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Walter J. Koch Die outgesourcte Identität

Walter J. Koch Die outgesourcte Identität · 2013. 7. 23. · Walter Koch liefert im vorliegenden Buch eine interessante These für die Problema-tik, was eigentlich hinter dem axiomatisch

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  • Walter J. Koch

    Die outgesourcte Identität

  • GABLER RESEARCH

  • Walter J. Koch

    Die outgesourcte Identität Entwurf einer Strategiefür die Symbolökonomie

    Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Ingmar Geiger

    RESEARCH

  • Bibliografi sche Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografi e; detaillierte bibliografi sche Daten sind im Internet über abrufbar.

    1. Aufl age 2011

    Alle Rechte vorbehalten© Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011

    Lektorat: Stefanie Brich | Nicole Schweitzer

    Gabler Verlag ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media.www.gabler.de

    Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfi lmungen und die Einspei-cherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

    Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften.

    Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, HeidelbergGedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem PapierPrinted in Germany

    ISBN 978-3-8349-2583-1

  • meiner Tochter Alexandra

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    Geleitwort In der wirtschaftswissenschaftlichen Theorie werden Verbraucher häufig dadurch modelliert, dass Ihnen eine Nutzenfunktion zugeschrieben wird. Der subjektive erfah-rene Nutzen hängt dann von der Höhe des getätigten Konsums ab. Wodurch diese Nutzenfunktion zustande kommt, darüber schweigen sich die meisten Wirtschafts-wissenschaftler aus. Auch die Konsumentenforschung, deren Aufgabe es ist, Kon-sumbedürfnisse und -muster von Verbrauchern zu erkennen und zu erklären, konnte hierfür noch keine allumfassende Antwort liefern. Walter Koch liefert im vorliegenden Buch eine interessante These für die Problema-tik, was eigentlich hinter dem axiomatisch definierten „Nutzen“ eines modernen Ver-brauchers steht: die Ausgestaltung seiner Identität. Wie sich diese Ausgestaltung der Identität, das sogenannte Identitätsprojekt jedes Einzelnen, über die Jahrhunder-te verändert hat, zeichnet er im ersten Kapitel des Buches nach. Er nimmt dabei ei-nen sozialphilosophischen Standpunkt ein, der gerade für den wirtschaftswissen-schaftlich vorgebildeten Leser viele neue Blickwinkel und Erkenntnisse aufweist. Im Gegensatz zur mittelalterlichen Ständegesellschaft oder der Gesellschaft des Indust-riezeitalters, in denen die Identität jedes Einzelnen sehr stark durch seine Position in Gesellschaft, Religion und Familie vorgegeben war, sind die damals vorhandenen Leitplanken der Identität heute verschwunden. Aufgrund der Erosion stabiler Rollen-vorbilder ist heutzutage jeder Einzelne Architekt seines eigenen Identitätsgebäudes. Dies eröffnet dem Individuum zwar wesentlich größere Freiheiten, mit denen aller-dings auch wesentlich weniger Halt einhergeht. Der Autor zeichnet zum besseren Verständnis des Identitätsprojektes die geänderten Umweltbedingungen nach: den Verlust natürlicher Lebenswelten durch Bürokratisierung und Monetarisierung menschlichen Miteinanders, Beschleunigung von sozialen Beziehungen, die Privati-sierung der Daseinsfürsorge durch den Rückzug des Staates und die Betrachtung des Menschen als Humankapitalressource, der sein Leben wie ein Unternehmer plant und durchführt. Als Schluss aus diesen Beobachtungen stellt er fest, dass das Verfallsdatum der Identität von der Länge eines Lebenszeitalters auf den jeweiligen Lebensabschnitt zusammengeschrumpft ist und sich dabei noch einmal aufteilt in die unterschiedlichen Sphären von Berufsleben, Familie und Freizeit. Die Ausgestal-tung der Identität, die sich früher noch dauerhaft an gesellschaftlichen Rollenvorbil-dern orientieren konnte, verliert somit ihre Planbarkeit und wird durch dauerhafte Improvisation ersetzt. Durch die Unsicherheit der Planungsbedingungen als Identi-tätsgrundlage, so die These, bevorzugt das heutige Individuum kurzfristigere identi-tätsstiftende Handlungen mit hoher „Erntesicherheit“: den Konsum. Beispielsweise wird die soziale Zugehörigkeit zur Gruppe der Bergfreunde als ein Teil der Identität nicht mehr in erster Linie durch eine persönliche Geschichte des jahrelangen Fel-senklettern und Bergsteigens ausgedrückt, sondern durch den Kauf der dafür sinn-bildlichen Ausrüstung wie Sonnenbrille, Outdoorjacke, Funktionsrucksack mit Trink-

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    system und den Karabiner am Schlüsselbund, die die Gruppenzugehörigkeit auch in der Großstadt zeigen. Wie Konsum zum Identitätsprojekt des Einzelnen beiträgt, zeigt der Autor im zweiten Kapitel, indem er das Metaprodukt als sozio-emotionalen Zusatznutzen zum physi-kalischen Basisprodukt als Begrifflichkeit einführt. Das Metaprodukt erfüllt somit ei-nerseits direkt gewisse Bedürfnisse eines Individuums, sagt andererseits aber auch etwas über die Person aus, die es besitzt, grenzt sie von anderen Menschen ab und erfüllt damit eine zwischenmenschliche Funktion. Koch unterscheidet nach der Art der Funktionen, die das Metaprodukt zum Identitätsprojekt des Einzelnen leistet, sieben verschiedene Arten von Metaprodukt: soziale Integration/Distinktion, Diszipli-nierung, Lifestyle, Selbstbestimmung, Solidarität/Moral, Emotionalität und Schönheit. Die Metaprodukte wirken dabei entweder über einen intersubjektiven Anerken-nungsmechanismus oder über einen intrasubjektiven Wohlfühlprozess. Das Meta-produkt soziale Integration beruht darauf, dass es Menschen ermöglicht, die Symbo-lik der eigenen Peergroup zu übernehmen und sich somit dieser zuzurechnen, sich gleichzeitig aber von anderen abzugrenzen. Disziplinierung als Metaprodukt zeigt an, dass das Individuum geneigt ist, den Rationalisierungs- und Reinlichkeitsidealen zu folgen und sich insgesamt gesellschaftskonform zu verhalten. Lifestyle ersetzt schwindende milieubedingte Identitätsvorlagen für ein gelungenes Leben, während Selbstbestimmung einen intrapersonellen Nutzenzuwachs ermöglicht, indem sich das Individuum durch die Kombination verschiedener Metaprodukte als einzigartig darstellen kann. Das Metaprodukt Solidarität hat in den letzten Jahren einen enor-men Aufschwung erfahren und drückt die Moralität des Konsumenten aus: Bio-fleisch, Strom aus erneuerbaren Energien und fair gehandelter Kaffee sind Beispiele für ein solches Metaprodukt. Das Metaprodukt Emotionalität befriedigt in einer hekti-schen Alltagswelt das Bedürfnis nach Geborgenheit und Zuwendung: Man tut sich durch den Konsum selbst etwas Gutes. Schönheit schließlich wird als Konnotation von so verschiedenen Angeboten wie Fitness, Körperpflege und Mode mit konsu-miert. Insgesamt schafft die Einführung der sieben Metaprodukte einen wesentlich tieferen Einblick in die Bedeutung des Markenproduktes für den modernen Menschen und Verbraucher, da damit die hinter dem eindimensionalen Nutzenkonstrukt der Öko-nomen verborgenen Identitätsprozesse angesprochen werden. In der Zusammen-fassung über die Wirkweisen der einzelnen Metaprodukte wird deutlich, wie sie dazu beitragen, einzelne Teile des Identitätsprojektes voranzubringen: Anerkennung schaffen, wo Anerkennungsvorlagen verloren gegangen sind, Individualisierung zu ermöglichen, wo eine institutionelle Vereinnahmung stattfindet, oder Wohlgefühl zu erzeugen, wenn soziale Bindungen erodieren. Aufbauend auf seiner Analyse über den Zusammenhang vom menschlichen Streben nach Identität und dem Konsum von Markenartikeln entwickelt Koch im dritten Kapi-tel Implikationen für Unternehmen, die vor die Frage gestellt sind, was sie ihren Kunden eigentlich neben der physikalischen Basisleistung ihrer Produkte oder

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    Dienstleistungen noch verkaufen oder in Zukunft verkaufen können. Er orientiert sich dabei an den gängigen Instrumenten der strategischen Analyse und Planung. An-hand vieler Beispiele zeichnet er nach, wie es Unternehmen geschafft haben, von einem simplen Basisprodukt ausgehend vor allem wegen ihres Metaproduktes gro-ßen Erfolg zu haben. Er zeigt dabei auch auf, welche Art von Metaprodukt für wel-che Art von Basisprodukt geeignet sein könnte. Ein besonderes Augenmerk legt er auf Luxusgüter, da hierbei seit alters her das Metaprodukt im Mittelpunkt der ange-botenen Leistung stand. Abgerundet wird das Buch durch eine detaillierte und anschauliche Betrachtung 15 unterschiedlicher Produkt- und Dienstleistungskategorien, in denen unterschiedliche Metaprodukte mit den physikalischen Basisprodukten verkauft werden. Das vorliegende Werk bietet insbesondere Managern, die im Bereich Marketing, Produktentwicklung und strategische Planung tätig sind, neue Anregungen für die Betrachtung und Überprüfung ihres Leistungsangebotes unter einer sehr kundenori-entierten Perspektive. Diese Perspektive geht aufgrund ihrer soziologischen und phi-losophischen Charakters weit über die Bedürfnis-, Zielgruppen- und Milieubetrach-tungen der einschlägigen Marktforschungsinstitute hinaus. Für die interessierte Öf-fentlichkeit und die Wissenschaft ergeben sich neue Perspektiven durch die Integra-tion von ansonsten häufig sehr weit auseinanderliegenden Disziplinen. Ich wünsche dem Buch daher die ihm zustehende weite Verbreitung in Praxis und Wissenschaft.

    Prof. Dr. Ingmar Geiger

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    Vorwort des Autors Auch wenn die symbolische Aufladung der Konsumwelt in der heutigen Marketingli-teratur getrost als Allgemeinplatz bezeichnet werden kann, fehlt es bis heute an ei-ner einheitlichen analytischen Durchdringung der ideellen Produktdimension. In die-sem Buch wird der Versuch unternommen, die verschiedenen Konnotationen des Metaproduktes freizulegen, als auch deren Wirkungsmechanismen transparent zu machen. Hierbei gilt es mit Philosophie, Soziologie und Betriebswirtschaftslehre drei Diszipli-nen miteinander ins Gespräch zu bringen, die gemeinhin unabhängig voneinander ihrem Geschäft nachgehen, ohne die Entwicklung paralleler Diskussionen hinrei-chend zu reflektieren. Während die Geisteswissenschaften das Metaprodukt in neomarxistischer Manier vorschnell als psychologisches Mittel zur Schaffung künst-licher Bedürfnisse diskreditieren, das dem an seine Wachstumsgrenzen gekomme-nen Spätkapitalismus weiteren Atem verschafft, übergeht die Betriebswirtschaftsleh-re vorschnell die Ergebnisse der Identitätsforschung, wodurch die Chance auf ein tiefer gehendes Verständnis der Kundenbedürfnisse leichtfertig verspielt wird. In methodischer Hinsicht gilt es an den Bedingungen des Identitätsprojektes des modernen Individuums anzusetzen, das den Freiraum der selbstverständlich gewor-denen Erfüllung seiner Basisbedürfnisse zum Anlass nimmt, seinen Konsum maß-geblich unter der Maßgabe gelingender Selbstfindung zu steuern. Konsum stellt heute in erster Linie Identitätsarbeit dar, den das Individuum gezielt instrumentali-siert, um sein Identitätsprojekt voranzubringen.

    Walter Koch

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    Inhaltsverzeichnis Geleitwort ............................................................................................ VII Vorwort des Autors ............................................................................... XI Fallbeispiele ......................................................................................... XV Abbildungsverzeichnis ....................................................................... XVII Einleitung ................................................................................................ 1 Aufbau des Buches ................................................................................. 3 1. Identitätsprojekt des modernen Individuums ....................................... 5

    1.1 Emergenz der neuzeitlichen Identitätsfrage .................................................... 51.2 Unabhängige Wertschätzung des Identitätsentwurfs ...................................... 81.3 Erosion der Idealbiographie als schematische Vorlage ................................ 131.4 Vom »Patchwork« zur »situativen Identität« ................................................. 181.5 Verlust authentischer Lebenswelten ............................................................. 221.6 Konformistische Übernahme einer vorgegebenen Identität .......................... 261.7 Vereinnahmung des Individuums durch Institutionen .................................... 301.8 Identitätsautonomie contra Subjektivierungsregime ...................................... 361.9 Individualisierung und Privatisierung von Risiken ......................................... 461.10 Private Daseinsfürsorge durch Rückzug des Staates ................................. 511.11 Charakterisierung des Identitätsprojektes ................................................... 581.12 Synopsis der Bedingungen von Identität ..................................................... 60

    2. Identitätserfüllung durch Markenkonsum ........................................... 65

    2.1 Metaprodukt als symbolischer Wert .............................................................. 652.2 Sozialintegrative Funktion des Metaproduktes .............................................. 752.3 Metaprodukt als Symbol der Disziplinierung ................................................. 822.4 Vermittlung von Lifestyle ............................................................................... 862.5 Ausdruck der Selbstbestimmung .................................................................. 922.6 Solidarische Funktion des Metaproduktes .................................................... 982.7 Emotionalität als Metaprodukt ..................................................................... 1092.8 Werkzeug archaischer Handlungsmuster ................................................... 1122.9 Manipulation durch Werbung ...................................................................... 1182.10 Schaffung künstlicher Bedürfnisse ............................................................ 1212.11 Bequemlichkeit der Außendarstellung ...................................................... 1242.12 Synopsis der Konnotationen ..................................................................... 130

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    3. Strategische Ausrichtung des Metaproduktes ................................. 137

    3.1 Verzicht auf Metaprodukte .......................................................................... 1373.2 Ergänzung etablierter Basis- durch Metaprodukte ...................................... 1403.3 Funktion des Metaproduktes ....................................................................... 1423.4 Aufbau des Metaproduktes ......................................................................... 1463.5 Refokussierung des Metaproduktes ............................................................ 1543.6 Kompatibilität der Metaprodukte ................................................................. 1573.7 Wertverschiebung bei Luxusgütern ............................................................. 1603.8 Wertschöpfungstiefe der Anbieter ............................................................... 166

    4. Metaprodukt nach Produktkategorie ............................................... 172

    4.1 Automobile .................................................................................................. 1724.2 Mobiltelefone ............................................................................................... 1754.3 Bekleidung .................................................................................................. 1764.4 Armbanduhr ................................................................................................ 1784.5 Handtasche ................................................................................................. 1794.6 Waschmittel ................................................................................................ 1814.7 Körperpflege ............................................................................................... 1824.8 Parfüm ........................................................................................................ 1854.9 Schokolade ................................................................................................. 1874.10 Kaffee ....................................................................................................... 1884.11 Zigaretten .................................................................................................. 1894.12 Möbel ........................................................................................................ 1914.13 Musik ........................................................................................................ 1934.14 Elektrizität ................................................................................................. 1944.15 Reise ......................................................................................................... 195

    Literatur .............................................................................................. 197

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    Fallbeispiele Nike: Das Metaprodukt als Motivator..................................................................... 67 Soziale Konnotation der Sportart........................................................................... 76 Wohneigentum oder Miete..................................................................................... 81 Opel und der Lifestyle der 60er Jahre................................................................... 89 Markenkonsum der »Generation Golf«.................................................................. 91 Lifestylevermittlung des Italienimage..................................................................... 92 Pepsi contra Coca-Cola......................................................................................... 94 Sheba: Die Katze als Ersatzkind........................................................................... 111 Versprechen der Anerkennung............................................................................. 133 Rückgang der Juweliergeschäfte.......................................................................... 135 Preisstrategie von Steve & Barry’s Turnschuhedition............................................ 138 Discounter im Einzelhandel................................................................................... 138 Billigflieger als Airlines ohne Metaprodukt............................................................. 139 „Geiz ist geil“-Werbekampagne von Saturn.......................................................... 139 Marketing von Pharmazeutika............................................................................... 140 Metamorphose der Sehhilfe................................................................................... 141 Markt für Fahrräder............................................................................................... 141 Markt für Personalcomputer.................................................................................. 142 Markentransfer kollektiver Identität....................................................................... 152 Revitalisierung einer unkopierbaren Luxusmarke................................................. 153 Markentransfer bei Montblanc............................................................................... 153 Rückgang des Metaproduktes bei Automobilen.................................................... 155 Angebot von Bio-Lebensmitteln............................................................................ 158 Philips als Lifestyle-Konzern................................................................................. 168

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    Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Rahmenbedingungen des modernen Identitätsprojektes................ 61 Abbildung 2: Bedürfnisse der Pyramide nach Maslow…………........................... 70 Abbildung 3: Historische Differenzierung des Metaproduktes (Teil 1).................. 71 Abbildung 4: Historische Differenzierung des Metaproduktes (Teil 2)…............... 73 Abbildung 5: Metaprodukt und Zusatznutzen…………......................................... 74 Abbildung 6: Konnotationen des Metaproduktes nach Ursprung......................... 123 Abbildung 7: Schematische Darstellung des Prozesses der Identitätsarbeit........ 124 Abbildung 8: Wirkungsmechanismen des Metaproduktes.................................... 128 Abbildung 9: Konnotationen des Metaproduktes.................................................. 131 Abbildung 10: Vermittlungsmechanismen des Metaproduktes.............................. 132 Abbildung 11: Relativer Anteil der Konnotationen des Metaproduktes................... 134 Abbildung 12: Gewichtung Basis-/Metaprodukt beim Kaufprozess........................ 144 Abbildung 13: Eintritt in die Symbolökonomie......................................................... 145 Abbildung 14: Entstehung des Metaproduktes....................................................... 149 Abbildung 15: Aufbau des Metaproduktes.............................................................. 151 Abbildung 16: Metaprodukte von »Bio«.................................................................. 159 Abbildung 17: Wandel der Metaprodukte von Luxusgütern.................................... 163 Abbildung 18: Marktsegmente für Luxusgüter........................................................ 165

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    Einleitung Konsumgüter haben im 20. Jahrhundert eine Ergänzung erfahren und sind zu Mar-kenprodukten avanciert, die aus einem funktionalen Basis- und einem ideellen Me-taprodukt bestehen. Durch Wechselspiel von Werbung und öffentlicher Wahrneh-mung sind Konnotationen hinzugetreten, die sich in Summe zu einem Metaprodukt konstituieren und durch das Logo symbolisiert werden. Die hierdurch erreichte Co-dierung bedingt, dass der Konsum eine Erfahrungsqualität aktualisiert, die in dem Verbrauch des Gutes nicht angelegt ist. Die Karriere des Metaproduktes erklärt sich aus dessen Beitrag für das Identitätsprojekt des modernen Individuums: Konsum von Markenprodukten ist vornehmlich Identitätsarbeit und Sinnvermittlung, wohinge-gen die materielle Bedürfnisbefriedigung als Selbstverständlichkeit in den Hinter-grund getreten ist. Entsprechend ist der Wert des Markenproduktes maßgeblich durch das Metaprodukt gegeben; der Kunde investiert in sein Identitätsprojekt und akzeptiert einen Preis, der sich durch das Basisprodukt nicht rechtfertigen lässt. Das Metaprodukt kann verschiedene Rollen für das Identitätsprojekt übernehmen, die sich anhand von zwei Wirkungsmechanismen differenzieren: Bei einem intersub-jektiven Mechanismus wird die Nutzenvermittlung für das Individuum über Dritte ge-steuert, wohingegen es den Nutzen bei einem intrasubjektiven Mechanismus direkt erfährt. Seit den 70er Jahren zeichnet sich eine Verschiebung der Gewichtung zum intrasubjektiven Mechanismus ab, der aus soziologischer Sicht die Transformation traditioneller Anerkennungsmechanismen und den Hang zu individueller Selbstver-wirklichung repräsentiert. Der Anbieter von Markenprodukten gelangt zu einer neuen Eigenwahrnehmung, soweit die Identitätsaneignung und dessen Vermittlung - im Gegensatz zu dem durch die physische Komponente angesprochenen Bedarf - als das eigentliche Kun-denbedürfnis ernst genommen wird. Ungeachtet des Wechsels von der betriebswirt-schaftlichen zur sozialphilosophischen Sicht, der sich an den Begriffspaaren Kunde-Individuum und Metaprodukt-Identitätsmodul manifestiert, gilt es den verborgenen Markt für Identität analytisch zu durchdringen. In diesem Buch wird die Erfolgslogik des Metaproduktes freigelegt und eine Strategie für die Symbolökonomie aufgezeigt.

    W. J. Koch, Die outgesourcte Identität, DOI: 10.1007/978-3-8349-6149-5_1, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011

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    Aufbau des Buches In einem ersten Schritt werden die Rahmenbedingungen für das Identitätsprojekt des modernen Individuums herausgearbeitet (Kapitel 1). Durch die Erosion vordefi-nierter Lebenswelten mit starren Rollenmustern gelangt das Individuum zu der Ein-sicht, seine Identität eigenhändig erschaffen zu müssen. In Anlehnung an das Künstlerideal der Romantik hat sich der Anspruch festgesetzt, seine Bestimmung aus sich selbst heraus zu entwickeln, anstatt naiv den vorbereiteten Bahnen zu fol-gen. Hierbei ist das Individuum mit der Herausforderung konfrontiert, individuelle und unerprobte Entwürfe zu verwirklichen, sich der Wertung der Anderen aber nicht entziehen zu können: Erst durch die Anerkennung einer unabhängigen Instanz, die den Entwurf und die Umsetzung der Identität affirmiert, gewinnt das imaginäre Selbstbildnis den Status einer gelungenen Lebenskonzeption. Das Erfordernis der Orientierung an allgemein verbindlichen Identitätsmodulen, deren Überstreifung An-erkennung verbürgt, konkurriert mit dem Anspruch auf Selbstverwirklichung, der wiederum der latenten Gefahr einer Vereinnahmung entgegenwirkt. Auf Basis der sozialphilosophischen Überlegungen setzt die Analyse des Metapro-duktes ein (Kapitel 2), das sich auf Basis einer empirischen Sichtung der Werbewel-ten zu sieben Konnotationen kondensieren lässt: Soziale Integration, Disziplinierung, Lifestyle, Selbstbestimmung, Solidarität, Emotionalität und Schönheit. Hiervon sind die ersten drei Metaprodukte abzugrenzen, deren Nutzen für das Individuum von der Zustimmung Dritter abhängt (intersubjektiver Mechanismus), wohingegen die Wir-kung der letzten vier ohne die Mitwirkung Dritter erfahren wird (intrasubjektiver Me-chanismus). Die Konnotationen korrespondieren zu den im ersten Kapitel aufgezeig-ten Bestimmungsfaktoren des modernen Identitätsprojektes, das einerseits noch dem traditionellen Anerkennungsanspruch verhaftet ist (soziale Integration, Lifestyle und Disziplinierung), und gleichzeitig seinen Anspruch auf individuelle Biographiegestaltung einlöst (Selbstbestimmung, Solidarität). Die perspektivische Unerreichbarkeit der Zielsetzung schafft ein Bedürfnis des erschöpften Individuums nach Entlastung (Emotionalität). Ferner wird die Umsetzung von Gattungsdispositio-nen versprochen (Schönheit). Die Entstehungsgründe des Metaproduktes leiten sich aus sozialen Trends ab, deren Gewicht mit ihrem Anteil am Markt für Identität kor-respondiert. Darauf aufbauend wird die strategische Ausrichtung des Metaproduktes diskutiert (Kapitel 3). Der Verzicht auf Metaprodukte ohne nennenswerten Aufwand für Wer-bung ist nach wie vor eine realistische Option. Bei originärer Ergänzung eines Ba-sisproduktes ergibt sich die Chance zu einer völlig neuartigen Marketingstrategie, in der das Metaprodukt im Vordergrund steht. Der Aufbau des Metaproduktes setzt zu-nächst an der gesellschaftlichen Wahrnehmung der Produktkategorie bzw. des Pro-duktes an, die entweder im kommerziellen Sinne umgedeutet, oder opportunistisch integriert und ausgebaut wird. Die Neuausrichtung des Metaproduktes in Bezug auf Auswahl und Gewichtung stellt eine permanente Aufgabe dar, bei der aufkommende

    W. J. Koch, Die outgesourcte Identität, DOI: 10.1007/978-3-8349-6149-5_2, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011

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    gesellschaftliche Trends zu beachten sind, ohne die Markenbotschaft zu verwässern bzw. in Widersprüche zu verwickeln. Für das Design aus Basis- und Metaprodukt ist die Kompatibilität zwischen beiden Komponenten, als auch die Stimmigkeit der Me-taprodukte untereinander zu beachten. Eine interessante Transformation hat sich bei Luxusgütern vollzogen, bei deren Vermarktung die soziale Integration gegenüber Lifestyle und Emotionalität in den Hintergrund tritt. Die Verschiebung der Gewich-tung von Basis- und Metaprodukt kann den Eintritt in einen neuen Markt bedingen, wenn ein Markenprodukt primär wegen seines Metaproduktes oder nach Aussetzen der Codierung wieder ausschließlich für den Konsum des Basisproduktes gekauft wird. Abschließend wird die Positionierung der Metaprodukte in verschiedenen Produktka-tegorien exemplarisch vorgestellt (Kapitel 4). Hierbei wird im Detail auf Automobile, Mobiltelefone, Bekleidung, Armbanduhren, Handtaschen, Waschmittel, Körperpfle-ge-Produkte, Parfüm, Schokolade, Kaffee, Zigaretten, Möbel, Musik, Elektrizität und Reisen eingegangen.

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    1. Identitätsprojekt des modernen Individuums 1.1 Emergenz der neuzeitlichen Identitätsfrage In der vormodernen Gesellschaft beruht die Identitätsfindung des Menschen auf ex-ternen Vorgaben. Ausgehend von der raumzeitlichen Kontingenz der Geburt deter-minieren Herkunft und Tradition im Mittelalter die soziale Stellung des Menschen. Festlegungen hinsichtlich Ausbildung, Beruf, Ehepartner und Familienstand stellen keine persönliche Entscheidungen dar und lassen nur in Ausnahmefällen einen Aus-bruch aus der vorbestimmten Ordnung zu. Das Leben wird als Abspulen eines Gat-tungsschicksals aufgefasst, das sich im religiösen Sinne von der Geburt, der Bitte um Vergebung und schließlich dem Tod bis zum jüngsten Gericht erstreckt. Die Vor-bestimmung der sozialen Identität zehrt in ihrer Rigidität von einer umfassenden Ak-zeptanz, welche den aus heutiger Sicht wahrgenommenen Zwangscharakter als Na-tur erscheinen ließ. Planung und aktive Steuerung der Biographie sind nicht vorge-sehen und werden auch nicht eingefordert, da man eben so ist, wie man sich in der Welt vorfindet, und sich eine andersartige Identität nicht vorzustellen vermag. Von einem Identitätsproblem kann in dieser wohlgeordneten Welt nicht die Rede sein, da der Mensch nahtlos in seiner Existenz aufgeht. Bereits die heute allgegenwärtige Frage nach unserer Identität würde auf Unverständnis stoßen. Ohne Antizipation ei-nes anderen Modus der Selbstverwirklichung tritt die Option der »Bearbeitung« der eigenen Identität nicht als biographische Herausforderung in Erscheinung.1

    Seit Anbruch der Moderne setzt durch Auflösung der starren sozialen Strukturen ein grundlegender Umbruch ein. Der Wegfall ständischer Vorgaben wird zunächst durch tradierte gesellschaftliche Konventionen egalisiert, bis schließlich auch diese an bin-dender Kraft einbüßen und der Einfluss von Tradition und Religion auf die soziale Verortung des Individuums stark an Bedeutung verliert. Mit dem Verblassen der Selbstverständlichkeit einer vordefinierten Stellung im Kosmos erfährt das Individu-um seine Bestimmung nicht mehr als theoretische Erkenntnis oder religiöse Offenba-rung, sondern findet in seinem Inneren ein Vakuum vor, dessen Erfüllung sich als praktische Aufgabe im Bewusstsein festsetzt. Gemäß dem Diktum von Francis Ba-con, dass Wissen Macht bedeute und somit primär im Hinblick auf praktische Impli-kationen zu sehen sei, dient die Erkenntnis des eigenen Selbst nicht der kontempla-tiven Erleuchtung oder interesselosen Kenntnisnahme, sondern löst ein intrinsisch motiviertes Entwicklungsprojekt aus. Der Mensch »kreiert« sich durch seine frei ge-troffenen Handlungen, »erschafft« sich mit einer individuellen Identität, anstatt einer oktroyierten Rollenvorgabe zu folgen.

    1 Vgl. hierzu N. Elias, Die Gesellschaft der Individuen, Frankfurt/M. 2003, S. 166fg.; A. Giddens, Modernity and Self-Identity. Self and Society in the Late Modern Age, Cambridge 1991; C. Taylor, Quellen des Selbst. Die Entstehung der neuzeitlichen Identität, Frankfurt/M. 1996; R. Guardini, Das Ende der Neuzeit. Ein Versuch zur Orientierung, Würzburg 1950, und E. Beck-Gernsheim, „Individua-lisierungstheorie. Veränderungen des Lebenslaufs in der Moderne“, in: H. Keupp (Hrsg.), Zugänge zum Subjekt, Frankfurt/M. 1994, S. 125-146.

    W. J. Koch, Die outgesourcte Identität, DOI: 10.1007/978-3-8349-6149-5_3, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011

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    Die inhaltliche Bestimmung der Identität verliert den Charakter einer notwendigen Festlegung, da die soziale Verortung des Individuums nicht mehr durch traditionelle Regeln determiniert ist, sondern sich erst durch den jeweiligen Weltbezug des Indi-viduums konstituiert. Entsprechend repräsentiert der Identitätsbegriff das Reflexi-onsniveau des modernen Menschen, nicht von Geburt an mit einer ausbuchstabier-ten Identität als Naturanlage ausgestattet zu sein, sondern selbst für seine als Frei-heitsgrad qualifizierte Bestimmung zuständig zu sein. Identität wird in einem mehrstufigen Prozess erworben. Entscheidend ist seit dem 18. Jahrhundert das Bild einer Entwicklungsperspektive, das bis heute unser Selbst-verständnis prägt. Gemäß der Kernthese der Moderne, dass der Mensch sich nur in einer Welt wohl fühlt, die er selbst geschaffen hat, wird auch Identität Gegenstand eines Planungsvorhabens. Die Kategorisierung als Freiheitsgrad führt über zur An-nahme eines Werdens, dergestalt sich der Mensch in Ausbildung seiner Naturanla-gen mehr und mehr entfaltet und dabei verschiedene Stufen durchläuft, um schließ-lich seiner finalen Bestimmung gerecht zu werden. Der Status der Identität als Vari-able eröffnet unweigerlich die Differenz zwischen aktueller und zukünftiger Identität, welche von den Individuen in Form eines Lebensplanes - quasi als Entwurf einer »Sollbiographie« - adressiert wird. Beide gilt es in der alltäglichen »Identitätsarbeit« zur Deckung zu bringen. Die Progression wird durch das stete Bewusstsein der Dif-ferenz zwischen dem aktuellen Ist- und dem intendierten Soll-Zustand vorangetrie-ben. In literarischer Aufmachung eröffnet sich die Entwicklungsperspektive im deutschen Bildungsroman, paradigmatisch in Goethes Wilhelm Meister, in dem der jugendliche Held eine Reihe von Prüfungen und Stationen durchläuft, um perspektivisch in sei-ner Einzigartigkeit die Welt zu repräsentieren. Herder hat sein Zeitalter auf den Be-griff gebracht: Der Mensch sei „nicht mehr eine unfehlbare Maschine in den Händen der Natur“, sondern im Gegensatz zum instinktgesteuerten Tier „sich selbst Zweck und Ziel der Bearbeitung“.2 Der Weg der permanenten Weiterentwicklung ist nicht als defizienter Zwischenzustand zu sehen, der erst nach vielen Mühen eine echte Wesensaneignung ermöglicht, sondern entspricht unserer Natur: „Das Wesentliche unseres Lebens ist nie Genuss, sondern immer Progression, und wir sind nie Men-schen gewesen, bis wir - zu Ende gelebt haben; dagegen die Biene Biene war, als sie ihre erste Zelle baute“.3

    Unter Zurückweisung der naiven Geschichtsverdrängung der Aufklärung vollzieht sich eine Hinwendung zum historischen Denken und es wird ein Bogen von der Ent-wicklung der Menschheit im Ganzen zu der persönlichen Entwicklung des Einzelnen geschlagen. Das Programm der Bildung kulminiert im Nachvollziehen eines allge-meinen Entwicklungsstandes. Die Sollbiographie als Zielkorridor der persönlichen Entwicklung, die »Normierung des Ich«, stellt keinesfalls eine Standardisierung auf Kosten individueller Charakterzüge dar, sondern ist aus moralischer Sicht geboten,

    2 J. G. Herder, Abhandlung über den Ursprung der menschlichen Sprache, Stuttgart 1966, S. 26. 3 Ebd., S. 84-85.

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    um dem idealen Menschenbild zu entsprechen. Die individuellen Charakterzüge sind als noch abzuschleifende Abweichungen bzw. Störungen zur Inkorporation der Ide-albiographie zu sehen; das gelungene ist zugleich das „allgemein[e] menschliche“ Leben, das allein ein „ideales, im höheren Sinne wirkliches Ich“ garantiert.4

    In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erfährt das Bildungsideal einen nachhal-tigen Rechtfertigungsdruck, der schließlich in der Überwindung des Vorbildes eines »allgemeinen Lebens« mündet, das der Aufklärung vor dem Hintergrund einer über-greifenden, holistischen Vernunftidee noch vorgeschwebt hatte. Einerseits ist die Vorstellung eines ungebrochenen Siegeszuges der Vernunft, die nach Import der Französischen Revolution im Deutschen Sprachraum die Gemüter erregt hatte, vor dem Hintergrund der realen Entwicklung verblasst. Zunehmend treten Fragen nach den Bedingungen der Identitätsentwicklung in den Blick, die in ihrer Gesamtheit auch die Möglichkeit des persönlichen Scheiterns offen legen. Das Aufkommen der sozia-len Frage hat die politische und philosophische Debatte in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts bestimmt und das Modell einer ungebrochenen Identitätsaneignung desavouiert. Vor dem Hintergrund der industriellen Revolution, verbunden mit der Auflösung naturalwirtschaftlicher Hauswirtschaften mit Selbstversorgung und der Transformation der menschlichern Arbeitskraft in einen regulierten Produktionsfak-tor,

    Das er-folgreiche Identitätsprojekt definiert sich durch Übereinstimmung mit dem Allgemei-nen, der bruchlosen Repräsentation des gesellschaftlich maßgeblichen Wertesys-tems.

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    Als folgenreichste Kritik der »aufgezwungenen« Identität durch die Reorganisation der Produktionsmittel sollte sich der Marxismus erweisen. Karl Marx hatte in der Ein-heit von Leben, Gemeinwesen und Arbeit, die auf eine ländliche Hauswirtschaft as-soziierter Großfamilien im sozialen Verband rekurriert, eine Voraussetzung der Selbstverwirklichung gesehen. Mit der paradigmatischen Ablösung organischer

    wird der Anspruch einer nahtlosen Integration in die vernünftige Welt (Hegel) als nicht mehr realistisch angesehen, sei es aufgrund der disparaten Verteilung des Be-sitzes an Produktionsmitteln (Marx), oder aufgrund der vereinnahmenden Züge des »stahlharten Gehäuses« der calvinistischen Sozialethik oder der Rationalisierung der Lebenswelten (Weber). Wenn Identität nicht mehr durch Tradition und Vorgaben gesetzt ist und die Option einer graduellen Annäherung an das »allgemeine Leben« nicht mehr unreflektiert zur Verfügung steht, erscheint am Horizont die Einsicht, dass das Individuum mit seinem Identitätsprojekt auch auf halber Strecke steckenbleiben könnte. Seitdem agiert die Vorstellung einer souveränen Behauptung in der an sich fremden und unvernünftigen Gesellschaft als gesetzte Rahmenbedingung im diskur-siven Raum, in der man es durch eigene Leistung schaffen kann, aber nicht zwangs-läufig auch tut.

    4 G. Simmel, Grundlagen der Soziologie, Berlin und New York 1984, S. 83fg. Vgl. hierzu auch G. Simmel, „Der Individualismus der modernen Zeit“, S. 346-354, in: G. Simmel, Individualismus der mo-dernen Zeit, hrsg. von O. Rammstedt, Frankfurt/M. 2008. 5 Vgl. hierzu K. Polanyi, The Great Transformation. The Political and Economic Origins of Our Time, Boston 2001.

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    Landwirtschaft und handwerklicher Herstellung durch die kapitalistisch organisierte Industriearbeit ist eine Zäsur eingetreten, mit der die Grundidee des Identitätsprojek-tes aus Sicht des Marxisten ad absurdum geführt ist. Die Stipulation des Handwer-kers als Modellsubjekt der Selbstverwirklichung, der die Welt nach seinen eigenen Ideen transformiert und als die seine erscheinen lässt, in welcher er sich bzw. seine Entwürfe wiederfinden kann, gerinnt in den Händen des abhängen Industrieproleta-riers zu einem Entfremdungsprozess: Der Arbeiter ist auf die rein mechanischen Fließbandhandgriffe reduziert, die einem abstrakten Schema folgen. Arbeit, in der jeder sein gesellschaftliches Wesen zum Ausdruck bringen soll, erfolgt nicht um ihrer selbst willen, sondern ist Mittel zur Befriedung eines äußeren Bedürfnisses. Die Pro-zess- und Produktvereinnahmung resultiert unmittelbar in einer Selbstentfremdung, da der Mensch seine Existenz den Erfordernissen der kapitalistischen Produktions-weise anpasst. Der Arbeiter verkauft seine Arbeitskraft und damit implizit auch sich selbst als Ware. Die Folgen der fortschreitenden Moderne sind in der Tat für das Individuum ambiva-lent. Ein historischer Restbestand an Identitätsvorgaben steht noch zur Disposition, denen sich das verunsicherte Individuum in unreflektierter Aneignung und vorge-täuschter Naivität bedienen kann. Die Wahlfreiheit verspricht Möglichkeiten zur Ge-staltung des eigenen Lebens und Konzeption des Lebenssinnes, erweist sich im All-tag allerdings schnell als eine schwierige Aufgabe. In Bezug auf die Selbstwahrneh-mung herrscht eine Uneinheitlichkeit vor, da man sich sowohl für die aktive Ergrei-fung einer selbst gewählten Identität entscheiden, als auch die Herausforderung scheuen kann und sich in einer nicht eingestandenen Unbestimmtheit belässt. Im Regelfall übersetzt sich das Bewusstsein des Identitätsvakuums in ein konkretes, auf die Zukunft angelegtes »Identitätsprojekt«, nachdem ein Abgleich zwischen der Ausgangslage und den zur Verfügung stehenden Ressourcen stattgefunden hat. Die Pendelschläge zwischen maximaler Verwirklichungsmöglichkeit einerseits, die kei-nerlei inhaltlichen Vorgaben unterliegt, aber auch an keine übergeordnete Instanz verweisen kann, die das Individuum im Ernstfall auffängt, und einer staatlich verord-neten und somit fremdbestimmten, dafür aber auch quasi garantierten Identitätsfin-dung andererseits, bestimmen bis heute die Debatte und das politische Geschehen. Selbst die plakative Wahlkampfformel „Freiheit statt Sozialismus“ kann im Flucht-punkt dieser Dualität gedeutet werden. Es hängt von der persönlichen Entwicklung ab, inwieweit sich der Einzelne dem Identitätsvakuum stellt und es als Aufarbei-tungsdefizit auf seiner Agenda positioniert, oder das Vorliegen eines Vakuums durch Rückbesinnung auf Tradition leugnet. 1.2 Unabhängige Wertschätzung des Identitätsentwurfs Das zentrale Ziel des Identitätsprojektes ist zumindest bis zur zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die intersubjektive Anerkennung des eigenen Lebensentwurfes. Durch die unabhängige Wertschätzung oder reziprok die Diskreditierung einer Lebensleis-tung und der damit verbundenen Eigenarten und Besonderheiten, der ergriffenen

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    und vorgeschlagenen Identitätsmodule, sieht sich das Individuum in seinem Selbst-entwurf bestätigt bzw. unverstanden und verlässt den Boden seiner eigenen, partiell noch weltfremden Einbildungen. Die gelingende Erfahrung von Identität beruht maß-geblich auf öffentlicher Gutheißung der präsentierten Lebensform und kann nicht auf einem bloßen Entwurf fußen, der in der Manier eines Autisten im sozialen Nichts konstruiert wurde. Der philosophiegeschichtliche Hintergrund dieses Topos, der die Selbstfindung an die Bedingungen praktischer Intersubjektivität zurück bindet, findet sich in der He-gelschen Rechtsphilosophie.6 Hegel verfolgt die Zielsetzung, die verloren gegange-ne Einheit von individueller Selbstfindung und allgemeiner Nutzenzuweisung, die in der antiken Polis geherrscht hat, wiederherzustellen, ohne hierbei die neuzeitliche Idee des souveränen und freien Subjekt aufgeben zu müssen. Seine Konstruktion ist darauf angelegt ein Gemeinwesen abzuleiten, dessen Sittlichkeit einen Möglichkeits-raum zur Realisierung der individuellen Freiheit der Subjekte aufspannt. Hiermit ist die liberale und Kantische Idee einer Zurückstutzung partikularer Einzelrechte, die vorsieht, die individuellen Aktionssphären der Anderen so stark einzuschränken, dass die anderen in der Verfolgung ihrer Interessen nicht überproportional benach-teiligt sind, überwunden.7

    Die Erklärung der Gesellschaft durch imaginären Vertragsschluss wird von Hegel verworfen, da diese das Subjekt von Beginn an als ein auf sich selbst gestelltes, au-tonomes Wesen konstruiert, dem erst in einem zweiten Schritt ein intersubjektiver Abgleich abgerungen werden muss. Das Ergebnis der persönlichen Souveränität, die das Subjekt am Ende erhält, muss gleichsam schon für dessen Herleitung vo-rausgesetzt werden, wenn das Subjekt sich aus utilitaristischen Erwägungen für ei-nen Übertritt aus dem Naturzustand in die Gesellschaft entscheidet. Die Transforma-tion hatte sich Hegel konträr zu den Naturrechtslehren seiner Zeit - und darin liegt die Pointe - in einer Stufenabfolge wechselseitiger Anerkennung vorgestellt, anhand derer sich die atomisierten Subjekte in einen Zustand gelebter Sittlichkeit erheben. Die Stufen folgen einem Dreischrittmodell: Zunächst erkennen sich die Menschen reziprok in der Familie als liebende, emotional bedürftige Wesen. Die menschliche Primärbeziehung äußert sich in emotionaler Zuwendung. In einem zweiten Schritt ergibt sich im Tauschverhältnis mit anderen Individuen die gegenseitige Anerken-nung als rechtliche Träger legitimer Besitzansprüche, kraft derer die Individuen Tauschgeschäfte tätigen. In einem dritten Schritt schließlich ringen sich die Individu-en gegenseitig die Anerkennung ihrer Ehre ab.

    Hierbei ist eine wechselseitige Abhängigkeit im Spiel, da der Wert der erfahrenen sozialen Anerkennung reziprok davon abhängt, welchen Stellenwert man seinem Gegenüber einräumt. Das Individuum kann von seinem Gegenüber nur Anerken-nung erfahren, wenn es diesem zuvor einen gewissen Status zugesprochen hat. Die Anerkennungskompetenz des Anderen ist diesem somit nicht von Natur gegeben, 6 G. W. F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, Frankfurt/M. 1970. 7 I. Kant, Die Metaphysik der Sitten, hrsg. von W. Weischedel, Frankfurt/M. 1977.

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    sondern bedarf auch ihrerseits einer intersubjektiven Anerkennung; im interaktiven Geschehen können sich die Individuen in einem wechselseitigen Prozess in ihrem Status mehr und mehr aufwerten, was ihnen in Isolation verwehrt geblieben wäre. Maßgeblich ist somit der Einbau von Zwischenstufen im Prozess der eigenen Selbstwahrnehmung und Identitätsaneignung, der die Behauptung autonomer Sub-jekte als fiktiven Ausgangspunkt entkräftet, diese aber als Prozessergebnis sozialer Interaktion erklären kann. Die Unterstellung einer gesellschaftlich vermittelten, relationalen Identität - im Ge-gensatz zu einem introspektiven Verständnis - hat sich seitdem durchgesetzt. Würde man unter Identität nur die kognitive Gewahrwerdung des eigenen Selbst verstehen, das uns als Natur schon gegeben ist, wäre der Prozess auch ohne Rekurs auf inter-subjektive Strukturen lückenlos rekonstruierbar. Das Hegelsche Motiv der Anerken-nung wird heute als das eigentliche Erbe der Hegelschen Sittlichkeitskonzeption programmatisch rezipiert, um sie unter aktuellen Bedingungen in eine normative Ge-sellschaftstheorie zu transformieren, die gesellschaftlichen Wandel und soziale Kon-flikte unter Verweis auf entstandene Anerkennungsdefizite plausibilisiert.8

    Das Konzept der Anerkennung ist in einer rudimentären Form von der Verhaltens-forschung des 20. Jahrhunderts bestätigt worden. Der naturalistische Ansatz geht davon aus, dass der Mensch ein Naturwesen darstellt, das sich in der einen oder anderen Weise in seiner neuen »Heimat«, der Kulturwelt, arrangieren muss. Der Eintritt in die Kulturwelt vollzieht sich nicht in Form einer Metamorphose, in der sich das Naturwesen auf einmal zum Vernunftwesen mausert, sondern durch Anpassung archaischer Muster an neue Umstände. Das Individuum aktualisiert seine Gattungs-natur und versucht diese soweit wie möglich unter modernen Bedingungen zu erhal-ten. Das kulturell invariante Auftreten von Handlungstypen widerlegt die Erklärung des Verhaltensmusters als zeitgeschichtlich-kulturelle Ausprägung und beweist den Charakter der Naturanlage.

    Das Streben nach Abgrenzung im sozialen Verband stellt ein Element dieser Gat-tungsnatur dar. In der vergleichenden Verhaltensforschung wird auf die Rangord-nung im Tierverband als atavistisches Urelement des menschlichen Verhaltens ver-wiesen, die sich durch Anerkennung der privilegierten Stellung konstituiert. Die An-erkennung basiert auf Aufmerksamkeit, welche wiederum eine ausgezeichnete Leis-tung erfordert, die in den Dienst der Gruppe gestellt wird: „Menschen streben nach Anerkennung. Sie sind bemüht, sich durch besondere Leistungen auszuzeichnen und damit wenigstens vorübergehend in den Blickpunkt der Aufmerksamkeit der Gruppe zu rücken [...] Geachtet werden heißt, die Aufmerksamkeit seiner Mitmen-schen erlangen, und darauf kommt es dem Einzelnen an [...] Die Tatsache, dass man bisher das Modell einer Gesellschaft ohne Ränge nicht in die Praxis umsetzen konnte [...], zeigt, dass es sich hier wahrscheinlich um eine angeborene Disposition

    8 Vgl. hierzu A. Honneth, Kampf um Anerkennung. Zur moralischen Grammatik sozialer Konflikte. Frankfurt/M. 1994.