula (Abb. 5a, b). Als Folge dieser frfihkindlichen traumatischen

Seh~digung ist das Kinn stark nach rechts verschoben und weist der Unterkiefer nun eine mangelhafte Entwicklung auf, indem auf der rechten Seite in sagittaler

E. I-[ausser, Wachstumszonen und Wachstumszentren und ihre Bedeutung usw. 325

und vertikaler Richtung eine Bildungshemmung eintrat, die in der Gegend des Gelenkhalses deutlich ausgeprggt ist.

In ghnlicher Weise kann auch eine Schgdigung der Wachstumszone am Kiefer- gelenk durch Radiumbestrahlung eine wachstumshemmende Wirkung haben, wenn die Bestrahlung im jugendlichen Alter erfolgt (Abb. 6). Die hochgradige Unter- entwicklung des Unterkieferk6rpers und des aufsteigenden Astes bei dem 9jghri- gen Mgdchen, bei dem ein kavern6ses Hgm- bzw. Lymphangiom rechts am Ende des ersten Lebensjahres 5real und im 5. Lebensjahr ein weiteres Mal mit Radium bestrahlt wurde, ist als Folge dieser RadiumbestrahluDg anzusehen, obwohl weder

Abb. 6. :Fernr6ntgen-Profilaufnahme eines 9 Jahre alten M~dchens bei dem im 1. und 5. Le- bensjahr Radiumbestrahlungen eines kavern6sen H~m- bzw. Lymphangioms vorgenommen wurden. Der Unterkieferk6rper und der aufsteigende Ast sind auf der rechten Seite stark unterentwickelt, ohne da] die Z~hne Sch~den erkennen lassen, die auf den Einflul~ der Be-

strahlung zur/ickzuffihren sind

an den Zghnen noch an der Okklusion der Zahnreihen oder der Form der Zahn- b6gen Schitden festzustellen sind, die auf den Einflul3 der Bestrahlung der Gelenk- region und der dadurch bedingten Wachstumshemmung zurfickgeffihrt werden k6nnen.

Das Wachstum und die Entwicklung des Unterkiefers in transversaler, sagit- taler und vertikaler Richtung erfolgt weitestgehend in Abhgngigkeit yon der am Kiefergelenk vorhandenen Wachstumszone, und bei einer frfihzeitigen Schgdigung dieser Wachstumszone oder einer Aplasie des Kiefergelenkes tritt eine aul3erordent- lich stark imponierende Wachstumshemmung ein.

Die Entwicklungshemmung des Unterkiefers ist bei einer Aplasie des aufstei- genden Astes am stiirksten ausgeprggt ; sie tri t t bei einer Schgdigung der Wachs- tumszone in um so geringerem Mal3e in Erscheinung, je sp~ter die Noxe die Wachs- tumszone trifft. Der in seiner Entwicklung gehemmte Unterkieferk6rper kann

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jedoch beaehtliche Anpassungserscheinungen an die funktionelle Beanspruchung erfat~ren, so dab die okklusalen Beziehungen der Zahnreihen bei einer guten HSckerffihrung noch eine befriedigende FunktionsfKhigkeit des Gebisses ergeben. Die alveolKren Abweichungen sind dabei oftmals nicht so stark ausgepr~igt, wie es nach der mandibulKren Wachstumshemmung zu erwarten w~re.

Die unterschiedlichen Reaktionen der Wachstumszentren und der Wachstums- zonen des Gesi_chtssch/~dels auf hemmende Einflfisse ffihren zu typischen VerKnde- rungen im Aufbau des Gesichtssch~idels und beeinflussen damit auch die Kiefer- GesichtsschKdel-Beziehungen in ganz bestimmter Weise. Der Unterschied zwi- schen dem endochondralen und dem enchondralen Wachstum am Gesichtssch~del ist aber auch bei der kieferorthop/~dischen Beeinflussung von sagittalen Bil~ano- malien von Bedeutung, da nach den Feststellungen yon B a u me eine funktionelle Beeinflussung des enchondralen Knorpelwachstums nur an den Wachstumsz0nen des Unterkiefers mSglich ist. ~ o wird bei der Behandlung des Distalbisses dutch eine Aktivierung der Wach~umszone am Kiefergelenk eine Vorentwicklung des

/

ganzen Unterkiefers angestrebt, w~hrend bei der Behandlung der Progenie mit einer Unterentwicklung im Ber~ich des Oberkiefers dutch therapeutische Ma$- nahmen die WachstumsterLdenzen in den Wachstumszentren des Mittelgesichtes angeregt werden sollen.

Zur klinischen Feststellung der unterschiedlichen Auswirkungen der Wachs- turns- und Entwicklungsvorg/inge am Gesichtssch~del erscheint das FernrSntgen- Profilbild ganz besonders geeignet, denn es vermittelt bei ausreichendem grol~em Aufnahmebestand eine nahezu verzeichnungsfreie Wiedergabe des architektoni- schen Aufbaus des Gesichtssch~idels und seiner Weichteilbedeckung in der Norma lateralis, so da$ mit ttilfe des yon K o r k h a u s angegebenen Auswertungsver- fahrens die einzelnen Besonderheiten und Abweichungen in den 4 Zonen des Mittelgesichtes einwandfrei ermittelt und in ihrer Bedeutung bewertct werden k6nnen. Dutch cinen Vergleich yon mehrercn Fernr6ntgenpr0filaufnahmen ist abet auch ein Nachweis nicht nur der individuellen wachstums- und entwick- lungsbedingten Ver~inderungen, sondern auch der dutch die therapeutischen Malt- nahmen erziclten Umformungen in bester Weise mSglich.

Anschrift d. Verf. : Prof. Dr. Erich Hausser, 2 Hamburg 20, Lenhartzstral~e 9