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Karlheinz A. Geißler Anfangssituationen Was man tun und besser lassen sollte 11. Auflage

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Karlheinz A. Geißler

AnfangssituationenWas man tun und besserlassen sollte

11. Auflage

GeißlerAnfangssituationen

»So viel Anfang war nie!«

Für Anfänger und die, die es werden wollen,und für die beiden vielversprechenden Anfängerinnen Ava und Lotta.

»Die einzige Freude auf der Weltist das Anfangen.Es ist schön, zu leben,weil leben anfangen ist,immer, in jedem Augenblick.«Cesare Pavese

Karlheinz A. Geißler

AnfangssituationenWas man tun und besser lassen sollte

11. Auflage

Dieses E-Book ist auch als Printausgabe erhältlich:ISBN 978-3-407-36579-8

Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt.Jede Nutzung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällenbedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfenohne eine solche Einwilligung eingescannt und in ein Netzwerkeingestellt werden. Dies gilt auch für Intranets von Schulenund sonstigen Bildungseinrichtungen.

11., überarbeitete und erweiterte Auflage 2016

© 1989 Beltz Verlag · Weinheim und Baselwww.beltz.de

Lektorat: Ingeborg SachsenmeierReihenkonzept: glas ag, Seeheim-JugenheimUmschlaggestaltung: Lelia RehmUmschlagabbildung: © Getty/stevepamp

E-Book

ISBN 978-3-407-29444-9

Karlheinz A. Geißler, Jg. 1944, lebt, lehrt und schreibt in Münchenund vielen anderen (möglichst schönen) Orten. Er beschäftigt sich mitden grundsätzlichen Dingen des Lebens, des Lehrens und des Lernens:Mit der Zeit, mit Anfängen und Abschlüssen.Autor der Bücher »Alles hat seine Zeit, nur ich hab keine« (2014),»Schlußsituationen« (2005).

5

Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis

Vorwort: Der Anfang vor dem Beginn 8

01 Zum Anfang 9

Fangen wir an – mit dem Anfang am besten 10

Was ist ein Anfang und was heißt es, anzufangen? 12

02 Ach ja, die Anfänger 21

Das Ereignis 22

Anfängertypen 24

Der Anfang als Fall: Zwei Beispiele 27

Zwei Anfänge – was weiter? 35

03 Der Anfang als Situation 41

Wann fängt der Anfang an, wann hört er auf?

Warum Anfangssituation und nicht einfach »nur« Anfang? 42

04 Die Soziodynamik von Anfangssituationen 49

Die Anfangssituation – wie man sie kennt 50

Soziale Anfangsdynamik 57

Orientierungsarbeit 71

Dozenteninterventionen in Anfangssituationen 83

05 Die Angst vor und in Anfangssituationen 87

Die Angst des Dozenten vor der Anfangssituation 88

Die Angst des Dozenten in Anfangssituationen 92

6

Inhaltsverzeichnis

06 Der Anfang als Wunschkonzert 101

Erwartungen und Befürchtungen 102

Was tun? 111

07 Seminarregeln als Lernkontrakt 115

Das Arbeitsbündnis 116

Interaktionsregeln 120

08 Spiele in Anfangssituationen 127

Spielerischer Ernst 128

Spiele ja oder nein 130

Was versprechen sich Dozenten vom Einsatz der »Spiele«? 133

09 Teilnehmer zu Beginnder Bildungsveranstaltung 139

Redner und Schweiger in Anfangssituationen 140

Schweiger und Vielredner – Was tun? 141

Was tun? 150

Verspäteter Anfang: Gruppenneulinge 157

10 Interventionen in Anfangssituationen 163

Situation und Intervention 164

Vorstellung der Gruppenteilnehmer 185

»Siezen« oder »Duzen« – Die Anrede 191

Die Sitzordnung 199

Veranstaltungsbeginn durch einen Institutionsvertreter 205

Informationen in der Anfangsphase 208

7

Inhaltsverzeichnis

Teil

11 Andere fangen auch an 213

Vier Anfänge aus vier verschiedenen

Erwachsenenbildungsveranstaltungen 214

12 Anhang 225

Der Anfang vom Ende 226

Literaturverzeichnis 227

Bildnachweis 231

Die Icons bedeuten:

Beispiele

Infos

Tipps

Übungen/

Methoden

8

Teil

Vorwort: Der Anfang vor dem Beginn

»Du hast soweit die Möglichkeit überhaupt besteht, die Möglichkeit, einenAnfang zu machen. Verschwende sie nicht.« Ein Ratschlag von Franz Kafka,den dieser am 15. September 1917 in sein Tagebuch notierte; und den derVerleger Dr: Manfred Beltz Rübelmann vor 25 Jahren durch die Entschei-dung, sein Verlagsprogramm um ein zusätzliches Segment – Beltz Weiter-bildung – zu erweitern, in die Tat umsetzte. Mit der Entwicklung einer Pro-grammkonzeption beauftragte er BerndWeidenmann undmich. Ein Schrittins Ungewisse ohne Geländer – ängstigend und inspirierend zugleich. Eslag daher nahe, zumal wir erkannten, nicht die einzigen Anfänger in die-ser Welt zu sein, den Start des Programms zu nutzen, etwas systematischerüber Anfänge nachzudenken. So startete das Programm BeltzWeiterbildungvor 25 Jahren mit den »Anfangssituationen«.

Wie sich rasch herausstellte, war es eine gute Entscheidung, gehört dasBuch doch zu den Bestsellern des Programms. Zehn Auflagen sind der Be-weis. Jetzt zum Jubiläum des Programms erscheinen die Anfangssituationenin einer gründlich überarbeiteten und erweiterten Auflage, der elften – An-fang und Fortsetzung in einem.

Und trotzdem – das gilt für den Autor auch – alle sind und bleiben wirAnfänger – Gott sei Dank.

Noch etwas: Um dieses Buch übers Anfangen zu lesen, benötigen Sie Zeit.Und Sie wissen jetzt jedenfalls noch nicht, ob Sie Ihre Zeit dabei gut nutzenoder ob Sie den Eindruck bekommen, Ihre Zeit zu verplempern. Das ist nuneinmal das Risiko, das Sie mit der Lektüre eingehen. In nicht viel anderembesteht das Leben auch. Es ist eine Gratwanderung. So auch das vor Ihnenliegende Buch: Die einen mögen es lehrreich, aber nicht dozierend, ande-re kreativ, aber nicht zu verspielt, unterhaltsam, nicht jedoch geschwätzig,stringent, aber nicht langweilig, reich an Erkenntnissen, aber doch auchpraxisorientiert. Wie auch immer. Das Leben und Bücher haben eines ge-meinsam: Beide haben einen Anfang.

Karlheinz Geißler Frühjahr 2016

Zum Anfang

01

10

Zum

Anfang

Teil

01

Fangen wir an – mit dem Anfang am besten

Der Druck ist immens. Es kommt, so kann man es nachlesen, auf die erstenSätze eines Buches an. Verwendet man zu wenig Sorgfalt darauf, so gebenzumindest Literaturkritiker freimütig zu, legen sie das Buch weg und versu-chen ihr Leseglück mit einem neuen. Der Anfang ist entscheidend und weiler so viel entscheidet, gehört er zu den großen Themen der Menschheit.

Hannah Arendt zählt das Anfangen zu den Grundprinzipien des Mensch-seins. »Mit der Erschaffung des Menschen erschien das Prinzip des Anfangs,das bei der Schöpfung der Welt gleichsam in der Hand Gottes und damitaußerhalb der Welt verblieb, in der Welt selbst und wird ihr immanentbleiben, solange es Menschen gibt« (Arendt 2002 S. 17). Der Mensch ist fürArendt also ein Wesen, das die Fähigkeiten hat, anfangen zu können. FürKant sind das Anfangen und das Anfangenkönnen Akte der Freiheit. Inder »Kritik der reinen Vernunft« beschreibt er es als »das Vermögen, einenZustand von selbst anzufangen«. Dieses Vermögen erlaubt dem Menschen,»sich, unabhängig von der Nötigung durch sinnliche Antriebe, von selbst zubestimmen«. Diese Freiheit ist die Freiheit, Gewohntes verlassen zu können,um nach mehr oder weniger langem und umwegigem Suchprozess Neues zuentdecken, sich auszudenken und/oder zu schaffen.

Die Vorstellung vom Anfang und vom Ende zählt zu den Grundpfeilerndes abendländischen Denkens. In traditionellen Gesellschaften ist bezie-hungsweise war der Anfang, die Stunde »Null«, der menschlichen Verfü-gung durch Rituale und Bräuche, soziale Gesetze und Regeln und durchFestlegungen in Mythen, in Schöpfungsmythen, weitestgehend entzogen.Der moderne, der aufgeklärte und liturgiedistanzierte Mensch, der die Zeitin die eigene Hand genommen hat, sieht hingegen im Anfangenkönnen eineder wichtigsten Ausformungen seiner Freiheit. Es ist der Mensch, der denAnfang des Anfangs, den Schöpfungsprozess, den die einen den Göttern, dieanderen dem erheblich langweiligeren Urknall zuschreiben, weiterführt,indem er die Frage stellt und durch sein Handeln beantwortet: »Was kommtnach dem Anfang, wie geht es weiter und wann, wo und wie muss beimWeitermachen immer wieder angefangen werden?« Um den ersten, den

»Die allermeistenGeschichten beginnenmit dem ersten Satz.«(Behauptung)

11

Fangenwir

an–mit

dem

Anfangam

besten

Teil

01

allerersten Anfang, den seiner selbst und den der Welt, musste der Menschsich nicht kümmern. Um alle weiteren – und dazu gehört auch der Respektund die Bewahrung dieses großen Anfangs – muss er sich kümmern. Einneues Leben kann er nicht anfangen und er kann auch keine neue Weltschaffen, aber dem Leben eine neue Richtung und der Welt eine andere Mö-blierung geben, das kann er und das zählt zu seinen Freiheiten. Er kannentscheiden, wann ein neuer Tag beginnt, bei Sonnenunter- oder bei Son-nenaufgang, am Mittag oder um Mitternacht. Bei den Griechen begann erbei Sonnenaufgang, bei den Juden und den Moslems bei Sonnenuntergangund bei den Römern und den modernisierten Deutschen um Mitternacht.Die Götter haben für den Ursprung gesorgt, sie haben Licht ins Dunkel ge-bracht und dort für Ordnung gesorgt, wo vorher amorphes Chaos war. DieFrage, wann der Tag beginnt, haben sie den Menschen zur Entscheidungüberlassen, damit auch der sich ein wenig göttlich fühlen kann.

Die Römer gaben dem Anfang ein Ge-sicht, ein göttliches Gesicht. Janus heißtder römische Gott der Anfänge. Ihmwird an prominenten Anfangstagen ge-opfert, zum Beispiel am Jahresanfang.Janus hat zwei Gesichter, mit dem einenblickt er nach vorne, mit dem anderenzurück. Wichtige Anfänge im Leben, imGeschäfts- wie im Privatleben, wurdenunter seinen Schutz gestellt. Der ersteMonat im Jahr, der bis heute mit sei-nem Namen an ihn erinnert, war demJanus geweiht. Heute müssen wir, auchdas ein Ergebnis unserer Neuanfänge inder Geschichte, bei unseren Anfängen,die stets Anstrengungen sind, Ordnungzu schaffen, ohne göttlichen Beistandauskommen. Das macht uns freier, aberauch stressanfälliger.

»Anfang ist das, wasZukunft hat.«Niklas Luhmann

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Zum

Anfang

Teil

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Was ist ein Anfang und was heißt es,anzufangen?

Die Antwort auf diese beiden Fragen ist die gleiche, die der Kirchenvater Au-gustinus gab als er nach dem, was Zeit sei, gefragt wurde: »Was also ist dieZeit?« »Wenn niemand mich danach fragt, weiß ich’s, will ich es aber einemFragenden erklären, weiß ich es nicht.«

Was also heißt es, anzufangen? Mache ich mir keine Gedanken, weiß iches, denke ich jedoch darüber nach, dann weiß ich es nicht.

Wagen wir trotzdem ein paar Erklärungen: Anfangen bedeutet »anpa-cken«, »etwas anfassen, »in die Wege leiten«, »in Bewegung setzen,« An-fangen ist ein aktives Tun. Anfänge machen wir. Martin Heidegger unter-scheidet zwischen Beginnen und Anfangen: »Beginn ist jenes, womit etwasanhebt, Anfang das, woraus etwas entspringt«.So kann man es sehen, mussman aber nicht. Der Anfang ist der Beginn einer Zeitreihe. Er ist etwas, dasZukunft hat. In Hegels Worten: »Der Anfang ist nicht das reine Nichts, son-dern ein Nichts, von dem etwas ausgehen soll«. Anfangen heißt vor allem,eine Vielfalt von Handlungsmöglichkeiten durch ein zielgerichtetes Tun zureduzieren, oder folgt man Goethe, die Freiheit des ersten Schritts in denZwang des zweiten übergehen zu lassen.

Anfänge setzen, kennzeichnen, markieren und strukturieren das Le-ben der Menschen. Sie setzen ihr Bedürfnis nach Gliederung des Zeitflus-ses und nach der Sicherung des Vergänglichen um. Sie verleihen dem Le-benslauf Dauer, Kontur und Richtungswechsel. Das Leben ist daher vollerAnfänge und voller Anfangsgeschichten, denen nicht immer und überallein Zauber innewohnt. Nur sehr wenige Menschen können mit Anfängennichts anfangen. Der erste Schultag, der erste Arbeitstag und das ersteLiebesabenteuer, und andere »starting points«, sind oftmals tief beein-druckende Erlebnisse und unvergessliche Erfahrungen. Sie verleihen demDasein Dauer, Farbe und Qualität, ragen aus dem Strom der Zeit herausund unterbrechen und markieren ihn. Sie teilen und rhythmisieren denZeitstrom und eröffnen den Menschen die Möglichkeiten, zwischen »vor-her« und »nachher« zu unterscheiden, und das, was wir »Dauer« nennen,bestimmen und messen zu können. Dazu benötigt man bekanntlich die

anfangen: Die heuteübliche Form anfangenhat sich im Frühnhd.gegenüber der älterenForm anfahen (mhd.an[e]vahen, ahd ana-fahan) durchgesetzt, wieauch beim einfachenVerb die jüngere Formfangen die ältere Formfahen verdrängt hat(vgl. fangen). Aus derurspr. Bed. »anfassen,anpacken, in die Handnehmen« entwickeltesich bereits im Ah dieBed. »beginnen«. Abi.:Anfang m (mhd. an[e]vanc, ahd. anaf- ang),dazu anfänglich undanfangs; Anfänger m»Lernender, Lehrling«(16. Jh., in der Bed. »Ur-heber«).Duden, Bd. 7: DasHerkunftswörterbuch.Etymologie der deut­schen Sprache. Biblio­graphisches Institut,Mannheim 1989

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Teil

01

Wasistein

Anfang

beiden Eckwerte »Beginn« und »Schluss«. Anfang und Ende reichen sich –in Dauer vereint – die Hände.

Es war vor allem Sigmund Freud, der den Anfang mit Bedeutung aufge-laden hat. Den Anfang hat er als das Prägende des Lebens erkannt und allesFolgende zur Wiederholung erklärt. Die Eindrücklichkeit, die Wirkmächtig-keit von Anfängen ist in erster Linie der Tatsache geschuldet, dass Anfängenicht mehr rückgängig gemacht werden können. Sie sind negationsresistent.Hat man einmal angefangen, geht es nur noch nach vorn, und der Anfang,der gemacht wurde, liegt stets hinter einem. Das verleiht dem Anfang eineDramatik, die ihn zu einem Phänomen macht, über das man, unter anderem,Bücher schreiben kann. Franz Kafka hat sein Leben lang unter dem »Unglückeines fortwährenden Anfangs« gelitten (Tagebucheintrag vom 16. Oktober1921) und aus seinen Anfangskomplikationen große Literatur gemacht. SeineStücke, seine Romane proben Anfänge, zeigen die Versuche von Subjekten,sich in der Welt und der sozialen Umgebung zurechtzufinden und festen Haltzu bekommen. »Mein Leben«, so Kafka in seinem Tagebuch am 24. Januar1922 »ist das Zögern vor der Geburt«. Ein Ringen um den Anfang, das wie beiKafka notwendigerweise zum Unvollendeten führt.

Problemloser, routinierter sind die vielen alltäglichen Anfänge. Dieeinen – und das sind viele – beginnen ihre Arbeit tagtäglich mit einer TasseKaffee, während zahlreiche Büromenschen oftmals das Blumengießen und/oder das Starten des Computers zu ihrem Anfangsritual machen. Das Le-ben – und ganz besonders trifft dies auf das Arbeitsleben zu – braucht Litur-gien. Und die hat es auch: »Hallo, grüßt euch!«, Händeschütteln, Küsschenrechts, Küsschen links – Anfänge als Beschwichtigungsangebot.

Jede Kultur kann, geht es um das Anfangen, aus einem unauffälligenFundus des Üblichen, aus dem Alltäglichen schöpfen. Darüber hinaus gibtes in Gesellschaften mit hochdifferenzierter Arbeitsteilung auch noch pro-fessionelle, entlohnte Anfänger und Anfangsunterstützer. Dazu gehörenModeratoren und Anmoderatoren bei den Medien, Apero-Organisatoren beiden Eventveranstaltern, Starthelfer vom ADAC für den Individualverkehrund nicht zu vergessen, die »Warm-upper« im amerikanischen Showbusi-ness. Alles lebende Beweise dafür, dass wir es bei dem Akt des Beginnensmit einem widerständigen, nur sehr eingeschränkt standardisierbaren Pro-blem zu tun haben. Man kann den Anfang, obwohl man auf einen Fond vonSelbstverständlichkeiten zurückgreifen kann, nicht so einrichten, wie dieBürokratie es mit ihren Regelwerken tut. Da der Anfang immer schon das

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Anfang

Teil

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Ende in sich trägt, ist er stets mit der Frage konfrontiert: »Welchen Anfangbraucht ein gutes Ende?« Es ist diese Frage, die dem Anfangen den Charakterder Ungewissheit und des Wagnisses verleiht und ihm das Risiko des Schei-terns, des Verfehlens der eigenen Erwartungen und Vorstellungen aufhalst.Etwas beginnen heißt auch, das, was gerade noch Vorstellung, Versprechenund Erwartung war, einem Praxistest auszusetzen. Für die einen ist das eineArt Triebmittel für ihre Beginnlust, für andere der Anlass für das himmel-wärts gerichtete Stoßgebet: »Herr, gebe mir Beistand im Ungewissen.« Unddann gibt es noch diejenigen, die nicht wissen, wo und wann sie anfangensollen, die der Meinung sind, dass all das, was sie anfangen, schiefgeht. Siehaben daher Angst, Neues anzugehen. Vom Anfangen hält sie ab, dass sieden Glauben an ein gutes Ende verloren haben.

»Anfassen«, »anpacken«, »in die Hand nehmen« – alles ursprüngliche Be-deutungen des Wortes »anfangen« – weisen auf das Angebot an Freiheit hin,das mit dem Beginnen, mit dem Schwung in den leeren Sattel eines Pferdesund mit ihm davonzureiten zu vergleichen ist. Anfangen können, anfangendürfen, das kann beflügeln, motivieren und beglücken. Doch der Beginn istimmer auch der Beginn eines Aufbruchs ins Ungewisse und Unbekannte,eine Entdeckungsreise mit zahllosen Hindernissen, Umwegen, Abweichun-gen und Missverständnissen. Um dort anzukommen wo man hinkommenmöchte, braucht es Behutsamkeit im Umgang mit der Anfangssituation undeine Menge Vertrauen, beeinflussen, formen und lenken zu können, wozuman sich entschlossen hat, in die eigene Hand zu nehmen.

Ja, es gibt Dinge im Leben, die sollte man sich möglichst genau über-legen. Anfänge gehören dazu. Wer einen Anfang macht, wer den erstenSatz eines Romans zu Papier bringt, den ersten Spatenstich für sein neuesEigenheim macht, die erste Station einer längeren Reise festlegt, zum ers-ten Mal seinen neuen Arbeitsplatz betritt, legt sich fest und wird festgelegtund schränkt sich, was den Fortgang betrifft, ein. Für den ersten Eindruckgibt es keine zweite Chance. Das ist eine Zumutung für einen Menschen,wie den Multitasking-Menschen des 21. Jahrhunderts, der den Grad seinerFreiheit an der Anzahl der Entscheidungsmöglichkeiten festmacht, die erin Situationen hat. Anfänge erzeugen Wirkungen, die dem FolgehandelnGrenzen setzen. Hat man erst einmal angefangen, ist es oftmals schon zuspät. Es sind diese Erfahrung und der schwankende Boden auf demman sichals Anfänger stets bewegt, die alles Anfangen, einer Volksweisheit folgend,schwer machen.

»Wer etwas beginnt,ohne ein Endeabzusehen, handeltunklug.«Seneca

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Teil

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Wasistein

Anfang

Wir kennen den Typus des Anfangsverweigerers. Das sind Personen, dienicht anfangen wollen und Personen, die behaupten, es nicht zu können.Menschen, die Angst vor dem Anfang haben und die die neben ihnen Sit-zenden, bevor es richtig losgegangen ist, fragen, wann die Veranstaltung zuEnde geht. In der Umgebung von Anfangsblockierten ist dann häufig vonUntätigkeit, von Unentschlossenheit, von Initialhemmung und von »Vor-sich-Herschieben«, von »Aufschieberitis« die Rede. Für die Anfangsverweige-rer und die Ängstlichen gibt es dann unendlich viele Ratschläge, Tipps undHinweise, die allesamt den Fehler haben, ohne Bestimmung der Lage – vor-nehmer: »ohne Situationsanalyse« – auszukommen. Hat man sich erst ein-mal entschlossen, mit dem Anfang anzufangen, empfiehlt Hollywood bei-spielsweise mit einer Explosion aus Worten, Taten und Bildern zu beginnen,um sich dann anschließend langsam zu steigern. Man kann einer solchenEmpfehlung durchaus folgen, darf sich dann aber nicht wundern, wenn sichdie Beteiligten dabei erschrecken. Aber auch das kann mit Absicht gesche-hen, weil man seine Sympathiewerte dadurch zu steigern versucht, den Teil-nehmerinnen und Teilnehmern die Angst, die der anfängliche Knalleffektausgelöst hat, sukzessive wieder zu nehmen.

Trostreicher und für viele Anfänger wohl auch nützlicher sind Gadamersklare und ehrliche Worte über das Anfangen beim Verfertigen von Gedan-ken im Schreiben: »Der erste Satz ist der schwerste […] Der erste Satz, denich zu Papier bringe, ist mir ganz und gar nicht gekommen, sondern ist ausVerzweiflung gewählt, aus Verzweiflung und in der Hoffnung, es möchtensich weitere Sätze anschließen, und dann solche, die kommen und mehr andas heranführen, was zu sagen ist […] Alles auf einmal sagen zu wollen –wer das könnte, wäre kein Mensch mehr« (H-G. Gadamer, in: Neue ZürcherZeitung vom 24. Juni 1983).

Redewendungen – das sind in unserem Fall Bauernregeln des sein Feldbestellenden Pädagogen – beherrschen die Anfangsrhetorik. Mal werden siemit, mal ohne Regieanweisung geliefert. »Aller Anfang ist schwer«, lauteteine dieser Volksweisheiten, die wie ein Naturgesetz daherkommt. Dass An-fänge schwer sind, das entspricht anscheinend in einem Umfang den Erfah-rungen, dass man sich bisher eine gesonderte und differenzierte Beschäfti-gung mit dem »Anfang« ge- und erspart hat. Bei dieser Feststellung könnteman es bewenden lassen. Ein Buch, wie dieses, über »Anfangssituationen«wäre überflüssig. Nicht überflüssig jedoch ist es, wenn man sich die Fragezu stellen traut: Warum eigentlich muss man es sich am Anfang schwer

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Anfang

Teil

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machen? Warum kann man es sich nicht leicht, zumindest etwas leichtermachen? Und dies vor allem dadurch, dass man hinschaut, wie andere an-fangen und welchen Regeln und Traditionen die vielen Anfänge dieser Weltfolgen.

Begeben wir uns also auf die oberen Ränge der Tribüne der Anfangsare-na, halten unser Fernrohr ans Auge und versuchen damit die nächste Näheunserer Weiterbildungs-Beginn-Kultur zu herbeizuzoomen und zu durch-dringen.

Etwa so:

Bei Søren Kierkegaard findet man dafür das geeignete Motto: »Das, wasüberhaupt die Menschen am wenigsten beschäftigt, ist gerade, was mich ammeisten beschäftigt: der Anfang – um den Schluß kümmere ich mich nichtviel, am wenigsten um das, was vorgeht […]. Es ist der Anfang, von dem ichetwas lernen soll.« (1885, S. 545)

»Alles wirklich Brauchbare besteht aus Aushilfen«, das zumindest be-haupten Oskar Negt und Alexander Kluge (1981, S. 1283). Man muss ihnen,wenn man Anfänge und Anfänger beobachtet, zustimmen. Besonders zu-treffend ist ihr Hinweis für die Anfänge in der einer wandernden Baustellevergleichbaren Bildungsarbeit. Da es den Baustellencharakter der Bildungnicht nur zu erhalten und zu pflegen, sondern noch weiter auszubauen gilt,liefert dieses Buch weder eine Sammlung von Musteranfängen noch präsen-tiert es eine umfassende und allgemeingültige Theorie des Anfangs und desBeginnens. Der für Anfänger wichtige Hinweis, dass alles wirklich Brauch-bare aus Aushilfen besteht, wird auch für dieses Anfangsbuch in Anspruchgenommen. Leserrinnen und Leser, die vorhaben, es als Lehrbuch zu nutzenund zu gebrauchen sollten wissen, dass die Gestaltung möglichst reibungs-loser Anfänge nicht das Ziel und die Absicht des Autors ist.

Vermissen werden Leserinnen und Leser daher die in der pädagogischenLiteratur vielerorts anzutreffenden Schemata und Handlungsanweisungen.

»Im ersten Aufkeimensind alle Dinge zart undschwach. Gleichwohlmuss man mit scharfemAuge auf die Anfängeachten. Denn wie manan einem Dinge, solangees noch klein ist, das Ge-fährliche nicht entdeckt,so entdeckt man nach-her, wenn es ausgewach-sen ist, kein Gegenmittelmehr dawider.«Montaigne, Essais

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Anfang

Die pseudorationale Aura, die solche Muster, Modelle und Raster ausstrah-len, haben den großen Nachteil, dass sie das Überraschende, das Unsichere,das Attraktive, das Bedrohliche und Verunsichernde das Anfangssituatio-nen ignorieren. Vielmehr gilt es, und diesem Ziel sehen sich die hier aus-gewählten Ausführungen über das Anfangen verpflichtet, das Kreative, dasSchöpferische und zuweilen auch Zauberhafte des Beginnens zu erhalten, zufördern und zu kultivieren.

Das Buch ist für Anfänger geschrieben – und Anfänger sind wir alle.Die Welt ist voller Anfänge. An jedem Schulvormittag werden in Deutsch-land von den mehr als 700 000 Lehrerinnen und Lehrern mehrere Milli-onen Unterrichtsanfänge praktiziert. Die Statistik schweigt über die Zahlder täglichen Anfänge im Bereich Weiterbildung/Erwachsenenbildung. EinSchweigen, das hier als Aufforderung verstanden wird, die Strahler der Auf-merksamkeit endlich auf diese unterschlagene Alltagsrealität zu richten.Profitieren können und sollen von den Ausführungen nicht nur Personenmit der Absicht, in den Weiterbildungs- und Erwachsenenbildungsbereich»einzusteigen«. Anregend und hoffentlich auch nützlich kann das über An-fänge und deren Gestaltung Ausgeführte ebenso für Dozentinnen und Do-zenten, Trainerinnen und Trainer, Kursleiterinnen und Kursleiter sein, fürdie Anfangssituationen nicht Neues sind, die bereits viele Anfangssituatio-nen gestaltet haben. Ihnen kann die Lektüre zur Vergewisserung und Über-prüfung ihrer »Anfangsroutine« dienen, das was sie bei ihren Anfängen ge-macht und was sie unterlassen, vergessen und/oder vermieden haben. Nichtgeliefert werden jedoch Kriterien um »richtige« von »falschen« Anfängenzu unterscheiden. »Richtig« und »falsch« sind keine geeigneten Kategorienfür die Anstrengung des Beginnens. Auch deshalb will dieses Buch keineGewissheiten, weder neue noch alte liefern, sondern will die Sicht von anAnfängen Interessierten auf die Situation des Beginns und die Dynamikendes Anfangens erweitern, bestätigen oder ändern. Unterschieden werdenkönnen nicht richtige von falschen, sondern situativ angemessene von situa-tiv unangemessenen Anfängen. Ob, was man am Anfang macht und gewagthat, angemessen oder unangemessen ist oder war, das lässt sich erst an denAnfangsfolgen erkennen und bewerten. Der Anfang nämlich trägt stets dieBürde seiner Folgen.

Was also kann man von dem Buch über Anfänge erwarten, was bietetes? Es ist zweierlei: Problemstellung und Antwort zugleich. Es ist mit einerLandschaftsskizze vergleichbar, die zum Zweckeentworfen wird, die Orien-

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tierung und die Bewegungsfreiheit in einem Gebiet zu verbessern und zuerhöhen, das bisher weitestgehend übersehen wurde. Die Argumentationsli-nien lassen sich dabei nicht mit dem Lineal ziehen. Auch nicht, weil wir esbeim Anfangen nicht mit geometrischen Figuren, sondern mit sozialen, pä-dagogischen und subjektiven zu tun haben. Dieser ungewöhnliche Blick aufdas Gewöhnliche des Anfangs und des Anfangens, wird hier als Gratwande-rung zwischen Unterhaltung und Information präsentiert und als Kombina-tion großer Linien und wirkmächtiger Kleinigkeiten. Vermieden kann dabeinicht, dass hin und wieder vergröbert, vereinfacht, übertrieben und ausge-blendet werden muss. Es bleiben – wie könnte es bei einer Entdeckungsrei-se zu einem solch großen Thema anders sein – Unklarheiten, Ungeklärtes,Nebulöses. Aber diese gehören ebenso zu jenen An- und Einsichten, die überAnfänge vermittelt werden sollen.

In einem zugegebenermaßen überlangen Satz bietet das Buch »wie eineBonbonmischung auf dem Markt, ein Bündel von Vorstößen, parallel vor-stoßenden Versuchen an; keiner soll das Ganze erklären, sie sollten ein be-grenztes Punktlicht sein, dann schon wieder Szenenwechsel. Ich stelle mirvor, dass jeder sich herausnimmt, was er von dieser […] Pralinenschachtelbrauchen kann, und was ihm nicht schmeckt, mag er ausspucken – er mussnur aufpassen, dass er dabei nicht den Kern der Sache zufällig ausspuckt«(Hoffmann-Axthelm 1982, S. 20).

Notwendige Anmerkung zu einem ungelösten Problem

Wie viele Autorinnen und Autoren, denen man dies hätte abschauen kön-nen, habe auch ich beim Erstellen dieses Textes in einer Hinsicht keinezufriedenstellende Lösung gefunden – und auch dieser Hinweis ist keineLösung, allerhöchstens ein schlechter Ersatz: Es gibt in der Weiterbildungs-praxis Planerinnen und Planer, Referentinnen und Referenten, Dozentinnenund Dozenten, Teilnehmerinnen und Teilnehmer, Männer und Frauen. Die-ser Tatsache vernünftig Rechnung zu tragen und ihn der Realität entspre-chend auch sprachlich zum Ausdruck zu bringen, ist mir nicht, und wenn,dann nur unzureichend gelungen. Habe ich mich beim Schreiben bemühtan den einschlägigen Stellen aufmerksam zu machen, dass es Männer undFrauen sind, die angesprochen werden, so sträubte sich mein Sprachgefühlzuweilen gegen eine buchhalterische Zwanghaftigkeit (insbesondere, wenn

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Wasistein

Anfang

eines dieser Geschlechter dann auch noch ein Klammerdasein hätte fristenmüssen). Außerdem schien mir das Problem der Geschlechterdifferenzie-rung hierdurch eher verschärft als gelöst. In Erwägung gezogene alternativesprachliche Akrobatiken endeten bei keinem zufriedenstellenderen Ergeb-nis. Ich gestehe: Eine gute Lösung habe ich nicht.

Auch das Begriffspaar »Dozent/Dozentin« halte ich nicht für sehr glück-lich. Doch auch hierfür ist mir keine bessere Alternative eingefallen. Wich-tig ist mir jedoch der Hinweis, dass der Begriff ohne jenen Ballast zu verste-hen ist, der ihm aus dem Gebrauch im universitären Lehrbetrieb anhaftet.

So, und jetzt ist der Anfang gemacht: Beginnen wir! Mit Heinrich Heineund einer kleinen Charakterkunde:

»Anfangs wollt ich fast verzagen,Und ich glaubt, ich trüg es nie;Und ich hab es doch getragen –Aber fragt mich nur nicht – wie?«

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Zum

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Teil

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Kleine, vom Leser zu vervollständigende Charakterkunde desAnfangens

Der Optimist:»So knüpfen ans fröhliche EndeDen fröhlichen Anfang wir an.« (Kotzebue)

Der Skeptiker:Gibt es ein Leben nach dem Anfang?

Der Pessimist:This is the first day of the rest of your life.

Der Christ (als Dozent):»Am Anfang war das Wort.« (Joh 1,1)

Der Wahlkämpfer:Wir brauchen einen Neuanfang!

Der Weitgereiste:In Linz beginnt’s.

Der Dialektiker:A wie Anfang – Anfang wie A

Der Ökonom:»Der Anfang ist die Hälfte des Ganzen.« (Aristoteles: Politik V, 4)

Der Altphilologe:»Dimidium facti, qui coepit, habet.« (Horaz, Episteln I, 2)

Der Frühaufsteher:»Wer das erste Knopfloch verfehlt, kommt mit dem Zuknöpfen nicht zu Rande.«(Goethe, Maximen und Reflexionen)

Der Zögerer:Erst besinn’s, dann beginn’s!

Der Ignorant:»Die Anfänge sind immer unschuldig und sogar scheinbar unwichtig.«(Lem, Die vollkommene Leere, S. 146)

Der Existenzphilosoph:Kann man einen Anfang mit einer Pause beginnen?

Der Anarchist:»Ein Film hat einen Anfang, eine Mitte und ein Ende, nur nicht zwingendin dieser Reihenfolge« (Jean-Luc Godard)

Ach ja, die Anfänger

02

»Im Anfang war die Erde leer,Am Ende sind’s die Köpfe mehr.«Matthias Claudius

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Ach

ja,die

Anfänger

Teil

01

Das Ereignis

Reporter: »Was hatten Sie gleich nach der Geburt für einenEindruck von der Welt?«

Karl Valentin: »Als ich die Hebamme sah, die mich empfing,war ich sprachlos. – Ich hatte diese Frau in meinem ganzen

Leben noch nicht gesehen.«

Was nun macht man, wenn man sich unsicher fühlt? In den allermeistenFällen macht man die eigene Unsicherheit zur Unsicherheit der anderen.

Die Schwierigkeit mit dem Anfangen

Ein mit zwei Studienabschlüssen, einer Promotion und etlichen Zusatzqualifikatio-nen hoch dekorierter Weiterbildner mit demokratischer Gesinnung begibt sich mitvollem Engagement in die Praxis. Erwartungsvoll blicken ihn 24 Augen von 22 Teil-nehmerinnen und Teilnehmern am ersten Kursabend an. Es sind die leichte Blutleereim Kopf und der Druck in der Magengegend, die das Zurückblicken für den Dozentenschwer machen. Er war wahrlich kein Profi, keiner von denen, die sich meilenweitvon ihren Anfängen entfernt hatten. Er war Anfänger, genauer, er war beim Anfan-gen ein Anfänger.Die Notlage ließ ihn nach einem festen Halt suchen. Er fand diesen schließlich imEvangelium des Johannes. Die vier Semester Theologie waren doch folgenreicherund wirkmächtiger, als er sich das bisher zugestanden hatte: »Am Anfang war dasWort«, ein Hinweis, der ihm zur Aufforderung, seine Sprache wiederzufinden wurde.(Dass ihm in dieser Situation nicht Goethes: »Am Anfang war die Tat« einfiel, lag andem Umstand, dass er sich in dieser Situation wahrlich nicht faustisch fühlte.)

23

DasEreignis

Teil

01

Solch projektiver Logik folgend wandte sich der Dozent an die Kursteilnehmer (Teil-nehmerinnen waren zwar auch darunter, doch die Bedrohung, die von den Anwe-senden ausging, ließ eine solchermaßen differenzierte Wahrnehmung nicht mehrzu): »Was«, so seine als demokratisches Angebot gedachte Formulierung, »was wür-den Sie gern als Erstes tun? Würden Sie sich gern erst einmal gegenseitig vorstellen,oder soll ich Ihnen zuerst etwas von mir erzählen, oder möchten Sie als Erstes etwasüber den Inhalt der Veranstaltung erfahren?« Die Antwort als Reaktion: Schweigen –und danach weiter Schweigen, Schweigen, Schweigen. Die Situation wird bedrü-ckend – für alle. Da erinnert sich der Dozent zum zweiten Mal an seine Bibelkennt-nisse: »Am Anfang war das Wort.« Und da es sonst niemand ergreift, tut er es erneut:»Ich schlage vor, wir stellen uns zuerst einmal alle gegenseitig vor …«In der nach etwa einer Stunde folgenden Pause spricht Frau Müller Herrn Huber, densie aus einem der vorhergehenden Kurse bereits kannte, in der Cafeteria an: »UnserKursleiter hat ja pädagogisch ganz schön was drauf, so viele Möglichkeiten anzufan-gen, das hat mir imponiert.« »Ja«, meint Huber, »drei unterschiedliche Anfangsme-thoden, aber was hat es ihm genützt?«

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Ach

ja,die

Anfänger

Teil

01

Anfängertypen

Bildungsarbeit – in erster Linie trifft das auf Weiterbildungsaktivitäten zu –besteht zu einem Großteil aus der Bewältigung von Anfangssituationen.Weiterbildung, das heißt immer wieder angefangen – doch wo und wie?

Wir fangen nicht am Anfang des Anfangs an, nicht an jener Stelle, wo dieErde noch wüst, leer und finster war, wie es uns die Schöpfungsgeschichtebeschreibt. Wir fangen irgendwo und irgendwann an und ruhen – wahr-scheinlich deshalb – auch nicht mehr am siebten Tag aus. Wenn wir heut-zutage beginnen, fangen wir immer irgendwo mittendrin an. Wo dieses»Mittendrin« liegt, das ahnen wir hin und wieder, wissen tun wir es selten.

Dies ist eine doppelte Herausforderung, ist eine Bedrohung und ist eineChance: Wir fangen an unseren Anfängen an und müssen doch immer mitden Folgen der bereits zuvor stattgefundenen Anfänge umgehen. Mit Böl-lerschüssen, Knallfröschen, Raketen, Bleigießen, Glücksschweinen und Glo-ckengeläut wird der Anfang lautstark verkündet. Die alten Geister werden er-schreckt, damit Platz für neue da ist, die ein Jahr später dannwiederum einenSchreck bekommen werden. Wir greifen dabei auf alte Traditionen und neueTrends zurück. Es hat eine lange Tradition, Anfänge traditionell zu gestalten.Anfangen macht Angst und viele Anfänge macht viel Angst: »Die Erde warohne Form und leer und Finsternis war auf der Fläche der Tiefe.«

Zwar wollen wir alle immerfort wissen, wer angefangen hat, was aberam Anfang war, insbesondere aber was nicht war, das interessiert nur sel-ten. Wer übernimmt Verantwortung für den Anfang, wer bekommt sie auf-gehalst? »Man kann«, so eine geläufige Weisheit der Gruppendynamiker»anfangen wie man will, ganz egal, nur muss man die Verantwortung fürdas, was man jeweils macht, übernehmen.« Den Gruppenteilnehmern ist esegal, wie angefangen wird, vorausgesetzt ihre Sehnsucht ihr Wunsch nachdem guten Hirten, der den Weg durchs soziodynamische Labyrinth weißund die »Schäfchen« freundlich akzeptierend begleitet, wird befriedigt. Dasnun ist dann doch manch einem »Verantwortlichen« für den Lehr-/Lernpro-zess dann doch zu viel zugeschriebene Pastoralmacht: Was tun? Der einemacht es so, die andere anders.

Ein anderer Anfang

Same procedure as everyyear»James: Good evening,Miss Sophie, good eve-ning.Miss Sophie: Good eve-ning, James.James: You are lookingvery well this evening,Miss Sophie.Miss Sophie: Well, I amfeeling very much better,thank you, James.James: Good, good...Miss Sophie: Well,I must say that eve-rything looks very nice.James: Thank you verymuch, Miss Sophie, thankyou.Miss Sophie: Is everybodyhere?James: Indeed, they are,yeah, yes.«Dinner for one