2
Waffe & Schuss 45 45 die PIRSCH 14/2002 Waffe & Schuss 14/2002 44 44 die PIRSCH Bei der Bergjagd im In- und Ausland, aber selbst in Revie- ren mit Mittelgebirgscharakter stellt sich immer wieder die Frage: Wo halte ich auf dem Wildkörper an, wenn bergauf oder -runter geschossen werden muss? Des besseren Ver- ständnisses wegen erläutert Peter Pulver die Problematik in zwei Teilen. Zunächst zeigt er ballistische Abläufe mit Hilfe eines Modells beim Schuss auf die Zielscheibe auf. Wird die Gams unter- halb des Grats zum Abschuss freigegeben, muss sich der Jäger auf einen steil nach oben abzugebenden Schuss einstellen. Parabelform Horizontale Typische Flugbahn eines horizontal abgeschossenen Gegenstandes 1 B ergauf halt drauf, bergrunter halt drun- ter!“ – „Bergauf und bergrunter halt im- mer drunter!“ – „Bergauf und bergrunter halt drunter, be- sonders bergrunter!“ Wohl ein jeder Jäger kennt vermutlich von der Jagdausbildung einen dieser Sprüche. Doch wie rich- tig sind sie? Was gilt genau und wie viel muss darunter gehal- ten werden? Bevor auf die Be- antwortung der Fragen einge- gangen wird, zuerst ein wenig zur Außenballistik. Ein Geschoss wird mit der Mündungsgeschwindigkeit V 0 horizontal abgeschossen. Nun wirken im Wesentlichen zwei Kräfte auf das Projektil: Zum einen der Luftwider- stand, den jeder von uns aus eigener Erfahrung bei verschiedensten Situationen kennt. Es leuchtet ein, dass das Projektil abgebremst wird. Um wieviel, ersehen wir aus der RWS-Schusstafel für die 7x64 mit dem 11,2 g H-Mantel- Kupfer-Hohlspitz (HMK) - Geschoss: Die Geschwindigkeitsabnah- me wird mit zunehmender Distanz immer geringer. Auf den ersten 100 Metern verliert das Geschoss (850-765=) 85 m/ s. Auf der Strecke zwischen 100 und 200 Metern beträgt die Geschwindigkeitsdifferenz (765-690=) 75 m/s und auf Der Schusswinkel 2 Zielfernrohrhöhe und Schusswinkel 3 850 m/ s V 0 690 m/ s V 2oo 620 m/ s V 3oo 765 m/ s V 1oo Visierhöhe über Laufachse 20 -50 m, je nach Schusswinkel und ZF- Höhe Bergauf und bergrunter… der Strecke zwischen 200 und 300 Metern (690-620=) 70 m/s. Wir stellen also fest, dass der Luftwiderstand geschwindig- keitsabhängig ist. Folglich würde ein horizontal abgefeu- ertes Geschoss so lange hori- zontal weiterfliegen und dabei immer mehr an Geschwindig- keit einbüßen, bis es in der Luft einfach stehenbliebe – sofern nicht noch eine weitere Kraft im Spiel wäre. Diese Kraft kennt jeder von uns aus dem täglichen Leben, es ist die so genannte Schwer- kraft oder Erdanziehung. Sie zieht jeden Gegenstand in Richtung Erdmittelpunkt. Fal- lende Körper werden stetig be- schleunigt, das heißt, ihre Fall- geschwindigkeit nimmt jede Sekunde um etwa 10 m/s oder 36 km/ h zu. Der Luftwider- stand, der ebenso in vertikaler Richtung wirksam ist, bremst auch hier die Fallgeschwindig- keit und stabilisiert sie auf ein bestimmtes Niveau. Ein horizontal abgeschossenes Projektil bewegt sich also real auf einer Flugbahn, die Para- bel genannt wird. Siehe dazu Skizze 1! Es gibt nichts leich- ter Verständliches, um Außen- ballistik zu erklären, als ein Versuch mit Wasserspritzen aus dem Gartenschlauch: Ein horizontal gehaltener Garten- schlauch lässt Sie die Form der Parabel sehr schön erkennen, denn die Flugbahn des Was- serstrahls geht nur abwärts. Wenn Sie ein Ziel auf Höhe des Schlauch-Endes treffen wollen, müssen Sie die Schlauch-Mündung etwas nach oben richten. Je weiter das Ziel entfernt ist, desto steiler müs- sen Sie den Schlauch aufwärts richten. Bei etwa 40º bis 45º Abgangswinkel erreichen Sie die maximale Wurfweite. Als Jäger haben Sie noch an- 1. TEIL Foto DW

Waffe & Schuss 44 Bergauf und bergrunter… · nach oben geht, und immer 180 Meter vom Nullpunkt ent-fernt ist. In dieser Konfigurati-on geht der Schuss – durch die Flugbahn gekennzeichnet

  • Upload
    leanh

  • View
    214

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Waffe & Schuss 4545

diePIRSCH 14/2002

Waffe & Schuss

14/2002

4444

diePIRSCH

Bei der Bergjagd im In- und Ausland, aber selbst in Revie-ren mit Mittelgebirgscharakter stellt sich immer wieder dieFrage: Wo halte ich auf dem Wildkörper an, wenn bergaufoder -runter geschossen werden muss? Des besseren Ver-ständnisses wegen erläutert Peter Pulver die Problematikin zwei Teilen. Zunächst zeigt er ballistische Abläufe mitHilfe eines Modells beim Schuss auf die Zielscheibe auf.

Wird die Gams unter-halb des Grats zumAbschuss freigegeben,muss sich der Jäger aufeinen steil nach obenabzugebenden Schusseinstellen.

ParabelformHorizontale

Typische Flugbahneines horizontalabgeschossenenGegenstandes

1Bergauf halt drauf,bergrunter halt drun-ter!“ – „Bergauf undbergrunter halt im-

mer drunter!“ – „Bergauf undbergrunter halt drunter, be-sonders bergrunter!“ Wohl einjeder Jäger kennt vermutlichvon der Jagdausbildung einendieser Sprüche. Doch wie rich-tig sind sie? Was gilt genau undwie viel muss darunter gehal-ten werden? Bevor auf die Be-antwortung der Fragen einge-gangen wird, zuerst ein wenigzur Außenballistik.Ein Geschoss wird mit derMündungsgeschwindigkeit V0horizontal abgeschossen. Nunwirken im Wesentlichen zweiKräfte auf das Projektil: Zum einen der Luftwider-stand, den jeder von unsaus eigener Erfahrung beiverschiedensten Situationenkennt. Es leuchtet ein, dass dasProjektil abgebremst wird. Umwieviel, ersehen wir aus derRWS-Schusstafel für die 7x64mit dem 11,2 g H-Mantel-Kupfer-Hohlspitz (HMK) -Geschoss:

Die Geschwindigkeitsabnah-me wird mit zunehmenderDistanz immer geringer. Aufden ersten 100 Metern verliertdas Geschoss (850-765=) 85m/s. Auf der Strecke zwischen100 und 200 Metern beträgtdie Geschwindigkeitsdifferenz(765-690=) 75 m/s und auf

Der Schusswinkel2

Zielfernrohrhöhe und Schusswinkel3

850 m/ sV0

690 m/ sV2oo

620 m/ sV3oo

765 m/ sV1oo

Visierhöhe über Laufachse

20-50 m, je nach

Schusswinkelund ZF-Höhe

Bergauf und bergrunter…

der Strecke zwischen 200 und300 Metern (690-620=) 70 m/s.Wir stellen also fest, dass derLuftwiderstand geschwindig-keitsabhängig ist. Folglichwürde ein horizontal abgefeu-ertes Geschoss so lange hori-zontal weiterfliegen und dabeiimmer mehr an Geschwindig-keit einbüßen, bis es in derLuft einfach stehenbliebe –sofern nicht noch eine weitereKraft im Spiel wäre.Diese Kraft kennt jeder vonuns aus dem täglichen Leben,es ist die so genannte Schwer-kraft oder Erdanziehung.Sie zieht jeden Gegenstand inRichtung Erdmittelpunkt. Fal-lende Körper werden stetig be-schleunigt, das heißt, ihre Fall-geschwindigkeit nimmt jede

Sekunde um etwa 10 m/s oder36 km/h zu. Der Luftwider-stand, der ebenso in vertikalerRichtung wirksam ist, bremstauch hier die Fallgeschwindig-keit und stabilisiert sie auf einbestimmtes Niveau. Ein horizontal abgeschossenesProjektil bewegt sich also realauf einer Flugbahn, die Para-bel genannt wird. Siehe dazuSkizze 1! Es gibt nichts leich-ter Verständliches, um Außen-ballistik zu erklären, als einVersuch mit Wasserspritzenaus dem Gartenschlauch: Einhorizontal gehaltener Garten-schlauch lässt Sie die Form derParabel sehr schön erkennen,denn die Flugbahn des Was-serstrahls geht nur abwärts.Wenn Sie ein Ziel auf Höhedes Schlauch-Endes treffenwollen, müssen Sie dieSchlauch-Mündung etwas nachoben richten. Je weiter das Zielentfernt ist, desto steiler müs-sen Sie den Schlauch aufwärtsrichten. Bei etwa 40º bis 45ºAbgangswinkel erreichenSie die maximale Wurfweite.Als Jäger haben Sie noch an-

1.TEIL

Foto

DW

nach oben geht, und immer180 Meter vom Nullpunkt ent-fernt ist. In dieser Konfigurati-on geht der Schuss – durch dieFlugbahn gekennzeichnet –noch haargenau ins Ziel.Wir denken uns nun das Ziel ineiner Höhe von zirka 35º ge-genüber der Horizontalen(Bild C). Die Visierlinie zeigtmit diesem Winkel nach oben.Die Laufachse zeigt etwas über45º hinaus. Der Schuss sitztnoch immer Fleck.Im Bild D liegt jetzt das Zielauf einer angenommenenBergkuppe in 180 MeterDistanz. Der Elevationswinkelbeträgt jetzt 45º. Sie sehen, dieVisierlinie zeigt genau inRichtung der 45º-Markierung.Die Fallstrecken zeigen – wiees sich gehört – senkrechtnach unten. Die Flugbahn gehtnun etwas über das Zielhinaus. Wir stellen fest: Beieiner Patrone mit Fleckschuss-entfernung 180 Meter (GEE)braucht es bis zu 45º auf – oder

abwärts – praktisch keineHaltepunktveränderung.Wir setzen das Ziel nun in eineÜberhöhung von 60º. Damitzeigt Bild E, dass die Visierli-nie direkt auf der 60º-Markie-rung liegt. Nun ist sehr deut-lich zu erkennen, dass das Zielklar überschossen wird. DieFlugbahn – gekennzeichnetdurch die roten Punkte – gehteindeutig über das Ziel hin-weg. Hier ist ganz klar eineHaltepunktkorrektur nötig:„HALT DRUNTER!“Wir gehen noch weiter undsehen in Bild F, was beimSchuss unter 75º bergauf pas-siert. Das Ziel (gelber Punkt)liegt auf der Markierung 75º –in immer noch 180 Meter Ent-fernung. Wir sehen von wei-tem, dass das Ziel recht massivüberschossen wird. Auch hiergilt: „HALT DRUNTER!“ So, nun müsste der „Groschen“(heute der „Cent“) eigentlichweit heruntergefallen sein.Auch der technisch unbegab-

be abläuft, ist nun völlig klar.Wir stellen fest: Beim Schussinnerhalb der GEE – bis undmit 45º-Elevation – ist auf eindimensionsloses Ziel keine Hal-tepunktveränderung nötig. ■

Waffe & Schuss 4747

diePIRSCH 14/2002

dere Möglichkeiten außenbal-listische Phänomene anhandeines „Wasserstrahls“ zu er-gründen. Dass Jägerinnenhierfür einmal ausgeschlossensind, hat bitte nichts mit Frau-enfeindlichkeit zu tun…Unsere Jagdbüchse wurdeeingeschossen mit der Patrone7x64 HMK auf die günstigsteEinschießentfernung (GEE)von zirka 170 Meter. In Skizze2 auf der Seite zuvor ist zur Er-innerung die Definition derGEE dargestellt. Die Mün-dung unserer Waffe zeigt – wie

beim Wasserschlauch – etwasnach oben, um die Flugbahnso zu richten, dass der Schussgenau ins Ziel trifft. Den Win-kel zwischen Visierlinie undLaufachse nennen wir Schuss-winkel a. Er ist für einebestimmte Patrone immergleich. Je schneller die Patroneist, desto kleiner wird dieserWinkel. Nun wollen Sie ihre Waffe auf200 Meter einschießen: Dazuvergrößern Sie durch drehenan der Zielfernrohr-Verstel-lung den Schusswinkel a. Der

lich auf das Geschoss. Diesesfällt zeitabhängig nach unten,das heißt, mit zunehmenderSchussdistanz fällt das Ge-schoss immer schneller. DieFlugzeit des Geschosses zwi-schen 200 und 300 Meter Dis-tanz ist länger als diejenigezwischen 0 und 100 Meter,weil der Luftwiderstand dasGeschoss kontinuierlich ab-bremst (siehe dazu Skizze 4).

Das Schwenkender FlugbahnDie nachstehende Flugbahnreicht weit über die GEE hin-aus. Sie ist festgelegt durchden Schusswinkel a zwischenLaufachse und Visierlinie. DieFlugbahn hängt quasi amDreieck 0 - A - B. So ein Drei-eck haben wir modellmäßignachgebildet, um die Mecha-nismen beim Schwenken derFlugbahn augenfällig zu zei-gen (siehe dazu Skizze 5). Die für den horizontalenSchuss feststehende Flugbahnschwenken wir jetzt im Gan-zen nach oben oder unten. DasEinzige, was sich verändert, istdie Richtung der Fallstrecken.Definitionsgemäß wirkt dieSchwerkraft immer senkrechtin Richtung Erdmittelpunkt.Die Fallstrecken schwenkenalso um den Elevationswinkelin die senkrechte Richtung.Auf den Bildern A bis E sehenSie deutlich, dass die neueFlugbahn flacher wird. DasZiel wird überschossen. Bild A zeigt das Modell in derAusgangslage. Die Visierliniezeigt auf das Ziel in 180 Me-tern Entfernung. Die Laufach-se ist um den fixen Schusswin-kel a nach oben geschwenkt.Die Fallstrecken y zeigensenkrecht nach unten. Die ro-ten Punkte am Ende der Fall-strecken zeigen die Flugbahnbeim Horizontalschuss des aufGEE eingeschossenen Ge-wehrs. Das Ziel ist ein dimen-sionsloser (gelber) Punkt.Bild B zeigt das um etwa 15ºnach oben geschwenkte Flug-bahndreieck. Das Ziel liegtjetzt immer noch in 180 Me-tern Entfernung genau auf derVisierlinie. Das Ziel bewegtsich bei unseren Betrachtun-gen auf dem Viertelkreis, dervom horizontalen Ziel aus

Waffe & Schuss4646

teste Jäger sollte anhand dieserBeispiele verstanden haben,was beim Schuss bergauf undbergrunter geschieht. Zusammengefasst: Was beimsteilen Schuss auf eine Schei-

Haken daran ist, dass der Bo-gen der Flugbahn vergrößertwird und man auf 100 Metereinen erklecklichen Hoch-schuss hat. Damit wird klar,dass es zweckmäßig ist, dieWaffe auf GEE einzuschießen.

SchusswinkelWir haben festgestellt, dassVisierlinie und Laufachse denSchusswinkel a einschließen.Wir sind stillschweigend da-von ausgegangen, dass sich diebeiden Schenkel des Winkelsbei der Laufmündung, also beider Schussdistanz 0 Meter,schneiden. Das ist streng ge-nommen nicht ganz korrekt,für unsere Zwecke allerdingsohne Nachteil. Die Schusswin-kel sind bei Jagdwaffen sehrklein, wir wollen ja möglichstgestreckte Flugbahnen. DieLaufachse liegt um das Maßder Zielfernrohrhöhe unter derVisierlinie. Die Laufachse be-ziehungsweise deren Fortset-zung schneidet die Visierlinieerst nach etwa 30 bis 50 Metern.Daher kommt übrigens auchdie verbreitete – aber nichtganz einwandfreie – Definitionder GEE als Distanz, bei derdie Flugbahn die Visierliniezum zweiten Mal schneidet(siehe dazu Skizze 3).Die Erdanziehung wirkt vomAugenblick des Verlassens derLaufmündung an kontinuier-

Der Schuss bergauf und bergrunter aufein dreidimensionales Ziel (Wildtier)

Der elevationswinkelbedingte Hochschuss allein ist – wieSie sehen – kein Problem und leicht zu bewältigen. Wirhaben aber ein weiteres Kriterium: Wir haben bisher sogetan, als ob unser Ziel eine dimensionslose Scheibesei. Ein Zehner ist ein Volltreffer, ob er aus 60° bergaufoder bergab geschossen wird. Unser Wild ist aber drei-dimensional, dabei sind einige anatomische Gegeben-heiten zu beachten. So erhält der Leser im nächsten Teilals interessierter Jäger theoretische und praktische Hin-weise bezüglich der teilweise markanten Haltepunktände-rungen, die sich aus der Ansicht des Wildkörpers von steiloben oder steil nach unten ergeben. Sie werden überraschtzur Kenntnis nehmen, dass bergauf und bergrunter nichtgleich ist, wie überlieferte Jägersprüche es vermitteln.

Vorschau auf den in PIRSCH 152.TEIL

Flugbahndreieck5

Wirkung der Schwerkraft4

0m 100m 200m 300m

Bildhafte Darstellung in Modellen

BA C

FED

Foto

O. P

.