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Münchner Merkur Nr. 231 | Montag, 7. Oktober 2013 Redaktion Medizin: (089) 53 06-425 [email protected] Telefax: (089) 53 06-86 61 19 Leben Prof. Dr. Christian Stief Als Chefarzt im Münchner Klinikum Großhadern erle- be ich, wie wichtig medizini- sche Aufklärung ist. Meine Kollegen und ich stellen Ih- nen daher jeden Montag ein Thema vor, das für Ihre Ge- sundheit von Bedeutung ist. Heute informieren Sie Ober- arzt Prof. Adrian Danek von der Neurologie des Klini- kums Großhadern und Prof. Janine Diehl-Schmid von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kli- nikums rechts der Isar zur Frontotemporalen Demenz. Internetseite (www.deutsche- alzheimer.de). Informationen bietet auch folgende Seite des Bundesfamilienministeriums: www.wegweiser-demenz.de. Die Möglichkeiten zur The- rapie der FTD sind begrenzt, nur die Symptome lassen sich mildern. Zum Einsatz kom- men dabei etwa Antidepressi- va, manchmal auch Neurolep- tika, wenn Patienten sehr ag- gressiv werden. Oft hilfreicher als Medikamente ist es, erhal- tene Fähigkeiten des Kranken zu fördern – etwa durch Ergo-, Musik- oder Kunsttherapie. Zu den geistigen Ausfällen kommen dennoch bald weite- re neurologische Symptome: Betroffenen fällt das Gehen schwer, sie werden inkonti- nent und leiden oft früh unter teils starken Schluckstörun- gen. Leicht gerät dabei Essen in die Luftröhre. Manche Pa- tienten essen dann nur noch wenig, magern ab. Immer wie- der ersticken Kranke auch da- ran. Oder sie bekommen Lun- genprobleme oder sterben an einer Lungenentzündung. Im Schnitt leben Patienten noch Isar. Auch das erschwert die Diagnose. Zumal viele Ärzte in ihrer Ausbildung nie einen FTD-Patienten gesehen ha- ben, weil die Erkrankung so selten ist. Die in Lehrbüchern beschriebenen Beschwerden deckten sich aber oft kaum mit der Wirklichkeit, sagt Da- nek. Und: Um Veränderungen zu erkennen, muss man wis- beim Stehlen erwischt.“ Oft entwickeln Patienten auch ei- nen Heißhunger auf bestimm- te Lebensmittel, meist Süßes. Dabei hat längst nicht jeder Patient alle Symptome. „Die Krankheit ist ein Chamäle- on“, sagt Prof. Janine Diehl- Schmid von der Klinik für Psychiatrie und Psychothera- pie des Klinikums rechts der auch die Diagnose. „Bei jun- gen Leuten denkt man einfach nicht an Demenz“, sagt Prof. Adrian Danek, Oberarzt an der Klinik für Neurologie des Münchner Klinikums Groß- hadern. Hinzu kommt, dass FTD im Vergleich zur Alz- heimerschen Krankheit, an der etwa zwei Drittel aller De- menzkranken leiden, selten ist. Hierzulande sollen unter 100 000 Einwohnern drei bis zwanzig daran leiden, so Da- nek. Eine grobe Schätzung: Oft wird die Erkrankung nicht oder spät erkannt. Danek geht davon aus, dass viele mit fal- scher Diagnose leben. Die Symptome sind für An- gehörige verstörend. So wer- den ehemals pflichtbewusste Menschen oft unbedacht, ver- nachlässigen ihre Aufgaben, aber auch Hobbys und Fami- lie. Manche ziehen sich zu- rück, werden teilnahmslos, andere reizbar und aggressiv. Viele verhalten sich plötzlich taktlos und enthemmt. „Sie essen dann zum Beispiel je- mand anderem vom Teller“, sagt Danek. „Oder sie werden Ist von Demenz die Rede, denken die meisten Men- schen an Vergesslichkeit und Alzheimer. Dabei gibt es viele Demenzformen – und längst nicht bei jeder sind Probleme mit dem Gedächtnis die ers- ten Anzeichen. So ist es etwa bei Frontotemporaler De- menz (FTD) erst in einem spä- ten Stadium betroffen. Früh jedoch verändern sich Per- sönlichkeit und Verhalten. Ursache der Erkrankung, die früher Pick-Krankheit ge- nannt wurde, ist ein Massen- sterben von Gehirnzellen im Frontal- und Temporallap- pen. Dieser Teil des Gehirns liegt unter der Stirn und im Bereich der Schläfen. Schuld am Zelltod sind vermutlich Eiweißklumpen, die sich im Hirn ablagern. Warum sie ent- stehen, ist noch unklar. Auch gibt es bislang keine Therapie, mit der sich die Erkrankung heilen, ihr Fortschreiten stop- pen oder bremsen ließe. Das ist doppelt tragisch, da Betroffene bereits in jungen Jahren, meist zwischen 50 bis 60, erkranken. Das erschwert Frontotemporale Demenz: Symptome, Therapie und Forschung sechs bis zwölf Jahre nach dem Beginn der Erkrankung. Im Endstadium leiden sie an schwerer Demenz und sind pflegebedürftig. Doch in der Forschung gibt es Fortschritte: In einer Studie am Klinikum rechts der Isar wird derzeit der Wirkstoff Me- thylenblau getestet. Er soll Ei- weißablagerungen im Gehirn auflösen. Bei einer seltenen Form, der Progranulin-ab- hängigen FTD, setzen Ärzte große Hoffnungen in bereits bei anderen Erkrankungen bewährte Mittel, etwa das Ma- lariamedikament Chloroquin. Entscheidend für neue Ent- wicklungen, bei der seltenen FTD mehr noch als bei ande- ren Erkrankungen, ist die Zu- sammenarbeit vieler Zentren. Nur so lassen sich genug Da- ten sammeln, um die Wirk- samkeit zu testen. So arbeiten die beiden Münchner Unikli- niken auch in einem nationa- len Konsortium zusammen. ANDREA EPPNER Leserfragen an die Experten: [email protected] sen, wie eine Person früher war. Dem Arzt, der einen Pa- tienten zum ersten Mal ken- nenlernt, erscheint darum oft alles in Ordnung. Ihm gegen- über würden sich Patienten oft besonders normal geben, sagt Diehl-Schmid. Denn Betroffene selbst füh- len sich meist gesund. Die An- gehörigen leiden indes dop- pelt. Sie müssen hilflos zuse- hen, wie ein geliebter Mensch zum Fremden wird. Oft glaubt ihnen zudem lange niemand. Viele werden durch die psy- chische Belastung selbst krank. „Wir haben eine Um- frage unter 94 Angehörigen von FTD-Patienten gemacht“, sagt Janine Diehl-Schmid. „48 von ihnen hatten eine Depres- sion entwickelt.“ Am Klinikum rechts der Isar hat die Ärztin eine Ange- hörigengruppe gegründet. Be- troffene können sich hier mit anderen Angehörigen austau- schen und Tipps holen. Auch die Deutsche Alzheimer-Ge- sellschaft engagiert sich für FTD-Kranke, organisiert Ver- anstaltungen und betreut eine Demenz-Experten: Prof. Janine Diehl-Schmid vom Klinikum rechts der Isar und Prof. Adrian Danek vom LMU-Klinikum. Angst. Immer wieder habe sie den Ärzten von der Verwand- lung erzählt, die sie bei ihrem Mann beobachtet hatte. Doch die glaubten ihr nicht. Auch Freunde ahnten nicht, dass er wirklich krank war. Er ging zur Arbeit, mähte den Rasen. Wie immer. Drinnen aber sta- pelte sich ungeöffnete Post, die Briefe überforderten ihn. Als Susanne Z. endlich aus der Klinik entlassen wurde, war sie sicher: Nicht sie, son- dern ihr Mann war krank – und erneut ging sie mit ihm zu dessen Hausarzt. Auch dem fiel erst nichts auf. Doch er untersuchte in seiner Praxis auch Berufskraftfahrer auf ih- re Eignung. Dazu gehörte ein Test am Computer, bei dem Sprache, Logik und Reaktion getestet werden. Als Susanne Z. nicht lockerließ, testete er ihren Mann. „Als er mit dem Ergebnis kam, war er asch- grau im Gesicht“, erzählt sie. Nach einer Blutuntersu- chung vermutete der Arzt eine Neuroborreliose. Bei der sel- tenen Form der von Zecken übertragenen und von Bakte- rien ausgelösten Infektion ist auch das Nervensystem be- troffen. Eine Untersuchung des Nervenwassers beim Neu- rologen lieferte keine Hinwei- se darauf. Susanne Z. fand die STIEFS SPRECHSTUNDE .................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................. Diagnose später selbst: Eine Freundin, selbst Laborärztin, brachte sie auf die Idee. Es gä- be da eine schlimme Krank- heit, die Frontotemporale De- Krankheit ist. Sie würde un- aufhaltsam fortschreiten, ihr Mann in wenigen Jahren da- ran sterben. Der verstand nur, dass etwas an seinem Gehirn kaputt ist. „Ich glaube nicht, dass er erfasst hat, was das be- deutet“, sagt Susanne Z. Schon vor der Diagnose hat sie ihren Mann um eine Vor- sorgevollmacht gebeten. Das erleichterte ihr nun, alles Nö- tige zu organisieren. Was alles zu tun war, musste sie erst he- rausfinden. Viel Hilfe bekam sie nicht: Im Gegensatz zu der eher seltenen Frontotempora- len Demenz, die in der Regel bei unter 60-Jährigen auftritt, erkranken die meisten De- menzpatienten erst im Alter. Beratung und Pflege sind auf ihre Bedürfnisse zugeschnit- ten. Doch was, wenn ein De- menzpatient noch berufstätig und körperlich fit ist? Wo kann er betreut werden? Susanne Z. verbrachte viel Zeit damit, solche Fragen zu klären, Behördengänge zu er- ledigen. Für ein Problem fand sie lang keine Lösung: die Be- menz, hat sie ihr erzählt. Su- sanne Z. hatte noch nie davon gehört. Sie informierte sich im Internet, las von den typi- schen Symptomen. „Da wuss- te ich: Das ist es!“, sagt sie. Im Internet fand sie auch ei- nen Arzt, der sich damit aus- kannte – und fuhr mit ihrem Mann zu Prof. Adrian Danek in die Neurologische Klinik des Klinikums Großhadern in München. Erstmals wurde ihr Mann dort genau untersucht: Eine Magnetresonanztomo- grafie (MRT) sollte einen Tu- mor als Auslöser der Be- schwerden ausschließen und zeigen, ob und wo das Gehirn an Volumen eingebüßt hat. Eine Positronenemissionsto- mografie (PET) verriet, in wel- chen Bereichen es besonders aktiv war – und wo nicht. Hin- zu kamen Tests zu den geisti- gen Fähigkeiten: Stefan Z. sollte Formen zeichnen, Wör- ter aus dem Gedächtnis wie- dergeben, Zahlenreihen fort- setzen, Redewendungen in- terpretieren. Oft blickte er hil- fesuchend zu seiner Frau. Danek musste Susanne Z.s Verdacht bestätigen, zwei Ta- ge vor dem 49. Geburtstag ih- res Mannes. „Ich war wie be- täubt“, sagt sie. Längst wusste sie, dass eine Frontotempora- le Demenz eine unheilbare kämpft gegen die Tränen. Doch sie fasst sich schnell. Susanne Z. ist eine starke Frau. Sie hat gern alles im Griff, auch sich selbst. Ihr blondes langes Haar ist ge- pflegt, sie trägt Kostüm und hohe Schuhe. Sie kommt ge- rade aus dem Büro, Susanne Z.. ist beruflich erfolgreich. So wie lange Zeit auch ihr Mann. Schon bei den Vorbereitun- gen zur Hochzeit sei er nicht mehr so locker gewesen, sagt Susanne Z. Später wuchs das Gefühl, dass etwas nicht stimmte. Sie verdrängte es. Im Sommer 2011 im Urlaub mit Freunden und ihren Eltern ging das nicht mehr. Susanne Z. erinnert sich, wie sie im Bett zu ihrem schlafenden Mann hinübersah. „Plötzlich hatte ich das Gefühl: Da liegt ein Fremder.“ Ein unheimli- ches, verstörendes Gefühl. Susanne Z. würde es lang nicht loslassen – und mit der Diagnose „Depression“ sogar für Wochen in die Psychiatrie bringen. Sie war verzweifelt, manchmal wurde ihr übel vor Hilflos wie ein Kind, geis- tig träge, oft ungewohnt taktlos: Susanne Z. erlebt, wie sich ihr Mann, noch keine 50, in einen Frem- den verwandelt. Lange ist sie die Einzige, die das bemerkt – bis endlich die Diagnose gestellt wird: Ihr Mann leidet an Fron- totemporaler Demenz. VON ANDREA EPPNER Hatte sie sich alles nur einge- bildet? Das fragte sich Susan- ne Z. oft, wenn sie nachts wie- der wach lag, in ihrem Bett in einer psychiatrischen Klinik. Vielleicht hatten die Ärzte Recht und es war nicht ihr Mann, mit dem etwas nicht stimmte – sondern sie selbst. Doch warum diese Ausset- zer? Ihr Mann wollte etwas sagen, brach im Satz ab. Frag- te sie nach, blickte er sie ver- ständnislos an. Oft reagierte er dann auch gereizt. Er war überhaupt so aufbrausend ge- worden – eigentlich nicht sei- ne Art. Er redete sich schnell in Rage, wurde ausfallend. „Schlampen!“, schimpfte er dann. Oder: „Rattengift werde ich für den verdammten Köter besorgen!“ So kannte Susan- ne Z. ihren Mann, mit dem sie seit mehr als zehn Jahren zu- sammen war, nicht. Sie hatte sich auf ihn verlassen können, er hatte sie verstanden, oft die Initiative ergriffen. Nun war er planlos, reagierte oberfläch- lich und emotionslos. Sonst bemerkte niemand die Verwandlung. Wer Stefan Z. nicht jeden Tag traf, konnte tausend Gründe dafür finden – einen schlechten Tag, Ehe- probleme, das Älterwerden. So fiel auch am Arbeitsplatz des IT-Experten nichts auf: Er war im Außendienst tätig, in der Welt der Computer fand er sich noch lange zurecht. Dass das nicht mit allem so war, wusste nur Susanne Z. Oder war ihr Mann schon immer so gewesen und sie hat- te früher unbewusst darüber hinweggesehen? Schließlich war sie mit ihm bei mehreren Ärzten. Er fühlte sich gesund, war aber mitgekommen. Wie ein Kind, das man an der Hand nimmt, kam er ihr vor. Sie fühlte sich abgestoßen, das war nicht ihr Mann! Die Ärzte konnten nichts finden. Susanne Z. zeigt ein Foto aus glücklichen Zeiten: sie im Brautkleid, ihr Mann im An- zug. „Wir haben 2008 geheira- tet“, sagt die 46-Jährige. Dann bricht ihr die Stimme, sie Wenn ein geliebter Mensch zum Fremden wird Leben in ihrer eigenen Welt: Patienten mit frontotemporaler Demenz entfernen sich immer weiter – bis sie selbst für ihre Lieben unerreichbar sind. DPA treuung. Anfangs kam ihr Mann noch gut zurecht, fuhr mit dem Auto, arbeitete noch einige Monate. Bald aber ging das nicht mehr. Erst musste ihm Susanne Z. die Auto- schlüssel wegnehmen, dann erklären, dass er nicht mehr arbeiten durfte. Sein Chef hat- te es am Ende ihr überlassen, ihm das zu sagen. „Ich glaube, er hatte Angst vor ihm“, sagt Susanne Z. Ihr Mann ist groß und kräftig, die Krankheit hat- te ihn aggressiv gemacht. Spä- ter würde er sogar einmal sei- ne Hände an ihren Hals legen. 15 Monate nach der Diag- nose ging es nicht mehr allein daheim. Gerne hätte Susanne Z. ihren Mann in eine Tages- pflege gegeben und betreut ge- wusst, während sie arbeitete. Doch die wenigen ambulan- ten Einrichtungen in Mün- chen, die Demenzkranke auf- nehmen oder betreuen, waren voll belegt – und meist für jün- gere Menschen ungeeignet. So blieb nur die Vollzeit- pflege. Susanne Z. erinnert sich noch genau an den ankla- genden Blick ihres Mannes, als er nicht mehr mit heim durfte. Hatte sie ihm schon das Autofahren und die Arbeit nehmen müssen, sei das „der dritte Dolchstoß“ gewesen. Dabei hatte sie lang nach ei- nem guten Platz gesucht. Ihr Mann musste sogar für ein paar Wochen in ein geschlos- senes Alten- und Demenzpfle- geheim – bis man ihr sagte, dass man sich nicht angemes- sen um ihn kümmern könne. Heute lebt Stefan Z. in einer Demenz-WG in Allach. Dort wird gemeinsam gekocht wie in einer normalen Wohnung, die Türen bleiben offen. Das braucht viel Personal – und ist teuer. Etwa 2500 Euro pro Monat muss Susanne Z. zu- zahlen. Sie ist froh, dass sie sich die liebevolle Betreuung leisten kann. Denn sie hat den Eindruck, dass sich ihr Mann dort zuhause fühlt. Fragen kann sie ihn nicht: Stefan Z. kann nicht mehr sprechen. Er zeigt kaum Emotionen und Mimik, lebt in seiner eigenen Welt. Er erkennt sie noch, aber „das Schlimmste ist, dass man ihm mit nichts eine Freu- de machen kann“, sagt sie. Nicht einmal mit ihrem Be- such: Danach ist er noch rast- loser und aufgewühlt. Susanne Z. hat Abschied genommen – von dem Mann, den sie einmal liebte. Und sie hat es geschafft, den neuen Menschen, zu dem er gewor- den ist, liebzugewinnen – nicht mehr wie einen Ehe- mann, sondern wie ein Kind, das Hilfe braucht. „Plötzlich hatte ich das Gefühl: Da liegt ein Fremder neben mir.“ Eine Frontotemporale Demenz tritt meist bei unter 60-Jährigen auf

Wenn ein geliebter Mensch zum Fremden wird · nent und leiden oft früh unter teils starken Schluckstörun-gen. Leicht gerät dabei Essen in die Luftröhre. Manche Pa- ... muss man

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Münchner Merkur Nr. 231 | Montag, 7. Oktober 2013

Redaktion Medizin: (089) 53 [email protected]

Telefax: (089) 53 06-86 61 19Leben

Prof. Dr. Christian Stief

Als Chefarzt im MünchnerKlinikum Großhadern erle-be ich, wie wichtig medizini-sche Aufklärung ist. MeineKollegen und ich stellen Ih-nen daher jeden Montag einThema vor, das für Ihre Ge-sundheit von Bedeutung ist.Heute informieren Sie Ober-arzt Prof. Adrian Danek vonder Neurologie des Klini-kums Großhadern und Prof.Janine Diehl-Schmid vonder Klinik für Psychiatrieund Psychotherapie des Kli-nikums rechts der Isar zurFrontotemporalen Demenz.

Internetseite (www.deutsche-alzheimer.de). Informationenbietet auch folgende Seite desBundesfamilienministeriums:www.wegweiser-demenz.de.

Die Möglichkeiten zur The-rapie der FTD sind begrenzt,nur die Symptome lassen sichmildern. Zum Einsatz kom-men dabei etwa Antidepressi-va, manchmal auch Neurolep-tika, wenn Patienten sehr ag-gressiv werden. Oft hilfreicherals Medikamente ist es, erhal-tene Fähigkeiten des Krankenzu fördern – etwa durch Ergo-,Musik- oder Kunsttherapie.

Zu den geistigen Ausfällenkommen dennoch bald weite-re neurologische Symptome:Betroffenen fällt das Gehenschwer, sie werden inkonti-nent und leiden oft früh unterteils starken Schluckstörun-gen. Leicht gerät dabei Essenin die Luftröhre. Manche Pa-tienten essen dann nur nochwenig, magern ab. Immer wie-der ersticken Kranke auch da-ran. Oder sie bekommen Lun-genprobleme oder sterben aneiner Lungenentzündung. ImSchnitt leben Patienten noch

Isar. Auch das erschwert dieDiagnose. Zumal viele Ärztein ihrer Ausbildung nie einenFTD-Patienten gesehen ha-ben, weil die Erkrankung soselten ist. Die in Lehrbüchernbeschriebenen Beschwerdendeckten sich aber oft kaummit der Wirklichkeit, sagt Da-nek. Und: Um Veränderungenzu erkennen, muss man wis-

beim Stehlen erwischt.“ Oftentwickeln Patienten auch ei-nen Heißhunger auf bestimm-te Lebensmittel, meist Süßes.

Dabei hat längst nicht jederPatient alle Symptome. „DieKrankheit ist ein Chamäle-on“, sagt Prof. Janine Diehl-Schmid von der Klinik fürPsychiatrie und Psychothera-pie des Klinikums rechts der

auch die Diagnose. „Bei jun-gen Leuten denkt man einfachnicht an Demenz“, sagt Prof.Adrian Danek, Oberarzt ander Klinik für Neurologie desMünchner Klinikums Groß-hadern. Hinzu kommt, dassFTD im Vergleich zur Alz-heimerschen Krankheit, ander etwa zwei Drittel aller De-menzkranken leiden, seltenist. Hierzulande sollen unter100 000 Einwohnern drei biszwanzig daran leiden, so Da-nek. Eine grobe Schätzung:Oft wird die Erkrankung nichtoder spät erkannt. Danek gehtdavon aus, dass viele mit fal-scher Diagnose leben.

Die Symptome sind für An-gehörige verstörend. So wer-den ehemals pflichtbewussteMenschen oft unbedacht, ver-nachlässigen ihre Aufgaben,aber auch Hobbys und Fami-lie. Manche ziehen sich zu-rück, werden teilnahmslos,andere reizbar und aggressiv.Viele verhalten sich plötzlichtaktlos und enthemmt. „Sieessen dann zum Beispiel je-mand anderem vom Teller“,sagt Danek. „Oder sie werden

Ist von Demenz die Rede,denken die meisten Men-schen an Vergesslichkeit undAlzheimer. Dabei gibt es vieleDemenzformen – und längstnicht bei jeder sind Problememit dem Gedächtnis die ers-ten Anzeichen. So ist es etwabei Frontotemporaler De-menz (FTD) erst in einem spä-ten Stadium betroffen. Frühjedoch verändern sich Per-sönlichkeit und Verhalten.

Ursache der Erkrankung,die früher Pick-Krankheit ge-nannt wurde, ist ein Massen-sterben von Gehirnzellen imFrontal- und Temporallap-pen. Dieser Teil des Gehirnsliegt unter der Stirn und imBereich der Schläfen. Schuldam Zelltod sind vermutlichEiweißklumpen, die sich imHirn ablagern. Warum sie ent-stehen, ist noch unklar. Auchgibt es bislang keine Therapie,mit der sich die Erkrankungheilen, ihr Fortschreiten stop-pen oder bremsen ließe.

Das ist doppelt tragisch, daBetroffene bereits in jungenJahren, meist zwischen 50 bis60, erkranken. Das erschwert

Frontotemporale Demenz: Symptome, Therapie und Forschungsechs bis zwölf Jahre nachdem Beginn der Erkrankung.Im Endstadium leiden sie anschwerer Demenz und sindpflegebedürftig.

Doch in der Forschung gibtes Fortschritte: In einer Studieam Klinikum rechts der Isarwird derzeit der Wirkstoff Me-thylenblau getestet. Er soll Ei-weißablagerungen im Gehirnauflösen. Bei einer seltenenForm, der Progranulin-ab-hängigen FTD, setzen Ärztegroße Hoffnungen in bereitsbei anderen Erkrankungenbewährte Mittel, etwa das Ma-lariamedikament Chloroquin.

Entscheidend für neue Ent-wicklungen, bei der seltenenFTD mehr noch als bei ande-ren Erkrankungen, ist die Zu-sammenarbeit vieler Zentren.Nur so lassen sich genug Da-ten sammeln, um die Wirk-samkeit zu testen. So arbeitendie beiden Münchner Unikli-niken auch in einem nationa-len Konsortium zusammen.

ANDREA EPPNER

Leserfragen an die Experten:[email protected]

sen, wie eine Person früherwar. Dem Arzt, der einen Pa-tienten zum ersten Mal ken-nenlernt, erscheint darum oftalles in Ordnung. Ihm gegen-über würden sich Patientenoft besonders normal geben,sagt Diehl-Schmid.

Denn Betroffene selbst füh-len sich meist gesund. Die An-gehörigen leiden indes dop-pelt. Sie müssen hilflos zuse-hen, wie ein geliebter Menschzum Fremden wird. Oft glaubtihnen zudem lange niemand.Viele werden durch die psy-chische Belastung selbstkrank. „Wir haben eine Um-frage unter 94 Angehörigenvon FTD-Patienten gemacht“,sagt Janine Diehl-Schmid. „48von ihnen hatten eine Depres-sion entwickelt.“

Am Klinikum rechts derIsar hat die Ärztin eine Ange-hörigengruppe gegründet. Be-troffene können sich hier mitanderen Angehörigen austau-schen und Tipps holen. Auchdie Deutsche Alzheimer-Ge-sellschaft engagiert sich fürFTD-Kranke, organisiert Ver-anstaltungen und betreut eine

Demenz-Experten: Prof. Janine Diehl-Schmid vom Klinikumrechts der Isar und Prof. Adrian Danek vom LMU-Klinikum.

Angst. Immer wieder habe sieden Ärzten von der Verwand-lung erzählt, die sie bei ihremMann beobachtet hatte. Dochdie glaubten ihr nicht. AuchFreunde ahnten nicht, dass erwirklich krank war. Er gingzur Arbeit, mähte den Rasen.Wie immer. Drinnen aber sta-pelte sich ungeöffnete Post,die Briefe überforderten ihn.

Als Susanne Z. endlich ausder Klinik entlassen wurde,war sie sicher: Nicht sie, son-dern ihr Mann war krank –und erneut ging sie mit ihm zudessen Hausarzt. Auch demfiel erst nichts auf. Doch eruntersuchte in seiner Praxisauch Berufskraftfahrer auf ih-re Eignung. Dazu gehörte einTest am Computer, bei demSprache, Logik und Reaktiongetestet werden. Als SusanneZ. nicht lockerließ, testete erihren Mann. „Als er mit demErgebnis kam, war er asch-grau im Gesicht“, erzählt sie.

Nach einer Blutuntersu-chung vermutete der Arzt eineNeuroborreliose. Bei der sel-tenen Form der von Zeckenübertragenen und von Bakte-rien ausgelösten Infektion istauch das Nervensystem be-troffen. Eine Untersuchungdes Nervenwassers beim Neu-rologen lieferte keine Hinwei-se darauf. Susanne Z. fand die

STIEFS SPRECHSTUNDE ..................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................

Diagnose später selbst: EineFreundin, selbst Laborärztin,brachte sie auf die Idee. Es gä-be da eine schlimme Krank-heit, die Frontotemporale De-

Krankheit ist. Sie würde un-aufhaltsam fortschreiten, ihrMann in wenigen Jahren da-ran sterben. Der verstand nur,dass etwas an seinem Gehirnkaputt ist. „Ich glaube nicht,dass er erfasst hat, was das be-deutet“, sagt Susanne Z.

Schon vor der Diagnose hatsie ihren Mann um eine Vor-sorgevollmacht gebeten. Daserleichterte ihr nun, alles Nö-tige zu organisieren. Was alleszu tun war, musste sie erst he-rausfinden. Viel Hilfe bekam

sie nicht: Im Gegensatz zu dereher seltenen Frontotempora-len Demenz, die in der Regelbei unter 60-Jährigen auftritt,erkranken die meisten De-menzpatienten erst im Alter.Beratung und Pflege sind aufihre Bedürfnisse zugeschnit-ten. Doch was, wenn ein De-menzpatient noch berufstätigund körperlich fit ist? Wokann er betreut werden?

Susanne Z. verbrachte vielZeit damit, solche Fragen zuklären, Behördengänge zu er-ledigen. Für ein Problem fandsie lang keine Lösung: die Be-

menz, hat sie ihr erzählt. Su-sanne Z. hatte noch nie davongehört. Sie informierte sich imInternet, las von den typi-schen Symptomen. „Da wuss-te ich: Das ist es!“, sagt sie.

Im Internet fand sie auch ei-nen Arzt, der sich damit aus-kannte – und fuhr mit ihremMann zu Prof. Adrian Danekin die Neurologische Klinikdes Klinikums Großhadern inMünchen. Erstmals wurde ihrMann dort genau untersucht:Eine Magnetresonanztomo-grafie (MRT) sollte einen Tu-mor als Auslöser der Be-schwerden ausschließen undzeigen, ob und wo das Gehirnan Volumen eingebüßt hat.Eine Positronenemissionsto-mografie (PET) verriet, in wel-chen Bereichen es besondersaktiv war – und wo nicht. Hin-zu kamen Tests zu den geisti-gen Fähigkeiten: Stefan Z.sollte Formen zeichnen, Wör-ter aus dem Gedächtnis wie-dergeben, Zahlenreihen fort-setzen, Redewendungen in-terpretieren. Oft blickte er hil-fesuchend zu seiner Frau.

Danek musste Susanne Z.sVerdacht bestätigen, zwei Ta-ge vor dem 49. Geburtstag ih-res Mannes. „Ich war wie be-täubt“, sagt sie. Längst wusstesie, dass eine Frontotempora-le Demenz eine unheilbare

kämpft gegen die Tränen.Doch sie fasst sich schnell.Susanne Z. ist eine starkeFrau. Sie hat gern alles imGriff, auch sich selbst. Ihrblondes langes Haar ist ge-pflegt, sie trägt Kostüm undhohe Schuhe. Sie kommt ge-rade aus dem Büro, SusanneZ.. ist beruflich erfolgreich. Sowie lange Zeit auch ihr Mann.

Schon bei den Vorbereitun-gen zur Hochzeit sei er nichtmehr so locker gewesen, sagtSusanne Z. Später wuchs das

Gefühl, dass etwas nichtstimmte. Sie verdrängte es. ImSommer 2011 im Urlaub mitFreunden und ihren Elternging das nicht mehr. SusanneZ. erinnert sich, wie sie imBett zu ihrem schlafendenMann hinübersah. „Plötzlichhatte ich das Gefühl: Da liegtein Fremder.“ Ein unheimli-ches, verstörendes Gefühl.

Susanne Z. würde es langnicht loslassen – und mit derDiagnose „Depression“ sogarfür Wochen in die Psychiatriebringen. Sie war verzweifelt,manchmal wurde ihr übel vor

Hilflos wie ein Kind, geis-tig träge, oft ungewohnttaktlos: Susanne Z. erlebt,wie sich ihr Mann, nochkeine 50, in einen Frem-den verwandelt. Langeist sie die Einzige, die dasbemerkt – bis endlich dieDiagnose gestellt wird:Ihr Mann leidet an Fron-totemporaler Demenz.

VON ANDREA EPPNER

Hatte sie sich alles nur einge-bildet? Das fragte sich Susan-ne Z. oft, wenn sie nachts wie-der wach lag, in ihrem Bett ineiner psychiatrischen Klinik.Vielleicht hatten die ÄrzteRecht und es war nicht ihrMann, mit dem etwas nichtstimmte – sondern sie selbst.

Doch warum diese Ausset-zer? Ihr Mann wollte etwassagen, brach im Satz ab. Frag-te sie nach, blickte er sie ver-ständnislos an. Oft reagierteer dann auch gereizt. Er warüberhaupt so aufbrausend ge-worden – eigentlich nicht sei-ne Art. Er redete sich schnellin Rage, wurde ausfallend.„Schlampen!“, schimpfte erdann. Oder: „Rattengift werdeich für den verdammten Köterbesorgen!“ So kannte Susan-ne Z. ihren Mann, mit dem sieseit mehr als zehn Jahren zu-sammen war, nicht. Sie hattesich auf ihn verlassen können,er hatte sie verstanden, oft dieInitiative ergriffen. Nun war erplanlos, reagierte oberfläch-lich und emotionslos.

Sonst bemerkte niemanddie Verwandlung. Wer StefanZ. nicht jeden Tag traf, konntetausend Gründe dafür finden– einen schlechten Tag, Ehe-probleme, das Älterwerden.So fiel auch am Arbeitsplatzdes IT-Experten nichts auf: Erwar im Außendienst tätig, inder Welt der Computer fand ersich noch lange zurecht. Dassdas nicht mit allem so war,wusste nur Susanne Z.

Oder war ihr Mann schonimmer so gewesen und sie hat-te früher unbewusst darüberhinweggesehen? Schließlichwar sie mit ihm bei mehrerenÄrzten. Er fühlte sich gesund,war aber mitgekommen. Wieein Kind, das man an derHand nimmt, kam er ihr vor.Sie fühlte sich abgestoßen,das war nicht ihr Mann! DieÄrzte konnten nichts finden.

Susanne Z. zeigt ein Fotoaus glücklichen Zeiten: sie imBrautkleid, ihr Mann im An-zug. „Wir haben 2008 geheira-tet“, sagt die 46-Jährige. Dannbricht ihr die Stimme, sie

Wenn ein geliebter Mensch zum Fremden wird

Leben in ihrer eigenen Welt: Patienten mit frontotemporaler Demenz entfernen sich immer weiter – bis sie selbst für ihre Lieben unerreichbar sind. DPA

treuung. Anfangs kam ihrMann noch gut zurecht, fuhrmit dem Auto, arbeitete nocheinige Monate. Bald aber gingdas nicht mehr. Erst mussteihm Susanne Z. die Auto-schlüssel wegnehmen, dannerklären, dass er nicht mehrarbeiten durfte. Sein Chef hat-te es am Ende ihr überlassen,ihm das zu sagen. „Ich glaube,er hatte Angst vor ihm“, sagtSusanne Z. Ihr Mann ist großund kräftig, die Krankheit hat-te ihn aggressiv gemacht. Spä-ter würde er sogar einmal sei-ne Hände an ihren Hals legen.

15 Monate nach der Diag-nose ging es nicht mehr alleindaheim. Gerne hätte SusanneZ. ihren Mann in eine Tages-pflege gegeben und betreut ge-wusst, während sie arbeitete.Doch die wenigen ambulan-ten Einrichtungen in Mün-chen, die Demenzkranke auf-nehmen oder betreuen, warenvoll belegt – und meist für jün-gere Menschen ungeeignet.

So blieb nur die Vollzeit-pflege. Susanne Z. erinnertsich noch genau an den ankla-genden Blick ihres Mannes,als er nicht mehr mit heimdurfte. Hatte sie ihm schondas Autofahren und die Arbeitnehmen müssen, sei das „derdritte Dolchstoß“ gewesen.Dabei hatte sie lang nach ei-nem guten Platz gesucht. IhrMann musste sogar für einpaar Wochen in ein geschlos-senes Alten- und Demenzpfle-geheim – bis man ihr sagte,dass man sich nicht angemes-sen um ihn kümmern könne.

Heute lebt Stefan Z. in einerDemenz-WG in Allach. Dortwird gemeinsam gekocht wiein einer normalen Wohnung,die Türen bleiben offen. Dasbraucht viel Personal – und istteuer. Etwa 2500 Euro proMonat muss Susanne Z. zu-zahlen. Sie ist froh, dass siesich die liebevolle Betreuungleisten kann. Denn sie hat denEindruck, dass sich ihr Manndort zuhause fühlt. Fragenkann sie ihn nicht: Stefan Z.kann nicht mehr sprechen. Erzeigt kaum Emotionen undMimik, lebt in seiner eigenenWelt. Er erkennt sie noch,aber „das Schlimmste ist, dassman ihm mit nichts eine Freu-de machen kann“, sagt sie.Nicht einmal mit ihrem Be-such: Danach ist er noch rast-loser und aufgewühlt.

Susanne Z. hat Abschiedgenommen – von dem Mann,den sie einmal liebte. Und siehat es geschafft, den neuenMenschen, zu dem er gewor-den ist, liebzugewinnen –nicht mehr wie einen Ehe-mann, sondern wie ein Kind,das Hilfe braucht.

„Plötzlich hatte ich das

Gefühl: Da liegt ein

Fremder neben mir.“

Eine Frontotemporale

Demenz tritt meist bei

unter 60-Jährigen auf