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+ Abgezeichnet von: Abgezeichnet von: WELT am SONNTAG | 23 29. NOVEMBER 2009 NR. 48 Von Anette Dowideit _______________________________ Sybille Fuld kann ihre Familie manchmal nerven. Zum Beispiel im Supermarkt. „Ich sage meinen El- tern immer, sie sollen weniger Fleisch kaufen“, sagt sie. Die 17-Jäh- rige aus Bad Homburg bemüht sich, klimafreundlich zu leben: Zur Schu- le fährt sie mit dem Fahrrad, sie schreibt auf Recyclingpapier. Doch wir wollten herausfinden, wie umweltfreundlich Sybille wirk- lich ist und wo ihre Klimasünden sind. Für „Kinderleicht“ machte die Schülerin den Praxistest: Kann man als Mensch leben, ohne der Er- de zu schaden? Das Ergebnis: Ohne den Ausstoß des Treibhausgases Kohlendioxid (CO 2 ), geht es nicht. Aber jeder kann viel dafür tun, das Klima zu schonen. Ein Bundesbürger erzeugt einer Studie des Umweltbundesamts zu- folge durchschnittlich knapp elf Tonnen CO 2 im Jahr, das sind 11 000 Kilogramm. Davon entfallen vier Tonnen auf den Konsum, also vor allem Essen und Kleidung. Für wei- tere 2,5 Tonnen sorgt jeder von uns dadurch, dass wir Auto fahren oder mit dem Flugzeug fliegen. Dabei lassen sich durch bewussten Kon- sum allein die vier Tonnen auf zwei oder gar 1,5 Tonnen reduzieren. Elektronik und Internet In Sybilles Zimmer steht neben dem Bett eine Musikanlage, auf dem Schreibtisch liegt das Handy. „Ein altes Modell, das früher mei- nem Opa gehört hat“, sagt sie verle- gen. Für die Umwelt ist das gut. Bleibt ein Handy länger als nur ein oder zwei Jahre im Einsatz, fallen weniger Treibhausgase bei der Pro- duktion neuer Geräte an. Ein weite- res Plus: Das Handy hat keine Strom fressenden Extrafunktionen wie Kamera oder MP3-Spieler. Der Computer hängt an einer Mehrfachsteckdose, die sie aus- schaltet, wenn der PC aus ist. Die Musikanlage dagegen läuft immer auf Stand-by-Betrieb. „Wenn ich den Stecker ziehen würde, wären alle Radiosender gelöscht“, erklärt sie. Ein Elektrogerät nicht richtig auszuschalten verbraucht aber viel Strom. Bei einer Hi-Fi-Anlage kos- tet das zum Beispiel 30 Euro pro Jahr. Ein Pluspunkt für Sybille ist, dass der Computer einen Flach- bildschirm hat. Dieser braucht et- wa drei Viertel weniger Strom als ein Röhrenbildschirm. Was Sybille überrascht: Sogar beim Surfen im Internet kann man das Klima schonen. Eine Suchan- frage im Netz verbraucht so viel Strom wie eine Energiesparlampe, die eine Stunde leuchtet. Doch wer anstatt Google die Seite Forestle (http://de.forestle.org/) oder Znout (http://de.znout.org/index.php) be- nutzt, macht seine Suchanfrage CO 2 -neutral oder schützt sogar den Regenwald. Das funktioniert, weil die Betreiber ihren Gewinn auch für den Klimaschutz verwenden. Sybille hat sich Forestle nun als Startseite für ihren Internet- browser eingerichtet. Jacob Bilabel von der Berliner Klimaschutzinitia- tive Thema 1 sagt, noch viel mehr Strom als bei einer Suchanfrage wird verbraucht, wenn wir uns ei- nen YouTube-Film ansehen. „Das heißt aber nicht, dass man deshalb nie mehr auf YouTube gehen darf.“ Mehr bringe es, zu Hause auf einen Ökostromanbieter umstellen. Klamotten und Shopping Jeans und T-Shirt trägt unsere Test- schülerin am liebsten. Sie legt nur wenig Wert darauf, immer die neu- este Mode zu haben. „Ich ziehe auch oft Sachen von meiner älteren Schwester an, das stört mich nicht.“ Damit liegt sie aus Klimasicht ge- nau richtig. Im Durchschnitt 40 Prozent der persönlichen Klima- bilanz hängen vom Konsum ab, also zum Beispiel vom Klamottenkauf. Die Daumenregel: Modemarken, die auf Schnelllebigkeit setzen und mindestens viermal pro Jahr eine neue Kollektion auf den Markt bringen, sind in der Regel nicht auf Klimaschutz ausgelegt. Besser für die Umwelt ist es, seltener Klei- dung zu kaufen und dafür hochwer- tige, die lange hält. Klimacoach Bi- label empfiehlt Marken, die beson- ders auf CO 2 -arme Herstellung ach- ten. Dazu gehören Patagonia, Trigema oder der Versandhändler Otto. Möglichst meiden sollte man billige Produkte aus Plastik. Schädlich fürs Klima sind übri- gens auch Jeans – was Sybille er- schreckt, denn in ihrem Kleider- schrank hängen gleich sieben oder acht Paar. Der Grund ist, dass eine Jeans, bis sie im Laden oder Kauf- haus liegt, im Schnitt schon 50 000 Kilometer gereist ist. Die Baum- wolle wird in einem Land ange- baut, in einem anderen weiterver- arbeitet und gefärbt, in einem drit- ten dann endlich zur Hose zusam- mengenäht. Immerhin, sagt Sybille, seien ihre Jeans schon ein paar Jah- re alt und immer noch in ziemlich gutem Zustand. Ernährung Sybille ist Vegetarierin. Das ist gut fürs Klima, denn die Herstellung von Fleisch ist verantwortlich für fast drei Viertel aller Treibhausgase in der Landwirtschaft. Ein Kilo Fleisch verursacht zehn Mal so vie- le Gase wie ein Kilo Gemüse. Dis- kussionen gibt es in der Familie manchmal über die Tiefkühltruhe. Sybille selbst isst nie Tiefkühlpizza, sagt sie, ihr Vater und die Schwester schon. „Dabei verbraucht die Truhe viel Strom“, sagt Sybille. Beim Einkaufen achtet Familie Fuld darauf, nicht zu viel Obst und Gemüse aus weit entfernten Län- dern zu kaufen, zum Beispiel Man- gos oder Ananas, und sich so gut es geht jahreszeitengerecht zu ernäh- ren: „Ich würde zum Beispiel nicht im Juni Äpfel kaufen, weil die schon seit Monaten gelagert wurden. Stattdessen wachsen zu dieser Zeit bei uns ja die Erdbeeren“, sagt Sy- bille. Im Internet gibt es Tabellen, die zeigen, in welchen Monaten welches Obst und Gemüse wächst. Strom Eine große Überraschung wartet in Sachen Heizung auf Sybille. Sie schaltet sie in ihrem Zimmer immer vollständig aus, wenn sie ein paar Stunden nicht da sein sollte. „Das spart doch Strom, oder?“, fragt sie. Klimacoach Bilabel erklärt, dass genau das nicht stimmt. „Besser ist es, konstant auf einer Temperatur zu heizen, am besten auf Stufe 2 oder 3. Denn es verbraucht extrem viel Energie, einen ausgekühlten Raum wieder aufzuheizen.“ Ein anderer großer Stromfresser ist die Dusche. Klimaratgeber emp- fehlen, die Stoppuhr neben die Du- sche zu legen und nicht länger als fünf Minuten zu brausen. „So lange dusche ich eh nicht, da wäre ich doch schon aufgeweicht“, sagt Sy- bille und lacht. Ob sie sich vorstel- len kann, demnächst während des Einseifens den Hahn abzudrehen? „Ja, da denke ich mal drüber nach“, sagt sie zögerlich. Diese Mühe lohnt allerdings nicht wirklich. Denn von den 11 000 Kilogramm lie- ßen sich so gerade mal zehn sparen. Da bringt es mehr, sich einen Nied- rigdruck-Brausekopf einzubauen. Man selbst merkt den Unterschied kaum, pro Jahr werden aber 230 Ki- lo CO 2 eingespart. Beim Shampoo- kaufen will Sybille künftig zudem darauf achten, ein Produkt auszu- wählen, das sich schneller ausspü- len lässt. Denn 80 Prozent der CO 2 - Bilanz eines Duschgels gehen auf das Konto des Wasserverbrauchs. Haustiere Familie Fuld hat einen kleinen Ka- ter, Freddy. Er schleicht sich gern in Sybilles Zimmer und verkriecht sich hinter dem Bett. Dass er schlecht für die Umwelt sein könn- te, hätte Sybille nicht gedacht. Aber es stimmt. Ein neuseeländisches Ehepaar hat gerade ein Buch veröf- fentlicht („Time to Eat the Dog“), in dem erklärt wird, warum Haustiere dem Klima schaden. Durch das Fut- ter wird demnach so viel CO 2 frei- gesetzt wie bei einem Auto. Im Durchschnitt schadet eine Katze dem Klima so viel wie ein VW Golf. Was Sybille von der Idee hält, ih- ren Kater abzuschaffen? „Nichts!“, sagt sie entrüstet. Das Buch ist auch nicht ganz ernst gemeint. Es geht, wie in unserem Praxistest, nur da- rum, zum Nachdenken anzuregen. Sybille sieht das genauso: „Leuten ein schlechtes Gewissen einzure- den bringt gar nichts. Besser ist, ih- nen einfach zu zeigen, wie viel man selbst für das Klima tun kann.“ MP3-Spieler ja, aber bitte mit Sonnenenergie betrieben – so könnte die Zukunft aussehen, weiß die Schülerin Sybille Fuld aus Bad Homburg, die sich für „Klima kinderleicht“ einem Klima-Check unterzog Kann ein Jugendlicher dazu beitragen, die Erderwärmung zu bremsen? Ja, hat die 17-jährige Sybille gelernt CD KAUFEN ODER RUNTERLADEN? A Eindeutig das Herunter- laden aus dem Internet. Eine CD zu produzieren und in den Laden zu trans- portieren verursacht 80 Prozent mehr Kohlendioxid (CO 2 ) als ein Musikdown- load. Der sogenannte Fußabdruck einer CD liegt bei etwa einem Kilo CO 2 . Allerdings geht der Vorteil des Downloads verloren, wenn sich der Nutzer häu- fig neue MP3-Spieler oder Musikhandys kauft. Denn deren Produktion ver- ursacht auch CO 2 . FRISCHE MILCH ODER HALTBARE? A Wer neben einem Bau- ernhof wohnt, für den ist frische Milch die klima- freundlichere Alternative. Für alle anderen ist die haltbar gemachte Milch besser. Grund: die ständige Kühlung, die beim Trans- port frischer Milch nötig ist. Hinzu kommt, dass Frischmilchprodukte ra- scher verderben und daher öfter weggeworfen werden. Noch klimafreundlicher als H-Milch ist Sojamilch. und ihr Einsatz ist, da sie länger hält, auf Dauer billiger. Zweifler argumen- tieren, die Energiespar- lampen produziere im Gegensatz zu normalen Birnen beim Brennen keine Wärme, und diese fehlende Wärme müsse durch mehr Heizung ausgeglichen werden. Das Argument stimme aber nicht, erklärt Klimaexperte Jacob Bila- bel: „In der Heizung wird Wärme viel effizienter produziert als in der Glüh- birne. Sonst würde doch jeder seine Wohnung mit Glühbirnen heizen.“ gramm CO 2 . Verursacht wird es durch das Futter, das die Tiere fressen, den Transport und die Kühlung des Fleischs. In einem Hähnchenfilet stecken 0,4 Kilogramm CO 2 . Die Fleischproduktion ver- ursacht außerdem das Treibhausgas Methan. Bei der Verdauung der welt- weit 1,5 Milliarden Kühe entstehen fast acht Pro- zent aller Treibhausgase. GLÜHBIRNE ODER ENERGIESPARLAMPE? A Die herkömmliche Glühbirne erzeugt meist ein schöneres Licht. Doch eine Energiesparlampe verursacht nur knapp ein Drittel der Treibhausgase, PIZZA LIEFERN ODER TIEFKÜHLTRUHE? A Das Bestellen ist wahr- scheinlich besser. Denn erstens läuft beim Pizza- service den ganzen Tag der Ofen und muss nicht für jede Pizza neu angeheizt werden. Zweitens ist die Tiefkühltruhe einer der größten Stromverbraucher im Privathaushalt. Je weni- ger sie läuft, desto besser. Grundsätzlich gilt bei Tiefkühlkost: möglichst schnell aufbrauchen. RINDERSTEAK ODER HÄHNCHENFILET? A Hähnchen ist besser fürs Klima. In einem Rinder- steak stecken 4,8 Kilo- Der Direktvergleich: Was ist besser fürs Klima? TREIBHAUSEFFEKT: Warum es auf unserem Planeten wärmer werden wird Seite 24 WISSENSCHAFT: Der Streit der Klima-Experten Seite 24 KOPENHAGEN: Worum es im Dezember bei der großen Konfe- renz in Dänemark geht Seite 25 INTERVIEW: Jürgen Großmann, der Chef von RWE, im Gespräch mit Hamburger Schülern Seite 26 BILANZ: Wer gewinnt und wer verliert, wenn die Temperaturen weiter steigen Seite 28 GESCHICHTE: Wie ein Klimawandel dereinst die Kunst befördert hat Seite 28 EMISSIONSHANDEL: So funktioniert das Patentrezept des Kli- maschutzes Seite 29 ENERGIEN: Diese Techniken könnten uns retten Seite 30 8 Seiten Welt am Sonntag Klima kinder- leicht Zum Herunterladen: Die Texte dieses Spezials und alle bisherigen „Kinderleicht“-Ausgaben als PDF- Dokumente unter welt.de/kinderleicht Ausgezeichnet mit Herbert Quandt Medien-Preis, dem Ernst-Schneider-Preis und dem European Newspaper Award Sogeht klimafreundlich RAINER HOLZ

WELT amSONNTAG - familienunternehmen.de · Von Ulli Kulke _____ Als wäre es eine Meldung aus unseren Tagen: Was das Klima an-ging, schrieb das Nachrichtenmaga-zin „Der Spiegel“

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WELTamSONNTAG | 23 2 9 . N O V E M B E R 2 0 0 9 N R . 4 8

Von Anette Dowideit_ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _

Sybille Fuld kann ihre Familiemanchmal nerven. Zum Beispiel imSupermarkt. „Ich sage meinen El-tern immer, sie sollen wenigerFleisch kaufen“, sagt sie. Die 17-Jäh-rige aus Bad Homburg bemüht sich,klimafreundlich zu leben: Zur Schu-le fährt sie mit dem Fahrrad, sieschreibt auf Recyclingpapier.

Doch wir wollten herausfinden,wie umweltfreundlich Sybille wirk-lich ist und wo ihre Klimasündensind. Für „Kinderleicht“ machte dieSchülerin den Praxistest: Kannman als Mensch leben, ohne der Er-de zu schaden? Das Ergebnis: Ohneden Ausstoß des TreibhausgasesKohlendioxid (CO2), geht es nicht.Aber jeder kann viel dafür tun, dasKlima zu schonen.

Ein Bundesbürger erzeugt einerStudie des Umweltbundesamts zu-folge durchschnittlich knapp elfTonnen CO2 im Jahr, das sind 11 000Kilogramm. Davon entfallen vierTonnen auf den Konsum, also vorallem Essen und Kleidung. Für wei-tere 2,5 Tonnen sorgt jeder von unsdadurch, dass wir Auto fahren odermit dem Flugzeug fliegen. Dabeilassen sich durch bewussten Kon-sum allein die vier Tonnen auf zweioder gar 1,5 Tonnen reduzieren.

Elektronik und InternetIn Sybilles Zimmer steht nebendem Bett eine Musikanlage, aufdem Schreibtisch liegt das Handy.„Ein altes Modell, das früher mei-nem Opa gehört hat“, sagt sie verle-gen. Für die Umwelt ist das gut.Bleibt ein Handy länger als nur einoder zwei Jahre im Einsatz, fallenweniger Treibhausgase bei der Pro-duktion neuer Geräte an. Ein weite-res Plus: Das Handy hat keineStrom fressenden Extrafunktionenwie Kamera oder MP3-Spieler.

Der Computer hängt an einerMehrfachsteckdose, die sie aus-

schaltet, wenn der PC aus ist. DieMusikanlage dagegen läuft immerauf Stand-by-Betrieb. „Wenn ichden Stecker ziehen würde, wärenalle Radiosender gelöscht“, erklärtsie. Ein Elektrogerät nicht richtigauszuschalten verbraucht aber vielStrom. Bei einer Hi-Fi-Anlage kos-tet das zum Beispiel 30 Euro proJahr. Ein Pluspunkt für Sybille ist,dass der Computer einen Flach-bildschirm hat. Dieser braucht et-wa drei Viertel weniger Strom alsein Röhrenbildschirm.

Was Sybille überrascht: Sogarbeim Surfen im Internet kann mandas Klima schonen. Eine Suchan-frage im Netz verbraucht so vielStrom wie eine Energiesparlampe,die eine Stunde leuchtet. Doch weranstatt Google die Seite Forestle(http://de.forestle.org/) oder Znout(http://de.znout.org/index.php) be-nutzt, macht seine SuchanfrageCO2-neutral oder schützt sogar denRegenwald. Das funktioniert, weildie Betreiber ihren Gewinn auchfür den Klimaschutz verwenden.Sybille hat sich Forestle nun alsStartseite für ihren Internet-browser eingerichtet. Jacob Bilabelvon der Berliner Klimaschutzinitia-tive Thema 1 sagt, noch viel mehrStrom als bei einer Suchanfragewird verbraucht, wenn wir uns ei-nen YouTube-Film ansehen. „Dasheißt aber nicht, dass man deshalbnie mehr auf YouTube gehen darf.“Mehr bringe es, zu Hause auf einenÖkostromanbieter umstellen.

Klamotten und ShoppingJeans und T-Shirt trägt unsere Test-schülerin am liebsten. Sie legt nurwenig Wert darauf, immer die neu-este Mode zu haben. „Ich zieheauch oft Sachen von meiner älterenSchwester an, das stört mich nicht.“Damit liegt sie aus Klimasicht ge-nau richtig. Im Durchschnitt 40Prozent der persönlichen Klima-bilanz hängen vom Konsum ab, also

zum Beispiel vom Klamottenkauf.Die Daumenregel: Modemarken,die auf Schnelllebigkeit setzen undmindestens viermal pro Jahr eineneue Kollektion auf den Marktbringen, sind in der Regel nicht aufKlimaschutz ausgelegt. Besser fürdie Umwelt ist es, seltener Klei-dung zu kaufen und dafür hochwer-tige, die lange hält. Klimacoach Bi-label empfiehlt Marken, die beson-ders auf CO2-arme Herstellung ach-ten. Dazu gehören Patagonia,Trigema oder der VersandhändlerOtto. Möglichst meiden sollte manbillige Produkte aus Plastik.

Schädlich fürs Klima sind übri-gens auch Jeans – was Sybille er-schreckt, denn in ihrem Kleider-schrank hängen gleich sieben oder

acht Paar. Der Grund ist, dass eineJeans, bis sie im Laden oder Kauf-haus liegt, im Schnitt schon 50 000Kilometer gereist ist. Die Baum-wolle wird in einem Land ange-baut, in einem anderen weiterver-arbeitet und gefärbt, in einem drit-ten dann endlich zur Hose zusam-mengenäht. Immerhin, sagt Sybille,seien ihre Jeans schon ein paar Jah-re alt und immer noch in ziemlichgutem Zustand.

ErnährungSybille ist Vegetarierin. Das ist gutfürs Klima, denn die Herstellungvon Fleisch ist verantwortlich fürfast drei Viertel aller Treibhausgase

in der Landwirtschaft. Ein KiloFleisch verursacht zehn Mal so vie-le Gase wie ein Kilo Gemüse. Dis-kussionen gibt es in der Familiemanchmal über die Tiefkühltruhe.Sybille selbst isst nie Tiefkühlpizza,sagt sie, ihr Vater und die Schwesterschon. „Dabei verbraucht die Truheviel Strom“, sagt Sybille.

Beim Einkaufen achtet FamilieFuld darauf, nicht zu viel Obst undGemüse aus weit entfernten Län-dern zu kaufen, zum Beispiel Man-gos oder Ananas, und sich so gut esgeht jahreszeitengerecht zu ernäh-ren: „Ich würde zum Beispiel nichtim Juni Äpfel kaufen, weil die schonseit Monaten gelagert wurden.Stattdessen wachsen zu dieser Zeitbei uns ja die Erdbeeren“, sagt Sy-

bille. Im Internet gibt es Tabellen,die zeigen, in welchen Monatenwelches Obst und Gemüse wächst.

StromEine große Überraschung wartet inSachen Heizung auf Sybille. Sieschaltet sie in ihrem Zimmer immervollständig aus, wenn sie ein paarStunden nicht da sein sollte. „Dasspart doch Strom, oder?“, fragt sie.Klimacoach Bilabel erklärt, dassgenau das nicht stimmt. „Besser istes, konstant auf einer Temperaturzu heizen, am besten auf Stufe 2oder 3. Denn es verbraucht extremviel Energie, einen ausgekühltenRaum wieder aufzuheizen.“

Ein anderer großer Stromfresserist die Dusche. Klimaratgeber emp-fehlen, die Stoppuhr neben die Du-sche zu legen und nicht länger alsfünf Minuten zu brausen. „So langedusche ich eh nicht, da wäre ichdoch schon aufgeweicht“, sagt Sy-bille und lacht. Ob sie sich vorstel-len kann, demnächst während desEinseifens den Hahn abzudrehen?„Ja, da denke ich mal drüber nach“,sagt sie zögerlich. Diese Mühelohnt allerdings nicht wirklich.Denn von den 11 000 Kilogramm lie-ßen sich so gerade mal zehn sparen.Da bringt es mehr, sich einen Nied-rigdruck-Brausekopf einzubauen.Man selbst merkt den Unterschiedkaum, pro Jahr werden aber 230 Ki-lo CO2 eingespart. Beim Shampoo-kaufen will Sybille künftig zudemdarauf achten, ein Produkt auszu-wählen, das sich schneller ausspü-len lässt. Denn 80 Prozent der CO2-Bilanz eines Duschgels gehen aufdas Konto des Wasserverbrauchs.

HaustiereFamilie Fuld hat einen kleinen Ka-ter, Freddy. Er schleicht sich gern inSybilles Zimmer und verkriechtsich hinter dem Bett. Dass erschlecht für die Umwelt sein könn-te, hätte Sybille nicht gedacht. Aberes stimmt. Ein neuseeländischesEhepaar hat gerade ein Buch veröf-fentlicht („Time to Eat the Dog“), indem erklärt wird, warum Haustieredem Klima schaden. Durch das Fut-ter wird demnach so viel CO2 frei-gesetzt wie bei einem Auto. ImDurchschnitt schadet eine Katzedem Klima so viel wie ein VW Golf.

Was Sybille von der Idee hält, ih-ren Kater abzuschaffen? „Nichts!“,sagt sie entrüstet. Das Buch ist auchnicht ganz ernst gemeint. Es geht,wie in unserem Praxistest, nur da-rum, zum Nachdenken anzuregen.Sybille sieht das genauso: „Leutenein schlechtes Gewissen einzure-den bringt gar nichts. Besser ist, ih-nen einfach zu zeigen, wie viel manselbst für das Klima tun kann.“

MP3-Spieler ja, aber bitte mit Sonnenenergie betrieben – so könnte die Zukunft aussehen, weiß die Schülerin Sybille Fuld aus Bad Homburg, die sich für „Klima kinderleicht“ einem Klima-Check unterzog

Kann ein Jugendlicher dazu beitragen, die Erderwärmung zu bremsen? Ja, hat die 17-jährige Sybille gelernt

CD KAUFEN ODERRUNTERLADEN?A Eindeutig das Herunter-laden aus dem Internet.Eine CD zu produzierenund in den Laden zu trans-portieren verursacht 80Prozent mehr Kohlendioxid(CO2) als ein Musikdown-load. Der sogenannteFußabdruck einer CD liegtbei etwa einem Kilo CO2. Allerdings geht der Vorteildes Downloads verloren,wenn sich der Nutzer häu-fig neue MP3-Spieler oderMusikhandys kauft. Dennderen Produktion ver-ursacht auch CO2.

FRISCHE MILCH ODERHALTBARE?A Wer neben einem Bau-ernhof wohnt, für den istfrische Milch die klima-freundlichere Alternative.Für alle anderen ist diehaltbar gemachte Milchbesser. Grund: die ständigeKühlung, die beim Trans-port frischer Milch nötigist. Hinzu kommt, dassFrischmilchprodukte ra-scher verderben und daheröfter weggeworfen werden.Noch klimafreundlicher alsH-Milch ist Sojamilch.

und ihr Einsatz ist, da sielänger hält, auf Dauerbilliger. Zweifler argumen-tieren, die Energiespar-lampen produziere imGegensatz zu normalenBirnen beim Brennen keineWärme, und diese fehlendeWärme müsse durch mehrHeizung ausgeglichenwerden. Das Argument

stimme aber nicht, erklärtKlimaexperte Jacob Bila-bel: „In der Heizung wirdWärme viel effizienterproduziert als in der Glüh-birne. Sonst würde dochjeder seine Wohnung mitGlühbirnen heizen.“

gramm CO2. Verursachtwird es durch das Futter,das die Tiere fressen, denTransport und die Kühlungdes Fleischs. In einemHähnchenfilet stecken 0,4 Kilogramm CO2. DieFleischproduktion ver-ursacht außerdem dasTreibhausgas Methan. Beider Verdauung der welt-weit 1,5 Milliarden Küheentstehen fast acht Pro-zent aller Treibhausgase.

GLÜHBIRNE ODERENERGIESPARLAMPE?A Die herkömmlicheGlühbirne erzeugt meistein schöneres Licht. Docheine Energiesparlampeverursacht nur knapp einDrittel der Treibhausgase,

PIZZA LIEFERN ODERTIEFKÜHLTRUHE?A Das Bestellen ist wahr-scheinlich besser. Dennerstens läuft beim Pizza-service den ganzen Tag derOfen und muss nicht fürjede Pizza neu angeheiztwerden. Zweitens ist die

Tiefkühltruhe einer dergrößten Stromverbraucherim Privathaushalt. Je weni-ger sie läuft, desto besser.Grundsätzlich gilt beiTiefkühlkost: möglichstschnell aufbrauchen.

RINDERSTEAK ODERHÄHNCHENFILET?A Hähnchen ist besser fürsKlima. In einem Rinder-steak stecken 4,8 Kilo-

Der Direktvergleich: Was ist besser fürs Klima?

TREIBHAUSEFFEKT: Warumes auf unserem Planeten wärmerwerden wird Seite 24

WISSENSCHAFT: Der Streit derKlima-Experten Seite 24

KOPENHAGEN: Worum es imDezember bei der großen Konfe-renz in Dänemark geht Seite 25

INTERVIEW: Jürgen Großmann,der Chef von RWE, im Gesprächmit Hamburger Schülern Seite 26

BILANZ: Wer gewinnt und werverliert, wenn die Temperaturenweiter steigen Seite 28

GESCHICHTE: Wie ein Klimawandel dereinstdie Kunst befördert hat

Seite 28

EMISSIONSHANDEL:So funktioniert dasPatentrezept des Kli-maschutzes Seite 29

ENERGIEN: DieseTechniken könnten unsretten Seite 30

8 SeitenWelt amSonntagKlimakinder-leicht

Zum Herunterladen: Die Textedieses Spezials und alle bisherigen„Kinderleicht“-Ausgaben als PDF-Dokumente unterwelt.de/kinderleicht

Ausgezeichnet mit Herbert QuandtMedien-Preis, dem Ernst-Schneider-Preisund dem European Newspaper Award

So gehtklimafreundlich

RAINER HOLZ

Von Ulli Kulke_ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _

Als wäre es eine Meldung ausunseren Tagen: Was das Klima an-ging, schrieb das Nachrichtenmaga-zin „Der Spiegel“ im Jahr 1970, so„befürchten viele Meteorologen,dass es einen ‚Punkt ohne Umkehr‘geben mag“, ab dem die Entwick-lung nicht mehr aufzuhalten sei.Schon ein Extremereignis im Nord-atlantik sei hinreichend dafür.

Klimaforscher Reid Bryson ausden USA und viele seiner Kolle-gen befürchteten damals aller-dings keinen Hitzekollaps unsererErde, sondern eine neue globaleEiszeit – durch menschliches Ver-schulden. Nur fünf Prozent zu-sätzliche Wolken durch Luftver-schmutzung, vor allem durch Au-tos und Flugzeuge, könnten diemittlere Temperatur um vier Gradherabsetzen, sagte Bryson. DasExtremereignis, das er kommensah: die Bildung einer Rekord-menge von Eis im Nordmeer, dasdurch Reflexion die warmen Son-

nenstrahlen ins Weltall zurück-werfe und so die Erde noch vielstärker erkalten lasse.

Die Eiszeit blieb aus. Heute lehrenuns die Wissenschaftler – nicht alle,aber die meisten –, dass es in dieumgekehrte Richtung gehen wird:Die Erde werde womöglich unauf-haltsam heiß werden, und wiedermacht man den Menschen dafürverantwortlich. Den Menschen,seine Flugzeuge, seine Autos undalles andere, worin er fossileBrennstoffe verfeuert. Die werdensowieso knapp und verschmutzendie Luft auch unabhängig von denTreibhausgasen. Deshalb sprichtauch vieles andere als eine womög-lich drohende Klimakatastrophedafür, sparsamer mit Öl, Kohle undGas umzugehen. Und deshalb spre-chen sich auch viele für den Klima-schutz aus, die vielleicht gar nichtso überzeugt sind von dem drohen-den Hitzetod unseres Planeten.

Drohende Eiszeit wie drohendeHitze – für beide Varianten empfah-

len die Wissenschaftler eine Ände-rung der Wirtschafts- und Energie-politik. Was beides eint: Immergeht es bei so etwas um sehr vielGeld. Das heißt, in der Debatte umden Klimaschutz spielen durchausauch Interessen eine Rolle. DassUnternehmen, die nach Öl bohren,die Kohlebergwerke unterhaltenoder Sprit fressende Autos bauen,ihr Geschäft bedroht sehen, liegtauf der Hand. Deshalb werden sieauch oft als die Lobby angesehen,die sich gegen alle Klimaschutz-maßnahmen stemme.

Doch so einfach ist es nicht. Kluggeführte Ölkonzerne etwa könnenmittelfristig auch umschalten, in al-ternative Energien investieren unddaran vielleicht sogar noch verdie-nen. Auch weil dort viele staatlicheUnterstützungsgelder fließen – diedie Bürger allerdings durch Steuernund immer höhere Stromkosten be-zahlen müssen. Auch deshalb wo-möglich haben gerade die Ener-gieunternehmen heute wenigScheu, sich an Aufrufen für mehr

Klimaschutz zu beteiligen. ZumBeispiel können sie mit dem Argu-ment, umweltfreundlicher Stromsei eben teurer, auch übermäßigePreiserhöhungen begründen, wiegerade erst geschehen.

Jagd auf Fördergelder. Natürlichist, auch wegen solcher Subventio-nen, gerade der Sektor der erneuer-baren Energien inzwischen zu ei-nem äußerst lukrativen Geschäfts-zweig geworden. Sowohl was dieHerstellung von Solarstromanlagenangeht als auch ihren Betrieb.

Allein beim Strom aus Sonnen-energie kommen in den nächstenJahren zweistellige Milliarden-Eu-ro-Beträge zusammen. Die müssendie Verbraucher allein schon für diebereits installierten Anlagen bezah-len – so will es das Gesetz über dieerneuerbaren Energien. Die erhöh-ten „Einspeisevergütungen“ fürWind- und andere erneuerbareEnergien kommen hinzu. Jene, diedavon profitieren, kann man genau-so als Interessengruppen bezeich-

nen wie die Energiekonzerne, auchsie versuchen, die Öffentlichkeit ge-zielt in ihrem Sinne zu beeinflussen.

Auch bei der Klimaforschung gehtes um sehr viel Geld. Längst habenWissenschaftler an Universitätenund Instituten erkannt, dass Anträgeauf staatliche Fördergelder fürihre Forschungen besondersdann Erfolg versprechendsind, wenn sie eine „Klima-komponente“ aufweisen. Etwabei Naturwissenschaftlern, dievielleicht die Zukunft unseresGrundwassers untersuchen.Oder bei Sozialwissenschaft-lern, die fragen, wo künftigMenschen von Klimaschädenvertrieben werden könnten.Immer wieder werden neueKlimaforschungsinstitute ge-gründet. Dieser Bereich derWissenschaft soll im vergange-nen Jahrzehnt weltweit Kostenvon rund 85 Milliarden Euroverursacht haben.

Die Zukunftsangst, die vie-le ihrer Beiträge vermitteln,

macht es Politikern schwer, ihnendie beantragten Gelder zu versa-gen: Es gehe um das Überleben derWelt, der ganzen Menschheit, heißtes. Entsprechend gehen mancheWissenschaftler dann auch vor.Weil hierbei die Angst schon eine

Rolle spielt, geraten aller-dings diejenigen Forscherbei ihren Kollegen ins Hin-tertreffen, die sich fragen,ob nicht vielleicht doch al-les halb so schlimm ist.

Das wurde erst vor weni-gen Tagen deutlich. Alsnämlich Hacker den Com-puter des bekanntesten eng-lischen Klimaforschungsin-stitutes knackten. Dabeistießen sie auf E-Mails, indenen Wissenschaftler sichdarüber berieten, wie siedie Veröffentlichung vonUntersuchungen verhin-dern könnten, denen zufol-ge gar keine allzu schlimmeErwärmung in den nächs-ten Jahrzehnten drohe.

Gesunde Skepsis. All dies soll nichtdie Klimaforschung als solche dis-kreditieren. Ganz im Gegenteil: Esist gut, dass manche neuen Techni-ken bessere Voraussagen ermögli-chen. Auch sollte man die Warnun-gen vor einer Klimakatastrophedurchaus zur Kenntnis nehmen –sie aber auch kritisch prüfen unddabei nicht vergessen, dass dieComputermodelle, mit denen sieihre Voraussagen treffen, immernoch unsicher sind. Häufig lieferndie Modelle auch mehrere möglichePrognosen, von denen sich die For-scher die passendsten aussuchenmüssen und können. Und man soll-te auch solchen Wissenschaftlernzuhören, die sagen: Die Welt wirdnicht untergehen.

Wichtig ist immer die Erkennt-nis: Es geht auf beiden Seiten umviel Geld. Und es geht bei der De-batte auch ums Rechthaben. Werwollte schon bei der Heftigkeit, mitder der Streit ausgetragen wird, ir-gendwann zugeben müssen, dass ersich geirrt hat?

Die Temperaturen steigen doch wirklich. Oder?

–20

–10

+20

+30

+40

+10

0

Algen bauen mit Sonnenlicht und aus CO2 Biomasse auf. Wenn sie absterben, sinken sie zum Grund und nehmen das eingelagerte CO2 mit

Kohlendioxid löst sich gut in Wasser. Meere fangen das Treibhausgas deshalb auf. Das tun sie aber umso schlechter, je wärmer und saurer sie werden – was derzeit passiert

Verkehr, Heizungen, Industrie verbrennen die fossilen Energie-rohstoffe Kohle, Erdöl und Erdgas. Das setzt Kohlendioxid frei

Das Wiederaufforsten von Wäldern könnte das Treibhausgas binden und den Klimawandel dämpfen

Das sind die wichtigsten Treibhausgase:

Wasserdampf H2OKohlendioxid CO2Methan CH4Lachgas N2OOzon O3

Wasserdampf ist das wichtigste natürliche Treibhausgas; Kohlendi-oxid jenes, das der Mensch am stärksten beeinflusst. Aber auch andere Treibhausgase nehmen zu

Alles in allem wird mehr Kohlendioxid in die Luft entlassen als Meere und Vegetation aufnehmen und speichern – die Hauptursache des Klimawandels

213 Milliarden Tonnen pro Jahr

219 Milliarden Tonnen pro Jahr

CO2

CO2

CO2

CO2

CO2

CO2

CO2

CO2

CO2

Mit zunehmender Erwärmung schmelzen Gletscher und das Eis auf den Polarmeeren. Deshalb – und weil sich Wasser beim Erwärmen ausdehnt – steigt der Meeresspiegel

Auftauende Böden in den Polar-regionen (Sibirien, Alaska) geben Methan ab

Lufthülle (Atmosphäre)

CH4

+

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24 | KLIMA · KINDERLEICHT W E L T A M S O N N T A G N R . 4 8 T T T 2 9. N O V E M B E R 2 0 0 9

Darum wird es auf der ErdeDer sogenannte Treibhauseffekt ist an sich etwasGutes: Ganz ohne ihn würden wir alle erfrieren.Gefährlich aber wird es, wenn der Effekt zu starkwird. Eine Übersicht von WolfgangMerkel und Karin Sturm

Von Martin Greive_ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _

Sie stehen sich fast unversöhnlich gegenüber: hier dieWarner, die von einer drohenden „Klimakatastrophe“ spre-chen. Dort die Skeptiker, die sagen: So schlimm wird das allesnicht. In kaum einem Punkt herrscht Einigkeit.

Die Erderwärmung. Nicht einmal, ob sich die Erde wirklichstark erwärmt, ist unumstritten. Die Mahner verweisen auf diegestiegene Temperaturen in den vergangenen 30 Jahren. DieZweifler halten entgegen: Der Temperaturanstieg ist bisher beiWeitem nicht so hoch ausgefallen wie vorhergesagt.

Der Faktor Mensch. Die Warner sagen, dass wir selbst verant-wortlich seien für den Klimawandel – weil wir zum Beispiel

immer mehr Kohle und Öl verbrauchen mit unseren Autos undFlugzeugen und Fabriken. Der jetzige Klimawandel vollziehesich zehnmal schneller als jeder andere in der Geschichte un-serer Erde – dies könne nur am Menschen und dessen wach-sendem Energieverbrauch liegen. Die Skeptiker argumentie-ren: Das Klima habe sich immer schon verändert; und als dievom Menschen erzeugte Schadstoffbelastung noch sehr vielkleiner war, sei es schon einmal sehr viel wärmer als heute ge-wesen. Vermutlich seien vom Menschen verursachte Emissio-nen von Kohlendioxid (CO2) gar nicht entscheidend für die Er-wärmung – zumal sich nur drei Prozent des CO2 auf der Erdeauf den Menschen zurückführen ließen. Die Mahner bestrei-ten dies nicht, sagen aber, dass der CO2-Gehalt in der Atmo-sphäre lange Zeit konstant war – bis der Mensch in dieses sen-sible Kreislaufsystem künstlich Kohlendioxid hinzugefügt hat.

Atemluft. Manche Zweifler argumentieren auch, der Menschsei zwar schuld an der Erderwärmung. Aber daran lasse sichwenig ändern. Denn nicht der Verbrauch von Kohle oder Öl seientscheidend. Sondern die rasant gewachsene Zahl der Men-schen auf der Erde. Weil jeder Mensch beim Ausatmen CO2 indie Luft bläst, sei es unweigerlich zu steigenden Emissionengekommen. Das Bundesumweltamt glaubt hingegen, dass un-sere Atmung auch heute nur einen so kleinen Bruchteil desKohlenstoffkreislaufs ausmacht, dass sie keine Rolle spielt.

Die Sonne. Die vielen Eis- und Warmzeiten in der langen Ge-schichte der Erde seien vermutlich von Schwankungen derSonnenaktivität und oder auch der Erdumlaufbahn ausgelöstworden, spekulieren manche Zweifler. Warner sagen demge-genüber: Der größte Teil der globalen Erderwärmung habe

seit 1980 stattgefunden, im gleichen Zeitraum habe die Sonnen-aktivität aber nachgelassen.

Rückkopplungen. Die Skeptiker glauben, dass die Erderwär-mung selbst Prozesse in Gang bringen kann, die ihr entgegen-wirken könnten. Die Warner bestätigen, dass es solche „Rück-kopplungseffekte“ gibt. Dabei handele es sich jedoch fast aus-schließlich um solche, die den Klimawandel nicht bremsen,sondern beschleunigen.

Vulkane und Ozeane. Skeptiker sagen, viel mehr CO2 als vomMenschen werde von Vulkanen und Ozeanen ausgestoßen.Die Warner halten den Einfluss von Vulkanen für viel geringerals behauptet. Und die Ozeane würden unter dem Strich mehrCO2 an sich binden als ausstoßen.

Worüber die Warner und Skeptiker streiten

Die Sonne strahlt Licht (elektromagnetische Strahlung) zur Erde. Es ist kurzwelliges, sichtbares Licht. Ein großer Teil davon geht ungehindert durch die Atmosphäre

Einen Teil nehmen die Luftmoleküle auf

Die Erdoberfläche nimmt einen großen Teil auf (Absorption)

Einen kleinen Teil des Sonnenlichts werfen die Erde, Wolken und Staubteilchen zurück in den Weltraum

2Gas ist ein Dünger. Sie bauen damit Biomasse auf. Wenn z.B. abgestorbene Bäume verfaulen, geben sie das Treibhausgas aber wieder ab. Steigt der CO2-Gehalt in der Luft, nehmen Pflanzen auch mehr CO2 auf

Pflanzen brauchen CO2 zum Wachsen, das Gas ist ein Dünger. Sie bauen damit Biomasse auf. Wenn z.B. abgestorbene Bäume verfaulen, geben sie das Treibhausgas aber wieder ab. Steigt der CO2-Gehalt in der Luft, nehmen Pflanzen auch mehr CO2 auf

Erst nach und nach wandert die gefangene Wärme in der Atmosphä-re nach oben und geht an der Oberseite in den Weltraum verloren. Geschähe das nicht, würde es immer heißer auf der Erde werden

Die Atmosphäre hält die Infrarot-Strahlung fest und wirft sie zum Boden zurück. Diese Energie bleibt also zunächst im Boden und in der Lufthülle

Ruß aus Öfen, Autos und Industrie nehmen Sonnenlicht auf und verstärken den Treibhauseffekt. Staub aus Sandstürmen und Vulkanen und Meeressalzpartikel dagegen reflektieren das Licht und helfen beim Entstehen von Wolken, die Sonnenlicht reflektieren. Staub dämpft also den Treibhauseffekt

Bakterien im Boden bauen Stickstoffverbindungen ab und bilden dabei das Treibhausgas Lachgas. Dünger auf Feldern und Mist verstärken diesen Effekt

Flugzeuge geben Treibhausgase ab. Sie machen insgesamt sechs bis sieben Prozent des Treibhauseffektes aus

Aus der Gülle von Vieh entweicht Lachgas, aus den Mägen von Rindern außerdem das Treibhausgas Methan. Das bildet sich auch beim Verfaulen von Pflanzen, z.B. in Mooren, aber auch in Kläranlagen und Mülldeponien

CO2

N2O + CH4

CO2

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Wenn Wälder abgebrannt werden, um Ackerland zu gewinnen, entsteht viel Kohlendioxid, das den Treibhauseffekt verstärkt CO2

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W E L T A M S O N N T A G N R . 4 8 T T T 2 9. N O V E M B E R 2 0 0 9 KLIMA · KINDERLEICHT | 25

Von Anette Dowideit_ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _

Bei der Klimakonferenz derVereinten Nationen in der däni-schen Hauptstadt treffen sich über10 000 Teilnehmer aus 193 Ländern.Vom 7. bis zum 18. Dezember ver-handeln sie über neue weltweiteZiele für den Klimaschutz. VieleBeobachter haben sich von demTreffen lange entscheidende Fort-schritte beim Klimaschutz erhofft.

Was genau passiert in Kopenhagen?Vor allem geht es da-rum, verbindlicheZiele für den Ausstoßvon Treibhausgasenfestzulegen und sodie vom Menschenverursachte Erder-wärmung so weit wiemöglich zu bremsen.Das Ziel der Klima-schützer ist, dass sichdie Erde so in dennächsten Jahrzehn-ten höchstens umdurchschnittlich zweiGrad aufheizt.

Über was wird ver-handelt? In Kopenhagen soll einNachfolgevertrag für das sogenann-te Kyoto-Protokoll geschlossenwerden. In dieser Vereinbarunghatten sich die Industrieländer –darunter die Europäische Unionund die USA – zum ersten Mal ver-pflichtet, ihren Ausstoß an Treib-hausgasen zu reduzieren. Der Ver-trag gilt aber nur bis 2012. Was da-nach passiert, ist unklar. Ziel ist,dass diesmal weit mehr Länderverbindliche Zusagen machen.

Außerdem geht es um Entwick-lungshilfe, also Geld, das die rei-

chen den armen Ländern zahlensollen. Denn Windräder oder Solar-anlagen sind teuer. Staaten, in de-nen die Menschen nicht genug zuessen haben, lassen sich deshalbkaum überzeugen, ihr weniges Geldin klimafreundliche Technologienzu stecken. Die reichen Länder sol-len daher das Geld für den Klima-schutz in den armen Ländern stif-ten. Dem Entwurf für den Kopen-hagen-Vertrag zufolge müssten biszum Jahr 2020 insgesamt 67 Milliar-den Dollar, umgerechnet rund 40

Milliarden Euro, vonden reichen in die är-meren Länder flie-ßen. Wahrscheinlichwird es schwierig, dieIndustriestaaten da-von zu überzeugen.Die Entwicklungs-länder haben schlech-te Erfahrungen ge-macht: Schon im Kyo-to-Vertrag hatten dieIndustrieländergroßzügige Unter-stützung zugesagt.Doch bis heute wurdeder Großteil des Gel-des nicht ausgezahlt.

Kommt das neue Abkommen zu-stande? Noch ist unklar, ob sich dieVertreter der Staaten auf einen Ver-trag einigen werden. In den vergan-genen Wochen hatte es so ausgese-hen, als ob das Treffen scheitert.Nur wenige Länder schienen be-reit, sich auf neue Klimaziele fest-zulegen. Hinzu kam, dass der ame-rikanische Präsident Barack Oba-ma noch nicht einmal am Treffenteilnehmen wollte – ein schlechtesSignal für die Bedeutung der Kon-ferenz. Doch nun gibt es Hoffnung.

Die beiden größten Produ-zenten von Treibhausga-sen, die USA und China,haben in den vergangenenTagen Versprechen über ei-ne Reduktion der Treib-hausgase abgegeben. UndObama kündigte an, nundoch zu dem Treffen kom-men zu wollen.

Brauchen wir überhaupt einen Kli-mavertrag? Ja, denn wir haben esmit einem sogenannten Trittbrett-fahrerproblem zu tun. In einem Busmuss eigentlich jeder eine Fahrkar-te kaufen. Manche tun das abernicht, sondern fahren schwarz. Fürdie Busgesellschaft ist das teurer,weil sie auch für die Schwarzfahrerdas Benzin und den Fahrer bezah-len muss. Dadurch steigen für dieanderen Gäste die Ticketpreise.

Übertragen auf den Klima-schutz, bedeutet das: Würde manjedem Land selbst überlassen, ob esdas Klima schützt oder nicht, wür-de das wohl kaum ein Land tun.Schließlich kostet es viel Geld,Windräder oder Solaranlagen auf-zustellen, Wohnhäuser besser zuisolieren oder Umweltplaketten fürAutos einzuführen. Ein Klimaver-trag dürfte allenfalls funktionieren,wenn jedes Land den anderen perUnterschrift zusagt, sich an die Ab-machungen zu halten.

Damit diese Versprechen aberauch eingehalten werden, brauchtman eigentlich eine übergeordneteInstanz oder Regierung – den Fahr-kartenkontrolleur sozusagen. Bis-her gibt es jedoch keine Klimaregie-rung. In Kopenhagen soll nun zumersten Mal darüber verhandelt wer-den, eine solche Behörde einzurich-ten. Es gilt aber als unwahrschein-

lich, dass dies klappt. Keine Regie-rung will Macht abgeben.

Welche Länder sind gegen das Ab-kommen und warum? In der Debat-te um den Klimaschutz spielt Angsteine große Rolle: Angst vor demVerlust des eigenen Wohlstands.Die USA sind einer der größtenSkeptiker. Selbst wenn PräsidentObama eine Selbstverpflichtungunterschreibt, heißt das noch nicht,dass er diese auch gegenüber demamerikanischen Senat durchsetzenkann – und der müsste einem Ab-kommen zustimmen.

Die Amerikaner fürchten, unge-recht behandelt zu werden. Im Kyo-to-Protokoll hatte zum BeispielChina keine Selbstverpflichtungunterschrieben – und kann somitohne Rücksicht auf das Klima im-mer weiter wachsen. China giltaber in den USA als großer Konkur-rent. Die USA sorgen sich, dass im-mer mehr Waren für Amerika inChina hergestellt werden und dassdie Chinesen den Amerikanern soJobs und Wohlstand wegnehmen.Daher wollen sich die USA auf kei-nen Fall von einer Weltklimabehör-de Vorschriften machen lassen.

Auch China, mittlerweile dergrößte Produzent von Treibhausga-sen, ist bisher zu zurückhaltend mitfreiwilligen Zusagen für den Klima-

schutz. Klimaexperten urteilen,dass die Versprechen der Chinesennicht ausreichen und sich außer-dem nur schwer überprüfen lassen.

Große Blockierer sind außerdemSaudi-Arabien und andere Öl för-dernde Länder, die in dem KartellOpec zusammengeschlossen sind.Sie haben Angst, dass kaum nochjemand ihr Öl kaufen will, wenndemnächst nur noch spritsparendeAutos gebaut werden und Häusermit Windenergie geheizt werden.Deshalb fordern sie regelmäßigEntschädigungszahlungen von denanderen Ländern. Die reichenOpec-Staaten wollen Geld aus demTopf, der eigentlich dazu dient, dassEntwicklungsländer Windräderund andere umweltschonendeTechnik bauen können.

Was passiert, wenn sich die Staatennicht einigen? Erzielen die Regie-rungsvertreter keine Einigung,werden sie sich auf das nächste Jahrvertagen. Klimaexperten befürch-ten, dass es so kommen könnte.Denn in der Praxis ist es fast un-möglich, 193 unterschiedliche Inte-ressen unter einen Hut zu bringen.Dabei geht wichtige Zeit verloren.Denn kaum ein Land dürfte sichvor Abschluss eines neuen Vertra-ges freiwillig verstärkt um den Kli-maschutz bemühen.

wärmerDer Klimawandel wird nicht unbedingt langsamund stetig verlaufen und erst in der zweiten Hälfte die-ses Jahrhunderts spürbar sein. Wissenschaftler war-nen, dass einige Veränderungen die Erderwärmungstark beschleunigen könnten. Wenn einige der soge-nannten Tippingpoints erreicht werden, könnte es be-reits in wenigen Jahrzehnten weitreichende Folgen ge-ben. Wir stellen 15 mögliche Tippingpoints vor.

1 Schmelzen des Eises in der Arktis. Die Folge: Eingroßer Teil der Erde ist mit dunkler Wasserober-

fläche statt hellem Eis bedeckt. Dunkle Flächen abernehmen mehr Wärme auf. Das beschleunigt die Erder-wärmung. In den vergangenen 30 Jahren hat die Eisbe-deckung bereits deutlich abgenommen. Das ist auch ei-ne schlechte Nachricht für Tierarten wie Seehundeoder Eisbären, die zur Jagd oder Aufzucht der Jungenauf Meereis angewiesen sind.

2 Abtauen des Grönland-Eises. Die enormen Eis-massen Grönlands sind schon jetzt mit Rissen

durchzogen, in die Tauwasser eindringt. Dies könntedie Eismasse zum Einsturz bringen. Passiert das, könn-te der Meeresspiegel um sieben Meter steigen.

3 Auftauen des Dauerfrostbodens in Sibirien und Ka-nada. Das würde das Gas Methan freisetzen, das

noch klimaschädlicher ist als Kohlendioxid (CO2).

4 Absterben der nordischen Nadelwälder. Sie ma-chen ein Drittel der globalen Waldfläche aus. Der

Klimawandel bedeutet für sie Stress, sie leiden unterSchädlingen und Wassermangel. Ein Absterben derWälder würde den Lebensraum vieler Tiere und Pfla-nzen vernichten und Kohlendioxid freisetzen – was zurbeschleunigten Erderwärmung beitragen dürfte.

5 Ende des Golfstroms. Das warme Oberflächen-wasser des Atlantiks ist für das milde Klima in

Nordwesteuropa verantwortlich. Wenn durch die Eis-schmelze vermehrt Süßwasser in den Nordatlantikdringt, könnte es damit vorbei sein.

6 Ozonloch über Nordeuropa. Durch die Erderwär-mung kühlt sich eine der Luftschichten über der

Erde, die Stratosphäre, ab. Dort bilden sich Eiswolken,und das lässt ein Ozonloch entstehen.

7 Schneeschmelze auf dem Tibet-Plateau. Ähnlichwie beim arktischen Meer würden hier unter dem

hellen Schnee dunklere Gesteinsschichten frei, diemehr Wärme aufnehmen. Das würde Gletscher zumSchmelzen bringen und die Frischwasserversorgung inIndien und China erschweren. Denn große Flüsse wie

der Jangtse in China oder derBrahmaputra in Indien speisensich aus Himalajagletschern.

8 Schwankungen im indi-schen Monsun. 90 Prozent

des Regens in Indien sind demMonsunwind im Sommer zuverdanken. Es droht ein häufi-ger Wechsel zwischen Dürrenund Flutkatastrophen.

9 Wiederergrünen der Sa-hara. Durch den Klima-

wandel gibt es mehr Nieder-schläge in der Sahara und derSahelzone. Das ist aber nichtnur gut. Denn eine grünerwerdende Wüste würde ver-hindern, dass Staubstürmeden tropischen Atlantik undAmazonasregenwald mitNährstoffen versorgen.

10 Verlagerung desMonsuns in Afrika.

Der Klimawandel könntedie Anzahl der Dürrejahrein Afrika bis Ende des Jahr-

hunderts verdoppeln oder zu ei-nem völligen Zusammenbruch des Monsuns führen –beides mit womöglich schlimmen Folgen.

11 Amazonas-Waldsterben. Abholzung und weni-ger Regen könnten zu einem Waldsterben im

Amazonas führen. Das könnte einen gewaltigen Verlustan Artenvielfalt bedeuten.

12 El Niño im Südpazifik. Diese Meeresströmun-gen könnten sich plötzlich verändern, und das

könnte zu Dürren in Südostasien führen.

13 Störung der marinen Kohlenstoffpumpe. Plank-tonalgen und Korallen in den Weltmeeren bin-

den sehr viel Kohlenstoff. Versauern die Meere undverändern sich die Tiefenströmungen, könnten die Tie-re daran gehindert werden – dieses CO2 würde austre-ten und die Atmosphäre zusätzlich belasten.

14 Bedrohte Nährstoffversorgung des Südatlan-tiks. Der Süßwasserzufluss aus der schmelzen-

den Antarktis könnte die Bestände an Krill und Phyto-plankton verringern. Die aber stehen am Anfang derNahrungskette von Meerestieren.

15 Kollaps des antarktischen Eisschildes. Obwohldie Eismassen in der Antarktis nicht als so ver-

letzlich wie die grönländischen eingeschätzt werden,könnten sie noch in diesem Jahrhundert kollabieren.Warmes Meerwasser, so die Befürchtung von Exper-ten, kann die Eisberge an der Küste so weit schmelzenlassen, dass die dahinter liegenden Kontinentaleismas-sen ins Fließen geraten. Zwischen Fels und Eisschildgeratenes Meerwasser beschleunigt dann den Zerfalldes Eises zusätzlich. Durch einen völligen Kollaps desEisschildes würde der globale Meeresspiegel um vierbis fünf Meter steigen. Daniel Wetzel

Wenn das Klima kippt

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Wie sich die Erde erwärmt

Die Karte zeigt, wie sich die Erde voraussichtlich erwärmen wird.

Sie vergleicht die Durchschnittstemperatur zweier Zeiträume.

Erstens: 1960 bis 1990, zweitens: 2070 bis 2100

Kopenhagen: EineVorentscheidung über dieZukunft der Menschen?

Das Logo der Klima-konferenz in Kopenhagen

Die Schüler des GymnasiumsAllee in Hamburg-Altona sindquasi Experten auf dem GebietKlimaschutz. Als erste Schule inDeutschland planen sie momen-tan, ein eigenes kleines Windradauf ihrem Schulhof aufzustellen.Die Klasse 9a mit KlassenlehrerLars Janning zögerte denn auchnicht, beim „Kinderleicht“-Inter-view mitzumachen

An Jürgen Grossmann ist allesgroß. Die Hand, die er den Schü-lern zur Begrüßung reicht, der An-zug und der ganze Mann selbst. DerChef des Energiekonzerns RWE er-innert ein wenig an den Riesen ausder Kinowerbung, mit dem seinUnternehmen momentan versucht,das eigene Image aufzubessern.

Ein bisschen schüchtert solcheKörpergröße ein, finden die Ju-gendlichen, die ihn an diesem Tagin einer Hamburger Villa intervie-wen wollen: Ariane Burghard, 14,Fritzi Braaker, 14, Samet Sari, 15,und Lukas Hagen, 16. Mit ihrerKlasse vom Gymnasium Allee inHamburg sowie Anette Dowideitund Jörg Eigendorf aus der „Kin-derleicht“-Redaktion haben sie dasInterview vorbereitet. Großmanngibt sich Mühe, den Kindern denRespekt zu nehmen. Er schwingtsich auf ein E-Bike, macht ein Foto-shooting im Smart. Die vier wollenvom RWE-Chef genau wissen, wieseine Einstellung zum Klimaschutzist: Meint es Großmann ernst,wenn er seinen Konzern klima-freundlich machen will? Denkt erprivat an die Umwelt?

Samet Sari: Herr Großmann, wiefühlt man sich als Europas Klima-schädling Nummer eins?Jürgen Großmann: Es stimmt,dass wir im Moment von allen deut-schen Stromherstellern das meisteCO2 verursachen. RWE setzt auchauf Braunkohle, weil es davon inDeutschland viel gibt. Wir strengenuns an, die Stromerzeugung in allenBereichen sauberer zu machen.

Fritzi Braaker: Haben Sie denn einschlechtes Gewissen? RWE ist für einFünftel des deutschen Kohlendioxid-ausstoßes verantwortlich.Großmann: Nein. Viele Länder inEuropa haben in der Vergangenheitwie Deutschland auf Kohlestromgesetzt. Die Kraftwerke wurdennun einmal gebaut und werden lau-fen, solange sie im Wettbewerb be-stehen und verlässlich Strom lie-fern. Es wäre nicht sinnvoll, guteKraftwerke vorzeitig stillzulegen.Wenn sie nicht mehr leistungsfähigsind, werden wir sie schrittweisedurch erneuerbare Energien erset-zen und durch moderne Kohlekraft-werke, die weniger CO2 verursa-chen. Stell dir vor, du bist in ein El-ternhaus hineingeboren, das dirnicht gefällt. Dann kannst du esnach und nach umbauen, aber nichtabreißen. Sonst hast du kein Dachmehr über dem Kopf.

Lukas Hagen: Sie habenselbst drei Kinder. MachenSie sich Sorgen um derenZukunft, wegen der globa-len Erwärmung – die ja vonRWE mit verursacht wird?Großmann: Jede Genera-tion steht vor großen Auf-gaben. Unsere Kindermüssen ein Bewusstseindafür entwickeln, wie siedie Welt gestalten wol-len. Dazu gehört vor al-lem, sich Gedanken zumachen, wie man künftigweniger Energie ver-brauchen kann.

Lukas: Das heißt, unsere Generati-on muss selbst sehen, wie sie klar-kommt?Großmann: Nein, so meine ichdas nicht. RWE investiert schonjetzt in erneuerbare Energien.Aber das geht nur schrittweise,denn wir müssen gleichzeitig da-für sorgen, dass genug Strom daist, sonst steht ja alles still.

Ariane Burghard: Und wenn dieVerbraucher sagen würden: Danngeht eben mal kurz das Licht aus,dafür gibt es nur noch Ökostrom?Großmann: Es gibt Dinge, beidenen der Strom einfach nicht aus-fallen darf, zum Beispiel eine Herz-Lungen-Maschine im Kranken-haus. Unsere Aufgabe bei RWE istauch Versorgungssicherheit: Wennihr auf den Schalter drückt, mussdas Licht angehen.

Samet: Was denken Sie über die 20Millionen Klimaflüchtlinge, die esdurch die globale Erwärmung gibt?Großmann: Jedes dieser Schicksaleist tragisch. Aber mit CO2 gehenwir täglich um. Jeder von uns atmetes aus. Es gibt auch Naturereignis-se, die das Klima erheblich verän-dern, wie Vulkanausbrüche. Aberich will nichts schönreden. Ich willdaran arbeiten, dass unser CO2-Fußabdruck kleiner wird.

Lukas: Hoffen Sie, dass in Kopenha-gen strengere CO2-Richtlinien fürDeutschland beschlossen werden?Großmann: Ich hoffe, dass dortverbindliche Regeln für alle Länderfestgelegt werden. Deutschlandwird und soll Vorreiter bleiben,aber wir haben schon viel getan.

Ariane: Finden Sie es in Ordnung,dass die Amerikaner keinem Ab-kommen zustimmen wollen? Die sto-ßen doch am meisten CO2 aus.Großmann: Langfristig sollten dieMenschen nicht mehr als zwei Ton-nen CO2 pro Kopf im Jahr verursa-chen. Bei uns Deutschen sind es imMoment zehn Tonnen, bei denAmerikanern 26. Das heißt: Wirmüssen auf ein Fünftel des Niveausrunterkommen, die Amerikanernoch viel weiter. Wir können dasnur gemeinsam schaffen.

Samet: Haben Sie Angst, wenigerGeld zu verdienen, wenn wir baldweniger CO2 in die Luft pusten?Großmann: Angst ist kein guterRatgeber. RWE plant ohnehin, denCO2-Ausstoß zurückzufahren. Wirwerden dieses Jahr etwa 180 Millio-nen Tonnen CO2 ausstoßen. Ich binsicher, dass wir noch in meiner lau-fenden Amtszeit, also bis 2012, auf140 Millionen Tonnen kommenwerden. Dazu gehört auch, dass wir16 Kraftwerksblöcke abschalten,die zu unseren ältesten gehören.

Wir werden dann mit den erneuer-baren Energien ebenso gut verdie-nen, wie wir es heute tun.

Lukas: Ist Ihnen das Geldverdienenwichtiger als der Umweltschutz?Großmann: Nein.

Ariane: Warum kommen dann nurknapp fünf Prozent des RWE-Stromsaus umweltfreundlichen Energien?Großmann: Ich muss zugeben:RWE ist spät gestartet, deshalb istder Anteil noch nicht so hoch. Da-für investieren wir jetzt jedes Jahreine Milliarde Euro in erneuerbareEnergien.

Lukas: Wann wird der deutscheStrom komplett aus umweltfreundli-chen Energien kommen?Großmann: Bis 2020 soll ein Drit-tel des Stroms aus erneuerbarerEnergie stammen. Wir werden nurdann auf vollständige Versorgungaus diesen Energien kommen,wenn wir Strom speichern können,denn Wind weht nicht immer, unddie Sonne scheint auch nicht immer.

Fritzi: Was ist so schwer am Spei-chern? Es gibt doch Batterien.Großmann: Dann wäre der Stromaber so teuer, dass kaum jemandsich ihn noch leisten könnte. DieFrage ist außerdem: Was nennst duerneuerbar? Denn wahrscheinlichwird ein Teil unseres Stroms dannaus der sogenannten Kernfusions-technik kommen können. Wenn dasfunktioniert, wird es wohl die bil-ligste und beste Art der Stromer-zeugung sein. Es ist schwer zu sa-gen, wann es so sein wird. Ichschätze, das wird in 50 bis 80 Jahrender Fall sein.

Samet: Warum versorgen Sie nichteinfach ganz Deutschland mit Son-nenenergie aus Afrika, wie beimProjekt Desertec?Großmann: Desertec ist ein faszi-nierendes Projekt. Aber wir müs-sen Leitungen von Afrika nach Eu-ropa legen. Außerdem brauchen dieafrikanischen Länder selbst vielStrom. Wir wollen in ZukunftStrom aus der Wüste bekommen,aber das wird nicht reichen. Und

schließlich ist der Strom aus einemsolchen Projekt noch sehr teuer, so-dass viele deutsche Kunden ihnwohl kaum bezahlen wollen.

Ariane: Woher wollen Sie denn daswissen?

Großmann: Wenn man Stromkun-den fragt: Wärt ihr bereit, mehr fürStrom zu bezahlen, wenn er um-weltfreundlich ist, oder wollt ihrbilligen Strom?, dann antwortendie meisten: Wir wollen wenigerbezahlen, die Stromquelle ist egal.

Fritzi: Benutzen Sie denn zu Hauseeinen Ökostromanbieter?Großmann: Nein, ich bin RWE-Kunde. Das muss ich auch. Sonstwürde es ja heißen, dass ich unserProdukt nicht gut finde. Außerdembieten wir auch Ökostrom an.

Fritzi: Was für ein Auto fahren Sie?Großmann: Als Dienstwagen habeich einen mittelgroßen Mercedes.Eins gebe ich aber zu: Privat samm-le ich alte Autos.

Ariane: Das sind doch Spritfresser.Großmann: Mit diesen Oldtimernfahre ich aber nur wenig.

Ariane: Warum haben Sie keinElektroauto, wo doch RWE Werbungdamit macht, überall im Land Elek-trotankstellen aufzustellen?Großmann: Ich fahre gerne mit un-serem Elektro-Smart. Aber dieReichweite ist noch nicht groß ge-nug, um zum Beispiel von Hamburgnach Essen zu fahren.

Samet: Was bestellen Sie am liebs-ten im Restaurant: Rindersteak,Hähnchen oder vegetarisch?Großmann: Ich esse ab und zuschon mal gerne ein Steak.

Lukas: Fleisch verur-sacht etwa zehnmal soviel CO2 wie Gemüse.Großmann: Aber einbisschen Spaß undFreude am Leben mussauch sein.

Samet: Kann es sein,dass RWE sich umwelt-freundlicher darstellt,

als es ist? Sie haben einen Werbespotmit einem Riesen, der Windräderaufstellt. Dabei macht RWE wenigerumweltfreundlichen Strom als dieKonkurrenz.Großmann: Aber wir holen durchunsere Investitionen schwer auf.Außerdem sind wir mittlerweiledurch den Kauf der niederländi-schen Firma Essent einer der größ-ten Windkraftbetreiber.

Fritzi: Ihre Atomkraftwerke sind indem Spot gar nicht zu sehen.Großmann: Wir stehen aber zu die-sem Energieträger. In der nächstenVersion im Dezember werden wirzur Kernenergie und dem Riesennoch etwas anfügen.

Fritzi: Atomkraft ist keine umwelt-freundliche Energie.Großmann: Warum nicht? DieStromproduktion dort ist dochCO2-frei.

Fritzi: Weil der Atommüll unsichergelagert wird, wie in Asse.

Großmann: Ihr habt recht,die Asse ist ein Problem.Hier ist vieles nicht gut ge-laufen. Auch wenn dieSchuld hierfür nicht die Un-ternehmen tragen. Politikund Firmen müssen sich bes-sere Lösungen überlegen.

Fritzi: Sie meinen also, wenndie Endlager sicher sind, ist esokay, den Müll für TausendeJahre zu produzieren?Großmann: Die Kernkraft-

werke, die heute schonstehen, sollten auf jedenFall nicht abgeschaltetwerden, solange sie si-cher sind. Schließlich istdie Kernenergie zurCO2-Minderung unver-zichtbar. Andere Län-der haben für bauglei-che Anlagen Laufzei-ten, die 20 oder 30 Jah-re länger sind.

Lukas: Sollten Sie nicht wenigstensdie zusätzlichen Gewinne spenden,wenn die Werke länger laufen?Großmann: Wir werden bei einerVerlängerung der Laufzeiten erheb-liche Beträge erwirtschaften kön-nen, die dann zum Beispiel überSteuern und Abgaben für den Bauvon Kindergärten oder Schulenverwendet werden können.

RWE-Chef Großmannhält das Steuer desElektro-Smart fest inder Hand. Die SchülerLukas Hagen (vorn)sowie Ariane Burg-hard, Samet Sari undFritzi Braaker (hinten,von links), fahren mit

Kein anderer Energiekonzern in Europa verursacht so viel Kohlendio

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wie der Stromkonzern RWE. Vorstandschef Jürgen Großmann sagt im

Interview mit Schülern, wie er das ändern will

„Die Deutschen wollenbilligen Strom“

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W E L T A M S O N N T A G N R . 4 8 T T T 2 9. N O V E M B E R 2 0 0 9 POLITIK | 27

Von Tobias Kaiser in Illulisat_ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _

Tonni Selbo kann sich noch an die Eis-winter erinnern; sie waren lang und kaltund dunkel, und das Essen war schlecht.Tonnis Heimatstadt Illulisat liegt an derWestküste Grönlands, der größten Inselder Welt, die weit oben im Atlantik zwi-schen Europa und Nordamerika liegt. DieInsel ist das ganze Jahr über mit Eis be-deckt, nur im Sommer tauen die Ränderder Insel für wenige Monate auf.

Bis vor drei Jahren war die HafenstadtIllulisat im Winter zu allen Seiten von Eiseingeschlossen. Straßen gibt es auf Grön-land sowieso nicht, weil sie die meisteZeit unter Schnee und Eis lägen. Norma-lerweise reisen Grönländer deshalb mitdem Schiff von Küstenort zu Küstenort.Aber in den Eiswintern konntendie Schiffe nicht in den Hafenvon Illulisat einlaufen, weil sichin der Bucht vor der Hafenein-fahrt gewaltige Eisberge und me-terdicke Eisschollen türmten.Ein Kapitän, der versucht hätte,mit seinem Schiff zum Hafendurchzudringen, hätte riskiert,sein Schiff zu versenken.

Festessen im Frühling. Ab No-vember kamen daher keine Versorgungs-schiffe mehr in die Stadt. Nur Flugzeugebrachten in den kalten Monaten ab und zuLebensmittel, aber die waren für TonnisFamilie zu teuer. Fünf Monate lang hattendie Selbos kein Obst und kein Gemüse.Im März waren die Regale in den Super-märkten leer, und die haltbare Milch, dieTonnis Mutter im Herbst gekauft hatte,war schlecht geworden. Tonni und seineGeschwister tranken sie trotzdem.

Der Tag, an dem das erste Versor-gungsschiff sich Meter um Meter durchdas Eis in der Bucht brach, war ein Festfür die ganze Stadt. Tonni und die ande-ren Kinder der Stadt liefen über das ge-frorene Wasser dem Versorgungsschiffentgegen, um dessen Rumpf zu berühren.„Es war gefährlich“, sagt Tonni. „Aberuns war das damals egal. Wir haben unsauf das Festessen am Abend gefreut.“ Alldas ist nur noch Erinnerung, denn in denvergangenen drei Jahren gab es keine Eis-winter in Illulisat mehr. Das Klima verän-dert sich, und seit es wärmer wird, kön-nen die Bewohner der Stadt das ganzeJahr über mit Booten aufs Meer fahren.

Die Grönländer freuen sich. Der Klima-wandel betrifft die ganze Welt, aber aufGrönland und an anderen Orten der Ark-tis sind die Veränderungen besondersfrüh sichtbar. Seit es in Grönland wärmerwird, schmelzen nicht nur die Gletscheran Land schneller als zuvor; auch das Eis,das seit Menschengedenken weit insMeer gereicht hat, verschwindet. For-scher entdecken jedes Jahr neue Inselnvor der Küste, die zuvor niemand kannte,weil sie oft mehr als zehntausend Jahreunter dicken Eisschichten verborgen wa-ren. Das Eis verschwindet inzwischen soschnell, dass jede neue Landkarte vonGrönland bereits veraltet ist, wenn dieLandvermesser sie fertiggestellt haben.

Wal- und Eisbärjäger imNorden der Insel klagen überdas wärmere Klima, weil dasEis im Frühjahr schneller alsbisher dünn und brüchig wirdund sie deshalb weniger lang ja-gen können. Tonni und die an-deren Bewohner Illulisat fürch-ten aber den Klimawandel nicht– sondern glauben, dass er ih-nen mehr Wohlstand bringenwird. Zeitungen in dem Landschreiben sogar „Klimaverbes-serung“, wenn sie über die Erd-erwärmung berichten.

Alle haben Jobs. Tonni Selbo arbeitet in-zwischen als Kellner im „Hotel Arctic“,das am Rande von Illulisat liegt. Seit dieganze Welt über den Klimawandel

spricht, haben der 30-Jährigeund seine Kollegen viel zu tun,denn ständig kommen Wissen-schaftler, Journalisten und Neu-gierige, um die Klimaverände-rung mit eigenen Augen zu se-hen. Kanzlerin Angela Merkelund andere Politiker lassen sichgerne auf den Gletschern in derUmgebung fotografieren, umden Wählern zu Hause zu zei-gen, dass sie sich um das Klima

sorgen. Der Klimatourismus bringt Geldin die Stadt: Im vergangenen Jahr kamen30 000 Touristen nach Illulisat, doppelt soviele wie 2007. Das „Arctic“ musste an-bauen, Reiseführer werden geschult, undin der Stadt ist niemand mehr arbeitslos.

Der Klimawandel hilft auch anderenWirtschaftszweigen: Seit es keine Eis-winter mehr gibt, können die Krabbenfi-scher das ganze Jahr über hinausfahrenund ihren Fang in der großen Fischfabrikim Hafen von Illulisat abliefern. Zudemkehrt offenbar mit dem wärmeren Wasserauch der Kabeljau in die Gewässer an derWestküste Grönlands zurück.

Erdbeeren statt Eis. Heute verdienen dieGrönländer praktisch nur mit Fischfangund Tourismus Geld. Das könnte sich än-dern. In der Nähe von Illulisat ist das Eisneben einer aufgegebenen Blei-und-Zink-Mine verschwunden. Das hat neue Me-tallvorkommen freigelegt, die jetzt geför-dert werden. Auch in den anderen Teilender Insel könnten noch wertvolle Metalleunter dem Eis lagern, die künftig abge-baut werden könnten. Und in den vereis-ten Küstengewässern vermuten Geolo-gen große Mengen Erdöl. Bereits jetzt ha-ben Bauern im Süden der Insel begonnen,Gemüse anzubauen. Vor hundert Jahrenhaben sie das schon einmal versucht, sindaber damit gescheitert.

Ausländische Gäste fragen Tonni oft,ob die Kartoffeln, die er zusammen mitRentierfleisch oder geräuchertem Walserviert, aus Grönland kommen. „Leidernein“, antwortet Tonni dann und erklärt,dass die wenigen Kartoffeln, die im Mo-ment geerntet werden, noch sehr teuersind. Künftig wollen die Bauern aber ihreFelder vergrößern und experimentierenbereits mit Blumenkohl, Tomaten – undEisbergsalat. Einige Grönländer erntenin ihren Gärten sogar Erdbeeren.

GewinnerGrönland

Es gibt viele Verlierer–aber auch GewinnerSteigende Temperaturen sind für viele Menschen eine Bedrohung. Manchen

könnten sie jedoch zu einem besseren Leben verhelfen – auch in Deutschland

Wer sehen möchte, wie die Arbeitenvorangehen, der muss in ein Boot steigen,Dogenpalast, Markusplatz und selbst denStadtturm, den Campanile, außer Sicht-weite lassen und Giulio De Polli besu-chen. Der 38-Jährige leitet eine Baustelle,an einer der drei Stellen, wo sich die La-gune zum Meer hin öffnet. Die Öffnungenwollen die Venezianer mit verschließen.„Hier bauen wir die Fundamente“, sagtDe Polli und zeigt in ein riesiges Loch.

Betonklötze, groß wie Wohnhäuser,sollen hier in zwei Jahren im Meer ver-senkt, darauf die eigentlichen Stahlmau-ern befestigt werden. Die hohlen Wändesind fünf Meter dick, 30 Meter hoch und20 Meter lang. Sie sollen am Meeres-grund liegen. Wenn Hochwasser droht,werden sie mit Druckluft gefüllt, sodasssie sich aufrichten. Das Schauspiel soll so

spektakulär werden, dass die Ve-nezianer einige Klappen späterauch ohne Not öffnen wollen –als Touristenattraktion.

Abgeriegelte Stadt. Das Projektist aber umstritten. Viele Venezi-aner haben Angst, dass die Mau-er Venedig schaden könnte. DieBürgerbewegung „No Mose“warnt, dass das Wasser dreckigwerde, dass Fische und Pflanzen

Schaden nehmen, wenn die Tore lange ge-schlossen bleiben. Dann kann sich dasWasser mit dem Meer nicht mehr austau-schen. Und nach der Prognose der Mee-resforscherin Carbognin könnte die Mau-er weit öfter geschlossen sein als geplant.

Sollte der Meeresspiegel um über 53Zentimeter ansteigen, wie es Carbogninfür den schlimmsten aller Fälle prognos-tiziert, dann würde Mose zu einer festenMauer, die die Lagune de facto abriegelt.„Man sollte ergänzende Lösungen zu Mo-se finden, die der Stadt und der Umweltnutzen. Genug Zeit dafür haben wir“, sagtCarbognin. So haben Wissenschaftlervorgeschlagen, das Niveau dadurch anzu-heben, dass man Wasser ins Gestein un-ter der Stadt pumpt. Wie man einen Luft-ballon aufbläst, so soll sich dann die Erdeheben. Es gibt auch gewagtere Ideen wiedie, das Mittelmeer mit einem Damm ander Straße von Gibraltar abzuriegeln.

Toller Schulweg. Der Wassermagistrat er-klärt, dass es keine sicheren Prognosenzum Anstieg des Meeresspiegels gebe:„Die Vorhersagen ändern sich ständig.“So lange vertraut er auf Mose. Zumalselbst der strenge Cuccioletta sich überein klein wenig Hochwasser freut. „Einbisschen Hochwasser werden wir auchkünftig zulassen“, sagt er. Erst wenn dasWasser nicht nur den Markusplatz zuüberfluten droht, sondern die gesamteStadt, werden sie die Mauer schließen.

Der kleine Giacomo weiß nur: An die-sem Herbsttag wird ihn kein Hochwasservon der Schule abhalten. Und so steigt erin ein Vaporetto, einen Wasserbus. Aufdem Schiff fährt er den Canal Grande ent-lang, vorbei an Gondeln, Palästen, amFischmarkt an der Rialto-Brücke bis zurGalleria dell’Academia, einem Museum,in dessen Nähe seine Schule liegt. Kannein Schulweg schöner sein?

Von Andre Tauberin Venedig_ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _

Wenn Giacomo Gardin von

seinem Fenster aus sieht, wieVenedig im Hochwasser ver-sinkt, dann ist er ein glücklicherJunge. Der Zwölfjährige ziehtsich dann seine grünen Gummi-stiefel an, läuft die Treppe vomdritten Stock bis zu den letztenStufen hinunter. Durch das Holzder Haustür hat sich längst Was-ser den Weg gebahnt. Vorsichtigstreckt Giacomo den Fuß aus undprüft, wie tief das Wasser ist.

Wenn es über seine Stiefel reicht, dannweiß er: Die Schule fällt heute aus.

Giacomo freut sich über das Hochwas-ser. „Acqua Alta“ findet er aufregenderals Neuschnee. „Schnee bleibthier doch nicht liegen“, sagt er,aber: „Das Hochwasser bleibtlänger.“ Giacomo sitzt dann mitseiner achtjährigen Schwesteram Fenster und beobachtet dieMenschen draußen, wie sie sichin Regenkleidung und Gummi-stiefeln durch die Fluten mühen.

Wasserfrei. Dass Giacomo zuHause bleibt, kam zuletzt oft vor.Venedig wird immer häufiger vom Hoch-wasser heimgesucht. Schuld daran istnicht allein, dass Venedig absank, weilman dem Boden zu viel Grundwasser ent-nommen hat. Künftig bedroht vor allemder steigende Meeresspiegel die Stadt. Inweniger als 100 Jahren könnte es sein, dassan 250 Tagen des Jahres das Wasser überdie Kanäle tritt, warnt Laura Carbogninvom Meeresforschungsinstitut Ismar. EinKatastrophenszenario. Nun wird gestrit-ten, wie die Stadt reagieren soll.

Wie in deutschen Städten Schneeräu-mer und Streusalz zur Normalität zählen,gehören in Venedig abgewetzte Holzstegezum Stadtbild. Sie stehen stets auf zentra-len Plätzen bereit. Sobald Sirenen Hoch-wasseralarm auslösen, stellen Bewohnerdie Planken in langen Reihen auf. Daraufkönnen sie sich trockenen Fußes fortbe-wegen. Was Kinder und Touristen lustigfinden, sehen andere als Bedrohung an.Vor allem Patrizio Cuccioletta, VenedigsWassermagistrat. Cucioletta hat graueHaare und eine Pfeife im Mund, seinBlick ist streng. Das passt zu seinem Amt,das es schon seit 500 Jahren gibt. DerWasserstadtrat ist für alles zuständig,was mit den Kanälen und der Lagune zutun hat. Wenn der Wasserspiegel steigt,können keine Boote mehr die Brückenpassieren. „Das kann schlimme Folgenhaben, wenn ein Anwohner dringend ei-nen Arzt braucht“, sagt er.

Die Mauer. Venedig hat deswegen be-schlossen, sich zur Wehr zu setzen. Undzwar mit einer gigantischen Mauer, diesich bei drohendem Hochwasser aufrich-ten soll. Kurz heißt der Wall „Mose“. Mo-se, benannt also nach dem Propheten ausder Bibel, der die Juden aus ägyptischerGefangenschaft befreite, indem er dasMeer teilte. 4,6 Milliarden Euro kostetMose. 2014 soll die Mauer stehen.

Venedig

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28 | KLIMA · KINDERLEICHT W E L T A M S O N N T A G N R . 4 8 T T T 2 9. N O V E M B E R 2 0 0 9

Von Florian Eder_ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _

Eingerammt wie Pflöcke ste-hen die Bäume im Schnee, ge-duckt unter der weißen Last dieHäuschen. Im Hintergrund ra-gen eisig und spitz Berge in denHimmel auf, gebeugt sind dieMenschen auf Pieter BrueghelsBild „Heimkehr der Jäger“. Esentstand um 1565 und malt dasBild eines beschwerlichen Win-ters, der den Menschen keineFreude bringt, nur Last.

Es war kalt geworden in Eu-ropa. Alpenseen froren im 15.und 16. Jahrhundert öfter zu alsjemals danach. Aus Köln mehr-ten sich in den Jahren nach 1560die Berichte, der Rhein sei bisauf den Grund gefroren. DieEisgrenzen schoben sich imNordmeer nach Süden, sodassder Schiffsverkehr nach Grön-

land, zuvor ganzjährig möglich,unterbrochen wurde. Und dieLagune von Venedig war 1569auch noch im März eine Eisflä-che, so spät wie nie.

Kalte Jahre. „Kleine Eiszeit“ nen-nen Klimaforscher diese Jahr-hunderte. Klein deswegen, weildiese Kaltperiode kürzer warals früher in der Geschichte un-serer Erde. Vom 14. Jahrhundertan und bis ins 19. hinein war esaußergewöhnlich kalt, beson-ders zwischen 1560 und 1700. DieZeit ist ein Musterbeispiel da-für, wie die Menschen auf Kli-maveränderungen reagieren:Sie waren erst erschrocken –und kamen dann doch klar.

Als Brueghel sein Winterbildmalte, bestimmte das Wetterdie Lebensbedingungen viel un-mittelbarer als heute: Die Kalt-

phase der kleinen Eiszeit, dieum 1560 einsetzte, hatte eineReihe von Missernten zur Folge.Auf den Feldern wuchs kein Ge-treide, auf Alpenalmen konntenkeine Tiere mehr gehalten wer-den. Die Menschen hatten oftnichts zu essen, Bettler zogendurchs Land, Kinder hatten vorHunger geschwollene Bäuche.

Winterblues. Diese Jahre ohneSommer waren, hält man sichLiteratur und Malerei vor Au-gen, von tiefer Traurigkeit ge-prägt: eine ganze Gesellschaftim Winterblues, wie der Histo-riker Wolfgang Behringer in sei-ner „Kulturgeschichte des Kli-mas“ schreibt. Die Menschenhatten Schwierigkeiten, sich anden Klimawandel zu gewöhnen.Sie suchten nach Erklärungenfür die Veränderung in ihrer

Umwelt – und fanden vermeint-liche Antworten. AngeblicheHexen wurden für Ernteausfäl-le, für Kinderlosigkeit undkrankes Vieh verantwortlich ge-macht: Während der KleinenEiszeit erlebte die Hexenjagd inMitteleuropa ihren Höhepunkt.Die Kirchen suchten den Grundfür die plötzlich unwirtliche Na-tur in den Sünden der Men-schen und predigten Umkehr.Den Einfluss des Klimas habenHistoriker erst spät erkannt.

Klima macht Geschichte. Aber ei-ne der Fähigkeiten des Mensch-heit ist es immer gewesen, sichan seine Umgebung anzupassen.Davon zeugt schon die Bauge-schichte der Zeit: Holzhäuserwichen solchen aus Stein, Öfenwurden vom notwendigen Ge-rät zum Statussymbol, bloße

Fensterläden mehr und mehrvon Glasscheiben abgelöst. Undder Winter verlor langsam sei-nen Schrecken: Denn als Wärmein die Stuben einzog, schmolz

auch das Bild vom Klima alsStrafe Gottes dahin. Forscherwie Galileo Galilei (1564–1643)entdeckten Gesetzmäßigkeitenin der Natur. Neue Ideen, das

Gemeinwesen zu organisieren,führten dazu, dass der Staat sichdarum kümmerte, Getreide zulagern und Transportwege aus-zubauen. So war ein Bauer nichtmehr allein vom Wetter überseinen Feldern abhängig.

Schon wenige Jahre nachBrueghels Winterbild hatten dieMenschen zu einem gelassene-ren Umgang mit der Kälte ge-funden. Die Bilder HendrickAverkamps sind ein Beispiel da-für. Eines seiner häufigsten Mo-tive ist der Winter – und immersind es heitere Szenen wie dieauf einem Werk von 1608: Dalaufen Kinder fröhlich Schlitt-schuh auf dem gefrorenen See.

Klimawandel früher: Wie der Winter seinen Schrecken verlor

Beschwerlicher Winter: „Heimkehrder Jäger“ von Pieter Brueghel demÄlteren, gemalt um 1565A

KG

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Gefahr von Sturmfluten an den Küsten, Überflutungsgefahr für Inseln und vorgelagerte Halligen

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Dürre und Hitzeperioden in Ostdeutsch-land, größeres Risiko von Waldbränden und Schädlingsbefall

Durch phasenweise Extremtrockenheit werden Flussbetten stark austrocknen, die Binnenschifffahrt wird stark erschwert

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Mediterranes Klima hält in Mittel- und Norddeutschland Einzug. Die Regionen werden attraktiver für den Tourismus und können auch etwa Wein anbauen. Die Schattenseiten: Quallen- und Grünalgen-plagen

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In den Alpen steigt das Risiko von Erdrutschen, Steinschlägen und Lawinen, der Gletscher auf der Zugspitze wird verschwinden

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Kuckucks könnten aussterben, weil hier überwinternde Vögel ihre Nester früher im Jahr bauen und auch früher im Jahr Eier legen. Wenn der Kuckuck kommt, um seine Eier in fremde Nester zu legen, ist die Brutzeit womöglich schon vorbei

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Exotische bzw. tropische Pflanzen wie die Hanfpalme könnten auch hierzulande heimisch werden und die Flora in Süddeutschland entsprechend verändern

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Neue Insektenarten, etwa die Sandmü-cke, tauchen auf und bringen neue Krankheiten mit

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BAYERN

BERLIN

BREMEN

HAMBURG

HESSEN

MECKLENBURG- VORPOMMERN

NIEDERSACHSEN

NORDRHEIN-WESTFALEN

RHEINLAND-PFALZ

BADEN-WÜRTTEMBERG

SAARLAND

BRANDENBURG

SACHSEN

SCHLESWIG-HOLSTEIN

Warmes Deutschland

NordseeOstsee

THÜRINGEN

So ändert sich das Leben hier zu Lande bis zum Ende des 21. Jahrhunderts – selbst wenn die Erwärmung auf ein bis drei Grad begrenzt bleibt

Tonni Selbo, 31,aus Illulisat

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Giacomo Gardin,12, aus Venedig

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La GiudeccaGolf vonVenedig

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VENEDIG

PiazzaSan Marco

Murano

SanMichele

IsolaLe Vignole

Lido

Canale della Giudecca

+53 cm

geplanteMauer

Verlierer

2Gas ist ein Dünger. Sie bauen damit Biomasse auf. Wenn z.B. abgestorbene Bäume verfaulen, geben sie das Treibhausgas aber wieder ab. Steigt der CO2-Gehalt in der Luft, nehmen Pflanzen auch mehr CO2 auf

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W E L T A M S O N N T A G N R . 4 8 T T T 2 9. N O V E M B E R 2 0 0 9 KLIMA · KINDERLEICHT | 29

Von Daniel Wetzel_ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _

Es gab eine Zeit, da lachte das Herzeines Unternehmers beim Anblick qual-mender Fabrikschlote. Schwarze Rauch-wolken über Schornsteinen, das warenZeichen für eine blühende Wirtschaft undfür Wohlstand. Doch das war einmal.Denn vor gut 30 Jahren entdeckten Wis-senschaftler: Der ganze menschenge-machte Qualm führt dazu, dass sich dieErde bedenklich aufheizt – und das Lebenauf unserem Planeten womöglich langsamunmöglich macht. Seither streiten Politi-ker und Wissenschaftler über die besteMethode, den Fabrik- und Kraftwerksbe-sitzern die Lust an der Luftverschmut-zung auszutreiben.

Warum die Qualmerei nicht einfachverbieten? Den Einbau von Filtern vor-schreiben? Ganz am Anfang dachten diePolitiker an das, was ihnen nahe lag: Ver-bote, Vorschriften, Gesetze. Doch die Poli-tiker hatten es nicht leicht, ihre Vorstellun-gen von Obrigkeit durchzusetzen. Denndie Unternehmer verdienen immerhinGeld und zahlen entsprechend viele Steu-ern. Und sie sorgten für Jobs. Zu viele Ge-setze und Vorschriften – und sie würdeneinfach ins Ausland abwandern und ihreSteuern dort zahlen. Die heimische Wirt-schaft ruinieren für den Klimaschutz? Soweit wollte niemand gehen.

Gutscheine als Ausweg. Zum Glück hattenclevere Wirtschaftsexperten eine bessereIdee: warum nicht das Abgasproblem derUnternehmen auch mit unternehmeri-schen Mitteln lösen? Man müsste dieLuftverschmutzung zu einem Kostenfak-tor in den Bilanzen der Konzerne machen.Und dabei umweltbewussten Unterneh-mern die Chance geben, durch die Einfüh-rung klimaschonender Arbeitsweisen undMaschinen Geld zu sparen oder sogarnoch etwas hinzuzuverdienen. Das war ei-ne Sprache, die die Wirtschaftsvertreterbesser verstanden als das Gerede von Ver-boten und Strafen. Die Idee des sogenann-ten Emissionshandels war geboren.

Inzwischen ist dieser Handel mit „Ver-schmutzungsgutscheinen“, auch „Emissi-onszertifikate“ genannt, zumindest in derEuropäischen Union die wirksamste Waf-fe im Kampf gegen den Klimawandel ge-worden. Wenn Mitte Dezember Politikeraus 193 Staaten in Kopenhagen zum Kli-magipfel der Vereinten Nationen zusam-menkommen, dann reden sie auch darü-ber, wie man den Emissionshandel auf dieganze Welt ausdehnen kann.

Doch wie funktioniert dieser Emissi-onshandel nun? Die Grundidee ist, dassman die saubere Luft, die man früher kos-tenlos mit Abgasen verschmutzen durfte,zu einer Ware macht, mit der man Handeltreiben kann. Wie das geht, zeigt ein Blickauf die Grafik auf dieser Seite.

1 Zunächst rechnen Klimawissenschaft-ler aus, wie viel saubere Luft uns über-

haupt zur Verfügung steht. Die Berech-nungen kamen für Deutschland zu demErgebnis, dass wir pro Jahr nur 970 Milli-onen Tonnen Kohlendioxid ausstoßendürfen, um einen angemessenen Beitragzum Klimaschutz zu leisten. Kohlendioxid(CO2) ist das „Abgas“, das etwa entsteht,wenn man Öl, Kohle, Gas oder Holz ver-brennt. Die 970 Millionen Tonnen CO2,die gerade noch erlaubte Menge, sind imBild als großer grauer Würfel dargestellt,der über unseren Köpfen schwebt.

2 Diese erlaubte Menge an CO2 müssenwir nun gerecht auf alle verteilen, die

Kohlendioxid ausstoßen. Also auf alle Au-tos, Fabriken, Kraftwerke, Flugzeuge,

Schiffe, Bauernhöfe und Haushalte. Zu-ständig für die Verteilung ist eine Behör-de: das Umweltbundesamt in Dessau inSachsen-Anhalt. Um die Sache mit demEmissionshandel erst einmal auszupro-bieren, wählten die Beamten zunächst die1600 schlimmsten Luftverschmutzer unterden Fabriken und Kraftwerken aus – undverpflichteten nur sie zur Teilnahme amHandel mit Verschmutzungsrechten.

Den 1600 Anlagenbetreibern wurde ei-ne absolute Obergrenze vorgegeben: Allezusammen dürfen nicht mehr als 452 Mil-lionen Tonnen Kohlendioxid pro Jahr aus-stoßen. Für jede Tonne Kohlendioxid, diedurch den Schornstein gehen soll, müssendie Fabrik- und Kraftwerksbetreiber beimUmweltbundesamt nun jeweils sozusageneinen Berechtigungsschein kaufen: einEmissionszertifikat eben.

3 Der Besitzer einer schmutzigen Fa-brik steht damit vor einem doppelten

Problem: Zunächst muss er für seine vie-len Abgase entsprechend viele Emissions-rechte beim Umweltamt kaufen. Das kannfür eine einzige Anlage mehrere MillionenEuro zusätzlicher Kosten bedeuten.

Das zweite Problem: Er kann von derBehörde gar nicht so viele Berechtigungs-scheine bekommen, wie er eigentlich

bräuchte, um seine Fabrik wie bisher rundum die Uhr arbeiten zu lassen. Denn dieGesamtmenge der Zertifikate wurde vonder Behörde ja begrenzt. Und diese Men-ge wurde so berechnet, dass sie nicht aus-reicht, um alle 1600 Anlagen wie bislangweiterlaufen zu lassen. Wenn derSchmutzfink unter den Fabrikanten alleEmissionsberechtigungen verbraucht hat,muss er die Fabrik stilllegen – eigentlich.

4 Zum Glück gibt es aber auch saubereFabriken, die mit Filteranlagen ausge-

rüstet wurden. Oder auch Kraftwerke, dievon der Verbrennung schmutziger Kohleauf vergleichsweise sauberes Erdgas um-stellen. Diese Fabrikbesitzer und Energie-konzerne kommen also nicht nur mit denihnen zugeteilten Emissionszertifikatengut aus – sie haben sogar noch welche üb-rig. Und die können sie dann gegen baresGeld weiterverkaufen.

5 Der Ort, an dem dies in Deutschlandgeschieht, ist die Energie-Börse EEX

in Leipzig. Der Besitzer einer schmutzi-gen Fabrik kommt hierher, um neue Emis-sionszertifikate zu kaufen, damit er seineProduktion nicht unterbrechen muss. DerSaubermann dagegen verkauft hier seineüberschüssigen CO2-Gutscheine. Die Bör-se ist damit eine Art Marktplatz, auf demAnbieter und Käufer zusammenfinden.

Ein einzelner Gutschein, der zur Ver-schmutzung der Luft mit einer Tonne CO2

berechtigt, wird an der EEX derzeit für 20bis 30 Euro gehandelt. Erinnern wir uns:Das Umweltbundesamt gibt im Jahr 452Millionen Emissionszertifikate aus. Wennjeder davon so viel wert ist, ergibt sich ei-ne Gesamtsumme von rund zehn Milliar-den Euro, worum die 1600 Unternehmenda jedes Jahr feilschen. Eine gewaltigeSumme – und gleichzeitig ein gewaltigerAnreiz, in umweltschonende Technolo-gien zu investieren, um die eigene Fabrikein kleines bisschen sauberer zu machen.

Kein Ablasshandel. Kritiker behaupten,der Emissionshandel sei nicht besser alsder sogenannte Ablasshandel der katholi-schen Kirche im Mittelalter. Damalskonnte sich ein Sünder von der drohendenVerdammnis im Höllenfeuer durch eineGeldspende an die Kirche freikaufen.

Doch der Vergleich hinkt: Einzelne Un-ternehmen mit hohem CO2-Ausstoß kön-nen sich zwar eine Zeit lang retten, indemsie an der Börse weitere Verschmutzungs-rechte erwerben. Alle 1600 Luftverpesterzusammen haben aber nicht die Chance,sich freizukaufen. Denn weil die Gesamt-menge an Verschmutzungsrechten künst-lich knapp gehalten wurde, sind irgend-wann alle Zertifikate vergriffen, und amEnde muss zumindest ein Teil der Fabri-ken den CO2-Ausstoß senken. Die „Decke-lung“ auf die Zahl von 452 Millionen Gut-scheinen pro Jahr garantiert also, dass derSchutz des Klimas profitiert.

Inzwischen wurde die Idee des Emissi-onshandels längst weiterentwickelt. Fa-brikbesitzer brauchen zum Beispiel nichtmehr unbedingt die eigene Fabrik saube-rer zu machen: Es reicht, wenn sie in ir-gendwelchen Entwicklungsländern Um-weltprojekte finanzieren. Dafür bekom-men sie von der „Deutschen Emissions-handelsstelle“ im Umweltbundesamtebenfalls eine entsprechende Menge anEmissionszertifikate ausgehändigt, die siedann verkaufen können.

Der Vorteil dabei: Gibt man zum Bei-spiel 100 000 Euro dafür aus, ein altes, we-nig effizientes Kraftwerk in Indien oderAfrika mit Filtern auszustatten, spart mandamit meist sehr viel mehr Kohlendioxidein, als wenn man dieselbe Menge Geldesin die ohnehin schon recht modernendeutschen Kraftwerke stecken würde (sie-he auch den Artikel unten links).

Diese Methode, Investitionen in denKlimaschutz ins Ausland zu lenken, wirdim Englischen „Clean Development Me-chanism“ oder CDM genannt. Ins Deut-sche könnte man den Begriff vielleicht mit„Mechanismus der sauberen Entwick-lungshilfe“ übersetzen.

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Börse

Geld stinkt nichtFrüher konnte jeder Fabrikbesitzer

so viel Treibhausgase durch

seine Schlote jagen, wie er wollte. Heute helfen Unternehmen aktiv

beim Klimaschutz mit – dank des „Emissionshandels“

Von Florian Hassel_ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _

Vielleicht sind es ja die Tuk-Tuks ausder südindischen Stadt Chennai, von de-nen die Historiker der Zukunft berichten,wenn sie schildern, wie die Menschheitden Kampf gegen den Treibhauseffekt ge-wonnen hat. Allein in Indien tragen fünfMillionen Rikschataxis, wegen der meistebenso lauten wie altersschwachen Zwei-taktmotoren Tuk-Tuks genannt, mit ihrenAbgasen zur Klimaerwärmung bei.

Doch Tuk-Tuks könnten deutlich weni-ger Schmutz in die Atmosphäre schleu-dern. Im Juli errangen Studenten derSRM-Universität von Chennai den Siegbei einem Wettbewerb um umweltscho-nende Motorumbauten. Die Siegermotorverbraucht für die gleiche Strecke 40 Pro-zent weniger Benzin und stößt 40 Prozentweniger des Treibhausgases Kohlendioxid(CO2) aus als die bisher üblichen.

Der Wettbewerb in Indien war die vor-erst letzte Etappe einer Zusammenarbeitzwischen Indern und der holländischenUmweltorganisation Enviu. Kommt derTuk-Tuk-Nachrüstsatz auf den Markt,können ihn Rikschabesitzer für umgerech-net 100 bis 200 Euro kaufen – und dasGeld rasch durch eine niedrigere Benzin-rechnung wieder hereinholen.

Gewiss ist für die Klimarettung dasscharfe Zurückfahren des Energiever-brauchs in den Industrieländern unver-

zichtbar. Doch das kostet Zeit. Dagegenkann man in Asien, Afrika und Südameri-ka mit weniger Geld schneller etwas fürden Klimaschutz erreichen.

Schon 2006 sorgten mit Transport ver-bundene Abgase weltweit für 13 Prozentaller Treibhausgase. Kolumbiens Haupt-stadt Bogotá zum Beispiel hat seit 2001 al-te Busse und Sammeltaxis durch ein mo-dernes Schnellbussystem ersetzt. Benzin-verbrauch und Schadstoffausstoß sollenum knapp 60 Prozent gesunken sein.

Auch beim Kochen ist viel für den Kli-maschutz zu holen. Die Mehrheit der eineMilliarde Inder kocht und heizt mit klei-nen Öfen, die pechschwarzen Ruß in dieLuft schicken. Der Ruß aus kleinen Öfen,alten Dieselmotoren und Kohlekraftwer-

ken und anderen Dreckschleudern ist ver-mutlich der zweitwichtigste Verursacherder Klimaerwärmung. Würden etwa Indi-ens Dorfbewohner ihre altmodischen, mitDung, Holz oder Ernteabfällen befeuer-ten Öfen und Herde gegen moderne Solar-herde eintauschen, könnte dies – im Zu-sammenspiel mit modernen Gas- undHolzöfen für wolkige Tage – den Rußaus-stoß um über 90 Prozent verringern.

Auch Investitionen in Chinas Glühbir-nenfabriken würden sich lohnen. Dienämlich stellen 70 Prozent aller weltweitverbrauchten Glühbirnen her. Selbst Ha-logenleuchten sind klimatechnisch längstüberholt. LED-Leuchten sind um dieHälfte effektiver. Anfang 2008 begann dieUniversität im chinesischen Tianjin schoneinmal damit, 15 Kilometer Straßenbe-leuchtung durch LEDs zu ersetzen.

Doch der Teufel steckt im Detail – etwabeim Ofentausch in Indien. „Die Solar-öfen sind in den Dörfern durchgefallen“,sagt Ibrahim Rehman vom Institut fürEnergie und Ressourcen in Neu-Delhi.„Sie sind nicht stabil genug, mit umgerech-net mindestens 80 Euro für einen Dorfbe-wohner zu teuer – und vor allem fehlt denSpeisen der typische Geschmack, derdurch den Rauch entsteht.“ Neulich hatRehman modernisierte, abgasärmere Bio-masseöfen zur Praxiserprobung in dieDörfer geschickt. Die kosten die Hälfte.Und das Essen schmeckt weiter kräftig.

Entwicklungsländer: Kleiner Einsatz,großer Gewinn für das Klima

Tuk-Tuk: 200 Euro reichen, um den Ausstoßvon CO2 um 40 Prozent zu vermindern

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Von Martin Greive_ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _

Schon heute wird viel gegen den Kli-mawandel getan. Allein die EuropäischeUnion will zwischen 2007 und 2013 mehrals 100 Milliarden Euro für eine „grüneÖkonomie“ ausgeben. Doch selbst solcheBeträge reichen nach Ansicht vieler Ex-perten nicht annähernd aus, um das Pro-blem in den Griff zu kriegen. Deshalbstellt sich die Frage, ob wir überhaupt inunserem gewohnten Wohlstand weiterle-ben können, wenn wir derart viel Geldaufbringen müssen, um den Klimawandelauch nur einzudämmen.

Einschlägige Untersuchungen kommenzu recht unterschiedlichen Ergebnissen.Nach Angaben des berühmten, vor dreiJahren veröffentlichten „Stern-Reports“müsste etwa ein Prozent der jährlichenweltweiten Einkommen ausgegeben wer-den, um die Menge der Treibhausgase inder Luft zu stabilisieren.

Zu einer anderen, nicht direkt ver-gleichbaren Zahl kommt eine gerade er-schienene Studie des Versicherungskon-zerns Allianz und der Naturschutzorgani-sation WWF. Danach verzögern die Auf-wendungen für den Klimaschutz dieMehrung des globalen Wohlstands um einJahr. Die Wirtschaftsleistung, die sonstbereits im Jahr 2050 möglich wäre, würdeein Jahr später, also 2051, erreicht. Aller-dings sind in dieser Rechnung die drohen-

den, aber so vermiedenen Kosten durchKlimaschäden nicht berücksichtigt.

Hoffnung macht auch eine Studie derUnternehmensberatung McKinsey. Siebesagt: Es ist noch zu überschaubarenKosten möglich, bis zum Jahr 2030 welt-weit jene rund 27 Milliarden Tonnen Koh-lendioxid einzusparen, die nach den meis-ten wissenschaftlichen Erkenntnissen nö-tig sind, um die Erderwärmung auf zweiGrad Celsius zu begrenzen.

Maßnahmen wie Gebäudesanierungrechneten sich sogar wirtschaftlich, weildie Haushalte durch geringere Energie-kosten unter dem Strich Geld sparen. DenMcKinsey-Experte zufolge müsste die Eu-

ropäische Union für alle Maßnahmen zu-sammen zwischen 800 Milliarden und 1,1Billionen Euro aufbringen, um das selbstgesteckte Ziel einer 20-prozentigen Min-derung des Ausstoßes von Treibhausga-sen bis 2020 zu erreichen.

Kritiker monieren, das Ziel der Europä-er sei zu ehrgeizig. Die KlimaforscherinClaudia Kemfert vom Deutschen Institutfür Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlinhält das für falsch. Kemfert glaubt, „dassdie Kosten des Nichthandelns deutlichgrößer sind als die Kosten des Handelns“.Und vor allem: Je später mit einer aktivenKlimaschutzpolitik begonnen werde, umso teurer werde sie.

Der Klimawandel könnte teuer werden – der Schutz vor ihm aber auch

Warm = kostspielig?

UNTERSUCHUNGA Der Ökonom Richard Tol hat dieStudien durchforstet, die es zuden wirtschaftlichen Folgen desKlimawandels gibt. Die Band-breite der Prognosen zeigt: Selbsteine starke Erwärmung würde denmenschlichen Wohlstand laut Tolnur um ein paar Prozent mindern.Aber ausgerechnet die Armenwären am härtesten betroffen.

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Wie unser Wohlstand vom Klima abhängt

Von Daniel Wetzel_ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _

Nicht ganz zu Unrecht sind diegroßen Kohlekraftwerke als Klima-killer verschrien. Immerhin blasensie Jahr für Jahr Millionen Tonnendes Treibhausgases Kohlendioxid(CO2) in die Atmosphäre – und sinddamit für gut ein Drittel aller klima-schädlichen Emissionen Deutsch-lands verantwortlich. In Zukunftkönnten wir ohne Dreckschleudernauskommen. Und zwar so:

Windkraftwerke. Heute schon gibtes rund 20 300 Windräder inDeutschland, sie könnten siebenProzent des Strombedarfs abde-cken. Keine andere Ökostrom-technik liefert derzeit so viel Kilo-wattstunden. Jedenfalls dann, wennes weht. Es gibt auch Tage, daherrscht Flaute, und alle Propellerstehen still. Dann müssen andereEnergieerzeuger einspringen. Da-her kann man ein Land nicht alleinaus Windkrafträdern versorgen.

Offshore-Windkraft. Gerade ist inder Nordsee auch der erste deut-sche „Offshore-Windpark“ mitzwölf Propellern in Betrieb gegan-gen. „Off shore“ ist englisch und be-deutet „vor der Küste“. In zehn Jah-ren sollen sich mindestens 2000dieser 150 Meter hohen Dreiflüglerin Nord- und Ostsee drehen undnoch viel mehr Windstrom liefern.Vorteil: Auf hoher See weht derWind meist stark und stetig. Nach-teil: Die Anlagen in der sturmge-peitschten Hochsee sind teuer, re-paraturanfällig und schlecht zu

warten. Speichern kann man Wind-strom zudem fast nur in Stauseen.Der Windstrom wird dazu benutzt,um Wasser in einen Bergsee zupumpen. Fällt der Wind aus, kannman das Wasser wieder zu Tal rau-schen lassen und damit Turbinenantreiben, die Strom produzieren.Weil es aber nicht genügend Stand-orte für Stauseen gibt, ist diese Artder Stromspeicherung begrenzt.

Fotovoltaik. Solarzellen könnenSonnenlicht direkt in Strom um-wandeln. Das Problem: Solarzellenbringen bislang relativ wenig Leis-tung. So ist die größte Dachsolar-anlage der Welt im hessischen Bür-stadt mit 50 000 Quadratmetern sogroß wie acht Fußballfelder. Unddennoch entspricht diese installier-te Leistung nur der eines einzigenOffshore-Windrades. Während derlangen dunklen Herbst- und Win-termonate produzieren die Solar-module nur wenig Strom – und inder Nacht natürlich gar keinen. Da-bei wird gerade in der Dunkelheitder Strom für die Beleuchtung be-nötigt. Damit die Fotovoltaik mehrals einen kleinen Beitrag zur Strom-versorgung leisten kann, müssenzunächst neue Stromspeicher er-funden werden.

Solarthermische Kraftwerke. DasProblem mit der Speicherung hatman im Falle von solarthermischenKraftwerken bereits gelöst. DasSonnenlicht wird hier mit einemParabolspiegel auf eine Röhre ge-richtet. Mit der gebündelten Hitzebringt man in der Röhre eine Flüs-

ken kommen. Ein Küstenland wieSchottland könnte man schon inzehn Jahren zu 40 Prozent mitStrom aus Wellenkraftwerken ver-sorgen. Dabei lässt man Wellen insogenannte pneumatische Kam-mern aus Beton schwappen. Mitder so zusammengepressten Luftkann man Turbinen zur Strompro-duktion antreiben. Bei einer ande-ren Technik legt man lange Röhrenaus beweglichen Einzelteilen aufdas Wasser. Die Wellen drehen dieeinzelnen Röhrenelemente so, dassin ihrem Inneren Hydraulikzylin-der zusammengedrückt werden,die ihrerseits wieder Stromgenera-toren antreiben. Die Technik istnoch in der Entwicklung. Ein Pro-blem ist die hohe Schadensanfällig-keit bei Winterstürmen auf See.

Geothermie. Je tiefer man bohrt,desto wärmer wird es. In einigenRegionen ist das Tiefenwasser soheiß, dass man es an die Oberflächeholen und damit Turbinen antrei-ben kann. Das Potenzial ist gewal-tig: In den ersten drei Kilometernder Erdkruste ist so viel Wärme ge-speichert, dass man die Welt damit100 000 Jahre mit Energie versorgenkönnte. Allerdings ist der Aufwandeiner Tiefenbohrung so hoch, dasssich die Nutzung der Erdwärme zurStromerzeugung bislang noch nichtüberall rechnet. Ein weiteres Pro-blem: Gibt es zu viele Bohrungenauf kleiner Fläche, kühlt der Unter-grund aus. Die Anlagen produzie-ren dann so lange nichts mehr, bissich die Wärme regeneriert hat.

Dabei kann Strom sosauber sein ...

Wie wir genug umweltfreundliche Energieaus Sonne, Wind und Wellen gewinnen

sigkeit zum Kochen. Den Dampflässt man dann durch eine Turbinezischen und produziert mit ihrStrom, ähnlich wie mit einem sichdrehenden Fahrraddynamo. Mitüberschüssigem Dampf kann manauch eine Salzlauge in einem Tankerhitzen, die Wärme gut speichert.Die gespeicherte Wärme lässt sichauch in der Nacht noch nutzen, umDampf zu produzieren und diesendann durch Turbinen jagen. Deut-sche Konzerne planen, mehrereDutzend dieser Kraftwerke in dernordafrikanischen Wüste zu bauen– und den Strom mit Unterwasser-kabeln durch das Mittelmeer nachEuropa zu leiten. Klappt alles,könnte das Projekt Desertec (vonEnglisch „desert“ für Wüste) ein-mal einen beträchtlichen Beitragzur Stromversorgung leisten.

CCS-Kraftwerke. Die AbkürzungCCS steht für „Carbon Capture andStorage“ – zu Deutsch: Abtrennungund Einlagerung von Kohlendioxid.Die Idee: Die Abgase der Kohle-verbrennung sollen nicht mehrdurch den Schornstein des Kraft-werks gejagt werden. Stattdessensoll das Treibhausgas CO2 bei derVerbrennung abgefiltert werden.Dann soll es über Pipelines in un-terirdische Kavernen gepumpt wer-den, etwa in erschöpfte Gas- oderErdöllagerstätten. Vorteil: Der bil-ligste Brennstoff, über denDeutschland selbst in großem Um-fang verfügt, die Braunkohle, könn-te weiter zur Stromproduktion ge-nutzt werden, ohne Klima und Um-welt zu belasten. Die Technik istnoch in der Erprobung. Viele Men-schen, die in der Nähe eines geplan-ten CO2-Lagers wohnen, habenAngst vor einer „Deponie“ im Un-tergrund. Deshalb leisten einigeBürgerinitiativen Widerstand ge-gen diese Technik, obwohl CO2 fürMenschen nicht giftig ist – und dieunterirdischen Kavernen MillionenJahre ja zum Beispiel auch Erdgassicher eingeschlossen hatten.

Wellen- und Gezeitenkraftwerke.Potenziell 15 Prozent des weltwei-ten Strombedarfs werden einmalvon Wellen- und Gezeitenkraftwer-Der Wind, ein himmlisches Kind: Man kann mit ihm spielen. Oder ihn nutzen, um sauberen Strom herzustellen

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