Warum ich kapiTuLiere - Bassam · PDF filekulturübergreifend nach zivilisatori-schen Gemeinsamkeiten. Mein Einsatz für den Euro-Islam ist ein Einsatz für Vielfalt in einem Konzept,

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  • Nach 25Jahren verabschiedet sich Bassam

    Tibi von seiner Vision eines

    Euro-Islam. Der Kopftuch-Islam

    habe gesiegt

    Von Bassam TiBi illustrationen Laura BreiLing

    als mittlerweile 72-jhriger syrischer Muslim aus Da-maskus, der zwei Drittel seines Lebens als Migrant in Deutschland mitten im

    Zivilisationskonflikt zwischen dem Is-lam und dem Westen gelebt hat, habe ich mich ein Vierteljahrhundert lang, bis 2015, fr eine Brcke zwischen eu-ropischen Gesellschaften und islami-schen Migranten eingesetzt. Die Br-cke nannte ich Euro-Islam. Sie beruht auf einer Europisierung des Islam, die einen Reform-Islam voraussetzt. Der

    Kopftuch-Islam ist der Gegensatz zum Euro-Islam, der Kopftuch-Islam ist ein Scharia-Islam, der von Islamisten und orthodoxen salafistischen Muslimen ge-gen jeden fortschrittlichen Islam vertre-ten wird. Heute gebe ich mich geschla-gen. Den Euro-Islam wird es nicht geben. Ich kapituliere.

    Es liegt nicht in meiner Absicht, mich auf eine Debatte ber das Kopftuch ein-zulassen. Ich belasse es bei der Zusiche-rung, keinerlei Einwnde gegen religise Kleidung zu haben. Was ich beanstande, ist die doppelte Natur einer bestimmten Form der Verschleierung. Ein Kopftuch kann eine Volkstracht sein oder ein Aus-druck von Religiositt so war es bei

    Welt des Islam, berwiegend aus mei-ner Heimat Syrien, nach Europa gekom-men, unter denen ich keine einzige eu-ropisch gekleidete Frau gesehen habe. Ich sehe brtige Islamisten und Frauen in islamistischer Uniform und resigniere. Das Eintreten fr Religionsfreiheit ist ein Bestandteil meines Denkens als Mitbe-grnder der Arabischen Organisation fr die Verteidigung von Menschenrechten. Die Religionsfreiheit fr den Islam gilt je-doch nur fr die fnf Sulen des islami-schen Glaubens. Diese fnf Sulen sind nach islamischer Auffassung: die Scha-hada, das Glaubensbekenntnis also, das Gebet, das Fasten im Ramadan, die Al-mosensteuer Zakat und die Pilgerfahrt nach Mekka. Unter diesen fnf Sulen befindet sich die Kopftuch-Uniform nicht, ebenso wenig wie Dschihad und Scharia zum islamischen Glauben gehren. We-der im Koran noch in der berlieferung des Propheten wird ein Kopftuch als re-ligise Pflicht vorgeschrieben.

    Der groe islamische Gelehrte und Jurist Said alAshmawi hat dies in sei-nem Buch Haqiqat al Hijab (Die Wahr-heit ber das Kopftuch) nachgewiesen. Er beweist, dass das Kopftuchtragen eine politische Parteinahme einschliet. Be-zogen auf die Diasporamuslime bringt

    meiner Mutter in Damaskus der Fall. Beides ist nicht zu beanstanden. Bean-standet wird eine islamistische Uniform. Die doppelte Funktion des Kopftuchs be-steht darin, einerseits eine Scharia-Welt-anschauung zum Ausdruck zu bringen und andererseits eine ausdrckliche zi-vilisatorische Abgrenzung gegenber allem, was als westlich-europisch-s-kular gilt. Der Kopftuch-Islam ist eine Abschottung, wohingegen der Euro-Islam darum bemht ist, Brcken zu schlagen.

    Das Jahr 2015 markiert das Ende meiner Hoffnung auf eine Europisie-rung des Islam. 2015 sind mehr als an-derthalb Millionen Flchtlinge aus der

    Warum ich kapiTuLiere Gehrt derIslam zu deutschland?teil1:Bassam tibi

    115Cicero 6. 2016

    saLonserie

  • kulturbergreifend nach zivilisatori-schen Gemeinsamkeiten.

    Mein Einsatz fr den Euro-Islam ist ein Einsatz fr Vielfalt in einem Konzept, das Brcken schlgt. Meine Niederlage als Urheber dieser Friedensvision muss ich einrumen. Zwischen 1979 und 2009 habe ich in 22islamischen Lndern von Westafrika ber den Nahen Osten bis Sdostasien (Indonesien) gelebt und ge-forscht. Im Rahmen dieser 30-jhrigen Geschichte hat sich mein Verstndnis von Aufklrung im Islam entwickelt. Ich ordne meine eigene Ttigkeit in die Tra-dition der enlightened muslim thought ein, die seit 1925 existiert. Dieser Auf-klrungs-Islam anerkennt Vielfalt, ohne eine Abschottung zu befrworten.

    in aLLen isLamischen Lndern, in de-nen ich gelebt, gelehrt und geforscht habe, vernahm ich nur Vielfalt. Der senegale-sische Afro-Islam, den ich erstmals 1982 erlebt habe, unterscheidet sich weitge-hend von anderen Varianten, etwa dem indonesischen Islam, den ich zwischen 1995 und 2009 vor Ort studierte. Senega-lesen und Indonesier dienen als Beispiel, dass Muslime denselben Glauben, nicht dieselbe Kultur haben. Diese Feststellung gilt sogar fr die arabischen Lnder. Als ich im marokkanischen Rabat Vorlesun-gen hielt, konnte ich als muslimisch-sun-nitischer Syrer feststellen, wie gro die innerislamisch-arabischen Unterschiede zwischen Syrern und Marokkanern sind, obwohl beide zum sunnitischen Islam ge-hren. Der Islam ist kein Eintopf, weil es keinen einheitlichen Islam gibt. In Westafrika ist der Islam kulturell afri-kanisiert worden zu einem Afro-Islam. hnlich verlief die Geschichte der Ver-breitung des Islam in Indonesien, wo 300 verschiedene Kulturen existieren.

    Im Jahre 1992 kristallisierte sich mir die Idee eines europischen Islam wei-ter heraus, als ich in Paris am Institut du monde arabe ein Konzept zur Integration der Muslime in Frankreich zu Citoyens vortrug. Integration sollte das berholte Konzept der Assimilation ablsen. Das franzsische Projekt trug den Titel Is-lams dEurope man bemerke die Plu-ralform. Drei Jahre spter erschien das Ergebnis dieser Arbeit in einem Buch mit dem Untertitel Intgration ou Insertion

    diese Parteinahme eine Prferenz zum Ausdruck, zugunsten des Lebens in En-klaven und Parallelgesellschaften. Der Euro-Islam hingegen drckt die Hoff-nung aus, dass europische Migranten Brger, Citoyens einer Zivilgesellschaft werden knnen. Insofern knnte man die Durchsetzung des Kopftuch-Islam als ei-nen Sieg der Verweigerung der Integra-tion und eine Parteinahme gegen den Euro-Islam deuten.

    Meine islamisch-trkische Mitstrei-terin Nilfer Gle argumentiert in ihrem Buch The Forbidden Modern. Civiliza-tion and Veiling, dass die Verschleie-rung der Frau eher ein Ausdruck des Konflikts mit der Moderne als eine Lo-yalitt gegenber der Religion des Is-lam sei. Sie erlutert: Kein ande-res Symbol kann mit dieser Wucht so schlagkrftig das Anderssein des Is-lam gegenber dem Westen demonstrie-ren wie der Schleier.() Die zeitgens-sische Verschleierung der Frauen dient der Unterstreichung, dass die Grenzen zwischen der islamischen und der west-lichen Zivilisation() unberwindbar seien. Der Euro-Islam hingegen sucht

    multikulturell gesinnte eu-roper verbie-ten jede kri-tik am islam, angeblich aus respekt

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    saLonserie

  • Communautaire, Integration oder Pa-rallelgesellschaften. Das sind die Alter-nativen, die man mutig angeben muss. Es scheint, dass heute die Parallelgesell-schaft ber die Integration gesiegt hat. Darum gebe ich auf.

    In Deutschland sind diese Themen tabu. Es ist nicht ungefhrlich, sie anzu-sprechen. Deswegen wich ich in die USA aus, um in Berkeley, Cornell und Stan-ford ber die Folgen der fehlenden In-tegration islamischer Migranten nach-zudenken und zu schreiben. Selbst in Frankreich scheint das Projekt geschei-tert. Die Frankreich-Korrespondentin der FAZ, Michaela Wiegel, erklrte, der Is-lam werde in Frankreich als Sicherheits-problem betrachtet: Die Integrationsde-batte wird in Paris unter dem Primat der Sicherheit gefhrt. Deutsche Gut-menschen wollen hiervon nichts wissen.

    meine Vision ging davon aus, dass eine nur fr Europa gltige Anpassung des Islam im Rahmen von Europisierung mglich ist. Nur muslimische Migranten knnen eine solche Aufgabe bernehmen, europische Zivilgesellschaften knnen sie untersttzen. Ich unterscheide zwi-schen pragmatischer Anpassung der Mus-lime an europische Rechtsordnungen und einer Eingliederung dieser Muslime im Rahmen eines europischen Gemein-wesens. Ohne Reform und kulturellen Wandel kann diese Aufgabe nicht gelin-gen. Eine schriftglubige Fixierung der Muslime auf den Koran wrde einem sol-chen Projekt im Wege stehen.

    Die Grundvoraussetzungen fr ei-nen europischen Islam wren: 1. Tren-nung von Religion und Politik im Rah-men der Privatisierung des Glaubens. 2. Aufgabe der islamischen Konzepte von Dschihad und Scharia, die jede Integra-tion behindern. 3. Islamische Akzeptanz der skularen Demokratie als Werteori-entierung fr ein Gemeinwesen, in dem Muslime und Nichtmuslime als Citoyens leben. 4. Toleranz im Sinne der europ-ischen Aufklrung und nicht das, was Muslime unter Toleranz verstehen, nm-lich Duldung von Christen und Juden als Dhimmi, untergeordnete Glubige; diese Auffassung widerspricht der Grundidee Europas. 5. Aufgabe des islamischen An-spruchs auf Siyadat, Vorherrschaft und

    einem Euro-Islam, vergleichbar der In-kulturation des Islam im Senegal zu ei-nem Afro-Islam, ist die einzige erfolg-versprechende Integrationshandlung. Sie muss von Muslimen getragen werden. Das obrigkeitsstaatliche Denken deut-scher Politiker erschpft sich im Glauben, durch Gesetze und staatliche Politik die Muslime zu integrieren. Das kann nie-mals gelingen. Integration bedeutet In-klusion in ein Gemeinwesen, nicht Unter-bringung, Sprachkurse und Versorgung von Staats wegen, wie der Begriff heute in Deutschland verhunzt wird.

    nach 9/11 und dem appLaus vieler isla-mischer Parallelgesellschaften in Westeu-ropa fr diese Demtigung des Westens begann ich an meiner Vision eines Euro-Islam zu zweifeln. Ich bin Wahleuroper, der Europa wegen des Grundrechts auf Denkfreiheit gewhlt hat. Heute fhle ich mich in Deutschland von Verboten um-geben, mich kritisch ber Islam und Is-lamismus sowie ber Europa zu uern. Schon Adorno kritisierte eine deutsche Denkart, bei der es blich ist, mit Rck-sicht auf die Folgen, sich selbst zu verbie-ten, ber nicht wenige Fragen frei zu sprechen. Daraus entstehe eine innere Zensurinstanz, die schlielich nicht nur die uerung unbequemer Gedanken, sondern diese selbst verhindert. Als Folge werde jede Abweichung gereizt geahndet. Ich bin als Muslim und als Mi-grant Opfer dieser deutschen Denkweise, selbst wenn ich ber meine eig