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Ueber das FeMen des Stromes in unversehrten ruhenden Muskeln. 1. 2. 3. . 5. 39 Im unversehrten ruhenden Frosche sind die Muskeln stromlos. Bei der gewiihnlichen Priiparation der Muskeln wirken eine hnzahl sch~dlicher Einfitisse auf ihre hSchst empfindliche Oberfiiiche, welche Striime entwickeln; durch geeignete Vor- sichtsmassregeln lassen sich diese Schiidlichkeiten fast ganz vermeiden. Im Winterschlafzustande sind die Muskeln des Frosches gegen geringftlgige Sch~dlichkeiten weniger empfindlich ())in- dolent((). An den unversehrten Muskeln anderer Thiere, sowie an unversehrten Nerven, ist bisher kein Strom nachgewiesen und kein Grund zu dessert Annahme. Atle electromotorischen Erscheinungen an unerregten Muskeln und Nerven lassen sich ableiten aus einer Electricit~ttser- regung zwischen lebendem und absterbendem RiJhreninhalt, wobei der letztere negativ wird. II. Versuche iiber de~ Verlauf der Stromentwicklnng beim Absterben. Ffir die Erkenntniss der ni~heren physicalischen Ursache der Stromentwicklung beim Contact lebender und absterbender Muskel- substanz ist das Studium des zeitlichen Verlaufs dieser Stroment- wicklung w~ihrend des Absterbeprocesses das erste Efforderniss. Der Anfang zu diesen Versuchen findet sich bereits im zweiten Hefte meiner Untersuchungen (p. 6 ft.). Es wurde das in indifferente Fliissigkeit eingetauchte Sehnenende oder auch die Aequatorgegend eines Muskels mit der Fltlssigkeit allmiihlich erw~rmt, wiihrend yon einem nicht eingetauchten Muskelpuncte und yon der Flfissigkeit zum Multiplicator abgeleitet wurde, dessen Nadel vor dem Beginn des Erw~irmens durch Compensation auf Null gebracht war. Es ergab sich dabei, dass yon etwa 30 o ab das eingetauchte Muskel- stiick sich gegen das nicht eingetauchte positiv verhiilt, dass aber bei 39--40 o eine starke Negativitiit des eingetauchten Stiickes eintritt. Dieser Versuch ist yon du Bois-Reymond ~) und yon J. Worm Mfiller ~) wiederholt worden, welche beide ebenfalls vor dem Eintritt der Negativiti~t des eingetauchten Endes dasselbe po- sitiv werden sahen (du B o is-R eym o n d zwar nicht regelm/issig, 1) Monatsberich~e der Berliner Academie 1867. p. 636 if. 2) Yersuche fiber die Einflfisse der W~rme etc. auf die elec~romolori- schen Kr~fte der Muskeln und Nerven. 11 Stn. Wfirzburg, S~ahel, 1868.

Weitere Untersuchungen über die Ursache der electromotorischen Erscheinungen an Muskeln und Nerven

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Ueber das FeMen des Stromes in unversehrten ruhenden Muskeln.

1. 2.

3.

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5 .

39

Im unversehrten ruhenden Frosche sind die Muskeln stromlos. Bei der gewiihnlichen Priiparation der Muskeln wirken eine hnzahl sch~dlicher Einfitisse auf ihre hSchst empfindliche Oberfiiiche, welche Striime entwickeln; durch geeignete Vor- sichtsmassregeln lassen sich diese Schiidlichkeiten fast ganz vermeiden. Im Winterschlafzustande sind die Muskeln des Frosches gegen geringftlgige Sch~dlichkeiten weniger empfindlich ())in- dolent((). An den unversehrten Muskeln anderer Thiere, sowie an unversehrten Nerven, i s t bisher kein Strom nachgewiesen und kein Grund zu dessert Annahme. Atle electromotorischen Erscheinungen an unerregten Muskeln und Nerven lassen sich ableiten aus einer Electricit~ttser- regung zwischen lebendem und absterbendem RiJhreninhalt, wobei der letztere negativ wird.

II. Versuche iiber de~ Verlauf der Stromentwicklnng beim Absterben.

Ffir die Erkenntniss der ni~heren physicalischen Ursache der Stromentwicklung beim Contact lebender und absterbender Muskel- substanz ist das Studium des zeitlichen Verlaufs dieser Stroment- wicklung w~ihrend des Absterbeprocesses das erste Efforderniss. Der Anfang zu diesen Versuchen findet sich bereits im zweiten Hefte meiner Untersuchungen (p. 6 ft.). Es wurde das in indifferente Fliissigkeit eingetauchte Sehnenende oder auch die Aequatorgegend eines Muskels mit der Fltlssigkeit allmiihlich erw~rmt, wiihrend yon einem nicht eingetauchten Muskelpuncte und yon der Flfissigkeit zum Multiplicator abgeleitet wurde, dessen Nadel vor dem Beginn des Erw~irmens durch Compensation auf Null gebracht war. Es ergab sich dabei, dass yon etwa 30 o ab das eingetauchte Muskel- stiick sich gegen das nicht eingetauchte positiv verhiilt, dass aber bei 39--40 o eine starke Negativitiit des eingetauchten Stiickes eintritt.

Dieser Versuch ist yon du B o i s - R e y m o n d ~) und yon J. W o r m Mfi l l e r ~) wiederholt worden, welche beide ebenfalls vor dem Eintritt der Negativiti~t des eingetauchten Endes dasselbe po- sitiv werden sahen (du B o is-R eym o n d zwar nicht regelm/issig,

1) Monatsberich~e der Berliner Academie 1867. p. 636 if. 2) Yersuche fiber die Einflfisse der W~rme etc. auf die elec~romolori-

schen Kr~fte der Muskeln und Nerven. 11 Stn. Wfirzburg, S~ahel, 1868.

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aber doch oft). Diese Positivitiit hatte ich fiir ein thermoelectrisches Phiinomen erkl~trt, erstens weil sie auch an starren Muskeln ein- tritt, zweitens weil man sie durch iiusserst langsames Erwarmen ganz vermeiden kann. du B o i s - R e y m o n d , der die Positivitat nicht welter experimentell verfolgt hat, giebt die M~iglichkeit, dass sie theilweise thermischen Ursprungs sei, zu, behauptet aber ausser- dem eine Einmischung der hbnahme der ))Parelectronomie(( am- obern (nicht eingetauchten) sehnigen Muskelende. Dass d u Bois- R eym on d die Positivitiit des eingetauchten Endes nicht immer be- obachtet hat, riihrt wahrscheinlich daher, dass er zuweilen sehr langsam erwiirmte; dass sie in solchen F~llen ausbleiben kann, hatte ich selbst bereits angegeben. - - W o r m Mfi l ler ' s Angaben aber stehen mit den meinigen insofern in directem Widerspruch, als er die Positivit~t des erw~rmten Endes an starren Muskeln ))nur ausnahmsweise und undeutlich(( gefunden haben will (p. 7) und sie daher fiir eine Lebenserscheinung erkliirt (p. 9).

Ichhabenun die betreffenden Versuche im Laufe des letzten Jahres haufig wiederholt, muss aber durchaus bei meinen frtiheren Angaben ste- hen bleiben. Die Positivitiit des erwarmten Endes, welche iibrigens auch unter Unst~nden, bei welchen eine ))Parelectronomie(~ des nicht ein- getauchten Muskelrestes ausgeschlossen ist, regelmiissig eintritt, ist eine rein thermoelectrische Erscheinung, die bei starren und ge- kochten Muskeln ebenso eintritt, wie bei lebenden. Wodurch W or m Mii l le r get~uscht worden ist, kann ich nicht angeben.

Um nun den Zeitpunkt, bei welchem die Negativit~t eintritt, genauer bestimmen zu kiJnnen, musste die thermoelectrische Posi- tivit~t mSglichst ausgeschlossen werden; das schon friiher yon mir gefundene Verfahren, die Verlangsamung des Erw~irmens, ist hierzu zu unsicher. Ich habe start idessen folgendes einfache Verfahren eingeschlagen: Anstatt die eine'!ilThonspitze in die Fliissigkeit ein- zutauchen, habe ich sie mit einem indifferenten Leiter yon iihnlicher Beschaffenheit wie der zu untersuchende Muskel, welcher neben diesem in die Fltissigkeit eintauchte, in Beriihrung gebracht. Ich w~hlte hierzu nach einigem Hin- und Herprobiren das Niichstlie- gende, niimlich einen gekochten Muskel desselben Thieres, und zwar den gleichnamigen des andern Beins. Es werden also beispielsweise beide Sartorien priiparirt, der eine gckocht, darauf beide (nach du B o i s - R e y m o n d's Vorgange mittels Knochenpincetten) neben ein- ander so aufgehiingt, dass die unteren Enden etwa gleich tief in die

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Versuche fiber den u der S~romentwicklung beim Absterben. 41

0,7procentige Kochsalzlfsung eintauchen, in welche ausserdem die Kugel eines Thermometers versenkt ist.

Erst spiit gelangte ich dazu, dem Versuche diejenige Form zu geben, bei welcher man vor allen Stfrungen gesichert ist. Zu- niichst muss man vermeiden, die Thonstiefelelectroden in die Nahe einer starken W~rmequelle, einer Flamme oder eines geheizten Wasserbades zu bringen. Ungleiche Temperatur der beiden die Zinkbleche enthaltenden Riihren verursacht n~imlich die m~chtigsten thermoelectrischen Erscheinungen ; stets geht der Strom vom k~Iteren zum w~rmeren Zuleitungsrohr (in der Bou~sole vomwiirmeren zum kiilteren), mit andern Worten die electromotorische Kraft zwischen Zink und Zinkvitriol wird durch Erwiirmuug vermindert 1). Schon das A n l e g e n de r Hand an das eine Zuleitungsrohr geniigt, um eine starke Ablenkung hervorzubringen, ja selbst am Multiplieator yon 16000 W. die Nadel fast an die Hemmung zu treiben.

Ich schalte daher zwischen Muskel und Zuleitungsrohr ein Zwischenrohr yon 20 Cm. Liinge und ca. 5 Mm. Durchmesser (im Lichten) ein, welches am einen Ende mit einem Thonstiefel verschlossen und mit verdtinnter Kochsalzliisung geftillt wird, und in dessen an- deres Ende erst der Thonstiefel des Zinkzuleitungsrohres eintaucht.

Endlich ist, um die Flamme ganz aus der N~he des Strom- kreises zu verbannen, die Erwi~rmung der Fltlssigkeit durch D a m p f sehr zu empfehlen, welche ausserdem noch andere wesentliche Vor- thefle hat, besonders die Gleichm~ssigkeit des Temperaturwachs- thums in der ganzen Fltissigkeit, welche durch die eintretenden Dampfblasen in bestiindiger Bewegung erhalten wird. Die Dampf- entwicklung geschieht aus einer entfernt aufgestellten Kochfiasche (fiirjeden Versuch, zur u des Stossens, mit neuem Wasser zu beschicken), die Zuleitung durch einen langen, weiten Kautschuk- schlauch, der in ein Glasrohr endigt; fiber der Kochfiasche hat die Leitung ein Seitenrohr, welches dem Dampf freien Abfiuss gestattet, und unter Wasser getaucht wird, wenn die Heizung der u fitissigkeit beginnen soll.

Dies Versuchsverfahren gestattet nun eine unvergleichlich grfssere Sch~rfe und Sicherheit der Beobachtung, als ohne die er- w~thnten Vorsichtsmaassregeln mfglich ist. Eine besonders angestellte

1) Dies ist bereits angegeben yon L i n d i g , Untersuchungen fiber die

Abiinderung der electromotorisehen Kr~Re 4urch die W~rme. P o g g e n: d o r f f ' s Ann. Bd. CXXIII. 1--30.

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Reihe yon Controllversuchen') ergab, dass noch ein kleiner Rest yon thermoelectrischen StSrungen, allerdings yon verschwindender Kleinheit bestehen bleibt, welcher an meiner Boussole husschl~ige yon etwa 10--20 Scalentheilen bewirken kann. Ausschl~ige bis zu dieser GrSsse bei einem Versuch gestatten also keine Schltisse; bei jedem andern Verfahren ist man aber selbst bis zu Ausschl~gen yon 100 und mehr Scalentheilen nicht sicher, ob sie nicht thermi- schen Ursprungs sind.

Zun~ichst wurde nun mit diesem Verfahren nochmals der Gang der Stromentwicklung bei der W~irmestarre untersucht. Von zwei Sartorien wird der eine w~rmestarr gemacht oder gekocht, was fiir den Versuch gleichgiiltig ist; der andere wird am Aequator umge- klappt, und die beiden Enden mit kiinstlichen Querschnitten ver- sehen (das untere durch Aetzung mit BSllenstein), um die yon d u B o is- R e y m o n d angedeutete MSglichkeit ganz auszuschliessen, und hierauf beide Muskeln mittels der gut befestigten Knoehenpin- cetten i(s. oben) neben einander aufgeh~ingt, der lebende mittels seiner beiden Querschnittsenden. Die unteren Enden beider Mus- keln (beim zusammengeklappten lebenden der Aequator) tauchen in das Gefiiss mit 0,TprocentigerKochsalzliisung, in welches die HeizrShre des im Sieden begriffenen Dampfapparates, aus welcher die Luft zuvor durch kurzes Durchstreichen von Dampf verdrangt ist, bis auf den Boden eingesenkt wird. Das Zusammenklappen des lebenden Muskels hat den Vortheil, dass er erstens hierdurch gleich fang und gleich dick wird mit dem andern, der durch die Erw~irmung sich ungefithr um die HMfte verkiirzt, und zweitens, dass die Ein- wirkung der Wiirme auf die Aequatorgegend einen reineren Versuch darstellt, als wenn das eingetauchte Ende kiinstliehen Querschnitt besiisse. Mit den oberen Enden beider Muskeln werden dann die Thonspitzen der ZwischenrShren, mit den letzteren die Thonspitzen der ZinkrShren in Bertihrung gebracht, und nun der jetzt vorhan- dene im lebenden Muskel absteigende Strom compensirt. Jetzt liisst man den Dampf in die KochsalzlSsung eintreten, in dem Masse, dass die Temperatur der Flttssigkeit nicht zu schnell steigt. Zwischen

1) Diese bestanden in der Anwendung zweier gekochter Muskeln, oder zweier mit geronnenem Eiweiss gefiillter GlasrShren, oder endlich zweier mit verdiinnter KochsalzlSsung geffillter RShren, welzhe, oben mit ThonpfrSpfen verschlossen, pneumatisch umgestiirzt waren; im Uebrigen waren die Ver- suchsbedingungen unver~ndert.

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Versuche fiber den Verlauf der Stromentwicklung ceim Absterben. 43

den Muskeln taucht in die letztere die miiglichst kleine Kugel eines Thermometers.

Der Versuch ergiebt regelm~ssig folgendes Resultat: Bis zu 400 treten nur verschwindend kleine Schwankungen yon unregel- miissiger Richtung aufi G e n a u be i 40 0 , and g e n a u in d e m M o m e n t e , in w e l c h e m d a s e i n g e t a u c h t e A e q u a t o r e n d e s i c h t b a r e r s t a r r t , d. h. sich verdickt und durch seine starre Beschaffenheit die beiden H~lften des Muskels auseinanderdr~ngt (so dass dieser nun ein gleichschenkliges Dreieck bildet, dessen Basis die erstarrte Aequatorialgegend darstellt), e n t w i e k e l t s ich e in im l e b e n d e n M u s k e l a u f s t e : i g e n d e r St rom.

Die a b s t e r b e n d e M u s k e l s u b s t a n z e r l a n g t a l so i h r e N e g a t i v i t i i t g e g e n d ie l e b e n d e s o w e i t n a c h w e i s b a r e r s t in d e m M o m e n t e de r m i t V e r k f i r z u n g v e r b u u d e n e n Er- s t a r run g. "M0glieh, dass schon vorher Spuren derselben vorhanden sind; jedenfalls sind sie mit unsern Mitteln nicht nachweisbar, und yon verschwindender Kleinheit gegeniiber der m~chtigen im Augen- bliek der Coagulation auftretendenl). E i n e a n d e r e a ls d i e b e s p r o c h e n e e l e e t r o m o t o r i s c h e W i r k u n g , eine (nicht ther- moelectrische) Positivit~t der erwiirmten Substanz im Sinne W o r m- Mf i l l e r ' s e x i s t i r t n i c h t .

Beziiglich des obigen Versuches bemerke ich noch der Voll- st~ndigkeit halber, dass nur dann die Stromentwicklung erst fiber 40 ~ selbst bis zu 45 o eintritt, wenn man dickere Muskeln als der Sartorius anwendet, und die Temperatur schnell steigen l~sst. Na- tiirlich handelt es sich hier nur um T~uschungen, indem die Tempe- tatar der Fltissigkeit sieh nicht sehnell genug der ganzen Masse des eingetauchten Stiickes mittheilen kann, und der Strom der i~usseren Fasern durch die noeh stromlosen inneren eine sehr wirk- same Nebenschliessung erh~lt. Umgekehrt kommt es bei hnwen- dung sehr dicker Thermometerkugeln vor, dass scheinbar sehon etwas unter 40 0 der Strom auftritt, was leicht zu erklaren ist. Ohne das Thermometer zu betrachten, kann man dutch aufmerk-

1) Ffir die Moleeulartheorie lehren natiirlich diese Versuehe niehts wesentlich Neues, w~hrend sie ffir meine Deutung der thierisehen EleetrieR~t ein nothwendiger Schritt sind. Im Sinne der Moleeulartheorie bedeutet das Resultat nur, dass die Wirksamkeit der electromotorisehen Molekeln genau im Augenblick des Erstarrens aufhfrt, was du B o i s - R e y m o n d schon aus anderen Erfahrungen (Stromlosigkeit starter Muskeln) geschlossen hat.

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same Beobachtung des eingetauchten Muskelendes genau den Zeit' punct angeben, in welchem der Spiegel seine Wanderung im Sinne des Muskelstroms beginnt; namentlich der umgeklappte Sartorius ge- stattet sehr genau das Erstarren am Aequator zu beobachten 1).

Die Entwicklung der Negativiti~t in der erstarrenden Substanz verh~lt sich also annahernd oder ganz wie die Entwicklung der W~rme in derselben. Letztere fiillt nach Fi ck und Dybko w sk y2) ganz und gar, nach S c h i f f e r 8) zum beiweitem griissten Theile mit der endgiiltigen mit Verktirzung verbuadenen Erstarrung des Mus- kels zusammen. Ob wirklich den der Erstarrung vorhergehenden chemischen Processen schon ein Antheil der W~rmebildung, und (was oben noch often gelassen ist) der Negativit~itsentwicklung (sit venia verbo!) zuzuschreiben sei, diirfte, abgesehen yon experimen- tellen Schwierigkeiten, schon deshalb schwer zu entscheiden sein, weil in dem~ einem starrmachenden Einfiusse ausgesetzten Muskel sicher eine Anzahl Fasern der Hauptmasse immer voraneilen; man bedenke nur, dass die W~rmestarre nur eine beschleunigte Zeit- starre ist, dass auch Temperaturen yon 20--40 o die Starre beschleu- nigen, und dass daher Fasern, die irgendwelcher Sch~dlichkeit halber der Erstarrung n~iher geriickt sind, durch eine gewisse Temperatur unter 40 o dieselbe momentane Erstarrung erleiden werden, wie in- facto Fasern bei 40 ~ Deshalb ist es, wenn wirklich Spuren der Erw~trmung resp. der Negativit~tsentwicklung bei irgend einer Tem- peratur unter 40 0 mit Sicherheit beobachtet warden, immer zweifel- haft, ob dieselben (was ich far nicht unwahrscheinlich halte) den Vorstadien der Erstarrung in allen Fasern, oder einzelaen schon erstarrenden Fasern zuzuschreiben seien.

Abgesehen yon ihrer theoretischen Bedeutung, hat diese Frage ein gewisses Interesse ffir die Erkl~rung der sog. schwachen Liings- schnittsstrSme. Ausser der yon d u B o i s - R e y m o n d aufgestellten Erkl~rung dieses Ph~nomens, n~imlich als einer Folge der partiellen hbgleichung des Liingsquerschnittsstromes in der an der Oberfi~che des Muskels vorhandenen abgestorbenen oder wenigstens schw~cher

1) Dass du B o i s - R e y m o n d erst bei 43 0 spurweise, bei 45 0 m•chtig den Strom sich entwickeln sah (a. a. O. p. 640), erkl~rt sich hSchst wahr- scheinlich durch den bel ibm meist vorhanden gewesenen thermoelectrischen Gegenstrom, welcher zuvor zu iiberwinden war.

2) Vierteljahrsschrift der naturf. Ges. in Ziirich. 1867.

3) Archly f. Anat. u. 1)hysiol. 1868. p. 442--464.

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Versuehe fiber den Verlauf der Stromentwieklung beim hbsterben. 45

wirksamen Faserlage, habe ich noch eine andere als miiglich hin- gestellt, n~mlich die, dass die vom Querschnitt in das Innere der Faser sich iblgenden, in verschiedenen Stadien des Absterbens be- griffenen Schichten gleichsam zwischen der ~tussersten erstarrenden und dem intacten Innern eine electrische Spannungsreihe darstellen, indem jede sich gegen die niichstinnere negativ, gegen die niichst- ~ussere positiv verh~lt '). Wenn sich die Negativit~t erst bei der eigentlichen mit Verkfirzung verbundenen Erstarrung entwickeln sollte, so w~re diese Erkl~rung der schwachen L~ngsschnittsstrSme nicht zul~ssig, und man miisste bei der d u B o i s- R e y m o n d 'schen stehen bleiben, oder annehmen, dass auch am kfinstlichen Quer- schnitt eine Anzahl Fasern in der Erstarrung den iibrigen voran- eilen, ihre Demarcationsfi~che zwischen lebendem und abgestorbenem Inhalt also tiefer in den Muskel hinein liegt; auch so wfirde sich eine hbstufung der Negativit~tt am Liingsschnitt ergeben. Ueber alle diese Mtiglichkeiten wird aber erst zu entscheiden sein, wenn die oben angeregte Hauptfrage mit Htllfe sch~irferer Methoden er= ledigt sein wird.

Fiir die Wiirmebildung beim Erstarren (und bei der Blutge- rinnung) ist bekanntlich schon wiederholentlich (zuerst yon A. W a l t h e r in Kiew) die Frage discutirt worden, ob dieselbe nicht vonder Ver~inderung des Aggregatzustandes herriihre; diese Frage muss, wenn ich nicht irre, noch als eiiae offene betrachtet werden; denn wenn wirklich vor der eigentlichen Erstarrung eine geringe Warmebildung festgestellt w~re (vgh oben), so spriiche dies noch immer nicht gegen jene MSglichkeit, da schon vor der Contraction des Myosingerinnsels eine gelatinSse husscheidung des Myosins statt- findet (Ktthne; vgl. auch meine Untersuchungen fiber den Stoff- wechsel der Muskeln etc. Berlin 1867. p. 74 f.). Eine ~hnliche Frage nun lasst sich vielleicht gir die Negativit~tsentwicklung in dem erstarrenden Muskelinhalt und im absterbenden Blute (s. den folgenden Theil dieser hrbeit) aufwerfen, und ich bin mit Versuchen in dieser Richtung schon seit l~ngerer Zeit beschiiftigt.

(Fortsetzung folgt.)

1) Untersuchungen. 3. Heft. p. 83 f.

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48 E r n s t G e i n i t z :

N a e h t r a g zu d e r S e i t e 15 b i s 4 5 d i e s e s H e f t e s m i t g e t h e i l t e n U n t e r s u c h u n g .

u Professor L u d i m a r H e r m a n n in Ziirich.

Nachdem der Druck der in der Ueberschrift genannten Unter- suchung bereits vollendet war, ist eine denselben Gegenstand be- treffende lange hbhandlung von Herrn J a c o b Wo r m - M i i l l e r aus Christiania erschienen (,,Experimentelle Beitr~ige auf dem Gebiete der thierischen Electricit~it", in den ,,Untersuchungen aus dem phy- siologischen Laboratorium in Wtirzburg", 4. Heft, herausgegeben yon Dr. R i c h a r d Gsche id len . Leipzig 1869. Seite 147--262). Damit man nicht annehme, ich kiinne vielleicht durch dies unterdess hinzugekommene Novum hinsichtlich irgend eines Punctes meiner hrbeit anderer Ansicht geworden sein, erkliire ich, dass dies in keinem Puncte der Fall ist. Private Griinde, fiir deren Mittheilung mir der Raum einer wissenschaftlichen Zeitschrift zu kostbar er- scheint, machen es mir unmSglich, mich mit dem genannten Herrn in eine Controverse einzulassen. Sachlich ist dieselbe zum Gliiek iiberfliissig, da alle zur Widerlegung und Abweisung desselben, so- welt er Neues und Verst~tndliches bringt, erforderlichen Daten in meiner letzten Arbeit und in den frtiheren bereits enthalten sind.

Zi|rich, den 27. November 1869.

Ueber die E i n w i r k u n g der Blaus~ure a u f die ro then Blutk6rperchen .

Von

] E r n s t G e l n l t z ~ stud. med.

(Aus dem physiologisehen Institute der Universit~it Jena)

Itierzu Tar. I a.

Es ist eine bekannte aber noch unerkl~trte Thatsaehe, dass das Blut der Amphibien nach Blaus~turevergiftungen eigentham]ich hellroth wird. Diese Hellfitrbung kann bedingt sein dutch eine ehemische Einwirkung der Cyanverbindungen auf den rothen Blut- farbstoff oder durch solche Gestaltver~tnderungen der rothen Blut- ktirperehen, dass die lichtreflectirende Oberfl~tche derselben vergrtis- sert wird oder dutch beide Momente zugleieh. Ein anderer Erkl~t-