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Patient klagt über Luftnot Was raubt ihm den Atem? Patienten mit Dyspnoe stellen eine Herausforderung dar. Es müssen viele Differenzialdiagnosen bedacht werden, und das Gefühl der vitalen Bedrohung setzt nicht nur den Patienten, sondern auch den Arzt großem Stress aus. Der folgende Beitrag beschreibt, wie Sie mittels subtiler Anamnese, körperlicher und einfacher apparativer Untersuchungen vom komplexen Symptom „Atem- not“ zur Diagnose gelangen und wie eine rationale Therapie aussieht. _ Atemnot ist eines der häufigsten Symptome in Klinik und Praxis. Die Ru- heatmung wird normalerweise nicht wahrgenommen, weshalb die American oracic Society ganz allgemein Atem- not als eine „… subjektive Wahrneh- mung von Atembeschwerden definiert, die in ihrer Intensität variable, qualitativ unterschiedliche Empfindungen bein- halten. Die Wahrnehmungen stammen von Interaktionen multipler physiolo- gischer, psychologischer und sozialer Komponenten sowie Umweltfaktoren und können sekundäre physiologische Reaktionen und Verhaltensantworten hervorrufen“. Diese relativ komplexe und gleichzei- tig unspezifische Definition zeugt davon, dass an der Entstehung von Atemnot eine Fülle ganz unterschiedlicher Kom- ponenten beteiligt ist und man nicht ganz genau weiß, wie sie entsteht. Wie wird Luftnot artikuliert? Luſtnot wird in unterschiedlicher Weise artikuliert. In Tabelle 1 sind 15 Beschrei- bungen zusammengefasst, die anhand von Experimenten mit Gesunden ge- wonnen wurden. Man hat auch versucht, diese Ausdrücke bestimmten Erkran- kungen zuzuordnen. So geben Patienten mit COPD vorwiegend Luſthunger, ein Gefühl von Ersticken und erhöhte Atem- arbeit an. Patienten mit Asthma bron- chiale klagen vor allem über flache At- mung und ungenügende Ausatmung, Patienten mit neuromuskulären Ursa- chen über erhöhte Atemarbeit. Die vom Patienten gewählten Aus- drücke und Formulierungen für seine qualitativ unterschiedlichen Empfin- dungen können erste Hinweise auf eine mögliche Ursache der Atemnot liefern. Allerdings ist es gerade bei Patienten aus anderen Kultur- und Sprachräumen nicht einfach zu ergründen, inwiefern vorgebrachte Beschwerden tatsächlich Atemnot entsprechen oder aber eher Leistungsintoleranz, Müdigkeit, allge- meine Muskelschwäche oder thorakale Beklemmung reflektieren. Eine allgemeine Immobilität er- schwert auch das Erfragen einer chroni- schen Belastungsdyspnoe. Typisch ist z. B. folgender Dialog. Arzt: „Haben Sie Luſt- not, wenn Sie sich körperlich anstrengen?“ Patient: „Ich strenge mich nie an.“ Arzt: „Wie ist es beim Treppensteigen?“ Patient: „Ich wohne im Erdgeschoss und in der U- Bahn nehme ich die Rolltreppe.“ Arzt: „Und wenn die Rolltreppe einmal aus- fällt?“ Patient: „Dann nehme ich den Auf- zug.“ Unter diesen Umständen ist die Graduierung des Dyspnoe-Schweregra- des in vier Stufen, wie von der American oracic Society vorgeschlagen (siehe Tab. 2), nur eingeschränkt anwendbar. Mechanismen der Dyspnoe Man nimmt heute an, dass Dyspnoe aus der Interaktion von verschiedenen Re- zeptoren und Zentren im Hirnstamm entsteht. In den Atemwegen, dem Lun- genparenchym und der oraxwand be- finden sich Mechanorezeptoren, die kontinuierlich die Größen Druck, Fluss und Volumen überwachen. Trigeminus-Rezeptoren im Bereich der oberen Luſtwege können dagegen das Gefühl von Dyspnoe lindern. So führt z. B. die Inhalation von kalter Luſt zu einer Verlängerung der Atemanhal- tezeit und trägt so zur Verminderung Ernstzunehmende Symptome: Blaue Lippen und Atemnot. © Arteria Photography 38 MMW-Fortschr. Med. 2013; 155 (16) ZERTIFIZIERTE FORTBILDUNG _ FOLGE 378 Prof. Dr. med. H. S. Füeßl Internist Gastroenterologie Leiter Somatischer Querschnittsbereich Isar-Amper-Klinikum, Klinikum München-Ost, Haar In Zusammenarbeit mit der Bayerischen Landesärztekammer Teilnahme unter www.springermedizin.de/ kurse-mmw

Was raubt ihm den Atem?

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Page 1: Was raubt ihm den Atem?

Patient klagt über Luftnot

Was raubt ihm den Atem?Patienten mit Dyspnoe stellen eine Herausforderung dar. Es müssen viele Di�erenzialdiagnosen bedacht werden, und das Gefühl der vitalen Bedrohung setzt nicht nur den Patienten, sondern auch den Arzt großem Stress aus. Der folgende Beitrag beschreibt, wie Sie mittels subtiler Anamnese, körperlicher und einfacher apparativer Untersuchungen vom komplexen Symptom „Atem-not“ zur Diagnose gelangen und wie eine rationale Therapie aussieht.

_ Atemnot ist eines der häu�gsten Symp tome in Klinik und Praxis. Die Ru-heatmung wird normalerweise nicht wahrgenommen, weshalb die American �oracic Society ganz allgemein Atem-not als eine „… subjektive Wahrneh-mung von Atembeschwerden de�niert, die in ihrer Intensität variable, qualitativ unterschiedliche Emp�ndungen bein-halten. Die Wahrnehmungen stammen von Interaktionen multipler physiolo-gischer, psychologischer und sozialer Komponenten sowie Umweltfaktoren und können sekundäre physiologische Reaktionen und Verhaltensantworten hervor rufen“.

Diese relativ komplexe und gleichzei-tig unspezi�sche De�nition zeugt davon, dass an der Entstehung von Atemnot eine Fülle ganz unterschiedlicher Kom-ponenten beteiligt ist und man nicht ganz genau weiß, wie sie entsteht.

Wie wird Luftnot artikuliert?Lu�not wird in unterschiedlicher Weise artikuliert. In Tabelle 1 sind 15 Beschrei-bungen zusammengefasst, die anhand von Experimenten mit Gesunden ge-wonnen wurden. Man hat auch versucht, diese Ausdrücke bestimmten Erkran-kungen zuzuordnen. So geben Patienten

mit COPD vorwiegend Lu�hunger, ein Gefühl von Ersticken und erhöhte Atem-arbeit an. Patienten mit Asthma bron-chiale klagen vor allem über �ache At-mung und ungenügende Ausatmung, Patienten mit neuromuskulären Ursa-chen über erhöhte Atemarbeit.

Die vom Patienten gewählten Aus-drücke und Formulierungen für seine qualitativ unterschiedlichen Emp�n-dungen können erste Hinweise auf eine mögliche Ursache der Atemnot liefern. Allerdings ist es gerade bei Pa tienten aus anderen Kultur- und Sprach räumen nicht einfach zu ergründen, inwiefern vorgebrachte Beschwerden tatsächlich Atemnot entsprechen oder aber eher Leistungsintoleranz, Müdigkeit, allge-meine Muskelschwäche oder thorakale Beklemmung re�ektieren.

Eine allgemeine Immobilität er-schwert auch das Erfragen einer chroni-schen Belastungsdyspnoe. Typisch ist z. B. folgender Dialog. Arzt: „Haben Sie Lu�-not, wenn Sie sich körperlich anstrengen?“ Patient: „Ich strenge mich nie an.“ Arzt:

„Wie ist es beim Treppensteigen?“ Patient: „Ich wohne im Erdgeschoss und in der U-Bahn nehme ich die Rolltreppe.“ Arzt:

„Und wenn die Rolltreppe einmal aus-fällt?“ Patient: „Dann nehme ich den Auf-

zug.“ Unter diesen Umständen ist die Graduierung des Dyspnoe-Schweregra-des in vier Stufen, wie von der American �oracic Society vorgeschlagen (siehe Tab. 2), nur eingeschränkt anwendbar.

Mechanismen der Dyspnoe Man nimmt heute an, dass Dyspnoe aus der Interaktion von verschiedenen Re-zeptoren und Zentren im Hirnstamm entsteht. In den Atemwegen, dem Lun-genparenchym und der �oraxwand be-�nden sich Mechanorezeptoren, die kontinuierlich die Größen Druck, Fluss und Volumen überwachen.

Trigeminus-Rezeptoren im Bereich der oberen Lu�wege können dagegen das Gefühl von Dyspnoe lindern. So führt z. B. die Inhalation von kalter Lu� zu einer Verlängerung der Atemanhal-tezeit und trägt so zur Verminderung

Ernstzunehmende Symptome: Blaue Lippen und Atemnot.

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ZERTIFIZIERTE FORTBILDUNG_FOLGE 378

Prof. Dr. med. H. S. FüeßlInternist GastroenterologieLeiter Somatischer QuerschnittsbereichIsar-Amper-Klinikum, Klinikum München-Ost, Haar

In Zusammenarbeit mit der Bayerischen Landesärztekammer

Teilnahme unter www.springermedizin.de/kurse-mmw

Page 2: Was raubt ihm den Atem?

der Missemp�ndung des Anatmens ge-gen einen inspiratorischen Widerstand bei. Umgekehrt verstärkt die Inhalation von feuchter und warmer Lu� das Dys-pnoegefühl bei gesunden Probanden.

Periphere Chemorezeptoren im Glo-mus caroticum des Aortenbogens erken-nen einen Abfall des arteriellen pO2, werden aber auch durch Azidose und pCO2-Anstieg stimuliert. Zentrale Che-morezeptoren in der Medulla oblongata sind emp�ndlich für Änderungen des pCO2 und des pH-Werts. In der Lunge be�nden sich zusätzlich so genannte va-gale Irritanz-Rezeptoren, die bei Einen-gung der Atemwege gereizt werden und so die Dyspnoe verstärken.

In den kleinen Atemwegen nahe den Alveolarkapillaren entspringen unmye-linisierte a�erente C-Fasern, die eben-falls durch mechanische und chemische Reize aktiviert werden. Sie signalisieren bei starker körperlicher Anstrengung mit beginnender Lungenstauung die kardiopulmonale Leistungsgrenze, wo-rauf die Anstrengung re�exartig ge-drosselt wird (J-Re�ex). Dyspnoe und Warnzeichen körperlicher Erschöpfung können aber willentlich überwunden werden. Zusätzlich liefern Rezeptoren an Gelenken, Sehnenkörperchen und Mus-kelspindeln im Bereich der �oraxwand Informa tionen über Gelenkstellung, Län-ge, Dehnung und Kra�entwicklung der an der Atmung beteiligten Muskeln.

Vom Gehirn gehen e�erente neuro-nale Signale an die Atemmuskeln aus, die durch Expansion der �oraxwand einen inspiratorischen Lu��uss auslö-sen. Kommt es zu einer plötzlichen me-chanischen Störung im Bereich des res-piratorischen Systems, entsprechen die neuronalen Signale nicht mehr der er-forderlichen respiratorischen Anpas-sung. Dieses Ungleichgewicht wird als neuromechanische Dissoziation be-zeichnet und geht mit dem Gefühl von Atemnot einher.

Atmung und Geist: untrennbarEs kommt nicht von ungefähr, dass in zahlreichen Mythen und Religionen eine enge Verbindung zwischen Atmung, Leben und Seele hergestellt wird. Davon zeugen auch viele Formulierungen der

Umgangssprache (z. B. „nach Atem rin-gen“, „es hat mir den Atem verschlagen“,

„nicht zu Atem kommen“). Die hohe Komplexität der Atemregu-

lation unter Einbeziehung zentral nervö-ser Strukturen lässt erkennen, dass einer-seits emotionale Momente (Schmerz, Furcht und Freude) die Atmung stark be-ein�ussen, andererseits aber auch be-wusst eingehaltene Atemmuster Emp�n-dungen wie Schmerz oder Angst modulieren können. Dies wird z. B. bei vielen Biofeedback-Verfahren und Medi-tationstechniken, aber auch zur Schmerz-linderung in der Geburtshilfe eingesetzt.

Vorgehen bei akuter DyspnoeDie akute Dyspnoe ist de�niert als Atemnot, die innerhalb von Minuten bis wenigen Stunden entsteht. Patienten mit akuter Dyspnoe �nden sich i. d. R. nicht in der Praxis ein, sondern suchen die Notaufnahme eines Krankenhauses auf. Die häu�gsten Ursachen der akuten Dyspnoe sind in Tabelle 3 dargestellt. Der Schweregrad und die vitale Gefähr-dung des Patienten sind anhand einiger wichtiger körperlicher Untersuchungs-befunde und der Blutgasanalyse festzu-stellen. Man dokumentiert

− Atemfrequenz, Atemtiefe, Einsatz der Atemhilfsmuskulatur, Orthopnoe, Ruhe- oder Sprechdyspnoe, Angst-oder Erregungszustand;

− den seitenvergleichenden Perkussions- und Auskultationsbefund der Lunge (Stridor, Giemen, Brummen, Rassel-

geräusche) und den Auskultationsbe-fund des Herzens;

− Zeichen der Rechts- bzw. Linksherz-insu�zienz: Ein�ussstauung, Rassel-geräusche;

− Zeichen der respiratorischen Insu�-zienz: Zyanose, Kaltschweißigkeit, Unruhe, Kreislau�nstabilität, Vigi-lanzstörungen.

Blutgasanalyse oder Pulsoxymetrie lie-fern wichtige Befunde zur Abschätzung

Tabelle 1

15 Beschreibungen des Symptoms Luftnot

1. Ich fühle, dass mein Atem schnell ist.

2. Ich kann nicht ausatmen.

3. Ich kann nicht einatmen.

4. Meine Atmung ist ober�ächlich.

5. Ich muss mehr Atemarbeit leisten.

6. Das Atmen ist anstrengender.

7. Ich habe ein Erstickungsgefühl.

8. Ich habe ein Engegefühl.

9. Ich habe Lufthunger.

10. Ich fühle mich atemlos.

11. Ich bekomme nicht genug Luft.

12. Meine Brust ist eng.

13. Meine Brust ist zusammen-geschnürt.

14. Mein Atem ist schwer.

15. Ich atme sehr.

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Tabelle 2

Skala der American Thoracic Society (ATS) für Dyspnoe

0: Keine Dyspnoe Keine Beschwerden beim raschen Gehen in der Ebene oder leichtem Anstieg, außer bei deutlicher körperlicher Anstrengung.

1: Milde Dyspnoe Kurzatmigkeit bei raschem Gehen in der Ebene oder leichtem Anstieg.

2: Mäßige Dyspnoe Kurzatmigkeit. In der Ebene langsamer als Altersgenos-sen, Pausen zum Atemholen auch bei eigenem Tempo.

3: Schwere Dyspnoe Pausen beim Gehen nach einigen Minuten oder nach etwa 100 m im Schritttempo.

4: Sehr schwere Dyspnoe Zu kurzatmig, um das Haus zu verlassen. Luftnot beim An- und Ausziehen.

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FORTBILDUNG_SCHWERPUNKT

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der vitalen Gefährdung und zum Schwe-regrad der respiratorischen Dekompen-sation. Eine drohende Ventilationsin-su�zienz mit der Notwendigkeit der Be-atmung lässt sich anhand eines erhöhten pCO2-Werts und eines erniedrigten pH-Werts erkennen. Die Pulsoxymetrie ist

Tabelle 3

Häu�ge Ursachen akuter Dyspnoe

Herz Myokardinfarkt, Arrhythmie, koronare Herzerkrankung, Perikarditis, kongestive Herzinsu�zienz; Papillarmuskelabriss, Perikardtamponade

Lunge COPD, Asthma, Pneumonie, Pneumothorax, Lungenembolie, Pleuraerguss, metastasierende Erkrankung, Lungenödem, Aspiration, interstitielle Lungenerkrankungen, Blutung

Psychogen Panikattacken, Hyperventilation, Schmerzen, Angst

Endokrin Ketoazidotisches Koma

Zentral Neuromuskuläre Störungen, Schmerzen, Aspirinüberdosierung

Pädiatrisch Bronchiolitis, Krupp, Epiglottitis, Fremdkörperaspiration, Myokarditis

Sonstige Anämie, Schock, Acute Respiratory Distress Syndrome (ARDS); Sepsis, Anaphylaxie, Stimmlippenkrampf, Medikamente

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zur Abschätzung der respiratorischen Situation aufgrund mehrerer möglicher Fehlerquellen weniger zuverlässig und zeigt erst eine schwere Hypoxie an (Faustregel: SaO2 < 90% = pO2 < 50%).

Entsprechend der potenziell vorliegen-den Erkrankungen (Tab. 3) sind EKG,

Röntgen-�orax, evtl. auch Angio-CT zur Diagnostik einer Lungen embolie, Echokardiogra�e und �oraxsonogra�e erforderlich. Bei den Laboruntersuchun-gen be sitzen CRP, Di�erenzialblutbild, Troponin I, D-Dimer und BNP die größ-te Bedeutung. Bei Hämoptoe, Aspiration von Fremdkörpern oder Verlegung der Atemwege durch andere Ursachen ist eine rasche Bronchoskopie unabdingbar.

Vorgehen bei chronischer DyspnoeDe�nitionsgemäß besteht bei der chro-nischen Dyspnoe die Lu�not über einen Monat und länger. Dabei unterscheidet man zwischen einer langsamen Progre-dienz einer bestehenden Krankheit, z. B. bei einem Lungenemphysem, und einer plötzlichen Verschlechterung einer chronischen Lungenerkrankung, z. B. der akuten Exazerbation einer COPD. Tabelle 4 zeigt die häu�gsten Ursachen einer chronischen Dyspnoe.

Zwei Drittel der Fälle von chroni-scher Dyspnoe sind durch kardiorespi-ratorischen Störungen bedingt. Fast 90% erstrecken sich dabei auf die Diagnosen Asthma bronchiale, COPD, Pneumonie, Myokardischämie, angeborene Herzfeh-ler, interstitielle Lungenerkrankungen und psychogene Ursachen.

Patienten mit chronischer Dyspnoe suchen in erster Linie den Hausarzt zur Klärung der Ursachen und evtl. �era-pie auf. Dabei emp�ehlt sich ein dia-gnostischer Algorithmus wie in Abb. 1.

Wie wichtig ein systematisches Vor-gehen zur Diagnose�ndung ist, zeigt eine Studie an 85 Patienten mit chroni-scher Atemnot, die sich in einer pneu-mologische Ambulanz vorstellten. Die Verdachtsdiagnose bestätigte sich nach der Anamneseerhebung nur in 66% der Fälle. Das bedeutet, dass man mit dem körperlichen Status, Routinelaborpara-metern, Röntgen-�orax, Spirometrie und nicht-invasiven kardiologischen Untersuchungen in vielen Fällen nicht ohne Spezialdiagnostik, insbesondere �orax-CT, Herzkatheteruntersuchung und Bronchoskopie auskommen wird.

An psychogene Ursachen denken!Zwischen der Atemfunktion und dem psychischen Be�nden bestehen intensi-

Abbildung 1

Vorschlag für einen diagnostischen Algorithmus bei chronischer Dyspnoe

Evidente Diagnose?

Ja Nein

Patient mit chronischer Luftnot

Ausführliche Anamnese und körperlicher Status

Level-1-Untersuchungen

Mögliche Diagnosen: Asthma, COPD, Pleuraerguss,Anämie, Kyphoskoliose, Myokard-Ischämie, kongestive Herzer-krankung, Klappenfehler, pulmonale Hypertonie, Arrhythmien, Pneumonitis etc.

Level 1Blutentnahme (Profil, BB, Diff.BB)Röntgenbild Thorax, EKG / Belastungs-EKG, Echokardiogramm, Lungen-funktion (ggf. Diffusion, ggf. Provokation), Pulsoxymetrie/BlutgaseLevel 2Spezielle Blutentnahmen (BNP, Kolla-genose und Vaskulitis-Screening),Blutgase wenn nicht Level 1,Computertomografie Thorax,Sonografie Thorax

Level 3Spezialuntersuchungen:Herzkatheter, kardiopulmonale Belastungsuntersuchungen,Bronchoskopie (Lavage, Biopsie),Kardio-MRT

Mögliche Diagnosen: Kollagenosen, Vaskulitiden, inter-stitielle Lungenerkrankungen, Embolien, Perikarderkrankungen, Pleuraerkrankungen etc.

Mögliche Diagnosen: Koronare Herzerkrankung, Tumore,Vaskulitiden, interstitielle Lungen-erkrankungen, Trainingsmangel etc.

Bedenke:Psychogene Dyspnoe

Weitere spezielle Untersuchungen

Evidente Diagnose?

Ja Nein

Level-2-Untersuchungen

Evidente Diagnose?

Ja Nein

Level-3-Untersuchungen

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FORTBILDUNG_SCHWERPUNKT

Page 4: Was raubt ihm den Atem?

ve Wechselwirkungen. Atemnot, Erstri-ckungsgefühle und Brustschmerzen sind häu�ge Symptome bei Panikatta-cken und Panikstörungen, der generali-sierten Angst erkrankung und auch der Depression.

In einer amerikanischen Studie aus dem Jahr 1999 suchten 69% der Patien-ten, bei denen letztlich eine Depression diagnostiziert wurde, den Hausarzt aus-schließlich aufgrund von körperlichen Beschwerden auf. Diese Tatsache hat sich noch nicht in den Köpfen der Ärzte festgesetzt, was auch kaum verwundert, da derartige Zusammenhänge im Medi-zinstudium eindeutig zu kurz kommen. Bei der Anamneseer hebung sollten da-

her entsprechende Orientierungsfragen gestellt werden.

Orientierungsfragen zu Panikattacken„Leiden Sie manchmal unter plötzlichen und unerwarteten Angstanfällen, ohne dass eine tatsächliche Bedrohung vor-liegt?“ „Leiden Sie unter wiederholten Angstanfällen ohne erkennbaren An-lass? Haben diese Angstanfälle Ihr Le-ben schon nachhaltig beeinträchtigt?“

Orientierungsfrage zur Generalisierten Angststörung (GAD)

„Leiden Sie häu�g unter Angst und über-mäßig starken Sorgen, die Sie nicht oder nur schwer kontrollieren können?“

Orientierungsfrage zur Depression„Gab es in Ihrem Leben einmal eine Zeit-spanne von zwei Wochen oder länger, in der Sie sich fast täglich die meiste Zeit über traurig, niedergeschlagen und de-primiert fühlten?“

Es ist zwar wichtig, an psychogene Ursachen der Dyspnoe (als Folge einer somatischen, aber auch als Ausdruck ei-ner psychogenen Erkrankung) zu den-ken, doch sollte man nicht vergessen, dass bis zu 40% der COPD-Patienten, etwa 45% der Asthmatiker und bis zu 40% der Patienten mit Herzinsu�zienz gleichzeitig eine Depression und angst-

bedingte Atemnot aufweisen. Daher darf den Patienten mit Dyspnoe eine entsprechende Abklärung nicht vorent-halten werden, selbst wenn anamnesti-sche Hinweise auf eine Angststörung oder eine Depression vorliegen.

Literatur beim Verfasser

Anschrift des Verfassers:Prof. Dr. med. H. S. FüeßlInternist GastroenterologieLeiter Somatischer QuerschnittsbereichIsar-Amper-KlinikumKlinikum München-OstRingstraße 33, D-85540 HaarE-Mail: [email protected]

Interessenkon�iktDer Autor erklärt, dass er sich bei der Erstellung des Beitrages von keinen wirtschaftlichen Interessen leiten ließ. Er legt folgende potenzielle Interessen-kon�ikte o�en: keine. Der Verlag erklärt, dass die inhaltliche Qualität des Beitrags von zwei unabhängigen Gutachtern geprüft wurde. Werbung in dieser Zeitschriftenausgabe hat keinen Bezug zur CME-Fortbildung. Der Verlag garantiert, dass die CME-Fortbildung sowie die CME-Fragen frei sind von werblichen Aussagen und keinerlei Produktempfehlungen enthalten. Dies gilt insbesondere für Präparate, die zur Therapie des dargestellten Krankheitsbildes geeignet sind.

Fazit für die PraxisBeim Entstehen des Luftnotgefühls spielen vielfältige und komplexe Vor-gänge eine Rolle, die im Detail noch nicht vollständig geklärt sind. Die dia-gnostische Abklärung von Luftnot, sei sie akut oder chronisch, stellt auch für erfahrene Ärzte eine Herausforderung dar. Mit Abstand am häu�gsten liegen kardiorespiratorische Erkrankungen zu-grunde, doch kommen auch metaboli-sche, neuromuskuläre und psychogene Ursachen in Betracht. Neben der Beur-teilung der klinischen Gesamtsituation spielen Anamnese und körperliche Un-tersuchungsbefunde eine zentrale Rol-le bei der primären Diagnosestellung und der Beurteilung des Krankheitsge-schehens im Verlauf. Das häu�ge Auf-treten des Symptoms Dyspnoe bei Pa-nikstörungen, Angststörungen und Depression belegt, dass Atemnot ein typisches Symptom an der Schnittstel-le von Körper und Psyche ist.

KeywordsDyspnea

Dyspnea – mechanism – causes – diagnostic algorithms

Tabelle 4

Häu�ge Ursachen chronischer Dyspnoe

Herz Koronare Herzerkrankung, Perikarderkrankungen, Herzklappenfehler, Arrhythmien, kongestive Herzinsu�zienz

Lunge COPD, Asthma, Tumorerkrankungen, Pneumonie, chronisch thrombo-embolische Ereignisse, Pleuraerguss, Aspiration, interstitielle Lungen-erkrankungen, Bronchiektasen, pulmonale Hypertonie

Psychogen Panikattacken, Hyperventilation, Schmerzen, Angst

Endokrin Schilddrüsenerkrankungen

Zentral Neuromuskuläre Störungen (Myasthenia gravis, amyotrophe Lateral-sklerose), Schmerzen

Pädiatrisch Entwicklungsstörungen, Tracheomalazie, Mukoviszidose

Sonstige Anämie, Adipositas, Dekonditionierung, gastroösophagealer Re�ux, metabolische Ursachen (Urämie, Azidose), Leberzirrhose, Thoraxwand-erkrankungen, Thoraxwanddeformitäten, Störungen im Bereich der oberen Luftwege (Trachealstenose, Larynxerkrankungen), Medikamente

Notfallmedizin aufspringermedizin.de

Dossier „Notfallchecklisten für die Praxis“ ▶ www.springer-medizin.de/441134

Schwerpunkt „Notfallmedizin“ ▶ www.springermedizin.de/ 2287850

Notfälle bei älteren Patienten ▶ www.springermedizin.de/ 4548060

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FORTBILDUNG_SCHWERPUNKT

Page 5: Was raubt ihm den Atem?

Welche Kombination von Laborunter-suchungen erscheint Ihnen bei akuter Dyspnoe am sinnvollsten?

⃞ Rheumafaktor, CRP, Kreatinin ⃞ Troponin I, D-Dimer, BNP ⃞ Kalium, Hämoglobin, CK ⃞ BKS, Procalcitonin, Leukozyten ⃞ INR-Wert, Thrombozyten, Coombs-Test

Welche endokrine Erkrankung kann mit einer respiratorischen Symptomatik ein-hergehen?

⃞ Prolaktinom ⃞ Akromegalie ⃞ Hypothyreose ⃞ Ketoazidotisches Koma ⃞ Morbus Addison

Von einer chronischen Dyspnoe spricht man, wenn die Atemnot länger anhält als

⃞ eine Woche. ⃞ zwei Wochen. ⃞ vier Wochen. ⃞ drei Monate. ⃞ ein Jahr.

Wann liegt nach der Skala der American Thoracic Society eine milde Dyspnoe vor?

⃞ Luftnot beim An- und Ausziehen. ⃞ Patient geht in der Ebene langsamer als

Altersgenossen. ⃞ Patient braucht Pausen zum Atemholen

nach etwa 100 m im Schritttempo. ⃞ Kurzatmigkeit bei raschem Gehen in der

Ebene.

Welche Beschwerden sind typisch für ein Asthma bronchiale?

⃞ Erschwerte Einatmung ⃞ Ungenügende Ausatmung ⃞ Erschwerte Atemarbeit ⃞ Lufthunger ⃞ Erstickungsgefühl

Chemorezeptoren der Medulla oblongata sind empfindlich für

⃞ einen Abfall des pO2. ⃞ einen Hb-Abfall. ⃞ mechanische Reize. ⃞ Änderungen des pCO2 und

des pH-Werts. ⃞ die Lufttemperatur.

Wodurch ist die drohende Ventilations-insuffizienz gekennzeichnet?

⃞ Anstieg des pO2

⃞ Zunahme der Atemfrequenz ⃞ Anstieg des pCO2, Abfall des pH-Werts ⃞ Abfall des pO2

⃞ Zyanose

Was versteht man unter dem J-Reflex? ⃞ Stocken der Einatmung bei Thorax-

kompression. ⃞ Hustenreiz beim Einatmen kalter Luft. ⃞ Blutdruckabfall bei der Inspiration. ⃞ Beschleunigte Atmung beim Atmen

warmer Luft. ⃞ Reflexartige Drosselung der Anstren-

gung bei beginnender Lungenstauung.

⃞ Patient braucht Pausen zum Atemholen auch bei eigenem Tempo.

Was versteht man unter Panikattacken? ⃞ Das Gleiche wie unter Agoraphobie. ⃞ Plötzliche, unerwartet auftretende

Angstanfälle ohne tatsäch liche Be-drohung.

⃞ Unruhige Beine im Bett. ⃞ Unstillbarer Drang zur Bewegung. ⃞ Schlaflosigkeit aufgrund von Ge-

dankenkreisen.

Bei V. a. Fremdkörperaspiration sind welche Untersuchungen unabdingbar?

⃞ Thorax-Durchleuchtung und Öso-phagus-Breischluck

⃞ Sonografie der Pleura ⃞ Röntgen-Thorax und MRT der Lunge ⃞ Röntgen-Thorax und Bronchoskopie ⃞ Röntgen-Thorax und CT der Lunge

Teilnehmen und Punkte sammeln können Sie• als e.Med-Abonnent an allen Kursen der e.Akademie,• als Abonnent einer Fachzeitschrift an den Kursen der abonnierten Zeitschrift oder • als Leser dieses Magazins – zeitlich begrenzt – unter Verwendung der FIN.

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CME-Fragebogen FIN MM1316St

Luftnot

springermedizin.de/eAkademie

gültig bis 10.10.2013

Diese CME-Fortbildungseinheit ist von der Bayerischen Landes ärztekammer mit zwei bzw. drei Punkten zur zertifizierten Fort bildung anerkannt.

Bitte beachten Sie:Diese zerti�zierte Fortbildung ist zwölf Monate auf Springermedizin.de/eAkademie verfügbar. Dort erfahren Sie auch den genauen Teilnahme-schluss.Pro Frage ist jeweils nur eine Antwortmöglichkeit (Richtig- oder Falschaussage) zutre�end.Sowohl die Fragen als auch die zugehörigen Antwortoptionen werden im Online-Fragebogen in zufälliger Reihenfolge ausgespielt, weshalb die Nummerierung von Fragen und Antworten im gedruckten Fragebogen unterbleibt. Prüfen Sie beim Übertragen der Lösungen aus dem Heft daher bitte die richtige Zuordnung.

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