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Werner B. Schneider (Hrsg.) Wege in der Physikdidaktik Band 1 Verlag Palm & Enke, Erlangen 1989 ARBEITSKREIS BAYERISCHER PHYSIKDIDAKTIKER ISBN 3 - 7896 - 0090 - 3 BEIITRAG AUS DER REIHE: Anmerkung: Die Bände 1 bis 5 sind (Ausnahme Band 5) im Buchhandel vergriffen. Die einzelnen Beiträge stehen jedoch auf der Homepage http://www .solstice.de zum freien Herunterladen zur Verfügung. Das Copyright liegt bei den Autoren und Herausgebern. Zum privaten Gebrauch dürfen die Beiträge unter Angabe der Quelle genutzt werden. Auf der Homepage www.solstice.de werden noch weitere Materialien zur Verfügung gestellt. Sammlung aktueller Beiträge aus der physikdidaktischen Forschung

Werner B. Schneider (Hrsg.) Wege in der Physikdidaktik und... · Abb. 2 Klassisches Reibungsexperiment aus dem Skizzenbuch von Leonardo da Vinci. Unsere heutigen Schulexperimente

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Page 1: Werner B. Schneider (Hrsg.) Wege in der Physikdidaktik und... · Abb. 2 Klassisches Reibungsexperiment aus dem Skizzenbuch von Leonardo da Vinci. Unsere heutigen Schulexperimente

Werner B. Schneider (Hrsg.)

Wege in derPhysikdidaktik

Band 1

Verlag Palm & Enke, Erlangen 1989

ARBEITSKREIS BAYERISCHER PHYSIKDIDAKTIKER

ISBN 3 - 7896 - 0090 - 3

BEIITRAG AUS DER REIHE:

Anmerkung:Die Bände 1 bis 5 sind (Ausnahme Band 5) im Buchhandel vergriffen.

Die einzelnen Beiträge stehen jedoch auf der Homepage

http://www.solstice.de

zum freien Herunterladen zur Verfügung.Das Copyright liegt bei den Autoren und Herausgebern.

Zum privaten Gebrauch dürfen die Beiträge unter Angabe der Quellegenutzt werden. Auf der Homepage

www.solstice.dewerden noch weitere Materialien zur Verfügung gestellt.

Sammlung aktueller Beiträge aus der

physikdidaktischen Forschung

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Walter Bube

Altes un.d Neues a.us der Reibun.gsphysil<.

1. Vorwort

Reibungsprozesse sind eine alltägliche Erscheinung: An manchen Stellen sind sie

unerwünschte Energieverbraucher. In der Schule wird das Kapitel "Reibung" rein

empirisch gesehen, und jeder Lehrer hat dabei ein unbefriedigendes Gefühl: Es

wirkt altmodisch, und die üblichen Erklärungsversuche (Häkchenmodell) dürfte man

eigentlich gar nicht glauben. Diese Studie will einige neuere Aspekte zur Haft-und

Gleitreibung ausbreiten und damit auch eine allmähliche Modifizierung dieses Kapi­

tels der Schulphysik anregen.

2. Historischer Rückblick

Obwohl schon den alten Ägyptern das Problem der Reibung bekannt war (siehe

Abb.1, wo ein Sklave ständig eine Schmierflüssigkeit vor den Gleitschlitten gießt),

befaßte sich erst das Universalgenie Leonardo da Vinci (1452-1519) mit dem Rei­

bungsproblem in wissenschaftlicher Weise (Abb.2 zeigt Skizzen von seinen Experi-

Abb. 1 Dieses altägyptische Relief (1900 v.ehr.) zeigt. daß man auch damals schon über dieReibung nachgedacht hat. (Wenn man für die zu transportierende Statue ein Gewicht von6 • 105N abschätzt und jedem der 172 Sklaven die Zugkraft 800 N zuschreibt dann ergibtsich hieraus ein Reibungskoeffizient von etwa 0,21.

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..... -

Abb. 2 Klassisches Reibungsexperiment aus dem Skizzenbuch vonLeonardo da Vinci. Unsere heutigen Schulexperimente sind prin­zipiell noch die gleichen.

menten mit Holzquadern). Er formulierte die Gesetze der trockenen Gleitreibung,

noch 200 Jahre bevor Newton den Kraftbegriff definierte (1,6): "Reibung verursacht

die doppelte Anstrengung, wenn die Last verdoppelt wird"; er beobachtet auch, daß

die Größe der Gleitfläche keinen Einfluß hat und gab auch einen Zahlenwert für

den Reibungskoeffizienten 1.1 an: "Jeder Körper besitzt einen Reibungswiderstand von

einem Viertel seines Gewichts" (Eine gute Näherung für nicht allzu saubere

Oberflächen! >. Die Versuche von Leonardo gerieten in Vergessenheit. erst Amonton

(Gasgesetz!) legte 1699 eine Neuerarbeitung dieser alten Erkenntnisse vor.

Einen neuen Aspekt brachte Desagulier (1683-1744) vor: Er fand. daß bei besser

polierten Oberflächen eine höhere Reibungskraft auftritt, und zeigte auch. daß zwei

gut polierte und fest zusammengedrückte Bleikörper nur durch eine überraschend

große Kraft wieder getrennt werden konnten: Er erkannte somit die Bedeutung der

Adhäsion bzw. Kohäsion für den Reibungsprozeß. konnte seine Idee aber nicht mit

den quantitativen Reibungsgesetzen in Einklang bringen.

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Ähnlich muß es Coulomb (1736-1806) ergangen sein, der die Adhäsion als Ursache

der Reibung wegen der Flächenunabhängigkeit verwarf. Statt dessen setzte er auf

die Vorstellung "Oberflächenrauhigkeit", und konstruierte dazu folgendes Denkmo­

dell (Abb.3): Er faßte die Unebenheiten der Oberfläche als schiefe Ebenen mit dem

mittleren Neigungswinkel e auf. Ein weiterer Körper mit der Gewichtskraft FM, der

mit seiner gleichermaßen rauhen Oberfläche über die Unterlage gleiten soll, muß

demnach über die schiefen Ebenen geschoben werden; das Gesamtgewicht FM ver­

teilt sich auf die einzelnen Erhebungen. Für jede einzelne Erhebung gilt für den

F ----..

F =FN ton eAbb.3 Coulombs •• Rauhigkeitsmodell" der Reibung. Die Normalkraft FN verteilt sich aufdie Erhebungen mit gleichem Neigungswinket.

Zusammenhang zwischen horizontal aufzuwendender Kraft Fi und dem Gewichtsanteil

FMI somit FI = FHI tan e. Die Gesamtkraft F ergibt sich bei einem mittleren

Neigungswinkel e zu FNtane. Nach Coulombs Modell hängt also der

Reibungskoeffizient einer solchen Fläche IJ=FM=tane nicht von der Belastung ab,

d.h. die Reibungskraft F ist proportional zum Gewicht FM. Die Reibung ist ferner

flächenunabhängig, da IJ nur eine Funktion des mittleren Neigungswinkels der

Rauhigkeiten ist. Je glatter die Oberfläche, desto kleiner sollte der

Reibungskoeffizient sein; eine Konsequenz, die den damaligen Vorstellungen

entsprach und Coulombs Modell zur Anerkennung verhalf. Das Coulombsehe Modell

hat aber einen entscheidenden Fehler: Es weist keine dissipative Komponenten auf.

Die beim Hinaufschieben der schiefen Ebenen aufzuwendende Energie muß wieder

herauskommen, wenn die schiefen Ebenen auf der anderen Seite herabgleiten; also

ist die Gleitreibung nach Coulomb kein energieverzehrender Prozeß.

Dieser Einwand wurde schon von J. Leslie im Jahre 1804 vorgebracht; aber auch

Leslie sprach sich gegen die Adhäsion als Ursache der Reibung aus, weil eine Kraft

senkrecht zur Oberfläche keine Komponente parallel zur Oberfläche haben kann! Er

übersah aber dabei, daß adhäsive Bindungen durch Scherkräfte aufgebrochen werden

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können und somit eine Horizontalkomponente entsteht.

Der Stand der Reibungsphysik in der Schule braucht wohl nicht näher kommentiert

zu werden: Obwohl es einzelne Bestrebungen gibt, besonders die experimentelle

Seite zu verbessern (siehe z.B.12D, entspricht das Verständnis der

zugrundellegenden Vorgänge dem Stand früherer Jahrhunderte. Es gibt aber moderne

Forschungen und Ergebnisse ("Tribologie"), woraus im folgenden einige leicht

durchschaubare Aspekte dargestellt werden 11,3,4,5).

3. Das Adhäsionsmodell

Wir wollen uns im folgenden nicht mit Sonderfällen befassen (z.B. Pflugspur einer

Stahlspitze über eine Kupferoberfläche), sondern mit der Reibung zwischen makro­

skopisch glatten, trockenen metallischen Oberflächen. Makroskopisch glatt heißt:

Unebenheiten von ca. 50 IJm bei geschmirgelten, von 10 IJm bei polierten Oberflä­

chen, von 1 IJm bei geläppten Oberflächen (z.B. Endmaße). Selbst hochglanzpolierte

Flächen zeigen meist eine ca 2 IJm dicke Oxidschicht und sind bis zur Tiefe von

ca. 0,1 IJm mit adsorbiertem Gas durchsetzt; bis zur Tiefe von etwa 100 IJm findet

man Zonen, die durch die beim Schmiergeln entstehenden lokalen hohen Tempera­

turen geschmolzen und rekristallisiert sind. Reibungsprozesse zwischen solchen

Flächen sind primär durch Adhäsion bestimmt. Zieht man z.B. einen polierten Kup­

fer-(oder Blei-) Gleiter über eine polierte Stahloberfläche, so verbleiben Abrieb­

spuren (z.B. autoradiografisch nachzuweisen) auf der Stahloberfläche: Offenbar

haftet das Kupfer an manchen Stellen so fest an der Stahloberfläche, daß während

der Bewegung ein Teil des weichen Materials abgeschert wird. Es liegt also nahe

anzunehmen, daß die makroskopische Gleitreibungskraft entsteht durch die mikro­

skopischen Scherkräfte, die nötig sind, um adhäsive Brücken abzutrennen.

Das sog. Adhäsionsmodell erklärt die makroskopischen Reibungsgesetze auf der Ba­

sis dieser Befunde: Stellen wir uns zwei rauhe Oberflächen vor, die aufeinanderge-

Abb. 4 Zwei mikroskopisch rauhe Metallflächen berühren sich nur an einigen KontaktsteIlen.An diesen plastisch deformierten Stellen hahen die Körper adhäsiv. Die Reibungskraft schertdiese Brücken ab.

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legt werden (z.B. das Gebirgsland österreich. und umgedreht darauf das Gebirgsland

Schweiz): Es gibt nur ganz wenige Berührungsstellen; jedenfalls ist die gesamte

Berührungsfläche viel kleiner als die makroskopische Oberfläche (AbbA). Entschei­

dend ist nun zu sehen, wie sich die wenigen mikroskopischen Kontaktstellen

unter der zu tragenden Gesamtlast verhalten. Bei kleinster Belastung werden sich

die KontaktsteIlen elastisch deformieren. Da aber die KontaktsteIlen mIkroskopisch

klein sind, wird schon durch das Eigengewicht des aufliegenden Körpers ein Druck

erreicht, der weit über der Elastizitätsgrenze liegt: Das Material beginnt in der

Umgebung der mikroskopischen Kontaktstellen plastisch zu werden und zu fließen.

Der Fließdruck p*, eine Materialkonstante, markiert die Größenordnung für den

Obergang zwischen elastischem und plastischem Bereich. Wirkt auf die

Berührungsfläche die Normalkraft FM, so wird das Material an den Kontaktstellen

so lange fließen, bis sich die Kontaktfläche A genügend vergrößert hat:F

A=--; 0)p

Einige typische Werte für p' sind in folgender Tabelle zusammengestellt:

Blei

Kupfer

Messing

Weicher Stahl

Gehärteter Stahl

2 000 N/cm2

30 000 N/cm2

45 000 N/cm2

45 000 N/cm2

150 000 N/cm2

Die mikroskopische Berührungsfläche zweier Metalle wächst mit zunehmender Bela­

stung; im Normalfall ist diese tatsächliche BerÜhrungsfläche nur ein kleiner

Bruchteil der makroskopischen Fläche. Ein Zahlenbeispiel macht das sehr deutlich:

Ein Stahlkörper, der mit einer makroskopischen Fläche von 1 cm2 auf einem Mes­

singblock aufliegt, müßte eine Masse von 4500 kg besitzen, damit sich die beiden

Blöcke auf der gesamten makroskopischen Fläche berühren. Umgekehrt kann man bei

gegebenem Gewicht die Größenordnung der mikroskopischen Berührungsfläche ange­

ben (z.B. ein Stahlwürfel der Kantenlänge 1 cm auf Messing hat eine mikroskopi­

sche Berührungsfläche von ca. 10-3 mm2 ). Das erste entscheidende Ergebnis die­

ses Modells ist: In erster Näherung ist die wahre Kontaktfläche nur von der Nor­

malkraft abhängig; die makroskopische Fläche spielt keine Rolle.

Die plastische Deformation führt zu einem adhäsiven Haften (Kaltverschweißen) der

beiden Körper an den Kontaktstellen mit der mikroskopischen Gesamtfläche A. Diese

Kontaktstellen müssen beim Gleiten aufgebrochen werden, was auch die Abriebspu-

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ren erklärt. Ein Maß für die an einer Kontaktstelle aufzuwendende Gesamtkraft F

ist die Scherfestigkeit Ti< des weicheren Metalls. (Die Scherfestigkeit ist die kriti­

sche Scherspannung T, bei der die Metallbrücken abgeschert werden, analog wie der

Fließdruck pi< der kritische Druck ist, bei dem Metall zu fließen beginnt). Die tan­

gential aufzuwendende Kraft F ist proportional zur gesamten mi.kroskopischen Be­

rührungsfläche A:

F = A . r* (2)

Zusammen mit (1) ergibt sich die flächenunabhängige Reibungskraft:

FNF=p.-'r* (3)

Der Reibungskoeffizient IJ ist nach diesem Modell das Verhältnis zweier Material­

konstanten:

r*l1=p. (4)

Für die meisten Metalle gilt etwa p. ~ 5 r*. so daß man /1 - 0.2 erwarten sollte. Bei

Metallen ohne Oxidschicht lIegt der Gleitreibungskoeffizient jedoch oft in der

Größenordnung von 1. Der wesentliche Grund hierfür liegt in einer Vergrößerung

der mikroskopischen Kontaktfläche: Durch die tangential wirkende Kraft F werden

die Kontaktstellen in Bewegungsrichtung vergrößert (siehe hierzu c). Der Vollstän­

digkeit halber sei noch hinzugefügt, daß in der näheren Umgebung der plastisch

verformten Zonen auch noch elastisch deformierte Zonen vorliegen; ein unmittelba­

res Abheben zweier adhäsiv haftender Körper wird dadurch erleichtert. Bei weichen

Metallen macht sich dieser Effekt nicht so stark bemerkbar wie bei harten. Weich­

metalle (Indium,Blei; siehe DesaguUer-Experiment) haften deshalb stärker kohäsiv

zusammen als hochelastische.

Das Adhäsionsmodell erklärt also die Unabhängigkeit des Reibungskoeffizienten von

der makroskopischen Fläche, es liefert ein ungefähres Maß für IJ aus zwei Materi­

a1konstanten (Scherfestigkeit Ti< und Fließdruck pi<) und zeigt, wie beim Reibungs­

prozeß mechanische Energie durch plastische Deformation und Abscheren irreversi­

bel umgesetzt wird. Im folgenden sollen noch einige praktische Konsequenzen dieses

Modells diskutiert werden.

a) Einfluß der Metallhärte auf den Reibungskoefflzienten:

Die Härte eines Metalls hat einen geringen Einfluß auf den Reibungskoeffizienten.

Stahl ist etwa 100mal härter als Zinn, der Reibungskoeffizient von Zinn auf Stahl

ist jedoch nur 3mal größer als der von Stahl auf Stahl. Das Adhäsionsmodell er­

klärt diesen Effekt zwanglos: Berühren sich ein weiches Metall und ein hartes, so

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wird sich eine relative große mikroskopische Kontaktfläche ausbilden. Dafür ist

auch die Scherfestigkeit der Metallbrücken, die beim Gleiten aufgebrochen werden,

gering. Berühren sich dagegen zwei harte Metalle, so ist die mikroskopische Kon­

taktfläche geringer als im vorigen Fall, die Scherfestigkeit ist jedoch größer. Die

Reibungskraft F = AT" wird sich deshalb bei gleicher Belastung kaum unterscheiden

(Abb. 5 a,b). Ein weiteres Zahlenbeispiel ist in diesem Zusammenhang, aber beson­

ders im Hinblick auf den nächsten Abschnitt interessant: Stahl auf Stahl IJ = 0,8

und Stahl auf Indium IJ = 1.6.

b) Verminderung der Reibungskratt:

Das Adhäsionsmodell zeigt auch, wie man die Reibungskraft geschickt vermindern

kann. überzieht man eines von zwei reibenden Hartmetallen mit einer dünnen

Weichmetallschicht, so wird die Last im wesentlichen vorn Hartmetall getragen. Die

mikroskopische Kontaktfläche ist klein, aber gleichzeitig ist auch die Scherfestig­

keit klein (Abb.5c): Solange die Belastung nicht zu einer Zerstörung der Welchme­

tallschicht führt, finden die Schervorgänge im Weichmetall statt. Der durch den

Indiumfilm erreichte Reibungskoeffizient ist jetzt nicht mehr wie oben 1,6 sondern

nur noch O,I! Technische Verwendung finden solche Weichmetalle in Kugellagern,

wo normale Schmiersysteme verdampfen. Obwohl sich solche

(0)

(b)

Hortes Metallr--:---:-"1---.... F =A·. •

Hortes Metallr--"1----. F =A".·

.- kleinoberA gran

A kleinober.- gran

(c)

Hortes Metall A und 1­

klein

DünneWeichmetallschicht

Abb. 5 Einfluß der Metallhärte auf den Reibungsprozeß (a, bl. Verminderung der Reibungs­kraft durch einen dünnen Weichmetallfilm (cl.

Filme nicht regenerieren können, haben sie eine erstaunlich lange Lebensdauer. Im

Flugzeugbau verwendet man eine Cu - Pb Lagerlegierung. Sie besteht aus einern har­

ten Kupfergrundmaterial, in das feinverteiltes Blei eingebaut ist. Beim Reibungs-

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vorgang überzieht sich die Oberfläche mit einem weichen Bleifilm, der den Rei­

bungskoeffizienten entscheidend herabsetzt (l).

Auch die Einflüsse von Verunreinigungen auf das Reibungsverhalten werden aus

dem Reibungsmodell verständlich. So liegt z.B. der Reibungskoeffizient bei Metallen

in Abwesenheit von Sauerstoff deutlich höher, weil sich keine Oxidschichten bilden

können. Zwischensch1chten verhindern direkte Metall-Metallkontakte; die nötigen

Scherkräften sind daher kleiner. Das nutzt man aus bei der "gezielten Verunreini­

gung" durch Schmierstoffe. Zwischenschichten aus Polymeren wie PTFE (Teflon­

pfanne!) oder selbst monomolekulare Fettsäureschichten (OIe!) schwächen die

kurzreichweitigen Adhäsionskräfte beträchtlich. Die Wirkungsweise der verschie­

denen Schmierstoffe kann in diesem Rahmen nicht genauer betrachtet werden (nä­

heres siehe z.B. [1».

c) Haftreibung und Gleitreibung:

Will man einen Metallblock gegen eine Metallunterlage in Bewegung setzen, so

braucht man zum Starten eine größere Kraft als zum nachfolgenden Gleiten. Aus

dem Adhäsionsmodell wird nicht ohne weiteres klar, warum die Haftreibungskraft

größer als die Gleitreibungskraft ist. Bei den bisher entwickelten Vorstellungen

wurde aber nicht berücksichtigt, daß die Kontaktfläche der beiden Metalle sich

vergrößern kann, auch wenn die Normalkraft gleich bleibt. Dieses wird im wesent­

lichen durch die folgenden Vorgänge bewirkt: Bleiben zwei Metallflächen für einige

Zeit in Kontakt, so findet ein vorübergehender "Kriechvorgang" statt, der die Kon­

taktflächen allseitig vergrößert. Bei Metallen ist dieser Vorgang bereits nach eini­

gen Sekunden beendet.

Der zweite flächen vergrößernde Effekt setzt ein, wenn man versucht, den Block

gegen die Unterlage zu bewegen. Die dazugehörige Tangentialkraft F vergrößert die

Flächen in Zugrichtung, was sich z.B. interferometrisch oder durch Messung des

Oberflächenwiderstandes nachweisen läßt (3). Man beobachtet, daß bei konstanter

Normalkraft die Kontaktfläche mit der Kontaktzeit, und auch mit der Kraft F an­

wächst. Bevor makroskopisch der Gleitvorgang beginnt, erreicht die Kontaktfläche

und damit die Tangentialkraft ihren Maximalwert; dies ist die Haftreibungskraft.

Dieser "Anfahrvorgang" ist in Abbildung 6 dargestellt. Sobald die Tangentialkraft

genügend groß geworden ist, reißen die Brücken ab (während sich schon wieder

neue zu bilden beginnen): IJ fällt auf den Gleitreibungswert ab.

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Grade elastisch ist. Der Anfangspunkt B der Feder soll mit gleichförmiger Ge­

schwindigkeit gezogen werden. Zur Zeit t=O ist die Feder entspannt. Erst wenn die

Federkraft so groß ist wie die Haftreibungskraft, setzt sich der Block A in Bewe­

gung. Auf den Block wirkt jetzt aber eine Kraft, die größer ist als die zum Gleiten

notwendige Gleitreibungskraft, d.h. er wird beschleunigt und die Feder wird dabei

wieder kürzer. Nun kann der Fall eintreten, daß die Feder zu wenig Kraft auf A

überträgt, so daß der Block wieder hängen bleibt. Der Vorgang beginnt dann von

neuern: Die Feder wird länger usw. Diesen periodischen Ablauf kann man sehr an­

schaulich im Weg-Zeit-Diagramm beschreiben (Abb.8). Reibungsschwingungen sind

umso stärker ausgeprägt je mehr sich IJB8ft und 1J"lell unterscheiden.

4. Schlußbemerkungen

Das Adhäsionsmodell läßt sich auch auf Nichtmetalle übertragen [1,5). Die Rei­

bungskraft ist auch dort die Kraft, die aufgewendet werden muß, um die adhäsiv

haftende mikroskopische Fläche abzuscheren (G1.2); nur ist dort die mikroskopische

Fläche nicht mehr

Bt=a~i

o 2 l. 6 6

t=1~,o 2 l. 6

2

t=2~o 2 l. 6

Abb.8 Einfaches Modell zur Erklärung von Reibungsschwingungen. Wird das Ende B de~Feder mit gleichförmiger Geschwindigkeit gezogen. folgt der Metallbloc.k A ~uf der Metllllunterlage ruckweise. Im Weg-Zeit-Diagramm ergibt sich für A näherungsw..se ..ne Treppenfunk-

lion.

direkt proportional zur Normalkraft 1 Für elastische Stoffe (Gummi) oder visko­

elastische Stoffe (Polymere) ist der Reibungskoeffizient somit von der Normalkraft

abhängig, d.h. die einfachen Reibungsgesetze gelten hier nicht.

Für Holz mit seiner komplexen Struktur von Zellulosefibern ist der Reibungskoeffi­

zient nur in einem beschränkten Bereich konstant und hängt stark von der Ober­

flächen beschaffenheit ab (z.B. vom WassergehaltL

Es gibt in der modernen Tribologie auf der Basis des Adhäsionsmodells ausgearbei­

tete Vorstellungen für das Reibungsverhalten von Gummi, Polymeren, Schmiermittel

u.a. (1,3,4,5). Trotz ihrer technischen Bedeutung wurden sie absichtlich außer acht

gelassen, um den Blick nicht zu verstellen für die wesentlichen Aspekte dieser

-1 Die Elastizitätstheorie IHertzsche Rechnungen) liefert fur elastische Stoffe A - F~3 und fur

visko-elastische Stoffe A - F~4 (1, 5 J.

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d) Abhängigkeit des Gleitreibungskoeffizienten von der Geschwindigkeit:

Auch bei kleinen Gleitgeschwindigkeiten machen sich die vorher beschriebenen

flächen vergrößernden Effekte bemerkbar. Es ist daher nicht verwunderlich, daß der

Gleitreibungskoeffizient mit der Geschwindigkeit (geringe Kontaktzeit) abnimmt. Die

durch die Energiedissipation entstehende Temperaturerhöhung wirkt in die gleiche

Richtung. Das Material erweicht und damit wird das Abscheren umso leichter, je

höher die Geschwindigkeit ist. Der Gleitreibungskoeffizient fällt infolgedessen bei

allen Metallen mit zunehmender Geschwindigkeit auf einen asymptotischen Wert

(Abb.7); je niedriger der Schmelzpunkt liegt, desto früher wird der asymptotische

Wert erreicht. Bei aerodynamischen Tests von Flugzeugbauteilen auf Raketenschlit­

ten <,)3000 km/h) macht sich dieser Abfall von IJ mit der Geschwindigkeit deutlich

bemerkbar. Ähnlich wie der Rodelschlitten auf einer geschmolzenen Eisschicht glei­

tet der Raketenschlitten auf geschmolzenem Metall.

'--__ IJGleit

Zeit t

Abb. 6 Die zeitliche Änderung des Rei·bungskoeffizienten zwischen zwei Metall­flächen während des Anfahrvorgangs.

3.0IJ

1,0

.0.5~

o 800 1600 2'00 km/h

Gleitgeschwindigkeit v

Abb. 7 Abnahme des Gleitreibungskoeffizienten mitder Gleitgeschwindigkeit für zwei Metallpaarungen.Cu: Stahl auf Kupfer; Bi: Stahl auf Wismut.

e) Reibungsschwingungen:

Immer, wenn die Gleitreibungskraft deutlich kleiner als die Haftreibungskraft ist,

können ruckartige Bewegungen auftreten. Das Rucken bei niedrigen Geschwindig­

keiten kommt durch das Wechselspiel von Haften und Lösen an den Kontaktstellen

zustande. Das zeigt auch die Abriebspur eines weichen Metallblocks, der auf einer

harten Metallunterlage gleitet. Statt eines gleichmäßigen Belages erkennt man eine

regelmäßige Fleckenspur von abgeriebenen weichen Metall. Solche Reibungsschwin­

gungen mit Frequenzen im akustischen Bereich sind auch die Ursache für das

Quietschen von Bremsen und das Quietschen der Kreide auf der Tafel. (Auch hier

hinterläßt die Kreide eine diskrete Fleckenspur.)

An einem vereinfachten Modell (Abb.8) soll das Zustandekommen der Reibungs­

schwingungen erklärt werden: Ein Metallblock A wird an einer Feder über eine fe­

ste Metallunterlage gezogen. Die Kraftübertragung geschieht in diesem Modell durch

eine Feder, weil jede Obertragungsart (Stange, Seil etc.> bis zu einem gewissen

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Studie: Aufzuräumen mit den altmodischen und falschen. zumindest jedoch peinlich

defizienten Vorstellungen der "Schulreibungsphysik" .

An dieser Stelle möchte ich Herrn Prof. Dr. K. Luchner danken für den Anstoß und

die wertvollen Anregungen zu dieser Studie.

Literatur

[1) Bowden, F.P., Tabor. 0.: Friction, An Introduction to Tribology, New York:Press 1973.

(2) Dittmann,H.: Experimente mit der Reibung.in:PhuD 1(1978) S.17.(3) Sakar. A.D.: Friction and Wear. London, New York: Academic Press 1980.(4) Kirsche, K.: DFG Forschungsbericht Tribologie. Wiesbaden: Steiner 1971.(5) Moore, D.F.: Principles and Application of Tribology. Oxford: Pergamon Press

1975.(6) Dowson, 0.: History of Tribology. London, New York: Longmann 1979.