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LudolfPelizaeus (Hrsg.) Wahl und Krönung in Zeiten des Umbruchs PETERLANG Internarionaler Verlag der Wissenschaften

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LudolfPelizaeus (Hrsg.)

Wahl und Krönungin Zeiten des Umbruchs

PETERLANGInternarionaler Verlag der Wissenschaften

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JÖRG ROGGE (MAINZ)

"TUM QUIA REGALlS UNCTIO IN ANIMA QUICQUAMNON IMPRIMIT. .." ZUR BEDEUTUNG VON KÖNIGSKRÖ-NUNGEN UND KÖNIGSSALBUNGEN IN ENGLAND UNDIM RÖMISCH-DEUTSCHEN REICH WÄHREND DES SPÄT-MITTELALTERSDas sakrale Ritual der Krönung und Salbung von Königen in England und imrömisch-deutschen Reich während des 14. und 15. Jahrhunderts wurde nachden in den Krönungsordnungen - Ordines - festgelegten Abläufen vollzo-gen.1 In diesen Ordnungen wurde vor allem die Liturgie in der Kirche fest-gehalten: die Reihenfolge der Gebete, die Befragung des Königs und der ver-sammelten Zeugen, die Eidleistung des Königs, die Insignienübergabe ein-schließlich der Krönung und der Salbung. Die Krönungen können als Über-gangsrituale gedeutet werden, mit denen Laienfürsten in Monarchen verwan-delt und zu "Gesalbten des Herren" (christus domini) wurden." In manchenFällen vollzog der Herrscher im Zusammenhang mit seiner Krönung sogareine moralische und spirituelle Konversion, wie etwa der englische KönigHeinrich V., der sich gleichsam durch die Krönung und Salbung von einemverantwortungslosen jungen Mann, der ein relativausschweifendes Lebengeführt haben soll, in einen seriösen Menschen und verantwortungsbewuss-ten Herrscher verwandelte.' Der gesalbte König war der Sachwalter Gottesauf der Erde, Mittler zwischen Klerus und Laien (mediator derici et plebis)sowie Mediator4 und Schiedsrichter zwischen seinen Untertanen.' Aber dieseKrönungen waren nicht nur wichtige sakrale Akte, sondern hatten darüberhinaus noch weitere Bedeutungen. So war etwa jede Krönung trotz der Bezü-ge auf den Ordo ein singuläres Ereignis, das mit jeweils aktuellen politischenBedeutungen konnotiert war. Weiter waren diese Rituale, die in der Abteikir-che der Westminster Abbey in London bzw. (in der Regel) im Dom zu Aa-

I ANTUN, Hans H.: Krönungsordines. In: LExlKUN DES MIlTEL.\LTEru; VI. Stuttgart 1999,Sp, 1439-1441.

2 ANTON, Hans H.: Salbung. In: LExIKON DESMi1TE.\LTEru; VII. Stuttgart 1999, Sp, 1288-1292. Im AT 1. Samuel 10, 6: Saul salbt David: durch Salbung kommt der Geist des Herrnüber David, dadurch wird er ein anderer Mensch. ERKENs, Pranz-Reinen Herrschersakra-lität im Mittelalter. Von den Anfangen bis zum Investiturstreit. Stuttgart 2006, S. 28-29.

3 Die Berichte über die Konversion Heinrichs sind zusammengestellt und kommentiert beiAIilL\ND, Christopher: Henry V. London 1997, S. 63-64.

4 ERKENS, Franz-Reiner: Vicarius Christi - sacratissimus legislator - sacra majestas. Religiö-se Herrschaftslegitimierung im Mittelalter. In: ZRG (GA) 98 (2003), S. I-55, hier S. 10.

S In der Predigt bei der Krönung von Richard II. 1377 sprach der Erzbischof von Canter-bury Richard an "as the mediator of your people as you sit on your kingdom's throne";so W.\LSING~L\M, Thomas: Chronica Maiora (üb. von David Preest). Woodbridge 2005,

S.42.

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chen stattfanden," Gelegenheiten, um Hierarchien innerhalb und zwischenden geistlichen und weltlichen (Reichs-)Fürsten deutlich zu demonstrieren.Nicht zuletzt waren diese Krönungen aber auch große Feste, die ausgiebiggefeiert wurden und zu denen auch die Bevölkerung der Städte und des Um-landes eingeladen war.' Der Ablauf und die einzelnen Bestandteile der Kö-nigskrönungen und -salbungen im späten Mittelalter beruhten im Wesentli-chen noch auf den im Früh- und Hochmittelalter herausgebildeten Formen.Ihre Bedeutung für die Herrschaftslegitimation der Könige unterlag jedocheinem erheblichen Wandel, denn sie mussten sowohl in neue Herrschaftsthe-orien wie auch sich ändernde politische Strukturen eingepasst werden." Diesakrale Königsherrschaft im römisch-deutschen Reich und England unterlagEntsakralisierungstendenzen," die wiederum Legitimationsverlust zur Folgehatten." An die Stelle der sakralen Legitimation traten säkulare Herrschafts-theorien, um diesen Verlust auszugleichen." Die Königskrönungen wurden

6 NOPPEN, John G.: Royal Westminster and the Coronation. London 1937; BINSKJ, Paul:Westminster Abbey and the Plantagenets. Kingship and the Representation of Power1200-1400. New Haven, London 1995; ScHULTE, Aloys: Die Kaiser- und Königskrönun,gen zu Aachen 813-1531. Bonn 1924; K.\MP, Mario (Hg.): Krönungen. Könige in Aachen- Geschichte und Mythos. 2 Bde. Mainz 2000. Zu Frankfurt am Main als Wahl- und Krö-nungsort siehe die Beiträge in: BROCKHOFF, Evelyn/MAITHÄUS, Michael (Hgg.): Die Kai-sermacher. Frankfurt am Main und die Goldenen Bulle 1356-1806. Frankfurt/Main 2006.

7 ROTIlIOFF-KR.-\US, Claudia: Krönungsfestmähler der römisch-deutschen Könige. In:K.-I.MP:Krönungen (wie Anm. 6), S. 573·582.

~ ANTON, Hans H. u. a.: SakraJkönigtum. In: REALLExIKON DER GER1L\NlSCHEN ALTER.111MSKUNDE.Bd. 24. Berlin, New York' 2004, S. 179-320.

9 Das wird besonders deutlich an der Königssalbung, die "im 12. Jahrhundert aus der Reiheder sich festigenden Lehre von den sieben Sakramenten ausgeschlossen" und im Corpusiuris canonici der Weihe eines Geistlichen untergeordnet wurde; SCHNEIDMÜLLER, Bernd:Salbung. In: HRG 4. Berlin 1990, Sp. 1268·1273, Zitat Sp. 1270.

111 ERKENs: Herrschersakralität (wie Anm. 2), S. 30 mit einer Begriffsbestimmung des sakra-len Königtums. Im Zusammenhang mit unserer eng gefassten Fragestellung kann ich nichtausführlich darauf eingehen, was die Sakralität eines Herrschers im Einzelnen ausgemachthat und welche Veränderungen der Begriff und die Sache "Sakralkönigtum" bis zum aus-gehenden Spätrnittelalter durchlaufen haben. Als Tendenz ist jedoch erkennbar, dass - in-folge des Investiturstreites - etwa seit der Mitte des 12. Jahrhunderts die Sakralität desHerrschers vor allem in seiner Funktion als Gesetzgeber, Friedenswahrer und Richterwurzelte. Die Könige im Reich wurden nicht mehr als Stellvertreter Gottes angesehen,sondern über ihre Rechtsstellung im Ordnungsgefiige des Reiches definiert. Dementspre-chend brachte die Investitur der Könige im späteren Mittelalter nicht mehr die göttlicheOrdnung, sondern die rechtliche Ordnung zum Ausdruck. Vgl. ERKENS: Herrschaftslegi_timation (wie Anm. 4), S. 47 und WEINFURTER, Stefan: Das Ritual der Investitur und die,gratiale Herrschaftsordnung' im Mittelalter. In: HÜLSEN·E.'iCH, Andrea (Hg.): Inszenie-rung und Ritual in Mittelalter und Renaissance. Düsseldorf 2005, S. 135-151.

11 ERKENS, Franz-Reiner: Sakrallegitirnierte Herrschaft imWechsel der Zeiten und Räume.Versuch eines Überblicks. In: ERKENS, Franz-Reiner (Hg.): Die Sakralität von Herrschaft.

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dementsprechend schon von den Zeitgenossen im Spätmittelalter anders "ge-lesen" und bewertet. Einige Aspekte dieser Bedeutung der Krönungen undSalbungen im späten Mittelalter werden in den folgenden Ausführungen be-handelt. Die vielschichtigen und vieldeutigen Krönungen werden im Hinblickauf das Leitthema dieses Bandes darauf hin untersucht, ob sich in den Krö-nungsabläufen im Königreich England und im römisch-deutschen Reich im14. und 15. Jahrhundert politische Umbrüche widerspiegeln bzw. diese Ritua-le benutzt worden sind, um solche Umbrüche öffentlich darzustellen und denZuschauern zu demonstrieren. Dabei gehe ich folgendermaßen vor: Zuerstskizziere ich die Überlieferung und stelle die wichtigsten Quellen vor (1). Da-nach behandle ich die Bedeutung der Krönung und Salbung für die Herr-schaftslegitimation von Königen im römisch-deutschen Reich und Englandim späten Mittelalter (2). Daran anschließend beschreibe und analysiere ichzwei Krönungen in England ausführlicher, weil sich dort politische Umbrü-che stärker als im Reich in den Investiturritualen widerspiegeln: zum einen dieKrönung von Eduard H. im Jahr 1308 (3) und zum anderen die AbsetzungRichards H. und die Thronbesteigung von Heinrich IV. im Jahr 1399 (4). ImZusammenhang mit der Krönung Eduards 11. wird vor allem der Krönungs-eid behandelt und im Zusammenhang mit der Erhebung von Heinrich IV. dieBedeutung der Salbung bzw. des verwendeten Salböls. Im letzten Abschnittfasse ich die Ergebnisse zusammen (5.)

t. Krönungsordnungen und Augenzeugenberichte

Der Ablauf der Krönungsliturgie der deutschen Könige im späten Mittelal-ter erfolgte nach einem Krönungsordo, der für die Krönung und Salbung vonHeinrich VII. 1309 angelegt worden war. Dieser wiederum war eine Bearbei-tung des bis dahin bei Krönungen im Reich verwendeten älteren Mainzer Or-da von 962/80.12 Um die Weihe- und Krönungszeremonie exakt nach Vor-schrift ausführen zu können, haben sich einige hohe Geistliche Auszüge zu-sammengestellt, die wohl als Handbuch während einer konkreten Krönungbenutzt worden sind. Überliefert ist so ein Arbeitsexemplar von Tilmann Jo-

Herrschaftslegitimierung im Wechsel der Zeiten und Räume. Berlin 2002, S.7-32, hier

S.27-28.12 GOl.DINGER, Walter: Das Zeremoniell der deutschen Königskrönung seit dem späten

Mittelalter. In: Staat und Land. Festgabe zum 60-jährigen Bestehen des Oberösterreichi-sehen Landesarchivs. Linz 1957, S. 91-111; BOESEUGER, Dela von: Zur Salbung undKrönung in der Liturgie des Ordo. In: BROCKHOFF / MATrn..\uS (Hgg.): Kaisermacher(wie Anm. 6), S. 338-345.

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hel (propst zu St. Florian in Koblenz), der dem Erzbischof Dietrich von Kölnbei der Krönung von Friedrich Ill. am 17.Juni 1442 in Aachen assistiert hat. tl

Fast zeitgleich wie im Reich wurde auch in England der Ordo für die sakra-le Investitur des neuen Königs in sein Amt bearbeitet; und zwar aus Anlassder Krönung von Eduard H. im Jahr 1308. Bis dahin war der sog. ,,AnsehnOrdo" für zweihundert Jahre die Leitordnung für die feierliche Zeremoniegewesen. In seinen liturgischen Teilen baute dieser neue Ordo das alte Her-kommen mirtels mehr Gebeten und Benediktionen für Schwert, Ring undGewänder aus." Außerdem wurden weitere, inzwischen zur Gewohnheit ge-wordene Praktiken aufgeschrieben. So musste der König am Tag vor derKrönung baden und neue Kleider anlegen. Dies war eine kultische Reinigungzur Vorbereitung auf die Salbung und den damit vollzogenen Übergang (ritede passage) eines Laienfürsten zu einem "Beamten Gottes", der eine sakraleSonderstellung innehatte." Eine weitere Bearbeitung der englischen Krö-nungsordnung erfolgte zur Vorbereitung auf die Krönung von Richard 11.1377 vermutlich unter der Aufsicht und auf Veranlassung von Nicholas Lyt-lington, der von 1362 bis 1386 Abt der Abtei von Westminster war. Diese urn1383/84 entstandene Bearbeitung wird auch .Lytlington-Ordo" genannt. Sieenthält die Ordnungen fur die Krönung eines Königs, fur die gemeinsameKrönung von König und Königin sowie für die Krönung der Königin allein.Sie wurde in Form eines Missales für den Gebrauch während der Krönungs-messe angelegt. Die Krönungsordung wurde außerdem im sog. "Liber regalis"überliefert. Sie war die Grundlage für die Krönungsliturgie in England seitdem letzten Drittel des 14. und im 15. Jahrhundert.16 Bemerkenswert ist derUmstand, dass eine Bearbeitung des Ordos von 1308 zur Vorbereitung derKrönung von Richard H. 1377 mithilfe von französischen Einflüssen erfolgte,

n QUIDDE, Ludwig (Hg.): Deutsche Reichstagsakten unter Friedrich Ill. 2. Abt. (1441-1442). Göttingen 21957, S. 187-183.

14 ScHRAMM, Percy Ernst Die Geschichte des englischen Königtums im Lichte der Krö-nung. Weimar 1937 (ND Dannstadt 1970), S. 77.

15 ANTUN: Salbung (wie Anm. 2): vgl auch die Hinweise auf die Schilderungen der Krö-nungsvorbereitungen und ihren Ablauf in Arun. 21.

16 ScHRAMM: Geschichte (wie Arun. 14), S. 8t. Der Ordo stellt wohl die vierte Bearbeirungs-srufe dar und ist im ,,Liber regalis" notiert; siehe auch WARD, P.L: The Coronation Cere-mony inMedieval England. In: Speculum XIV (1939), S. 160-187; StrITON, Anne F. undHAMMOND, Peter W.: The Coronation of Richard Ill.Gloucester 1983, S. 201-202. EineEdition der Fassung im ,,Liber Regalis" des Ordo mit englischer Übersetzung bei LEGG,

Leopold G. Wickham: English Coronation Records. Westminster 1901, S. 81-130; BINSKI,Paul, The Liber Regalis: its Date and European Context. In: GORDON, Dillian u. a. (Hgg.):The Regal Image of Richard II and the Wuton Diptych. London 1997, S. 233-246 datiertS. 239-240 auf der Grundlage des Vergleichs der Illustrationen die Entstehung des ..LiberRegalis" um 1390, aber auf jeden Fall nach der Anlage des Missale, das um 1393/94 ent-standen ist.

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ohne dass jedoch der von Karl V. 1365 für Königskrönungen in Frankreichveranlasste Ordo benutzt wurde. Diese bisher erwähnten Ordnungen warenGedächtnisstützen vor allem für die Geistlichen und insbesondere die Koro-natoren - Erzbischöfe und Bischöfe - die dafür sorgen mussten, dass der ex-akte Ablauf der Liturgie gewährleistet war. Wie die Krönungen samt ihrerVorbereitungen und der abschließenden Feste im Einzelfall jedoch tatsächlichabgelaufen sind, darüber geben dieses Quellen keine Auskunft.

Ausführliche Beschreibungen von Augenzeugen oder zeitnahen Autorensind bis in das 14. Jahrhundert hinein nicht überliefert. Über die Praxis undden tatsächlichen Ablauf der Krönungsrituale in England berichten zuerst dieaus Anlass der Krönungen von Eduard Il. 1308 und Eduard Ill. 1327 ver-fassten Memoranden,17 in denen in knapper amtlicher Form über die Durch-führung der Krönung und der damit verbundenen Geschäfte berichtet wird.Aber erst über die Krönung Richards n. im Jahr 1377 ist ein ausführlicheramtlicher Bericht mit dem Ablauf des Investiturrituals angefertigt worden."Der Bericht (niedergelegt in der "Coronation Roll'') beginnt mit dem Ritt desneuen Königs vom Tower durch London nach Westminster am Tag vor derKrönung und schildert die Abfolge der Ereignisse bis hin zu den die Krönungabschließenden Festlichkeiten.Y Ähnlich amtliche Berichte fehlen für die wei-teren Krönungen im England. Fest steht jedoch, dass sich der .Lytlington-Ordo" als verbindliche Richtlinie für den Ablauf der Krönungen in dem unsinteressierenden Zeitraum durchgesetzt hatte.

Zwar werden Krönungen in vielen chronikalischen oder sonstigen Auf-zeichnungen meistens erwähnt, jedoch vor dem Ende des 14. Jahrhundertskaum in einer Weise, die es uns ermöglichen würde, den tatsächlichen Ablaufder Krönungsfeier - also die Praxis - mit dem jeweils geltenden Ordo zu ver-gleichen. Im Reich liegen erst ausführliche ~e~~hte für die Krönungen vonSigismund 1414, Friedrich Ill. 1442 und Maximilian 1. 1486 vor.20 In England

17 WILKINSON,Benie: Constitutional History of Medieval England 1216-1399. Bd. 3. Lon-don 1958, S. 96-98 bringt Auszüge aus den "coronation orders" für Eduard H. 1308 undEduard Ill. 1327. In diesen Texten finden sich schon Elemente, die im Ordo des ,,Liberregalis" zusammengeführt und erweitert wurden.

18 ScHR.\~a.I:Geschichte (wieAnm. 14),S. 86-87.19 ScHR.\~a.1:Geschichte (wieAnm. 14),S. 88.20 Grundlage sind die in den Reichstagsakten (RTA) zusammengestellten Quellen: Zu Wen-

zel im Juli 1376 kein amtlicher oder sonstiger Bericht (WEIZ.~CKER,Julius (Hg.): RTA un-ter König Wenzel Bd. 1,1.Göttingen 21956,S. 152); Ruprecht imJanuar 1401 ein Berichtder Stadt Köln, in dem aber nur erwähnt ist, dass die Krönung erfolgte "als sich dat ge-boeret" (WEIz.\cKER,Julius (Hg.): RTA unter König Ruprecht. Bd. 1, 1. Göttingen 21956,S.241); Sigismund im November 1414 Bericht des Eigil von Sassen (KERLER,Dietrich:RTA unter Sigismund. Bd. 1,1. Göttingcn 21956, S.243-245 ohne Hinweis auf die Eid-formel); der 1438 gewählte König Albrecht II. wurde nicht gekrönt. Siehe auch die Zu-sammenstellung der Berichte über Krönungen in Aachen von KAMMERER,Waiter (Hg.):

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stehen ausführliche Berichte von Augenzeugen seit der Krönung von Ri-chard Il. 1377 zur Verfügung."

2. Die Bedeutung der Krönung und Salbung für die Herrschaftslegin,mation von Königen im späten Mittelalter

Die Krönungen der Könige in England und im römisch-deutschen Reichsind in der Forschung unter verschiedenen Perspektiven und mit unterschied-lichen Fragestellungen behandelt worden. Eine wichtige Frage war (und ist)welche Bedeutung die Krönung und Salbung für die Herrschaftslegitimationdes jeweils neuen Königs hatte. Erkennbar ist eine Entwicklung vom Hoch-zum Spätmittelalter, in deren Folge die Bedeutung der Krönung und Salbungals unverziehtbares und konstitutives Element der Legitimation von Königs-herrschaft sowohl in England als auch im Reich - wenn auch aus je unter-schiedlichen Gründen - abnahm.f

Im Reich hatte sich bis zum Beginn des 14. Jahrhunderts der Wahlgedankeendgültig durchgesetzt. Im Kontext der Konflikte von Kaiser Ludwig demBayern mit den Päpsten in Avignon wegen der umstrittenen Approbationsan-sprüche der Päpste entwickelten die Reichs- und nachmaligen Kurfürsten einePosition, die eine legitime Königsherrschaft auf die Wahl derjenigen gründete,die dazu berechtigt waren. Zum Ausdruck brachten sie diese Auffassung imsogenannten Weistum der Kurfürsten über die Königswahl vom Juli 1338.23Im Baumgarten bei Rhens waren bis auf den König von Böhmen die bis da-hin wichtigsten Königswähler versammelt und brachten u. a. eine Erklärungim Hinblick auf die Königswahl zu Pergament. In dem hier für uns zentralenPassus machten die Fürsten ganz klar, dass der von ihnen einstimmig oder

Die Aachener Königs-Krönungen (Quellentexte zur Aachener Geschichte, 3) Aachen1961.

21 Über die Krönung Richards n. 1377 berichtet WALSINGHAM: Chronica Maiora (wie Anrn.5), S. 39-43; über die Krönung von Heinrich IV. 1399 berichtet ausfuhrlich FROISSART,Jean: Chronicles (hg. von Geoffrey Brereton). London 1978, S.463-466; über die Krö-nung von Heinrich V. 1413 (9. April) ist relativ wenig bekannt, vgl. ALu.L-\ND: Henry V(wie Anm. 3), S. 64. Relativ gut dokumentiert ist die Krönung von Richard III. und seinerGemahlin imJuli 1483, siehe SlJITON/HAMMOND: Coronation (wie Anrn. 16), S. 254ff.

22 SCHNITH, Karl: Krönungen. In: LExlKON DESMITrE.LALTERSV. Stuttgart 1999, Sp, 1547-1549; STURDY, David J.: "Continuity" versus "Change": Historians and English Corona-tions of the Medieval and Early Modem Periods. In: BAK, Janos M. (Hg.): Coronations.Medieval and Early Modem Ritual Berkley, Oxford 1990, S. 228-245; SCHNEIDMÜLLER,Bernd: Irrvestitur- und Krönungsrituale. Mediävistische Ein- und Ausblicke. In:STEINICKE, Marion/WEINRJRTER, Stefan (Hgg.): Investitur- und Krönungsrituaie. Herr-schereinsetzungen im kulturellen Vergleich. Köln, Weimar 2005, S. 475-488.

23 ROGGE, Jörg: Die Könige im Mittelalter - Wahl und Krönung. Darmstadt 2006, S. 67-68;SCHUBERT, Ernst: Die Stellung der Kurfürsten in der spätmittelalterlichen Reichsverfas-sung. In: Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte 1 (1975), S. 97-128, hier S. 111-1 t 9.

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mehrheitlich Gewählte den Königstitel führen und das Reich verwalten konn-te, ohne dafür die Erlaubnis des Apostolischen Stuhles erlangen zu müssen."Sein reichsrechtliches Fundament erhielt der Wahlgedanke dann 1356 in dervon Karl IV. angelegten "Goldenen Bulle", in der von päpstlicher Mitsprachekeine Rede mehr war.25

Damit wurde rechtlich normiert, was in der politischen Praxis im Reich seit1196, als der Erbreichsplan Heinrichs VI. von den Fürsten abgelehnt wordenwar,26dominierte: die Erhebung der Könige aufgrund von Wahlentscheidun-gen der Fürsten und nicht aufgrund eines Geblüts- oder Erbrechtes.

Das hatte Konsequenzen für die Bedeutung der Krönung mitsamt der Sal-bung. Sie wurde - zumal im 15. Jahrhundert - nicht mehr als ein Elementeiner Kettenhandlung bewertet, das zeitlich möglichst unmittelbar auf dieWahl des neuen Königs zu erfolgen hatte." König Sigismund wurde im Juli1411 gewählt, die Krönung erfolgte erst im November 1414 in Aachen. AI-brecht 11. wurde in Abwesenheit im März 1438 gewählt. Als er - der schonKönig von Ungarn und Böhmen war - zögerte, die Wahl anzunehmen, ge-währten ihm die Kurfürsten einen Aufschub von zwei Jahren bis zur Krö-nung, ohne dass dadurch seine Regierungsfähigkeit im Reich in Frage gestelltwurde." Friedrich Ill. schließlich war im Februar 1440 gewählt worden und

24 Nach Recht altem Herkommen des Reiches gilt folgendes: Sobald jemand von den Kur-fiirsten des Reiches - auch im Zwiespalt - zum Römischen König gewählt ist, bedarf erkeiner Benennung, Anerkennung, Bestätigung, Zustinunung oder Ermächtigung von Sei-ten des Apostolischen Stuhles zur Aufnahme der.Verwaltung der Güter und Rechte desReiches oder zur Annahme des Königstitels"; die Ubersetzung zitiert nach WEINRICH, 1.0-renz (Hg.): Quellen zur Verfassungsgeschichte des Römisch-deutschen Reiches im Spät-mittelalter (1250-1500). Darmstadt 1983, S. 287-290, hier S. 289.

2S Zur Entstehung und dem Inhalt der Goldenen Bulle siehe jetzt HERGEMÜlLER, Bernd-Ulrich: Die Entstehung der ..Goldenen Bulle" zu Nürnberg und Metz 1355 bis 1357. In:BROCKHoFF/~LnTIüus: Kaisermacher (wie Anm. 6), S. 26-39; LINDNER, Michael: DieGoldenen Bulle Kaiser Karls IV. von 1356. In: PUHLE, Matthias/HAssE, Clans-Peter(Hgg.): Heiliges Römisches Reich deutscher Nation. Von Otto dem Großen bis zum Aus-gang des Mittelalters. Essays. Dresden 2006, S. 311-321.

26 ENGELS, Odilo: Die Staufer. Stuttgart 61994, S. 136-137; GÜRICH, Knut: Die Staufer.Herrscher und Reich. München 2006, S. 75-76.

27 Es gab im 14. Jahrhundert durchaus noch die Auffassung, dass erst mit der Krönung inAachen der König die volle königliche Gewalt erhalte und erst damit der mit der Wahl be-gonnene Prozess der Königserhebung beendet werde. Auch die meisten Könige bis zuWenzel haben sich bis zur Krönung ..rex electus" genannt. Aber gegen die Approbations-ansprüche der Päpste wurde schließlich der Wahlentscheid als konstitutiv fUr ein König-tum angesehen und die Rechtsbedeutung der Krönung gemindert, die nach der Mitte des14. Jahrhunderts zunehmend zu einer formalen Ergänzung der Wahl wurde; sieheSCHUBERT, Ernst Königswahl und Königtum im spätmittelalterlichen Reich. In: ZHF 4(1977), S. 257-338, hier S. 270-273.

28 ROGGE: Könige (wie Anm. 23), S. 82.

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ließ sich erst imJuni 1442 in Aachen salben und krönen." Diese Entwicklungim 15. Jahrhundert wurde durch eine im ersten Drittel des 14. Jahrhundertsneue Praxis begünstigt, mit der das liturgische Investiturritual und damit diegeistliche Einweisung in die Herrschaft unmittelbar an die Wahl durch dieKurfürsten angeschlossen werden konnte, ohne dass man nach Aachen zie-hen musste. Es handelte sich dabei um die zuerst für Heinrich VII. 1308 be-legte Altarsetzung des Gewählten noch in Frankfurt - also am Wahlort.30 Inder Goldenen Bulle von 1356 wir die Altarsetzung des neu gewählten Königsnicht erwähnt, jedoch hatte sich die "exaltatio" im 14. Jahrhundert in der Pra-xis durchgesetzt. Karl IV. verlangte 1376, seinen Sohn Wenzel zu "kysen unduff den altar (zu) setzen als recht und gewonlich gewesen ist von alter", ihndann jedoch innerhalb von drei Wochen in Aachen zu krönen." Die Thron-setzung hat zwar die Krönung nicht vollständig ersetzt, sie unterstreicht je-doch in geistlich-liturgischer Hinsicht den Umstand, dass der jeweilige Königauch schon ohne die Salbung und Thronsetzung in Aachen als vollberechtig-ter und handlungsfähiger Herrscher angesehen wurde - die Wahl durch dieKurfürsten war das primäre Legirirnationsmerkrnal für die Königsherrschaftim römisch-deutschen Reich im späten Mittelalter."

Im Königreich England setzte sich endgültig im 13. Jahrhundert dasErbrecht, die "Primogenitur", als ausschlaggebendes Element für die Erlan-gung der Königskrone durch. Das hatte zur Folge, dass das Interregnum zwi-schen dem Tod eines Königs und dem Amtsantritt seines Nachfolgers aufeinen Tag zusammenschrumpfte.f Bis dahin hatten die Könige ihre Herr-schaft ab dem Tag ihrer Krönung gerechnet. Richard 1. und dann auch Jo-hann (ohne Land) führten den Titel "rex" erst ab ihrer Krönung. Als 1272Heinrich Ill. starb, befand sich sein Sohn Eduard auf dem Kreuzzug." VierTage nach Heinrichs Ill. Tod versammelten sich Barone, erkannten Eduard 1.als König an und huldigten ihm. Weitere drei Tage später wurde im Namen

29 Siehe die Zusammenstellung der Wahl- und Krönungsdaten bei ROGGE:Könige (wieAnm. 23), S. 117.

30 RIEGER,Fritz: Die Altarsetzung der deutschen Könige nach der Wahl. Berlin 1885, sieheetwa (Heinrich VII.), S.6ff. (Ludwig der Bayer 1314), S.9f. (Günther von Schwarzburg1349), S. 18 (Wenzel 1376), S.21 (Ruprecht von der Pfalz 1410), S.33 (Maximi1ian I.1486). Albrecht H. (1438) und Friedrich H. (1440)wurden in Abwesenheit gewählt, darumerfolgte auch keine Altarsetzung. 1411 wurde fur den abwesenden Sigismund stellvertre-tend der Burggraf Johann von Nümberg auf den Altar gesetzt, vgl dazu KERLER(Hg.):RTA Sigmund (wieAnm. 20), S.130.

31 WElZSÄCKER(Hg.): RTA Wenzel (wieAnm. 20), S.7l.32 KRIEGER,Karl-Fricdnch: König, Reich und Reichsreform im Spätmittelalter. München

1992, S. 8-11.33 BLOCH,Mare: Die wundertätigen Könige. München 1998,S. 244 (franz. Original 1924).34 BERG,Dieter: Die Anjou-Plantagenets. Die englischen Könige im Europa des Mittelalters.

Stuttgart 2003, S. 155-157.

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des neuen Königs Eduards I. der Königsfriede erklärt. Er hatte damit faktischdie Regierung angetreten, auch wenn er nicht persönlich in England anwe-send war. Seine Krönung erhielt er erst nach seiner Rückkehr ins KönigreichEngland am 19. August 1274 inWestminster.35Als Eduard I. dann am 7. Juli1307 starb, rechnete sein Sohn und Nachfolger Eduard Il. seine Herrschaftab dem Tag nach dem Tod seines Vaters. Er erklärte den Königsfrieden, weiler aufgrund des Erbrechtes (par descente de heritage) König von Englandsei." Seine Krönung erfolgte am 25. Februar 1308.37 In England war also imspäten Mittelalter das Erbrecht am Thron die Voraussetzung für die Salbungund Krönung. Die königliche Geburt zeigte an, dass der Prinz von Gott fürdas Königtum erwählt worden war. Der Jurist Thomas Bracton (+1268) fasstdiese Vorstellung in dem Satz zusammen, dass nur Gott einen Erben machenkönne."

Neben der Herausbildung und Durchsetzung des Erbrechtgedankens hattein England im späten Mittelalter das Verhältnis der Könige zu den großengeistlichen und weltlichen Fürsten (Baronen) Konsequenzen für die Bedeu-tung und Funktion der Krönungen. Während der meisten Zeit im 14. und 15.Jahrhundert bestand ein Spannungsverhältnis zwischen den Königen unddem hohen Adel des Königreiches, die miteinander um die Teilhabe und Or-ganisation der Königsherrschaft gerungen haben. Vor allem Eduard Il., Ri-chard 11., Heinrich IV. und Heinrich VI. standen alle mehr oder weniger imVerdacht, Feinde der Freiheit (hier vor allem als die Freiheit des hohen Adels,an der Herrschaft des Königreiches direkt teilhaben zu können) zu sein undnicht - wie es ihre Aufgabe gewesen wäre - die Freiheit der Einwohner desKönigreiches zu verteidigen." Die Vorstellung der politischen Akteure voneiner "limited monarchy" fand auch einen konkreten Niederschlag in derAusbildung und Entwicklung einer Verfassung, in der das Parlament eine we-sentliche Rolle spielte." Zu einem maßgeblichen politischen und verfassungs-rechtlichen Faktor konnte das Parlament in England auch deshalb werden,weil gerade durch erbrechtliche Begründung von Thronansprüchen immerwieder Konflikte darum, wer denn der rechtmäßige Thronerbe sei, entbrann-

35 PRESIWICH, Michael: The Three Edwards. War and State in England 1272-1377. London22oo2,S.8.

36 SCHR....MM: Geschichte (wie Anm. 14), S. 167.31 BERG: Anjou-Plantagenets (wie Anm. 34), S. 197.38 }(ANTOROWlCZ, Ernst H.: Die zwei Körper des Königs. München 1990, S. 332; SCHULZ,

Fntz: Bracton on Kingship. In: EHR 60 (1945), S. 136-167. Siehe auch ERKENs: Herr-schaftslegirirnierung (wie Anm. 11), S. 39-40.

39 WILKINSON: History 3 (wie Anm.17), S. 74 und S. 89-91.4() WILKINSON, Bertie: History o.f England in the Fifteenth Century (1399-1485). Aberdeen

1964, S. 396; zum Parlament siehe auch Burr, Ronald: A History of Parliament. The Mid-dle Ages. London 1989.

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ten. Zunächst konnte der Konflikt urn den Thron durchaus mit Waffengewaltausgetragen werden und der Sieger konnte den Ausgang als ein Kampfurteilinterpretieren, mit dem Gott seinen Willen offenbart hatte. Aber die Ergeb-nisse auf den Schlachtfeldern sollten auch verfassungsrechtlich abgesichertwerden. Deshalb haben Heinrich IV. 1399 als er den englischen Thron vonRichard 11. erobert hatte und Eduard IV. 1461, der als Sieger aus den Käm-pfen zwischen den Häusern York und Lancaster hervorgegangen war undHeinrich VI. vom Thron verdrängen konnte, ihre Ansprüche auf den Thronnicht nur erbrechtlich begründet, sondern durch weitere Argwnente abge-stützt. Während einer Sitzung des Parlamentes Anfang Oktober 1399 erklärteHeinrich IV. offiziell seinen Anspruch auf die englische Krone und das Köni-greich: "In the name of the Father, Son and Holy Ghost, I, Henry of Lancas-ter claim this realm of England and the crown with all its members and itsappurtenances, inasmuch as I am descended by the right line of the bloodfrom the good lord King Henry the third, and through that right that God inhis grace has sent me, with the help of my kin and my friends recovering it;which realm was at the point of ruin for lack of governance and destructionof good laws.'"' Die versammelten Lords und Vertreter der Commons akzep-tierten diese Forderung und stimmten ihr zu; Heinrich wurde unmittelbar da-nach auf den leeren und nach Richards 11.Abdankung und Absetzung als va-kant angesehenen Thron in der Westminster Hall gesetzt; die offizielle Krö-nung wurde für den 13. Oktober 1399 festgelegt." Allerdings hing seinerThronbesteigung der Makel einer Usurpation an, und deshalb bekam dieKrönung und Salbung für Heinrich IV. eine besondere Bedeutung.Y

41 GIVEN-WILSON,Chris (Hg.): The Parliament Rolls of Medieval England VIII: Henry IV1399-1413.London 2005, S. 25.

42 WYLIE,James H.: History of England under Henry the Fourth. Bd. 1. London 1884, S. 14-16; KRIEGER,Karl-Friedrich: Das Haus Lancaster (1377-1461). In: VOllRATII, Han-na/FRYDE, Natalie (Hgg.): Die englischen Könige im Mittelalter. München 2004, S. 150-185, hier S.170-71; KIRBY,John L: Henry IV of England. London 1970, S.69-71;MCF.\RLANE,Kenneth Bruce: Lancastrian Kings and Lollard Knights. Oxford 1972, S. 56-58 mit einer luziden Interpretation der von Heinrich IV. fur seinen Tlu:onanspruch formu-lierten Gründe. Auch wenn die Versammlung des Parlamentes den wichtigen Rahmen furdie Tlu:onbesteigung Heinrichs IV. bildete, beruhten sein Anspruch und die Legitimationseiner Herrschaft nicht auf einem Parlamentsbeschluss. Heinrich IV. und auch die Thron-anwärter im 15. Jahrhundert beriefen sich auf das Erbrecht, danach - wenn gegeben - aufdas Eroberungsrecht sowie auf "some losse form of acceptance"; L-\PSLEY,Gaillard: TheParlamentary Title of Henry IV. In: EHR 49 (1934), S.423-449 und S.577-606, ZitatS. 606; zur Bedeutung des Parlamentes bei der Absetzung von Eduard n. 1327 siehe auchdie Einleirung der Herausgeber in: PHlLIPS,Seymour/Onsmon, Mark (Hgg.): The Parlia-ment Rolls of Medieval England IV: Edward 1111327-1348.London 2005, S.7-9.

43 Siehe unten bei Anm. 83

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Auch Eduard IV. hatte 1460/61 seine Gegner militärisch besiegen müssen,um den Thron zu erlangen." Doch auch in diesem Fall reichte die Legitimati-on durch Eroberungsrecht und das Erbrecht nicht aus. Am 1. März 1461 akk-lamierten ca. 3000 Londoner in St. Georg's Field dem Thronkandidaten undschrieen, dass Heinrich VI. nicht mehr König sein solle. Eduard IV. hätte dasRecht dazu, weil Heinrich VI. den von ihm mit Eduards Vater Richard vonYork im Oktober 1460 abgeschlossenen Vertrag (Act of Accord) - nach demHeinrich VI. König auf Lebenszeit bleiben, dann aber die Krone an Richardvon York bzw. dessen Nachkommen übergehen solle - gebrochen habe."Am 3. März 1461 erklärte ein Großer Rat, dass Eduard König werden solleund am 4. März nahm er in der Halle von Westminster auf dem Marmorstuhl(marble chair), bekleidet mit der Königsrobe und einem Zepter in der Hand,Platz. Die dort versammelte Menge akklamierte ebenfalls und damit nahm er_ wie vor ihm im Jahr 1399 Heinrich IV. - das Königreich in Besitz." Dieoffizielle Krönung wurde verschoben; sie fand am 28. Juli 1461 statt." In derkririschen und umkämpften Situation zu Beginn des Jahres 1460 war es vonBedeutung, dass die Thronsetzung Eduards IV. in London unter Beteiligungder Bevölkerung durchgeführt wurde. Denn die traditionelle Form des Ritualsam "richtigen" Ort gab seiner Herrschaft den notwendigen Legitimations-überschuss zu einem Zeitpunkt, 48 als der Anspruch auf den Thron quaErbrecht zunehmend in Zweifel gezogen wurde; es hatte sich schon öfterherausgestellt, dass "not all legitimate kings were capable of exercising theonerous duties demanded of the person occupying the throne"." Hein-rich IV. 1399 und Eduard IV. 1461 erlebten jedenfalls eine Thronsetzung vor

44 Gute Darstellung der Ereignisse im Konflikt zwischen York und Lancaster im Herbst1460 und Winter 1460/61 von GlLLINGI-L\M,John: The Wars of the Roses. Peace andConflict in Fifteenth-Century England. London 1981, S. 116ff.; NEILL\NDS,Robin: TheWars of the Roses. London 1992, S.75ff.

45 GIWNGI-L-\M:Wars (wie Anm. 44), S. 117-118; Der ,,Act of Accord" wurde zwar im Par-lament registriert, jedoch nicht offiziell bestätigt, HICKS,Michael: Edward IV. London2004, S. 22.

46 ROSS,Charles: Edward IV. London 1974, S. 34; McKls ....ex, May: London and the Suc-cession to the Crown during the Middle Ages. In: HUNT,Richard W. u. a. (Hgg.): Studiesin Medieval History presented to Frederick Maurice Powicke. Oxford 1948, S. 76-89, hierS.85-86.

47 ROS.<i:Edward IV (wieAnrn. 47), S. 41.48 ROSS,Charles: The Wars of the Roses. London 1976, S. 54.49 .ALUL\ND,Christopher: Opposition to Royal Power in England in the late Middle Ages.

In: K1NTZINGER,Martin/ROGGE, Jörg (Hgg.): Königliche Gewalt - Gewalt gegen Könige.Macht und Mord im spätmitteWterlichen Europa. Berlin 2004, S.51-70, Zitat S.63;CARPENTER,Christine: Resisting and Deposing Kings in England in the Thirteenth, Four-teenth and Fifteenth Centuries. In: FRJEDEBURG,Robert von (Hg.): Murder and Monar-chy. Regicide in European History, 1300-1800. Houndmills 2004, S. 99-121. Zu den Vor-würfen gegen Eduard 11. und Richard II. siehe unten bei Anrn. 55 und Anm. 82.

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der offiziellen Krönung und beide waren auch schon vor der Krönung undSalbung in der Abteikirche von Wesoninster vollberechtigte Herrscher. IhreLegitimation zur Herrschaft leitete sich ebenso wenig wie für die Könige imrömisch-deutschen Reich in dieser Zeit nicht mehr in erster Linie von demerfolgten liturgisch-geistlichen Investiturritual ab.

So bleibt hier festzuhalten, dass seit Beginn des 14. Jahrhunderts sowohlim römisch-deutschen Reich als auch in England - wenn auch aus unter-schiedlichen, geradezu diametral entgegengesetzten Ursachen - die Krönun-gen der Könige nicht mehr konstitutiv für die Legitimation ihrer Herrschaftwaren. Gleichwohl hatten die Krönungen und Salbungen weiterhin gewisseFunktion und waren deshalb wohl aufschiebbar, aber nicht aufhebbar. Einliturgischer Investiturakt am traditionellen Krönungsort in Aachen war imrömisch-deutschen Reich weiter notwendig. Er diente als Medium zur Selbst-darstellung der Monarchie, aber auch um die Wahl der Kurfürsten zu un-terstreichen, den neuen Herrscher als den würdigen Nachfolger seines Vor-gängers öffentlich zu präsentieren und somit einen Beitrag zur Konstitutionder Herrschaft zu leisten." Zudem ergänzte das Krönungs- und Salbungsritu-al die Merkmale der Wahlheiligkeit, die im Reich des späten Mittelalters dieGeblütsheiligkeit substituiert hatte. Die Wahlheiligkeit war das sakrale Fun-dament des römischen Königtums, denn das Wirken Gottes wurde in den fürdie Konstituierung der Herrschaft entscheidenden Wahlakt selbst verlagert,"Die Krönungsfeiern fungierten dann faktisch als das ,sakrale Dach', das überdem Königtum aufgespannt wurde. Mit der Salbung wurde dem König weiterdie Möglichkeit eröffnet, seine Herrscherpflichten mit Gottes Hilfe bessererfüllen zu können." Auf die Erfüllung seiner Herrscherpflichten wurde derrömisch-deutsche König im Rahmen der Krönungs- und Salbungshandlungeneingeschworen. Seit dem 12. Jahrhundert ist bekannt, dass die Könige vor derSalbung ein entsprechendes Versprechen abgegeben haben; im 15. Jahrhun-dert sind sie im Wortlaut fassbar. In der Liturgie bei den Krönungen in Aa-ehen wurden Friedrich III. 1442 und Maximilian I. 1486 vor der Salbung vomErzbischof von Köln gefragt, ob sie (1) den heiligen Glauben stärken und (2)die Kirche und ihre Diener schützen werden, (3) ob sie das ihnen von Gottverliehene Reich wie ihre Vorgänger beschirmen und verteidigen und (4) obsie die Rechte des Reiches und seinen Besitz bewahren sowie verlorenenReichsbesitz wieder an das Reich bringen werden, (5) ob sie die Armen undReichen, die Witwen und Waisen beschützen und (6) dem Bischof in Rom (=Papst) und der heiligen römischen Kirche Untertänigkeit und Treue erweisenwerden. Auf jede dieser Fragen antworteten die Könige vor dem Altar ste-

50 So ERKENs: Herrschaftslegitimierung (wie Anm. t t), S. 37.51 Dazu SCHUBERT: Königswahl (wie Anm. 27), S. 260-264.52 ROGGE: Könige (wie Anm. 23), S. 110.

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hend und mit zwei Fingern auf dem Altar (und Evangeliar) jedes Mal "volo"("ich will'') und versprachen abschließend noch einmal insgesamt, die gege-benen Versprechen mit der Hilfe Gottes und aller Heiligen halten zu wollen."

Im Vergleich mit der Situation im römisch-deutschen Reich wurde die fei-erliche Investitur eines neuen Königs in England häufiger als eine Gelegen-heit genutzt, um Verschiebungen im Machtverhältnis von Königen und ho-hem Adel bzw. dem Parlament deutlich zu machen, indem diese Veränderun-gen im Ablauf des Rituals den Anwesenden mitgeteilt wurden. Ich möchtedas an zwei Beispielen veranschaulichen. Zum einen am Beispiel der Krönungvon Eduard 1. 1308, wobei vor allem der von Eduard geleistete Krönungseidim Mittelpunkt stehen wird. Zum zweiten dann am Beispiel des Thronverlu-stes von Richard 11.und der Thronbesteigung von Heinrich IV. 1399. In die-sem FaU geht es um die Bedeutung der Salbung bzw. um die Qualität des beider Salbung verwendeten Öls.

3. Eduard 11. und der Krönungseid von 1308

Die Krönung von Eduard 11. am 25. Februar 1308 in Westminster standunter der liturgischen Leitung des Bischofs von Winchester, Heinrich Wood-lock, der den erkrankten Erzbischof von Canterbury - Robert Winchelsey -vertrat.54 In den Tagen zuvor hatten die Barone und der König angestrengtdarüber verhandelt, in welcher Weise das Verhältnis von König und Reichneu geordnet werden soUte. Die Barone befürchteten nämlich, dass der neueKönig sich auf eine Gruppe von Aufsteigern um seinen Freund Piers de Ga-veston verlassen würde und die hohen Adeligen keinen Zugang mehr zu ihmfinden würden." In den Annalen von St. Paul's wird berichtet, dass die Gra-fen und Barone gemeinsam mit den für die Krönung angereisten französi-schen Gästen von Eduard verlangten, Piers Gaveston aus dem Königreich zu

53 Der Eid Friedrichs Ill. In: HERRE, Hermann/QUIDDE, Ludwig (Hgg.), DeutscheReichsragsakten unter Kaiser Friedrich Ill. (1441-1442). Göttingen 21957, S. 179-180. DerEid von Maximilian nach dem Bericht über die Krönung von Maximilian I. 1486. In:HuySKENS,Alfred: Die Krönung Maximilians 1. in Aachen 1486 nach einem noch unbe-kannten Frühdruck. In: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 64/65 (1951), S. 72-99, hier S.85; siehe auch HOU.EGGER,Manfred: Maximilian 1. (1459-1519). Herrscherund Mensch einer Zeitenwende. Stuttgart 2005, S. 65-67.

54 DENHoLM-YoUNG,Noel (Hg.): Vita Eduardi Secundi/The Life of Edward the Second.London 1957, S. 3-4; BERG:Anjou-Plantagenets (wieAnm. 34), S. 193.

55 FRYDE,Natalie: The Tyranny and Fall of Edward II 1321-1326. Cambridge 1979, S. 13-15;V.\LENTE,Claire: The Theory and Practice of Revolt in Medieval England. Aldershot2003, S. 122-123. Zum Verhältnis von Eduard II. zu Gaveston siehe z. B. TUCK, Anthony:Crown and Nobility 1272-1461. Political Conflict inLate Medieval England. Oxford 1986,S. 50-70; DClHERlY,Paul: Isabella and the strange Death of Edward II. New York 2003,S. 36-39; CfLWL.\IS,Pierre: Piers Gaveston. Edward II's Adoptive Brother. Oxford 1994.

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entfernen. Weil Eduard das nicht zugestehen wollte, drohten die Adeligendamit, der Krönung fernzubleiben - was faktisch bedeutete hätte, dass sienicht hätte stattfinden können. Darauf habe der König geantwortet, dass eralles akzeptieren werde, was in einem zukünftigen Parlament beschlossenwerden würde, wenn sie die Krönung nicht behindern würden."

Deshalb musste während der Krönungsfeier in irgendeiner Form öffentlichdeutlich gemacht werden, dass sich Eduard nicht dem Einfluss und den Ent-scheidungen der Barone entziehen würde. Diese wollten gleichsam eine Ga-rantie dafür, auch zukünftig auf die Belange des Königreiches Einflussnehmen zu können. Der Ablauf der Krönung und Salbung brachte den in denVerhandlungen erreichten Kompromiss dann auch zum Ausdruck. Er warjedoch auch eine Gelegenheit für Eduard H., sein Wohlwollen und Vertrauenfür Piers Gaveston zu demonstrieren. Gaveston durfte nämlich während derfeierlichen Prozession von der Westminster Hall in die Abteikirche _unmittelbar hinter den höchsten weltlichen Fürsten des Reiches platziert - dieKrone Eduards des Bekenners tragen." Das war die Krone, die Eduard H.während der Zeremonie auf das Haupt gesetzt bekam. Durch weitere Aus-zeichnungen für Gaveston während der Krönungsfeier unterstrich Eduard H.,dass sein Freund Piers und nicht etwa seine Frau Isabella von Frankreich, dieebenfalls gekrönt wurde, sein wichtigster Gast war. Deutlich sollte werden,dass Eduard Piers Gaveston als Mitregenten, als zweiten König, den Teilneh-mern an der Krönungszeremonie vorstellen wollte. Eduard 11. ließ Wandtep-piche anfertigen, auf denen die Wappen von ihm selbst und die von Gavestonals Graf von Cornwall abgebildet waren - und nicht die seiner Frau, derfranzösischen Prinzessin. Zudem durfte Piers dem König die Sporen am lin-ken Fuß befestigen und nach der Krönung "Curtana", das "Schwert derGerechtigkeit" tragen. Insgesamt waren das Tätigkeiten und Privilegien, dieeigentlich hohen Adeligen zustanden. Diese offensichtliche Bevorzugung desAufsteigers Gaveston vor der Königin und den hohen englischen Adeligenvor den Augen der französischen Gäste, unter denen sich zwei Onkel Isabel-Ias befanden, provozierte soviel Unmut, dass nur mit Mühe während derKrönungsfeier Blutvergießen verhindert werden konnte."

56 Siehe den Auszug aus den Annalen von St Paul bei WILKINSON, Bertie: ConstitutionalHistory of Medieval England 1216-1399. Bd 2. London 1952, S. 108-109.

57 HAINES, Roy Martin: King Edward 11. Edward of Caernafom. His Life, his Reign, and itsAftermath, 1284-1330. London, Ithaca 2003, S. 54.

58 Zum Ablauf der Krönung und den durch Gavestons Verhalten entstandenen Spannungensiehe etwa, CHAPL.\IS: Gaveston (wie Anm. SS), S. 42-43; TuCK: Crown (wie Anm. SS),S. 53; DCmERlY: Isabella (wie Anrn. 55), S. 44-46; HAINES: Edward 11 (wie Anm. 57),S. SS; BROWN, Elisabeth A. R.: The Political Repercussions of Family Tie. in the EarlyFourteenth Century: The Marriage of Edward 11 of England and Isabelle of France. In:Speculum 63 (1988), S. 573-595, vor allem S. 582-583.

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Das Ergebnis der Verhandlungen zwischen Eduard II. und den englischenBaronen wurde dann während der Leistung des Krönungseides der Öffent-lichkeit bekannt gegeben. Zunächst wurde Eduard vom Bischof Woodlockder Tradition entsprechend gefragt, (1) ob er mit dem Eid dem englischenVolk versprechen wolle, die von seinen Vorgängern gegebenen Gesetze undGewohnheiten zu erhalten und insbesondere die von dem Hl. Eduard demBekenner dem Volk und Klerus gewährten Rechte und Freiheiten zu achten,ob er (2) bereit sei, durch seine Rechtsprechung den Frieden und die Ein-tracht im Volk und Klerus vor Gott zu erhalten und (3) Gerechtigkeit zuüben. Die letzte und vierte Frage war neu und extra für die EidIeistung vonEduard Il. entworfen worden. Er verpflichtete sich damit dazu, Gesetzte undrechtliche Verfügungen zu akzeptieren und zu bewahren, die von der "Ge-meinschaft des Reiches" ("la communaute de vostre roiaume" bzw. "thecommunity of your realm") künftig erlassen würden." Dies war zwar einesehr vage Formulierung ohne genauer beschriebenen Wirkungsbereich undGeltungszeitraum, aber klar war auch, dass sich die Barone und andere Inte-ressierte, z. B. das Parlament, gegebenenfalls auf dieses Versprechen berufenkonnten. Der Handlungsspielraum des Königs konnte eingeschränkt werden,seine Politik konnte u. U. von den Entscheidungen der wie auch immer inZukunft rekrutierten Repräsentanten der "Gemeinschaft des Reiches" abhän-gen.60 Aus der konkreten politi.schen Problemla~e d:s Jahres 130~ erwu~hsenLösungsversuche, die ihren Niederschlag z. T. In einer folgenreichen Ande-rung, genauer, in der Erweiterung des Krönungsrituals, gefunden haben. Inder politischen Praxis lebte der Konflikt zwischen Eduard H. und seinenMagnaten fort; er wurde sehr blutig ausgetragen und fand seinen traurigenEndpunkt mit der erzwungenen Abdankung des Königs im Januar 1327 undseiner wahrscheinlichen Ermordung im Gefängnis von Burg Berkeley im Sep-tember 1327.61 Die 1308 eingeführte neue Form des vom König zu leistenden

59 Die französische und lateinische Fassung der Eidformel bei HoYT, Robert S.: The Coro-nation Oath of 1308. In: EHR 71 (1956), S. 353-383, hier 355-356. Zu den Abweichungenzwischen den beiden Fassungen und den Gründe dafiir siehe auch SCHRAMM: Geschichte(wie Anrn. 14), S.204-207. Eine englische Fassung der vier F~~en ist gedruckt beiWILKlNSON: History 2 (wie Anm. 56), S. 107-108. Die englische Ubersetzung folgt derfranzösischen Fassung. Über die Ursprünge und die Bedeutung der vierten Eidformel istin der Forschung intensiv und kontrovers diskutiert worden; siehe etwa die Zusammenfas-sung des Diskussionsstandes bei WILKINSON: History 2 (wie Anm. 56), S. 85-94; HoYT,Robert S.: The Coronation Oath of 1308: The Background of ,Les Leys et les Custumes'.In: Traditio XI (1955), S. 235-257 und H.\INES: Edward II (wie Anm. 57), S. 56-58.

60 BERG: Anjou-Plantagenets (wie Anm. 34), S. 193.61 H.\INES: Edward II (wie Anm. 57), S. 198; DOHER1Y: Isabella (wie Anrn. 55), S. 128-131

mit einer Zusammenstellung der Berichte über die sehr undurchsichtigen Umstände seinesTodes; V.\LENTE, Claire: The Deposition and Abdiction of Edward H. In: EHR 113(1998), S. 852-881; ROGGE,]örg: Abgesetzte Könige, abgeschlagene Köpfe. Gewalt in den

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56 Kölligskrönungen in England

Eides hat in den Krönungsordo Eingang gefunden und ist erhalten geblieben.So leisteten auch Eduard Ill. 1327, Richard Il. 1377 sowie Heinrich IV. 1399und auch noch Richard Ill. 1483 während ihrer Krönungsfeiern den Eid inder Form von 1308.62 Damit blieben also auch diese Könige an Gesetze ge-bunden, die auf irgendeine Weise von der Gemeinschaft des Königreichesgemacht werden würden. Eduard rn. sollte am 1. Februar 1327 nur dann ge-krönt und gesalbt werden, wenn er zuvor beschwören wolle, die Gesetzte zuachten, die das Volk gemacht hatte." Als Richard Il. 1377 gekrönt wurde, warer erst zehn Jahre alt. Seine Berater hätten vermutlich gerne den vierten Teilder Eidleistung vermieden, was aber wegen der nunmehr geltenden Traditionnicht mehr möglich war." Die Praxis der Eidleistung reflektiert in gewisserWeise den mehrfach von Juristen und Theologen formulierten Gedanken,dass die Könige zwar Recht sprechen können, aber nicht über dem Gesetzstehen." Dass sie an die Gesetze gebunden sind, beschwören sie öffentlichmit ihrem Krönungseid. Im Kontext der Absetzungen von Eduard n. undRichard Il, argumentierten ihre Gegner unter anderem, dass die beiden Köni-ge gegen ihren Krönungseid verstoßen haben. Damit konnte man Widerstandgegen die Könige legitimieren, ja letztlich sogar ihre Absetzungen begrün-den.66

Eine zweite Entwicklung nahm in der Folge der Diskussionen um die Be-dingungen, unter denen Eduard n. und seine Nachfolger gekrönt werdensollten, klare Konturen an; nämlich die Trennung von Krone, die für das Kö-

Konflikten zwischen Königen und Hochadel im spättnittelalterlichen England. In: DasMittelalter 12 (2007), S. 24-34, hier S. 29-30.

62 WILKlNSON:History 3 (wieAnm. 17), S. 81 mit Anm. 21; der von Heinrich IV. 1399 ge_leistete Eid ist gedruckt in GIVEN-WILSON:Parliament Rolls VIII (wie Anm. 41), S. 14. ZuRichard Ill. siehe SUTfON/HAMMOND:Coronation (wie Anm. 16), S.3-5: Richard Ill.schwor den Krönungseid sehr wahrscheinlich in englischer Sprache. 1308 und 13991eiste-ten die Könige den Eid auf Französisch, dann fehlen bis 1483 Hinweise auf die Sprache,in der der Eid geleistet wurde.

63 HAINES:Edward II (wieAnm. 57), S. 194.M S.\UL,Nigel: Richard II. New Haven, London 1997, S. 25.65 So formulierte Thomas Bracton in dem Traktat "Oe legibus et consuetudinibus Angliae",

dass der König unter Gott und dem Gesetz stehe, denn das Gesetz macht den König, sie-he WILKlNSON:History 3 (wie Anm. 17), S. 102 und in einern wohl in den 1320er Jahrenverfassten "Mirror of Justices" heißt es über den Missbrauch der Macht durch den Körug:"The first and sovereign abuse ist that the king is beyond the law, wheras he ought to besubject to it, as is contained in his oath", zitiert bei WILKlNSON:History 3 (wie Anm. 17),S. 107; siehe auch FESEFELDT,Wiebke: Englische Staatsthearie des 13.Jahrhunderts. Hen-ry de Bracton und sein Werk. Göttingen 1962, S. 67-68. Über die Umsetzung dieser Vor-stellung zur Begründung und Rechtfertigung von politischem Handeln gegen englischeKönige siehe ALLl\L\ND:Opposition (wie Anm. 49), S. 65-68 und ROGGE:Abgeschlage-ne Köpfe (wieAnm. 61), S. 32-33.

(,6 AUMAND:Opposition (wieAnm, 49), S. 59-60.

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nigreich steht, und deren jeweils aktuellem Träger, dem König. Im März 1308und auch im Jahr 1321 erklärten geistliche und weltliche Barone im Rahmenvon Parlamentssitzungen, dass sie mit ihrem Eid stärker der Krone als demKönig verpflichtet seien, weil ihm als Person keine Treue geschuldet wird,bevor die Krone auf ihn kommt. 67 Und wenn der König sich unvernünftigverhalte und z.B. Krongut verschleudere - gedacht war 1308 konkret an dievon Eduard II. an Piers Gaveston übertragenen Titel und Herrschaftsberei-che - , dann sind die Adeligen durch ihren Eid an die Krone geradezu ver-pflichtet, sein Verhalten zu korrigieren.68 Damit war ein weiteres Argumentauf den Weg gebracht, mit dessen Hilfe in Konflikten argumentiert werdenkonnte, nämlich dass man als englischer Adeliger mit Verantwortung für dasWohl des Königreiches in bestimmten Situationen gegen den Träger derKrone Widerstand leisten musste, um die Krone - und also auch das König-reich - vor Schaden zu bewahren."

4. Richard 11., Heinrich IV. und das Salböl des Thomas Becket 1399

Die Salbung hatte im späten Mittelalter für die Herrschaftslegitimation kei-ne konstituierende Bedeutung mehr, weil seit der Wende vom 12. zum 13.Jahrhundert die Salbung mit hierokratischen und juristischen Argumentenabgewertet und damit auch ihre herrschaftsbegründende Bedeutung relativiertwurde. Seit Papst Innocenz Ill. unterschieden Theologen zunehmend zwi-schen der Priester- bzw. Bischofssalbung sowie der Fürstensalbung. DasHaupt des Bischofs wird mit Chrisam geweiht, hingegen der Arm eines Für-sten mit (Katchumenen-)Ol gesalbt. Deutlich werden sollte auf diese Weisedie Unterscheidung der Autorität des Bischofs von der Macht des Fürsten.Allerdings hat diese Unterscheidung die liturgische Praxis bei den Krönungs-feiern nicht tangiert, und sie ist erst wirkmächtig geworden, als Juristen denWert der Krönung in verfassungsrechtlicher Hinsicht neu bewertet haben."In England fassteJohn Fortescue in den Jahren 1461/62 diese Überlegungenzusammen, indem er die Wirkung der Salbung daran band, dass sie an einergeeigneten Person vollzogen wurde. Eine Salbung an sich war zwar notwen-

67 TUCK: Crown (wie Anrn. 55), S. 53 und S. 76.68 So der Tenor der Erklärung der Barone von 1308, die gedruckt ist bei WILKINSON: Histo-

ry 2 (wieAnrn. 56), S. 111;dazu auch K.\NTOROWICZ: Körper (wieAnrn. 38), S. 364.69 In den gegen Richard II. 1399 erhobenen und in den Parlamentsrollen festgehaltenen

Anklagen dominieren seine Verbrechen gegen die Krone, wie die Vergeudung von Kron-eigentum und die Missachtung der Freiheit der Krone Englands und damit auch des Kö-nigreiches, siehe GI\'EN-WII ..'iON: Parliament Rolls VIII (wieAnrn. 41), S. 15-24.

711 I<ANTOROWICZ: Körper (wie Anm. 38), S. 322-329 über die Diskussion bei Kanonistenund Legisten bis in das 14.Jahrhundert.

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dig, blieb jedoch wirkungslos, wenn der Gesalbte nicht der durch das Ge-blütsrecht legitimierte König war."

Aus der Sicht der englischen Juristen war im Kern die richtige Abstam-mung das zentrale Argument für die Herrschaftsberechtigung eines Königs.die Krönung und Weihe bestätigte nur diesen Faktor." Aus der Sicht desPapsttums war die Weihe kein Sakrament mehr und deshalb auch in gewisserWeise im Rahmen der Krönungsliturgie disponibel. Gleichwohl blieb die Fra-ge, welche Folgen eine Salbung für den gesalbten König hatte, ob ihm da-durch eine besondere Kraft - so in Frankreich und England ja bekanntlichdie Kraft, Skrofeln zu heilen - oder Gottes spezielle Unterstützung verliehenwurde.73 In England waren die Salbung und das dabei verwendete Salböl vonBedeutung, wenn es galt, Herrschaftskrisen zu bewältigen oder eine neue Dy-nastie auf dem Thron zu etablieren und ihren gottgefalligen Anspruch auf dieHerrschaft im Königreich England zu unterstreichen. In solchen kritischenSituationen sollten der Einsatz und die Anwendung von außergewöhnlichengeistlichen Argumenten zu ihrer Entspannung beitragen. Deshalb ist für un-sere Fragestellung von besonderem Interesse, welche Bedeutung und Wir-kung die englischen Herrscher einerseits und die kirchlichen Autoritäten an-dererseits dem Salböl beigemessen haben. Eduard n. im Jahr 1318 sowie Ri-chard Il. 1399 haben versucht, ihre politischen Probleme mit der Oppositionu. a. auch durch die Salbung mit einem besonderen Öl zu entschärfen. Andiesen Beispielen wird besonders deutlich, welche Bedeutung die Königssal-bung für die Zeitgenossen hatte.

Im Mittelpunkt der Überlegungen stand ein besonderes Salböl, das dem HI.Thomas Becket 1167 als er in Sens im Exil war, von der Jungfrau Maria über-geben wurde.i" Maria überreichte Thomas einen Goldenen Adler, in dem sicheine steinerne Phiole befand, die wiederum ein besonderes "Himmelsöl" ent-hielt. Die Jungfrau erklärte Thomas, dass mit diesem Öl die zukünftigen eng-lischen Könige gesalbt werden sollten - und zwar zuerst der fünfte auf Hein-rich n. folgende König. Das war nun Eduard n., zu dessen Hochzeit 1308Herzog Johann von Brabant, ein Schwager Eduards Il., das Fläschchen mitdem lange Zeit bei und in Poitiers versteckten Salböl mitbrachte. Aber daswunderbare Öl wurde bei der Krönungsfeier nicht verwendet, weil Eduard Il.

71 BLOCH:Könige (wie Anm. 33), S. 249.72 Diese Auffassung findet sich auch bei zeitgenössischen Chronisten. So lässt CAPGRAVE,

John: The Chronicle of England (bis 1417) (hg. van Francis Charles Hingeston). London1858, S. 273, Heinrich seinen Thronanspruch begründen "as for descensus of the raJ blodof Kyng Herry, be whech rite God hath graunted me for to entir with help of my kynred".

7.l BARU1W, Frank: The King's Evil. In: EHR 95 (1980), S. 3·27.74 S.\NDQUIST,T. A.: The Holy Oil of St Thomas of Canterbury. In: SANDQUIST,T. A.I

POWlCKE, Michael R. (Hgg.): Essays in Medieval History presented to Bertie Wilkinson.Toronto 1969, S. 330·344, hier S. 332.

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und seine Ratgeber den traditionellen Brauch nicht ändern wollten." Als sichjedoch dann die Opposition gegen Eduard 11. formierte und sich der Konfliktzwischen ihm und den Baronen bis zum Jahr 1318 immer weiter zuspitzte,fragte man sich am Hof, ob nicht dieses Unheil deshalb über das Königreichhereinbrach, weil man das Öl des Hl. Thomas nicht verwendet hatte. Würdeeine Wiederholung der Salbung an Eduard mit dem besonderen Öl das Un-heil beenden? Aber es gab gute Grunde, sich zuvor bei der höchsten kirchli-chen Autorität, Papst J ohannes XXII., abzusichern, ob überhaupt eine zweiteSalbung möglich war. Johannes XXII. hat sich in seiner Antwort jedoch we-der dazu geäußert, ob die Geschichte über die Herkunft des Öls ihm glaub-würdig erschien, noch dem englischen König einen konkreten Rat gegeben.Der Papst hatte den Plan einer zweiten Salbung also weder gebilligt noch ab-gelehnt. Allerdings nutzte er die Gelegenheit, um die kirchliche Lehre überdie Königssalbung mitzuteilen. Die Salbung sei kein Sakrament und hinterlas-se keine Spuren in der Seele (quia Regalis unctio in anima quicquam nonimprimit), deshalb könne man sie ohne ein Sakrileg zu begehen, wiederho-len.76 Weiter erklärte der Papst, dass Eduard, sofern er tatsächlich eine zweiteSalbung durchführen wolle, diese aber nur im Geheimen veranstalten solle,um öffentliche Kritik zu vermeiden. Diese Antwort konnte Eduard nicht ge-fallen, denn er brauchte eine möglichst große Öffentlichkeit für die von ihmgeplante zweite Salbung, um mit dem Verweis auf das wunderbare Öl und diemit ihm zusammenhängende Prophetie, sein Ansehen und seine Autoritätwieder auf festen Boden stellen zu können.

Ähnlich wie Eduard 11. 1327 musste Richard II. 1399 die Erfahrung ma-chen, dass die Salbung einen König nicht davor schützen konnte, abgesetztzu werden. König Richard 11.wurde im Oktober 1399 gewaltsam vom Thronverdrängt, abgesetzt, eingesperrt und kam schließlich im Februar 1400 im Ge-fängnis urn." Wenn man die offiziellen Berichte in den amtlichen Parlaments-rollen liest, stellt man fest, dass der Umstand, dass Richard H. gesalbt wordenwar, im Zusammenhang mit seiner Absetzung keine Rolle spielte. Im Kernwurde ihm vorgeworfen, er sei nicht fähig und in der Lage, das Königreich sozu regieren, wie es von einem König erwartet wurde und wozu er sich mit

75 BLOCH:Könige (wie Anm. 33), S. 264.76 So Papst Johannes XXII. auf die Anfrage von König Eduard H.; siehe LEGG:Coronation

Records (wie Anm. 16), S. 72 und mit englischer Übersetzung S. 75: "the Royal anointingdoes not impress anything on the soul"; siehe auch BLOCH:Könige (wie Anm. 33), S. 265.

77 Die Quellen zu diesem Ereignis sind zusammengestellt und kommentiert von GIVEN-WI1$ON, Chris: Chronicles of the Revolution 1397-1400. Manchester, New York 1993;WILKINSON, Bertie: The Deposition of Richard II and the Accession of Henry IV. In:EHR 54 (1939), S. 215-239. Knappe Darstellung der Ereignisse auch bei KRIEGER:HausLancaster (wie Anm. 42), S.167-170 und BERG: Anjou-Plantagenets (wie Anm. 34),S.269-274.

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dem Krönungseid verpflichtet hatte. Seine Entmachtung wurde durch eineMischung aus selbst erklärtem Thronverzicht und Absetzung durch eineReichsversammlung legitirniert.78 Wenn man sich jedoch die weitere Überlie-ferung in diesem Zusammenhang ansieht, dann kommt doch wieder die Be-deutung der Salbung für die Sicherung des Throns in das Blickfeld - und da-mit auch noch einmal die Frage nach der Bedeutung der Sakralität für die Fe-stigung der Herrschaft von Königen in England in Zeiten von Herrschaftskri-sen.

Es ist nicht bekannt, was mit dem tatsächlichen oder vermeintlichen Him-melsöl des Thomas Becket geschehen ist, nachdem es Eduard II. 1318 nichtseinen Plänen entsprechend hatte einsetzen können. Aber die mit dem Ölverbundene politische Prophetie ist im 14. Jahrhundert in England bekanntgewesen. Gegen Ende des 14. Jahrhunderts wurde sie noch um aktuelle poli-tische Bezüge erweitert, denn jetzt wusste man, dass der erste mit diesem Ölgesalbte englische König die Normandie und Aquitanien zurückerobern undein erfolgreicher Kreuzfahrer werden würde. Und solange der König denGoldenen Adler an seiner Brust trage, würde er alle Feinde überwinden undEngland erfolgreich regieren.79 Nach dem Bericht des Chronisten ThomasWalsingham, der eine modifizierte Geschichte der Ampulle mit dem Öl lie-fert, wurde die Ampulle mit dem 01 samt einer Schrift mit der Prophezeiungwährend der Kriegszüge der Engländer in Frankreich in den 1350er Jahrenbei Poitiers gefunden80 und von König Eduards Ill. Sohn Eduard, dem"Schwarzen Prinzen", nach London gebracht und im Tower sicher ver-wahrt.sl Nach dem Tod des Schwarzen Prinzen 1376 und dem Tod von Kö-nig Eduard Ill. 1377 wurde der Aufbewahrungsort vergessen. König Ri-chard Il. habe dann aber als seine Herrschaft als "Tyrannei" bezeichnet undakut gefährdet war,S2 1399/98 systematisch nach der Ampulle mit dem Öl

78 GIVEN-WILSON: Parliament Rolls VIII (wie Anm. 41), S. IHf.; dazu auch TUCK: Crown(wie Anm. 55), S. 21B-222. Die bei der Absetzung und Abdankung angewendeten Rechts-grundlagen untersucht WALTIlER, Helmut G.: Das Problem des untauglichen Herrschersin der Theorie und Praxis des europäischen Spätmittelalters. In: ZHF 23 (1996), S. 1-28,hier S. 15-18 zum Verfahren gegen Richard II.

79 Vermutlich vom Anfang des 15. Jahrhunderts datiert ein Text, der als Bericht von ThomasBecket über die Übergabe der Ampulle mit dem Öl durch Maria ausgegeben wurde,LEGG: Coronation Records (wie Anm. 16), S. 169-71; AIll.L\ND: Henry V (wie Anm. 3),

S.65.HO Die Eaählung von Walsingharn in englischer Übersetzung bei GlVEN-WIl.SON: Revoluti-

on (wie Anm. 77), S. 201£f. und in W.illiINGHAM: Chronica Maiora (wie Anm. 5), S. 312.Eine ähnliche Version über die Herkunft des Salböls fur Heinrich IV. bringt auchC\PGRAVE: Chronicle (wie Anm. 72), S. 273-274.

KI S,\NDQUIST: Holy Oil (wie Anm. 74), S. 337.H2 Zur politischen Situation und der Bezeichnung von Richards 11. Herrschaft als "Tyrannis"

siehe TUCK: Crown (wie Anm. 55), S. 223.

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gesucht, weil er hoffte, nach einer zweiten Salbung mit diesem Öl seine Fein-de besiegen zu können.

Nach Walsingham hat der König tatsächlich das besondere Öl und denGoldenen Adler im Tower gefunden und Thomas Arundel, den Erzbischofvon Canterbury, gebeten, ihn mit diesem heiligen Öl zu salben. Der lehntemit dem Hinweis darauf ab, dass Richard schon gesalbt worden sei, nahm dasÖl aber an sich. Nachdem Richard 11. kurz darauf von Heinrich IV. besiegtund vom Thron gestoßen worden war, ließ sich Heinrich IV. am 13. Oktober1399 mit dem Öl salben, um sich und dem Neubeginn auf dem englischenThron so eine besondere Dignität zu verleihenj" einem Neubeginn, den sichder Chronist Walsingham und andere Zeitgenossen nur als Folge eines göttli-chen Wunders erklären konnten. Seine Salbung mit dem "Himmelsöl" sollteein gutes Zeichen dafür sein, dass Heinrichs IV. Herrschaft und mit ihm dasKönigreich auch in Zukunft unter dieser Gnade stehen würde." Und so wur-de Heinrich IV. wie wohl auch seine Nachfolger von Heinrich V. 1413 bisRichard Ill. 1483 anders als im "Liber regalis" festgelegt, wonach die engli-schen Könige sowohl mit einern Öl und mit Chrisam gesalbt werden sollten,8Snur mit einem Öl- aber eben einem ganz besonderen Öl- gesalbt."

Die Salbung mit dem an Thomas Becket übergebenen "Himrnelsöl" er-schien sowohl Eduard H. als auch Richard 11. als eine Möglichkeit zur Kri-senbewältigung. Sie wollten eine Wiederholung der Salbung, durch die sie inder jeweils aktuellen politischen Krise wieder einen Legitimationsvorsprunggewinnen wollten. Eine zweite Salbung mochten sie als Zeichen für einenNeubeginn - vielleicht nach alttestamentarischem Vorbilds7 - gedeutet habenwollen. Allerdings hat in beiden Fällen die kirchliche Autorität diesen Pläneneine Absage erteilt. Der Erzbischof Arundel verweigerte Richard n. auch des-halb die Salbung mit dem "Himmelsöl", weil er erlebt hatte, dass der Königseine Falschheit und Doppelzüngigkeit im Umgang mit seinem hohen geistli-chen und weltlichen Adel unter Berufung auf seine von Gott übertragene Au-torität gerechtfertigt hane.88

Beim Thronwechsel von Richard 11.auf Heinrich IV. in England 1399 kamdem Krönungsritual und vor allem der Salbung also eine erhebliche Bedeu-

83 K!RBY:Henry IV (wie Anm. 42), S. 73.84 WAlSINGHAM: Chronica Maiora (wie Anrn. 5), S. 312.8S LEGG: Coronation Records (wie Anm. 16), S. 117-118. Chrisam = Olivenöl mit Balsam, in

der Karwoche (Gründonnerstag) geweiht.86 Die Belege fur die Salbungen bis Richard Ill. imJuli 1483 bei ULLMANN, Waiter: Thomas

Becket's Miraculous Oil. In: The Journal of Theological Studies 8 (1957), S. 129-133 undMcKENNA,J. W.: The Coronation Oil of the Yorkist Kings. In: EHR 82 (1967), 102-104.

87 ScHNEIDMÜu.ER: Irrvestitur- und Krönungsrituale (wie Anm. 22), S. 479 mit Verweis aufdie Könige David, Wamba (Westgoten) und Pippin.

.... McFARL.\NE: Kings (wie Anm. 42), S. 51-52.

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tung zu - allerdings nicht durch etwaige Änderungen in der Liturgie sonderndadurch, dass ein besonderes, überlegenes Salböl eingesetzt wurde. Es solltedas Recht von Heinrich IV. und seinen Nachkommen auf den englischenThron unterstreichen. Heinrich wollte mit dem besondern 01 den Anfangeiner neuen Dynastie auf dem Thron markieren, der seine Legitimation durchdie Berufung auf das Erbrecht erhielt. Im 15. Jahrhundert wurde eine engeVerbindung zwischen der "richtigen" Abstammung (royal line) und dem hei-ligen 01 hergestellt. Unabhängig davon, ob die Könige dem Haus Lancasteroder York angehörten "have (they) considered the holy oil as an honourrightfully due to the English royal line as manifested in thernselves"." Aller-dings ist es ihnen nicht gelungen, aus dieser Verbindung eine theokratischeLegitimation für die Königsherrschaft zu entwickeln und so wieder größerenHandlungsspielraum zu gewinnen.

Im Fall von Richards II. Thronverlust war wichtig, dass er vorher mittelseiner erzwungenen Abdankung auf seinen königlichen Namen und damitauch auf die Herrschaft verzichtet hatte. Das war eine zentrale Voraussetzungfür die Salbung von Heinrich IV. Denn auch wenn in den offiziellen Aktendie Salbung als ein die Herrschaft begründender und sichernder Tatbestandaus bekannten Gründen nicht thematisiert wurde, war den Beteiligten dochbewusst, dass nur der Gesalbte persönlich auf seine Würde verzichten kannund deshalb abdanken muss, um die Salbung wirkungslos und damit denThron frei zu machen."

Denn das 01 der Salbung kann - wie William Shakespeare "seinen" Ri-chard II. in dem 1595/96 geschriebenen Drama ausrufen ließ - in der Tatdurch alle Flut der Meere nicht vom gesalbten König abgewaschen werden."Aber das war für seine Gegner kein Grund, ihn im Amt und auf dem Thronzu belassen.

K9 SIJITON/HAMMOND: Coronation (wieAnm. 16), S. 9.<)() Deshalb war sowohl bei Eduard 11.1327 als auch bei Richard 11.1399 außer der Abset-

zung eine Verzichtserklärung der Könige erforderlich; KANTOROWlCZ: Körper (wie Anm.38), S. 50;WALTIiER:Problem (wieAnm. 78), S. 14-15. Zu den Königsabsetzungen im eu-ropäischen Kontext siehe auch RExRorn, Frank: Tyrannen und Taugenichtse. Beobach-tungen zur Ritualität europäischer Königsabsetzungen im späten Mittelalter. In: HZ 278(2004), S.27-53 und - mit zum größten Teil identischem Text - DERS.:Um 1399: Wieman einen König absetze. In: JUSSEN,Bernhard (Hg.): Die Macht des Königs. Herrschaftin Europa vom Frühmittelalter bis in die Neuzeit. München 2005, S. 241-254.

91 "Nicht alle Flut im wüsten Meere kann den Balsam vom gesalbten König waschen; derOdem irdischer Männer kann des Herren geweihten Stellvertreter nicht entsetzen".WEBER,Ludwig (Hg.): Shakespeares dramatische Werke. Bd. 4. Leipzig o. J., S. 116, 4.Akt, 3. Szene. Richard 11war vom sakralen Charakter seines Amtes durchdrungen und soSAUL,Nigel: Richard Il's Ideas of Kingship. In: Gordon, Regal Image (wie Anm. 16),S. 27-32, hier S. 32 überzeugt "that he held the office by Divine grace".

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5. Ergebnisse

Die Königssalbung war während des späten Mittelalters weder in Englandnoch im Reich ein Sakrament; sie war vielmehr noch Bestandteil eines liturgi-schen Rituals, in dem die Gottbezogenheit eines neuen Herrschers inszeniertwurde, der faktisch durch die Wahl der Kurfürsten (Reich) bzw. Kraft desErbrechtes (England) auf den Thron gelangt war. Deshalb war die Salbungund Königsweihe keine Garantie für lebenslange Herrschaft. Im verfassungs-rechtlichen und im theologischen Denken war im 14. Jahrhundert darauf hin-gearbeitet worden, das Amt und dessen Zeichen vom Amtsträger zu unter-scheiden. Durch die Ausbildung der transpersonalen Herrschaftslehre in derjuristischen Theorie wurde es in der politischen Praxis leichter, Herrscher ab-zusetzen.92 Auch deren Weihe durch die Krönung und Salbung war nichtmehr irreversibel. Die englische Krone konnte Königen wie Eduard 11. undRichard 11.wieder entzogen werden und im Reich wurden Adolf von Nassau1298 und Wenzel imJahr 1400 abgesetzt," weil sie gegen die Grundlagen ih-rer Herrschaftslegitimation verstoßen hatten. Ihnen wurde vorgeworfen, auf-grund ihrer offensichtlichen Verfehlungen gegen das Königreich und dessenBewohner selbst schuldhaft ihre Nichteignung für das königliche Amt herbei-geführt zu haben. Geistliche und weltli~he Kritiker.und Gegner von Königenim Reich und in England fürchteten rucht mehr die Intervention Gottes zu-guns ten des von ihm durch die Königsweihe ausgezeichneten Herrschers.

Auch wenn man - so wie ich hier - die Bedeutung der liturgischen Ele-mente bei der Königserhebung fur die Herrschaftslegitimation im späterenMittelalter eher gering veranschlagt, ist dennoch zu betonen, dass die Königegleichwohl ihren sazerdotalen Charakter nicht verloren haben. Die Vorstel-lung von einer priesterähnlichen Beteiligung der Könige an der seelisch-geistigen Führung ihrer Untertanen blieb erhalten und fand z. B. darin Aus-druck, dass sich die römisch-deutschen Könige seit der Krönung Ludwigs desBayern 1328 auf den Majestätssigeln im Priester- oder Bischofsornat (mit Sto-la und Pluviale) darstellen ließen." Für England ist noch einmal auf die Heil-kraft der Könige zu verweisen, mit der eine besondere Art der Herrscheraa-kralität zum Ausdruck gebracht wurde. Die "wundertätigen Könige" erhieltenihre Fähigkeit, durch Handauflegen an den Skrofeln erkrankte Menschen hei-

92 WALllffiR: Problem (wie.Anm. 78), S. 9.93 GRAUS, Frantisek: Das Scheitern von Königen: Karl VI., Richard H., Wenzel. In:

SCHNEIDER,Reinherd (Hg.): Das spatmittelalterliche Königtum im europäischen Ver-gleich. S~gen 1987, S. 17-3:; zu Wenzel au~h Hosxsca.jörg K.: Die Luxemburger.Eine spätm1tteWterliche Dynastie gesamteuropaischer Bedeutung 1309-1347. Stuttgart2000, S.216; KINTZINGER,Martin: Wenzel (1376-1400, + 1419). In: SCHNEID~IÜLLER,Bemd/WEINFURTER,Stefan (Hg.): Die deutschen Herrscher des Mirtelalters. HistorischePortraits von Heinrich I. bis Maximilian I. (919-1519). München 2003, S. 408-445.

94 ANTONu. a.: Sakra]königtum (wieAnm. 8), S. 224-225.

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len zu können, erst durch die von den Bischöfen im Zuge der Königssalbunggeleisteten Vermittlung." Die Krönungen und Salbungen der englischen unddeutschen Könige hatten im späten Mittelalter weiter die Funktion, durch dieLiturgie noch einmal einen König geistlich zu bestätigen, der schon zuvordurch den Willen Gottes - Wahl bzw. Geburt - seine sakrale Herrschaftslejg,timation erhalten hatte. Doch durch sein Handeln musste der jeweilige Königimmer wieder neu bestätigen, der von Gott zu Recht eingesetzte und durchdie Salbung geeignete Herrscher zu sein. Vor allem an den englischen Bei-spielen ließ sich zeigen, dass, wenn man den praktischen Vollzug der Krö-nungen und Salbungen beobachtet, diese Feiern nicht nur Hinweise auf dieUmsetzung von politischen Ideen und aktuellen politischen Konstellationund Parteiungen bieten, sondern darüber hinaus über die allgemeine Stim-mungslage eines Königreiches Aufschluss geben können." Die Königserhe-bungen sind zudem auch "Messpunkte", an denen sich der Stand der Verfas-sungsentwicklung in den beiden Königreichen "ablesen" lässt. Im römisch-deutschen Reich wie auch im Königreich England entwickelte sich die Ver-fassung im späten Mittelalter nicht durch die Wirkung großer Umbrüche,sondern durch eine sich langsam vollziehende Entwicklung, die durch die ge_dankliehe Neufassung und praktische Umsetzung von neuen Ordnungskon-zeptionen gekennzeichnet war und eine Schwächung des Königrums zur Fol-ge hatte. Die monarchische Herrschaft mit ihrem Gottesbezug wurde abertrotz aller Kritik an einzelnen Königen nie grundsätzlich in Frage gestellt."

')5 EBD., S. 232.96 STIJRDY:Historians (wie Anm. 22), S. 243.97 ROGGE, Jörg: Attentate und Schlachten. Beobachtungen zum Verhältnis von Königtum

und Gewalt im deutschen Reich während des 13. und 14. Jahrhunderts. In:KINTZINGER/RoGGE: Königliche Gewalt (wie Arun. 49), S. 7-55, hier S. 34.