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Weltraumfahrer, Extremathleten, Katastrophenhelfer Was treibt die Abenteuer-Ärzte? Ärzte sind mutig. Sie stellen sich nicht nur den oft erheblichen Herausforderungen der all- täglichen Medizin, viele gehen auch darüber hinaus und suchen das wirkliche, ganz große Abenteuer, sei es im Privatleben, sei es im Arztberuf selbst. Von Kollegen, die allein den Atlantik überquerten, die sich als Expeditionsärzte zum Südpol aufmachten oder die als Ärzte ohne Grenzen in Katastrophen- und Kriegsgebieten ihr Leben aufs Spiel setzen, ist im folgenden Report die Rede. In diesem Artikel geht es um zwei Gruppen von Ärzten: Zum einen sind dies Kollegen und Kollegin- nen, die sich im persönlichen Lebensbereich beson- deren Herausforderungen, Risiken oder Naturge- walten stellen: bei Erstbesteigungen, Ozeanüber- querungen, in härtesten sportlichen Wettbewerben. Zum anderen geht es um Ärzte, die beruflich ris- kante Einsatzgebiete wählen, etwa auf Schiffen, uin der Arktis, im Weltraum oder auch in den Katast- rophen- und Krisenherde dieser Welt. Ärzte auf der Suche nach dem privaten Abenteuer Zahllos sind die Berichte von Ärzten, die private Abenteuer verwirklicht haben – auf allen Kontinen- ten, in allen Klimazonen und unter größten Risiken. Allein im Faltboot über den Atlantik Ein früher Abenteurerarzt war Dr. Hannes Linde- mann. Nach zwei abgebrochenen Versuchen gelang dem Arzt 1956 in 72 Tagen die Atlantiküberque- © picture alliance / Philipp Ziser 14 ORTHOPÄDIE & RHEUMA 2014; 17 (3) Im Blickpunkt

Was treibt die Abenteuer-Ärzte?

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Weltraumfahrer, Extremathleten, Katastrophenhelfer

Was treibt die Abenteuer-Ärzte?

Ärzte sind mutig. Sie stellen sich nicht nur den oft erheblichen He rausforderungen der all-täglichen Medizin, viele gehen auch darüber hinaus und suchen das wirkliche, ganz große Abenteuer, sei es im Privatleben, sei es im Arztberuf selbst. Von Kollegen, die allein den Atlantik überquerten, die sich als Expeditionsärzte zum Südpol aufmachten oder die als Ärzte ohne Grenzen in Katastrophen- und Kriegsgebieten ihr Leben aufs Spiel setzen, ist im folgenden Report die Rede.

In diesem Artikel geht es um zwei Gruppen von Ärzten: Zum einen sind dies Kollegen und Kollegin-nen, die sich im persönlichen Lebensbereich beson-deren Herausforderungen, Risiken oder Naturge-walten stellen: bei Erstbesteigungen, Ozeanüber-querungen, in härtesten sportlichen Wettbewerben. Zum anderen geht es um Ärzte, die beru� ich ris-kante Einsatzgebiete wählen, etwa auf Schi� en, uin der Arktis, im Weltraum oder auch in den Katast-rophen- und Krisenherde dieser Welt.

Ärzte auf der Suche nach dem privaten AbenteuerZahllos sind die Berichte von Ärzten, die private Abenteuer verwirklicht haben – auf allen Kontinen-ten, in allen Klimazonen und unter größten Risiken.

Allein im Faltboot über den AtlantikEin früher Abenteurerarzt war Dr. Hannes Linde-mann. Nach zwei abgebrochenen Versuchen gelang dem Arzt 1956 in 72 Tagen die Atlantiküberque-

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rung allein in seinem Klepperfaltboot. Er hatte kei-nerlei � nanzielle oder logistische Unterstützung, musste alle Lebensmittel, vor allem das kostbare Wasser, mitnehmen. Am Ende seiner Reise wog Lin-demann um 25 kg weniger als beim Start. Er trotz-te Stürmen, kenterte, aß rohen Fisch und hielt sein Faltboot Tag und Nacht auf Kurs. All dies war eine enorme körperliche und psychische Anstrengung im Grenzbereich menschlicher Leistungsfähigkeit.

Als Drachenseglerin auf Wolke 7 – bis zum AbsturzDr. Anne Pieper ist Orthopädin und Kitesurferin. Nach dem Gewinn der deutschen Meisterscha� und der Vize-Europameisterscha� 2005 hatte sie 2008 einen folgenschweren Unfall. Der Wind schleuder-te sie 40 m weit auf felsigen Grund, sie erlitt ein Hochgeschwindigkeitsaufpralltrauma mit Fraktu-ren an Kreuzbein, Becken, Oberschenkel und Hüf-te. Ihre Heilungsreise ging über 20 schwierige Mo-nate und war durch mehrere Rückschläge, u. a. eine Hü� kopf nekrose, die eine Endoprothese nötig machte, gekennzeichnet. Sie sagt: „Ex tremsport ist cool und lässt das Herz eines Abenteurers höher schlagen. Wer fühlt sich nicht nach einer super Ses-sion wie auf Wolke 7? Alles gut, bis dann plötzlich der vermeintlich unwahrscheinliche Fall eintritt und es haarscharf nicht klappt. Wie scha� man es, diese Lebensaufgabe mit gleicher Intensität anzuge-hen wie zuvor den Sport?“

Harter Kerl beim HindernislaufKnut Höhler steht in der Endphase seines Medizin-studiums und ist Extremsportler. Er hat schon drei-mal das „Tough guy“-Rennen in Perton, Großbri-tannien, gewonnen – bei 5.000 Teilnehmern ist das keine Kleinigkeit. Im kalten Januar geht es über 13 km durch eiskaltes Wasser, brennendes Stroh, Glas-scherben und andere Hindernisse. Fast muss man den Kopf schütteln, wenn man die Bilder sieht, wie Höhler mit blutender Kopfplatzwunde nach 1 Stun-de 11 Minuten ins Ziel wankt. Respekt vor der un-glaublichen Leistung und Zweifel an der Sinnhaf-tigkeit liegen da nah beieinander. Aber Abenteurer sind alles außer vernün� ig. Allerdings sind sie sehr zielorientiert und trainieren über Monate und Jah-re für die selbst gewählte Herausforderung!

Rund um die Erde im BallonBertrand Piccard ist Schweizer Psychiater, Wissen-scha� ler und Abenteurer. Nach zwei abgebroche-nen Versuchen gelang ihm im dritten Anlauf mit dem Ballon die Erdumrundung. Von der Schweiz aus über Europa, Asien, den Pazi� k, Amerika, den Atlantik bis zur Landung in der Wüste Ägyptens überquerten er und sein Kopilot 45.755 Kilometer. Er hat damit den längsten Flug der Lu� fahrtge-

schichte verwirklicht und sieben Weltrekorde auf-gestellt. Auf dem Weg gab es viele Probleme zu überwinden, z. B. tückische Wetterentwicklungen.

Immer wieder ruft der BergProf. Michael Trede war als Direktor der Chirurgi-schen Uniklinik Mannheim gefragter Referent auf vielen internationalen Kongressen. Wo immer mög-lich, ging er dabei auch auf herausfordernde Berg-touren. Unter anderem gelang ihm eine Winterbe-steigung des Fuji in Japan und die nicht ungefähr-liche Besteigung des Popocatepetl in Mexiko. Im Laufe vieler Jahre kam eine Kette kleiner und gro-ßer Bergabenteuern zusammen, die für sein Leben

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Mediziner Knut Höhler beim Strongman Run 2010.

Warum wir das Abenteuer suchenIm Abenteuer gehen wir an und über Grenzen, wir setzen uns unnötigen Risiken aus, obwohl wir genauso gut in Sicherheit zu Hause, im Kranken-haus oder in der Praxis bleiben könnten. Meist wird das ungewöhnliche, das riskante, das nicht kontrollierbare Erlebnis gesucht, um auf diese Weise besonders intensive Eindrücke und Gefühle zu erleben. Ärzte haben hier eine besondere Chance, weil sie bei den meisten abenteuerlichen Unter-nehmungen in einem Team gern mitgenommen werden. Ich persönlich habe das Glück gehabt, einige Abenteuer zu erleben: am Himmel allein im Cockpit der Cessna, als Wind und Wetter schwieriger wa-ren als im Wetterbrie� ng ersichtlich, auf einer einwöchigen Wanderung auf dem West Coast Trail inmitten der Kanadischen Naturparks, hunderte von Meilen von der nächsten Straße oder Ortschaft entfernt, allein in meinem Kajak auf der Ostsee bei Windstärke 7. Es gibt einen Teil in mir, der will die-se Mischung aus Wachheit, Angst, gefühlter eigener Kleinheit und Verletz-lichkeit zulassen und erleben. Auf diese Weise erlebt man sich selbst viel direkter, weil man mitbekommt, wer man im Innern ist, was persönlich wirklich für einen zählt und auch wie unglaublich toll und herausfordernd es ist, hier auf der Erde zu leben!

Bernhard Mäulen

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und seine gefühlte Lebendigkeit außerordentlich positiv waren.

Zum Glück ist immer der Arzt dabeiAuch wenn die hier genannten, vielfältigen Aben-teuer von Ärzten privater Natur waren, heißt das nicht, dass die eigenen Medizinkenntnisse nicht nützlich, teilweise gar lebensrettend waren.

Hannes Lindemann hatte sich durch autogenes Training intensiv vorbereitet. Seine posthypnoti-schen Formeln waren: „Ich scha� e es – nicht aufge-ben – Kurs West.“ Selbst in der tiefsten Erschöpfung, nach tagelangem Sturm, halfen ihm diese Formeln, sein Ziel zu erreichen.

Bertrand Piccard hat sich ähnlich mit seinem Ent-schluss „Wir geben nicht auf“ gegen Ängste und si-tuative Verzwei� ung gewappnet. Als er an einem besonders schwierigen Punkt der Erdumrundung war und a� ektiv in kritischer Verfassung, half ihm eine hypnotherapeutische Sitzung per Telefon.

Viele andere Abenteurer-Ärzte haben sich selbst behandelt. Hierzu Lindemann: „Ich bin besser dran als die meisten anderen, denn ich habe den Arzt da-bei“. Einmal spritzte er sich Penicillin in traartikulär in das kindskopfgroß geschwollene Kniegelenk.

Ärzte und das beru� iche Abenteuer Für mich persönlich war und ist die Medizin per se ein Abenteuer: Es fängt an mit dem Anatomiekurs und der Herausforderung, eine Leiche zu präparie-ren. Später, bei der Betreuung der ersten eigenen Pa-tienten, rei� die Erkenntnis, wie wenig die Realität mit den Lehrbüchern übereinstimmt. Es folgt das Abenteuer des ersten Nachtdienstes, des ersten Not-

arztdienstes, der ersten Leichenschau. Alles in al-lem hat man als Arzt einen abenteuerlichen Beruf.

Und doch kann nach Jahren gleicher Tätigkeit die Begeisterung in Langeweile übergehen und die Su-che nach dem Abenteuer beginnen. Für manche Abenteurer-Ärzte kommt die Idee, „Ich könnte doch auch was anderes machen“, beim Lesen einer An-zeige. Etwa für Dr. Robertson, als er im British Me-dical Journal las: „Arzt für Walfang� otte gesucht.“ Nicht zu unterschlagen sind auch andere Motive,z. B. die Flucht aus einer Krise oder einem ehelichen Kon� ikt oder unre� ektiertes Helfen-Müssen bei den Ärmsten der Armen. Manche Ärzte treibt die Flucht vor dem Staatsanwalt oder Gerichtsvollzie-her – es gibt sehr viele Motive für Ärzte, sich ins Abenteuer zu stürzen! Auch hier seien aus einer Fül-le von Arztschicksalen einige Beispiele geschildert.

Bei den Royal Flying Doctors Auf eine Annonce im Australian Medical Journal meldete sich Dr. Kenyon St Vincent Welch im Mai 1928 als erster Fliegender Arzt für das australische Back Country. Welch führte damals eine erfolgrei-che chirurgische Praxis, er war in mittleren Jahren und ließ seine Familie in Sydney zurück. Zwölf Mo-nate lang riskierte er Kopf und Kragen, um unter schwierigsten Bedingungen und weitab von der Zi-vilisation alleine medizinische Notfälle zu versor-gen. Danach nahm er seine Tätigkeit in seiner Pra-xis wieder auf.

Arzt bei den EskimosDirekt nach dem Examen, ohne Facharztausbildung und noch sehr jung, nahm Dr. Joseph Moody eine

Schi� sarzt – nicht immer ein Traumjob

Schi� sarzt – das klingt nach Weite, O� ziersuniform, Captain´s Dinner und kostenloser Weltreise. Aber dieser Beruf hat auch ganz andere Seiten. Heutzutage sind Kreuzfahrtschi� e oft schwimmende Altersheime: Viele Gäste sind multimorbide, und bei rauer See kann es gehäuft zu sturzbedingten Frakturen kom-

men. Immer wieder ereignen sich massive Infektionen an Bord, Hunderte von Patienten mit einem Norovirus-Infekt zu betreuen,ist medizinische Schwerstarbeit!

Eine Kollegin, die gelegentlich als Schi� särztin auf einer größe-ren Luxusyacht fuhr, berichtete mir von einem ihrer Fälle: Eine über 70-jährige Passagierin war nachts an Deck gegangen und vier Meter tief in eine Ladeluke gestürzt. Sie hatte diverse Fraktu- tief in eine Ladeluke gestürzt. Sie hatte diverse Fraktu- tiefren und eine Hirnkontusion, die sich an Bord nicht weiter abklä-ren ließ. Da wetterbedingt kein Hubschrauber kommen konnte, musste sie die alte Dame über 36 Stunden alleine betreuen, bis eine Übergabe möglich war.

In früheren Jahrzehnten machten die vielen Verletzungen der Mannschaften den Hauptteil der Arbeit aus. Schi� e sind keines-wegs ungefährliche Arbeitsplätze, Stürze auf dem Deck, die Ab-gänge hinunter, Verbrennungen, schwerste Traumata beim Zer-reißen von Stahltrossen bestimmten den Alltag an Bord. Quasi stationäre Schi� särzte sind heute die Ärzte auf Ölplattformen, weit draußen im Meer. Trotz modernster Schutzmaßnahmen für Plattformarbeiter müssen diese Kollegen auch immer wieder schwere Arbeitsunfälle behandeln. ©

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Stelle in der Arktis im hohen Norden Kanadas an. Mit Frau und Kleinkind riskierte er es, einziger Arzt auf eineinhalb Millionen Quadratkilometern zu sein, bei monatelangen Temperaturen unter –40 Grad. Unter primitiven Verhältnissen riskierte er immer wieder sein Leben, um auch in entlegenen Eskimodörfern medizinisch zu helfen. Einbrüche ins Eis, Schneestürme, Ausbleiben von Lebensmit-teln, eine Polioepidemie mit vielen Toten und Ge-lähmten stand er alleine durch. Erst nach dreijäh-riger Tätigkeit im Nordeis kam der erste Urlaub.

Inselarzt auf HelgolandEinen sehr viel kleineren Wirkungskreis, der jedoch damals bei widrigem Wetter auch genug abgeschie-den war, suchte sich Dr. Walter Kropatschek. 1952 ging er nach Helgoland und versorgte zunächst nur mit minimaler Ausrüstung (das meiste war im Krieg zerstört oder wurde auf dem Festland drin-gender gebraucht) als Inselarzt größere und kleine-re Verletzungen, Unfälle, Notfälle, nicht selten auch durch explodierende Minen, die rund um die Insel noch im Meer trieben. Er wird stellvertretend für viele Ärzte genannt, die bei uns nach dem Krieg vor dem Nichts standen und mit primitiven Mitteln die medizinische Versorgung absichern mussten.

Tropenarzt, Er� nder, Forscher, WeltenbummlerDer Schweizer Ernest Guglielminetti arbeitete mit 24 Jahren zunächst als Tropenarzt im Kolonial-dienst in Sumatra. Später studierte er die „Berg-krankheit“, wie die Höhenkrankheit früher genannt wurde. Während einer Expedition auf den Mont Blanc erlebte er an sich die Folgen des Sauersto� -mangels in der Höhe, wurde krank, ein Kollege starb daran.

Aus diesen Erfahrungen heraus entwickelte Guglielminetti zusammen mit den Drägerwerken, Lübeck, erste Sauersto� apparate – eine lebensret-tende Er� ndung, die ihn international bekannt machte und in seiner Weiterentwicklung als Dräger-atmungsapparat Feuerwehrleute in ganz Europa vor Rauchvergi� ungen schützte.

Eine weitere seiner Er� ndungen nutzt heute alle Welt und brachte ihm den Beinamen Docteur Gou-dron (französisch für „Teer“) ein: Guglielminetti er-fand die Straßenteerung, um die „Staubplage“ auf Monte Carlos Straßen zu reduzieren. Kollege Gou-dron verzichtete auf ein Patent, das ihm Millionen gebracht hätte.

Ärztin am SüdpolDr. Jerri Nielsen, eine erfahrene US-Ärztin, melde-te sich auf eine Anzeige und wurde 1998 die einzi-ge Ärztin der US-Station Amundsen-Scott am Süd-pol. Sie begeisterte sich für das „unvergleichliche Abenteuer“, wurde jedoch dann mitten im antark-

tischen Winter schwer krank. Sie diagnostizierte an sich selbst Brustkrebs, begann bereits am Südpol mit der Zytostatika-Behandlung. Später wurde sie in einer aufwendigen Aktion gerettet und überleb-te noch elf Jahre.

Bereit für tödliche Gefahren Wie die Beispiele zeigen, gibt es sehr viele mögliche Abenteuer für den, der die Medizin auf ungewöhn-lichere Weise denn als Kassenarzt praktizieren will. Immer besteht der Wille, sich etwas zuzumuten, o� der Wunsch nach Hilfeleistung dort, wo andere nicht hingehen – sei es in den Himalaya, nach Af-rika oder in Kriegs- und Katastrophengebiete.

Neben dem Mut, sich ungewöhn lichen klimati-schen Verhältnissen auszusetzen, sich gefährlichen Situationen zu stellen, steht auch so gut wie immer das Wissen, dass man ganz alleine einer meist sehr großen Zahl von Patienten gegenübersteht. Kein Kollege, kein Krankenhaus, keine Hilfe stellung von außen – da braucht man Selbstvertrauen, Experi-mentierfreude, eine Bärennatur und vielleicht auch die Fähigkeit, Gefahren zu verdrängen. Nicht weni-ge Abenteuerärzte sind umgekommen, darunter— Dr. Edward Wilson, der bei der Südpolexpedition

des Engländers Scott 1912 mit diesem erfror,— Dr. William Francis O’Loughlin, Schi� sarzt der

Titanic, der 1912 mit dem Schi� unterging,— Dr. Erich Dölken, der auf der Reise nach Lamba-

rene, wo er Dr. Schweitzer ablösen sollte, starb,— Dr. Richard Wunsch, den in China eine Typhus-

infektion das leben kostete,— Hausarzt Harald Fischer, der mit einer Hilfsorga-

nisation ins West jordanland ging und 2000 wäh-rend der ärztlichen Versorgung eines Verletzten durch israelische Geschosse getötet wurde.

Expeditionsärzte: Abenteurer unter AbenteurernEgal ob an den Nordpol, Südpol, in den Amazonas-dschungel oder zum Hima laya – auch heute noch gibt es Expeditionen, die begleitende Ärzte zur Ver-sorgung der Mannscha� brauchen. Extreme Kälte, Hitze, Schlangen, Tropenkrankheiten etc. stellen medizinische Risiken dar; Erkrankungen müsseno� unter schwierigsten Verhältnissen diagnostiziert und behandelt werden. Daneben besteht auch im-mer das Risiko, dass es den Expeditionsarzt selbst tri� . Die Last der Verantwortung, die auf den Schultern des Arztes liegt, kann sehr schwer wiegen.

Dies musste auch der britische Arzt und Bergstei-ger Dr. Howard Somervel erfahren, Expeditionsarzt der britischen Everest-Expeditionen. Bei seiner ers-ten Tour starben sieben Bergsteiger in einer Lawine. 1924, beim zweiten Versuch, starben der Expediti-onsleiter Mallory und ein weiterer Teilnehmer; wie-der konnte der Arzt nicht helfen.

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Es sind nicht nur die somatischen, sondern auch die psychischen Probleme, die dem Expeditionsarzt das Leben schwer machen können: depres sive Ein-brüche, suizidale Krisen, Krach unter den Expedi-tionsteilnehmern, partnerscha� liche und sexuelle Verwicklungen, Suchtexzesse und deren Folgen sind bei Abenteurern mindestens so häu� g wie in der Allgemeinbevölkerung.

Eine Art von Expedition ist auch der Flug in den Weltraum. Bis heute haben circa zwei Dutzend Ärz-te an Weltraummissionen teilgenommen, darunterdie französische Ärztin Claudie Haigneré, die sogar zwei Weltraum� üge absolviert hat.

O� beinhaltet die Tätigkeit als Expeditionsarzt eine lange Trennung von der eigenen Familie, etwa

wenn es in die 14.000 km entfernte Antarktis geht, wo ein Arzt und das Expeditionsteam bis zu einem Jahr und länger verweilen müssen.

Zweite Karriere als Abenteurer Zahlreiche Kollegen haben umfangreiche Weltrei-sen absolviert und ferne Kontinente erforscht, man-che aus ethnologischen, manche aus botanisch/zoo-logischen und andere aus literarisch-kulturellen In-teressen heraus. Einige Ärzte wurden in der zweiten Karriere berühmter als in der ärztlichen Lau� ahn wie z. B. Philipp Franz von Siebold, der mehrere Jahre als Arzt in Japan tätig war und bis heute als Beschreiber der Flora und Fauna Japans breite An-erkennung � ndet.

Als Afrikaforscher von Format machte sich Gus-tav Nachtigal einen Namen. Ursprünglich zur Aus-heilung seiner Tuberkulose nach Tunis übersiedelt, wurde er später Leibarzt am Hofe des lokalen Fürs-ten, durchquerte die Sahara, wurde vom Stamm der Tedas gefangen genommen und mit dem Tod be-droht. Später reiste er in den Tschad und viele an-dere afrikanische Gebiete. Er wurde zum Vorläufer der ethnogra� schen Feldforschung. Am Ende sei-nes Lebens ernannte man ihn zum Generalkonsul in Tunis sowie zum Reichskommissar für Deutsch-Westafrika.

Berühmte Schriftsteller-ÄrzteViele Schri� steller-Ärzte haben an immer wieder neuen Orten gelebt und gewirkt: So etwa der schwe-dische Arzt Axel Munthe, der nach Jahren in Nea-pel, London, Stockholm und Rom schließlich in Ca-pri sein Domizil fand, und der mit dem Werk „Das Buch von San Michele“ Ruhm erwarb.

Ein weiteres Beispiel ist Archibald Cronin, der nach seiner Zeit als Bergarbeiter und Grubenarzt in Wales an� ng, Romane zu schreiben, darunter „Die Zitadelle“, die zu Welterfolgen wurden. Auch Cro-nin war ein Weltenbummler, der in Wales, London, den USA, Frankreich, Italien und der Schweiz lebte.

Somerset Maugham war zunächst in Italien, der Schweiz und den USA ärztlich tätig. Im ersten Welt-krieg arbeitete er als Spion für den MI6 in Russland, unternahm später lange Reisen in die Südsee und nach Fernost und lebte schließlich als international erfolgreicher Autor in St. Jean Cap-Ferrat.

Literatur unter www.springermedizin.de/orthopaedie-und-rheuma

Dr. med. Bernhard MäulenLeiter Institut für Ärztegesundheit, Vöhrenbacherstrasse 478050 Villingen, E-Mail: [email protected]

Albert Schweitzer und seine Schüler

So, wie Dr. Albert Schweitzer als Missionsarzt 1913 nach Lambarene zog, sind vor und nach ihm viele oft junge Ärzte voller Idealismus in die Kolo-nialgebiete gereist. Sie haben Großartiges geleistet, oft genug aber auch eingesehen, dass es mit dem Helfen eine schwierige Angelegenheit ist, ganz besonders, wenn es um fremde Menschen, andersartige Kulturen,

Wertesysteme, Vorstellungen von Ge-sundheit und Krankheit geht.

In der heutigen Zeit sind es die WHO, Ärzte ohne Grenzen, Internationales Ro-tes Kreuz sowie kirchliche Organisatio-nen, die oft über Jahre und in großem Umfang medizinische Hilfe leisten. Im-mer wieder werden dabei auch die Ge-sundheit und Sicherheit von Ärzten und P� egekräften bedroht. Wo Missionsärzte früher bittere Entsagung auf sich genom-men haben, viele in der Ferne an Malaria, Schlangenbissen, Verdursten etc. gestor-ben sind, droht Helfern heute die Gefahr, verschleppt, ausgeraubt, vergewaltigtoder umgebracht zu werden. Trotzdem gibt es viele freiwillige Ärzte, gerade auch aus Deutschland, die unentgeltlich zu solchen Einsätzen aufbrechen.©

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Fazit

Ärzte haben oft neben der Medizin abenteuerliche Hobbys, Fernweh, den Wunsch nach Arbeit unter herausfordernden Umständen in fremden Län-dern und an ungewöhnlichen Orten. Natürlich könnten sie auch zu Hause bleiben, wo sie ebenfalls gebraucht würden. Aber vielleicht geht es ihnen so, wie dem norwegischen Entdecker Sven Hedin, der zur Frage Stellung nahm, warum er nicht in der Heimat blieb und eine ordentliche Karriere an-strebte: „Ich war zu früh auf die wilden Wege Asiens hinausgekommen, ich hatte zu viel von der Pracht und Herrlichkeit des Orients, von der Stille der Wüsten und der Einsamkeit der langen Wege verspürt.“

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Literatur1. Lufthansa Magazin: Abenteuerlust: Men-schen, Länder, Sensationen. Heft 5 / 2013 2. Parin, Paul: Es ist Krieg und wir gehen hin. rororo 19913. Au� ermann, Uli: Atlantiküberquerung im Faltboot- Abenteuer im Grenzbereich menschli-cher Leistungsfähigkeit. Kayak Magazin 04/2010, 52-534. Lindemann, Hans: Allein über den Ozean-Ein Arzt im Einbaum und Faltboot. Klasing Verlag 20005. Pieper, Anne: Prothese und sportliche Höchstleistungen? Endolife 12, Winter 2012,4-5 6. Witte, Jens: Tough Guy Knut Höhler. Spiegel online 13. Februar 20127. Piccard, Bertrand. Mit dem Wind um die Welt- die erste Erdumkreisung im Ballon. Piper, 20018. Trede, Michael: Der Rückkehrer- Skizzen-buch eines Chirurgen. Ecomed 2001.9. Girtler, R.: Landärzte – als Krankenbesuche noch Abenteuer waren. Böhlau Verlag 199710. Bulgakow, Michail: Arztgeschichten. Lucht-erhand, 197211. SWR Ehrensache: So engagiert sich Monika Orth; SWR.de, 201312. Robertson, R.: Männer und Wale – 8 Monate als Arzt unter Walfängern. Ullstein 195513. Dr. Kenyon St. Vincent Welch: (www.syney.edu.au/medicine/museum/mwmuseum/index.php/Welch,_Kenyon_St_Vincent) 14. Moody, Joseph: Arzt im Nordeis,. Eberhard Brockhaus 195915. Kropatschek , W.: Nächte und Tage auf Hel-goland – Aufzeichnungen des Inselarztes. 198916. Kämpfen, Werner: Docteur Goudron – Er� n-der der Straßenteerung, Forscher, Arzt, Diplo-mat und Weltenbummler zugleich. Artemis Ver-lag, 194417. Nielsen, Jerry: Ich werde Leben. Marion von Schröder Verlag 200018. Schweizer, A: Zwischen Wasser und Urwald. Erlebnisse und Beobachtungen eines Arztes im Urwalde Äquatorialafrikas. Paul Haupt. Bern 192119. Spiecker, H.: Ehrenbuch der Ärzte. Fahner Druck 200320. Cronin A.J.: Abenteuer in zwei Welten Mein Leben als Arzt und Schriftsteller. Bertelsmann21. Kernéis, J.: Geschichte der Schi� ahrtsmedi-zin. In: Toellner (Hrsg.): Illustrierte Geschichte der Medizin. Band 6. 197822. Höygaard, A.: Im Treibeisgürtel – Als Arzt un-ter Grönländischen Eskimos. Westermann 194923. Somervel, Howard : After Everest- the expe-riences of a Mountaineer and medical Missiona-ry24. http://de.wikipedia.org/wiki/Claudie_Haig-neré25. Atkaxpress: die 31. Überwinterung beginnt – Das Üwi Team stellt sich vor. April 2011 http://www.awi.de/no_cache/de/infrastruktur/stationen/neumayer_station/atkaxpress_on-line/atkaxpress_archiv_2000_2011/?cid=20948&did=21794&sechash=2c3198726. Heiser, Victor: Eines Arztes Weltfahrt – Erleb-nisse und Abenteuer in 45 Ländern. DVA, 1951 27. http://de.wikipedia.org/wiki/Philipp_Franz_von_Siebold 28. Nachtigal, G.: In den Schrecknissen der Wüs-te. In Rolf Temming (Hrsg.) Entdecker, Forscher,

Weltenbummler. Buch und Zeit Verlag, Köln, 196829. Macintyre, I.: Surgeon’s Lives- Royal College of Surgeons of Edinburgh. 200530. Munthe, A.: Der Arzt von San Michele.31. http://de.wikipedia.org/wiki/Somerset_Maugham32. http://de.wikipedia.org/wiki/Sven_Hedin

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