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3 In|Fo|Neurologie & Psychiatrie 2012; Vol. 14, Nr. 10 editorial Univ.-Prof. Dr. med. Klaus Lieb Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Universitätsmedizin Mainz Am 22. Juni 2012 hatte der Bundesgerichtshof (BGH) seinen Be- schluss veröffentlicht, wonach sich niedergelassene Ärzte nach § 332 und § 299 Absatz 1 Strafgesetzbuch (StGB) nicht straar machen, wenn sie von einem pharmazeutischen Unternehmen Geschenke als Gegenleistung für die Verordnung von Medika- menten annehmen. Der BGH begründete dies damit, dass der Arzt bei der Verordnung von Medikamenten weder als Amts- träger noch als Beauſtragter der gesetzlichen Krankenkassen handle, weshalb die beiden Bestechlichkeitsparagrafen nicht zur Anwendung kommen könnten. Bleibt also alles beim Alten? Dürfen Ärzte weiter Vergünsti- gungen der Industrie wie Einladungen zu Fortbildungsveran- staltungen, Kongressen und Essen, Vortragshonorare, Beteili- gungen an Umsätzen mit bestimmten Medikamenten, Praxis- material und dergleichen annehmen? Der BGH hat in seinem Beschluss unmissverständlich deut- lich gemacht, dass die Annahme von Geschenken für die Ver- ordnung von Medikamenten mitnichten als korrekt anzusehen ist. So führt er aus, er verkenne nicht „die grundsätzliche Be- rechtigung des Anliegens, Missständen, die – allem Anschein nach – gravierende finanzielle Belastungen des Gesundheits- systems zur Folge haben, mit Mitteln des Strafrechts effektiv entgegenzutreten.“ Die Annahme von Geschenken unter Stra- fe zu stellen und so die Korruption im Gesundheitswesen zu bekämpfen, ist aber Aufgabe des Gesetzgebers. Der BGH hatte lediglich zu entscheiden, ob die bestehenden Strafgesetze die- ses Verhalten sanktionieren, nicht aber ob es grundsätzlich ver- boten ist oder sein sollte. Es ist daher zu erwarten, dass der Ge- setzgeber entsprechende Gesetzesvorhaben initiieren wird, die die Annahme von Geschenken im Gegenzug für die Verord- nung von bestimmten Medikamenten als Korruption unter Strafe stellen. In seinem Beschluss adressiert der BGH aber nicht nur den Gesetzgeber, sondern auch die Ärzteschaſt: Die Richter grün- den ihre Entscheidung nämlich vor allem darauf, dass „die ärzt- liche Behandlung, in die sich die Verordnung von Arzneimit- teln einfügt, in erster Linie im Interesse des Patienten und in seinem Auſtrag erfolgt“ und „sich innerhalb des personal ge- prägten Vertrauensverhältnisses“ zwischen Patient und Arzt Bestechlichkeit niedergelassener Ärzte Warum Ärzte trotz BGH-Beschluss keine Geschenke annehmen sollten vollzieht. Damit zielen die Richter direkt auf den Kernbereich des Arzt-Patienten-Verhältnisses ab und erinnern die Ärzte- schaſt an ihren Hippokratischen Eid. Nach diesem soll ärztli- ches Handeln, wie zum Beispiel das Verordnen von Medika- menten, im primären Interesse des Patienten und zu seinem alleinigen Nutzen erfolgen und nicht durch sekundäre Interes- sen (also hier weder die der Krankenkassen noch die der Phar- maindustrie) geleitet sein. Mit dem Verzicht auf Geschenke aller Art und der Einrich- tung unabhängiger Fortbildungen könnte die Ärzteschaſt Ge- setzesvorhaben zuvor kommen und deutlich machen, dass es ihr mit ihrer Unabhängigkeit und Freiberuflichkeit ernst ist – denn: Ärzte sind allein ihren Patienten verpflichtet und sind kein verlängerter Arm der Krankenkassen, aber auch keine Er- füllungsgehilfen der Industrie. Klaus Lieb, Mainz Literatur Lieb K, Klemperer D und Ludwig WD (Herausgeber): Interessenkonflikte in der Medizin – Hintergründe und Lösungsmöglichkeiten. Springer, Heidelberg, 2011 © © fovito / Fotolia.com

Warum Ärzte trotz BGH-Beschluss keine Geschenke annehmen sollten

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Page 1: Warum Ärzte trotz BGH-Beschluss keine Geschenke annehmen sollten

3In|Fo|Neurologie & Psychiatrie 2012; Vol. 14, Nr. 10

editorial

Univ.-Prof. Dr. med. Klaus Lieb

Direktor der Klinik für Psychiatrie und PsychotherapieUniversitätsmedizin Mainz

Am 22. Juni 2012 hatte der Bundesgerichtshof (BGH) seinen Be-schluss veröffentlicht, wonach sich niedergelassene Ärzte nach § 332 und § 299 Absatz 1 Strafgesetzbuch (StGB) nicht strafbar machen, wenn sie von einem pharmazeutischen Unternehmen Geschenke als Gegenleistung für die Verordnung von Medika-menten annehmen. Der BGH begründete dies damit, dass der Arzt bei der Verordnung von Medikamenten weder als Amts-träger noch als Beauftragter der gesetzlichen Krankenkassen handle, weshalb die beiden Bestechlichkeitsparagrafen nicht zur Anwendung kommen könnten.

Bleibt also alles beim Alten? Dürfen Ärzte weiter Vergünsti-gungen der Industrie wie Einladungen zu Fortbildungsveran-staltungen, Kongressen und Essen, Vortragshonorare, Beteili-gungen an Umsätzen mit bestimmten Medikamenten, Praxis-material und dergleichen annehmen?

Der BGH hat in seinem Beschluss unmissverständlich deut-lich gemacht, dass die Annahme von Geschenken für die Ver-ordnung von Medikamenten mitnichten als korrekt anzusehen ist. So führt er aus, er verkenne nicht „die grundsätzliche Be-rechtigung des Anliegens, Missständen, die – allem Anschein nach – gravierende finanzielle Belastungen des Gesundheits-systems zur Folge haben, mit Mitteln des Strafrechts effektiv entgegenzutreten.“ Die Annahme von Geschenken unter Stra-fe zu stellen und so die Korruption im Gesundheitswesen zu bekämpfen, ist aber Aufgabe des Gesetzgebers. Der BGH hatte lediglich zu entscheiden, ob die bestehenden Strafgesetze die-ses Verhalten sanktionieren, nicht aber ob es grundsätzlich ver-boten ist oder sein sollte. Es ist daher zu erwarten, dass der Ge-setzgeber entsprechende Gesetzesvorhaben initiieren wird, die die Annahme von Geschenken im Gegenzug für die Verord-nung von bestimmten Medikamenten als Korruption unter Strafe stellen.

In seinem Beschluss adressiert der BGH aber nicht nur den Gesetzgeber, sondern auch die Ärzteschaft: Die Richter grün-den ihre Entscheidung nämlich vor allem darauf, dass „die ärzt-liche Behandlung, in die sich die Verordnung von Arzneimit-teln einfügt, in erster Linie im Interesse des Patienten und in seinem Auftrag erfolgt“ und „sich innerhalb des personal ge-prägten Vertrauensverhältnisses“ zwischen Patient und Arzt

Bestechlichkeit niedergelassener Ärzte

Warum Ärzte trotz BGH-Beschluss keine Geschenke annehmen sollten

vollzieht. Damit zielen die Richter direkt auf den Kernbereich des Arzt-Patienten-Verhältnisses ab und erinnern die Ärzte-schaft an ihren Hippokratischen Eid. Nach diesem soll ärztli-ches Handeln, wie zum Beispiel das Verordnen von Medika-menten, im primären Interesse des Patienten und zu seinem alleinigen Nutzen erfolgen und nicht durch sekundäre Interes-sen (also hier weder die der Krankenkassen noch die der Phar-maindustrie) geleitet sein.

Mit dem Verzicht auf Geschenke aller Art und der Einrich-tung unabhängiger Fortbildungen könnte die Ärzteschaft Ge-setzesvorhaben zuvor kommen und deutlich machen, dass es ihr mit ihrer Unabhängigkeit und Freiberuflichkeit ernst ist – denn: Ärzte sind allein ihren Patienten verpflichtet und sind kein verlängerter Arm der Krankenkassen, aber auch keine Er-füllungsgehilfen der Industrie.

Klaus Lieb, Mainz

LiteraturLieb K, Klemperer D und Ludwig WD (Herausgeber): Interessenkonflikte in der Medizin – Hintergründe und Lösungsmöglichkeiten. Springer, Heidel berg, 2011

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