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MDR Aktuell – Kekulés Corona- Kompass Donnerstag, 14.01.2021 #138: FFP2-Maske – Schlüssel zur Normalität? Camillo Schumann, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle Links: https://www.rki.de/DE/ Content/Infekt/EpidBull/ Archiv/2021/Ausgaben/ 02_21.pdf? __blob=publicationFile Camillo Schumann: Donnerstag, 14. Januar 2021. Der Lockdown wirkt nicht wie erhofft, sagt das Robert-Koch- Institut und fordert eine Verschärfung. Was spricht dafür? Und was spricht dagegen? Dann: FFP2 Maskenpflicht im ÖPNV und Geschäften in Bayern ab Montag. Ist die FFP2-Maske, der Schlüssel zur Normalität? Und: Am Ende der Sendung gibt es mal wieder etwas zum Schmunzeln. Wir wollen Orientierung. Mein Name ist Camillo Schumann. Ich bin Redakteur, Moderator bei MDR Aktuell, das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Professor Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé. Alexander Kekulé: Hallo, Herr Schuman. Camillo Schumann: Rekordzahlen, eine hohe Zahl an Neuinfektionen und auch noch die Mutation. Das Robert-Koch- Institut hat heute darüber informiert, dass der Lockdown bisher nicht so wirkt wie erhofft und deshalb auch verschärft werden könnte. „Das ist eine Option.“ Das hat der Präsident des Robert-Koch-Instituts, Lothar Wieler, gesagt und weiter: „Diese Maßnahmen, die wir machen, für mich ist das kein vollständiger Lockdown; es gibt immer noch zu viele Ausnahmen und wird nicht stringent durchgeführt.“ Camillo Schumann: Und von paar Tagen soll die Kanzlerin gesagt haben: Wir brauchen noch acht bis zehn Wochen harte Maßnahmen. Die Daumenschrauben könnten noch einmal angezogen werden. Wie bewerten Sie das? Alexander Kekulé: Ja, das ist möglich. Ich bin grundsätzlich dagegen, ein Maßnahmepaket, das nicht so recht funktioniert, so wie es ist, fortzuführen, weil wir so

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-KompassDonnerstag, 14.01.2021 #138: FFP2-Maske – Schlüssel zur Normalität?

Camillo Schumann, ModeratorMDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, ExperteProfessor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Links:https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2021/Ausgaben/02_21.pdf?__blob=publicationFile

Camillo Schumann:

Donnerstag, 14. Januar 2021. Der Lockdown wirkt nicht wie erhofft, sagt das Robert-Koch-Institut und fordert eine Verschärfung. Was spricht dafür? Und was spricht dagegen? Dann: FFP2 Maskenpflicht im ÖPNV und Geschäften in Bayern ab Montag. Ist die FFP2-Maske, der Schlüssel zur Normalität? Und: Am Ende der Sendung gibt es mal wieder etwas zum Schmunzeln. Wir wollen Orientierung. Mein Name ist Camillo Schumann. Ich bin Redakteur, Moderator bei MDR Aktuell, das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Professor Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.

Alexander Kekulé:Hallo, Herr Schuman.

Camillo Schumann:Rekordzahlen, eine hohe Zahl an Neuinfektionen und auch noch die Mutation. Das Robert-Koch-Institut hat heute darüber informiert, dass der Lockdown bisher nicht so wirkt wie erhofft und deshalb auch verschärft werden könnte. „Das ist eine Option.“ Das hat der Präsident des Robert-Koch-Instituts, Lothar Wieler, gesagt und weiter: „Diese Maßnahmen, die wir machen, für mich ist das kein vollständiger Lockdown; es gibt immer noch zu viele Ausnahmen und wird nicht stringent durchgeführt.“

Camillo Schumann:Und von paar Tagen soll die Kanzlerin gesagt haben: Wir brauchen noch acht bis zehn Wochen harte Maßnahmen. Die Daumenschrauben könnten noch einmal angezogen werden. Wie bewerten Sie das?

Alexander Kekulé:Ja, das ist möglich. Ich bin grundsätzlich dagegen, ein Maßnahmepaket, das nicht so recht funktioniert, so wie es ist, fortzuführen, weil wir so viele Daten haben, die sagen, die Maßnahmen greifen in der ersten Woche. Man stellt fest, ob sie gegriffen haben in der zweiten Woche. Und wenn es nicht richtig funktioniert, muss man nachjustieren. Wie auch immer. Ich bin ja immer dafür, statt allgemein noch mehr Beton darüberzuschütten, lieber selektiver das anzugehen, was man vielleicht endlich mal analysiert hat, dass da die Probleme aufgetreten sind. Aber die grundsätzliche Einstellung von Herrn Wieler, wenn es nicht funktioniert, muss man etwas ändern, ist plausibel.

Camillo Schumann:Herr Ramelow, Thüringens Ministerpräsident, hat gefordert, die Wirtschaft runterzufahren. Wir bräuchten einen kompletten

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Stillstand. Wo genau könnte man noch nachjustieren?

Alexander Kekulé:Naja, da will ich ein bisschen hinter Herrn Wieler in Deckung gehen. Der hat ja gesagt, es wird auch nicht überall konsequent durchgeführt. Und da liegt meines Erachtens eher der Hase im Pfeffer. Wenn wir an die Wirtschaft denken – das ist ja einer der vier Bereiche, die ich auch schon seit Wochen identifiziert habe, wenn ich mal so sagen darf: offene Seitentüre in diesem Haus, wo wir ständig die Vordertüre weiter zusperren und weitere Schlösser anbringen, während Balkon und Fenster und Garage alles offen ist. Eine der offenen Türen ist, dass wir die Bereiche Büros, wirtschaftliche Tätigkeit im weitesten Sinn nicht wirklich geregelt haben. Es gibt viele Regelungen von Gaststätten, Hotels, Schulen, da ist alles Mögliche probiert worden. Aber die Regelungen für die Wirtschaft stehen ja erst seit den Weihnachtstagen auf dem Papier, weil das letztlich so funktioniert, dass das über das Arbeitsschutzgesetz läuft, den Schutz der Arbeitnehmer. Da hat übrigens der Bund die unmittelbare Gesetzesautorität. Das heißt, anders als in vielen anderen Bereichen, die wir hier diskutieren, sind da nicht die Länder zuständig. Und das geht über die sogenannte Corona-Verordnung runter bis zu den Empfehlungen der Berufsgenossenschaften. Und die sind zum Teil erst vor wenigen Wochen rausgekommen – ich habe da mehrere gelesen und Gespräche geführt –, sind aber inhaltlich noch auf dem Stand, wie wir das mal gehört haben – ich sag mal im Mai oder so –, dass das wichtigste ist: Abstand halten von 1,50 m und Hände waschen. Und dieses Grundprinzip: Abstand im geschlossenen Raum und sich möglichst oft die Hände wäscht, ist alles gut. Das zieht sich so ein bisschen durch die Empfehlungen auch der Berufsgenossenschaften.

Einige sind da aktueller und andere älter. Und da meine ich, ist noch viel Luft nach oben. Im Arbeitsbereich müssen wir dafür sorgen, um es mal pauschal zu sagen, dass, wenn Menschen zusammenarbeiten und in einem geschlossenen Raum zusammen sind, bitte verdammt noch mal eine Maske aufsetzen.

Dass diese Regelung nirgendwo oder in vielen Bereichen nicht durchgezogen wird, geht nicht. Und diese Lücke, die haben wir. Und im aktuellen RKI-Bericht ist auch die Rede davon, das am Arbeitsplatz noch ein erhebliches Infektionsgeschehen vorhanden ist.

Camillo Schumann:Herr H. Wieler hat heute auch eine Situation geschildert von einer Firma, die ein tolles Hygiene-Konzept hat. Aber dann sitzen die Mitarbeiter beim Mittagessen zu viert oder zu fünft an einem Tisch und lachen und sprechen miteinander. So banale Sachen sind das, wo das Problem entsteht.Alexander Kekulé:Und wir haben ja auch schon oft über den Paketboten gesprochen, der offen durchs Treppenhaus läuft, weil er denkt, er ist gerade allein und muss keine Maske aufsetzen. Aber in diesem Bereich Arbeitsschutz sind zwei Dinge, ohne da zu sehr ins Detail zu gehen, schwierig. Das eine ist der Arbeitsschutz: der dient dem Schutz der Arbeitnehmer. Das ist formal so. Das heißt, ob z.B. der Paketbote, um im Bild zu bleiben, die ältere Dame im Haus infiziert, die zwei Minuten nach ihm durchs Treppenhaus geht, was er möglicherweise mit Aerosolen kontaminiert hat, ist im Arbeitsschutz ja nicht relevant, weil er nur der Arbeitnehmer bisher geschützt werden soll oder seine Kollegen schützen soll. Und das zweite Problem ist, dass wir das Prinzip der Aerosole dort nicht haben.

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Praktisch gesehen kann ich sagen, große Unternehmen, ich denke mal so richtig große mit 50.000 Mitarbeitern oder mehr, die haben Betriebsräte. Die haben ein Heer von Ärzten, die sich da kümmern und die rufen zum Teil auch bekannte oder nicht so bekannte Virologen und Epidemiologen an und sagen, komm doch mal her und erklärt uns, was wir machen sollen. Das ist aber nicht möglich bei irgendeiner kleinen Klitsche. Ein Handwerksbetrieb soll das kraft seiner eigenen Wassersuppe machen. Und wenn in dieser Corona-Verordnung, das ist sozusagen eine Ausführungsbestimmung des Bundesgesetzes, drin steht: „Jeder Betrieb muss selbst eine Risikobewertung machen“, dann geht das nicht. Das machen wir am Institut für Mikrobiologie in Halle nicht einmal alleine, sondern wir haben da wirklich einen Experten dafür am Klinikum, der uns in so einem Fall noch mal berät. Denn diese Risikobewertung nach Arbeitsschutzgesetz ist ein eigenes Handwerk. Das hieße, dass quasi jeder Schreiner seine Werkstatt machen soll. Das kann nicht funktionieren. Und da hat Herr Wieler vollkommen recht – spät, aber immerhin. Doch ich muss leider wieder sagen – wir reden ja schon seit Langem darüber – das ist hier auf der To-do-Liste, dass man am Arbeitsplatz wie auch immer dafür sorgt, dass konsequent zumindest diese aerogenen Infektionen vermieden werden, die auch zu Superspreading-Ereignissen führen können.Camillo Schumann:So ein Hygienekonzept in einem kleinen Handwerksbetrieb ist auch keine Raketenwissenschaft, mit Abstand die FFP2-Maske, wo es geht, Homeoffice, Lüften und – wenn man im Auto zusammensitzt – auch eine FFP2-Maske. Mehr ist es doch nicht, oder?

Alexander Kekulé:Ich sage: im Grunde genommen sogar nur Maske. Wir reden ja hier von Epidemiologie für die ganze Bundesrepublik und nicht so von Einzelfall-Schutz. Wer im Einzelfall ein erhöhtes Risiko hat, da würde ich sagen FFP2, bei den anderen wäre ich ja schon glücklich, wenn jeder eine Maske auf hat. Und Sie haben Recht, es ist keine Raketenwissenschaft. Aber es gibt so Dinge: Was ist in der Kantine? Was ist, wenn jemand eine schwere Bohrmaschine bei einer Wohnungsrenovierung in der Hand hat, darf der die Maske abnehmen? Wer kontrolliert das? Das ist ja auch häufig das Problem. Und da brauchen die, glaube ich, schon ein bisschen Unterstützung. Und ich würde da auch mit dem Finger auf das Bundesarbeitsministerium mit seinen Behörden, die dahinten dranhängen, richten. Und zwar ist es so, dass das nach dem alten AHA geht. Sie wissen, dass ich so ein bisschen zwischen den Zeilen das nicht so ernst genommen habe, weil Nummer eins: Abstand im Freien reicht 1,5-2 m, sage ich ja immer. Das gilt nach wie vor. Aber Abstand im geschlossenen Raum, das war nun wirklich gestern. Ich glaube, da muss man nicht Hörer eines der bekannten Podcast zu dem Thema sein, um zu wissen, dass man sich im geschlossenen Raum über mehr als 2m Abstand und die berühmten 1,5 m infizieren kann. Der Arbeitsschutz geht aber nach dem sogenannten Top-Verfahren vor. Das ist historisch schon lange so, eigentlich kein schlechtes Verfahren. TOP heißt: Erst müssen technische Voraussetzungen geschaffen werden. Das heißt, am besten ist es z.B., durch Abluftanlagen oder so dafür zu sorgen, dass man sich nicht infizieren kann oder die berühmte Plexiglasscheibe dazwischenbasteln.

Nur, wenn das nicht geht, kommt als nächstes organisatorisch die Abstandsregelung 1,5 m. Und nur

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wenn das nicht funktioniert gilt, die persönliche Schutzausrüstung. Und wegen dieses in anderen Fällen richtigen Verfahrens – was aber bei Covid-19 in die Irre führt, ist es so, dass die sagen: Na gut, als erstes musst du eine Plastikscheibe einbauen. Wenn du eine Scheibe dazwischen hast, ist alles gut. Da gibt es viele Arbeitsplätze, die sitzen quasi Schulter an Schulter, und dazwischen ist eine Plexiglasscheibe. Und da sagt man, es ist erledigt. Zweitens Organisation: Wenn du nur 1,5 m Abstand hältst in deiner Kantine, ist alles in Butter. Und nur, wenn du diese 1,5 m nicht schaffst, musst du persönliche Schutzausrüstung tragen: also Maske und Co. aufsetzen. Und das ist falsch! Das steht aber da oft drinnen. Und die Arbeitgeber setzen das zum Teil um, wenn sie keine Spezialberatung haben. Und deshalb, sage ich mal, da wir wissen, dass der Abstand 1,5 m in einem geschlossenen Raum definitiv nicht ausreichend schützt. Und da wir auch wissen, dass das Händewaschen, ich sag mal so, als Hausnummer höchstens zehn Prozent der Infektionen verhindert – wahrscheinlich ist es viel weniger; wir haben es hier mit einem luftgetragenen Virus zu tun, deshalb muss man sagen: AHA ist im Grunde genommen erledigt. Das ist aber noch die Grundlage der Arbeitsschutzvorschriften. Daher haben wir das Problem, dass die lange hinterher sind. Die haben das noch nicht geupdatet. Das wird irgendwann kommen. Aber bis der letzte Handwerksbetrieb, das sozusagen umgesetzt hat, höchstwahrscheinlich Sommer, haben wir hoffentlich das Virus mit anderen Mitteln halbwegs im Griff.

Camillo Schumann:Nun haben wir über den Bereich Arbeitsschutz gesprochen und was die Firmen unternehmen können, um die Pandemie einzudämmen. Sie haben ja über andere geöffnete Fenster und Scheunentor

gesprochen. Das auch noch kurz erwähnt!

Alexander Kekulé:Die anderen haben wir auch schon öfters mal besprochen. Das sind drei aus meiner Sicht. Die Nummer eins ist, dass wir diesen Lateraleffekt in den Haushalten haben. Das Problem ist, wenn einer infiziert ist, steckt er den ganzen Haushalt an, weil wir die Isolierten nicht aus der Wohnung rausnehmen. Nummer zwei ist, dass wir in den Altersheimen die Situation noch nicht im Griff haben. Der Lagebericht vom Robert-Koch-Institut ist nach wie vor so, dass auch aktuell die Infektionen nicht unter Kontrolle zu bekommen sind. Die bräuchten offensichtlich auch mehr Beratung und mehr Unterstützung, weil die Heime das selber nicht hinkriegen. Und Nummer drei ist der für mich gefährlichste Effekt: Ich glaube, dass ein wirklich zunehmender Teil der Bevölkerung – auch weil die Maßnahmen nicht mehr verständlich sind – nicht mehr mitmacht. Und wenn man diese vier Dinge im Auge hat, und sich darauf fokussiert, würde man das umsetzen, was sich Herr Wieler wünscht, ohne dass man so allgemein sagt: Na gut, treten wir noch mehr auf die Bremse, machen wir halt Shutdown oder totaler Lockdwon: alle zuhause bleiben und am Schluss muss jeder einen Taucheranzug anziehen und kriegt Handschellen angelegt. Da würden wir übrigens nach zwei Wochen die Pandemie bekämpft haben.

Und genau den letzten Punkt, dass die Menschen nicht mehr so richtig mitmachen, hat das RKI heute auch noch mal dargestellt aufgrund einer Mobilitätsstudie. Da wird ja quasi permanent die Mobilität der Menschen analysiert. Und da ist es in der Tat so gewesen, dass sich im ersten Lockdown die Mobilität drastisch eingeschränkt hat und das jetzt nicht mehr der Fall ist, dass immer mehr Menschen das ist offenbar nicht so ernst nehmen und

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die Mobilität nicht so stark einschränken und dass dadurch auch noch viel Infektionsgeschehen zu verzeichnen ist. Dieser Wunsch, auch etwas für sich selber zu tun, war wahrscheinlich im Frühjahr letzten Jahres größer als jetzt. Das ist auch ein wenig paradox.

Alexander Kekulé:Ich glaube ja immer an den mündigen Bürger. Ich werde dafür auch zum Teil gescholten. Wahrscheinlich habe ich zu wenig Politik gemacht. Aber als Wissenschaftler habe ich die Erfahrung gemacht, wenn man Leuten Dinge geduldig erklärt und wirklich sagt, warum es so ist und wenn die weit weg von unserer Disziplin sind und keine Ahnung von Virologie haben, irgendwann fällt der Groschen, und man kann die meisten Leute überzeugen. Ich weiß, dass die Politik inzwischen an dem Punkt ist, wo sie auf dem Trip ist: und bist du nicht willig, brauch ich Gewalt. Und deshalb war ich ein bisschen vorsichtig bei der Analyse dieser Mobilitätsdaten. Da muss man zum einen sagen, wir haben ja im Frühjahr massiv auch das Arbeitsleben eingeschränkt. Das ist ja bewusst nicht so gemacht worden. Und deshalb wissen wir bei den Mobilitätsdaten nicht, ob das beruflich bedingt war oder ob die alle nur zum Rodeln gegangen sind oder Party gemacht haben. Und zweitens, das ist ja schon lange da, mein Credo: Reisen und reisen ist zweierlei: sich fortbewegen kann man unterschiedlich machen. Wenn Sie in einem vollbesetzten VW-Bus mit acht Leuten irgendwohin hinfahren zur Party, ist das eine Mobilität, die zu Infektionen führen dürfte. Wenn Sie aber mit einem Haushalt im Auto irgendwo zum nächsten Rodelhang fahren mit den Kindern und da Abstand halten und das vernünftig machen, ist das auch Mobilität, die aber smarte Mobilität ist. Und ich glaube, wir können noch einmal dafür plädieren: Wir müssen

die Klugheit der Bevölkerung mit einbeziehen, statt alle zu entmündigen, weil ich glaube, dass eine echte Resilienz gegen so eine Bedrohung wie eine Pandemie nur entsteht, wenn jedes einzelne Glied der Gesellschaft selber aktiv mitdenkt. Jedes Fragment muss intelligent sein. Wir brauchen da eine Herdenintelligenz, wenn ich mal so sagen darf. Und die können wir nicht erzeugen, indem wir den Leuten nur Vorschriften machen, aber nichts erklären.

Camillo Schumann: Sie appellieren sozusagen an die Intelligenz, an die Vernunft der Menschen. Wenn ich im Straßenverkehr unterwegs bin, wenn ich beim Einkaufen bin nach, wenn ich nur im Treppenhaus bin, muss ich ehrlich sagen, da Zweifel ich da dran.

Alexander Kekulé:Ja, genau, sie haben völlig recht. Ich weiß, dass mir der viele widersprechen. Und es kann auch sein, dass ich damit in eine Minderheitsposition gerate. Aber das will ich offen sagen, ich mache ja seit Jahrzehnten solche Dinge und wir haben auch in Ländern, wo wir es unter Umständen mit Menschen zu tun haben, die vom Bildungsniveau Lichtjahre von dem entfernt sind, was wir in Deutschland im Durchschnitt haben, auch die Erfahrungen gemacht: Auf irgendeine Weise musst du den Leuten das so erklären, dass es in ihrer Welt plausibel ist. Machen die mit, und ich bin fest davon überzeugt, dass das in Deutschland so war, dass wir am Anfang deshalb vergleichsweise erfolgreich waren, obwohl die Regierung ja echt spät reagiert hat und viele Dinge zu spät passiert sind –, aber letztlich haben wir die erste Welle erfolgreich irgendwie hingekriegt, weil zwei Dinge da waren: Die Bevölkerung hat der Regierung vertraut und hat gesagt, das wird schon richtig sein. Und die

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Regierung hat aber auch der Bevölkerung vertraut.

Ich mal erinnere daran, bei den Ausgangssperren war ja die große Diskussion: Spanien und Österreich und andere hatten diese totalen Ausgangssperren nach dem Modell Wuhan, wo man die Wohnung nicht verlassen durfte. Und hier haben verschiedene Virologen, zu denen ich auch gehört habe, gesagt, nein, das ist nicht sinnvoll. Und die Politik hat gesagt, okay, wir gehen dieses Risiko mal ein und machen den deutschen Weg. Das ist weltweit erst danach zum Teil kopiert worden, dass wir hier in Deutschland gesagt haben, wir erlauben den Leuten, die Wohnung zu verlassen für sportliche Aktivitäten, zum Spazierengehen usw. Und das hat hervorragend funktioniert. Und das hat, glaube ich, psychologisch irrsinnig viel ausgemacht, dass die Menschen gesagt haben, man hat das klug dosiert, weil man gesagt hat, im Freien ist die Ansteckungsgefahr extrem gering, und man vertraut den Leuten, dass die da nicht die Riesenpartys feiern. Und jetzt so in diesen Weg umzuschwenken: Mensch, die halten sich nicht an die Regeln, die wir machen, wir haben so tolle Vorschriften wie die 15 km-Corona-Leine und die sagen, das ist Unsinn, und jetzt müssen wir halt die Polizei schicken usw. Ich übertreibe absichtlich ein bisschen. Aber Sie wissen ja aus diversen amerikanischen Filmen: Am Schluss kommt das Militär angerückt. Das war ja in Spanien so. In Madrid ist ja das Militär eingerückt am Schluss. Das ist ja auch mitten in Europa. Wir müssen aufpassen, dass es nicht zu einer Konfrontation zwischen Politikern kommt, die ihre Maßnahmen nicht erklären, die nicht erklären können, warum es nicht funktioniert, die vielleicht selber nicht genau wissen, worum es nicht funktioniert und die sagen: immer härter, immer drastischer! Und eine

Bevölkerung, die da irgendwann zunehmend nicht mehr mitgeht. Deshalb noch einmal zurück, diese Mobilitätsdaten – ja, aber die muss man genauer analysieren und gucken, waren es irgendwelche Mobilitäten oder waren das gefährliche Mobilitäten im Sinne von Infektionsgefahr.

Camillo Schumann:Ich habe unheimlich Bauchschmerzen dabei, das muss ich ehrlich sagen, die Verantwortung zu 100 Prozent den Menschen wieder zurückzugeben.

Alexander Kekulé:100-Prozent nicht. Aber wissen Sie, man muss doch den Versuch unternehmen, die Dinge zu erklären. Und wenn Sie Ihr Bild haben – das ist mir völlig klar, dass das kein wissenschaftliches Podcast-Thema ist, sondern ein bisschen Stammtisch. Aber die eine Minute können wir uns hier nehmen –, wenn Sie ihr Bild haben, dass Sie sagen: Wenn Sie im Straßenverkehr so rumgucken, denken sie, außer mir sind alles Idioten unterwegs.

Camillo Schumann:Das haben Sie gesagt.

Alexander Kekulé:Das Gefühl habe ich auch manchmal. Andererseits müssen Sie sich überlegen, wie oft war es schon so, dass Sie und ich im Straßenverkehr etwas eine Sekunde übersehen haben und gemerkt haben, ups, der andere hat gebremst, der andere ist ausgewichen. Eine Sekunde war ich über einen Streifen gefahren, und der neben mir hat pariert. Es ist schon so, dass dadurch, dass jedes einzelne Auto von grundsätzlich von einem intelligenten Individuum gesteuert wird, dadurch funktioniert das. Man weicht sich aus. Oder in der Fußgängerzone, wo früher tausende von Menschen durcheinander gelaufen sind. Man rempelt sich extrem selten an. Und das

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funktioniert nur deshalb, weil jeder zwischen seinen Ohren einen Zentralprozessor hat, mit dem er seine individuellen Bewegungen im letzten Moment noch anpassen kann. Und diesen Prozessor, der da zwischen den beiden Ohren platziert ist, den brauchen wir auch in der Pandemie.

Camillo Schumann:Und ich hoffe, dass dieser Prozessor bei allen auch wirklich rundläuft. Damit schließen wir das Thema ab. Kommen wir zum nächsten: Die Kanzlerin hat ja auch vor der Gefahr einer Ausbreitung des Coronavirus-Mutationen in Deutschland gewarnt. Und möglicherweise werden auch deswegen diese Gedankenspiele angestellt, das Ganze noch einmal zu verschärfen. Die Entwicklung in Irland habe gezeigt, wie schnell sich das Virus ausbreiten könne. Dort habe es innerhalb kurzer Zeit eine Verzehnfachung der Infektionszahlen gegeben. Teilen Sie die Befürchtung der Kanzlerin, dass die Mutationen trotz Lockdowns die Infektionszahlen nach oben treiben werden?

20:10Alexander Kekulé:Wir haben ja in der letzten Ausgabe schon mal ein bisschen über die aktuellen Mutationen gesprochen. Man muss dazu Folgendes sagen: Diese Mutationen sind etwas infektiöser. Da gibt es nicht nur die, die in Irland und dem Vereinigten Königreich aufgetreten ist, sondern noch mindestens zwei weitere, und ich vermute, dass es weltweit sehr viele gibt, die wir noch nicht entdeckt haben. Diese etwas infektiöseren Mutationen, bei denen die Höchstgeschwindigkeit der Ausbreitung ca. 0,5 höher ist als bei dem normal zirkulierenden Typ. Das heißt R0, diese Höchstgeschwindigkeit der Reproduktionsrate, ist z.B. bei 3,5 statt bei drei. Das ist ein marginaler Unterschied aus mehreren Gründen. Der eine ist, dass dieser Basiswert

von ungefähr 3, von dem wir weltweit zurzeit so ausgehen, ist eine Schätzung, die zwischen 2,5 und 4,5 liegt. Und dazwischen irgendwo liegt es. Je nach Ausbruch kriegen Sie auch unterschiedliche Daten, je nach Rahmenbedingungen. Das heißt, das ist sowieso eine wachsweiche Zahl. Und ob das ein bisschen mehr ist bei dem einen Virus, das macht für die praktische Epidemiologie keinen Unterschied, denn das Virus kriecht ja deswegen nicht durch ihre Stoffmaske durch, weil R0 = 3,5 statt 3,0 ist. Vielmehr wird es weiterhin an den Stellen, wo Sie – um im vorigen Bild zu bleiben – die seitlichen Türen offen haben, da wird es reinkommen. Die Maßnahmen, die wir ergriffen haben, wo es funktioniert – z.B. hatten wir ja gute Konzepte für den Einkauf oder wenn Sie mit der FFP2-Maske im Zug sitzen oder so was –, da ist das völlig egal, ob das ein Virus mit einem R von 3,0 oder von 3,5 ist. Wir verringern ja diese Maximalgeschwindigkeit durch die antiepidemischen Maßnahmen auf ein R von ungefähr1. Das ist ja bekannt, dass wir schon lange bei 1 sind. Das kann man sich so vorstellen: Wenn Sie ein Auto in der Garage einsperren, ist es egal, ob das ein Ferrari oder ein Käfer ist, die Höchstgeschwindigkeit interessiert sie nicht. Sie haben es sozusagen an der Leine. Wir müssen uns an die Leine nehmen. Aber da gibt es für die praktische Situation kein Unterschied.

Camillo Schumann:Aber noch einmal gefragt: In Irland ist es ja nun mal Fakt gewesen, dass sich die Zahlen verzehnfacht haben. Eine absolute Ausnahmesituation, 6.000 Neuinfektionen, das ist für die Insel richtig viel. Und 50 Prozent der nachgewiesenen Neuinfektionen sind auch auf die Mutation zurückzuführen. Da ist doch ziemlich Druck auf dem Kessel.

Alexander Kekulé:Genau, diese Zahlen muss man

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richtig interpretieren. Das ist folgendermaßen: In Irland haben wir erstens eine Verzehnfachung des Anteils dieser neuen Variante B1.1.7. Da haben es Ende November/Anfang Dezember die ungefähr 4-5 Prozent von der neuen Variante gehabt. Und jetzt ist es bei 50 Prozent. Das ist eine Verzehnfachung. Warum hat sich die Variante durchgesetzt? Das müssen Sie sich so vorstellen: Das sind ja Milliarden von Viruspartikeln, die gegeneinander antreten. Es ist eine Massenstatistik, die da stattfindet. Und stellen Sie sich vor, Sie haben dort z.B. Kinder, die einen sind 6, die anderen 6,5 Jahre. Ich bin nicht der große Pädagoge, aber ich würde schätzen, ein Kind mit 6,5 Jahren läuft wahrscheinlich – statistisch gesehen – ein bisschen schneller als eins mit 6. Wenn Sie Millionen von Kindern gegeneinander antreten lassen, 1 Million 6-Jährige und 1 Million 6,5-Jährige kriegen Sie den Effekt, dass immer die 6,5-Jährigen das Wettrennen gewinnen. Und deshalb ist es hier so, dass der kleine Unterschied von 3,0 zu 3,5 bei diesem Massenstart dieser Viren, die sich ja gegenseitig verdrängen, weil jemand zuerst beim nächsten Opfer ist, der verdrängt die anderen. Denn jemand, der mit einem Virus infiziert ist, kann ja nicht im 2. noch zusätzlich infiziert werden im gleichen Moment. Und deshalb ist es so, dass sich immer das schnellere Virus durchsetzen wird. Sodass Sie bei so einem Massenexperiment – statistisch gesehen – in die Situation kommen, dass ein kleiner Unterschied sofort dazu führt, dass Sie von vier Prozent auf 50 Prozent innerhalb von wenigen Wochen hochkommen. Das heißt aber nicht, dass der Unterschied relevant wäre, sondern der ist klein und wird aber statistisch sozusagen herausgemendelt. Das andere ist die Frage: Warum haben sich die Fallzahlen so stark erhöht? Da weiß ich gar nicht, ob sie sich verzehnfacht haben. So krass war es nicht. Aber es ist richtig, dass

Irland in den letzten Wochen sowohl die Vereinigten Staaten als auch das United Kingdom überholt hat. Das sind aber zwei Länder, die schon hohe Zahlen haben bei den Neuerkrankungen pro 100.000 Einwohner. Warum haben Sie das gekriegt, das ist ja die Katastrophe, dass so viele Erkrankungen da sind. Und da sagt die irische Regierung so wie das vorher Boris Johnson im Vereinigten Königreich gesagt hat: oh, das ist die neue Variante. Genauso sagt die Regierung von Südafrika: Wir sind nicht schuld. Wir haben alles toll gemacht. Die neue Variante ist schuld. Das ist aus politischer Sicht auch bequem. Es ist ja so, die haben Anfang Dezember – weil sie so gut dastanden in Irland - die Pubs geöffnet, alle Gaststätten geöffnet, sie haben dazu aufgefordert, easy Christmas zu feiern. Und danach sind die Fallzahlen hochgegangen. Und wenn man im Lockdown von der Bremse geht, dass man da plötzlich eine Explosion der Zahlen kriegt, haben wir in Deutschland auch erlebt: dass diejenigen, die sich sozusagen sicher fühlen – Stichwort Sachsen, Thüringen, weil sie sagen, bei uns ist ja alles gut –, dass die, wenn sie sich locker machen, plötzlich eine explosionsartige Vermehrung haben. Das kennen wir aus dem eigenen Land. Und jetzt sagen bekanntlich Herr Ramelow und auch der Ministerpräsident von Sachsen, das haben wir irgendwie falsch eingeschätzt. Die Iren sagen stattdessen: Nein, wir machen ja alles richtig. Das liegt an der Variante.

Ich will nicht sagen, dass die Variante gar keine Rolle gespielt hat. Aber das ist nur statistisch. Die Frage ist doch: Müssen wir die Gegenmaßnahmen nachschärfen, weil wir eine neue Variante haben, so wie es damals in Italien auch war – da kam diese G-Variante auf, und in Brasilien gibt es eine neue, die auch schon in Japan entdeckt wurde –, müssen wir wegen

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dieser Varianten nachschärfen? Und ich sage nein. Der Unterschied ist für die antiepidemischen Maßnahmen nicht relevant, obwohl diese neuen Varianten das sein, werden, mit dem wir es in den nächsten Monaten zu tun haben. Aber Sie werden nicht stärker krank deswegen. Und Sie müssen auch nicht Angst haben, dass die durch die Poren von einer Maske durchgehen oder Ähnliches.

Camillo Schumann: Eine schwierige Argumentation an einem Tag mit 25.000 Neuinfektionen.

Alexander Kekulé:Ja, was soll ich Ihnen sagen, da muss man trotzdem nüchtern bleiben. Wenn Sie als Feuerwehrmann zu einem Großbrand kommen, ist immer Panik. Es gibt selbst Profis, bei denen echt das Herz hoch schlägt. Und wir haben so etwas schon live erlebt. Ich war ja früher mal Notarzt, der weiß, dass das eine Situation ist, bei der viele Menschen in Panik geraten. Aber trotzdem muss der Feuerwehrmann kaltblütig hingucken und sagen, wo genau die Brandquelle ist und nicht anfangen, Löschwasser sonstwohin zu spritzen. Da muss er gucken, aha, da ist die Gasleitung, wo es rauskommt, da muss ich mich hinarbeiten. Da setze ich meine Kräfte ein, und da mache ich das Ding dichter, dann wird das Feuer ausgehen. Und diese Professionalität hätte ich gerne auch hier bei dem Flächenbrand, den wir in Europa gerade mit Covid haben.

Camillo Schumann:Genau hinschauen ist genau das Stichwort. Herr Wieler, der Präsident des RKI, hat gesagt, man habe noch keine Kenntnis darüber, wie stark sich die Mutationen in Deutschland verbreitet. Bei insgesamt 15 Reiserückkehrern sind die Mutation aus Südafrika und Großbritannien – Stand heute – auch nachgewiesen worden. Und es muss mehr sequenziert werden. Und v.a. muss

auch mehr gemeldet werden, hatte er heute gesagt. Wir hören mal kurz rein:

„Und was ein wichtiger Kern ist, das hatte ich am Anfang gesagt, es wird in Deutschland einiges auch an Sequenz analysiert, aber die Daten werden nicht alle in öffentlichen Repositorien sofort zur Verfügung gestellt. Und das ist ein riesiger Aufruf, den ich auch, glaube ich, vor Weihnachten schon hier getätigt habe: Alle Kolleginnen und Kollegen, die sequenzieren in Deutschland, die solche Proben sequenzieren, die mögen, sobald sie einen Befund haben, den in öffentliche Datenbanken hochladen. Die Verordnung wird dafür Sorge tragen, dass sie das ans Robert-Koch-Institut melden müssen, damit wir das zentral erfassen, was die beste Lösung ist, denn wir brauchen ja den Überblick. Aber der entscheidende Punkt ist, dass die Kolleginnen und Kollegen, die ein Raum von Forschungsprojekten und was auch immer, so eine positive Sequenz haben, die müssen sie auch melden!“

Camillo Schumann:Das wirkt schon fast verzweifelt.

Alexander Kekulé:Ehrlich gesagt, möchte ich nicht in der Haut von Herrn Wieler stecken. Der weiß ja im Prinzip, was er bräuchte. Aber auch in dieser Situation äußert er sich spät. Wir haben in diesem Podcast – nach meiner Erinnerung war das Ende September – zum ersten Mal darüber gesprochen, dass die molekularbiologische Surveillance bei uns, sprich die Analyse von Gensequenzen in Deutschland, zu schwach ist, dass wir zu wenig machen. Wir haben das damals im Zusammenhang mit den ersten Mutanten, die damals schon irgendwo identifiziert wurden, besprochen. Scheinbar hat das Robert-Koch-Institut sich da nicht so deutlich geäußert, weil erst in den

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letzten Tagen die Bundesregierung gesagt hat, okay, nehmen wir mal richtig Geld dafür in die Hand. Die Labore sind ja auch alle im Stress. Ich will nicht aus dem Nähkästchen plaudern. Ich kann Ihnen versichern, dass alle Labore, ich leite eins davon, die eine solche Covid-Diagnostik machen, wirklich mit dem Rücken zur Wand stehen und sich auch das Personal die größte Mühe gibt, irgendwie hinterherzukommen. Und da zu sagen, ihr müsst da noch was sequenzieren, das ist richtig viel Extraarbeit. Darum wird es nur in einigen Laboren passieren, z.B. im Rahmen von Forschungsarbeiten. Aber da kriegen Sie nicht Tausende von Sequenzen her, um mal so eine Größenordnung zu sagen. Es gibt ja ein Referenzlabor, was dafür zuständig ist. Und das ist das Labor von Herrn Drosten in Berlin. Das ist das Labor, was für diese Dinge zuständig ist. Das hat seit Beginn der Pandemie nach den offiziellen Zahlen ungefähr 900 Sequenzen gemacht seit Beginn der Pandemie. Und dann kommen, würde ich mal sagen, noch 800 bis 900 dazu, die gemeldet wurden von irgendwelchen peripheren Laboren. Gut, kann sein, dass da ein paar unter den Tisch gefallen sind. Vielleicht gibt es nur noch 200 mehr, die man rausquetschen kann, wenn der Aufruf von Herrn Wieler befolgt wird. Aber Sie müssen sich das so vorstellen: Die Labore, die diese Sequenzen machen, sind ja eher Universitätslabore. Und die kennen sich alle mit dem Vornamen. Wir sind eine Clique. Wir benehmen uns ja zum Teil schon wie in der Familie. Ich gehe davon aus, dass 90 Prozent der Kollegen, wenn Sie irgendwie ein auffälliges Isolat haben – z.B. Sie finden die südafrikanische Variante bei sich irgendwo in einem Provinzlabor, natürlich melden die das dem RKI. Das sind ja keine Schlafmützen. Die melden wahrscheinlich nicht, weil sie nichts gefunden haben. Aber wenn sie was Spannendes finden, melden sie es.

Wissenschaftler sind ja auch immer so ein bisschen eitel, da will man zeigen: Schaut mal her, was ich Tolles gefunden habe. Ich glaube nicht, dass sie massenweise exotische Varianten haben und das nicht melden. Klar kann es sein, dass es Verzug gibt, und das muss man organisieren. Aber ich muss schon sagen: Wir haben Mitte Januar. Und diesen Aufruf zu machen, ist nicht besonders kreativ. Wenn wir das im Podcast Ende September/Anfang Oktober gemacht haben, würde ich erwarten, dass eine staatliche Stelle da einen Monat früher darauf gekommen sein sollte. Und jetzt ist es halt verdammt spät. Und deshalb würde ich mal davon ausgehen – und ich glaube, das machen alle meine Kollegen, ohne alarmistisch sein zu wollen: Gehen wir doch mal praktisch davon aus, dass von diesen Varianten schon ziemlich viele in Deutschland sind, zumindest von der englischen, vielleicht auch von der südamerikanischen und südafrikanischen. Und da ändert sich letztlich nichts. Es ist halt ein anderes Virus. Wir machen eine andere Variante, wir machen die gleichen Maßnahmen. Und es ist nur der Appell, diese vier Löcher zu stopfen, die wir schon länger identifiziert haben.

Camillo Schumann: Aber braucht es so viele Sequenzen der neuen Mutationen, reichen nicht ein paar um das statistisch repräsentativ hochzurechnen?

Alexander Kekulé:Das ist eine kluge Frage. Das kommt halt darauf an, von welcher Seite Sie das sehen. Ich weiß auch, dass die Bundeskanzlerin – ich weiß nicht, wer sie da beraten hat – sagt: Ja, wir brauchen strengere Maßnahmen, weil die neuen Mutanten infektiöser sind. Das ist ja auch aus Laiensicht klar, dass man denkt, Mensch, das ist infektiöser, was machen wir? FFP-2 statt Stoffmaske oder so was, oder einen Kontakt statt zwei Kontakte.

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Aber das ist ja letztlich nicht unser Problem. Wie gesagt, es hat keinen Sinn, weil das ein bisschen infektiöser ist, an der Haustür noch vorn drei Schlösseranzubringen, wenn links und rechts alles offen ist. Und es ist so, dass wir diese Daten dann bräuchten, wenn wir der Meinung wären, das mit Zunahme der Varianten auch zunehmende Gegenmaßnahmen erforderlich sind, wenn es so, wenn es einen Zusammenhang gäbe. Aus meiner Sicht ist das relativ akademisch. Es wäre schön gewesen, wir hätten diese Varianten vorher entdeckt, weil wir das schneller mit einbezogen hätten in verschiedene Überlegungen. Aber praktisch gesehen passt sich das Virus weltweit an. Es gibt da zwei verschiedene Anpassungsbewegungen. Die eine ist, dass es kontagiöser wird, wie wir sagen, also stärker ansteckend ist. Und das passiert sozusagen auf der virologischen Ebene erstens dadurch, dass kleinere Mengen vom Virus schon zur Ansteckung führen können. Das heißt, es wird ja immer so diskutiert, dass es stärker an den Rezeptor bindet und dadurch weniger Viren reichen für eine Infektion. Und der zweite wichtigere Faktor ist, dass das Virus, wenn es den Menschen länger krank macht, länger krank hält, länger ausgeschieden wird und dadurch die Wahrscheinlichkeit steigt, dass mehr Menschen angesteckt werden. Die Dauer der Ansteckungsfähigkeit verlängert sich. Die zwei Mechanismen – das ist sozusagen lehrbuchhaft von vielen vorausgesagt worden – die passieren jetzt und da werden wir nichts dagegen machen können. Das ist der Lauf der Dinge. Und es passiert noch – davon in gewisser Weise unabhängig – eine zweite Anpassungsbewegung. Und die ist eher beunruhigend. Es ist nämlich so, dass das Virus auch darauf reagiert, dass zunehmend Menschen immun dagegen sind, entweder durch durchgemachte

Infektionen oder demnächst durch Impfung. Und da passt es sich in der Weise an, dass es dieser Immunantwort entkommt. Wir nennen das Imun-Escape, quasi ein Entkommen von der Immunantwort. Das ist in gewisser Weise ein davon unabhängiger Prozess. Und die Variante in Brasilien ist ja deshalb so beunruhigend, weil die einerseits diese Veränderung, diese Mutation hat, die wir schon bei der B1.1.7 aus dem Vereinigten Königreich besprochen haben, diese sogenannte N 501 Y-Mutation, die offensichtlich zu erhöhter Kontangosität führt. Sie hat aber zweitens im gleichen Virus – zumindest einige Isolate haben das – die neue Variante, die heißt E484K. Die haben ja auch schon mal besprochen. Und das führt wahrscheinlich zu einem Imun-Escape, das heißt dazu, dass die gleichen Menschen, die schon mal die Krankheit durchgemacht haben, noch einmal infiziert werden können mit dieser Mutation. Und wenn eine Variante beides hat, sie ist leichter übertragbar und kann eventuell auch Leute infizieren, die immun sein sollten durch Impfung oder durch Erkrankungen. Das gibt der Pandemie dann eine neue Dynamik, weil der Grundsatz gilt: Falls es so sein sollte – das ist ja noch nicht klar –, würde der Grundsatz nicht mehr gelten: Wenn du geimpft bist, bist du sicher. Und wenn du es einmal durchgemacht, dann kriegst du es erstmal nicht noch mal. Und diese Tendenz haben wir bei der brasilianischen Variante vor dem Auge. Und es gibt Hinweise, die da zur Vorsicht mahnen.

Camillo Schumann:Und wie die Impfstoffe darauf reagieren können, wollen wir gleich im weiteren Verlauf des Podcasts noch mal besprechen, weil das wirklich ein sehr wichtiger Punkt ist. Zu Re-Infektionen gab es bisher nur vereinzelte Meldungen. Und ich habe auch mal das RKI angefragt, ob in den Gesamtneuinfektionszahlen

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möglicherweise Re-Infektionen mit dabei sind, oder ob die separat erhoben werden. Und da wurde mir gesagt, dass Re-Infektionen nicht meldepflichtig sind. Wenn ein solcher Fall aufträte, würde er als neuer Fall übermittelt. Das RKI geht aber davon aus, dass solche weltweit seltenen Ereignisse auch dem RKI bekannt würden. Bisher sind Re-Infektionen noch kein großes Thema.

Alexander Kekulé:Ich kann Ihnen nur sagen, dass ich in dem Fall – wenn ich das so höre, muss ich da ein bisschen vorsichtig sein – mündlich von zwei verschiedenen Leitern von Gesundheitsämtern die Informationen bekommen habe, dass sie in ihrem Bereich – und normalerweise sind bei uns die Leiter von Gesundheitsämtern für ihren Bezirk doch gut informiert. Es ja ein Vorteil, dass wir diese ungefähr 400 regionalen kleinen Zellen haben – unabhängig voneinander gesagt haben, sie sahen im Herbst Leute, die Stein und Bein schwören, sie hatten im Frühjahr schon mal Covid. Die sind zum Teil sogar positiv getestet worden, und sie kommen wieder mit einer Covid-Erkrankung. Das ist aber leider mündlich, und das Robert-Koch-Institut hat da sicher bessere Daten. Ich schildere mal, was in Brasilien gerade los ist: Wir haben im Norden und Nordosten Brasiliens die Situation, dass die längst diese 60 Prozent durchgemacht haben, wo man langsam Richtung Herden-Immunität denken muss. Und da ist die Infektionswelle zurückgegangen. Und wir haben alle gesagt, es liegt an der Herdenimmunität, z.B. da im Bundesstaat Amazonas ist es riesengroß oder in Bahia da im Norden. Wer sich ein bisschen auskennt, weiter Nordwesten, Pernambuco und Rio Grande do Norte. Und diese Regionen da oben, die medizinisch schlecht versorgt sind, wo wir auch bei Zika schon das

Problem haben, da ist es so, dass sie so eine Art zweite Welle haben.

Und ausgerechnet dort kommen die Mutanten her, die dieses E484K haben, diese eine Mutation an der Stelle, wo auch der Rezeptor von dem Virus gebunden wird und wo wir wissen, das ist leider auch in Experimenten schon gezeigt worden, dass diese (Mutante) wohl zu einem Imun-Escape führt. Dass da die neutralisierenden Antikörper, die man gebildet hat nach der Infektion mit dieser kleinen Variante dieses Proteins vom Virus plötzlich nicht mehr richtig binden. Das kann man sich so vorstellen: Das Virus kommt ja quasi an den Rezeptor, an den es sich gerade andocken will, aber da hängt dieser blöde Antikörper dran. Und deshalb kommt es nicht an den Rezeptor. So ändert es die Stelle, wo sich der Antikörper bindet. Und damit kannst du den quasi abschütteln und doch wieder an die Zelle andocken. Und auch bei einem immunen Menschen, der schon Antikörper im Blut hat oder sonst wo auf der Schleimhaut hat, kann das zu einer Infektion führen. Und deshalb mendelt sich so eine Mutante immer nur raus, wenn eine Population zum großen Teil schon die Infektion durchgemacht hat. Und dass wir diese Mutante gerade in Brasilien sehen – und ich bin sicher, genau die gleichen oder sehr ähnliche werden, z.B. in Indien, in den großen Zentren, wo wir auch wissen, dass die Durchseuchung hoch ist – vorhanden sind, aber nicht nachgewiesen worden sind. Das ist für mich ein Zeichen dafür, dass dieses Virus dabei ist auszubüchsen und zwar schneller, als wir das von den anderen Coronaviren kennen. Bei den anderen hat es ein, zwei Jahre gedauert, und hier scheint es so zu sein, dass – wie lange läuft die Pandemie – Na ja, gut, wir haben sie bald ein Jahr. Aber es ist schon fast planmäßig. Da verändert sich das Virus so, dass man Corona zweimal kriegen kann? Zumindest wenn ich in

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Brasilien wäre, würde ich davon ausgehen – falls jemand da gerade seinen Urlaub geplant hat von unseren Hörern – gehen Sie davon aus, selbst wenn sie Covid schon hatten in Deutschland, können Sie sich in Brasilien mit der Variante, die dort zirkuliert, demnächst auch ein zweites Mal infizieren. Übrigens wird die Zweitinfektion tendenziell leichter von dem, was wir wissen, nicht schwerer, und hoffentlich gibt es weniger Todesfälle. Darüber haben wir noch keine Zahlen.

Camillo Schumann: Genau das wollte ich gerade fragen. Die entscheidende Frage ist ja auch, mit welcher Härte die Zweitinfektion zuschlägt. Und die zweite große Frage: Wirken die Impfstoffe von Biontech und Moderna auch gegen diese Mutation? Dazu hat sich Lothar Wieler, der Präsident des RKI, heute auch geäußert:

„Wenn Varianten auftreten sollten, gegen die dieser Impfstoff, z.B. Biontech- oder Moderna -Impfstoff nicht mehr so gut wirken sollte, sind die Firmen in der Lage, in wenigen Wochen angepasste Impfstoffe zu produzieren. Das ist ein genialer, innovativer Fortschritt. Das ist einer der weiteren wirklich großartigen Erfolge dieses mRNA-Impfstoffes. Sie können den Bauplan recht rasch ändern. Die Zulassung lässt es zu, dass diese neun Impfstoffe mit diesem geänderten Bauplan in kurzer Zeit auch wieder eingesetzt werden können.“

Camillo Schumann:Das Virus ist zwar clever, wir sind aber auch clever.

Alexander Kekulé:Was Herr Wieler da angesprochen hat, ist die sogenannte Mock-up-Zulassung. Es ist ja so, dass wir hier im EU-Verfahren die sogenannte Notfallzulassung oder Emergency Procedure haben im Moment. Das kann ich nur noch mal betonen: Wir

haben es hier zu tun mit der Emergency Procedure der EU. Und da sind für Impfstoffe, die gegen Pandemien sind, zwei verschiedene Verfahren vorrangig. Es gibt noch eine dritte Methode, aber die zwei sind wichtig. Das eine ist das, was hier bei Moderna und bei Biontech gemacht wurde. Das ist das Rolling-Review-Verfahren, dass man quasi die Daten frühzeitig einreicht und eine vorläufige Zulassung erteilt wird und man einige Daten nachreichen kann. Und dass zweite ist dieses sogenannte Mock-up-Verfahren. Das funktioniert so, dass man eine Zulassung bekommt gegen ein bestimmtes Virus, einen Typ eines Virus. Das hat man für Influenza mal erfunden, wo man ja nicht genau wusste, wird die nächste Pandemie von H5N1 oder von einer anderen HN-Kombination ausgelöst. Aber man wollte trotzdem die Zulassung beschleunigen. Da hat man gesagt, ihr dürft gegen ein bestimmtes Virus die Zulassung beantragen, alle Phase-3-Studien machen, alles komplett bei uns auf den Tisch legen. Und wenn das Influenzavirus nicht z.B. H5N1 ist, was die nächste Pandemie macht, sondern H5N4, gilt die Zulassung trotzdem dafür. Ihr dürft diese Kleinigkeit in Anführungszeichen ändern, um gegen die Virus-Variante den Impfstoff umzubauen. Und der ist trotzdem sofort zugelassen, das ist Mock-up. Und ich nehme an, das hat Herr Wieler angesprochen. Und es gibt schon Gespräche zwischen den Herstellern und Brüssel, dass man für den Fall, dass es zu dieser Verschiebung kommt, dass man was ändern muss, man so eine Mock-up-Zulassung kriegt. Das wird sicherlich relativ flugs passieren. Und ja, es ist richtig, man kann innerhalb von acht Wochen diese RNA-Impfstoffe umstellen. Trotzdem haben wir Probleme: Wir haben ja Produktionsengpässe, Lieferengpässe und v.a. zum Teil nicht so viel bestellt, dass wir gleich morgen alle durchimpfen können, und die Logistik

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hängt auch noch hintendran. Das heißt, es dauert, ohne dass dies ein Vorwurf ist. Ist eben so. Da wird auch viel zu viel mit Kritik und Dreck geworfen, dass man sagt, Mensch, es geht so langsam. Man soll froh sein, dass wir überhaupt so viele geimpft haben. Das fängt ja auch an. Trotzdem gibt es ja Berechnungen, bis wir hier in Deutschland so halbwegs alle durchgeimpft haben, dass das ein epidemiologischen Effekt hat und nicht nur die Risikogruppen halbwegs schützt, wird es auf jeden Fall Sommer oder Herbst. Vor diesem Hintergrund muss man sagen: In dieser Zeit verändert sich das Virus. Und da sollte man eine neue Produktion auflegen mit einem geänderten Impfstoff. Das wird dieses Jahr nicht mehr funktionieren. Wegen der Produktionskapazitäten im Labor haben die den ruckzuck aber Produktionskapazität. Selbst wenn die Zulassung schnell sein sollte, funktioniert das nicht. Und sie müssen ja immer erst einmal testen, wenn Sie eine Virus-Variante haben. Jetzt haben wir alle international auf dem Radar diese E484K-Variation, die in Brasilien aufgetaucht ist und übrigens schon bei einigen Reisenden in Japan identifiziert wurde. Und wenn wir das auf dem Radar haben, stellen Sie sich vor, man würde den Impfstoff ändern. Dafür müssen sie auch erst einmal ausprobieren, ob der wirkt. Gerade wenn es vorher nicht so richtig funktioniert hat, müssen sie einen Wirkungsnachweis erbringen. Sie können das nicht nur im Labor herstellen. Das wären die sechs bis acht Wochen. Und dann sagen Sie, jetzt stelle ich mal schnell paar Milliarden her, sondern sie müssen schon ausprobieren, ob das auch schützt. Vielleicht nicht mehr an 40.000, sondern nur an 3.000 oder 5.000 Probanden, aber da ist schon ein gewisser Vorlauf notwendig. Und deshalb sehe ich das doch mit Bedenken.

Und das andere, was man im Auge haben muss, ist Folgendes: Was wir hier sehen, ist, dass Menschen, die auf natürlichem Weg infiziert wurden, selbst die sind offensichtlich nicht geschützt vor Re-Infektion, zumindest in Einzelfällen. Und da muss man die Frage stellen – da sind ja viele Antikörper gebildet, die so einen Impfstoff nicht hervorruft, weil der Impfstoff ja nur dieses S-Protein generiert, dieses Spike-Protein von dem Virus und so ein Viruspartikel ist für den Organismus und das Immunsystem ein viel stärkerer Stimulus – hat man eine Immunität nur auf der Schleimhaut, oder hat man eine Immunität woanders im Körper? Das sind ja unterschiedliche Antikörper. Und da würde ich nicht extrapolieren und sagen, da ändert man mal ein paar Aminosäuren, sozusagen in diesem künstlichen Impfstoff und dann wird es schon funktionieren. So einfach wird es nicht gehen.

46:56Camillo Schumann:Sollten sich Menschen, die Sars-CoV-2-Infektion durchgemacht haben, auch impfen lassen? Das ist eine Frage, die unsere Hörer umtreibt. Sehr viele E-Mails und Anrufe bekommen wir dazu. Die Ständige Impfkommission Stiko, die sagt deutlich erst mal nein. In ihrer aktualisierten Empfehlung zur Impfung schreibt sie:

„Die Stiko kann auf Basis der aktuell vorliegenden Evidenz noch keine endgültige Aussage machen. Nach überwiegender Expertenmeinung sollten Personen, die mit Sars-CoV-2 infiziert waren, sich zunächst nicht impfen lassen, da eine gewisse Schutzwirkung durch eine Sars-CoV-2-Infektion anzunehmen ist. Und diese Impfdosen sollten für Nicht-Infizierte Person verwendet werden.“

Die Stiko geht auf Nummer sicher. Wenn ich Ihnen so zuhöre, würde ich eher die Tendenz haben, Menschen,

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die das vielleicht im Frühjahr oder im Sommer schon durchgemacht haben, sollten sich vielleicht doch impfen lassen?

Alexander Kekulé:Nein, weil der Impfstoff auf der Basis des Virus aus der ersten Welle generiert worden ist. Dieser Prototyp, der da verwendet wurde, war ein amerikanisches Isolat. Und aus diesem Prototyp hat zumindest Biontech seinen Impfstoff generiert. Bei Moderna weiß ich es nicht genau, ob die das öffentlich gemacht haben. Aber Biontech hat das kürzlich genau gesagt, aus welchem Isolat sie diesen Impfstoff hergestellt haben, in dem Sinn, dass man geguckt hat, wie sieht dort das Protein aus. Und da hat man das quasi 1:1 nachgebaut in eine RNA, die genau dieses Protein generiert. Mit der kleinen Besonderheit, dieses Protein hat zwei verschiedene Rezeptoren. Wir nennen das Konfigurationen. Das sieht anders aus. Bevor es angedockt ist an den Rezeptor, schnappt dieses Protein quasi zu. Und diese Änderung der Form des Proteins, die will man nicht haben. Man will quasi den noch nicht zugeschnappten Rezeptor, dieses noch nicht zugeschnappte Spike-Protein haben. Und dafür haben die gesorgt, dass genau das generiert wird. Aber das Virus, das die Blaupause dafür war, das war ein Satz der ersten Welle. Und da muss man sagen, wer eine Infektion hatte in der ersten Welle, der hat mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit – da gab es noch nicht so viele Varianten – ein sehr ähnliches oder genau dieses Virus abbekommen. Und deshalb kann ich nicht empfehlen – die Stiko sagt das letztlich richtig –, dass sich jemand, der die Infektion durchgemacht hatte, also viel breiter aufgestellt ist mit Antikörpern, mit spezifischen T-Zellen, mit Sorten von Antikörpern, die auch auf der Schleimhaut existieren, dass der sich impfen lässt. Es wäre Unsinn, da soll man die Impfdosis lieber jemand anders geben. Interessant fand ich,

dass die Stiko ein bisschen geschlingert ist. Einerseits sagen sie, wir geben keine Empfehlung, und dann sagen sie „nach mehrheitlicher wissenschaftlicher Meinung“, so als wäre das jemand anders als die Stiko. Das hat mich ein bisschen gewundert. Da wurde lange diskutiert, wie man das formulieren soll. Aber es ist trivial. Wenn Sie die Krankheit durchgemacht haben, haben Sie sozusagen nicht nur einen Gürtel, sondern da haben sie den Gürtel und die Hosenträger und die Hose auch noch mit dem Tacker irgendwo festgenagelt. Und in diesem Bild wäre die Impfung halt nur ein Hosenträger. Sie haben, wenn sie die Infektion durchgemacht haben, sind sie auf jeden Fall um Klassen besser geschützt als mit dem Impfstoff alleine. Und deshalb halte ich es für völligen Unsinn, Leute zu impfen, die die Infektion durchgemacht haben. Abgesehen davon: Die Phase-3-Studien und Phase-2-Studien wurden ja alle gemacht mit Leuten, die alle zum allergrößten Teil noch nie Kontakt mit dem Virus hatten. Aufgrund der Epidemiologie kann man das schätzen, und deshalb wissen wir gar nicht, wie das mit den Nebenwirkungen aussieht. Bei Leuten, die schon mal das Virus erlebt haben, vielleicht sind da die allergischen Reaktionen häufiger oder Ähnliches. Und deshalb würde ich es nicht darauf ankommen lassen.

Camillo Schumann:Aber möglicherweise die Update-Impfung vielleicht für Menschen, die sich schon mal infiziert hatten. Wenn die Unternehmen reagiert haben auf die Mutation, dass man sich diesen Schuss auch noch gibt? Wer auf Nummer sicher gehen will? Oder wäre das ein bisschen übertrieben?

Alexander Kekulé:Das ist sehr in die Zukunft blickend. Aber ich würde mal sagen, wenn wir unseren Podcast vom 14.01.2022

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aufnehmen, könnte es sein, dass genau diese Frage im Raum steht. Aber das ist genau richtig gedacht. Wenn man sozusagen einen RNA-Impfstoffe Version 2.0 hat, kann es sein, dass jemand, der mit dem Virus 1.0 infiziert war, davon profitiert. Genau, das ist richtig.

Camillo Schumann:Und irgendwann wird dann die Re-Infektionen. möglicherweise auch separat erhoben. Das wäre doch auch mal interessant, wie viel von den 25.000 sich neu infiziert haben und wieder infiziert haben, oder?

Alexander Kekulé:Unter den vielen Dingen, ich meine den Lagebericht vom RKI von heute oder von gestern, da ist schon interessant, was da erhoben wurde und was nicht. Und es fehlen so wahnsinnig viele Daten. Wo man sich fragt, wieso wird das nicht übermittelt? Wieso stochern wir da so im Dunkeln rum? Wir können ja auch gerne über ein paar Einzelheiten nachher noch sprechen. Und die Re-Infektionen? Ja, das wäre etwas, was man dringend übermitteln müsste. Das kann ja nicht sein, dass Leiter vom Gesundheitsamt den Eindruck haben, da seien Leute, die hätten sich reinfiziert, und das RKI nichts davon weiß.

Camillo Schumann:Ja gut, aber dann soll das Gesundheitsamt diese Informationen auch dem RKI melden, die sind ja in der Bringschuld. Das RKI fährt ja nicht hin und sagt: Hier gibt es mehr.

Alexander Kekulé:Nein, das müssen Sie anders sehen. Dieser Prozess ist zum großen Teil automatisiert. Das sind so Webseiten, wo man das eingibt. Es wird immer davon geredet, dass es noch einzelne gebe, die Faxe schicken. Aber letztlich sind es die Ausnahmen. Ja, das ist eine Webseite, wo man was eingeben

muss und was da einzugeben ist, das gibt schon das RKI vor, und die müssen sagen, was sie haben wollen. Und wenn im aktuellen Bericht z.B. der Satz drin steht: „Seit Herbst 2020 können zu den Einrichtungen auch differenziertere Angaben erfasst werden.“ Zu den Einrichtungen da ist z.B. Schulen gemeint oder Ausbrüchen in Altersheim oder auch Ausbrüche im Krankenhaus. Seit Herbst können die auch in differenziertere Angaben erfasst werden, z.B., ob sie es um eine Schule oder eine Kita gehandelt hat, z.B. ob sie es um im Krankenhaus oder in der Arztpraxis gehandelt hat, das ist doch nun wirklich ein Riesenunterschied und wahnsinnig wichtig. Und es wird bis heute nicht einmal erfasst, ob es eine Grundschule oder eine weiterführende Schule ist. Und all diese Dinge, die gibt das RKI vor, das RKI macht seine Wunschliste und schimpft völlig zu Recht, dass viele es nicht ausfüllen. Die Prozente, sind gruselig. Die Anteile, die da bekanntgegeben haben, was z.B. in den Einrichtungen stattfindet oder nicht, sind gering. Und nur 60 Prozent geben überhaupt an, welche klinischen Merkmale die Patienten hatten usw. Und diejenigen, die genauer angeben, wie viel Prozent bei ihnen z.B. in der Kita waren, sind noch weniger. Aber dass das RKI das erst seit Herbst 2020 überhaupt abfragt, wo wir uns seit einem Jahr damit beschäftigen, finde ich erklärungsbedürftig.

Camillo Schumann:Auf der anderen Seite hat Herr Wieler auch gesagt, dass die Gesundheitsämter über fünf unterschiedliche Software-Typen verfügen und teilweise die Softwareunternehmen nicht die Fragen übernommen haben, die das RKI vorgibt. Und somit sind die Informationen, die gemeldet werden an das RKI immer löchrig.

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Alexander Kekulé:Das RKI ist ja nur eine obere Bundesbehörde. Zuständig ist der Bundesgesundheitsminister in diesem Geschäftsbereich. Und wenn der jedesmal, wenn irgendwo in seiner Behörde einer was verbaselt hat, sagen würde: Naja, die haben das da unten nicht hingekriegt. Ich bin da dran, dass da mal was passieren soll. Das ist nicht so üblich. Irgendjemand muss da schon die Verantwortung tragen. Dafür sitzt er ja oben. Und ich finde nicht, dass man nach einem Jahr noch sagen kann: Ja, da sind die Daten nicht da, und die Softwarehersteller haben nicht geliefert usw. Das kann man ja mal ein paar Wochen lang machen. Aber wie gesagt, wir schreiben das Jahr 2021. Demnächst ist Jahr zwei der Pandemie, und da würde ich schon erwarten, dass das irgendwann mal durchgestellt ist. Und da kann man das nicht auf irgendwelche Zulieferer schieben.

Camillo Schumann:So, jetzt haben wir wieder fast eine Stunde gesprochen und noch so viele Themen vor der Brust. Meine Redaktion schaut immer kritisch auf uns und sagt, macht nicht so lang, und das geht doch nicht, dem hört doch keiner mehr zu. Ich würde Kraft meiner Wassersuppe sagen: Die machen wir noch, weil das sehr interessante Themen sind. Thema FFP2-Masken: Im Frühjahr gab es kein Klopapier. Und jetzt gibt es keine FFP-2 Masken mehr, mancherorts zumindest. Bayern hat ja am Montag das Tragen einer FFP2-Maske im ÖPNV und in Geschäften zur Pflicht zu machen. Manche Bundesländer denken auch darüber nach und vorsorglich decken sich offenbar viele Menschen mit FFP2-Masken ein. Sie haben ja immer dafür plädiert, dass sich v.a. Risikogruppen mit diesen Masken schützen sollen. Ist es möglicherweise gerade mit Blick auf die infektiöse Virus-Mutation nicht auch eine gute Idee, dass man weg

von den selbstgehäkelten hin zu den FFP2-Masken kommt?

Alexander Kekulé:Das ist genau der Trugschluss. Gut, dass Sie das so formulieren. Das ist genau falsch. Weil dieses Virus ein bisschen infektiöser ist, brauchen wir keine anderen Masken. Aber es ist so, weil das auch durch die normale Maske genauso abgehalten wird. Da ist kein Unterschied. Klar, der Virologe freut sich da. Ich würde ja auch nichts anderes anziehen, wenn ich einem Patienten gegenüber wäre, wo ich weiß, der hat Covid-19. Und ich finde auch FFP2-Masken für jedermann, z.B. im Flugzeug, im Zug, wenn man da länger sitzt bei einer Bahnfahrt, vollkommen richtig. Ich finde auch wenn man das beobachtet: In der letzten Zeit das hängt mit dem Berufsverkehr zusammen. Da ist es ja so, dass der öffentliche Nahverkehr voll ist. Wir haben in Berlin wieder volle U-Bahnen wie eh und je. Und in so einer Situation, wo man vielleicht auch mal länger in der U-Bahn ist, ist das sicher sinnvoll zu sagen, die Leute sollen FFP-2-Maseken anziehen. Aber da muss man auch wissen, wie, und man muss sie richtig aufsetzen. Und die Bedienung einer FFP-2-Maske – da komme ich fast wieder zurück zum Anfang unseres Podcasts – ist ja nicht ohne. Wenn man die irgendwie so halbschräg ins Gesicht setzt, nützt das genauso wenig wie eine schräg sitzende selbstgehäkelte Maske.

Camillo Schumann:So ist es. Eine Hörerin sieht das genauso. Und sie hat uns angerufen und die schildert mal, wie man so eine FFP2-Maske richtig trägt:

„Wenn ich eine FFP2-Maske auspacken, sollte ich zuerst den Knick, der ja bei der Lieferung in der Maske ist, komplett begradigen, dann die Maske aufsetzen und mit zwei Fingern oder mit mehreren Fingern die Nase sorgfältig anpassen und

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dabei auch die die Ohren schon einspannen. Und kann ich erst den Sitz der Maske an der Nase richtig regulieren. Auch sehr kluge Menschen in meinem Umfeld haben dies bisher leider versäumt. Darum wollte ich es gern verbreiten.“

Camillo Schumann:Das hat sie doch gut gemacht, oder?

Alexander Kekulé:Das hat sie hervorragend gemacht, ich habe ich fast nichts hinzuzufügen. Das Wichtigste ist: Wenn man ausatmet mit einer FFP2-Maske, bläst es meistens zwischen Nase und Wangen nach oben raus. Das können Brillenträger im Winter daran sehen, dass ihre Brille beschlägt oder daran sehen, dass sie nichts sehen. Und es ist so, dass dieses Rausblasen da oben bei so einer starren Maske, die eher wie eine Kappe ist, leider auch dazu führt, dass man an der gleichen Stelle auch die Luft einatmet, weil das ja anders als so ein Stofflappen ist und sich nicht ans Gesicht anpasst. Deshalb ist es extrem wichtig, genau das zu machen, was die Hörerin da gesagt hat. Und man muss eine Dichtigkeitsprüfung machen. Da werde ich aber doch noch ein bisschen gemein: Es gibt ja auch männliche Hörer mit Vollbart. Das geht gar nicht. Im Krankenhaus heißt die Vorschrift. Ich weiß, es gibt immer Riesen-Ärger im Krankenhaus, als die Vorschrift kam: Hast du Vollbart, musst du abrasieren, wenn man eine FFP2-Maske aufsetzen soll oder FFP3, weil die beim Bart nicht dicht schließen. Gut, das gilt für Personal, was wirklich beruflich exponiert ist. So eine Situation hat man in der U-Bahn nicht. Aber ich will es nur dazu sagen: So ein Ding ist nur dicht, wenn man es richtig aufsetzt. Das heißt, ich würde davor warnen zu glauben, habe ich eine FFP2-Maske im Gesicht, ist alles gut, kann mir gar nichts passieren. Die ist nur gut, wenn man sie richtig konsequent dicht auf hat. Und da

kann ich nur sagen ohne Ausatem-Ventil. Und das sind ja die, die üblicherweise erhältlich sind. Ich würde mal sagen, zwei Stunden sind schon echt lang. Viel länger hält man das nicht aus mit so einer Maske. Und gerade wenn man irgendwie vielleicht gerade eine Erkältung hinter sich hatte oder nicht so gut auf der Lunge ist oder so was, ist man ohne Ausatem-Ventil das schlecht dran. Die Ausatem-Ventile sind ja komplett verpönt, obwohl an einem normalen Nase-Mundschutz, seitlich genauso viel vorbeigeht. Und wenn die FFP2-Maske Pflicht ist, kann ich nur sagen, das begrenzt die Einsatzzeit eines Einkäufers doch merklich. Das ist schon eine neue Stufe für so einen Laien, mit der Maske zu arbeiten. Da werde ich noch ein Letztes los, was völlig unwissenschaftlich ist. Mein Eindruck ist viele haben ihre Maske auch lieben gelernt. Die haben die ja zum Teil selber genäht. Wir haben ja diese Kampagne damals gestartet gegen die Empfehlungen von RKI und Bundesgesundheitsministerium. Das war ja auch eine Revolution, dass diese Maske überhaupt eingeführt wurde, die Volksmaske. Und jetzt heißt es, die müssten alle wegschmeißen und die hässlichen Papierdinger nehmen, da weiß ich nicht, ob das so gut ankommen wird.

Camillo Schumann:Aber nichtsdestotrotz ist es effektiver.

Alexander Kekulé:Natürlich ist es effektiver. Es ist eine weitere Sicherheitsmaßnahme, wenn man das konsequent macht. Wir haben das ja für Risikogruppen schon immer empfohlen, und ich habe ja auch immer dazu gesagt, es sollen auch diejenigen machen, die – aus welchen Gründen auch immer – vorsichtig sind. Es gibt ja auch andere. Jeder verhält sich anders. Der eine sagt, Mensch, so ein Restrisiko nehme ich in Kauf.

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Vielleicht, weil mein persönliches Risikoprofil nicht so entsprechend ist. Und der andere sagt, nö, ich bin zwar erst 50, aber ich will trotzdem auf Nummer sicher gehen. Und für die war die FFP2-Maske schon immer eine Option. Es ist mehr Sicherheit an dieser besonderen Stelle. Aber diese Stelle ist nicht unsere offene Tür gewesen. Die offenen Türen sind woanders. Und darum wird hier nachgeschärft mit der Begründung, dass das Virus infektiöser geworden ist, aber das hat nicht allererste Priorität. Ich bin für diese FFP2-Masken in geschlossenen Räumen im öffentlichen Bereich. Da ist es sicherlich sinnvoll als zusätzliche Sicherheitsmaßnahme.

Camillo Schumann:Weil Sie gesagt haben, der Bart muss ab, wenn man eine FFP2-Maske trägt. Aber die Barbiere und Frisöre, die sind ja zu. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer wirbt dafür, Friseure und Kosmetiker im Februar wieder öffnen zu lassen. In diesen Fällen kann er sich eine Pflicht zum Tragen von FFP2-Masken vorstellen. Was sagen Sie dazu?

Alexander Kekulé:Da hat er zu 100 Prozent Recht. Das ist vollkommen richtig. Und ich kenne auch, ehrlich gesagt, im professionellen Bereich fast nur Leute, die da eine FFP2 im Gesicht haben. Ich gehe sogar so weit, wenn ich jemanden vor mir habe, der mir die Haare schneiden soll oder Ähnliches und er hat keine FFP-2 auf, wo man face-to-face ist und der andere hat in der Regel nur einen OP-Mundschutz auf, die muss man auch zwischendurch vielleicht mal abnehmenden. Deshalb ist klar, dass es das Richtige ist. Und v.a. finde ich, das ist ein guter Ansatz, denn das ist ein intelligentes Beispiel, wo man sagt: Wie ist die Situation? Wie kann ich die Situation spezifisch absichern und trotzdem irgendwie dafür sorgen, dass der Betrieb weiterläuft? Und ich kann nur dafür plädieren,

dass man so eine Smart-Strategie, so eine intelligente Strategie, überlegt. Die muss man eher verfolgen, als so generell alles zuzudrehen.

Camillo Schumann:Damit kommen wir zu den Hörerfragen. Diese Dame hat angerufen und eine Impf-Frage:„Ich würde mich gerne impfen lassen, bin 76, habe aber schon einmal einen anaphylaktischen Schock auf ein Medikament gehabt. Und ich habe gehört, dass so Leute wie ich, die also genauso reagieren, also viele Allergien haben, sich nicht impfen lassen sollten, weil es da 4 Fälle weltweit gegeben haben soll. Das ist natürlich wenig, aber ich habe da trotzdem meine Bedenken und wollte mal fragen, was ich da machen soll.“

Alexander Kekulé:Mit 76 Jahren ist es sinnvoll, sich impfen zu lassen. Natürlich würde man vielleicht bei der Vorgeschichte dafür sorgen, dass die Impfung wirklich von einem Arzt gemacht wird, der auch reagieren könnte, falls es zu einer stärkeren Reaktion kommt. Ich würde vielleicht auch empfehlen, eine halbe Stunde danach dort zu bleiben, statt der sonst empfohlenen 15 Minuten. Aber man muss das mal so sehen: Die Zahl dieser besonders allergischen Reaktionen bis hin zu anaphylaktischen Schocks, das kann man an zwei Händen abzählen. Und in den USA sind ja inzwischen Millionen von Menschen geimpft worden. Ich gehe davon aus, dass das extrem selten ist. Und man kriegt es auch als Arzt in den Griff, falls es dazu kommen sollte.

Camillo Schumann:Damit sind wir am Ende von Ausgabe 138. Wir wollen mal wieder eine interessante Meldung im Zusammenhang mit Corona zum Besten geben. Wir hatten unsere Hörer ja mal aufgerufen, sich einen Namen für diese Rubrik zu

Page 20:  · Web viewder offenen Türen ist, dass wir die Bereiche Büros, wirtschaftliche Tätigkeit im weitesten Sinn nicht wirklich geregelt haben. Es gibt viele Regelungen von Gaststätten,

überlegen, in der wir Meldung präsentieren, über die man auch mal schmunzeln kann. Viele Hörer haben uns geschrieben. Besten Dank an dieser Stelle! Und wir haben uns auf einen Rubriknamen geeinigt. Wollen sie den zum Besten geben?1:05:35Alexander Kekulé:Ja, das, was wir am lustigsten fanden, ist der „Coronald der Woche“. Der „Coronald“ hat uns spontan alle beide umgehauen, wahrscheinlich weil wir in unserer Kindheit Donald Duck gelesen haben. An irgendwas muss es gelegen haben.

Camillo Schumann:Vermutlich.

Alexander Kekulé:Und den vergeben wir jetzt in unregelmäßigen Abständen. Ich hätte allerdings schon eine lange Liste, dass wir praktisch jede Woche schon was vergeben dürfen. Aber vielleicht können die Hörer sich ja auch Vorschläge machen, was ihrer Meinung nach besonders abwegig ist bei den Anti-Corona-Maßnahmen.

Camillo Schumann:Leider wurde der Name „Coronald der Woche“ anonym eingesandt. Aber vielen Dank an dieser Stelle. Und der „Coronald der Woche“ kommt aus Sachsen. „Nächste Woche öffnen ja die Abschlussklassen wieder die Schulen in Sachsen. Vorgesehen sind Corona-Schnelltests. Das ist sehr gut. Kultusminister Piwarz hat gesagt die Tests sollen sicherstellen, dass nach der langen Zeit des Lockdowns nur gesunde Personen die Schulen besuchen.“ Und wird es spannend: „Diese Tests finden aber nur an 100 ausgewählten Schulen statt, und dorthin sollen die Jugendlichen mit ihren Lehrern im Bus fahren. Die Anreise soll mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder selbst organisiert erfolgen, hieß es aus dem Kultusministerium.“

Alexander Kekulé:Na gut, scheinbar sind diejenigen, die diese Regelung da aufs Papier gebracht haben, haben sich sehr viele Gedanken gemacht und waren offensichtlich der Meinung, dass man sich im Bus nicht infizieren kann. Und das will man an hundert Schulen testen in Sachsen, dass an den anderen Schulen auch nichts passieren kann. Das ist ja klar, wenn man die eigene Schule testet, dass bei anderen Land alles in Ordnung sein wird. Das sind so geniale Gedanken, dass wir der Meinung sind, dafür vergeben wird den „Coronald für diese Woche“.

Camillo Schumann:Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns am Samstag wieder zu einem Hörerfragen SPEZIAL.

Alexander Kekulé: Sehr gerne, bis dann, Herr Schumann.

Camillo Schumann: Sie haben auch eine Frage, dann schreiben Sie uns an [email protected] oder rufen Sie uns auch an, kostenlos unter 0800 300 22 00. Kekulés Corona-Kompass als ausführlicher Podcast auf mdraktuell.de, in der ARD-Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.Wer das ein oder andere Thema noch einmal vertiefen will, alle wichtigen Links zur Sendung und alle Folgen als Textversion zum Nachlesen unter jeder Folge auf mdraktuell.de.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“