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Ausnahmegenehmigungen für die Prominenz 115 Ausnahmegenehmigungen für die Prominenz Die Rechtslage zum Umgang mit Juden, »jüdisch Versippten« und »Mischlingen« war durch die Nürnberger Rassengesetze und die dar- auf folgenden Verordnungen geregelt. Doch diese Ordnung wurde von denen, die die Macht dazu hatten, nur allzu oft durchbrochen, sofern es ihnen selbst oder dem Überleben des Regimes diente. Dies wird am Beispiel des Kulturlebens in Nazi- Deutschland besonders deutlich. Die Reichskulturkammer als Kontrollinstrument Henny Porten, Theo Lingen, Hans Moser, Heinz Rühmann – diese Filmstars der Dreißiger- und Vierzigerjahre des 20. Jahrhunderts hätten nicht mehr auftreten, Operetten des Komponisten Franz Lehár nicht mehr aufgeführt werden dürfen, wenn die Nationalsozialisten ihre Ras- sengesetze konsequent umgesetzt hätten, denn sie waren – nach der ent- setzlichen NS-Terminologie – »jüdisch versippt«. Folglich wäre das kulturelle Leben in Deutschland noch trister gewesen. Aber gerade weil der jüdische Einfluss so bedeutend war, war er den Nationalsozialisten umso mehr ein Dorn im Auge. Um ihn zu bekämpfen, waren vor allem Propagandaminister Goebbels viele Mittel recht. Auch zu diesem Zweck hatte er die Reichskulturkammer (RKK) ins Leben gerufen. Unterstützt wurde er von Walter Tießler, der in der Partei-Kanzlei der NSDAP als Verbindungsmann zum Propagandaministerium fungierte und sich häu- fig noch judenfeindlicher gebärdete als Goebbels, der klug genug war, in beschränktem Maße auf die Stimmung im Volk Rücksicht zu nehmen. Publikumslieblinge waren daher für ihn mehr oder weniger tabu, auch wenn sie oder ihre Ehepartner nicht den Rassebestimmungen der Nati- onalsozialisten entsprachen. Ebenso galten Künstler als unantastbar, wenn sie sich des besonderen Wohlwollens Hitlers erfreuen konnten. Kurzerhand wurden dann die rigiden Rassevorschriften der Nationalso- zialisten außer Kraft gesetzt. In einigen Fällen erteilte Hitler persönlich Brought to you by | Brown University Rockefeller Lib Authenticated | 128.148.252.35 Download Date | 6/1/14 4:53 PM

"Wer Jude ist, bestimme ich" ("Ehrenarier" im Nationalsozialismus) || Ausnahmegenehmigungen für die Prominenz

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Ausnahmegenehmigungen für die Prominenz 115

Ausnahmegenehmigungen für die Prominenz

Die Rechtslage zum Umgang mit Juden, »jüdisch Versippten« und »Mischlingen« war durch die Nürnberger Rassengesetze und die dar-auf folgenden Verordnungen geregelt.

Doch diese Ordnung wurde von denen, die die Macht dazu hatten, nur allzu oft durchbrochen, sofern es ihnen selbst oder dem Überleben des Regimes diente. Dies wird am Beispiel des Kulturlebens in Nazi-Deutschland besonders deutlich.

Die Reichskulturkammer als Kontrollinstrument

Henny Porten, Theo Lingen, Hans Moser, Heinz Rühmann – diese Filmstars der Dreißiger- und Vierzigerjahre des 20. Jahrhunderts hätten nicht mehr auftreten, Operetten des Komponisten Franz Lehár nicht mehr aufgeführt werden dürfen, wenn die Nationalsozialisten ihre Ras-sengesetze konsequent umgesetzt hätten, denn sie waren – nach der ent-setzlichen NS-Terminologie – »jüdisch versippt«. Folglich wäre das kulturelle Leben in Deutschland noch trister gewesen. Aber gerade weil der jüdische Einfluss so bedeutend war, war er den Nationalsozialisten umso mehr ein Dorn im Auge. Um ihn zu bekämpfen, waren vor allem Propagandaminister Goebbels viele Mittel recht. Auch zu diesem Zweck hatte er die Reichskulturkammer (RKK) ins Leben gerufen. Unterstützt wurde er von Walter Tießler, der in der Partei-Kanzlei der NSDAP als Verbindungsmann zum Propagandaministerium fungierte und sich häu-fig noch judenfeindlicher gebärdete als Goebbels, der klug genug war, in beschränktem Maße auf die Stimmung im Volk Rücksicht zu nehmen. Publikumslieblinge waren daher für ihn mehr oder weniger tabu, auch wenn sie oder ihre Ehepartner nicht den Rassebestimmungen der Nati-onalsozialisten entsprachen. Ebenso galten Künstler als unantastbar, wenn sie sich des besonderen Wohlwollens Hitlers erfreuen konnten. Kurzerhand wurden dann die rigiden Rassevorschriften der Nationalso-zialisten außer Kraft gesetzt. In einigen Fällen erteilte Hitler persönlich

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»Gnadenerweise«, in anderen genügten Sondergenehmigungen der Reichskulturkammer, also die von Goebbels.

Entlarvend für die Beweggründe, »Sondergenehmigungen« für Juden, jüdische »Mischlinge« und »jüdisch Versippte« zu erteilen, war eine Rede, die Goebbels am 16. September 1935 in Nürnberg vor NS-Gau- und Propagandaleitern hielt. Anlass war der 7. NSDAP-Reichs-parteitag, der zu den berüchtigten Nürnberger Rassengesetzen führte. Im Hinblick auf einzugehende Kompromisse meinte er:

Man lässt irgendeinen Halbjuden aus irgendeinem Grunde, den man nun vor der Öffentlichkeit nicht entwickeln kann, oder sagen wir: Man lässt einen Schauspieler, der mit einer Jüdin verheiratet ist, sagen wir: zehn Jahre mit einer Jüdin verheiratet ist, den lässt man weiterhin auf einer Bühne auftreten. Doch nicht, weil man nun der Jüdin einen Gefallen tun will, sondern weil man sich überlegt hat: Wenn wir diesem Schauspieler nun die Lebensmöglichkeit nehmen, dann bleibt ihm ja nichts anderes übrig, als nach Wien zu gehen; in Wien wird er mit offenen Armen empfangen. Wir stärken damit also das Kulturzentrum Wien: Wir haben kein Geld und keine Mühen gescheut, den Wienern große deutsche Künstler abspenstig zu machen – also treiben wir eine eigene Kanone nach Wien heraus. Ich sage: Es ist ein Kompromiss – aber man ist zu dem Ergebnis gekommen: Beim Kompromiss hat das deutsche Volk mehr Nutzen als Schaden.

Ich kann natürlich diese Überlegungen nicht in der Öffentlichkeit darle-gen. Ich kann nicht sagen: Also Pardon, Parteigenossen, das ist nicht so, wie Ihr meint, das tue ich nicht der Jüdin zuliebe, sondern das tue ich, weil …, damit decke ich ja meine ganze Taktik auf. Da ist es nun notwendig, dass unsere Parteigenossen Disziplin halten und dass sie einsehen, dass ein nati-onalsozialistischer Minister das nicht aus Spaß tut, sondern dass er dabei seine Überlegungen hat und dass sie stichhaltig sind.1

Mit dem Einmarsch der Wehrmacht in Österreich und der Annexion der Alpenrepublik im Jahr 1938 entfiel natürlich die Argumentation, dass Wien als Kulturzentrum »rassisch« belastete Künstler anziehen könnte.

Am 15. November 1933 hatte Goebbels die Reichskulturkammer eröffnet und war gleichzeitig deren erster Präsident.2 Sein Stellvertreter wurde der Pressechef der Reichsregierung und Staatssekretär Walther Funk. Gegliedert war die RKK in sieben Abteilungen, von denen im

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Zusammenhang mit der Thematik des vorliegenden Buches die Reichs-filmkammer, die Reichstheaterkammer, die Reichsmusikkammer sowie die Reichskammer für bildende Kunst die wichtigsten waren. Zum Prä-sidenten der Reichsmusikkammer wurde Generalmusikdirektor Richard Strauss ernannt, zu Mitgliedern des Präsidialrates Generalmusikdirektor Staatsrat Wilhelm Furtwängler, Paul Graener, Fritz Stein und Gustav Havemann. Die Reichsfilmkammer wurde geführt von dem Juristen Fritz Scheuermann, dann von dem württembergischen Wirtschafts-minister Oswald Lehnich und schließlich von 1939 bis 1945 von dem Regisseur Carl Froelich. Präsidenten der Reichstheaterkammer waren – nacheinander – der Schauspieler Otto Laubinger, Reichsdramaturg Rai-ner Schlösser, Schauspieler und Regisseur Ludwig Körner und schließ-lich der Schauspieler Paul Hartmann.

Die Reichskulturkammer war eine Einrichtung, die maßgeblich über Wohl und Leid der Kulturschaffenden mit entschied. Nur Kammermit-glieder durften sich künstlerisch betätigen, und diese Bestimmung galt für alle Bereiche – vom Komponisten und Regisseur bis zum Schauspie-ler, zur Sängerin, sogar bis hin zum Kinobesitzer. Derjenige, dessen Mit-gliedschaft – zumeist aus rassischen Gründen – abgelehnt wurde, hatte zugleich Berufsverbot erhalten.

Die Reichskulturkammer stellte umfangreiche Listen über Künstler auf, die nur aufgrund von Sondergenehmigungen auftreten oder publi-zieren durften, weil sie entweder selbst jüdisches Blut in ihren Adern hatten oder mit Juden, Halbjuden oder »Mischlingen« verheiratet waren. Nach den NS-Rassebestimmungen hätte dies eigentlich reichs-weite Auftrittsverbote zur Folge gehabt, wenn es nicht zahlreiche Aus-nahmebestimmungen und Sondergenehmigungen gegeben hätte. Diese Ausnahmen bedeuteten noch nicht die Ernennung zum »Ehrenarier« oder gar die Gleichstellung mit »Deutschblütigen«, aber sie gaben den Betroffenen einen gewissen Schutz vor rassischen Übergriffen und ermöglichten ihnen, den Lebensunterhalt weiter selbst zu verdienen. Beliebtheit beim Publikum war in der Regel der Grund für eine Sonder-genehmigung, bisweilen aber ging es um ganz persönliche Beweggründe, wenn beispielsweise der Geliebten von Goebbels oder von anderen NS-Repräsentanten auf diese Weise geholfen werden sollte. Ebenso konnte sich der Einsatz für die nationalsozialistische Bewegung noch vor der Machtübernahme Hitlers als hilfreich erweisen.

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Zuständig für solche Ausnahmegenehmigungen war in der Regel Propagandaminister Goebbels, der ungeachtet seines Hasses auf alles Jüdische eher pragmatisch vorging, wobei seine diesbezüglichen Aktivi-täten gleich von mehreren Seiten argwöhnisch beobachtet wurden. Dazu gehörte Alfred Rosenberg, der »Beauftragte des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP«. Aber auch die Sicherheitspolizei und der Sicherheitsdienst waren an allen Handlungen Goebbels’ interessiert und meldeten sie dem Reichsführer-SS Heinrich Himmler.

Dies war beispielsweise auch am 25. Mai 1939 der Fall. Goebbels hatte »den Führer um Entscheidung über die Weiterbeschäftigung von 21 nicht vollarischen oder jüdisch versippten Schauspielern bzw. Film-schauspielern gebeten. Aufgrund der Entscheidung des Führers sind so u. a. der Halbjude Henckels, der mit einer Jüdin verheiratet ist, und der Arier Max Lorenz, der mit einer Jüdin verheiratet ist, zu vollwertigen Mitgliedern der Reichskulturkammer bestätigt worden. Es wurde in die-sem Zusammenhang bekannt, dass den jüdischen Ehefrauen in Bezug auf den Besuch von Theatern, Hotels usw. die Rechte arischer Frauen eingeräumt werden«.3

Der Schwerpunkt der Bespitzelung durch Rosenbergs diverse Dienst-stellen lag auf der Einhaltung der nationalsozialistischen Ideologie und auf der Beachtung der sogenannten Rassengesetze. Aus diesem Grunde gab Rosenbergs Kulturpolitisches Archiv im Amt für Kunstpflege ver-trauliche Informationen heraus, die den Zweck verfolgten, »die Führer des neuen Deutschland über besondere Fälle des gesamten kulturellen Lebens zu unterrichten«.4 In der ersten Folge wurde u. a. mitgeteilt, dass der Komponist Eduard Künneke mit einer »Nichtarierin« verheiratet war und aufgrund dieser Tatsache seinen Austritt aus der Partei hatte erklären müssen. Im Wesentlichen konzentrierte sich der Dienst darauf, Juden, »Mischlinge« oder »jüdisch Versippte« zu denunzieren. So hatte der Dirigent Wilhelm Furtwängler nach seinem Rücktritt ein drei Seiten langes Glückwunschschreiben des polnischen Juden Bronisław Huberman erhalten und an Regierungsstellen weitergeleitet. Der Kom-ponist Franz Lehár bediente sich fast ausnahmslos jüdischer Textbuch-verfasser wie Leo Stein, Bela Jenbach, Artur Bodanzky, Julius Bauer und Fritz Löhner-Beda. Letzterer wurde als jüdischer Aktivist und Mitbe-

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Sondergenehmigungen und »Gottbegnadeten-Liste« 119

gründer der jüdischen Sportclubs »Hakoha« und »Bar-Kocha« bezeichnet.

Vom Deutschen Musikverlag in Berlin hatten Rosenbergs Spitzel die Nachricht erhalten, dass Lehár nicht arisch verheiratet war, und zu Paul Hindemith meldete der Informationsdienst, dass dieser sich in London aufhielt und bei dem jüdischen Geiger Elison, dem Schwiegersohn des Leiters der Berliner Staatlichen Hochschule für Musik, Fritz Stein, wohnte. Stein war übrigens zugleich Leiter des Amtes für Chorwesen in der Reichsmusikkammer, war extrem nationalsozialistisch eingestellt und hatte entscheidenden Anteil an der Gleichschaltung der Musik im »Drit-ten Reich«. Offensichtlich nur dank seiner guten Beziehungen zu Goeb-bels hatte er trotz jüdischen Schwiegersohns im Amt bleiben dürfen.

Sondergenehmigungen und »Gottbegnadeten-Liste«

Für alle Künstler, die aus rassischen Gründen ins Visier der Nationalso-zialisten geraten waren, war es buchstäblich überlebenswichtig, als Mitglieder der Reichskulturkammer Sondergenehmigungen für die jeweiligen künstlerischen Tätigkeiten zu erhalten. Eine Mitte 1943 zusammengestellte Liste der Reichstheaterkammer enthielt beispiels-weise 130 Namen, die der Reichsmusikkammer 118.5 110 Namen umfasste die Liste der Reichskammer der bildenden Künste, 55 die der Reichsschrifttumskammer, dagegen lediglich 27 die der Reichsfilmkam-mer. Dabei benötigten nicht nur die »belasteten« Schauspielerinnen und Schauspieler Sondergenehmigungen, sondern auch Schnittmeister, Filmbildner, Kameraleute und Statisten. Bemerkenswert ist, dass eine erhebliche Zahl von Schauspielern ab Juli 1939 keine Sondergenehmi-gung für Auftritte mehr brauchte, da sie nun dank verschiedener Aus-nahmeregelungen und Fürsprachen Vollmitglieder der Reichskultur-kammer geworden waren. Dazu gehörten: »Georg Alexander, Hans Batteux, Paul Bildt, Walter Felsenstein, Erich Fiedler, Paul Henckels, Frieda Leider, Max Lorenz, Hans Meyer-Hanno, Karl Neumann, Hein-rich Rehkemper, Bruno Schönfeld, Ernst Schütte, Günter Treptow, Otto Wernicke, Eduard von Winterstein.«6 Hinzu kamen Künstler wie Fritz Hilpert, Albert Lieven, Henny Porten oder Heinz Rühmann. Zu klären waren zu diesem Zeitpunkt demnach noch folgende »Fälle«:

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– Hans Fischer: Goebbels hatte dem Oberspielleiter und Schauspieler die RKK-Mitgliedschaft erlaubt, seiner jüdischen Ehefrau war der Theaterbesuch jedoch verboten.

– Alfons Kreuzinger, Schauspieler: Die Aufnahme in die RKK ließ noch auf sich warten, da Kreuzinger »Halbjude« war.

– Alfred von Löbenstein: Obwohl er »⅛ Jude« war, sollte er auf Anordnung des Propagandaministeriums als Vollmitglied geführt werden.7

Besondere Bedeutung bekam eine »Gottbegnadeten-Liste«, die Goeb-bels 1944 hatte aufstellen lassen und auf der sich die Namen von 1041 Künstlerinnen und Künstlern befanden.8 Zu einem großen Teil handelte es sich um Schauspielerinnen und Schauspieler, die Goebbels für seine Propagandafilme benötigte. Aber auch durch Intervention anderer NS-Größen war es möglich, auf die Liste zu gelangen. So fand sich beispiels-weise bei Carla Spletter, Berlin, der Hinweis »Wunsch des Reichsmar-schalls«. Die gebürtige Flensburgerin hatte am Konservatorium Leipzig Gesang studiert und als Sopranistin 1932 am Deutschen Opernhaus in Berlin debütiert. Von 1935 bis 1945 gehörte sie zum Ensemble der Ber-liner Staatsoper. Ebenfalls auf Wunsch Görings stand die Sopranistin Lieselotte Enck auf der Liste, während Hitlers Chef der Partei-Kanzlei, Martin Bormann, den Sänger Horst Taubmann, München, hatte darauf setzen lassen, der 1932 in die NSDAP eingetreten war.

Walter Tießler – Bormanns Helfershelfer

Besonders eifrig bei der »Entjudung« des Kulturlebens zeigte sich der bereits mehrfach erwähnte Walter Tießler. Im Vergleich zu Goebbels, der auf Stimmungen im Volk reagierte, war Tießler, der als Zwanzigjäh-riger 1924 in die NSDAP mit der niedrigen Mitgliedsnummer 15.761 eingetreten war, ein ausgesprochener Rassenfanatiker.9 Schon 1924 war er Ortsgruppenleiter in Karlsfeld, dann Kreisleiter in Bitterfeld und stieg anschließend 1926 zum Gaupropagandaleiter im NS-Gau Halle und 1930 zum hauptamtlichen Gaugeschäftsführer auf. Mit der nationalso-zialistischen Machtübernahme wurde Tießler 1933 als Landesstellenlei-ter für Mitteldeutschland vom Propagandaministerium übernommen.

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1934 baute er in München den »Reichsring für nationalsozialistische Propaganda« auf. Seine Arbeit wurde insofern gewürdigt, als er 1940 in den Stab des »Stellvertreters des Führers« berufen wurde, wo er das Verbindungsbüro zum Propagandaministerium leitete. Angesichts zunehmender Spannungen mit seinem Chef Goebbels wurde er Anfang 1944 auf den Posten eines Verbindungsmanns der Partei-Kanzlei zu Generalgouverneur Hans Michael Frank in Krakau abgeschoben, wo er bis Januar 1945 blieb.

Tießler hatte das Goldene Parteiabzeichen, das Gauehrenzeichen sowie NSDAP-Dienstauszeichnungen in Gold, Silber und Bronze erhal-ten. Vor der Lager-Spruchkammer Nürnberg-Langwasser gab er nach dem Krieg an, er habe sich schon in frühester Jugend vor die Wahl gestellt gesehen, Kommunist oder Nationalsozialist zu werden. Schließ-lich habe er sich für die NSDAP entschieden, er bestritt aber, sich jemals »zur Unterstützung der Gewaltherrschaft« hergegeben zu haben.10 Er habe es sogar abgelehnt, für den Reichstag zu kandidieren und sei bereit gewesen, deshalb Gehaltskürzungen in Kauf zu nehmen. Die Lager-Spruchkammer Nürnberg-Langwasser glaubte ihm, dass er ab 1934 nur noch Befehlsempfänger und Befehlsüberbringer gewesen sei und keiner-lei Einfluss mehr ausgeübt habe. Ein fataler Irrtum!

In allen bisherigen Darstellungen wird behauptet, über Tießlers Ver-bleib ab 1944 sei nichts bekannt. Tatsächlich aber befinden sich im Staatsarchiv München die Spruchkammerakten der Lager-Spruchkam-mer Nürnberg-Langwasser. Sie beweisen unter anderem, dass Tießler im März 1945 noch zur Wehrmacht einberufen wurde. Offensichtlich gelang es ihm, für längere Zeit einer Verhaftung zu entgehen, denn erst im Juni 1947 kam er in Gefangenschaft und wurde in das Kornwesthei-mer Interniertenlager eingewiesen. Vor der Spruchkammer lamentierte er, dass er dort »Toilettenreinigungsarbeiten« hatte verrichten müssen. 1947 wurde Tießler ins Internierungs- und Arbeitslager Nürnberg-Langwasser verlegt und dort am 19. Oktober 1948 als Belasteter der Gruppe II eingestuft.

Tießlers umfangreicher Korrespondenz sind aufschlussreiche Einbli-cke in den Umgang mit »Mischlingen« und »jüdisch Versippten« zu entnehmen. Tießler hatte gegenüber dem Propagandaministerium moniert, dass in einer Aufführung der Oper Der Evangelimann mehrere »Mischlinge« aufgetreten seien:

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Der Komponist dieser Oper, Kienzl, ist jüdischer Mischling 2. Grades. Die männliche Hauptrolle soll mit dem jüdischen Mischling 1. Grades Kurt [sic] Treptow, die weibliche Hauptrolle mit dem jüdischen Mischling 2. Grades Margarete Slezak besetzt sein. Die Regie soll ein weiterer jüdischer Misch-ling geführt haben. Die Partei-Kanzlei mag sich nicht vorstellen, dass diese Meldung den Tatsachen entspricht. Ich bin daher gebeten worden, doch einmal Näheres festzustellen.11

Auf diese Hinweise Tießlers antwortete das Reichspropagandaministe-rium am 12. April 1943 eher zurückhaltend:

Der Komponist Wilhelm Kienzl12 ist in der Tat jüdischer Mischling zweiten Grades. Doch wurde laut Aktenvermerk der Reichsmusikkammer (Min. Dir. Hinkel) seinerzeit mitgeteilt, dass Bedenken gegen die Aufführung Kienzl’scher Werke nicht bestehen. Bei dem unfraglich bestehenden Welt-ruhm Kienzls, der erst langsam verblasst, schien es seinerzeit, als Österreich noch nicht angegliedert war, zweckmäßig, seine Repertoire-Werke »Evan-gelimann« und »Kuhreigen« nicht plötzlich von den Spielplänen ver-schwinden zu lassen, was nur einen ungeheuren Lärm jenseits der Reichs-grenzen würde ausgelöst haben. Ich persönlich stehe auch jetzt noch auf dem Standpunkt, dass ein Verbot ausschließlich propagandistische Nachteile, jedoch nicht den geringsten Vorteil einbringen würde.

Auch der Tenor Günther Treptow13 ist jüdischer Mischling. Nach dem der Reichstheaterkammer erteilten Bescheid bestehen indessen gegen sein Auftreten keine Bedenken. Treptow hat, ohne selbst Kenntnis seines jüdi-schen Blutbestandsteils zu haben, sich während der Kampfzeit für die Bewe-gung eingesetzt, sogar in Saalschlachten. Deshalb, und weil er zu den schon fast aussterbenden letzten Tenören mit Zukunft gehört, ist, wie angegeben, entschieden worden.

Auch Margarete Slezak ist jüdischer Mischling.14 Entscheid wie in den vorangegangenen Fällen. Ich persönlich bin Frau Slezak bei offiziellen Ver-anstaltungen und Einladungen immer wieder begegnet, auch bei Künstler-empfängen in der Reichskanzlei. Diese Ausnahmestellung dürfte auf die dankbare Wertschätzung zurückzuführen sein, die von entscheidender Seite ihrem Vater gezollt wird.

Auch der Regisseur [Hans] Batteux15 ist jüdischer Mischling. Sonderge-nehmigung wie in den anderen Fällen!

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Federführend werden diese Angelegenheiten von der Geschäftsführung der Reichskulturkammer bearbeitet und durch Min.Dir. Hinkel dem Minis-ter meist persönlich zur einzelfälligen Entscheidung unterbreitet. Dass zufällig alle drei bei einer Aufführung gleichzeitig mitwirkten, darf nicht dahin gedeutet werden, als wenn sich dieses Bild allabendlich im Deutschen Opernhaus ergäbe.16

Entscheidenden Einfluss nahm Tießler auch auf das Schicksal des Wie-ner Kunstmalers Werner Ritter von Stockert, der in die Reichskammer der bildenden Künste aufgenommen werden wollte. Von Stockert war aktiver Seeoffizier und U-Boot-Kommandant und während des Ersten Weltkriegs u. a. mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet worden. Zu sei-nem Fall stellte Tießler fest: »Von Stockert könnte, da er selbst deutsch-blütig und seine Ehefrau nur Vierteljüdin ist, Mitglied der Reichskam-mer der bildenden Künste werden. Aufgrund ungünstiger politischer Gutachten wurde s.Zt. die Aufnahme abgelehnt.«17

Zum Schicksal des Sängers Günther Treptow erklärte übrigens die langjährige Sekretärin von Hans Hinkel, Ursula Framm, Hinkel habe sich wegen seiner »hervorragenden künstlerischen Fähigkeiten« für dessen Weiterbeschäftigung am Deutschen Opernhaus in Berlin einge-setzt, »obwohl dieser Halbjude« war.18

Zu Margarete Slezak ist anzumerken, dass sie mit Hitler befreundet war. Am 24. Dezember 1932 sandte sie ihm als Weihnachtsgruß ein Foto von sich, verbunden mit der Bemerkung: »Meinem lieben guten Freund Adolf Hitler ein herzliches Weihnachtsbusserl von seiner Gretl Slezak.«19 Laut Ernst Hanfstaengl20 war es Goebbels, der nach dem Tod von Geli Raubal Hitler mit der Sängerin Margarete Slezak bekannt machte. Hanfstaengl bezeichnet sie als »eine muntere Blondine, die selbst eine ganz gute Stimme besaß. Sie war damals schon etwa 27 oder 28 Jahre alt, dafür aber so köstlich naiv in ihren Fragen, dass wir alle ihren Spaß an ihr hatten«. Von Hitler wollte sie sich die Ziele der NSDAP erklären lassen und wissen, ob er wirklich so hart mit den Juden umspringen werde, wie man sich immer erzähle. (Übrigens war die Frage gar nicht so abwegig, da Gretl Slezak eine Jüdin zur Großmutter hatte.) Hanfstaengl traf Margarete Slezak bei diversen Gelegenheiten und erlaubte sich, sie nach ihrer Beziehung zu Hitler zu fragen. »Gretl

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schickte nur einen Blick in den Himmel und zuckte mit den Schultern. Mehr brauchte ich nicht zu wissen.«

Laut Henry Picker hatte Hitler seine Beziehung zu Gretl Slezak um Weihnachten 1932 einschlafen lassen. Picker sprach von einem »beson-ders herzlichen Kontakt« zur beliebten Berliner Operettensoubrette. »Sie war blauäugig, eine große Künstlerin, voller Temperament und anschmiegsam wie ein Wiener ›Tschapperl‹, also eine Partnerin, wie Hitler sie sich erträumte. Aber er kam nicht darüber hinweg, dass sie unter ihren Großeltern eine jüdische Großmutter hatte und das nicht einmal zeitgemäß zu kaschieren suchte.«21

Dieses gute Verhältnis zu Gretl Slezak dürfte der Schlüssel dafür sein, dass auch Leo Slezak22 von Göring bevorzugt behandelt wurde, obwohl er ein »Mischling« war. Hanfstaengl behauptete in Zwischen Weißem und Braunem Haus sogar, dass Hitler eine »Liebschaft« mit Margarete Slezak eingegangen sein soll, obwohl er wusste, dass sie eine jüdische Großmutter hatte, und widerspricht somit Pickers Einschätzung.

Hanfstaengl, der angesichts eines Großvaters namens »Heine« auf-gefordert wurde, seine »arische« Abstammung nachzuweisen, berich-tete übrigens, er habe einigen Juden helfen können, so dem Geiger Georg Kreisler: »Hitler bewunderte seine Kunst. Kreisler hatte mir bei der Orchestrierung einiger meiner Marschlieder geholfen. Und eine meiner Melodien, die Canzonetta, in sein Repertoire aufgenommen. Er sah die zukünftige Entwicklung voraus und hielt es für besser, in die Vereinigten Staaten auszuwandern. Durch Schacht und Neurath gelang es mir, für den Transfer seines bedeutenden Vermögens zu sorgen.«23

Der Fall von Franz von Hößlin

Der Umgang mit dem Musiker Franz von Hößlin macht in besonderer Weise die Willkür und Rücksichtslosigkeit deutlich, mit der die Natio-nalsozialisten ihre rassenpolitischen Vorstellungen umsetzten. Hößlin war Orchesterleiter in Dessau, dann Generalmusikdirektor der Stadt Wuppertal und lehrte schließlich ab 1932 am Breslauer Konservato-rium. In zweiter Ehe war er mit der jüdischen Altistin Erna Liebenthal ver heiratet. Ab 1933 hatte das Ehepaar zunehmende Repressalien der

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Nationalsozialisten zu ertragen. Als Hößlin im Juni 1936 sein Orchester bei einem Staatsakt das Horst-Wessel-Lied ohne seine Mitwirkung spie-len ließ, wurde er fristlos gekündigt und aufgefordert, binnen 28 Tagen Breslau zu verlassen. Als Abschiedskonzert führte er vor ausverkauftem Haus am 26. Juni 1936 Beethovens Neunte Symphonie auf.

Während des Konzertes wurden dem Dirigenten immer wieder lang andau-ernde Ovationen dargebracht. Als das Konzert beendet war, wurde die Beleuchtung außer der Notbeleuchtung ausgeschaltet, um das Publikum zum rascheren Verlassen des Saales zu veranlassen. Aber (…) Hesslin [sic!] wurde immer wieder herausgerufen (…): »Hesslin wiederkommen«. Im gleichen Hause wurde die Sitzung einer Parteikörperschaft abgehalten. Die Teilnehmer gingen, angelockt von dem Lärm im Konzertsaal, auf die Gale-rie, um nachzusehen. Dabei rief einer dieser Nazis: »Judenketzer«. Nun setzte ein nicht zu beschreibender Tumult ein. »Pfui«, »Raus«, »Unfläti-ger Lümmel« usw. wurde gerufen. (…) Hesslin (…) fragte, was denn los sei. Es wurde ihm erwidert, er möge zur Kenntnis nehmen, dass man ihn nicht beleidigen lasse. Hesslin hielt eine kurze Ansprache, (…) alle sollten als Freunde auseinandergehen und erst recht wieder Freunde werden. Das Pub-likum hielt noch lange im Saale aus, dann wurde Hesslin durch die Stadt zum Hotel Monopol getragen. Vor dem Hotel wiederholten sich nochmals die Ovationen und die Rufe: »Hesslin wiederkommen.« (…) Sein Auto musste leer hinterherfahren.«24

Noch in derselben Nacht brachte Hößlin seine Frau nach Florenz. Ein Versuch, ihr über einen »Befreiungsantrag« die Rückkehr zu ermögli-chen, scheiterte 1939. Erna von Hößlin blieb bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs in Italien und überlebte als Einzige der drei Geschwister ihrer Familie den nationalsozialistischen Massenmord.

Der deutsche Botschafter in Rom, Hans-Georg von Mackensen, hatte sich am 3. März 1939 für Hößlin eingesetzt und den Staatssekretär im Reichsinnenministerium, Hans Pfundtner, daran erinnert, dass Höß-lin »sich aufgrund seiner Bayreuther Dirigententätigkeit des besonde-ren Wohlwollens des Führers und Reichskanzlers erfreut«.25 Hößlins Schwierigkeiten beruhten darauf, »dass seine Gattin nichtarisch ist und daher angesichts der italienischen Rassengesetzgebung ihr Verbleiben in Italien, wo sie sich vor Jahren ansässig gemacht hat, in Frage gestellt ist«.

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Im Hinblick darauf, dass Hößlin selbst »Vollarier« sei und er »trotz seiner Ehe durch persönliche Entscheidung des Führers, die etwa andert-halb Jahre zurückliegt, seine Berufstätigkeit in Deutschland weiter in vollem Umfange ausüben darf«, habe er, von Mackensen, sich mit den italienischen Behörden in Verbindung gesetzt. Weiter sei Frau Hößlin vom zuständigen deutschen Konsulat aufgefordert worden, »ihren Pass zwecks Kenntlichmachung ihrer Person als Jüdin vorzulegen«. Die allein berechtigte Stelle zur Erteilung von Ausnahmegenehmigungen aber war das Reichsinnenministerium. Da sich Hößlin gerade in Berlin aufhielt, um am Palmsonntag und Karfreitag in der Staatsoper den Par-zival zu dirigieren, schlug von Mackensen vor, dass Pfundtner oder ein Sachbearbeiter Hößlin empfangen sollte: »Ich würde mich sehr freuen, wenn es möglich wäre, dem großen Künstler die Schwierigkeiten zu erleichtern, denen er aus den dargelegten Gründen ausgesetzt ist und die sie sich bei seinen Gastspielen außerhalb Italiens und Deutschlands fühl-bar machen.«26

In dieser Angelegenheit unterrichtete Bernhard Lösener, Ministerial-rat und Leiter des Referats »Rasserecht« im Reichsministerium des Innern den Staatssekretär, nachdem er mit Hößlin telefoniert hatte.27 Da es sich ausschließlich um die Passangelegenheit von Hößlins Frau gehan-delt habe, habe er ihn an das zuständige Hauptamt Sicherheitspolizei verwiesen. Hößlin habe dann den Ministerialrat Krause aufgesucht, der ihn über die Aussichtslosigkeit seines Anliegens belehrt habe, schrieb Lösener. Der Chef der Sicherheitspolizei. Reinhard Heydrich, war es schließlich, der den Antrag, »auf Befreiung Ihrer Ehefrau von der Füh-rung des Vornamens Sara im Rechts- und Geschäftsverkehr« ablehnte und Hößlin darüber am 2. Mai 1939 informierte.28 Hößlin selbst erhielt kein Auftrittsverbot, blieb aber im Visier der Partei-Kanzlei der NSDAP. Diese monierte in einem Vermerk vom 14. Dezember 1943:

Das Auftreten dieses Kapellmeisters, der mit einer Volljüdin verheiratet sein soll und daher eine Sondergenehmigung der Reichsmusikkammer besitzt, hat verschiedentlich unangenehmes Aufsehen erregt. Können Sie in den Vorgängen des Promi29 feststellen, ob sich die Partei-Kanzlei mit diesem Mann bereits beschäftigt hat, und was es mit dem Kapellmeister für eine Bewandtnis hat?30

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Emmerich Kálmán – eine Abfuhr für Hitler 127

Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Goebbels Propagandami-nisterium hatte schon am 15. Februar 1942 für die Partei-Kanzlei einen entsprechenden Vermerk formuliert, den es nun dem Schreiben an Bor-mann beifügte. Darin hieß es:

Franz von Hoeßlin ist (…) mit einer Volljüdin verheiratet. Nach einer Ent-scheidung des Herrn Reichsministers vom 27.11.37 hat Hößlin wegen sei-ner hervorragenden künstlerischen Fähigkeiten die Genehmigung zur uneingeschränkten Tätigkeit. Im Jahre 1938 wurde er zur Mitwirkung an den Bayreuther Festspielen verpflichtet. Dort hat der Führer Frau Wagner gegenüber geäußert, dass dem weiteren Wirken Hößlins keine Hindernisse in den Weg gelegt werden sollten.31

Der Fall Hößlin zeigt übrigens sehr eindrucksvoll, dass selbst Hitlers Wort nicht immer und überall, geschweige denn für alle Zeiten, galt.

Emmerich Kálmán – eine Abfuhr für Hitler

Der Gunst Hitlers, Görings oder Goebbels’ konnten sich eine Reihe von Kulturschaffenden erfreuen, die ohne diese Protektion – im günstigsten Fall – mit Auftrittsverbnoten belegt worden wären. Allerdings gab es durchaus Künstler, die darauf verzichteten, von Hitler zum »Ehren-arier« ernannt zu werden und es stattdessen vorzogen, Deutschland und den Einflussbereich der Nationalsozialisten zu verlassen. Zu ihnen gehörte beispielsweise der Komponist von Erfolgsoperetten Emmerich Kálmán, der 1880 als Imre Koppstein und Sohn des jüdischen Getreide-händlers Karl Koppstein am Plattensee geboren wurde, 1892 mit seiner Familie nach Budapest zog und seinen Nachnamen auf Kálmán änderte. Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme wurden seine Werke in Deutschland verboten. Nachdem er unmittelbar nach dem Anschluss Österreichs 1938 in Wien von der SA bedrängt worden war, riet ihm der ungarische Reichsverweser Miklós Horthy, sich mit seiner Familie im Ausland in Sicherheit zu bringen. Kurz darauf bot ihm Hitler an, »Ehren arier« zu werden. Kálmán lehnte ab und zog es vor, erst nach Paris und dann in die USA zu emigrieren.32

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128 Ausnahmegenehmigungen für die Prominenz

Auch der berühmte jüdische Regisseur Fritz Lang lehnte es ab, »Ehren-arier« zu werden. Der gebürtige Wiener wurde vor allem durch seinen Film Metropolis bekannt, einen Klassiker der Filmgeschichte. 1933 wollte Goebbels ihn zum »Ehrenarier« machen und bot ihm die Lei-tung des deutschen Films an. Doch Lang verzichtete nach eigenen Anga-ben und rettete sich in die USA.

Max Reinhardt, ursprünglich als Maximilian Goldmann in Baden bei Wien geboren, zählte zu den größten Regisseuren und Intendanten sei-ner Zeit. Er arbeitete in Berlin – u. a. am großen Schauspielhaus und am Deutschen Theater – und gleichzeitig am Theater in der Josefstadt. Im Sommer 1933 schickte Goebbels den Schauspieler Werner Krauss nach Leopoldskron, um Reinhardt die »Ehrenarierschaft« anzubieten. Doch der Regisseur verzichtete und emigrierte 1937 in die USA.33

Einzelschicksale

Nicht alle Kulturschaffenden hatten allerdings die Möglichkeit oder die Kraft zur Emigration, manche haben möglicherweise lange Zeit die

4 Hitler und Miklós Horthy. Die Nationalsozialisten warfen dem Ungarn vor, zu nachsichtig mit Juden umzugehen.

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Einzelschicksale 129

Gefahr des Nationalsozialismus nicht erkannt, und andere arrangierten sich auf ihre Weise mit dem System. Die nachstehende Übersicht von Künstlern mit Sondergenehmigungen ist unvollständig, erlaubt aber einen Einblick in die Mechanismen, mit denen die rassischen Grund-sätze der Nationalsozialisten angewandt oder außer Kraft gesetzt wur-den.

Paul Bildt

Der 1885 in Berlin geborene und 1957 ebenda gestorbene Paul Bildt gehörte zu den meistbeschäftigten Schauspielern der Stummfilmära. Seit 1908 war er mit der jüdischen Schauspielerin Charlotte Friedländer verheiratet. Dennoch konnte er, protegiert von Gustaf Gründ gens, wei-terhin Theater spielen und erhielt zahlreiche Filmrollen der UFA – auch in NS-Propagandafilmen. Im Februar 1932 wurde beispielsweise Hitler der Film Das schöne Fräulein Schragg vorgeführt, in dem nicht nur Paul Bildt, sondern auch Eduard von Winterstein zu sehen war.34 Zu Ehren Hitlers wirkte er 1933 an dessen Geburtstag in dem Staatsschauspiel Schlageter mit. Am 16. Juli 1937 erhielt Hitlers Adjutantur in Berchtes-gaden u. a. den Film Verwehte Spuren, der Hitler vorgeführt werden sollte.35 Weitere Rollen spielte Bildt u. a. in Glückskinder, Der Herrscher und Der Mann, der Sherlock Holmes war.36

Rudolf Blümner

Der Schauspieler (1873–1945) war vor allem durch seine Mitwirkung in Tonfilmen wie M – Eine Stadt sucht einen Mörder und Der Haupt-mann von Köpenick berühmt geworden. Im Frühjahr 1934 hatte er die Ausstellung »Italienische futuristische Luft- und Flugmalerei« eröffnet. Zu ihren Schirmherren zählte Joseph Goebbels als Präsident der Reichs-kulturkammer. Blümner spielte auch in dem NS-Hetzfilm Ohm Krüger mit, doch wegen der jüdischen Abstammung seiner Ehefrau wurde er mit Schreib- und Aufführungsverbot belegt. Ab 1938 bekam er wieder einige Nebenrollen in Historien- und Heimatfilmen und wurde schließ-lich sogar auf die »Gottbegnadeten-Liste« gesetzt.

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Hans Albers

Die Nationalsozialisten drängten den Schauspieler (1891–1960) nach der Machtübernahme, sich von seiner Lebensgefährtin Hansi Burg, der Tochter seines jüdischen Mentors Eugen Burg, zu trennen. Zwar ging Albers formell auf die Forderung ein, lebte aber weiterhin am Starnber-ger See mit ihr zusammen. Albers, der bei Goebbels hohes Ansehen genoss, drehte mit Sondergenehmigung weiter höchst erfolgreiche Filme – u. a. Münchhausen – und sorgte dafür, dass Hansi Burg sich 1939 in England in Sicherheit brachte.

Albers selbst wurde von den Nationalsozialisten großzügig mit Honora-ren bedacht. Staatskommissar Hinkel erinnerte beispielsweise die Prag Film-AG am 4. April 1945 an die Entscheidung des Reichsministers für Volksaufklärung und Propaganda, der zufolge Albers aus den Filmen Der tolle Bomberg und Die ewigen Jagdgründe noch eine Forderung in Höhe von 50 000 Reichsmark hatte – eine damals gewaltige Summe, und es erstaunt, dass so kurz vor dem totalen Zusammenbruch Deutsch-lands das Geldwesen noch funktionierte.37

5 Hans Albers und Brigitte Horney.

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Karl Etlinger

Der Wiener Schauspieler (1879–1946) feierte in den 1920er-Jahren Erfolge an Berliner Bühnen, nachdem er schon 1910 in Stummfilmen mitgewirkt hatte. Als der Tonfilm aufkam, arbeitete er 1930/31 auch in Hollywood. Er war mit einer Jüdin verheiratet, durfte aber mit einer Sondergenehmigung uneingeschränkt weiterarbeiten. Er wirkte u. a. in den Filmen Varieté, Traumulus, Heiratsinstitut Fortuna und Volksfeind mit.

Paul Henckels

Henckels (1885–1967) war Schauspieler, Bühnenregisseur und Theater-direktor und spielte in mehr als 220 Filmen mit. Goebbels hatte sich dafür eingesetzt, dass Henckels in die Reichskulturkammer aufgenom-men wurde, obwohl er »Halbjude« war und nach seiner Scheidung von Cecilia Brie die Jüdin Thea Grodtcinsky geheiratet hatte. Im Mai 1941 wurden seiner Frau beim Besuch von Theatern, Hotels und dergleichen »die Rechte einer arischen Frau« zuerkannt.38 Henckels spielte in bekannten Filmen mit wie Der Maulkorb, 2 x 2 im Himmelbett und Fremdenheim Filoda.

Theo Lingen

Der Schauspieler und Regisseur Theo Lingen (eigentlich Theodor Schmitz, 1903–1978) hatte 1932 Brechts erste, »nichtarische« Frau, die Schauspielerin und Opernsängerin Marianne Zoff, geheiratet. Da Marianne Zoff gemäß den damals geltenden Rassengesetzen »Halbjü-din« war und Lingen daher als »jüdisch versippt« galt, trug er sich mit dem Gedanken, ins Exil zu gehen. Aber aufgrund seiner Popularität erhielt er von Goebbels eine Sondergenehmigung und konnte weiter auftreten.

Bis Kriegsende spielte er in 96 Filmen mit. 1944 verlegte er seinen Wohnsitz nach Wien, wo er über Paul Hörbiger Kontakt zu einer klei-nen Widerstandszelle erhielt. Die Probst Film, Zürich, stellte beim Reichsfilmintendanten den Antrag, Lingen möge doch Anfang 1945 für etwa vier bis fünf Wochen für Dreharbeiten freigegeben werden, doch

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Hinkel lehnte dieses Ansinnen ab.39 Zu seinen bekanntesten Filmen der NS-Zeit zählen: Das Testament des Dr. Mabuse, Der Tiger von Eschna-pur, Tanz auf dem Vulkan, Wiener Blut.

Otto Wernicke

Der Schauspieler Otto Wernicke (1893–1965) wurde vor allem durch die Filme M – Eine Stadt sucht den Mörder und Das Testament des Dr. Mabuse bekannt. Da er mit einer Jüdin verheiratet war, konnte er nur mit einer Sondergenehmigung der Reichskulturkammer spielen. Er wirkte insbesondere in NS-Propagandafilmen mit und erhielt als Dank hierfür 1939 die volle Mitgliedschaft in der Reichstheaterkammer. In der Endphase des NS-Regimes nahm ihn Goebbels sogar noch in die »Gottbegnadeten-Liste« auf.

6 Theo Lingen (1903–1978) – für die Nationalsozialisten unentbehrlich.

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Heinz Rühmann

Rühmann, der vorwiegend Rollen in Komödien spielte, genoss bei Hit-ler höchste Wertschätzung. Angeblich sah sich der »Führer« jeden Rühmann-Film an.

Der Schauspieler, der auch Durchhaltetexte sang, war in erster Ehe mit Maria Bernheim verheiratet, die aus einer jüdischen Münchener Familie stammte. Anders als beispielsweise Hans Moser, der zu seiner jüdischen Frau hielt, sann Rühmann nach der nationalsozialistischen Machtübernahme über eine Scheidung nach. Goebbels notierte hierzu am 6. November 1936 in seinem Tagebuch: »Rühmann klagt uns sein Eheleid mit einer Jüdin. Ich werde ihm helfen. Er verdient es, denn er ist ein ganz großer Schauspieler.«40

7 Heinz Rühmann (1902–1994). Der populäre Schauspie-ler konnte es sich dank des Wohlwol-lens von Goebbels leisten, Frauen mit jüdischem Blut zu heiraten.

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1938 ließ sich Rühmann von seiner Frau scheiden und heiratete ein Jahr später seine Kollegin Hertha Feiler. Aber auch die geborene Wienerin wies im Sinne der Nationalsozialisten einen Makel auf: Sie galt als »Vierteljüdin«. Die Sympathie Hitlers und Goebbels’ bewahrte sie jedoch vor Berufsverbot.

Rühmann und seine Frau durften mit Sondergenehmigungen wei-terarbeiten, Rühmann wurde auf die »Gottbegnadeten-Liste« gesetzt. Die bekanntesten Filme, in denen Rühmann mitwirkte, waren: Die drei von der Tankstelle, Lumpazivagabundus, Der Mann, der Sherlock Hol-mes war, Der Mustergatte, Quax, der Bruchpilot und Die Feuerzangen-bowle.

8 Hertha Feiler (1916–1970).

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Leo Slezak

Der beliebte Tenor und Schauspieler (1873–1946) hatte in Breslau seine spätere Gattin Elsa Wertheim, eine Jüdin, kennengelernt. Mit ihr hatte er zwei Kinder, Walter und Margareta. Bis 1943 durfte Slezak mit einer Sondergenehmigung der Reichskulturkammer drehen, dann wurde er mit einem Berufsverbot belegt. Offensichtlich wurde jedoch dieses Ver-bot aufgehoben, denn in der Besetzungsliste 1944/45 der Reichsfilmin-tendanz vom 22. September 1944 wurde Slezak wieder aufgeführt.41 Nach Goebbels war der Reichsfilmintendant die höchste Instanz, die im NS-Regime Verantwortung für den Film trug, und 1944 übte Staats-kommissar Hans Hinkel diese Funktion aus. Auf dieser Liste – der letz-ten, die vor Zusammenbruch des Regimes noch aufgestellt wurde – fan-den sich übrigens weitere »Mischlinge« und »jüdisch Versippte« wie Hans Albers, Paul Henckels, Hans Moser, Eduard von Winterstein, Theo Lingen, Heinz Rühmann, Hertha Feiler, Pepi Glöckner-Kramer, Brigitte Horney oder Henny Porten.

Eduard von Winterstein

Eduard von Winterstein (eigentlich Eduard Clemens Franz Freiherr von Wangenheim, 1871–1961) war Film- und Theaterschauspieler und drehte eine Vielzahl von nationalsozialistischen Propagandafilmen wie Ohm Krüger, Stukas oder Hundert Tage. 1900 hatte er die Schauspiele-rin Hedwig Pauly geheiratet, eine »Volljüdin«, und benötigte daher eine Sondergenehmigung, um während des »Dritten Reichs« arbeiten zu dürfen.

Josefine (Pepi) Glöckner-Kramer

Die österreichische Volksschauspielerin und Soubrette (1874–1954) hatte 1900 ihren Schauspielerkollegen, den »volljüdischen« Leopold Kramer geheiratet und nannte sich fortan Pepi Kramer-Glöckner. Ab 1917 spielte sie neben dem Theater auch in Stummfilmen.

Nach dem Ersten Weltkrieg übernahm ihr Mann das Deutsche Volks-theater in Prag. 1929 spielte sie in der Dreigroschenoper im Raimundthe-

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ater und in Der lebende Leichnam im Theater in der Josefstadt unter der Regie von Max Reinhardt.

Während und nach dem Zweiten Weltkrieg wirkte sie in kleineren Rollen in Spielfilmen mit, in denen unter anderen Hans Moser und Johannes Heesters zu ihren Partnern zählten.

Henny Porten

Die von Hitler bewunderte Stummfilmlegende (1890–1960) hatte 1921 in zweiter Ehe den Arzt Wilhelm von Kaufmann-Asser, damals Leiter des Sanatoriums »Wiggers Kurheim«, in Garmisch-Partenkir-chen geheiratet. Er übernahm von diesem Jahr an die Produktionslei-tung ihrer Filme. 1930 dreht sie ihren ersten Tonfilm – wieder ein Erfolg.

Nach 1933 waren die Nationalsozialisten daran interessiert, sie in großen Rollen als ideale Darstellerin »deutschen Frauentums« einzu-setzen. Da sie sich weigerte, sich von ihrem »halbjüdischen« Mann zu trennen, wurde sie ab 1933 boykottiert. Dennoch drehte sie, u. a. dank der Fürsprache Albert Görings, während der Zeit des Nationalsozialis-

9 Henny Porten in Der Ruf der Liebe.

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mus noch insgesamt neun Filme. Nach ihren Worten wurde sie von Goebbels „mit Wollust“ verfolgt.42 Hitler gewährte ihr ab 1941 eine monatliche Pension von 1000 Reichsmark.

Hans Moser

Bormanns Vertrauter Walter Tießler drängte häufig auf die Verhängung von Auftrittsverboten, konnte sich jedoch angesichts des persönlichen Eingreifens von Goebbels oder gar Hitlers oft nicht durchsetzen. So im Fall des Filmschauspielers Hans Moser (eigentlich Johann Julier Moser,1880–1964). Dessen Ehefrau Blanca Hirschler war Jüdin. Nach dem »Anschluss« Österreichs musste sie auf Druck von Propagandami-nister Joseph Goebbels Österreich verlassen und nach Budapest ziehen. Alle vierzehn Tage durfte Moser sie dort besuchen. Dabei hatte Goeb-bels noch am 13. Juni 1938 nach einem Besuch zum Cobenzl oberhalb Wiens in seinem Tagebuch anvertraut: »Ich beruhige Hans Moser, den man hier viel gespielt hat. Er weint vor Freude.«43 Am 24. Oktober 1938 wandte sich Moser mit folgendem Bittbrief an Hitler:

Mein Führer! Ich lebe seit 25 Jahren in glücklichster Ehe. Ich bin vollkom-men arischer Abstammung, während meine Frau Jüdin ist. Die für Juden geltenden Ausnahmegesetze behindern mich außerordentlich, insbesondere zermürben sie mich seelisch, wenn ich ansehen muss, wie meine Frau, die so viel Gutes für mich getan hat, dauernd abseits stehen muss. Ich würde mir nicht erlaubt haben, dieses Gnadengesuch einzubringen, aber ich habe so viel Kummer.44

Der österreichische Historiker Oliver Rathkolb weist in seinem Buch Führertreu und gottbegnadet darauf hin, dass dieser Brief Hitler nie erreicht hat, sondern von Gauleiter Josef Bürckel abgefangen wurde.45 Der Regierungspräsident von Wien, Hans Delbrügge, war es, der sich ans Reichsministerium des Innern wandte und angesichts Mosers »gro-ßer Durchschlagskraft« beim Publikum darauf hinwies, dass bei Einhal-tung der Bestimmungen es »nicht einmal möglich wäre, dass seine eigene Frau bei einer Uraufführung Moser’scher Filme im Kino anwe-send sein könnte«.46

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Hitler sah sich die meisten Moser-Filme in seinen Filmvorführräumen auf dem Obersalzberg, in München oder Berlin an. Ein SS-Angehöriger führte Protokoll, so auch am 24. April 1939. SS-Obersturmführer E. Bahal hielt gegenüber dem Propagandaministerium, Filmabteilung, Herrn Fink, Hitlers Urteil fest:

Liebe streng verboten, gutSchauspielerische Leistung Mosers: sehr gut.47

Da Hitler also selbst gern Filme mit Hans Moser sah, blieb den NS-Behörden nichts anderes übrig, als auf das Ehepaar Rücksicht zu neh-men. Dies zeigt deutlich das nachfolgende Schreiben des Propagandami-nisteriums an das Reichsministerium des Innern vom September 1942, in dem Ausnahmeregelungen für Blanca Moser befürwortet werden:

10 Der öster-reichische Volks-schauspieler Hans Moser (1880–1964).

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Die Obengenannte befindet sich seit etwa 2 Jahren freiwillig in Budapest. Aufgrund des § 2 der 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25.11.1941 hat sie daher am 25.11.1941 die deutsche Staatsangehörigkeit automatisch verloren, wie der Chef der Sicherheitspolizei und des SD am 24.6.1942 hierher mitgeteilt hat.

Hans Moser, der zu den bekanntesten deutschen Filmschauspielern gehört, zählt zu denjenigen Personen, die aufgrund allerhöchster Entschei-dung48 unbehindert im Deutschen Reichsgebiet tätig sein können. Moser ist durch die gegen seine Ehefrau getroffenen Maßnahmen verständlicherweise aufs äußerste betroffen und in seiner Tätigkeit stark behindert, da seine Ehefrau sich nun als Staatenlose in Budapest aufhält und nicht mehr im Besitze eines deutschen Reisepasses ist.

Ich bitte daher, die Wiedereinbürgerung und damit die Aushändigung eines Passes an Frau Moser in die Wege zu leiten.

Zur Begründung dieses meines Antrages möchte ich darauf hinweisen, dass im Deutschen Reichsgebiet noch eine Anzahl bekanntester Schauspie-ler, so der Staatsschauspieler Paul Henckels, der selbst Halbjude und mit einer Volljüdin verheiratet ist, ebenso wie der bekannte Kammersänger Max Lorenz (Sülzenfuß) und der Schauspieler Georg Alexander, die ebenfalls mit Volljüdinnen verheiratet sind, genau wie Hans Moser aufgrund allerhöchs-ter Entscheidung unbehindert tätig sein dürfen, mit ihren volljüdische Ehe-frauen in Deutschland zusammenleben, ohne dass sie in irgendeiner Form wegen dieser Tatsache angegriffen und behindert werden dürfen.

Im Hinblick auf die besonders qualifizierte Tätigkeit des Moser bitte ich im vorliegenden Falle eine Befreiung der Ehefrau Moser von den Bestim-mungen der oben angezogenen Verordnung herbeizuführen.49

Zwei Tage später, am 18. September 1942, schaltete sich der Generalse-kretär der Reichskulturkammer mit einem Brief an das Reichsministe-rium des Innern in die Angelegenheit ein:

Anlässlich des Falles der Ausbürgerung der volljüdischen Ehefrau des Schau-spielers Hans Moser möchte ich, da hierfür ein dringendes Interesse vorliegt, für die Zukunft bitten, bevor Maßnahmen gegen Mitglieder eine Einzel-kammer der Reichskulturkammer unternommen werden, vor der dortigen Entscheidung bei mir Rückfrage zu halten.50

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1944 durfte Blanca Moser – nicht zuletzt dank des Einsatzes der Wiener Schauspielerkollegin Marte Harell – als »Ehrenarierin« nach Wien zurückkehren.

Georg Alexander

Der Schauspieler Georg Alexander (eigentlich Werner Louis Georg Lüddekens, 1888–1945) wirkte in über 160 Filmen mit und wurde auch als Operettensänger gefeiert. Ab 1928 war er in zweiter Ehe mit der Filmagentin Ilse Brach, einer »Volljüdin«, verheiratet und konnte nach der nationalsozialistischen Machtübernahme nur noch mit einer Sondergenehmigung von Propagandaminister Goebbels auftreten. Am 12. Oktober 1937 hielt Goebbels fest:

Georg Alexander will sich von seiner jüdischen Frau scheiden lassen. Er fühlt sich überall so zurückgesetzt. Ich rate ihm nicht zu und nicht ab. Aber er tut mir leid.51

Am 8. Dezember 1937 widmete Goebbels Alexander eine weitere Notiz:

Georg Alexander bringt nun doch die Scheidung von seiner Jüdin nicht fertig. Soll er in Gottes Namen bei ihr bleiben.52

Im selben Eintrag hielt Goebbels fest, dass neben anderen Heinz Rüh-mann in den Kunstausschuss der Tobis-Filmproduktionsgesellschaft berufen worden war.

Louis Rainer

Der in Brixen, Südtirol, geborene Schauspieler Louis Rainer (1885–1963) war mit einer Jüdin verheiratet und besaß die italienische Staats-angehörigkeit. Dennoch wurde er 1933 Mitglied der Reichstheaterkam-mer. Als er 1935 die Mitgliedschaft auch in der Reichsfilmkammer beantragte, unterlag er der sogenannten Kontingentpflicht. Die Ehe mit einer gemäß den NS-Rassengesetzen »Volljüdin« führte dazu, dass Rainer von 1937 bis 1939 für seine Theaterarbeit in Dresden eine

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Sondergenehmigung benötigte. Der Sippenforscher Hugo von Hohen-horst bescheinigte ihm »den Nachweis der Unerbringlichkeit« der noch ausstehenden Geburts- und Taufurkunde des Großvaters mütter-licherseits, worauf nunmehr notfalls verzichtet werden könne. 1941 legte er die italienische Staatsbürgerschaft ab und nahm die deutsche an. Außerdem wurde am 18. Juli 1942 seine Ehe rechtskräftig geschieden. Daraufhin hob die Partei-Kanzlei auf Nachfrage Tießlers die Bedenken gegen Rainers Mitgliedschaft in der Reichstheaterkammer auf.53

Reinhold Schünzel

Der aus Hamburg stammende erfolgreiche Schauspieler und Regisseur (1888–1954) war Halbjude. Angesichts so erfolgreicher Filme wie Vik-tor und Viktoria und Amphytrion mit Willy Fritsch ließen ihn die Nati-onalsozialisten mit Sondererlaubnis vorerst weiterarbeiten. Vor dem Hintergrund zunehmender Schikanen verließ er 1937 Deutschland und ging in die USA. 1949 kehrte er nach Deutschland zurück.

Otto David Manasse

Der Komponist (Pseudonym Tomas E. Aston) genoss eine Zeit lang die Duldung durch die Nationalsozialisten. Als Jude 1861 in Stettin gebo-ren, trat er schon in seiner Jugend, nachdem er die Bach’sche Choralmu-sik kennengelernt hatte, zum evangelischen Glauben über. Manasse schrieb eine große Anzahl kirchenmusikalischer Kompositionen, die zumeist in München aufgeführt wurden. 1941 wandte er sich »krank und hilflos und völlig vereinsamt« an Paul Graener und bat ihn um Unterstützung. Dieser schrieb Staatsrat Hans Hinkel, dem Sonderbeauf-tragten für »Kulturpersonalien« im Propagandaministerium, dass Manasse seine Münchner Wohnung, in der er fünfunddreißig Jahre gelebt hatte, gekündigt worden war und er sie innerhalb kürzester Zeit verlassen sollte. Der extrem nationalsozialistisch eingestellte Graener bat Hinkel, Manasses Lage zu erleichtern. Tatsächlich telegrafierte Hinkel dem Münchener Oberbürgermeister und Reichsleiter Karl Fieler und bat ihn im Namen des Propagandaministeriums, »dem 80-jährigen nichtarischen Komponisten Otto David Mannasse [sic], Nicolaistraße 5, bisherige Wohnung zu belassen«.54 Dieser Einsatz war allerdings

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vergebens. Obwohl zum Christentum übergetreten, blieb Manasse für die Nationalsozialisten Jude. Am 25. Juni 1942 wurde er nach Theresi-enstadt deportiert, wo er am 27. November 1942 starb.

Max Lorenz

Ein Dorn in den Augen von Bormanns Beauftragten Walter Tießler war der Tenor Max Lorenz (1901–1975), was ihn am 21. August 1943 zu folgendem Vermerk veranlasste:

Bei den Bayreuther Festspielen wirkte dieses Jahr in den »Meistersingern« der Obengenannte in der Rolle des Ritters von Stolzing mit. Der Partei-Kanzlei ist aus anderen Vorgängen bekannt, dass Lorenz in Wirklichkeit Sülzenfuß heißt und Halbjude sein soll. Es wird um Nachprüfung gebeten.55

Lorenz war zwar homosexuell, aber seit 1932 mit der Jüdin Charlotte (Lotte) Appel verheiratet, einer Sängerin, die später auch als seine Mana-gerin tätig war. Seine Homosexualität war von den Nationalsozialisten zunächst stillschweigend geduldet worden. Als Lorenz jedoch wegen einer Affäre mit einem jungen Mann vor Gericht gestellt wurde, teilte Hitler der damaligen Leiterin der Bayreuther Festspiele, Winifred Wag-ner, mit, Lorenz sei für die Festspiele untragbar geworden. Wagner soll ihm, laut eigener Schilderung, entgegnet haben, in diesem Fall könne sie »Bayreuth schließen«, ohne Lorenz sei »Bayreuth nicht zu machen«. Nach dem Ende des Gerichtsverfahrens versicherte ihr Hitler, Lorenz dürfe auch künftig in Bayreuth auftreten.

Was seine jüdische Ehefrau betraf, bestand Lorenz darauf, sich mit ihr in der Öffentlichkeit zu zeigen – ein Verhalten, das von den Nationalso-zialisten als Provokation empfunden wurde. Als SS-Leute während Lorenz’ Abwesenheit seine Frau und seine Schwiegermutter aus der Wohnung abholen sollten, konnte dies im letzten Moment verhindert werden: Lotte Lorenz konnte über eine Telefonnummer, die sie von Hermann Görings Schwester erhalten hatte, mit einer vorgesetzten Stelle telefonisch Kontakt aufnehmen. Von dort erging an die SS-Leute die Weisung, die Wohnung zu verlassen und die Frauen unbehelligt zu lassen. Als Reaktion auf diesen Vorfall dekretierte Göring mit Schreiben vom 21. März 1943, Lorenz stehe unter seinem persönlichen Schutz,

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jedes Vorgehen gegen Lorenz, dessen Frau und deren Mutter habe zu unterbleiben.

Doch Tießler gab im Hinblick auf Lorenz keine Ruhe. Am 4. August 1943 wurde er darüber unterrichtet, dass bei den Etatverhandlungen für die Staatstheater in Wien festgelegt worden war, dass »Kammersänger Max Lorenz für 30 Abende zu je 3000,00 an der Wiener Staatsoper« singen sollte.56 Drei Tage später, am 26. August 1943, formulierte Tieß-ler den folgenden Vermerk und gab die Stellungnahme Hinkels wieder:

Wie bei jeder Aufführung der Bayreuther Festspiele seit 12 Jahren, also auch nach der nationalsozialistischen Machtübernahme, wirkte der Kammersän-ger an der Preußischen Staatsoper Max Lorenz-Sülzenfuß auch diesmal wie-der mit. Neue Nachprüfungen sind nicht notwendig, denn es ist hier seit dem 30. Januar 1933 genauestens bekannt, dass zwar Max Lorenz-Sülzenfuß Arier ist, dass er aber – wie sowohl unser Minister als auch der Reichsmar-schall und selbstverständlich auch der Führer wissen – mit einer Volljüdin verheiratet ist. Max Lorenz-Sülzenfuß kann aufgrund höchster Entschei-dung uneingeschränkt tätig sein. Er gehört zu jeden Prominenten, die diese Genehmigung bereits vor sieben Jahren erhielten, besitzt also die gleichen Rechte zur ungehinderten Betätigung wie der Halbjude Paul Henckels (mit Volljüdin verheiratet), Hans Moser (mit Volljüdin verheiratet), Franz Lehár (mit Volljüdin verheiratet), Erich Fiedler (mit Volljüdin verheiratet), Georg Alexander (mit Volljüdin verheiratet), Frieda Leider (mit dem volljüdischen ehemaligen Geiger Demann verheiratet), Henny Porten (mit einem volljü-dischen ehemaligen Arzt verheiratet) usw. Diese in der gesamten Öffentlich-keit Bekannten haben also, wie oben bereits gesagt, das Recht zur uneinge-schränkten Betätigung.57

Für Tießler musste damit endgültig klar sein, dass er gegen Max Lorenz nichts ausrichten konnte. Dessen Ehefrau wurde, sofern es den Besuch von Theatern, Hotels usw. anging, ebenso wie die Henckels Deutschblü-tigen gleichgestellt.

Im Zusammenhang mit Winifred Wagner ist noch zu erwähnen, dass sie sich am 10. April 1942 bei Himmler darüber beschwert hatte, dass in Würzburg ein Vortrag über die »jüdische Versippung der Familie Wagner gehalten worden war«.58 Mehr als ein halbes Jahr später, am 30. Dezember 1942, antwortete Himmler, die Untersuchungen hätten

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ergeben, dass es sich nicht um einen Vortrag, sondern um die Unterhal-tung zweier SS-Leute gehandelt hatte. Himmler bat Winifred Wagner um Zusendung ihrer Ahnentafel zur Unterrichtung der beiden SS-Füh-rer, »um die Sache endgültig abschließen zu können«.

Fritz Schaetzler

Der damals bekannte Stuttgarter Kammersänger und Bariton Fritz Schaetzler (1898–1994) sollte nach Vorstellungen der Partei-Kanzlei in einem Film der Wehrmachtsversorgungsabteilung mitspielen, der die Behandlung und Gesundung von Schwerverletzten zum Inhalt hatte. Allerdings hatte Goebbels entschieden, den Film ohne Schaetzler zu drehen, da dieser »Mischling 2. Grades« war.59

Offensichtlich hielt aber die Wehrmachtsführung an Schaetzler fest, da dieser selbst im Krieg verwundet worden war, einen Fuß verloren hatte und deshalb die Rolle in dem Film Sieg des Willens besonders glaubwürdig spielen konnte. Doch die Reichspropagandaleitung in Per-son von Tießler ließ nicht locker. In einem Schreiben vom 7. Januar 1942 an das Oberkommando der Wehrmacht monierte er, dass im Drehbuch noch immer der Name Schaetzler für die Rolle des Unteroffi-ziers Wagner aufgeführt werde, obwohl der Propagandaminister diesen bereits abgelehnt habe.60 Er teile das ordnungshalber noch einmal mit. Die Angelegenheit schien erledigt, denn Tießler legte Goebbels am 2. April 1942 einen Vermerk vor, der auf Seite 147 im Faksimile wieder-gegeben wird.

Obwohl nun als »deutschblütig« mehr oder weniger in Sicherheit, brachte sich Schaetzler durch sein Verhalten selbst in Gefahr. Offen-sichtlich tingelte er in Varietés, bagatellisierte in kabarettistischer Art seine schwere Kriegsverletzung und erregte damit, so jedenfalls die Par-tei-Kanzlei, bei ernsthaft Verwundeten Ärgernis.61 Schaetzler hatte inzwischen ein Buch Nun erst recht! herausgegeben, das nach Ansicht der Partei eine »beispiellose Selbstbeweihräucherung« darstellte.

Zwar hatte Hitler Schaetzler »Deutschblütigen« gleichgestellt, doch verstanden es seine Gegner, ihn wegen seiner Abstammung dennoch zu denunzieren. Der Öffentlichkeit gegenüber sei Schaetzler als »vollbe-rechtigt« zu behandeln, »innerhalb der Bewegung könnte dies jedoch nicht gelten, da Schaetzler selbst zugibt, dass seine Großmutter mütter-

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11 Fritz Schaetzler mit Violine.

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licherseits jüdischer Herkunft war«.62 Es sei darauf zu dringen, dass Schaetzler sich auf seine Tätigkeit als Kammersänger beschränke und darauf verzichte, in Kabaretts und ähnlichen Einrichtungen zum Ver-wundetenproblem Stellung zu nehmen.

Schließlich griff die Partei-Kanzlei zum Mittel der Denunziation. Man sei im Österreichischen Hof in Salzburg an einem Gespräch zwi-schen »Kammersänger Patzak, Paul Hörbiger und zwei weiteren Büh-nenkünstlern über den Kriegsbeschädigten Fritz Schaetzler« beteiligt gewesen. Patzak habe erzählt, dass Schaetzler wegen seines jüdischen Vaters 1935 die Stuttgarter Oper habe verlassen müssen. Jetzt, im Krieg, hätten die Nationalsozialisten Schaetzler wieder geholt, ihn beauftragt, ein Buch zu schreiben und in Lazaretten und öffentlichen Veranstaltun-gen aufzutreten. Er verdiene dadurch enorme Summen. Ohne die

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12 »Führerentscheid« bezüglich der Gleichstellung von Fritz Schaetzler mit »Deutschblütigen«. Der »Herr Minister« ist Goebbels, »Ti« steht für Tießler.

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Dienststelle zu nennen, habe man Patzak und die anderen Künstler von dem wahren Sachverhalt der Abstammung Schaetzlers unterrichtet.

Ich war mir nämlich klar, dass die Begleiter Patzaks zweifellos bei nächster Gelegenheit die Angaben wieder verbreiten würden und dementsprechend den Grundtenor, die NSDAP mache nach Belieben einen Halbjuden zum Arier, wenn es nur gerade opportun erscheine.63

Der Unmut selbst in der Partei-Kanzlei über die Beliebigkeit der NSDAP-Rassenpolitik wird durch diese kritischen Bemerkungen unübersehbar.

Carl Schuricht

Der 1880 in Danzig geborene Carl Schuricht war einer bedeutendsten Komponisten und Dirigenten des 20. Jahrhunderts. Verheiratet war er mit der »Nichtariern« Friedel Heinemann. Ihm hatte das Propaganda-ministerium mitgeteilt, »dass die Tatsache der Verheiratung eines pro-minenten Künstlers mit einer Nichtarierin allein auch in Deutschland nicht als Grund betrachtet wird, diesen in seinem Wirken im Reich zu behindern. Der Führer hat mehrfach erklärt, dass in derartige bereits bestehende Ehen nicht eingegriffen werden solle. Die Warnung vor sol-chen Ehen bezieht sich lediglich auf die in Zukunft abzuschließen-den«.64 Allerdings nahm der Druck des NS-Regimes auf Schuricht der-art zu, dass er sich im September 1933 von seiner Frau scheiden ließ, wobei er sie jedoch weiterhin unterstützte. Als Schuricht festgenommen werden sollte, wurde er gewarnt. Er verließ im November 1944 Deutsch-land und ließ sich in der Schweiz nieder, wo er 1967 starb.

Eduard Künneke

Der erfolgreiche Operettenkomponist Eduard Künneke (1885–1953), dessen bekanntestes Werk die Operette Der Vetter aus Dingsda ist, war mit einer »nichtarischen« Frau, der Sängerin Katarina Garden verheira-tet. Im Mai 1933 war er in die NSDAP eingetreten, doch blieb er Ziel-scheibe der Dienststelle Rosenberg, die ihn wegen »jüdischer Versip-pung« und jüdischer Texte attackierte. Nach der Machtergreifung der

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Nationalsozialisten trat er am 1. Mai 1933 in die NSDAP ein (Mit-gliedsnummer 2.633.895), wurde aber bereits 1934 wegen »nichtari-scher Versippung« ausgeschlossen. Aufgrund der Intervention von Goe-bbels durfte er jedoch Mitglied der Reichskulturkammer bleiben und »ungehindert seiner künstlerischen Betätigung nachgehen«. 1943 diri-gierte er in Litzmannstadt die Aufführung eigener Werke.

Jan Kiepura

Der polnische Tenor Jan Kiepura (1902–1966) wurde als zweiter Caruso gefeiert. Der mit der ungarischen Operettensängerin und Film-schauspielerin Marta Eggerth verheiratete Sänger wurde im NS-Lexikon der Juden in der Musik als »Halbjude« aufgeführt. Obwohl sein Vater Jude war, durfte er im »Dritten Reich« weiter auftreten; in Opernfra-gen ließ sich Goebbels sogar von ihm beraten. Am 27. Februar 1936 bemerkte er über Kiepura in seinem Tagebuch:

Kiepura und Martha Eggert: über neuen Filmplan. Kiepura hat Ideen. Ein charmanter Mensch. Die Eggert wirkt wie eine Mumie.65

Tatsächlich galten die beiden als das »Traumpaar« des deutschen und österreichischen Musikfilms der Dreißigerjahre und heirateten 1936. Damals lebte das Paar in Wien, weil die Eggerth in Deutschland seit 1935 nicht mehr auftreten durfte, da sie einen jüdischen Elternteil hatte.

Rosette Anday-Bündsdorf

Nach einem Abstammungsbescheid des Reichssippenamts vom 4. Juli 1941 war Kammersängerin Rosette Anday-Bündsdorf, gebürtige Buda-pesterin, »Halbjüdin«.66 Ein von ihrem Mann eingelegter Einspruch gegen diesen Bescheid wurde am 20. Juni 1941 zurückgezogen. Zuerst erhielt sie »unter Aufrechterhaltung des Abstammungsbescheids« eine Sondergenehmigung. Ihre Auftritte wurden von den Nationalsozialisten zunächst geduldet, doch wurde sie 1938, nach dem »Anschluss« Öster-reichs, wegen ihrer jüdischen Herkunft mit einem Auftrittsverbot belegt.67 Bis zu ihrer Kündigung 1940 verhandelte ihr Mann, Karl Bündsdorf, der ohne Erfolg die Mitgliedschaft in der NSDAP beantragt

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hatte, über ihre Weiterbeschäftigung an der Staatsoper Wien und eine Mitgliedschaft in der Reichsmusikkammer. Obwohl die ungarische Mezzosopranistin in einer »privilegierten Mischehe« lebte, musste sie mit Deportation rechnen. Erst mit einer am 27. November 1941 erteil-ten Sondergenehmigung durfte sie wenigstens für einige Monate im gesamten Reichsgebiet auftreten. Einige Zeit später, am 20. Juli 1942, wurde diese Ausnahmeregelung widerrufen und damit begründet, »sie übe keinerlei künstlerische Tätigkeit im Reichsgebiet mehr aus« und sei in Budapest an der Königlichen Oper tätig.

Etta Metz

Obwohl »Mischling 1. Grades« durfte die Bühnenbildnerin Etta Metz, Frau des Generalintendanten der Zoppoter Waldoper, mit ihrem Mann weiterarbeiten. Gauleiter Albert Forster hatte sich für sie eingesetzt und bei Hitler sogar eine »Begnadigung« für ihren Mann erreicht, der dar-aufhin die Erlaubnis erhielt, Mitglied der NSDAP zu bleiben.

Marianne Simson

Marianne Simson wurde 1920 in Berlin als Tochter eines Versicherungs-angestellten geboren. 1935 trat die »Vierteljüdin« dem »Bund Deut-scher Mädel« (BDM) bei. Sie erhielt eine Ausbildung im Klassischen Tanz und wurde 1935 Tänzerin am Nollendorftheater in Berlin, 1936 am Deutschen Opernhaus in Berlin und 1939 am Staatstheater unter Gustaf Gründgens. 1943 stellte Marianne Simson, die von Goebbels häu-figer zu Abendgesellschaften eingeladen wurde, einen Antrag auf Mit-gliedschaft in der NSDAP, der aber abgelehnt wurde. Im Juli 1944 zeigte sie Fritz Goes, einen damaligen Major der Wehrmacht, bei der Gestapo an, da er sich in ihrer Gegenwart positiv zum Attentat auf Hitler geäußert hatte. Goes wurde anschließend drei Monate lang in der Gestapo-Haft misshandelt. In der Vernehmung durch den SS-Obersturmbannführer Karl Radl (Adjutant von Otto Skorzeny) und in der Gerichtsverhand-lung vor einem Sondergericht des Heeres hielt sie an ihrer Aussage fest, die aber als unglaubwürdig bewertet wurde: Aussagen u. a. von Viktor de Kowa, Anneliese Uhlig, dem Filmproduzenten Herbert Engelsing und General Jesco von Puttkamer sorgten für den Freispruch des Angeklagten.

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Simson beschwerte sich in der Folge noch bei Joseph Goebbels, dass ihrer Denunziation nicht geglaubt wurde. Von 1945 bis 1952 wurde Simson in sowjetischen »Speziallagern« festgehalten.

Rolf von Sydow

1924 in eine militärische Adelsfamilie hineingeboren, erfuhr er mit elf Jahren, dass er nach den NS-Rassengesetzen »Mischling 2. Grades« war, auch wenn bereits seine jüdischen Urgroßeltern mütterlicherseits zum protestantischen Glauben übergetreten waren.68 Dennoch gelang es ihm, in die Wehrmacht aufgenommen zu werden. Mehrfach erhielt er Auszeichnungen, doch nach der Entdeckung seiner »nichtarischen Abstammung« entzog er sich durch Flucht in kanadische Gefangen-schaft einer Verurteilung wegen Wehrkraftzersetzung. In seinen Lebens-erinnerungen gesteht der erfolgreiche Regisseur von Sydow seinen damaligen, jedoch nicht erfüllten Wunsch: »Ich habe von Hitler zum Ehrenarier ernannt werden wollen.«69

Hedy Gura

1933 entließ der Generalintendant der Hamburgischen Staatsoper, Heinrich Karl Strohm, eine Reihe jüdischer Mitarbeiter. Gleichzeitig aber stellte er im August 1933 die Österreicherin Hedy Gura als Spielal-tistin ein. Dies ist deshalb so bemerkenswert, weil es sich bei der Sänge-rin um eine »Halbjüdin« handelte, und dies bei den Vertragsverhand-lungen offenkundig wurde. Mit dem Fortgang der Karriere hat sich die Historikern Beate Meyer befasst, bei der dazu zu lesen ist:

Zu ihren Gunsten konnte die Künstlerin immerhin anführen, dass ihr Sohn bereits 1931 der HJ beigetreten war, seit 1932 dem 11. Sturm der SS in Österreich angehörte und wegen dieser Betätigung im Juni 1933 des Landes verwiesen worden war. Als Angehöriger der KZ-Wachmannschaft in Da chau und der Politischen Abteilung der SS in München setzte er seine nationalso-zialistische Weltanschauung in die Tat um. Nachdem Hedy Gura mehrere Sondergenehmigungen der Reichstheaterkammer für jeweils eine Spielzeit erhalten hatte, fuhr Strohm persönlich nach Berlin, um eine generelle Aus-nahmegenehmigung zu erwirken (…) Diesem massiven Einsatz verdankte

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die Sängerin ihre Weiterbeschäftigung bis Kriegsende. Der Schutz für Fami-lienangehörige beschränkte sich allerdings auf Ehemann und Sohn, nicht aber auf ihre Geschwister. Ihre Schwester hatte drei Jahre im Konzentrati-onslager überlebt, der Bruder war dort ermordet worden, der elterliche Grundbesitz enteignet. 70

Mario Heil de Brentano

Mario Heil de Brentano entstammte einer deutsch-italienischen Familie und setzte sich von 1930 an für die NS-Bewegung ein. Da er mit einer »Halbjüdin« verheiratet war, wurde er aus der NSDAP ausgeschlossen. Allerdings blieb er in der Wehrmacht:

Wie ich Ihnen kürzlich mitteilte, ist Brentano mit einer Halbjüdin verhei-ratet. Er wurde wegen dieser Tatsache seinerzeit aus der Partei entlassen. Wie ich jetzt erfuhr, ist B. z. Zt. Sonderführer bei einer Propaganda-Kompanie (Leutnantsrang). Auch den Dichterpreis des Reichsführers-SS und Chefs der Deutschen Polizei hat er erhalten. B. dürfte den Versuch machen, auf irgendwelchen Wegen wieder in die Partei aufgenommen zu werden. Bezeichnend für ihn ist, dass er trotz seiner angeblichen nationalsozialisti-schen Gesinnung alle Jahre einen Mischling 2. Grades in die Welt setzt. Er hat z. Zt. 5 oder 6 Kinder. Da B. sich schriftstellerisch und journalistisch betätigt, stoße ich häufiger auf diese Verhältnisse, da mir meine Kollegen hohnlächelnd diesen Fall für die Konsequenz der nationalsozialistischen Rassenpolitik vor Augen führen.71

Obwohl das Reichspropagandaministerium drängte und das OKW Brentano als Wortberichterstatter in einer Kompanie des Heeres ablehnte,72 veröffentlichte dieser weiterhin Berichte, beispielsweise in der Zeitschrift Der Montag. Am 7. Februar 1942 wurde das OKW über die Hintergründe informiert:

Zu obigem Vorgang wird mitgeteilt, dass Mario Heil de Brentano durch Verfügung des Führers vom 12.9.41 weiter im aktiven Wehrdienst verblei-ben konnte. Maßgebend für die Entscheidung des Führers war der Umstand, dass de Brentano im Jahre 1930 unter der Mitgliedsnummer 293.635 in die NSDAP eingetreten ist. Die nichtarische Abstammung seiner Ehefrau wur-

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de ihm erst im Jahre 1932 bekannt, und aufgrund dieser Tatsache wurde er nach der Machtübernahme aus der Partei entlassen. Trotzdem wurde de Brentano wegen seiner Verdienste in der Partei und seiner kulturellen Tätig-keit als Schriftsteller und Schriftleiter in den Organen der Bewegung durch Verfügung des Herrn Reichsministers für Volksaufklärung und Propaganda vom 17.4.1935 als Schriftleiter der Berufsliste A ohne Beschränkungen in die Reichsschrifttumskammer aufgenommen. Aufgrund dieser Tatsache hat auch der Chef der Kanzlei des Führers der NSDAP den Verbleib Brentanos im aktiven Wehrdienst befürwortet.73

Arnolt Bronnen

Besondere Aufmerksamkeit verdient Arnolt Bronnen (1895–1959), weil er Teil einer Dreiecksgeschichte ist, in der seine Frau und vor allem Propagandaminister Goebbels eine besonders aktive Rolle einnahmen.

In Wien als Sohn von Ferdinand Bronnen geboren, war er »Halb-jude« im Sinne der Nürnberger Gesetze. Auch wenn er sich – im Zusammenhang mit einer schon 1930 erstmals von ihm erwogenen Vaterschaftsklage – von seiner Mutter seine »arische Abkunft« hatte eidesstattlich versichern lassen, bestritt er jedoch später die Vaterschaft von seinem gesetzlichen Vater. 1920 zog er nach Berlin, wo er das Stück Vatermord veröffentlichte, für das er den Kleist-Preis erhielt.

Ab 1930 verkehrte Bronnen mit Otto Strasser und Goebbels. Am 17. Oktober 1930 störte er gemeinsam mit den Brüdern Ernst und Friedrich Georg Jünger und etwa dreißig SA-Leuten einen Vortrag im Berliner Beethoven-Saal, bei dem Thomas Mann vor den Gefahren des aufkommenden Nationalsozialismus warnte. Goebbels lobte Bronnen unter anderem am 19. September 1929:

Unterwegs: O.S. von Arnolt Bronnen. Kampf um Oberschlesien. Ein hin-reißend nationalistisches Buch, geschrieben von einem, der noch vor kurzem auf der anderen Seite stand.74

Durch den Umgang mit Goebbels hatte Bronnen die Schauspielerin Olga Förster-Prowe kennengelernt und sich in sie verliebt. Sie war eine Geliebte von Goebbels und wurde unter dem Decknamen Agent A229 von 1929 bis 1935 vom NKWD geführt. Es entstand eine »Ménage à trois«.

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Im folgenden Jahr nahm zumindest für Goebbels »Olly Förster«, die mittlerweile mit Bronnen verheiratet war, den wichtigeren Part ein, wie er in seinem Tagebuch festhielt:

14. November 1930: Gespräch mit Arnolt Bronnen. Ich treffe ihn mit Olly Förster [Förster-Prowe], seiner kleinen Schauspielerin.75

21. November 1930: Die kleine Olga Förster kam zum Plaudern. Sie wird sich in einigen Wochen mit Bronnen verheiraten. Dabei liebt sie ihn nicht einmal. Aber mich mag sie gern. Bronnen kam sie abholen.76

12. Dezember 1930: Gemütlicher Abend mit Olga F. Sie ist mit Bronnen sehr unglücklich, aber ein vernünftiges und liebes Mädel.77

15. Dezember: Mit Olga F. und Bronnen meine neue Wohnung besichtigt. Es geht gut voran. Dann bei Olgas Pflegeeltern zum Kaffee.78

5. Januar 1931: Olga Bronnen war voll von süßer Schwermut. Eine schöne Frau.79

19. Januar 1931: Bei Bronnens abends heftige Debatte über die Frau und ihre Aufgabe.80

23. Januar 1931: Olga Bronnen hat im Fr. eine Gehirnerschütterung abbekom-men. Sie ruft mich vom Krankenhaus mitten in der Nacht an und führt ein wirres Telephongespräch. Armes Ding. Sie tat mir sehr leid.81

1. Februar 1931: Gestern nachmittag war Frau Quandt zum Arbeiten da. Sie ist in der Tat eine fabelhafte Frau, und ich wünschte schon, dass sie mich liebte. Den Abend allein zu Hause gearbeitet. Und spät noch mit Bronnens und Maria und Weißauer debattiert.82

15. Februar 1931: Abends kommt Magda Quandt. Und bleibt sehr lange. Und blüht auf in einer berückenden blonden Süßigkeit. Wie bist Du meine Köni-gin? Eine schöne, schöne Frau! Die ich wohl sehr lieben werde. Heute gehe ich fast wie im Traum. So voll von gesättigtem Glück. Es ist doch herrlich, eine schöne Frau zu lieben und von ihr geliebt zu werden.83

19. Februar 1931: Magda Quandt kommt. Zu einem wunschlos schönen Abend.84

10. März 1931: Aussprache mit Olga Bronnen. Sie ist in ihrer Ehe sehr unglücklich. Aber wie soll ich ihr helfen? Es ist auch sehr viel Hysterie dabei. (…) Am Abend kommt Magda und ist sehr gut zu mir.85

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30. März 1931: Unterredung mit Bronnen. Er steht in dieser schweren Zeit fest zu uns.86

12. April 1931: Bronnens kommen und sind sehr nett zu mir. Olga Bronnen bringt mir einen Riesenfliederstrauß.87

Nach der Machtergreifung Hitlers wurde Bronnen aus seiner Stellung als Dramaturg beim Rundfunk (»Dramatische Funkstunde Berlin«) entlassen. Mit zahlreichen anderen Schriftstellern unterzeichnete er jedoch das »Gelöbnis treuester Gefolgschaft« für Hitler und wurde vorüber gehend wieder eingestellt. Ab 1934 arbeitete er für den ersten Fernsehsender; von 1936 bis 1940 als Programmleiter. 1937 wurde Bronnen aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen – eine Ent-scheidung, gegen die er Widerspruch einlegte, die aber 1939 von Goeb-bels bestätigt wurde.

Nachdem es ihm 1941 gelang, seine »arische« Abstammung auf Grundlage einer erbbiologischen Untersuchung über die Abwesenheit »jüdischer Rassemerkmale« aktenkundig zu machen, wurde er wieder in die Reichsschrifttumskammer aufgenommen.

Aber vor allem Tießler hatte Bronnen weiterhin im Visier und wollte ihn endgültig aus der Reichsschrifttumskammer verbannen. Er schrieb deshalb einen Vermerk für Goebbels:

In der Kulturpolitischen Information Nr. 43 des Reichspropagandaamtes Berlin vom 17. Oktober 1942 war auf die Tatsache aufmerksam gemacht worden, dass demnächst Arnolt Bronnen im Spielplan einiger Bühnen auf-taucht. Es sei darüber weder in negativer noch in positiver Hinsicht sensati-onell Bericht zu erstatten. Die Partei-Kanzlei bat daraufhin um Mitteilung, warum Bronnen, der Halbjude und als typischer Systemliterat bekannt ist, wieder an deutschen Bühnen aufgeführt werden muss. Aufgrund meiner diesbezüglichen Anfrage bei der Theaterabteilung des Hauses nahm diese dahingehend Stellung, dass eine Wiedererweckung der früheren Stücke Bronnens nicht infrage käme, seine neuen Schauspiele »Gloriana« und »N« aber »keinerlei Handhabe zu Beanstandungen in staatspolitischer Hinsicht« geben. 88

Goebbels wurde vorgeschlagen, Aufführungen Bronnen’scher Werke bis auf Weiteres zu verbieten:

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Der Minister hat dies gutgeheißen. Der Reichsdramaturg hat daraufhin sichergestellt, dass Aufführungen nicht stattfinden werden. Diese Stellung-nahme habe ich der Partei-Kanzlei zur Kenntnis gebracht. Die Partei-Kanz-lei hat meine Notiz an Reichsleiter Bormann weitergeleitet. Die Vorlage ist mit nachstehender Randbemerkung des Reichsleiters zurückgekommen: »Parteigenosse Tießler ist davon zu unterrichten, dass der Führer es für abstrus, für unmöglich hält, dass solche Männer noch einmal im Druck erscheinen«.89

Die geplante Aufführung des Stücks Gloriana in München wurde 1943 untersagt; im selben Jahr erhielt Bronnen endgültig Publikationsverbot und wurde aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen. 1935 beging seine Frau Olga, Goebbels’ Geliebte, angeblich Selbstmord. 1936 heiratete Bronnen ein zweites Mal. Im August 1944 wurde Bronnen zu einem Ersatzbataillon in Steyr eingezogen.

Joachim Gottschalk

Der 1904 geborene Sohn eines Arztes fuhr nach dem Abitur vier Jahre zur See und nahm anschließend Schauspielunterricht in Cottbus und Berlin. Während eines Engagements an der Württembergischen Volks-bühne in Stuttgart lernte er die jüdische Schauspielerin Meta Wolff ken-nen, die er dann am 3. Mai 1930 heiratete.

Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung erhielt Gott-schalks Frau Berufsverbot; Joachim Gottschalk konnte nur unter Ver-heimlichung seiner Familiensituation seinen Schauspielerberuf weiter ausüben. Nach einem Engagement in Leipzig spielte er von 1934 bis 1938 in Frankfurt am Main, bevor er an die Berliner Volksbühne wech-selte. Seine Theatererfolge machten ihn zu einem der populärsten Schauspieler der Reichshauptstadt.

1938 begann er seine Filmlaufbahn bei der UFA. Nach Kriegsbeginn verstärkte sich der Druck des Propagandaministerium auf den erfolgrei-chen Schauspieler. Hans Hinkel, Sonderbeauftragter für »Kulturperso-nalien«, verlangte von Gottschalk die Scheidung, doch dieser weigerte sich. 1941 wurde er an den Berliner Bühnen nicht besetzt und beging noch im selben Jahr Selbstmord. Goebbels notierte dazu am 7. Novem-ber 1941 in seinem Tagebuch:

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Am Abend kommt noch die etwas peinliche Nachricht, dass der Schauspie-ler Gottschalk, der mit einer Jüdin verheiratet war, mit Frau und Kind Selbstmord begangen hat. Er hat offenbar keinen Ausweg mehr aus dem Konflikt zwischen Staat und Familie finden können. Ich sorge gleich dafür, dass dieser menschlich bedauerliche, sachlich fast unabwendbare Fall nicht zu einer alarmierenden Gerüchtebildung benutzt wird.90

Leo Blech

Den Dirigenten und Komponisten Leo Blech (1871–1958) hatte Max Reinhardt als den »jüdischen Superpreußen« bezeichnet. Der General-musikdirektor der Berliner Staatsoper durfte seinen Posten behalten, als 1933 alle übrigen jüdischen Mitglieder entlassen wurden. Ebenso durfte

14 Joachim Gott-schalk – Goebbels bezeichnete seinen Freitod als »peinlich« für das Regime.

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er wegen seiner Verdienste auf musikalischem Gebiet zunächst noch der Reichskulturkammer angehören. Dank des Schutzes von Göring konnte er bis 1937 in Berlin bleiben, bevor er Dirigent der lettischen National-oper in Riga wurde und dann nach Einmarsch der Wehrmacht nach Stockholm floh.

August Griebel

In dem Bassbuffo August Griebel hatte Walter Tießler ein Opfer gefun-den, das jedoch unter Hitlers besonderem »Schutz« stand, wie er bedauernd dem Präsidenten der Reichstheaterkammer schrieb:

Aufgrund der hiesigen Entscheidung vom 25.5.36 wurde dem Obengenann-ten die jederzeit widerrufliche Sondergenehmigung erteilt, in seinem Beruf tätig zu sein. Diese Sondergenehmigung hat auch heute noch Gültigkeit.

Zu der Angelegenheit teile ich noch Folgendes mit:Der Bassbuffo August Griebel in Köln ist mit einer Jüdin verheiratet.

Frau Griebel, die im Jahre 1928 evangelisch getauft worden ist, macht gel-tend, dass ihre Mutter zwar jüdischen Glaubens, aber keine Volljüdin gewe-sen ist. Dem Vernehmen nach ist Griebel anlässlich einer Gerichtsverneh-mung die Auflage gemacht worden, bis Anfang Februar endgültig den Nach-weis zu erbringen, dass seine Frau nicht Volljüdin sei. Die Bemühungen Griebels, diesen Nachweis zu erbringen, haben bis jetzt zu keinem Erfolg geführt, da die in Frage kommenden Matrikelbücher im Generalgouverne-ment durch die Kriegshandlungen vernichtet worden sind. Der Führer, der von der Angelegenheit Kenntnis erhalten hat, hat bestimmt, dass der Fall Griebel bis zur weiteren Entscheidung durch ihn selbst zurückzustellen ist. Der Führer will seine Entscheidung nach dem Kriege treffen. Bis dahin sol-len keine Entscheidungen zu Ungunsten des August Griebel und seiner Familie getroffen werden.91

Johann Strauss (Sohn)

Der Großvater des österreichischen Komponisten, Johann Michael Strauß, war jüdischer Herkunft. Die Musik des Walzerkönigs, der nach den Nürnberger Rassengesetzen ein Vierteljude war, hätte demnach

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verboten werden müssen. Das allerdings passte nicht in Goebbels’ Kon-zept, der dazu am 5. Juni 1938 in seinem Tagebuch festhielt:

Ein Oberschlauberger hat herausgefunden, dass Joh. Strauß ein Achteljude ist. Ich verbiete, das an die Öffentlichkeit zu bringen. Denn erstens ist es noch nicht erwiesen, und zweitens habe ich keine Lust, den ganzen deut-schen Kulturbesitz so nach und nach unterbuttern zu lassen. Am Ende blei-ben aus unserer Geschichte nur noch Widukind, Heinrich der Löwe und Rosenberg übrig.92

Eine üble Rolle hatte übrigens in diesem Zusammenhang Julius Strei-chers Hetzblatt Der Stürmer gespielt. Vorangegangen war eine Propa-gandaaktion auf Wiener Litfasssäulen:

Johann Strauss mit seinen unvergleichlichen Melodien kennt die Welt. Es gibt wohl kaum eine andere Musik, die so deutsch und so volksnah ist als die des großen Walzerkönigs. Johann Strauss ist längst tot. Er ist unsterblich geworden. Jüdische Erbschleicher haben es fertiggebracht, dass seine leibli-chen Nachkommen heute zum Teil in bitterer Not leben, weil Juden sich einschlichen, weil Juden alles an sich rissen, weil Juden die Erbschaft ergau-nerten. In seiner Ausgabe Nr. 23 veröffentlicht Der Stürmer in Fortsetzun-gen erschütternde Tatsachenberichte über das Tun und Treiben dieser jüdi-schen Fälscher und Betrüger. Jeder muss sich Aufklärung verschaffen. Jeder muss erfahren, in welch schändlicher Weise die Juden heute das Andenken des deutschen Walzerkönigs in den Schmutz ziehen wollen.93

Franz Lehár

Der österreichische Komponist ungarischer Herkunft Franz Lehár (1870–1948) gehörte zu den Mitbegründern der sogenannten Silbernen Operettenära. Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten begannen die Schwierigkeiten, denn die Libretti für seine Opern hatten vorwiegend jüdische Librettisten verfasst, unter anderen Leo Stein, Bela Jenbach, Julius Brammer, Alfred Grünwald. Schwerwiegender war allerdings, dass er Sophie Paschkis, eine Jüdin, geheiratet hatte. Da jedoch Hitler ein Anhänger seiner Musik war, erhielt er vom Propagandaministerium eine

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Sondergenehmigung zur Berufsausübung. Ebenso durften nach einer kur-zen Verbotsphase seine Operetten auf deutschen Bühnen gespielt werden. Goebbels erwähnte Lehár am 9. Dezember 1937 in seinem Tagebuch:

Die Juristen können auch nicht den Komponisten Lehár in den Genuss der Tantiemen der »Lustigen Witwe« bringen. Ich werde das auch schaffen.94

Unter der Überschrift »Bruder des NS-Verbrechers. ›Der gute Gö--ring‹« führte Spiegel-Online Autor Christoph Gunkel eine Reihe von Fällen auf, in denen Görings Bruder Albert eingriff, um Juden oder »jüdisch Versippte« zu retten, unter anderem auch das Ehepaar Lehár:

Eines Tages stand bei den Eheleuten Lehár die Gestapo vor der Tür. Wäre ihr Mann nicht daheim gewesen, hätten die zwei SS-Männer sie vermutlich gleich mitgenommen. Nach diesem Vorfall erhielt Franz Lehár ein Schrei-ben, in dem er aufgefordert wurde, sich scheiden zu lassen – andernfalls werde er als Nichtarier eingestuft, was ein Verbot all seiner Werke bedeutet hätte. Albert Göring konnte das verhindern: Er berichtete seinem Bruder von Lehárs Situation. Hermann Göring wandte sich daraufhin an Goebbels, der die Ehe der Lehárs schließlich als »privilegierte Mischehe« heraufstuf-te – das bewahrte Sophie vor der Deportation.95

Lehárs Frau wurde 1938 zur »Ehrenarierin« erklärt, was Goebbels so kommentierte: »Der Fall Lehár finde nun seine endgültige Erle-digung.«96 Der Komponist »revanchierte« sich, indem er den jüdi-schen Rechtsanwalt Eitelberg bei Staatsrat Hans Hinkel denun zierte. Möglicherweise hätte er auch etwas zur Rettung seines langjährigen Librettisten Fritz Beda-Löhner unternehmen können, der 1942 in Auschwitz ermordet wurde. Auch 1946 stand Lehár noch zu Hinkel. In einer Erklärung vom 3. August 1946 bescheinigte er Hinkel, dass dieser ihm »in schwerster Zeit« freundschaftlich entgegengekommen sei:

Meine Frau Sophie Lehár, die jüdischer Abstammung ist, hatte während der Nazizeit sehr viel zu leiden. Sie schwebte in ständiger Todesgefahr und zog sich auch ein schweres Herzleiden zu. Herr Hinkel war es, der uns beistand, und wenn irgendwann eine Schwierigkeit entstand, war er es, der helfend eingriff. Ich hoffe, dass diese Zeilen dazu beitragen werden, seinen Charak-

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ter zu erkennen. Er ist ein wertvoller Mensch und verdient es, dass man ihn wieder aufrichtet und ihm Gelegenheit gibt, ein neues Leben zu beginnen.97

Günther Treptow

Der 1907 geborene Sänger begann seine Ausbildung an der Hochschule für Musik und setzte sie in Mailand bei Giovanni Scarmeo fort. Treptow war Mitglied der SA und der NSDAP (Mitgliedsnummer 38.579) bis 1934, als jüdische Vorfahren im Stammbaum seiner Mutter festgestellt wurden. Daraufhin erhielt er zunächst ein Auftrittsverbot, bevor er am 6. Juni 1935 von Goebbels eine Sondergenehmigung bekam und somit seine Karriere fortsetzen konnte. Sein Bühnendebüt feierte Treptow 1936 in Berlin in Der Rosenkavalier. 1939 sang er auf dem Sopot Festival die Hauptrolle in Richard Wagners Tannhäuser. 1940 begeisterte er mit seinem ersten Auftritt in der Bayerischen Staatsoper.

Am 15. November 1944 erhielt der Chef der Sipo und des SD, Ernst Kaltenbrunner, von Hinkel die Meldung, dass – ausgenommen der Fall Günther Treptow – beim »Arbeitseinsatz jüdischer Mischlinge 1. Gra-des bzw. jüdischer Versippter« von der Organisation Todt keine Aus-nahmen gefordert würden.98 Sowohl die Abteilung Kulturpersonalien der Reichskulturkammer als auch die ihm – Hinkel – unterstehende Reichsfilmintendanz und die staatsmittelbaren Filmgesellschaften hät-ten eine entsprechende Weisung erhalten. Im Übrigen bitte er Kalten-brunner um einen »gelegentlichen Vortragstermin« zu den damit zusammenhängenden Fragen.

Carl Flesch

Der 1873 in Ungarn geborene jüdische Geiger und Musikschriftsteller wurde nach Hitlers Machtergreifung am 30. September 1934 von der Musikhochschule entlassen. Am 20. Juni 1935 wurde ihm und seiner Familie die deutsche Staatsangehörigkeit entzogen. Für kurze Zeit gelang es der Familie, sich in London in Sicherheit zu bringen. 1939 konnte Flesch mit seiner Frau dank einiger Konzertverpflichtungen in die Niederlande reisen. Sie blieben in Den Haag, weil sie sich dort von den Nationalsozialisten unbehelligt glaubten. Doch im Mai 1940 besetzten deutsche Truppen die Niederlande, und Flesch wurde

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aufgefordert, das Land zu verlassen und nach London zurückzukehren. Versuche, ein Visum für die USA zu erhalten, scheiterten. Im Januar 1941 fand das letzte öffentliche Konzert von Flesch in den Niederlan-den statt. 1942 verlor er auch die ungarische Staatsangehörigkeit, musste den gelben Stern tragen und durfte weder unterrichten noch Konzerte geben. Im selben Jahr wurden Flesch und seine Frau zweimal verhaftet, doch Wilhelm Furtwängler setzte sich für sie ein, und sie wurden wieder freigelassen. Furtwängler forderte, »die Angelegenheit Flesch« auch hinsichtlich ihrer außenpolitischen Seite zu betrachten:

Flesch ist in der ganzen Welt ohne Einschränkung als der erste Geigen-Pädagoge überhaupt bekannt und anerkannt. Deutschland würde mit ihm eine ganze Anzahl in- und ausländischer Schüler verlieren. Er hat bekannt-lich Angebote von der ganzen Welt erhalten, und es ist lediglich sein rein persönlicher Wunsch, in Deutschland zu bleiben, der ihn veranlasste, diesen Angeboten, die ihm finanziell mindestens das bieten, was er in Deutschland hatte, bisher nicht zu folgen. Selbst wenn das Gesetz keine Handhabe böte, ihn zu halten, so würde ich in diesem schwerwiegenden Falle raten, eine Ausnahme zu statuieren, um die auf kulturellem Gebiet in katastrophalem Ausmaße anwachsende Isolierung Deutschlands nicht noch zu vergrößern. Deutschland als das Land der Musik müsste Mittel und Weg finden, sich die ersten Lehrkräfte in jedem Falle zu erhalten.99

Sein letztes großes Konzert gab Flesch 1943 in Budapest, danach folgte er einer Einladung in die Schweiz, wo er 1944 starb.

Walter Reisch

Der österreichische Drehbuchautor und Filmregisseur Walter Reisch (1903–1983) arbeitete bei der Berliner Super-Film GmbH und ab 1930 für die UFA.100 1933 musste er wegen der nationalsozialistischen Rassenpolitik nach Wien zurückkehren und schrieb dort Drehbücher für so bekannte Filme wie Maskerade. Reisch hatte Paula Wessely mit der Rolle des Mädchens aus dem Volk, Poldi Dur, in diesem Film unter der Regie von Willi Forst zum Durchbruch verholfen. Ein weiterer Film Wesselys mit Reisch war Episode. Der Film war die einzige öster-reichische Produktion unter Mitwirkung von Juden, die nach 1933

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noch zur Aufführung zugelassen wurde. Goebbels vertraute am 11. Mai 1936 seinem Tagebuch an: »Für Paula Wessely ihr Jude Reisch abge-lehnt. Muss sich fügen.«101 Hintergrund für diese Bemerkung war, dass sich Paula Wessely für die Weiterbeschäftigung des jüdischen Dreh-buchautors Walter Reisch eingesetzt hatte.

Otto Freiherr von Dungern

Verdienste im nationalsozialistischen Sinn im Vorfeld der Machtergrei-fung waren für Hitler häufig ausschlaggebend, um von den Rassebestim-mungen abzuweichen, so auch im Fall des Freiherrn von Dungern (1875–1967). Aus dem Stab des Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß ist dazu folgendes Schreiben überliefert:

Der Führer hat am 9. Juli 1934 aufgrund der Verdienste des Pg. Otto Frei-herrn von Dungern um die Bewegung auf dem Gnadenwege bestimmt, dass ihm und seinen Kindern wegen der nicht voll deutschblütigen Abstammung seiner Ehefrau keine nachteiligen Folgen entstehen sollen.

Eine Tochter des Otto Freiherrn von Dungern ist mit Herrn von Wedel auf dem Gut Gramzow verheiratet. Wie mir mitgeteilt wurde, soll das Wedelsche Gut nun wegen der nicht voll deutschblütigen Abstammung der Frau von Wedel nicht als Erbhof anerkannt werden.

Die hierbei entstandene Frage ist – wenn derartige Fälle auch äußerst selten sind – von grundsätzlicher Bedeutung. (…) Ich darf darauf hinweisen, dass es sich hier nicht um eine Gleichstellung der genannten Personen durch den Führer handelt, bei der nur die gesetzlichen Bestimmungen des Staates in Frage stehen, sondern dass die Gleichstellung in vollem Umfange auch in Anbetracht der erheblich weiteren und schärferen Abstammungs-Bestim-mungen und Grundsätze der Partei erfolgt.102

Nach intensiver Prüfung kam das Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft zu dem Ergebnis, dass im konkreten Fall »Herrn von Wedel in der Frage der Anerkennung der Erbhofeigenschaft seines Gutes Schwierigkeiten aus einer nicht vollblütigen Abstammung seiner Ehe-frau geb. von Dungern nicht erwachsen können«.103

In diesen inhaltlichen Zusammenhang gehört der Hinweis, dass sich Hitler intensiv auch mit der »Bauernfähigkeit von jüdischen Mischlin-

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gen, die deutschblütigen Personen gleichgestellt sind«, befasst hat. Lam-mers trug dazu als Chef der Reichskanzlei Hitler vor und informierte am 31. August 1942 darüber den Reichsminister für Ernährung und Land-wirtschaft. Der »Führer« habe die Frage für solche Personen, »die nicht auch für den Bereich der NSDAP gleichgestellt sind, verneint. Für Personen, die auch für den Bereich der NSDAP gleichgestellt sind, hat der Führer die Entscheidung zurückgestellt«.104

Felix Caro

Ausgerechnet Hitlers Adjutant, Hauptmann a.D. Wiedemann, setzte sich für den »volljüdischen« Arzt Felix Caro ein. Ihn hatte im Dezem-ber 1938 Caros Hilferuf erreicht:105 Demnach war Caro Anfang 1937 bei Wiedemann gewesen. Auf Empfehlung von Helene Bechstein – einer engagierten Förderin und Verehrerin Hitlers – sollte ein Gesuch an den »Führer« gerichtet werden. Ebenso war Wiedemann bereit gewe-sen, Professor Ferdinand Sauerbruch um Vermittlung zugunsten Caros zu bitten, doch dieser stellte fest: »Leider hat dieser nichts für mich getan.« Caro gab an, er habe geglaubt, angesichts seiner hohen militäri-schen Auszeichnungen und seiner Zugehörigkeit zur Orgesch,106 zum Freikorps Garde-Kavallerie-Schützen-Division, zum Stahlhelm und zur SA sich in Deutschland eine bescheidene Existenz aufbauen zu können. Er habe aber feststellen müssen, dass er in Deutschland völlig uner-wünscht sei. Für seine Familie – seine Frau sei arisch – sei er von der Stütze zum Ballast geworden.

Wiedemann hatte Sauerbruch geschrieben, dass Caro aus der Unfall-klinik der Nord-östlichen Eisen-und-Stahl-Berufs-Genossenschaft ent-lassen worden sei, da er nicht habe nachweisen können, »dass er rein-arisch« sei.107 Untersuchungen der Reichsstelle für Sippenforschung hätten nun ergeben, dass Caro Volljude sei. Er habe jedoch derart viele Verdienste in Kriegs- und Friedenszeiten, dass er ihm helfen wolle. So habe Caro den Bayerischen Sanitätsorden bekommen, die höchste mili-tärische Auszeichnung überhaupt, und das Eiserne Kreuz als Arzt auf Fort Doaumont. Er wäre Sauerbruch dankbar, wenn er ihm »gegebe-nenfalls sogar Unterstützung zukommen lassen wollte«. Daran aber schien Sauerbruch keineswegs gedacht zu haben. Der weltberühmte

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Chirurg wollte auch im Fall Caro seine Popularität nicht für die Verfolg-ten des NS-Regimes einsetzen.

Max von Oppenheim

Ein Wissenschaftler, der Hoffnungen auf die Nationalsozialisten gesetzt hatte, war Max von Oppenheim. Der 1860 geborene Bankierssohn und Orientalist hatte eigentlich eine Diplomatenkarriere einschlagen wollen, doch wurde diese dem »Halbjuden« bereits unter Bismarck verwehrt. Er verbrachte viele Jahre im Orient und finanzierte privat Forschungs-reisen ebenso wie ein Orient-Forschungsinstitut. Ab 1943 hatte er sei-nen festen Wohnsitz in Dresden. Er überstand unversehrt das NS-Regime. Schon damals kam das Gerücht auf, er sei zum »Ehrenarier« ernannt worden, obwohl sich Belege dafür nicht auffinden ließen. 1946 erlag er den Folgen einer Lungenentzündung.

Wissenschaft – Wirtschaft

Bekannt ist, dass gerade viele Wissenschaftler Deutschland verließen, weil sie entweder aus rassischen Gründen verfolgt wurden oder keine Aufstiegschance mehr für sich in Deutschland sahen. Die Nationalsozi-alisten hatten nämlich auch die Wissenschaften »neu erfinden« wollen – eine deutsche Mathematik, eine deutsche Physik, eine deutsche Che-mie. Viele Wissenschaftler konnten und wollten sich an dieser Torheit nicht beteiligen und zogen die Emigration vor, wie etwa Albert Einstein. Aber auch Thomas Mann oder Mies van der Rohe verließen das natio-nalsozialistische Deutschland. Andere aber blieben.

Otto H. Warburg

Der 1883 geborene Biochemiker, Arzt und Physiologe Otto H. War-burg, Sohn eines Juden, der zum evangelischen Glauben konvertierte, hatte 1931 für »die Entdeckung der Natur und der Funktion des Atmungsferments« den Nobelpreis für Physiologie und Medizin erhal-ten. Einen zweiten Nobelpreis im Jahr 1941 durfte er auf Befehl Hitlers nicht annehmen. Warburg war Gründer des 1930 eingerichteten Kaiser-Wilhelm-Instituts für Zellphysiologie. 1941 wurde er als Instituts di -

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rektor abgesetzt, im Jahr darauf jedoch wieder in das Amt eingesetzt. Weitgehend unbehelligt arbeitete er bis Kriegsende an dieser hoch ange-sehenen Einrichtung.

Gustav Hertz

Der Physiker jüdischer Abstammung Gustav Hertz (1887–1975) über-nahm 1920 für fünf Jahre die Leitung des Physikalischen Labors der Philips Glühlampenfabriken Eindhoven und war dort mit der Physik der Gasentladung beschäftigt. 1925 wurde er mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet. Ab diesem Jahr war er Professor für Physik an der Universität Halle. 1927 er einen Ruf an die Technische Hochschule Berlin-Charlottenburg an, wo er Leiter des neu eingerichteten Physika-lischen Instituts wurde.

1935 wurde ihm wegen seiner jüdischen Herkunft die Prüfungsbe-rechtigung entzogen. Darum entschied er sich für einen Direktorposten des Siemens & Halske-Forschungslabors II in Berlin, wo er sich mit der Technologie zur späteren Entwicklung der Uranbombe befasste. Als Atomforscher kam er nach Kriegsende erst in die Sowjetunion, wo er ein Forschungslabor für deutsche Atomspezialisten leitete, dann in die DDR, wo er in der Kernforschung weiterarbeitete.

Theodor Pöschl

Eine hervorragende wissenschaftliche Expertise konnte Hitler »gnä-dig« stimmen, ebenso die Fürsprache bedeutsamer Militärs – aber bei-des war nicht zwingend. Diese Erfahrung musste der 1882 in Österreich geborene Theodor Pöschl machen, der in Karlsruhe an der TU lehrte. Bis 1916 war er ordentlicher Professor für Technische Mechanik an der Deutschen Technischen Hochschule in Prag gewesen, deren Rektor er 1926 wurde. 1928 wurde er ordentlicher Professor für Mechanik und Angewandte Mathematik an der Technischen Hochschule Karlsruhe. Da er aber mit einer Jüdin verheiratet war, wurde er 1937 entlassen.

Wiederholt stellte er für seine Frau und seine Kinder den Antrag auf eine Befreiung von den Bestimmungen der Nürnberger Rassengesetze. Selbst der Oberbefehlshaber der Kriegsmarine, Großadmiral Erich Raeder, setzte sich für Pöschl ein und stand in engem Kontakt mit dem

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Reichsinnenministerium. Am 1. Juni 1942 erhielt er von dort jedoch einen endgültigen negativen Bescheid.108 Der Antrag habe abgelehnt werden müssen, zumal auch der Leiter der Parteikanzlei, Bormann, sich dagegen ausgesprochen habe.

Karl Haushofer

Der »Fall Haushofer« machte den Nationalsozialisten in erheblichem Maß zu schaffen. Der 1869 geborene Karl Haushofer, der 1896 die Tochter eines jüdischen Tabakfabrikanten aus Mannheim geheiratet hatte, war Professor für Geografie an der Universität München sowie Präsident der Deutschen Akademie, Vorstandsmitglied der Deutsch-englischen Gesellschaft und Leiter des Volksbundes für das Deutschtum im Ausland. 1939 gab er seine Lehrtätigkeit auf. Mit Hitlers Stellvertre-ter Rudolf Heß, der bei ihm studiert hatte, war er freundschaftlich ver-bunden. Doch dem Nationalsozialismus stand er kritisch gegenüber.

Hatten Karl Haushofer und dessen Sohn Albrecht lange Zeit den Schutz von Heß genossen, so änderte sich dies nach seinem Flug nach Schottland am 10. Mai 1941. Heß hatte den Alleingang gewagt, um mit dem britischen Premierminister Friedensverhandlungen zu führen – und war prompt von den Nationalsozialisten für geisteskrank erklärt worden.

Für Martin Bormann war damit der Weg an die Spitze frei. Das Amt des »Stellvertreters des Führers« wurde abgeschafft, dafür die Partei-Kanzlei gegründet. Als deren Chef war Bormann mächtiger als es Heß jemals zuvor gewesen war. Er schlug einen neuen Kurs gegenüber den Haushofers an. Bormann übersandte seinem Adlatus Tießler am 29. Juni 1941 mehrere Unterlagen in Bezug auf Haushofer mit der aus-drücklichen Anweisung, eine »öffentliche Diskreditierung« Hausho-fers zu vermeiden, wurde aber dennoch deutlich: »Bisher wurden die Haushofers durch R. H. [Rudolf Heß] aber sehr stark gefördert. Ich habe nicht die Absicht, das fortzusetzen.«109

Wesentlich für die ablehnende Haltung Bormanns war, dass Karl Haushofer mit der »Volljüdin« – als solche betrachtete sie jedenfalls Bormann – Martha Mayer-Doss verheiratet war. Nach Unterlagen der Reichskulturkammer war sie jedoch »Halbjüdin«110, was eine Mitglied-schaft von Haushofer in der Reichskulturkammer nicht ausschloss. Der

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NSDAP gehörte Haushofer zu keiner Zeit an, was aufgrund seiner Ehe ohnehin einer Sondergenehmigung bedurft hätte. Auf Abstammungs-fragen ging Bormann u. a. in einem Schreiben an den Chef der Sipo und des SD, Reinhard Heydrich, am 29. Juni 1941 ein:

Keinesfalls kann der mit einer Volljüdin verheiratete Prof. Haushofer als Vertreter der Partei in der Deutschen Akademie gelten.111

Albrecht Haushofer sollte am 4. Juli 1941 als Autor in München öffent-lich in Erscheinung treten, wogegen sich Bormann entschieden wandte:

Im Gegensatz zu Herrn Haushofer sen. bin ich der Auffassung, dass dies keinerlei Aufsehen erregen wird, denn es kommt oft genug vor, dass Autoren an der Erstaufführung ihrer Werke [in diesem Fall des Schauspiels »Augus-tus«] irgendwelcher Gründe halber – Krankheit oder dergleichen – nicht teilnehmen können.112

Seinem Mitarbeiter in der NSDAP-Kanzlei, Ministerialrat Klopfer, erteilte Bormann folgende Anweisung:

Anstelle Haushofers hätte ich schon längst wegen der wenn auch ungewoll-ten Beteiligung an dem Unternehmen vom 10.5.1941113 alle öffentlichen Ämter niedergelegt; General Haushofer denkt offenbar nicht daran. Es ist also notwendig, dass wir Ministerpräsident Siebert114 darauf aufmerksam machen, sämtlichen Gauleitern sei bekannt, die beiden Haushofers seien mit als intellektuelle Urheber des Unternehmens vom 10.5. anzusehen, ihr Auf-treten in der Öffentlichkeit sei daher nicht erwünscht.

Am 4. 7.1941 soll in München im Residenztheater die Erstaufführung des Schauspiels »Augustus«, dessen Autor Prof. Albrecht Haushofer ist, stattfinden. (…) Eine Absetzung sei sicher nicht möglich, »eine starke Her-ausstellung aber unerwünscht«.115

Verboten war auch die Besprechung von Haushofers Werken. Haushofer hatte um Aufhebung des Verbots ersucht, doch regte die Abteilung S im Propagandaministerium bei Tießler an, zunächst eine Stellungnahme der Partei-Kanzlei einzuholen.116

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Die Partei-Kanzlei entschied schließlich, dass Haushofer gegenüber anderen Professoren weder benachteiligt noch bevorzugt werden sollte.117 Das Besprechungsverbot wurde aufgehoben, was aber nicht bedeuten sollte, »dass für die Bücher des Generals Haushofer eine über-durchschnittliche Reklame gemacht wird«.

Karl Haushofer geriet mehr und mehr in Vergessenheit und beging im März 1946 Selbstmord. Sein Sohn Albrecht wurde als vermeintlicher Mitwisser des Attentats vom 20. Juli 1944 verhaftet und kurz vor Kriegsende von der SS in Berlin erschossen.

Gunther Burstyn

Gunther Burstyn wurde 1879 im österreichischen Bad Aussee geboren. Sein Vater Adolf war Jude, hatte sich an der Technischen Hochschule Wien noch unter dem Namen Abel Chaim Burstyn eingeschrieben, war später zum katholischen Glauben konvertiert und wurde Kommissar der österreichischen Staatsbahnen.

Gunther Burstyn trat als Kadett in das Eisenbahn- und Telegrafenre-giment ein, wurde Oberleutnant und 1906 dem »Geniestab« in Trient zugeteilt. 1910 heiratete er und trat vom katholischen zum evangeli-schen Glauben über. 1911 konstruierte er den ersten geländegängigen Panzerwagen mit drehbarem Geschützturm und legte den Entwurf dem k. u. k. Kriegsministerium vor. Drei Monate nach der Einreichung erhielt er einen ablehnenden Bescheid. Das Kriegsministerium verwies zunächst auf den Leiter des Automobilwesens, der sich eine Erprobung auf Kosten der Heeresverwaltung nicht vorstellen konnte. Aus Kosten-gründen und aufgrund des Desinteresses wollte man nicht einmal einen Prototypen bauen.118

Daraufhin legte Burstyn seine Entwürfe auch dem deutschen Kriegs-ministerium vor. Doch dort lehnte man die Finanzierung eines Proto-typen ebenfalls ab. Der Durchbruch kam mit dem Zweiten Weltkrieg. Burstyn entwickelte Panzersperren und konnte am 31. März 1941 Hit-ler eine Panzerfähre vorführen. Burstyn wurde mit dem Kriegsverdienst-kreuz mit Schwertern I. und II. Klasse ausgezeichnet, verbunden mit einer Dotation, die Generaloberst Heinz Guderian überreichte.

Gunther Burstyn war ein vielseitiger, kreativer und selbstständiger Offizier, Organisator und Truppenführer, der in beiden Weltkriegen

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hohe Auszeichnungen erhielt. Er verfasste Schriften über Panzer, Pan-zerabwehr, Schwimmpanzer und Panzerfähren, beschäftigte sich aber auch mit historischen Themen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit war er kein überzeugter Nationalsozialist, wenngleich er – wie viele seiner Zeit-genossen – nach dem Zusammenbruch der Donaumonarchie ein Deutsch-Nationaler war. Gunther Burstyn hat seine Abstammung ent-weder anlässlich seiner Promotion verdrängt, oder er musste sie verleug-nen. Dass Hitler ihn zum »Ehrenarier« machte, ändert nichts daran, dass Burstyn ein genialer Erfinder war. Vor den anrückenden Russen beging er am 15. April 1945 Selbstmord.

Arthur Imhausen

»Gnade« ließ Hitler auch im Fall des 1885 geborenen Chemikers, Unternehmers und Erfinders Arthur Imhausen, einem »Halbjuden«, walten. Er hatte zur industriellen Fettherstellung im Rahmen der Ben-zinsynthese zusammen mit den Henkel-Werken 1936 das Unternehmen Deutsche Fettsäure-Werke in Witten gegründet.119 Göring, Beauftragter für den Vierjahresplan, wollte selbst an der Werkseröffnung teilnehmen. Sein Generalbevollmächtigter für deutsche Roh- und Werkstoffe, Arbeitsgebiet Industrielle Fette und Öle, Wilhelm Keppler, hatte ihn in einem Schreiben vom 18. Juni 1937 auf die Wichtigkeit der Einweihung von Imhausens Fettsäure-Werk in Witten aufmerksam gemacht, zumal es sich um den ersten Großbetrieb dieser Art in Deutschland handelte.120 Allerdings hatte Keppler Göring vorher bereits in einem mündlichen Vortrag darüber informiert, dass der Haupterfinder auf dem Gebiet der Fettsäure und des Speisefettes, »Herr Imhausen, teilweise nichtarischer Abstammung« sei. Er galt als »Mischling 1. Grades«, da seine Mutter – Friederike Stern – Jüdin war. Dies habe er, Keppler, an die höchsten Stellen gemeldet, und der »Führer« habe daraufhin erklärt, »wenn der Mann die Sache wirklich erfunden hat, dann machen wir ihn zum Arier«.

Imhausen war es gelungen, künstliches Speisefett aus Kohle herzustel-len, wobei für eine Tonne solcher Butter 6,7 Tonnen Kohle benötigt wurden. Es liegt auf der Hand, dass gerade in Kriegszeiten das NS-Regime größtes Interesse an Imhausens Erfindung hatte. Zudem hoffte es, dass sich das Herstellungsverfahren beziehungsweise die technischen

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Anlagen auch eignen könnten, synthetisches Benzin zu produzieren, und das wäre laut Göring, der »Kanonen statt Butter« propagierte, noch wichtiger gewesen.

Abgesehen von der Wichtigkeit der Erfindungen Imhausens dürfte auch dessen militärische Vergangenheit bei Hitlers »Gnadenakt« eine Rolle gespielt haben. Keppler unterrichtete Göring darüber, dass Imhau-sen Sohn eines Feldwebels war und dass drei seiner Brüder im Ersten Weltkrieg gefallen waren. Keppler bat daher um Prüfung, »ob in diesem besonderen Fall etwas zugunsten des Herrn Imhausen und seines Sohnes geschehen könnte, da die Familie einerseits viel für das Vaterland geop-fert hat und andererseits niemand die großen Verdienste des Herrn Imhausen um die Rohstoffentwicklung bestreiten kann«.121

Schon am 23. Juli 1937 konnte Göring Reichsleiter Philip Bouhler, Chef der »Kanzlei des Führers«, mitteilen, Imhausen sei durch Hitler als Vollarier anerkannt worden:

Herr Imhausen ist Halbjude. Drei seiner Brüder sind im Weltkrieg gefallen. (…) Aufgrund dieses Sachverhalts hat der Führer bei einer Rücksprache, die ich mit ihm hatte, entschieden, dass Herr Imhausen als Vollarier anerkannt werden soll, und ich bitte Sie, hierzu das Erforderliche zu veranlassen.122

Am selben Tag informierte Göring auch Imhausen über die Entschei-dung Hitlers:

In Anbetracht der großen Verdienste, die Sie sich um die Entwicklung der synthetischen Seife und des synthetischen Speisefetts aus Kohle erworben haben, hat der Führer auf meinen Vorschlag ihre Anerkennung als Vollarier gutgeheißen.123

Görings Büro wandte sich am 3. August 1937 erneut an Keppler und informierte darüber, dass »die Kanzlei des Führers« angerufen habe. Imhausen müsse noch »formal ein Gesuch an den Führer um Anerken-nung als Arier einreichen – unabhängig davon, dass die Anerkennung als solche bereits Tatsache sei«.124 Geklärt werden musste jedoch noch, ob sich die »Deutschblütigkeitserklärung« Imhausens nur auf ihn allein oder auch auf dessen Nachkommen beziehen sollte. Keppler antwortete dem Büro Göring, dass sich der »Gnadenakt« durch Entscheid Hitlers

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vom 3. November 1937 auch auf die gesamte Familie und die Nachkom-men bezog. 1939 gelang es dem Forscher, der 1935 schon den renom-mierten internationalen Leonhard-Preis erhalten hatte, gemeinsam mit seinem Sohn Karl-Heinz, emulgiertes Speisefett herzustellen.

Im Afrikafeldzug und auf U-Booten wurde fast ausschließlich Witte-ner Speisefett gegessen. Es wurde nicht ranzig, war nahezu unbegrenzt haltbar und schmeckte fast wie Butter. Nach dem Krieg hatte Imhausen gehofft, die Fettproduktion wieder aufnehmen und ausbauen zu kön-nen, doch ließen die Siegermächte, speziell die Franzosen, dies nicht zu und setzten seine Werke auf die Demontagelisten. Ein Grund hierfür war, dass in den Anlagen auch synthetisches Benzin hätte hergestellt werden können, was jedoch durch Kontrollratsgesetze verboten war.

Melitta Schenk Gräfin von Stauffenberg

Zu den prominenten »Ehrenariern« gehörte auch die Testpilotin Melitta Schenk Gräfin von Stauffenberg. Sie wurde 1903 in Posen als drittes von fünf Kindern des aus einer jüdischen Pelzhändlerfamilie stammenden Baurats und preußischen Beamten Michael Schiller gebo-ren. Zwar konvertierte der Vater zum Protestantismus, was jedoch nichts daran änderte, dass Melitta aus nationalsozialistischer Sicht »Misch-ling« war. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs besuchte sie das Mäd-chengymnasium in Hirschberg und zog dann 1922 nach München, wo sie Mathematik, Physik und Flugmechanik studierte. Von 1928 an arbei-tete sie als Diplomingenieurin an der Deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt (DVL) in Berlin-Adlershof, nahm theoretische und experi-mentelle Untersuchungen an Verstellluftschrauben vor und ließ sich zur Flugzeugführerin ausbilden. 1931 lernte sie den Historiker Alexander Schenk Graf von Stauffenberg kennen, den sie 1937 heiratete. Ihr Mann war ein älterer Bruder des späteren Hitler-Attentäters Claus von Stauf-fenberg.

Bei der Hochzeit hatte das Paar noch verhindern können, dass die jüdische Herkunft der Braut bekannt wurde, aber 1940 kam sie durch die NS-Rassefahnder ans Licht. Melitta Schenk von Stauffenberg stellte den Antrag, »Deutschblütigen« gleichgestellt zu werden – zumal sie wichtige Leute im Luftfahrtministerium kannte, an erster Stelle Reichs-marschall Göring. Da ihre Arbeit als »kriegswichtig« eingestuft wurde,

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wurde ihrem Antrag schließlich stattgegeben, sodass ihr und ihrer Fami-lie die Deportation ins Konzentrationslager erspart blieb. Zu den Für-sprechern gehörten neben Göring vor allem Ernst Udet, der im Reichs-luftfahrtministerium für die technische Ausrüstung der Luftwaffe verantwortlich war. Am 22. Januar 1943 erhielt sie für ihre gefährliche Arbeit das Eiserne Kreuz II. Klasse und das Militärfliegerabzeichen in Gold mit Brillanten und Rubinen. Einen Monat später wurde sie mit dem Flugzeugführer- und Beobachterabzeichen in Gold mit Brillanten ausgezeichnet. Ab Mai 1944 wurde sie zur technischen Leiterin der Ver-suchsstelle für Flugsondergeräte ernannt.

Nach dem missglückten Putschversuch vom 20. Juli 1944 wurden sie und ihr Mann Alexander in Sippenhaft genommen. Melitta wurde nach wenigen Wochen wegen der Wichtigkeit ihrer Arbeit aus der Haft ent-lassen und nahm bald ihre Forschungstätigkeit wieder auf. Ihr Mann und weitere elf Familienmitglieder kamen ins Konzentrationslager.

Wilhelm Furtwänglers Einsatz für rassisch Verfolgte

Wilhelm Furtwängler war ein begnadeter Dirigent, der weit über seine Zeit hinaus musikalische Maßstäbe setzte. Stationen des 1866 in Berlin geborenen Künstlers waren u. a. Breslau, Zürich, München, Straßburg, Lübeck, Mannheim, Wien und immer wieder Berlin. 1933 wurde er zum Leiter der Berliner Staatsoper ernannt, gleichzeitig gastierte er am Deutschen Opernhaus Berlin-Charlottenburg. Die Hoffnung der Nationalsozialisten, Furtwängler für ihre Zwecke propagandistisch einzusetzen, erfüllte sich jedoch nicht, eher das Gegenteil war der Fall. Ohne Furtwänglers Einsatz hätten viele Künstler im nationalsozialisti-schen Deutschland nicht mehr auftreten oder aufgeführt werden dür-fen – auch ohne eine formelle Ausnahmegenehmigung.

Ein Beispiel für Furtwänglers Einsatz für rassisch Verfolgte bietet Bernhard Sekles, Direktor des Hoch’schen Konservatoriums in Frank-furt am Main. Als er in Bedrängnis geriet, schrieb Furtwängler folgen-den Vermerk:

Prof. Dr. Prof. Sekles, der schon seit etwa 40 Jahren am Hoch’schen Konser-vatorium in Frankfurt/M. tätig ist, ist einer der wenigen Juden, dessen Tätig-keit, seit ich ihn kenne (seit über 15 Jahren) ausgesprochen aufbauend war,

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und der stets eine echte innere Wahlverwandtschaft mit der deutschen Musik bekundet hat.

Ich halte die generöse Erledigung dieses Falles für eine Pflicht der Gerech-tigkeit. – Zuständig für die Erledigung ist in Frankfurt/M. als maßgebendes Mitglied des Kuratoriums der dortige kommissarische Oberbürgermeister Dr. Krebs, und zwar deshalb, weil das Institut vom Staat subventioniert wird.125

Bernhard Sekles (eigentlich Seckeles), 1872 geboren, studierte Instru-mentation, Komposition und Klavier, wurde nach Abschluss des Studi-ums Kapellmeister in Heidelberg und Mainz, 1923 Direktor des Hoch’schen Konservatoriums, gründete 1928 zudem die erste Jazzklasse überhaupt und wurde wegen seiner jüdischen Abstammung im April 1933 seines Amtes enthoben. Seine Musik wurde verboten. Er starb 1934 an Lungentuberkulose.

Der Einsatz Furtwänglers hatte in diesem Fall nichts bewirken kön-nen, durch seine Fürsprache erreichte er dagegen für eine Reihe von Juden einen lebensrettenden Sonderstatus. Dies lag vor allem daran, dass Hitler ihn as Generalmusikdirektor schätzte.

Dass Furtwängler mit seinem Engagement führende NS-Repräsen-tanten, mit denen er zu tun hatte, eher belästigte, liegt auf der Hand. Goebbels schrieb beispielsweise am 7. Juli 1933: »Furtwängler wie immer Philharmonisches Orchester und Judenfrage«,126 und am 1. November 1935 hieß es: »Lange Unterredung mit Furtwängler. Er hat wie immer einen Sack voll Sorgen und Beschwerden. Aber sonderba-rerweise fast immer für andere und fast nie für sich.«127

Furtwängler warnte wiederholt und unerschrocken vor den Folgen nationalsozialistischer Rassenpolitik im Ausland und vor der zuneh-menden Isolierung Deutschlands. In einem Schreiben an Wissenschafts-minister Bernhard Rust forderte er am 4. Juni 1933, »dass in Deutsch-land in Zukunft jeder Künstler, gleichviel welcher Nation und Rasse, zu Gehör kommen kann«.128 Schon jetzt zeige sich ein Boykott deutscher Künstler im Ausland. Das werde so bleiben, denn er habe den Eindruck, »dass zur Zeit die ganze internationale Künstlerschaft, ob rassemäßig jüdisch oder nicht, so denkt«.

Zu einzelnen Personen meinte er:

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Arnold Schönberg gilt bei der jüdischen Internationale als der schlechthin bedeutendste Musiker der Gegenwart. Es ist dringendst zu empfehlen, ihn nicht zu einem Märtyrer zu machen, und, wenn er nun schon einmal beurlaubt ist – auch das hätte ich nicht für richtig gehalten –, jedenfalls die Abfindungs-frage generös zu behandeln.

Robert Henried gehört zu jenen, seit Langem im deutschen Musikleben tätigen wenigen Juden, deren Wirken als im Sinne der großen deutschen Musik aufbauend, als traditionsbewusst gewertet werden muss und deren Erhaltung wünschenswert ist. Karl Straube ist ein Mann von führender Bedeutung innerhalb Deutschlands, dazu von internationalem Ruf.129

In einem Brief an Staatsrat Hans Hinkel fragte Bernhard Rust lapidar:

Können Sie mir einen Juden nennen, für den Furtwängler nicht eintritt? Aber im Ernst, auch wenn ich es wollte, könnte ich für diesen Dr. Raymond Klinbansky nichts unternehmen, weil er ja Privatdozent an der Heidelberger Universität ist und somit mir nicht untersteht.130

Zur Erläuterung: Raymond Klibansky wurde 1905 in Paris als Sohn eines deutschen, jüdisch-orthodoxen Weinhändlers geboren. Die Fami-lie siedelte nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs nach Frankfurt am Main über. Zusammen mit den Kindern von Thomas Mann und Max Weber ging Klibansky in Frankfurt zur Schule und studierte später Phi-losophie und Philologie. 1929 folgte die Promotion, 1931 die Habilita-tion an der Universität Heidelberg, anschließend eine Privatdozentur. Im April 1933 wurde er aus dem Universitätsdienst entlassen und emigrierte drei Monate später, im Juli 1933, nach London.

Immer wieder erregte Furtwängler die Aufmerksamkeit der national-sozialistischen Dienststellen, wie auch eine Meldung vom August 1933 zeigt:

Es ist allgemeiner Gesprächsstoff in der Künstlerschaft, dass Furtwängler heute noch die Tendenz hat, jüdische Künstler zu bevorzugen, was beson-ders augenblicklich wieder in Erscheinung tritt.1. Durch die Einladung an den galizischen, jüdischen Geiger Hubermann, der

als fanatischer Zionist bekannt ist und ein Jahr lang alle Konzerte abgesagt hat, um sich restlos der Propaganda für ein Pan-Europa widmen zu können.

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2. Durch die Einladung an den jüdischen Pianisten Arthur Schnabel.Es gilt als offenes Geheimnis, dass die treibende Kraft dieser Bevorzugungen jüdischer Künstler die jüdische Sekretärin Furtwänglers ist, die in Gemein-schaft mit ihrer Mutter bei dem starken vorhandenen persönlichen Kontakt die Dispositionen Furtwänglers ausschließlich beeinflussen soll.131

Staatsrat Hans Hinkel, der für die rassische »Sauberkeit« in der Kultur-szene sorgen sollte, wurde im August 1935 von der Abteilung VI des Propagandaministeriums darüber informiert, dass Furtwängler in Wien Wagners Tannhäuser dirigieren werde und für die Inszenierung den »Volljuden Dr. Herbert Graf« verpflichtet habe. Dessen Vater sei auch noch als Kunstkritiker »bei der bolschewistisch-jüdischen Wiener Montagszeitung ›Der Morgen‹ und der Tageszeitung ›Der Tag‹ tätig«. Furtwängler habe keinen Einspruch erhoben, und weiter hieß es:

Die z. Zt. hier umlaufenden Gerüchte drücken das Befremden darüber aus, dass ein Preußischer Staatsrat an einem österreichischen Kunstinstitut mit einem Volljuden zusammenarbeitet.«132

Auch das Amt für Kunstpflege mischte sich ein und denunzierte Furt-wängler gegenüber der Gestapo am 18. Dezember 1935:

Die Äußerungen Furtwänglers und auch seine Verpflichtung des Juden Her-bert Graf beweisen, dass er nicht nur nichts gelernt hat aus den seinerzeiti-gen Zwischenfällen, sondern, dass er anscheinend nur auf den Augenblick wartet, in dem er öffentlich für eine andersgerichtete kulturpolitische Linie antreten kann. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass der neue verpflichtete 1. Konzertmeister des Philharmonischen Orchesters, Hugo Kolberg, (früher Opernhaus Frankfurt a./M.) mit einer Volljüdin verheira-tet ist.133

Argwöhnisch beobachteten die verschiedenen NS-Stellen Furtwängler und sein Umfeld. Ins Visier der Rassenfanatiker war auch seine Privatse-kretärin Berta Geißmar geraten. Dazu schrieb Ministerialrat Alfred-Ingemar Berndt am 25. Mai 1936 nachstehenden Brief. Empfänger war »Reichskulturwalter Horaller«. Berndt sah die Gefahr, dass die lang-jährige Privatsekretärin Furtwänglers, die »Jüdin Fräulein Dr. Berta

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Geißmer (…) in nächster Zeit in Berliner Kunstkreisen wieder Fuß zu fassen sucht, um dann die Auslandsdispositionen des Philharmonischen Orchesters und anderer Stellen ihren zukünftigen ausländischen Brotge-bern aus Konkurrenzgründen zu verraten«.134 Über die Reichsmusik-kammer sollten alle Intendanten und ihre Orchesterleiter samt Personal vor Berta Geißmar gewarnt werden; der Verkehr mit ihr untersagt wer-den. Ergänzt wurde das Schreiben durch den Hinweis, Himmler müsse informiert werden.

Unter persönlicher Gefahr setzte sich Furtwängler für jüdische Künstler ein. In Salzburg sollte er Wagners Meistersinger dirigieren, machte seine Zusage aber davon abhängig, dass der Jude Walter Groß-mann die zweite Besetzung des Hans Sachs bleiben sollte.135 Am Abend der Aufführung war Karl Kammann, die erste Besetzung, erkrankt, und vor Goebbels und seinen Lakaien sang der Jude Großmann.

15 Wilhelm Furtwängler (1886–1954), einer der bedeutendsten Dirigenten des 20. Jahrhunderts.

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Auch über den österreichischen Komponisten, Musiktheoretiker und Kompositionslehrer Arnold Schönberg hielt Furtwängler seine schüt-zende Hand. Schönberg stammte aus einer Wiener jüdischen Familie. 1925 hatte er an der Preußischen Akademie der Künste einen Meister-kurs für Komposition übernommen, doch »beurlaubten« ihn die Nati-onalsozialisten im September 1933. Über Schönberg vermerkte Furt-wängler:

Arnold Schönberg gilt bei der Linkspresse der ganzen Welt (ausnahmslos) als der führende Komponist der Gegenwart. Sein internationaler Ruf ist außerordentlich groß. Ich halte eine großzügige und anständige Regelung seiner Angelegenheit für ein Gebot außenpolitischer Klugheit. Es muss ver-mieden werden, ihn mehr zum Märtyrer zu machen, als unbedingt nötig ist, abgesehen davon, dass er persönlich politisch völlig indifferent ist und gefühlsmäßig mit Deutschland und der deutschen Musik sich immer auf seine Art innerlich verbunden fühlt. Er hat seine Beurlaubung in Paris erfah-ren, wo er auf einer Ferienreise war. Seitdem hat er kein Geld mehr erhalten und sitzt dort in einem Hotel in größter finanzieller Zwangslage.136

Wie kaum ein anderer prominenter Künstler des »Dritten Reichs« hat sich Wilhelm Furtwängler für rassisch Verfolgte eingesetzt und man-chen von ihnen das Leben gerettet – obwohl er Hitler ewige Gefolg-schaft geschworen hatte und sich zum Vizepräsidenten der Reichsmu-sikkammer hatte ernennen lassen, »um die Kunst von allem Niederen freihalten zu können«.137

Die Gurlitts

Im Herbst 2013 rückte der Galerist Hildebrand Gurlitt (1895–1956) ins Blickfeld der Öffentlichkeit. In der Wohnung seines Sohnes Corne-lius waren in München rund 1400 Gemälde von unschätzbarem Wert gefunden worden. Bei ihnen handelte es sich weitgehend um Exponate der von den Nationalsozialisten sogenannten und verfemten »entarte-ten Kunst«. Zahlreiche Gemälde, Aquarelle und Grafiken dieses Fundes galten bis dahin als verschollen.

In diesem Zusammenhang wurde thematisiert, dass es sich bei Hilde-brand Gurlitt um einen »Mischling 2. Grades« gehandelt hatte, den die

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Nationalsozialisten unbehelligt gelassen hatten, weil er für sie von unschätzbarem Wert war: Er kaufte beschlagnahmte Exponate der »entarteten Kunst« auf, verkaufte sie ins Ausland und sorgte somit für Deviseneinnahmen des Deutschen Reichs. Dabei arbeitete er eng mit der »Kommission zur Verwertung der Produkte entarteter Kunst« zusammen, die Propagandaminister Joseph Goebbels unterstand.

Übersehen wurde in der Diskussion um den Sensationsfund, dass Hildebrand Gurlitt nicht der Einzige der Familie war, der enge Bezie-hungen zu den Nationalsozialisten unterhalten hatte.138 Gegründet wor-den war die Kunsthändler-Dynastie von dem in Wien geborenen Fritz Gurlitt (1854–1893). Er war Sohn des Landschaftsmalers Louis Gurlitt und dessen dritter Ehefrau, der Jüdin Elisabeth Lewald, einer Schwester der jüdischen Schriftstellerin Fanny Lewald. 1881 heiratete Fritz Gurlitt Annarella Imhoff (1858–1935), Tochter des Schweizer Bildhauers Heinrich Maximilian Imhof. Aus dieser Ehe stammt der Sohn Wolfgang Gurlitt (1888–1965) sowie möglicherweise auch Manfred Gurlitt (1890–1972). Kurz vor ihrem Tod soll Annarella ihrem Sohn Manfred offenbart haben, dass sein leiblicher Vater nicht Fritz Gurlitt, sondern Willi Waldecker sei, den sie gleich nach dem Tod ihres Mannes geheira-tet hatte und der als Manfreds Stiefvater galt. Wolfgang und Manfred waren demnach Halbbrüder.

Waldecker war Geschäftsführer bei Fritz Gurlitt gewesen, und diesen Umstand führte Manfred 1933 bei seinem Antrag, in die NSDAP auf-genommen zu werden, an. Anders als die beiden Galeristen geriet Wolf-gang Gurlitts Halbbruder Manfred wegen seiner Abstammung in erheb-liche Schwierigkeiten. Bis 1933 war er Dirigent an der Berliner Staatsoper und ständiger Dirigent am Berliner Sender. Beide Ämter ver-lor er mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten. Am 3. Mai 1937 wurde er aus der Partei ausgeschlossen, weil das zuständige Berli-ner Parteigericht seinen Beteuerungen nicht glaubte und ihn stattdessen als »Mischling 2. Grades« einstufte. 1939 ging Manfred Gurlitt ins Exil nach Japan.

Zur Verwirrung trug bei, dass es im Berlin der Dreißiger- und Vierzi-gerjahre des vergangenen Jahrhunderts die Kunsthandlung Fritz Gurlitt GmbH gab. Sie gehörte offiziell der eng mit Wolfgang Gurlitt verbunde-nen ungarischen Jüdin Lilly Agoston. Mit Sondergenehmigung durfte sie dieses Geschäft bis 1938 führen. 1939 jedoch siedelte Agoston nach

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Ungarn über, heiratete dort einen Dänen, nahm die dänische Staatsbür-gerschaft an und kehrte im Juni 1940 als Lilly Christiansen zu Gurlitt nach Berlin zurück.

Ein weiteres Familienmitglied war Willibald Gurlitt, Wolfgangs Onkel. Er war Ordinarius an der Universität Freiburg im Breisgau und musste den Lehrstuhl 1937 aufgeben. Der Sohn des Architekten und Kunsthistorikers Cornelius Gurlitt (1850–1938, drittes Kind von Louis und Elisabeth Gurlitt) war der Kunsthändler Hildebrand Gurlitt, dessen Name 2013 an Aktualität gewann. Er war ein Verfechter moderner Kunst, wurde aber bereits 1930 auf Druck des u. a. von Alfred Rosenberg und Heinrich Himmler gegründeten »Kampfbundes für deutsche Kul-tur« als Museumsdirektor in Zwickau entlassen. Zugleich verlor er seine Stelle als Geschäftsführer des Hamburger Kunstvereins. Dennoch wurde er später – neben seinem Cousin Wolfgang – im Auftrag der Nationalsozialisten Einkäufer für das geplante Linzer »Führermu-seum« und Verwerter der »entarteten Kunst«, die von den Nationalso-zialisten auch »Verfallskunst« genannt wurde.

Wenngleich in München Kunstwerke gefunden wurden, die Hilde-brand Gurlitt zusammengetragen hatte, hatte Wolfgang Gurlitt offenbar die engeren Beziehungen zu den Nationalsozialisten. Grundlage für den Handel der Gurlitts und anderer Galeristen war das »Gesetz über Ein-ziehung von Erzeugnissen entarteter Kunst« vom 31. Mai 1938. Es legte fest, dass derartige Kunstwerke, »die vor Inkrafttreten dieses Gesetzes in Museen oder der Öffentlichkeit zugänglichen Sammlungen sicherge-stellt und von einer vom Führer und Reichskanzler bestimmten Stelle als Erzeugnisse entarteter Kunst festgestellt sind, (…) ohne Entschädigung zugunsten des Reiches eingezogen werden« konnten.139 Dies bedeutet, dass ein Teil der jetzt in München aufgefundenen Kunstwerke auch aus Museen stammen kann und nicht zwangsläufig Privatpersonen geraubt worden sein muss.

Vorsitzender einer Kommission, die damals die Museen nach »entar-teter Kunst« durchkämmen musste, war der Präsident der Reichskam-mer der bildenden Künste, Professor Adolf Ziegler, München. Der Kommission gehörte auch Hitlers Hoffotograf Heinrich Hoffmann an. Penibel wurde festgehalten, welche Kunstwerke eingezogen, im Berliner Schloss Niederschönhausen gelagert und dann verkauft wurden.

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Zuständig für die »Verwertung der entarteten Kunst« war das Pro-pagandaministerium. Interessanterweise aber taucht der Name Gurlitt an keiner Stelle der umfangreichen Tagebücher Goebbels’ auf.

Stattdessen gibt es einen umfangreichen Dokumentenbestand zu die-ser Thematik im Landesarchiv Berlin, im Bundesarchiv, Berlin-Lichter-felde sowie zum »Sonderauftrag Linz« im Bundesarchiv Koblenz. So hatte der Leiter der Abteilung Bildende Kunst im Propagandaministe-rium, Ministerialrat Franz Hofmann, Goebbels am 28. November 1938 diesen zynischen Vermerk zukommen lassen:

Das Depot in der Köpenickerstraße muss baldigst geräumt werden, da es als Getreidespeicher dringend benötigt wird. Ich schlage deshalb vor, diesen Rest in einer symbolischen Handlung auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen, und erbiete mich, eine entsprechend gepfefferte Leichenrede dazu zu halten.140

Ähnlich diskutierte die Kommission am 20. Februar 1939 in Schloss Niederschönhausen. Im Protokoll heißt es dazu, angesichts der Raum-knappheit sollten sofort Gemälde vernichtet werden. Dagegen protes-tierten mehrere Kommissionsmitglieder:

Herr Haberstock stellte den Antrag, ihn und Herrn Scholz vor dem Vernich-tungsakt von der Verantwortung für diese Maßnahme zu entbinden. Es wur-de beschlossen, dass die genannten Kommissionsmitglieder am 27. Februar 1939 die Depotbestände noch einmal besichtigen, um sich von deren völli-ger Wertlosigkeit persönlich zu überzeugen.141

Bis zum 1. Dezember 1940 waren verkauft: 218 Gemälde, 2755 Grafi-ken, 56 Plastiken. Nachverkauf: 10 Gemälde, 2 Aquarelle, Grafiken. An Kommissionsgegenständen befanden sich bei den Kunsthändlern über 700 Werke. Unter »restliche Bestände der Verfallskunst im Schloss Schönhausen« wurden aufgeführt: »95 Gemälde, 5 Plastiken, 1360 Grafiken, 59 Mappenwerke, die keine Nachfrage gefunden hatten«.142

Die Erlöse betrugen zu diesem Zeitpunkt: 10 294 Pfund Sterling, 43 395 US-Dollar, 75 070 Schweizer Franken und 2350 norwegischen Kronen. Darüber hinaus waren durch Tauschgeschäfte 131 630 RM ein-genommen worden.

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Mitte 1942 war die »Verwertungsaktion« abgeschlossen.143 Die Abteilung Bildende Kunst des Propagandaministeriums bestätigte in einem internen Vermerk ausdrücklich, dass es Ziel gewesen war, »die Objekte gegen Devisen an das Ausland zu veräußern«.144

Der Name Gurlitt taucht im Schriftverkehr und in den Protokollen der Abteilung Bildende Kunst häufig auf. Auch der Chef der Sipo und des SD, Reinhard Heydrich, war wegen der partiell jüdischen Abstam-mung der Gurlitts darauf aufmerksam geworden. Ihm teilte Ministerial-direktor Leopold Gutterer, ein enger Vertrauter von Goebbels, am 6. Mai 1941 mit, dass insgesamt sechs Galerien wegen ihrer guten Aus-landsbeziehungen für den Kunsthandel mit entarteter Kunst in Betracht gekommen waren, darunter das Kunstkabinett Dr. H. Gurlitt, Ham-burg, sowie die Galerie Wolfgang Gurlitt, Berlin.145

So hatte Ende 1939 Hildebrand Gurlitt in Hamburg die leihweise Überlassung von Gemälden Kokoschkas erbeten, um sie einem italie-nischen Interessenten zu zeigen. Am 11. Januar 1940 bekam er eine Absage.146 Es wurde auf eine lebhafte Nachfrage nach Werken Kokosch-kas verwiesen. Er erhielt jedoch Fotos von Gemälden, nämlich »Mara-bou«, »Mädchen«, »Bildnis Nameß« und »Alter Herr«.

Am 4. Dezember 1940 bot Gurlitt dem Propagandaministerium ein Tauschgeschäft an: eine Landschaft von Johann Faber, einem Hambur-ger Romantiker, gegen eine Reihe von Werken »entarteter Kunst«, dar-unter von Otto Dix »Theodor Däubler« zu 200 RM, von Emil Nolde »Kuhmelken« zu 325 RM, »Mann und Weib« zu 400 RM, von Karl Schmidt-Rottluff vier Bilder zu 250 RM und von Max Beckmann »Maskenball« zu 280 RM sowie »Selbstporträt« zu 169 RM.

Ende 1941 erwarb das Kunstkabinett Dr. H. Gurlitt, Hamburg, zwei Aquarelle von Franz Marc für 2500 Schweizer Franken. Vom 21. März 1941 datiert ein Kaufvertrag mit Gurlitt, Hamburg. Demnach wurden »aus dem Eigentum des Reiches 3 Aquaralle von Franz Marc, 1 Studie von Paul Klee und ein Restposten von Hofer, Beckmann, Corinth, Dix, Groß, Campendonk, Kogon, Schlichter und einige einzelne Blätter« zum Gesamtpreis von 3800 Schweizer Franken an Gurlitt verkauft.147

Auch mit der Galerie Gurlitt in Berlin, Kurfürstenstraße 27, gab es einen intensiven Handel Im Juli 1940 mahnte die Galerie, dass ein »Auftrag über 500 $ für Lilly Christiansen von der Schweizerischen Bankgesellschaft Zürich nicht eingelöst werden konnte«.148

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Eine weitere Mahnung der Galerie Gurlitt in Berlin betraf am 6. Feb-ruar 1941 Außenstände für zwei Bilder von Lovis Corinth, die Lilly Christiansen – die »Volljüdin« – vom Propagandaministerium gekauft hatte, nämlich »›Kleines Stillleben‹ zu 200 $ und ›Kleiner Walchen-see‹ zu 300 $«.149

»Entartete Kunst« konnte zu Spottpreisen gekauft werden, während alte Meister hoch im Kurs standen, wie Jan Wynants (1620–1682). Die Kölner Galerie Abels berechnete beispielsweise Magda Goebbels für das Bild »Landschaft mit einem mit drei Enten belebten, ruhigen Gewäs-ser« des holländischen Malers, mit Figuren von Johannes Lingelbach (1662–1674), signiert und datiert 1668, 46 200 RM.150

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