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Wer Klavier spielt, hat Glück bei den Frauen Autor(en): [s.n.] Objekttyp: Article Zeitschrift: Frau ohne Herz : feministische Lesbenzeitschrift Band (Jahr): - (1987) Heft 23 Persistenter Link: http://doi.org/10.5169/seals-630819 PDF erstellt am: 11.03.2019 Nutzungsbedingungen Die ETH-Bibliothek ist Anbieterin der digitalisierten Zeitschriften. Sie besitzt keine Urheberrechte an den Inhalten der Zeitschriften. Die Rechte liegen in der Regel bei den Herausgebern. Die auf der Plattform e-periodica veröffentlichten Dokumente stehen für nicht-kommerzielle Zwecke in Lehre und Forschung sowie für die private Nutzung frei zur Verfügung. Einzelne Dateien oder Ausdrucke aus diesem Angebot können zusammen mit diesen Nutzungsbedingungen und den korrekten Herkunftsbezeichnungen weitergegeben werden. Das Veröffentlichen von Bildern in Print- und Online-Publikationen ist nur mit vorheriger Genehmigung der Rechteinhaber erlaubt. Die systematische Speicherung von Teilen des elektronischen Angebots auf anderen Servern bedarf ebenfalls des schriftlichen Einverständnisses der Rechteinhaber. Haftungsausschluss Alle Angaben erfolgen ohne Gewähr für Vollständigkeit oder Richtigkeit. Es wird keine Haftung übernommen für Schäden durch die Verwendung von Informationen aus diesem Online-Angebot oder durch das Fehlen von Informationen. Dies gilt auch für Inhalte Dritter, die über dieses Angebot zugänglich sind. Ein Dienst der ETH-Bibliothek ETH Zürich, Rämistrasse 101, 8092 Zürich, Schweiz, www.library.ethz.ch http://www.e-periodica.ch

Wer Klavier spielt, hat Glück bei den Frauen · Klavier, schräge Harmonien, harte Akkorde. (Meine Freundin Doris, in die ich damals ein bisschen verliebt war, hatte einen eher schläfrigen

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Page 1: Wer Klavier spielt, hat Glück bei den Frauen · Klavier, schräge Harmonien, harte Akkorde. (Meine Freundin Doris, in die ich damals ein bisschen verliebt war, hatte einen eher schläfrigen

Wer Klavier spielt, hat Glück bei den Frauen

Autor(en): [s.n.]

Objekttyp: Article

Zeitschrift: Frau ohne Herz : feministische Lesbenzeitschrift

Band (Jahr): - (1987)

Heft 23

Persistenter Link: http://doi.org/10.5169/seals-630819

PDF erstellt am: 11.03.2019

NutzungsbedingungenDie ETH-Bibliothek ist Anbieterin der digitalisierten Zeitschriften. Sie besitzt keine Urheberrechte anden Inhalten der Zeitschriften. Die Rechte liegen in der Regel bei den Herausgebern.Die auf der Plattform e-periodica veröffentlichten Dokumente stehen für nicht-kommerzielle Zwecke inLehre und Forschung sowie für die private Nutzung frei zur Verfügung. Einzelne Dateien oderAusdrucke aus diesem Angebot können zusammen mit diesen Nutzungsbedingungen und denkorrekten Herkunftsbezeichnungen weitergegeben werden.Das Veröffentlichen von Bildern in Print- und Online-Publikationen ist nur mit vorheriger Genehmigungder Rechteinhaber erlaubt. Die systematische Speicherung von Teilen des elektronischen Angebotsauf anderen Servern bedarf ebenfalls des schriftlichen Einverständnisses der Rechteinhaber.

HaftungsausschlussAlle Angaben erfolgen ohne Gewähr für Vollständigkeit oder Richtigkeit. Es wird keine Haftungübernommen für Schäden durch die Verwendung von Informationen aus diesem Online-Angebot oderdurch das Fehlen von Informationen. Dies gilt auch für Inhalte Dritter, die über dieses Angebotzugänglich sind.

Ein Dienst der ETH-BibliothekETH Zürich, Rämistrasse 101, 8092 Zürich, Schweiz, www.library.ethz.ch

http://www.e-periodica.ch

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Heute ist der 6. Oktober 1986, nachtskurz nach elf. Um acht habe ich mich mitIngrid und Lisa in der Bratkartoffelstubegetroffen. Wir sprachen auch liber Eva MariaAlves' Buchprojekt "Verständigungstexteliber lesbisches Leben" - Ingrid hat ihrenBeitrag längst abgeliefert, während icherst jetzt an diese Aufgabe gehen kann.Heute in einer Woche ist Abgabetermin, end-gültig.

Der Text soll "lebensnah" sein und mög-liehst nicht "literarisch aufbereitet". Es

wird mir nicht schwerfallen, die zweite Be-dingung zu erfüllen - ich weiss sowiesonicht, wie frau "literarisch" schreibt."Lebensnah" ist meine Geschichte auch -schliesslich habe ich sie selbst erlebt.Allerdings hat sie auf mich immer einenmerkwürdig "literarischen" Eindruck gemacht.Als ob sich jemand das alles ausgedachthätte, um mich (oder eben jetzt die Leser-in) in peinvollem Grübeln zurückzulassen.

Im Sommer 1976, vor zehn Jahren - ichwar damals 32 Jahre alt - begann ich, dieGeschichte von Sonja und mir aufzuschrei-ben. Etwa dreieinhalb Jahre später, im No-vember 79, war ich mit dem Schreiben fer-tig; im Mai 1981 erschien Sonja als Taschen-buch.

In dem Buch erwähne ich auch ein paar-mal meine Klavierlehrerin Frau Walther. Ichhatte sie im Herbst 1975 kennengelernt.Eine überzeugte Berlinerin, die es in diesesüddeutsche Kleinstadt verschlagen hatteund die ihrem vor Jahrzehnten verstorbenenMann deshalb noch immer ein bisschen gramwar. In Berlin hatte sie bei Claudio Arraustudiert; sie hatte Pianistin werden wol-Ten - aber dann kam die Ehe, kamen dieKinder, und so war aus diesen Plänen nichtsgeworden. Jetzt unterrichtete sie, mehroder weniger genervt, täglich sechs bisneun Stunden lang ihrerseits genervte Kin-

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der aus gutbürgerlichen Familien. Sie hat-te aber auch andere Schüler-innen. Als ichmich bei ihr vorstellte, gab sie geradeeiner Achtzigjährigen Unterricht. Sieselbst war siebzig und trug öfter eine ver-wegene Perücke. Die beiden spielten vier-händig eine Bearbeitung des Klavierkon-zerts von Grieg - machtvolle Klänge brau-sten durch das schäbige hellhörige Miets-hausl Das gefiel mir sehr, und ich hattegleich viel weniger Bedenken, als Ueber-Dreissigjährige nach zwanzig Jahren Pausewieder Klavierstunden zu nehmen. FrauWalther fand übrigens auch nichts dabei.Es sei einfach ein Mythos, dass man mit dem

Klavierspielen bereits in der Wiege begin-nen müsse, um es zu etwas zu bringen - al-les dummes Geredel Ich hatte damals nur den

grossen Wunsch, fast war es ein Plan, durchemsiges Ueben mit vierzig Jahren so weitzu sein, dass ich einigermassen anständigspielen könnte, auch schwierige Sachen, zum

Beispiel Schuberts B-Dur- oder Schumannsg-mol1-Sonate. Inzwischen bin ich schonweit über vierzig und habe nichts davongeschafft, aber das ist nicht Frau WalthersSchuld, meine eigentlich auch nicht. Ichwurde nur beruflich immer erfolgreicherund bekam immer mehr zu tun im Laufe derJahre. Ein wichtiges Motiv für meinen pia-nistischen Ehrgeiz wurde damit hinfällig:Das Klavierspielen hatte auch ein Ausgleichdafür sein sollen, dass niemand an meinerArbeit Freude hatte, nicht einmal ich sei-ber. Die Arbeit am Klavier, so hatte ichmir gedacht, macht dir Spass und irgend-wann, wenn du nur fleissig genug übst,vielleicht auch anderen. "Wer Klavierspielt, hat Glück bei den Frauen". Wer hin-gegen Mediävistik betreibt, wie ich damals,braucht sich nicht zu wundern, wenn dasGlück bei den Frauen sich in Grenzen hält.

Frau Walther und ich mochten uns sehr.

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Meine Begriffsstutzigkeit machte sie zwaroft sehr nervös, aber sie behauptete trotz-dem, sich in meinen Stunden regelrecht zuerholen - ich sei ihre begabteste Schiile-rin. Geglaubt habe ich ihr kein Wort da-von - sie neigte sowieso zu charmantenUebertreibungen. Zuerst kam ich jeden Mon-tagmorgen um 10 mit dem Fahrrad bei ihrvorgefahren, bald dann schon um 9, denn siehatte beschlossen, bei mir Italienisch -Un-terricht zu nehmen. Von 9 bis 10 trieb michdann jeweils ihre Begriffsstutzigkeit zurVerzweiflung, und von 10 bis 11 war es um-gekehrt. Aus dieser Erfahrung habe ich fürdie Plage des Lehrens oder des Belehrtwer-dens viel gelernt: Das widerwärtige Gefällezwischen Lehrerin und Schülerin lässt sichmühelos und nachhaltig einebnen, wenn dieRollen regelmässig vertauscht werden.

Ich machte nette Fortschritte am Kla-vier, aber im übrigen ging es mir damalsdreckig. Die Habilschrift kam nicht voran,im März 1976 beging Sonja Selbstmord, ichbrach zusammen, alles drohte sich aufzulö-sen. Und aufgelöst kam ich auch öfter inden Unterricht. Spielen wollte ich nur nochdas Trostloseste von Schubert. Frau Waltheraber mochte Schubert nicht besonders - dashat mich manchmal schon sehr irritiert."Hier hat er wieder eine Wurst komponiert",pflegte sie ihn zu tadeln. Schumann hatte

das "himmlische Längen" genannt! Sie nahm

es Schubert übel, dass er nicht wie Beet-hoven komponiert hat.

Eine Weile wollte ich auch gerne Rocki-ges spielen lernen, ein paar Tricks auf dem

Klavier, schräge Harmonien, harte Akkorde.(Meine Freundin Doris, in die ich damalsein bisschen verliebt war, hatte einen eherschläfrigen Freund, der sie jedoch mit sol-chen Klängen zu begeistern verstand.) Mitdieser Sparte konnte Frau Walther abernicht dienen; sie fand Rockmusiker ordinär- was sie mir stattdessen beibringen woll-te, war leichte (seichte) "gefällige" Bar-musik, scheusslich. Sie liebte auch künst-liehe Blumen; ihre Wohnung war voll davon -als ich Maja aus Berlin im Herbst 1978 ken-nen- und liebengelernt hatte, brachte ichfür Frau Walther von einer meiner Berlin-Reisen einen Strauss chinesischer Seiden-blumen aus dem KaDeWe mit; sie war hinge-rissen.

Wir waren beide mütterlich besorgt um-einander. Sie hatte ein schwaches Herz,klagte über häufige Ohnmächten und schwerenächtliche Herzattacken. Einmal klingelteich wie verabredet um neun - keine Reak-tion! Ich geriet in Panik und liess durcheinen Nachbarn die Polizei rufen - aber be-vor die ankam, kam auch Frau Walther, unbe-schädigt und voller Lebensfreude, von einemmorgendlichen Spaziergang zurück. - Sie er-kundigte sich öfter liebe- und sorgenvollnach meinem Privatleben. Das Alleinsein

könne mir doch auf die Dauer nicht guttun -ausserdem wäre es doch einfach ein Jammer:So ein lieber Mensch wie ich, der einen an-deren Menschen soo glücklich machen könnte,das fühle sie genau. Natürlich gäbe es jakaum Männer, die einer Frau wie mir geistiggewachsen wären, aber ich solle bloss dieHoffnung nicht aufgeben, mich nicht inner-lieh vereisen und verhärten. Und sie rückteheraus mit der Geschichte der grossen Liebeihres Lebens, die auch erst dann gekommensei, als sie längst jede Hoffnung aufgege-ben hatte. Ihr Liebster (so nannte sie ihn)war vor etwa zwei Jahren gestorben, aberselbst aus dem Jenseits heraus ständig ge-genwärtig und "rührend um sie besorgt".Ein Steinmetz und Bildhauer (Grabsteine!)Mit 48 erst hatte sie ihn kennengelernt, 20wundervolle Jahre hatten sie zusammen ver-bracht, unverheiratet natürlich (auf dieEhe war sie seit ihrem erzwungenen Weggangvon Berlin nicht mehr gut zu sprechen). Niesei zwischen ihnen ein böses Wort gefallen.Für ihn hätte der Sinn des Lebens darin be-standen, sie auf Händen zu tragen. Sie hat-te ja auch nie geglaubt, dass es "die gros-se Liebe" gäbe - aber: es gebe sie, dafürsei sie selbst mit ihrem Hans-Hermann derBeweis. Also Kopf hoch, Frau Offenbach,auch für Sie wird der Richtige noch kommen!

Trio.

Dass ich "den" Richtigen gar nicht woll-te, sondern höchstens die Richtige, mochteich Frau Walther damals nicht zumuten. Beialler gegenseitigen Sympathie blieb siemir doch immer ein wenig fremd mit ihrerPerücke, ihren Plastikblumen, ihrem Lieb-sten im Jenseits und vor allem mit ihrem"Hier hat er wieder eine Wurst komponiert!"

1979 musste ich die Klavierstunden auf-geben - ich hatte einfach keine Zeit mehrzum regelmässigen Ueben. Wir nahmen sehr

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innig Abschied voneinander, und hin undwieder riefen wir uns an und erzählten unsdies und das aus unserem Leben. Einmal ludich sie auch zu mir nach Hause ein - wiedermachte sie mir Komplimente Liber mein lie-benswertes Wesen und war tief betrübt überdie Verschwendung dieses Wesens an dietrockene Wissenschaft. Am liebsten hätteich sie da endlich aufgeklärt und getröstet:"Frau Walther, es ist alles halb soschlimm; es geht mir jetzt viel besser.Zwar sieht es so aus, als sei ich noch im-mer allein, aber ich habe eine Freundin inBerlin. Wir lieben uns - und bald wird siehier einziehen." Ob es sie aber wirklich"getröstet" hätte? Da sass sie, mit einerganz neuen Perücke, und stocherte in ihremEssen herum - meine Spezialität, Chicoree-Schinken-Rollen mit Käse überbacken. Alsich sie fragte, weshalb sie kaum etwas an-gerührt habe, erklärte sie, sie sei Vege-tarierin und könne ausserdem keinen Käsevertragen. Da verliess mich wieder der Mut.

Als ein Jahr später das Buch Sonja her-ausgekommen war, packte ich eins meiner Be-legexemplare in eine Versandtüte, mit ei-nem kurzen Begleitbrief: "Liebe FrauWalther - Sie haben immer so viel Anteilan mir genommen, sich so viele liebevolleGedanken um mich gemacht. Schon immer hat-te ich ihnen gerne "die Wahrheit über mich"

erzählen wollen, aber mir fehlte irgendwieder Mut. In der Zeit, während ich bei Ih-nen Klavierstunden hatte, habe ich diesesBuch geschrieben, in dem auch Sie öftervorkommen. Ich würde mich sehr freuen, wennSie mir etwas dazu sagen oder schreibenwürden, aber ich habe auch grosses Ver-ständnis dafür, wenn Sie sich nicht dazuäussern wollen. In Dankbarkeit, mit sehrherzlichen Grüssen - Ihre Judith Offenbach".

Ich habe nicht eigentlich auf eine Re-aktion von ihr gewartet, dazu war ich zubeschäftigt, aber es betrübte mich doch je

länger desto mehr, dass ich nichts von ihrhörte. Manchmal wollte ich mich auch "blossso" nach ihr erkundigen, aber das wagte ichnun nicht mehr.

Etwa nach einem Dreiviertel jähr fragtemich eine Bekannte wie nebenbei, ob ichschon gehört hätte, dass Frau Walther ge-storben sei, wohl an ihrer alten Herzge-schichte. Genaueres wusste sie auch nicht.

Seitdem grüble ich.Ich bin jetzt 42 Jahre alt. Die Richtige

habe ich gefunden, in diesem Jahr. Siespielt übrigens wunderbar Klavier, am lieb-sten Schubert.

Judith Offenbach

*) da muss ich leider das Gegenteil be-haupten (Anmerkung d. Tippse)!

Allegretto.

Erscheint demnächst im Sammelband "Ausgeschlossene der Gesell-schaft? Verständigungstexte über lesbisches Leben",hg. v. Eva Maria Alves, als Suhrkamp TB.