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Den Staat an die Kette legen – Gegen die Aushöhlung des Wettbewerbs durch den Staat Wernhard Möschel Mit einem Vorwort von Jan Kleinewefers

Wernhard Möschel - stiftung-marktwirtschaft.de · Globale Kennziffern 2. Spezifischer Befund und Wirkungsanalyse a) Eigene Wirtschaftstätigkeit der öffentlichen Hand b) Subventionspolitik

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Den Staat an die Kette legen –Gegen die Aushöhlung desWettbewerbs durch den Staat

Wernhard Möschel

Mit einem Vorwortvon Jan Kleinewefers

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© Juli 1995

Frankfurter Institut – Stiftung Marktwirtschaft und PolitikKaiser-Friedrich-Promenade 157, 61352 Bad Homburg

ISBN 3-89015-046-2

Gutachten fürVerband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau e.V. (VDMA)undIMPULS-Stiftung für den Maschinenbau, den Anlagenbau unddie Informationstechnik

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Inhalt

I. Strukturprinzipien einer marktwirtschaftlichenOrdnung1. Entscheidungsträger, Entscheidungs-

gegenstand, Entscheidungsverfahren2. Werturteile3. Begrenzte Staatsaufgaben

a) Protektiver Staatb) Der distributive Staatc) Der produzierende Staatd) Gemeinsame methodische

Begrenzungene) Schlußfolgerungen

II. Der tatsächliche Befund im Deutschlanddes Jahres 19951. Globale Kennziffern2. Spezifischer Befund und Wirkungsanalyse

a) Eigene Wirtschaftstätigkeit der öffentlichen Hand

b) Subventionspolitikc) Außenwirtschaftliche Protektion

Für freien Wettbewerb – gegen dieSubventionswirtschaftVorwort

Jan Kleinewefers

Den Staat an die Kette legen – Gegen dieAushöhlung des Wettbewerbs durch den Staat

Wernhard Möschel

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III. Der rechtliche Befund1. Zum deutschen Recht

a) Wirtschaftstätigkeit deröffentlichen Hand

b) Subventionskontrolle2. Zum europäischen Gemeinschaftsrecht

a) Der Staat als Unternehmerb) Zur Subventionsaufsicht der

Gemeinschaft

IV. Zu den Ursachen für solche Entwicklung1. Spätfolgen sozialistischen Gedankenguts2. Strukturschwächen in demokratischen

Gesellschaften

V. Lösungsansätze1. Der Möglichkeitsbereich

a) Anknüpfungspunkteb) Umsetzungsart

2. Konkrete Vorschlägea) Zur Privatisierungb) Subventionsbegrenzungsgesetzc) Ein neuer Art. 94a EG-Vertrag

VI. Zusammenfassung

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Für freien Wettbewerb –gegen die Subventionswirtschaft

Jan Kleinewefers

Die Marktwirtschaft wird am Standort Deutschland mitzunehmendem Tempo ausgehöhlt. Bereits 1986 konsta-tierten Kieler Ökonomen, daß nur etwa die Hälfte derWertschöpfung in der Bundesrepublik Deutschland unterWettbewerbsbedingungen entsteht.

Bekanntlich geht es bei Verstößen des Staates gegen dasWettbewerbsprinzip nicht allein um punktuelle, ein ein-zelnes Unternehmen oder eine Branche begünstigendeMaßnahmen. Der Staat kann schon bei der Gestaltung derwirtschaftlichen Rahmenbedingungen den Wettbewerbverzerren. So bietet die konkrete Ausgestaltung der Steu-erpolitik, der Außenwirtschaftspolitik, der Forschungspo-litik oder auch der öffentlichen Auftragsvergabe zahlrei-che Ansatzpunkte, unsere Wirtschaftsordnung mit mehroder weniger Wettbewerb zu versehen.

Im Zentrum unserer Kritik stehen aber besonders die im-mer mehr um sich greifenden punktuellen Eingriffe desStaates. Dieses Problem ist gerade für eine immer nochweitgehend mittelständisch organisierte Branche wie dendeutschen Maschinenbau von besonderer Bedeutung. Wirsind mit dieser Thematik in der Vergangenheit jedochkaum oder fast nie in die Öffentlichkeit gegangen. Dasmag einmal daran liegen, daß punktuellen Staatseingriffenscheinbar Einzelfälle zugrunde liegen. Hinzu kommt, daßdie negativ Betroffenen sich erfahrungsgemäß scheuen,

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das Problem publik zu machen. Man versucht, die Sacheirgendwie zu regeln.

Aber nicht nur die betroffenen Unternehmen trauen sichmit ihren berechtigten Klagen nur selten an die Öffentlich-keit. Auch die Verbände tun sich schwer, da sie die Inter-essen aller Mitglieder zu vertreten haben. Sind sowohlBegünstigte als auch Leidtragende einer staatlichen Inter-vention in einem Verband organisiert, gerät dieser in Loya-litäts- und Neutralitätskonflikte mit seinen Mitgliedsfir-men. Diesem Dilemma zwischen dem Anspruch sowohldes „Geschädigten“ als auch des „Begünstigten“ auf Loya-lität und dem Anspruch aller Mitglieder auf Neutralitätentkommt ein Verband in der Regel nur durch Stillschwei-gen, das vom mit seinem Problem allein gelassenen Ver-bandsmitglied wiederum stillschweigend erduldet wird.

Diese Problematik hat sich in der hinter uns liegendenRezession zweifellos verschärft. Es sind eine Fülle neuerkonkreter Beispiele für staatliche, den Wettbewerb verzer-rende Interventionen hinzugekommen – auch in unsererBranche. Ich möchte aus den oben genannten Neutralitäts-gründen auf Details nicht eingehen. Nur soviel: Es darfnicht sein, daß Firmen, die mit Augenmaß und unter Ein-haltung solider Finanzrelationen gewachsen sind, für ihreweitsichtige Unternehmenspolitik bestraft werden, weilnotleidende Wettbewerber, die sich in ihren Expansions-plänen oder sonst verkalkuliert haben, durch öffentlicheHilfen über Wasser gehalten werden. Wirtschaftlich ge-sunde Gesellschaften können durch Subventionen an kran-ke Wettbewerber selbst krank werden. Ob kranke Gesell-schaften durch Subventionen gesunden, ist und bleibt eineoffene Frage.

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Da der VDMA direkt und ad hoc in diesem oder jenemkonkreten Fall nichts tun konnte, hat er gemeinsam mit derihm nahestehenden „IMPULS - Stiftung für den Maschi-nenbau, den Anlagenbau und die Informationstechnik“das Frankfurter Institut unter Federführung von Herrn Prof.Dr. Wernhard Möschel beauftragt, eine Studie zum The-ma „Aushöhlung des Wettbewerbs durch den Staat“ zuerstellen. Ziel dieser Studie ist es, ausgehend von einerBestandsaufnahme wettbewerbsverzerrender Eingriffe desStaates, die Notwendigkeit herauszustellen, den „Staat andie Kette zu legen“.

Der deutsche Maschinenbau als Wettbewerbsbranche parexcellence tritt traditionell für freien Wettbewerb und dieBeschränkung des Staates auf die Gestaltung der ord-nungspolitischen Rahmenbedingungen ein. Unsere Bran-che betrachtet die zunehmende Degenerierung der Markt-wirtschaft zur Subventionswirtschaft deshalb mit großerSorge. Sie empfindet die durch Staatseingriffe verursachteAushöhlung des Leistungswettbewerbs nicht nur als Be-drohung; sie sieht darin eine konkrete Schädigung ihreraus eigener Kraft erreichten und bislang erfolgreich vertei-digten Wettbewerbsposition.

Unsere Sorge gilt aber nicht allein der Wettbewerbssitua-tion im Maschinenbau, wenngleich wir auf diesem Feldbesonders sensibilisiert sind. Es geht uns um die Sachegenerell: Jenseits der ungleichen Behandlung von Bran-chen, aber auch von einzelnen Firmen durch Subventionenbedrückt uns vor allem die zunehmende Außerkraftset-zung des Preises und des Preismechanismus, den Funda-menten einer wettbewerblich orientierten Marktwirtschaft,durch den Staat. Die gesamtwirtschaftliche Koordinationder Konsum- und Investitionsentscheidungen wird ver-

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fälscht, die Funktionsfähigkeit der Marktwirtschaft unter-graben. Die von Staatseingriffen ausgehende, schleichen-de Unterminierung der Marktwirtschaft ist eins der viel zuwenig diskutierten Probleme am Standort Deutschland.

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Den Staat an die Kette legen –Gegen die Aushöhlung des Wettbe-werbs durch den Staat

Wernhard Möschel

I. Strukturprinzipien einermarktwirtschaftlichen Ordnung

Die Strukturprinzipien einer marktwirtschaftlichen Ord-nung lassen sich in Kategorien der Entscheidungstheorieverdeutlichen, nämlich nach Entscheidungsträger, Ent-scheidungsgegenstand und Entscheidungsverfahren.1

1. Entscheidungsträger, Entscheidungsgegenstand,Entscheidungsverfahren

Die Entscheidungsträgerschaften sind dezentral verteilt.Es agieren die einzelnen Marktteilnehmer, seien es natür-liche Personen, seien es juristische Personen. Es gibt kei-nen, wie auch immer legitimierten, zentralen Funktionszu-weiser von außen. Die Präferenzen der einzelnen entschei-den darüber, was für welche Zwecke zu welchen Kostenhergestellt werden soll. In Anlehnung an Schumpeterspricht man vom methodologischen Individualismus imGegensatz zu holistischen Vorstellungen, welche auf vor-weg definierte Gesamtzwecke einer Gesellschaft abhebenwollen.

Die Entscheidungsgegenstände sind grundsätzlich beliebi-ge. Das Tun des einzelnen ist weder nach Inhalt noch nach

1 Vgl. hierzu W. Möschel, Rechtsordnung zwischen Plan undMarkt, Tübingen 1975, S. 6 ff.

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Motivation vorwegbestimmt. Für einen Außenstehendenliegt immer Handeln in Ungewißheit des Einzelfalles vor.Der wissenschaftstheoretische Grund dafür liegt darin, daßman Freiheitspositionen aufheben würde, wollte man sieinhaltlich vorwegdefinieren.

Das Entscheidungsverfahren ist der Vertrag, die Willens-einigung zwischen den Beteiligten. Keiner kann dem an-deren etwas aufzwingen. Seine Zustimmung ist erforder-lich. Katallaxie, Tauschwirtschaft, schließt notwendig eineFriedensordnung mit ein.

Wie bei solchen Vorgaben kein Chaos entsteht, kein „Sau-haufen“, wie sich Franz Böhm einmal ausgedrückt hat,2

war bekanntlich das Erkenntnisinteresse der klassischenenglischen Nationalökonomie. Sie hat auch die grundsätz-liche Antwort gefunden, nämlich den Markt, jene sponta-ne Ordnung, in welcher die einzelnen dezentral ihr Ver-halten in Lieferung und Erhalt von Informationen in wech-selseitiger Anpassung ständig koordinieren.

2. Werturteile

Geht man von einer Beschreibung zu einer Empfehlungüber, also von einer positiven Theorie zu einer normati-ven, so werden unausweichlich Werturteile eingeführt.Diese sind offenzulegen. Hinter einem marktwirtschaftli-chen Konzept stehen im Kern vier Werturteile:3

– Eine solche Ordnung vermag ein Höchstmaß an wirt-schaftlicher Handlungsfreiheit zu gewährleisten, etwa

2 Vgl. H. H. Götz, Architekt der Freiheit, FrankfurterAllge-meine Zeitung Nr. 39 vom 15. Febr. 1975.

3 W. Möschel (Fn. 1), S. 13 ff.

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Vertragsfreiheit, Gewerbefreiheit, Investitionsfreiheit,Eigentumsrechte an unternehmensgebundenen Ressour-cen, Vereinigungsfreiheit. Ein zentral gesteuertes Wirt-schaftssystem dagegen ließe sich mit individuellen Frei-heitsrechten nicht vereinbaren; es würde zerbrechen undmuß sie deshalb ausschließen. Man spricht vom Frei-heitsargument.

– Eine dezentral und sich nichtautoritär im Markt koordi-nierende Wirtschaftsordnung führt zu ökonomischenErgebnissen, die allgemein als positiv bewertet werden.So steuert der Markt die Produktionsfaktoren innerhalbdes horizontalen und vertikalen Aufbaus der Produkti-on in ihre produktivsten Einsatzmöglichkeiten. Damitverbindet sich eine ständige Anpassung der Produktionan sich verändernde Nachfragestrukturen und Herstel-lungstechniken. Fehlinvestitionen werden dadurch be-grenzt. Die Zusammensetzung und Verteilung des An-gebots an Gütern jedweder Art richtet sich nach denKäuferpräferenzen und damit nach individuellen Be-dürfnissen. In einer stärker dynamischen Perspektiveerzwingt der Markt eine Induzierung und Entfaltung destechnischen Fortschritts bei Gütern wie Herstellungs-und Vertriebsmethoden. Man spricht insoweit vom Ef-fizienzargument. Als unverfänglicher Beobachter seiKarl Marx zitiert: „Erst sie (sc. die Bourgeoisie) hatbewiesen, was die Tätigkeit der Menschen zustandebringen kann. Sie hat ganz andere Wunderwerke voll-bracht als ägyptische Pyramiden, römische Wasserlei-tungen und gothische Kathedralen ... Die Bourgeoisiereißt durch die rasche Verbesserung aller Produktions-instrumente, durch die unendlich erleichterten Komm-

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unikationen alle, auch die barbarischsten Nationen indie Zivilisation.“4

– Eine Überantwortung wirtschaftlicher Austauschvorgän-ge in den Bereich der Gesellschaft vermag einen we-sentlichen Beitrag zu einer Art horizontalen Gewalten-teilung in einem Gemeinwesen zu geben. Die Chance,auf diese Weise ökonomische Macht zu dezentralisie-ren und mit den Mitteln des Rechts zu bändigen, isthöher, als wenn sich zentrale politische Macht und zen-tralisierte ökonomische Macht vereinigen. Man sprichtvom Demokratieargument. Die marxistische These, eineAkkumulation privater ökonomischer Macht führe zueiner verhängnisvollen Usurpierung politischer Macht,gilt nicht weniger für den Staat selbst. Es gibt in derGeschichte der Industriestaaten bis heute kein Beispieldafür, daß politische Macht, welche die Verfügung überdie Produktionsmittel einschließt, mit der politischenFreiheit der Bürger vereinbar ist.

– Schließlich werden auf diese Weise Konfliktlösungsme-chanismen zwischen den Individuen dezentralisiert. EinSystem inhaltlich konkretisierbarer subjektiver Rechte– das Eigentum ist dafür ein Beispiel – wird ermöglichtund zugleich abstrakt-genereller Regelung zugänglich.Dies bedeutet nicht nur eine Entlastung des Staates vonpermanentem Ad hoc-Dezisionismus, sondern bildet dieBasis des Rechtsstaates überhaupt. Zwischen marktwirt-schaftlicher Ordnung und Rechtsstaat besteht insoweiteine strukturelle Komplementarität. Man spricht vomRechtsstaatsargument.

4 K. Marx/F. Engels, Manifest der Kommunistischen Partei,Reclam Stuttgart 1969, S. 26, 28.

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Man gewinnt auf diese Weise einen Verankerungspunkt,ein Referenzsystem, an welchem sich Fehlentwicklungenund Korrekturvorschläge gleichermaßen messen lassen.Ausnahmen von diesem grundsätzlichen Ordnungsmusterbedürfen einer spezifischen, bei veränderten Bedingungenim Zeitablauf immer wieder zu überprüfenden Rechtferti-gung. Der Gedanke ist nur in anderen Worten prägnantauch im Gesamtkonzept 1990 für die Privatisierungs- undBeteiligungspolitik des Bundes ausgedrückt: „In der So-zialen Marktwirtschaft gebührt grundsätzlich privater In-itiative und privatem Eigentum Vorrang vor staatlicherZuständigkeit und staatlichem Eigentum (Subsidiaritäts-prinzip). Privates Eigentum und privatwirtschaftliche,durch Markt und Wettbewerb gesteuerte und kontrollierteunternehmerische Tätigkeit gewährleisten am besten wirt-schaftliche Freiheit, ökonomische Effizienz und Anpas-sung an sich verändernde Marktverhältnisse und damitWohlstand und soziale Sicherheit für die Bürger.“5

Solchem Denkansatz wird gelegentlich der Vorwurf derIdeologie gemacht. Exemplarisch ist eine Kritik an Vor-schlägen des Kronberger Kreises zur Deregulierung derArbeitsmärkte: „Damit ist eigentlich schon das ganze Ge-heimnis enthüllt: Es handelt sich um nicht weniger (bezie-hungsweise nicht mehr) als die beherzte Behauptung einesRegel-Ausnahme-Tatbestandes mit eingebauter Automa-tik zu Lasten der Gegenseite. Wer sich auf diese Zuwei-sung des Geländes einläßt, hat schon verloren, ehe dieSchlacht beginnt. Er ist auf der Rolle desjenigen festge-

5 Bundesministerium der Finanzen, Material für die Presse,Gesamtkonzept 1990 für die Privatisierungs- und Beteili-gungspolitik des Bundes, Bonn 28. Nov. 1990, S. 5.

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legt, der gegen Freiheit und Effizienz einen naturwidrigenZustand verteidigt – eine hoffnungslose Position.“6

Daran trifft zu, daß das Konzept auf durchaus offengeleg-ten Werturteilen beruht, welche ein marktwirtschaftlichesSystem insgesamt konstituieren: Freiheit, Wohlstand, Frie-den, Rechtsstaat. Sie werden regelmäßig auch von denKritikern nicht in Frage gestellt. Auf dieser Basis wird daspostulierte Regel-Ausnahme-Verhältnis zu einer bloßenFrage wertungsmäßiger Konsistenz. Bei Konsistenzfra-gen, die Fragen einer logischen Wahrheit sind, brauchtman sich noch nicht einmal über Inhalte zu streiten.

3. Begrenzte Staatsaufgaben

Es wäre fehlsam, aus diesem Denkansatz zu folgern, erdränge einen Staat notwendig in die Rolle eines Nacht-wächterstaates oder eines Minimalstaates, wie man heutegerne sagt. Ein Staat bleibt auch bei einer dezidiert markt-lichen Betrachtungsweise vielfältig und unverzichtbar ge-fordert.

a) Protektiver Staat

Am wichtigsten ist seine Rolle als protektiver Staat. Sieweist drei Facetten auf:

– Die erste betrifft sog. konstitutive Regulierungen, all-gemeine Spielregeln, ohne welche weder ein gedeihli-

6 M. Kittner, Zum Schutz der Schwachen. Die Deregulierungdes Arbeitsmarktes läuft auf eine Stärkung der Marktpositi-on der Arbeitgeber hinaus. Argumente aus Gewerkschafts-sicht, Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 98 vom 27. April1991, S. 13.

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ches Zusammenleben von Individuen noch marktlicheAustauschprozesse überhaupt möglich wären.7 Sie sindGegenstand der allgemeinen Rechtsordnung, des Eigen-tumsrechts, des Vertragsrechts, des Strafrechts usf. Auchsoziale Verhaltensmuster, etwa von der Art „honesty isbest policy“ spielen in diesem Zusammenhang eineüberragende Rolle. Regulierungen solcher Art liegenim Erkenntnisinteresse der modernen property rights-Theorie und der Transaktionskostenökonomie. Beidesverschmilzt mittlerweile in eine neue Institutionenöko-nomie.

– Die zweite Facette umfaßt die sog. speziellen Regulie-rungen. Hier geht es darum, durch positiv gestaltendeEingriffe Märkte überhaupt erst funktionsfähig zu ma-chen. Man hat es hier mit den tatsächlichen Funktions-bedingungen von Märkten zu tun. Man spricht vonMarktversagen. Die wichtigsten Sachverhalte sind diefolgenden drei:8 Bei natürlichen Monopolen kann diein einem Markt nachgefragte Menge von einem einzi-gen Anbieter zu niedrigeren Kosten produziert werdenals von jeder größeren Zahl von Unternehmen. Damithat man z.B. gesetzlich geschützte Alleinstellungenbeim Eisenbahnverkehr, bei den Netzen zur Nachrich-tenübermittlung und in der leitungsgebundenen Ener-gieversorgung rechtfertigen wollen. Mit ruinöser Kon-kurrenz werden umgekehrt Sachlagen beschrieben, daßes auf bestimmten Märkten zu viel Wettbewerb gäbe,der zur Verdrängung leistungsfähiger Anbieter und da-

7 Näher Deregulierungskommission, Marktöffnung und Wett-bewerb, Stuttgart 1991, Tz. 2 ff.

8 Dazu W. Möschel, Privatisierung, Deregulierung und Wett-bewerbsordnung, Juristenzeitung 43 (1988), S. 885, 891 ff.

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mit zur Verschwendung volkswirtschaftlicher Ressour-cen führe. Als eine Fallgruppe wird inverses Anbieter-verhalten genannt (Angebotssteigerung trotz Rückgangsder Preise). Dies spielt bei der Regulierung der Land-wirtschaft und der Märkte für Arbeitsleistungen eineRolle. Chronische Überkapazitäten aufgrund von Un-teilbarkeiten des Angebots sollen eine Regulierung derVerkehrsmärkte rechtfertigen. Ruinöse Konkurrenz auf-grund asymmetrischer Information mit den Konsequen-zen sog. adverse selection und moral hazard spielt imVersicherungs- und im Bankengewerbe eine Rolle. Auchstaatliche Zwangsversicherungssysteme (Rentenversi-cherung, Arbeitslosenversicherung, gesetzliche Kran-kenversicherung, staatliche Krankenhausversorgung)haben darin eine Wurzel. In Kategorien mangelnderVersicherungsfähigkeit läßt sich schließlich eine staat-liche Finanzierung von technischen Großprojekten(Weltraumforschung) oder von Grundlagenforschunganalysieren. Von externen Effekten spricht man, wennNachteile oder Vorteile für Dritte, die mit der Produkti-on oder dem Konsum eines Gutes verbunden sind, nichtin die Marktbeziehungen internalisiert werden. Bei ne-gativen externen Effekten entsteht Überproduktion, beipositiven Unterversorgung. Damit werden staatlicheMarktverhaltensregulierungen gerechtfertigt, für denersten Fall etwa Steuern, Gebote, Verbote, Auflagen –der Bereich des Umweltschutzes ist ein Beispiel –, imzweiten Fall etwa Subventionen.

– Die dritte Facette zielt auf eine stabilitätspolitische Ebe-ne. Dies meint die Frage, ob eine marktwirtschaftlicheOrdnung in dem Sinne instabil ist, daß es immer wie-der zu Ungleichgewichten kommt. Exogene Störungen,Störungen, die vom Geldkreislauf ausgehen, Folgen

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eines Nachfragemangels, Friktionen auf der Angebots-seite, kommen als Ursachen in Betracht. Keynesiani-sche Auffassungen bejahen dies bekanntlich im Gegen-satz zu ihren monetaristischen, stärker an Regelmecha-nismen orientierten Opponenten. Wer den Staat in derVerantwortung für Preisstabilität, Vollbeschäftigung,außenwirtschaftliches Gleichgewicht und angemesse-nes Wachstum sieht, öffnet die Tür zu ggf. weitreichen-den Eingriffen. Die Bandbreite reicht dabei von einermittelfristigen Verstetigung des Konjunkturprozessesdurch Globalsteuerung, im wesentlichen Mittel derGeld- und Fiskalpolitik, bis hin zu perfektionistischerFeinsteuerung.

b) Der distributive Staat

Regulierung unter dem Aspekt der Umverteilung ist nichtmit ökonomischem Marktversagen begründbar. Es han-delt sich vielmehr um eine Korrektur von Ergebnissen austatsächlichen oder vorgeblichen ethischen Gründen her-aus. Ein Marktsystem ohne jedes Umverteilungselementkönnte dazu führen, daß zwar die Katzen der Reichengenügend Milch haben, Kinder der Armen dabei aberverhungern (H. Giersch). Dies bedeutet indes nicht, daßethisch begründete Umverteilungsvorstellungen einer öko-nomischen Folgenanalyse entzogen wären. So sollte dasAllokationssystem der Märkte durch das Distributionssy-stem möglichst wenig beeinträchtigt werden. Dagegenwird immer verstoßen, wenn Preisregulierungen zumZwecke einer Einkommenssicherung erfolgen. Verbreitetist dies z.B. innerhalb der Landwirtschaft. Solche Fehlent-wicklungen stecken aber auch hinter nicht kostenorientier-ten Tarifen im noch monopolgeschützten Telefonverkehr(Umverteilung zwischen Stadt und Land, zwischen priva-

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ten und gewerblichen Nutzern, zwischen Nahbereich undFernbereich). Auch muß es für jede Umverteilung quanti-tative Grenzen geben, wenn die Leistungsfähigkeit desGesamtsystems nicht in Frage gestellt sein soll. Bismarcksprach von der Henne, welche die goldenen Eier lege unddie man nicht schlachten dürfe. Dies läßt sich formalverdeutlichen: Bei einem Abgabensatz von 0% ist dasAufkommen ebenso null wie bei einem solchen von 100%.Im letzteren Fall würde niemand mehr arbeiten. Dazwi-schen ist das Abgabenaufkommen positiv. Es muß einMaximum geben, einen Punkt, von dem ab höhere Abga-bensätze zu einem niedrigeren Aufkommen führen. Frühersprach man vom Swift’schen Steuereinmaleins, heute vonder sog. Laffer-Kurve. Man kann beides zusammen auchin eine Art Verhältnismäßigkeitsprinzip überführen: Daseingesetzte Mittel der Umverteilung muß zur Zielerrei-chung überhaupt geeignet sein, die ins Auge gefaßtenDestinatäre tatsächlich erreichen. Der getätigte Eingriffmüßte im Hinblick auf die Zielerreichung der geringst-mögliche sein, und der dabei insgesamt entstehende Scha-den darf nicht größer sein als der Nutzen, den die Umver-teilung stiften soll.

c) Der produzierende Staat

Ein solcher ist originär nur dann wirklich gefordert, wennes um die Bereitstellung, nicht notwendigerweise um dieHerstellung sog. öffentlicher Güter geht. Dies sind solcheGüter, „für die entweder die doppelte Bedingung erfülltist, daß der Gebrauch durch den einen nicht mit demGebrauch durch einen anderen rivalisiert und – deshalb –niemand vom Gebrauch ausgeschlossen werden soll (wassich nicht von selbst versteht), oder die einfache Bedin-gung, daß aus tatsächlichen Gründen ein Ausschluß vom

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Gebrauch unmöglich oder jedenfalls unwirtschaftlich ist.Solche „öffentlichen Güter“ werden tauschwirtschaftlichentweder gar nicht oder nur in unzureichendem Maßenachgefragt und angeboten.“9 Individuelle und kollektiveLogik decken sich nicht. Zu nennen sind etwa die Landes-verteidigung, die innere Sicherheit, wohl auch die Rechts-pflege, nicht zufällig klassische Aufgabenbereiche schondes liberalen Ordnungsstaates.

d) Gemeinsame methodische Begrenzungen

Soweit solche Staatstätigkeit mit Marktversagen gerecht-fertigt wird, sind durchweg methodische Begrenzungenmit zu bedenken. So ist Referenzsystem wohlfahrtsöko-nomischen Marktversagens das statische Modell vollkom-mener Konkurrenz. Es ist in der Realität nicht herstellbar.Jede Abweichung von diesem Modell als Marktunvoll-kommenheit und deshalb als Marktversagen zu qualifizie-ren, läuft darauf hinaus, das Leben auf diesem Globus mitdemjenigen in einem Paradies zu vergleichen. Man hatsolchen methodischen Zugang zu Recht als Nirwana-ap-proach verworfen. So kann man z.B. bei leitungsgebunde-nen Angeboten Modelle entwickeln, wonach bei gegebe-ner Technik und bei gegebenem Bedarf ein Monopolistam kostengünstigsten anbieten könnte. Unter der zusätzli-chen Voraussetzung der Instabilität eines solchen Mono-pols kann es dann sinnvoll erscheinen, dieses Unterneh-men vor Wettbewerb zu schützen. Ausgeblendet wird beieinem solchen Kalkül, ob das Monopolunternehmen dannnicht z.B. in internen Ineffizienzen versinkt. Keine Pro-

9 Deregulierungskommission (Fn. 7), Tz. 5,Kronberger Kreis, Privatisierung auch im Westen,Bad Homburg vdH 1993, Tz. 17.

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duktion ist bekanntlich leichter als die von Kosten. Diemaßlose personelle Überbesetzung sowohl bei der Deut-schen Bundesbahn als auch bei der Deutschen Bundes-post, dies gilt für den Telekommunikationsbereich ebensowie für die sog. gelbe Post, sind Beispiele dafür.

Ebenso illusionär erscheint auf der anderen Seite die Un-terstellung eines weisen oder doch jedenfalls neutralenGesetzgebers und einer professionell-technokratischen Ad-ministration. Auch hier handeln Menschen. Es gibt keinAnzeichen dafür, daß dies andere Menschen sind als jene,welche sich auf Märkten bewegen. Wie man dort von derbrauchbaren Hypothese ausgeht, der einzelne verfolge inerster Linie seine Eigeninteressen, so sehr gilt dies hier.Dann aber öffnet sich Staatstätigkeit unausweichlich derDummheit, der Korruption, der Vetternwirtschaft, Partei-strategien, dem Einfluß von Interessenverbänden und – inDemokratien – den Sachzwängen beim Wettbewerb umWählerstimmen. Gemessen an einem Idealzustand sindwir durchgehend mit Staatsversagen bzw. Regulierungs-versagen konfrontiert. Bei der Abwägung zwischen alter-nativen Ordnungsmustern ist diese Dimension in Rech-nung zu stellen (comparative institutional approach). Dar-an wird zugleich deutlich, daß Marktunvollkommenheitenbis hin zum technischen Marktversagen für sich alleinkein hinreichender Grund für eine Regulierung sind. Eskommt immer darauf an, ob ein insgesamt besseres Arran-gement zur Verfügung steht.

e) Schlußfolgerungen

Solche ordnungspolitische Reflexion hat insgesamt fol-genden Nutzen:

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– Sie ermöglicht eine Analyse des Konsequenzzusammen-hangs, der zwischen dem Wollen einzelner Ziele, z.B.ökonomischer Handlungsfreiheit, und anderen Zielenbesteht. Gleiches gilt auf der Ebene des Mitteleinsat-zes, wenn diesen Mitteln auch Zielqualität zukommt.Die dynamische Eigengesetzlichkeit solcher Sachver-halte wird als Problem erkennbar.

– Sie gestattet eine geschlossene Analyse von Funktions-bedingungen und eröffnet ein entsprechendes Potentialsachadäquater Reformbemühungen.

– Ein systematisches Verständnis einer Rechts- und Wirt-schaftsordnung wird konzipierbar und läßt sich für eineAuslegung einfacher Gesetze und der Verfassung frucht-bar machen. Ein Beispiel für letzteres ergibt sich, wennman den Staat von einem spezifischen Grundrechtsver-ständnis her für verpflichtet hält, Bedingungen zu ge-währleisten, unter denen verfassungsmäßig geschützteRechte auch gesellschaftlich funktionsfähig bleiben.

– Eine wissenschaftliche Diskussion von Funktionszusam-menhängen wird möglich, ohne daß gegenüber ver-meintlich nur ideologisch begründbaren oder nur poli-tisch entscheidbaren Standpunkten vorzeitig das Hand-tuch geworfen werden müßte.

– Eine ordnungsbezogene Betrachtungsweise ermöglichtdie Ableitung von Kriterien für die Entscheidung vonZiel- und Interessenkonflikten, ohne solche Entschei-dung damit im Einzelfall schon zwingend zu determi-nieren.

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– Neben die Verfassung mit ihrer absoluten Grenze fürdas rechtlich Machbare tritt eine Prüfungsebene unterdem Aspekt funktionaler Zweckmäßigkeit, ob Konfor-mität, Neutralität, Beeinträchtigung oder Zerstörung imHinblick auf einen gesetzten allgemeineren Ordnungs-rahmen gegeben sind.

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II. Der tatsächliche Befund imDeutschland des Jahres 1995

Der tatsächliche Befund in unserem Land ist gegenwärtigein völlig anderer.

1. Globale Kennziffern

Einige globale Kennziffern mögen ihn verdeutlichen. Sohat die Staatsabgabenquote, d.h. die Summe von Steuernund Sozialversicherungsbeiträgen in Prozent des Bruttoin-landprodukts, im Jahre 1994 mit rund 45% eine histori-sche Höchstmarke erreicht. Die Staatsausgabenquote, wel-che darüber hinaus noch die Kreditfinanzierung berück-sichtigt, hat die Schwelle von 50% des Bruttoinlandpro-duktes längst überschritten. Im Klartext heißt dies, nahezujede zweite erwirtschaftete Mark wird dem einzelnen ausder Tasche gezogen und läuft über öffentliche und parafis-kalische Kassen. Die Summe der Sozialleistungen liegtmittlerweile bei rund 1.000 Milliarden DM pro Jahr. Diesist die Größenordnung der gesamten Exportleistungen.Indikatoren für Mündigkeit und Selbstverantwortung deseinzelnen als den Grundwerten einer marktwirtschaftli-chen Ordnung sind dies wahrhaftig nicht. Allein mit denSonderbelastungen aus der Wiedervereinigung Deutsch-lands lassen sich diese historischen Höchstwerte nichtmehr begründen.

2. Spezifischer Befund und Wirkungsanalyse

Eine spezifische Betrachtung bestätigt diesen ersten Ein-druck. Drei besonders wichtige Aspekte seien dabei näherdiskutiert, die eigene Wirtschaftstätigkeit der öffentlichen

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Hand, das Subventionswesen bzw. -unwesen und schließ-lich protektionistische Elemente.

a) Eigene Wirtschaftstätigkeit der öffentlichen Hand

Bei der eigenen Wirtschaftstätigkeit der öffentlichen Hand,des Staates in seinen verschiedenen Erscheinungsformen,gilt es unter dem Aspekt einer Aushöhlung des Wettbe-werbs zu differenzieren.

aa) Im Kleide des Privatrechts

Nicht gemeint sind jene Fälle, in denen eine originäreStaatsaufgabe nur im Kleide des Privatrechts erfüllt wird.Ein Beispiel dafür ist etwa die Wahrnehmung der Luftver-kehrspolizei durch eine privatrechtliche GmbH, die sichzu 100% im Besitz des Bundes befindet und welche mitdieser Hoheitsaufgabe beliehen ist. Hier gibt es keinenMarkt, auf welchem Zutritte Privater und Wettbewerbmöglich wären. Die öffentliche Hand bleibt bei solcherFlucht in das Privatrecht nach ständiger Rechtsprechungan die Kompetenzvorschriften des öffentlichen Rechts wiean die Grundrechte gebunden. Der Zweck solcher Organi-sationsprivatisierung besteht regelmäßig darin, sich denengen Grenzen des Budgetrechts und der damit verbunde-nen parlamentarischen und öffentlichen Kontrolle zu ent-ziehen, namentlich den Starrheiten des öffentlichen Besol-dungsrechts auszuweichen. So war entscheidendes Motivin dem genannten Beispiel schlicht, den knapp geworde-nen Fluglotsen höhere Gehälter zahlen zu können. Einestrukturelle Anpassung innerhalb des Besoldungsrechtsfür den öffentlichen Dienst galt als unerwünscht. Manfürchtete Nachahmungsforderungen seitens anderer Be-amtengruppen wie etwa dem Polizeidienst.

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bb) Echtes natürliches Monopol

Nicht hierher gehören weiter Sachverhalte eines echtennatürlichen Monopols. Es kann auf technischen oder orga-nisatorischen Gründen beruhen. In solchen Fällen wirdSchutz vor Willkür des Monopolisten nötig (Schutz derAbnehmer vor Ausbeutung, Aufrechterhaltung einesDrucks in Richtung Kostensenkung beim Monopolanbie-ter).10 In bestimmten Fällen mag gar umgekehrt ein Schutzdes natürlichen Monopolisten vor Konkurrenz auf einemSegment des Gesamtmarktes angezeigt sein. Eine Regu-lierungsoption in solchen Fällen ist die Übernahme sol-chen Angebots in staatliche Wahrnehmung. Doch gibt esnur wenige Fälle, in denen das Vorliegen eines natürlichenMonopols wirklich unstreitig geblieben ist und noch weni-ger Fälle, in denen man tatsächlich einen Schutz des Mo-nopolisten vor Wettbewerb verlangen muß. Insbesonderegilt dies nicht mehr für den Telekommunikationsbereich.Aufgrund der technischen Entwicklung ist dort nicht nurim Fernverkehr, sondern mittlerweile auch im OrtsnetzWettbewerb möglich geworden.

Doch selbst im Falle eines wirklichen natürlichen Mono-pols ist die Zuweisung der Aufgabe an ein öffentlichesUnternehmen in aller Regel, gemessen an den genanntenRegulierungszielen, unverhältnismäßig und dann abzuleh-nen. So reicht für manche Formen natürlicher Monopoleder potentielle Wettbewerb, die Drohung des Marktzutrittsvon außen, als Kontrollinstrument völlig aus. Das allge-meine Kartellrecht bleibt ohnehin unberührt. Dies gilt etwafür spezielle Dienstleistungen auf lokalen Märkten. DerJargon spricht von contestable markets. In anderen Fällen,

10 Hierzu Kronberger Kreis, Privatisierung (Fn. 9), Tz. 19 ff.

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in denen ein Monopolist durch hohe irreversible Investi-tionen (sunk costs) vor Marktzutritten eher geschützt ist,ist die Option des Wettbewerbs um den Markt, wenn dennschon der Wettbewerb im Markt nicht funktionsfähig ist,vielfach ein geeigneter Weg (zeitlich befristete Konzes-sionierung). Beispiele sind die lokale Stromverteilung, deröffentliche Personennahverkehr. Wo auch dies ausschei-det, pflegt ein privates Angebot unter staatlicher Aufsichtdas weitaus überlegene Arrangement gegenüber der Alter-native eines öffentlichen Monopolunternehmens zu sein.Denn die letztere Gestaltung lädt sozusagen institutionellzum Mißbrauch ein. Spieler, Schiedsrichter, im weiterenSinne auch noch Regelaufsteller (Gesetzgeber) sind iden-tisch. Fiskalische Interessen schlagen nach aller Erfahrungdurch. In den Worten Franz Böhms: Öffentliche Monopol-unternehmen haben im Vergleich zu privaten obendreinein gutes Gewissen.11

cc) Wirtschaftstätigkeit auf offenen Märkten

Aushöhlungen des Wettbewerbs verbinden sich mit staat-licher Wirtschaftstätigkeit immer dann, wenn sich dieseauf grundsätzlich offenen Märkten im Wettbewerb zu Pri-vaten vollzieht. Hier ist schon konzeptionell ein Defektgegeben. Soll das Staatsunternehmen, gleichgültig ob ineiner öffentlichrechtlichen Organisationsform wie eineAnstalt oder in einer privatrechtlichen wie eine Aktienge-sellschaft oder eine GmbH, einen spezifischen öffentli-chen Auftrag verfolgen, z.B. Umverteilungsziele über einePreispolitik nach sozialen Gesichtspunkten, so erodiertsolcher Auftrag unter Bedingungen wirksamen Wettbe-

11 Zitiert nach K. Biedenkopf, Der Politiker Franz Böhm, inKonrad-Adenauer-Stiftung (Hrsg.), Franz Böhm. Beiträge zuLeben und Wirken, Melle 1980, S. 53, 56.

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werbs unausweichlich. Der öffentliche Auftrag verflüch-tigt sich. Der Sparkassensektor ist ein Beispiel für solcheEntwicklung. Ähnliches zeichnet sich für die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten innerhalb des sog. dualenSystems ab. Verhalten sich die öffentlichen Institute frei-lich nicht anders als private, so ist die staatliche Wirt-schaftspräsenz überflüssig. In den Worten der Bundesre-gierung:

– „Es ist nicht Aufgabe des Staates, dort unternehmerischtätig zu werden, wo private Initiative Aufgaben ebensogut und ohne Beeinträchtigung staatlicher Belange er-füllen kann.

– Es ist nicht Aufgabe des Staates, bei hoher Steuerlastund hoher Staatsverschuldung Substanzakkumulationenzu Lasten und anstelle des einzelnen Bürgers zu betrei-ben. Überall da, wo es möglich ist, muß in weitestge-hendem Umfang privates Eigentum an die Stelle desstaatlichen Eigentums treten.“12

Werden solche Unternehmen durch eine Mischung vonSubvention und Protektion geschützt, wozu auch Grauzo-nenmaßnahmen wie privilegierte Geschäftsbeziehungenmit öffentlichen Auftraggebern gehören können, so wirddas institutionelle Arrangement Markt nicht mehr nachseiner eigenen Logik als Problemlösungsverfahren ge-nutzt. Es kommt unausweichlich zu Verfälschungen desWettbewerbs. Die gebotene Lösung ist in solchen Fällendie Vorhaltung eines öffentlichen Spezialinstituts, wel-ches sich von den allgemeinen Märkten fernhält. Die Kre-ditanstalt für Wiederaufbau sei als Beispiel genannt.

12 AaO (Fn. 5), S. 6.

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Auf der Ebene des Bundes folgt man dieser Einsicht. Dortist es seit 1982 zu einer ebenso beharrlichen wie anerken-nenswerten Privatisierungspolitik gekommen. Dies gilt na-mentlich für den industriellen Beteiligungsbesitz des Bun-des. Bei den öffentlichen Großunternehmen Deutsche Bun-despost und Deutsche Bundesbahn mußten erst verfas-sungsrechtliche Hürden aus dem Weg geräumt werden(Art. 87 Grundgesetz). In anderen Fällen ergaben sichSchwierigkeiten aus einer spezifischen Regelung der Al-tersversorgung des vorhandenen Personals (LufthansaAG). Die unverändert bestehende Beteiligung an der Saar-bergwerke AG hängt mit der ungelösten Problematik derKohlepolitik zusammen.

Nahezu nichts bewegt sich dagegen auf der Ebene derLänder und der Kommunen. Dies betrifft namentlich denBankensektor, den Versicherungssektor und die Strom-versorgungswirtschaft. Eine EG-rechtlich veranlaßte Über-tragung einzelner landeseigener Gebäudebrandversiche-rungen blieb innerhalb des öffentlichen Sektors (Veräuße-rung an die Sparkassenorganisationen). Einzelne Bereini-gungen wie die Übertragung der Bayernwerk AG an dieViag AG bei gleichzeitiger Minderheitsbeteiligung desBundeslandes an diesem Unternehmen und Unterbringungweiterer Anteile bei „befreundeten“ Institutionen wie dieBayerische Vereinsbank und die Bayerische Hypotheken-und Wechselbank blieben Scheinprivatisierungen „à lafrançaise“. Gleichwohl sind sie als erster Schritt positiv zubewerten.

Besonders ärgerlich sind gegenläufige Entwicklungen imEnergie- und Bankensektor, welche mittelbar staatlicheWirtschaftstätigkeit stark ausdehnen. Hier sind in ersterLinie zu nennen die aggressive Diversifikationsstrategie

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des von öffentlichen Kommunen beherrschten Größtun-ternehmens RWE AG. Das Unternehmen macht völligrisikolos seine Gewinne im monopolgeschützten Strom-sektor und rollt damit weitere Märkte auf bis hin zumEinstieg in die Telekommunikation. Ähnliches gilt für dieRuhrkohle AG, die vornehmlich mit Mitteln aus der Stein-kohleförderung Unternehmen der Bergbaumaschinenin-dustrie aufkauft und dort den Wettbewerb “auf den Kopfstellt”. Problematisch ist ferner die Beteiligungspolitik derWestLB. Sie stellt sich auch als mittelbare staatliche Indu-strie- und Regionalpolitik außerhalb des Verfassungsrah-mens dar. Mit ihr verbinden sich Verzerrungen der Wett-bewerbsverhältnisse auf den Märkten der Beteiligungsun-ternehmen, namentlich im Sektor Maschinenbau. Kritischzu sehen ist weiter eine Expansion ursprünglich staatlicherSpezialinstitute wie der Baden-Württembergischen Lan-deskreditbank in das allgemeine Bankgeschäft. Wettbe-werbsverfälschungen beugt man dabei vermeintlich vordurch buchmäßige Trennungen des öffentlichen Förderge-schäfts und des allgemeinen Bankengeschäfts unter Vor-haltung rechtlich unselbständiger Anstalten unter einemgemeinsamen Dach und bei einheitlichem Bankenvor-stand. Dies bleiben trickreiche Scheinvorkehrungen desGesetzgebers. In ihnen manifestiert sich letztlich eine Hal-tung gegenüber dem allgemeinen politischen Publikum,die mit Verhöhnung eher noch moderat umschrieben ist.

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b) Subventionspolitik

Die weitaus gravierendste Aushöhlung des Wettbewerbsdurch den Staat verbindet sich mit einer ausgedehntenSubventionspolitik.13

aa) Begriff und Umfang

Ihr Ausmaß ist umstritten. Es hängt dies von der Definiti-on des Begriffs Subvention ab. Ein einheitliches Verständ-nis dafür gibt es nicht. So werden in der volkswirtschaftli-chen Gesamtrechnung des Statistischen Bundesamtes un-ter Subvention nur Zuschüsse subsumiert, die der Staat imRahmen der Wirtschafts- und Sozialpolitik an Unterneh-men gewährt und zwar nur für laufende Produktionszwek-ke (Stützung von Produktion und Einkommen oder Beein-flussung der Marktpreise). Nicht erfaßt werden anderelaufende Übertragungen an den Unternehmenssektor, In-vestitionszuschüsse, sonstige Vermögensübertragungenund Darlehensgewährungen. Empfänger wie private Haus-halte und Organisationen ohne Erwerbszweck bleiben au-ßer Betracht. Insbesondere werden nur Finanzhilfen er-faßt, mit Ausnahme der einbehaltenen Umsatzsteuer dage-gen keine Steuervergünstigungen, obwohl beide Instru-mente weitgehend austauschbar sind. Für das Jahr 1993wurde so ein Volumen von 63 Milliarden DM ermittelt.

In der Subventionsberichterstattung des Bundes wird derSubventionsbegriff weiter gefaßt. Insbesondere fallen auchdie Steuervergünstigungen zugunsten der Wirtschaft und

13 Eingehend Karl-Bräuer-Institut des Bundes der Steuerzah-ler, Subventionsabbau – gesetzliche Zwänge schaffen, Wies-baden 1995.

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bestimmte Hilfen an private Haushalte darunter. Auf dieseWeise wird für dasselbe Jahr mit 114 Milliarden DM einfast doppelt so hoher Betrag ermittelt.

Die an der sog. Strukturberichterstattung beteiligten Wirt-schaftsforschungsinstitute kommen für jenes Jahr auf ei-nen Betrag von Subventionen, der mit 216 Milliarden DMwiederum noch einmal fast doppelt so hoch ist. Sinn deshierbei zugrundegelegten Subventionsbegriffs ist, ob durchselektiv wirkende finanzpolitische Vergünstigungen desStaates die Wirtschaftsstruktur bzw. der Unternehmens-sektor beeinflußt wird. Namentlich rechnen die Wirt-schaftsforschungsinstitute eine Fülle von Transfers undSteuervergünstigungen zu den Subventionen, die im Sub-ventionsbericht der Bundesregierung mit der Begründungausgeklammert bleiben, es handele sich eher um allgemei-ne Staatsaufgaben als um besondere Zuwendungen. For-schungsförderung für marktfernere Bereiche, bestimmteHilfen im Verkehrs- und Kommunikationsbereich sowiealle Hilfen im Sektor Gesundheit und Bildung sind hier zunennen. Auf einer wiederum anderen Ebene bewegt mansich, wenn es um die Auslegung eines spezifischen Rechts-begriffes geht, wie etwa dem der Beihilfe nach Art. 92EG-Vertrag.

Die Unterschiede in der Definition erklären sich aus Un-terschieden im jeweils verfolgten Erkenntnisinteresse.Letzteres kann im Grundsatz beliebig sein. Fragt mannach dem Ausmaß einer Aushöhlung oder doch jedenfallsVerfälschung der Wettbewerbsverhältnisse durch finanz-politische Vergünstigungen, so wird man sich – im Ein-klang mit Art. 92 EG-Vertrag – in der Tendenz für einensehr weitreichenden Subventionsbegriff entscheiden: Ermüßte mit dem Erfordernis der Begünstigung einer Grup-

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pe oder bestimmter Unternehmen oder Produktionszweigeein gewisses Diskriminierungselement enthalten, und mitdem Erfordernis einer möglichen Verfälschung oder Aus-höhlung der Wettbewerbsverhältnisse nicht so sehr einfinanzwirtschaftliches Element als ein ordnungspoliti-sches. Soll ein solcher Subventionsbegriff Basis für einerechtliche Begrenzung nach Art des Art. 92 EG-Vertragbilden, so ist darauf Bedacht zu nehmen, daß er in judiziel-len Verfahren auch praktisch handhabbar und damit durch-setzbar bleibt. Dann könnte ggf. eine gewisse Grobschläch-tigkeit oder Holzschnittartigkeit in Kauf zu nehmen sein.

bb) Wirkungsanalyse

Bei einer Wirkungsanalyse seien drei Ebenen unterschie-den, Allokationsverzerrungen, ungünstige Wirkungen vonder Finanzierung her und Politikdefekte. Im Grundsatz istman sich hier weitgehend einig. So kann man etwa im9. Subventionsbericht der Bundesregierung zu den Nach-teilen und Gefahren des Subventionswesens folgendes le-sen:

– „Beeinträchtigung des marktwirtschaftlichen Steue-rungsprozesses über den Preis mit negativer Wirkungfür die Ressourcenallokation und den gesamtwirtschaft-lichen Produktivitätsfortschritt,

– Störung des Wettbewerbs und des Ausleseprozesses überden Markt zu Lasten derjenigen, die sich ohne staatli-che Hilfe am Markt behaupten müssen,

– Schwächung von Antriebskräften, Leistungsbereitschaftund Wille zur Selbsthilfe in den Unternehmen, wennbei wirtschaftlichen Schwierigkeiten mit Staatshilfe ge-rechnet wird,

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– falsche Weichenstellung für den Strukturwandel zu La-sten des wirtschaftlichen Wachstums,

– Verzerrungen der internationalen Wettbewerbsstrukturzum Nachteil anderer Länder und damit der weltweitenArbeitsteilung.“14

Man sieht, in der Proklamation ist die Politik sehr vielgrundsatztreuer als im praktischen Handeln.

aaa) Allokationsverzerrungen

Die Auswahl der zu subventionierenden Projekte ist einProblem.15 Denn die Suchfunktion des Marktes ist außerKraft gesetzt. Das Vertrauen auf die Weisheit von Beam-ten, in Deutschland meistens von Juristen, verlangt Mut.Von Hayek nannte dies in seiner Rede aus Anlaß derVerleihung des Nobelpreises eine „Anmaßung von Wis-sen“. Hitlisten, welche die Mikroelektronik, die Gentech-nologie u.ä. auflisten, kann man im übrigen im Reader’sDigest oder in der BILD-Zeitung nachlesen. Ein Vor-sprung im Wettbewerb läßt sich aufgrund solchen „Wis-sens“ nicht erzielen.

Verschwendung öffentlicher Mittel ist eine realistischeGefahr. Ein Staat muß sein Geld schließlich nicht beikritischen privaten Geldgebern einwerben, er treibt es überZwangsabgaben ein. Zitronen-Auslese, Bürokratiekosten,Auseinanderfallen von Entscheidungskompetenz und Haf-

14 9. Subventionsbericht der Bundesregierung, BT-Drucksache10/352 (1983), S. 5.

15 Zum folgenden mit Nachweisen W. Möschel, Innovations-politik als Ordnungspolitik, in C. Ott/H.B. Schäfer (Hrsg.),Ökonomische Analyse der rechtlichen Organisation von In-novationen, Tübingen 1994, S. 40, 45 ff.

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tung treten hinzu. Staatsbedienstete haben keine „incen-tives“. Sie tragen nicht die Verluste von Fehlentscheidun-gen. Sie konzentrieren sich auf „formal-korrekte“ Ent-scheidungen. Fehlerpotenzierung und Mitnahmeeffekte beiden Unternehmen sind weiter zu nennen. Eine effizienteKostenkontrolle ist kaum möglich. In aller Regel muß sichder Staat mit dem Nachweis zufriedengeben, daß Kostentatsächlich entstanden sind, unabhängig von jeder Sinnfäl-ligkeit. Auch damit hängt es zusammen, daß der Zielerrei-chungsgrad von Subventionen häufig sehr gering ist. Einschon klassisches Beispiel sind die Stützungsgelder in derLandwirtschaft. Man schätzt, nur ca. 25% der aufgewand-ten Mittel kommen bei den Bauern als den eigentlichenDestinatären an. Der Rest versickert auf dem Weg dorthin,etwa bei den Betreibern von Kühlhäusern oder bei russi-schen Verbrauchern, wenn Vorräte zu Schleuderpreisenabgebaut werden.

Soweit sich, wie schon aus Gründen der Mitteladministra-tion die Regel, die Förderung bei Großunternehmen sam-melt, bringt dies Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten klei-nerer und mittlerer Unternehmen mit sich. Staatliche Maß-nahmen dieser Art lösen eine Tendenz zu Unternehmens-konzentration aus. Eine unumgängliche Marktbereinigungvollzieht sich zudem nicht nach der Leistungsfähigkeit imWettbewerb. Ausschlaggebend wird vielmehr die Fähig-keit, öffentliche Geldquellen anzuzapfen. Der gängigeLehrsatz aus der Wettbewerbstheorie, ein jeder werde nachseiner Marktleistung entlohnt, wirkt vor diesem Hinter-grund seltsam unwirklich.

Wettbewerbsmindernde Subventionen gehen langfristigauch zu Lasten der geförderten Unternehmen selbst. DieKontrollfunktion des Marktes nimmt ab. Unternehmensin-

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terne Effizienzverluste sind die Folge. In Forschung undEntwicklung kann Initiative und Risikofreude abgelöstwerden durch Subventionsmentalität. Dies ließ sich etwabeobachten, als die Deutsche Bundespost noch über einaus ihrem Netzmonopol abgeleitetes Monopol in der Nach-frage nach Endgeräten verfügte. Für die „Hoflieferanten“des öffentlichen Größtunternehmens brachte das ein be-quemes Leben. Die Folge davon war, daß die Entwicklungmoderner Endgeräte an ihnen weitgehend vorbeiging underst in einem Kraftakt nachgeholt werden mußte. Das ersteschnurlose Telefon z.B., welches ein so traditionsreichesGroßunternehmen wie die Siemens AG anbot, war nichtsweiter als ein Toshiba-Gerät, welches man mit einem Wa-renzeichen von Siemens versehen hatte.

Unvermeidlich treten bei solcher Förderpolitik gesamt-wirtschaftliche Struktureffekte auf. Auch deren Kostensind bilanzierend in Rechnung zu stellen. So hat die staat-liche Förderung der Airbus-Produktion Tausende hoch-qualifizierter Techniker und Ingenieure in eine ganz be-stimmte Produktion gezogen. Was sie in anderen Verwen-dungen geleistet und damit gesamtwirtschaftlich erbrachthätten, bleibt notwendig unbekannt (Opportunitätskosten).Dieser Struktureffekt ist um so gravierender, je knappereine Ressource ist. Ein ähnlicher Effekt tritt ein, wennletztlich aus polit-ökonomischen Gründen Branchen oderBetriebe gefördert werden, denen die Vergangenheit ge-hört, aber nicht die Zukunft. Das wichtigste Beispiel inDeutschland ist die Förderung der hoffnungslos konkur-renzunfähigen Steinkohleproduktion. Eine Tonne Stein-kohle, die als ordinäres Massenprodukt über den halbenErdball von Australien nach Deutschland transportiertwird, kostet in Duisburg-Ruhrort ca. 70 DM, wohingegeneine Tonne aus inländischer Produktion mit rund 280 DM

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das Vierfache ausmacht. Konrad Seitz hat dazu einmalsarkastisch bemerkt, wenn man schon fördere, dann lieberComputerchips statt Kartoffelchips.16 Besonders wichtigund verbreitet: Wenn aus arbeitsmarktpolitischen Grün-den irgendwo in Deutschland durch Subventionen ein Ar-beitsplatz künstlich am Leben erhalten wird, so geht diesimmer zu Lasten eines Arbeitsplatzes an anderer Stelle,der dort entweder wegfällt oder nicht neu entsteht. Förde-rungen dieser Art haben in aller Regel den Charakter einesNullsummenspieles. Der Sachverständigenrat zur Begut-achtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung faßte die-sen Gedanken einmal treffend so zusammen: „Seit langemsind sich die Ökonomen einig und haben dies auch empi-risch untermauert, daß durch die deutsche Subventions-praxis im ganzen gesehen mehr Realeinkommen und Ar-beitsplätze in den nicht begünstigten Produktionen verlo-ren gehen als in den geschützten Unternehmen erhaltenwerden.“17 Insgesamt kann man die Wirkung dieser Allo-kationsverzerrungen auf Wirtschaftswachstum und Be-schäftigung kaum überschätzen.

bbb) Ungünstige Wirkungen von derFinanzierungsseite her

Hinzu treten ungünstige Wirkungen von der Finanzie-rungsseite her. Subventionen des oben dargestellten Um-fanges tragen wesentlich zu einem erhöhten Finanzbedarfder öffentlichen Hand bei. Soweit sie in der Form vonFinanzhilfen gewährt werden, führen diese zu Mehrausga-ben, im Falle von Steuervergünstigungen zu entsprechen-

16 Podiumsdiskussion in L. Gerken (Hrsg.), Europa 2000 –Perspektive Wohin?, Freiburg 1993, S. 192, 194.

17 Auf dem Wege zur wirtschaftlichen Einheit Deutschlands,Jahresgutachten 1990/91, Stuttgart 1990, Tz. 362.

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den Mindereinnahmen. Daraus resultieren letztlich Abga-benbelastungen einerseits und eine zu hohe Staatsverschul-dung andererseits. Es ist in der Sache unbestritten, daß daswirkungsvollste Wachstums- und Beschäftigungspro-gramm eine deutliche Reduzierung der Unternehmensbe-steuerung wäre. Nichts stimuliert Unternehmen mehr, neueProduktionschancen wahrzunehmen und die dabei unver-meidlichen Risiken in Kauf zu nehmen, als wenn sie guteGewinne machen und noch mehr erwarten können. Demsteht gegenwärtig politisch die Notwendigkeit einer Kon-solidierung der öffentlichen Haushalte entgegen, nicht zu-letzt eine Folge des Umstandes, daß die Sonderbelastun-gen aus der deutschen Wiedervereinigung eher auf demWege zusätzlicher Abgabenbelastung und wachsenderStaatsverschuldung als durch Minderausgaben, nament-lich Abbau von Subventionen, aufgefangen werden. DieseReformfalle wird in ihrer Wirkung noch verstärkt: Dieweitgehende Absorption der inländischen Ersparnisbil-dung durch die Kreditaufnahmen der öffentlichen Handverdrängt insoweit private Investitionen bzw. macht sieteurer, als sie sonst sein müßten. Auch die Verwaltung derSubventionen selbst verursacht beträchtliche Kosten. Ver-anschlagt man diese mit dem Bund der Steuerzahler annä-herungsweise auf rund 5% des Subventionsvolumens, soerreicht man je nach Abgrenzung des Subventionsbegrif-fes rasch eine Größenordnung von 5 - 10 Milliarden DMim Jahr.18 Zusatzausgaben solchen Umfangs sind keine zuvernachlässigenden Größen mehr. Volkswirtschaftlichwichtiger noch sind die Fehlleitungen, die sich aus derextremen Verkomplizierung der einschlägigen Rechtsma-terien ergeben. Dies gilt insbesondere für die verbreiteteGewährung von Subventionen in der Technik von Steuer-

18 AaO (Fn. 13), S. 45.

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vergünstigungen. Hier ist ein Dickicht entstanden, wel-ches auch Spezialisten nicht mehr verläßlich durchdringenkönnen. Die Kritik des Präsidenten des Bundesfinanzho-fes im Zusammenhang der Wohnungsbauförderung, erfürchte, § 10 e des Einkommensteuergesetzes werde vonnur 10 Leuten in Deutschland wirklich verstanden, sprichtinsoweit Bände.19 Verkomplizierungen dieser Art wirkenals Vollbeschäftigungsprogramm für Steuerberater undWirtschaftsprüfer. Gesamtwirtschaftlich gesehen, handeltes sich dabei um fehlgeleitete Aufwendungen, die nurdeshalb richtig sind, weil sie unter Bedingungen im übri-gen falscher Politik erfolgen.

ccc) Politikdefekte

Zu den an der Allokationseffizienz von Märkten und ander Finanzierungsseite ausgerichteten Bedenken tritt dieGefahr von Politikdefekten. Entgegen den oben darge-stellten Strukturprinzipien einer marktwirtschaftlichenOrdnung führen Subventionen und die damit verbundenenpolitischen Einfluß- und Steuerungsmöglichkeiten zu ei-ner Ausdehnung des staatlichen Korridors. Es kommtleicht zu einer Verfilzung zwischen Auftraggebern undAuftragnehmern. Ist die Bindung so eng wie bei eineröffentlichen Unternehmensträgerschaft, so pflegt die Auf-rechterhaltung des Status quo, Reformstillstand die Folgezu sein. Nur so läßt sich politikökonomisch erklären, daßDeutschland in den Sektoren Telekommunikation undBahnwesen bis heute letztlich nur Trippelschritte unter-nommen hat und dies nicht so sehr aus besserer Einsicht

19 Siehe „Offerhaus: Ausnahmen bei der Einkommensteuerstreichen“. Bericht zur Pressekonferenz des Präsidenten desBundesfinanzhofes, Handelsblatt Nr. 15 vom 20. Jan. 1995,S. 3.

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als in Reaktion auf einen nicht aufhaltbaren Reformdruckseitens des europäischen Gemeinschaftsrechts. Im Sektorder leitungsgebundenen Energieversorgung verharrt mannicht zuletzt aus diesem Grunde ordnungspolitisch beimStande des Jahres 1935. Subventionen eröffnen weiterHandlungschancen für rent seeking groups. Die quantita-tiv gewichtigsten Beispiele sind die Landwirtschaft unddie Kohleindustrie. Beim Kampf um Wählerstimmenkommt es unvermeidlich zu einem Subventionswettlaufzwischen politischen Entscheidungsträgern. So wirddurchaus folgerichtig die deutsche Kohlesubventionierungvon „revierfernen“ CDU/CSU-Politikern bekämpft (Teu-fel, Stoiber), die Vertreter der Union in den KohleländernNordrhein-Westfalen und Saarland sehen das ganz anders.Selbst ein so sachkundiger und prinzipienfester Ministerwie der frühere Bundesumwelt- und jetzige Bundesbaumi-nister Töpfer konnte sich als Spitzenkandidat der CDU desSaarlandes dem nicht entziehen. Die überraschende Ein-beziehung West-Berlins in die Gemeinschaftsaufgabe zumAufbau der neuen Länder im April 1995 erklärt sich imwesentlichen daraus, daß der BundeswirtschaftsministerRexrodt als Vertreter des FDP-Landesverbandes Berlindort seine Klientel weiß. Hinzu treten Beharrungs- undAusweitungstendenzen bei Subventionen. Sie werden inaller Regel zum unantastbaren Besitzstand, selbst wennsich dafür auch nicht ein Hauch von Logik mehr entdek-ken läßt. So wurde die aus dem Bundeshaushalt zu zahlen-de Bergmannsprämie einst eingeführt, als es einen Mangelan Kohle und den zu ihrer Förderung nötigen Facharbei-tern gab. Heute unter völlig gewandelten wirtschaftlichenVerhältnissen wagt niemand, an der Sinnfälligkeit solcherSonderzuwendung zu rütteln. Sie ist politisch zum Tabugeworden. Ganz generell gilt, daß es dem Staat, der imUnterschied zu Unternehmen nicht unter dem Überlebens-

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druck des Wettbewerbs steht, besonders schwerfällt, eineinmal begonnenes Projekt abzubrechen. Er wird sofortmit sozialpolitischen oder regionalpolitischen Einwändenkonfrontiert.

cc) Rechtfertigungsmöglichkeiten

Das Bild bliebe unvollständig, wenn nicht auf denkbareRechtfertigungsmöglichkeiten für Subventionen hingewie-sen würde.20

aaa) Strukturwandel

Eine erste Gruppe solcher Rechtfertigungsmöglichkeitenhat mit den belastenden Wirkungen aus dem wirtschaftli-chen Strukturwandel zu tun. Er kann durch Subventionverlangsamt, sozialpolitisch abgefedert werden. Doch soll-te dies primär Aufgabe der Sozialpolitik sein. Subjektför-derung ist allemal preiswerter als Objektförderung. Häufigfindet sich eine Rechnung, wenn Wirtschaftssubventionenniedriger seien als die Beträge, welche andernfalls an dieArbeitslosen zu zahlen seien, lohne es sich allemal, aufDauer zu subventionieren. Dies bleibt eine Milchmäd-chenrechnung. Nimmt man sie wirklich ernst, liefe sie aufeine Beschäftigungsgarantie hinaus. Weitere Unterneh-men und ganze Branchen müßten subventioniert werden.Der Strukturwandel könnte in einem ölfleckartigen Prozeßtendenziell zum Erliegen kommen.

Subventionen können den Wandel in der Produktions-struktur erleichtern, namentlich wenn im Ausland zu sehr

20 Überblick in HWWA (Hrsg.), Analyse der Subventionspoli-tik, Hamburg 1984, S. 77 ff. (A. Gutowski)

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viel niedrigeren Kosten produziert werden kann. Auchdies würde über eine Verzerrung der internationalen Ar-beitsteilung gesamtwirtschaftlich letztlich nur Schaden an-richten. Vertretbar sind allenfalls begrenzte Anpassungs-hilfen, wenn sich solcher Strukturwandel abrupt vollzieht.Die schockartige Öffnung der früheren DDR-Märkte ge-genüber der Weltwirtschaft im Gefolge erst der Wirt-schafts- und Währungsunion, dann der deutschen Wieder-vereinigung ist ein Beispiel dieser Art. Ein ähnlicher Ge-danke kommt in Art. 92 Abs. 2 lit. b) EG-Vertrag zumAusdruck, wenn es dort heißt, mit dem gemeinsamenMarkt vereinbar seien Beihilfen zur Beseitigung von Schä-den, die durch Naturkatastrophen oder sonstige außerge-wöhnliche Ereignisse entstanden sind.

Subventionen können schließlich dazu dienen, den Auf-bau neuer Wirtschaftszweige zu fördern. Hier kommeninfant industry-Überlegungen ins Spiel, die Erzielung po-sitiver externer Erträge und Abwehrsubventionen, seiensie gegen Subventionen anderwärts, seien sie zur Bekämp-fung vorhandener Monopolstellungen gerichtet. Man kannhier theoretisch Szenarien bilden, in denen Subventionengesamtwirtschaftlich Sinn machen; die Praxis ist in allerRegel – aus den im vorangegangenen Abschnitt genanntenGründen heraus – eine völlig andere. Insbesondere ließensich so nur zeitlich begrenzte und degressiv ausgestalteteSubventionen rechtfertigen. Auch müßten Transparenzund Kontrolle im Verfahren gewährleistet sein.

bbb) Meritorische Güter

Echte Zielkonflikte können dagegen bei der Vorhaltungmeritorischer Güter entstehen: An die Stelle der Konsu-mentenentscheidung, wie sie sich aus dem Marktprozeß

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ergibt, tritt eine politische Entscheidung über die besonde-re „Verdienstwürdigkeit“ einzelner Güter. Autarkie, etwaim Bereich militärischer Basisproduktion, mag dafür einBeispiel sein. Das meritorische Element in solchen Fällenist die Folge eines politischen Werturteiles und kann mitökonomischen Argumenten allein nicht beiseite gescho-ben werden. Solche „Subventionen“ lassen sich auch alsstaatlicher Kaufpreis für das erwünschte und im freienMarkt so nicht zustande kommende Angebot begreifen.Eine Förderung kann dann, abhängig vom zugrundelie-genden Werturteil und im Unterschied zu Subventionenim Zusammenhang des Strukturwandels, auf Dauer ange-legt sein.

Ökonomische Analyse vermag freilich zu zeigen, ob dasöffentliche Bedürfnis mit dem niedrigstmöglichen Auf-wand erreicht wird. Vielfach läßt es sich auch im Marktbefriedigen, so daß jede Notwendigkeit zu einer Subven-tionierung entfällt. Ein Beispiel ist der geltend gemachteAspekt der Versorgungssicherheit, die Aufrechterhaltungeiner heimischen Energiereserve im Zusammenhang derSteinkohlesubventionierung. Dieses Produkt gibt es welt-weit im Überfluß. Seine Förderstätten sind stark gestreut.Zahlreiche finden sich in politisch stabilen Regionen(USA, Kanada usf.). Andere befinden sich unmittelbar vorder Haustür (Großbritannien, Polen). Auch während derbeiden Ölpreiskrisen ist es hier nicht zu Verknappungser-scheinungen gekommen. Mit anderen Worten: Das gel-tend gemachte meritorische Gut ist nichts weiter als einVorwand. Worum es geht, sind regional- und sozialpoliti-sche Interessen, welche im power play der gesellschaftli-chen Gruppen verfolgt werden. In weiten Bereichen ähn-lich, wenn auch nicht zur Gänze identisch, ist die Sachlageinnerhalb der Landwirtschaft.

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c) Außenwirtschaftliche Protektion

Eine Aushöhlung des Wettbewerbs durch den Staat ver-bindet sich weiter mit Maßnahmen außenwirtschaftlicherProtektion, namentlich was den grenzüberschreitendenVerkehr mit Gütern anbelangt. Angesichts der primärenZuständigkeit der Europäischen Union für den BereichAußenhandel stellt sich die Problematik eher auf ihrerEbene. Hinzu treten internationale Vereinbarungen(GATT, GATS, OECD). Subventionen und protektionisti-sche Maßnahmen wie Zölle oder gar Kontingentierungensind in einzelnen Beziehungen Substitute, so daß die imZusammenhang der Subventionspolitik erörterten Vorbe-halte im wesentlichen auch hier Geltung beanspruchen.Näher einzugehen ist aber auf einen spezifischen Denkan-satz, dem in jüngster Zeit zunächst wissenschaftliches unddann auch politisches Momentum zugewachsen ist. InRede steht die Theorie der strategischen Handelspolitik.21

Die Wirtschaftstätigkeit in einem Land wird als ein Konti-nuum in der Zeit verstanden. Verliert man am unterenEnde Standortvorteile gegenüber nachdrängenden Kon-kurrenten, ist es Aufgabe einer defensiven Handelspolitik,die strukturellen Anpassungsprozesse zu erleichtern („tobuy time“). Am anderen Ende ist es Aufgabe einer aggres-siven Handelspolitik, im zukunftsorientierten Hochtech-nologiebereich durch staatliche Maßnahmen künstlichekomparative Standortvorteile zu schaffen („created com-parative advantages“). Anders als zur Zeit David Ricardosseien angesichts schnell voranschreitenden und leichttransferierbaren technischen Wissens heute nicht mehr na-türliche Ressourcen und Lagevorteile entscheidend, son-

21 Überblick in Monopolkommission, Hauptgutachten 1990/1991, Wettbewerbspolitik oder Industriepolitik, Baden-Ba-den 1992, Tz. 1021 ff.

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dern Größenvorteile bei Forschung und Entwicklung wiebei der Produktion („economies of scale“) und sog. Lern-effekte. Letztere sind Produktivitätsgewinne aus den Er-fahrungen, die man in der Fertigung selbst sammelt. Sol-che Industrien seien Anwendungsfeld einer selektivenstaatlichen Unterstützungspolitik. Aus der Schaffung mo-nopolistischer Positionen („rent creation“) oder aus dernachträglichen Teilhabe daran („rent shifting“) lassen sichso Wohlfahrtsgewinne für ein Land erzielen.

Der entscheidende Einwand gegen diesen Denkansatz liegtin einer völlig realitätsfernen Bedingungsannahme, näm-lich daß andere Staaten auf solche Politik nicht reagieren,nicht zu Nachahmungs- oder Vergeltungsmaßnahmenübergehen würden. Das Gegenteil ist wahrscheinlich.Denn die Gewinne, die eine solche Politik den Unterneh-men eines Landes bringt, sollen zu Lasten der Gewinneausländischer Konkurrenten gehen. Es wird zu einem Sub-ventions- und/oder Protektionswettlauf der beteiligtenStaaten kommen. Der Wettbewerb der Unternehmen gehtüber in einen Wettbewerb der Staaten. Die Philosophiedes GATT, die trotz aller Unvollkommenheiten entschei-dend zu jenem beispiellosen Wachstum des internationa-len Handels in der Nachkriegszeit beigetragen hat, würdein ihrem Kern getroffen. Man manövriert sich überdies indie Situation eines Gefangenendilemmas hinein: Alle amWettlauf um strategische Märkte beteiligten Staaten ste-hen sich im Ergebnis schlechter. Von sich aus ist jedochkeine Regierung bereit, als einzige ihre Förder- undSchutzpolitik einzustellen. In ein solches „Gefängnis“ gehtman besser erst gar nicht hinein. Für ein Land wie dieBundesrepublik Deutschland, welches auf einen freien Au-ßenhandel existentiell angewiesen ist, kann dies wahrhaf-tig keine Perspektive sein.

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Ein kurzes Fazit all dieser Überlegungen lautet so: Für dievielfältigen Aushöhlungen des Wettbewerbs durch denStaat zahlen wir alle, gemessen an den Strukturprinzipieneiner marktwirtschaftlichen Ordnung, einen hohen Preis.Er besteht aus Freiheits- und Wohlstandsverlusten zu-gleich. Diese lassen sich nicht exakt beziffern. Die Ergeb-nisse des Alternativmodells Wettbewerb sind im Konkre-ten unbekannt. Ein Vergleich mag plausibel machen, daßdie Verluste immens sind: Wenn der Großraum Stuttgartüber die vierzig Jahre von 1949 bis 1989 so unendlichmehr prosperierte als der Großraum Leipzig, so lag diesnicht daran, daß hier Schwaben wohnen und dort Sachsen,sondern ausschließlich an den Unterschieden in den ord-nungspolitischen Rahmenbedingungen.

Die Bundesrepublik Deutschland kann solche Defiziteauch nicht mehr mit Gleichmut beobachten. Das wettbe-werbliche Umfeld des Landes hat sich dramatisch verän-dert. Die früher eher als selbstverständlich wahrgenomme-ne technologische Überlegenheit der westlichen Industrie-staaten hat sich verflüchtigt. Sie muß jeden Tag aufs neuein hartem internationalen Wettbewerb erkämpft werden.Nicht nur unmittelbar kostenwirksame Standortvorteilewie etwa ein niedrigeres Lohnniveau, sondern auch ord-nungspolitisch überlegene institutionelle Rahmenbedin-gungen strömen jedenfalls bei den tradable goods in Formvon wettbewerblich überlegenen Produkten in dieses Land.Gleiches vollzieht sich auf Drittmärkten, in welchen diedeutsche Exportindustrie konkurriert. Anpassungsprozes-se werden unausweichlich werden. Verschleppt man sieund werden sie erst aufgrund pathologischen Lernensdurchsetzbar, so ist dies ein besonders teurer Weg. Recht-zeitige Vorsorge ist immer besser, als wenn man das Kindzunächst in den Brunnen fallen läßt.

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III. Der rechtliche Befund

Zu unterscheiden sind Rechtsgrundlagen auf der Ebeneausschließlich inländischen Rechts und auf der Ebene eu-ropäischen Gemeinschaftsrechts.

1. Zum deutschen Recht

Hier herrscht im grundsätzlichen ein ausgedehnter Streit.Die praktischen Ergebnisse, zu denen die Rechtsprechunggelangt, haben sich indes weitgehend stabilisiert.22 Siegehen in die Richtung, daß es gegen eine Aushöhlung desWettbewerbs durch eigene Wirtschaftstätigkeit des Staa-tes oder durch Subventionen keine effektiv greifendenBegrenzungen gibt.

a) Wirtschaftstätigkeit der öffentlichen Hand

Grenzen von Verfassungs wegen gibt es nur in Spurenele-menten. Die allgemeine Meinung fordert zwar, daß einewirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand wie jedestaatliche Tätigkeit einem öffentlichen Interesse dienenmuß. Die Anforderungen an die Ausfüllung dieses extremunbestimmten Rechtsbegriffs sind freilich so gering, daßsie regelmäßig dargetan werden können. Das Betreibenvon Gaststätten gehört ebenso hierher („Ratskeller“) wiedie Aufnahme einer Immobilienmaklertätigkeit.

Die Auffassung, aus der verfassungsrechtlichen Gewähr-leistung wirtschaftlich erheblicher Freiheitsrechte (Art. 2Abs. 1 Grundgesetz: Allgemeine Handlungsfreiheit,

22 Vgl. etwa VGH Mannheim, Neue Juristische Wochenschrift48 (1995), S. 274 ff. mwN.

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Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz: Freiheit der Berufswahl undBerufsausübung, Art. 14 Abs. 1 Grundgesetz: Gewährlei-stung des Eigentums) folge zugleich eine Art wirtschaftli-che Kompetenzverteilung zwischen öffentlicher Hand undprivater Gesellschaft, hat sich als striktes Verfassungs-prinzip – es entspräche dann einem Subsidiaritätsprinzip –nicht durchsetzen lassen. Daraus abgeleitete Grenzen wer-den erst im Extremfall erheblich. Die Rechtsprechung ver-wendet die etwas schwammige Formel, „wenn die Wett-bewerbsfreiheit des Handels in unerträglichem Maße ein-geschränkt wird, eine Auszehrung der Konkurrenz vor-liegt oder eine Monopolstellung der öffentlichen Handbesteht.“23 Wortreich wird damit ein Sachverhalt beschrie-ben, der mit Monopolisierung seitens der öffentlichenHand oder Verdrängungswettbewerb zu Lasten Privaterpräziser gekennzeichnet ist.

Spezielle Begrenzungen für die wirtschaftliche Betätigungder öffentlichen Hand finden sich in den Haushaltsordnun-gen des Bundes wie der Länder und den – der DeutschenGemeindeordnung nachgebildeten – Gemeindeordnungenund Landkreisordnungen. Bei Unterschieden im einzelnengehen sie insgesamt dahin, es müsse ein wichtiges öffent-liches Interesse vorliegen, und der angestrebte Zweck dür-fe sich nicht besser und wirtschaftlicher auf andere Weiseerreichen lassen. Die praktische Wirkung ist überaus be-scheiden. Den beteiligten Hoheitsträgern ist ein weitrei-chender Beurteilungsspielraum eingeräumt. Insbesondereliegt der primäre Zweck dieser Regelungen darin, die öf-fentliche Hand vor finanziellen Abenteuern zu bewahren.Es geht nicht um eine sich ordnungspolitisch definierende

23 Grundlegend Bundesverwaltungsgericht, BVerwGE 39,329 ff.

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Nachrangigkeit öffentlicher Wirtschaftstätigkeit. In sol-chen Sachlagen wird zwar eine sog. Fiskusabwehrklagevor den Verwaltungsgerichten möglich. Sie bleibt aberregelmäßig unbegründet.

Keine nachhaltige Begrenzung ergibt sich schließlich ausder Anwendung der Wettbewerbsgesetze, des Gesetzesgegen unlauteren Wettbewerb (UWG) und des Gesetzesgegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB).24 Hier hat eszwar in der jüngeren Rechtsprechung insofern eine wichti-ge Entwicklung gegeben, als die Qualifizierung einer Maß-nahme als öffentlichrechtlich diese noch nicht der An-wendbarkeit von UWG und GWB entzieht, wenn die öf-fentliche Hand dabei sich in ein Wettbewerbsverhältnis zuprivaten Mitbewerbern begibt. Der Aufruf einer Ärzte-kammer, einer Körperschaft öffentlichen Rechts, an dieangeschlossenen Ärzte – schlichtes Verwaltungshandeln–, Angebote seitens privater Laborunternehmen zu boy-kottieren, unterfällt sowohl dem UWG wie dem GWB.Doch läßt sich mit diesen Rechtsgrundlagen grundsätzlichnur das „Wie“ öffentlicher Wirtschaftstätigkeit kontrollie-ren, nicht das „Ob“. Dies ist nur dann anders, wenn dieTätigkeit der öffentlichen Hand sozusagen strukturell be-reits gegen die Wettbewerbsgesetze verstößt und damitnur insgesamt untersagt werden kann. Solche Sachverhal-te sind selten. Ein Beispiel ist die bekannte Brillenselbst-abgabe-Entscheidung des Bundesgerichtshofs.25 Er sah ei-nen Verstoß gegen § 1 UWG, als Allgemeine Ortskran-

24 Überblick bei O.F. Frh. von Gamm, Verfassungs- und wett-bewerbsrechtliche Grenzen des Wettbewerbs der öffentlichenHand, Wettbewerb in Recht und Praxis 30 (1984), S. 303 -309.

25 BGHZ 82, 375, 395 ff. Brillen-Selbstabgabestellen.

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kenkassen dazu übergingen, Brillen über eigene Vertriebs-stellen außerhalb des Optikergewerbes zu liefern, und da-mit einen selbständigen Berufsstand weitgehend zu ver-drängen drohten. Hier wurde bereits das „Ob“ öffentlicherWirtschaftstätigkeit unterbunden. Diese Entscheidung si-gnalisierte indes keinen grundsätzlichen Fortschritt, siehielt sich in der Nachbarschaft einer überkommenen, wennin den Grenzen auch durchaus umstrittenen Sachverhalts-gruppe, die man mit dem Stichwort „Marktstörung“ kenn-zeichnet.

b) Subventionskontrolle

Bei der Subventionskontrolle sieht es nach deutschemRecht nicht besser aus.26 Über Subventionen wird, wenig-stens im ersten Schritt, regelmäßig in einem Verwaltungs-akt entschieden. Wie jeder Hoheitsakt muß er den Kompe-tenzvorschriften und den Legitimationsgrundlagen hoheit-lichen Handelns entsprechen. Im Ergebnis verlangt dieherrschende Praxis dafür nicht ein spezifisches Gesetz alsErmächtigungsgrundlage. Dies gilt nur für die klassischenbelastenden „Eingriffe in Freiheit und Eigentum.“ Sie läßteine ganz allgemeine Grundlage, wie sie die Einstellungsolcher Mittel in ein Haushaltsgesetz oder – auf Gemein-deebene – in einen im Wege der Satzung verabschiedetenHaushaltsplan darstellt, genügen. Der Ermessensspielraumder Vergabestellen pflegt entsprechend groß zu sein. Sol-che Verwaltungsakte können von Dritten, auch von Kon-kurrenten der begünstigten Empfänger, angefochten wer-den. Man spricht auch von Begünstigungsabwehrklagen.

26 Umfassend A. Bleckmann, Ordnungsrahmen für das Rechtder Subventionen. Gutachten D zum 55. Deutschen Juristen-tag, München 1984.

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Aus materiell-rechtlichen Gründen haben sie in aller Re-gel wenig Aussicht auf Erfolg. Wettbewerbliche Aspektewerden erst in Extremlagen erheblich, etwa wenn sichdamit eine enteignungsgleiche Verdrängung eines Kon-kurrenten aus dem Markt verbindet.

2. Zum europäischen Gemeinschaftsrecht

Das europäische Gemeinschaftsrecht errichtet demgegen-über sehr viel engere Grenzen sowohl für die Wirtschafts-tätigkeit des Staates als auch für die Beihilfepolitik derMitgliedstaaten. Nicht zu Unrecht spricht man davon, „daßdie Gemeinschaft über die am stärksten marktwirtschaft-lich orientierte Verfassung der Welt verfügt.“27 Vorbehal-te ergeben sich freilich daraus, daß ein Eingreifen desGemeinschaftsrechts in der Regel einen Bezug auf denzwischenstaatlichen Wirtschaftsverkehr voraussetzt. Mitzunehmender Verfestigung des Binnenmarktes mag dieseSchwelle in der Zukunft immer leichter erreicht sein. Da-neben bleibt auch innerhalb der Wirtschaftsverfassung derEG ein Spannungsverhältnis, welches sich aus der Aus-richtung auf „eine offene Marktwirtschaft mit freiem Wett-bewerb“ einerseits und der Gewährleistung der Eigen-tumsordnung in den verschiedenen Mitgliedstaaten ande-rerseits ergibt (Art. 222 EG-Vertrag: Dieser Vertrag läßtdie Eigentumsordnungen in den verschiedenen Mitglied-staaten unberührt). Damit hing zusammen, daß z.B. dieverschiedenen Verstaatlichungsmaßnahmen, welche inFrankreich zu Beginn der 80er Jahre durchgeführt wurden,EG-rechtlich nicht beanstandet wurden.

27 So C.D. Ehlermann, Der Beitrag der Wettbewerbspolitik zumEuropäischen Binnenmarkt, Wirtschaft und Wettbewerb 42(1992), S.5, 15

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a) Der Staat als Unternehmer

Dennoch bestehen vielfältige Einschränkungen für die un-ternehmerische Tätigkeit des Staates.28 Zu nennen ist zu-nächst das Umformungsgebot für die staatlichen Handels-monopole in Art. 37 EG-Vertrag. Wirtschaftlich machensolche dann keinen Sinn mehr. In Deutschland waren sol-che Sachverhalte ohnehin kein verbreitetes Phänomen (dasfrühere Zündwarenmonopol, das Branntweinmonopol).Auf einem anderen Blatt steht, daß diese Regelungen ineinzelnen Mitgliedstaaten mithilfe anderer Mechanismenteilweise unterlaufen wurden, etwa bei der faktischen Auf-rechterhaltung des französischen Tabakmonopols.

Hinzu treten Rechtswirkungen aus der Gewährleistung dervier Grundfreiheiten, der Freiheit des Waren-, des Dienst-leistungs-, des Personen-, des Kapitalverkehrs. Einschrän-kungen sind dabei nur möglich, wenn sie den berühmten„exigences impératives“ entsprechen, zwingenden Grün-den des gemeinen Wohls. Noch nicht abschließend geklärtist dabei die Behandlung staatlich gewährleisteter Produk-tionsmonopole. Die Frage berührt primär das Niederlas-sungsrecht nach Art. 52 EG-Vertrag und wird namentlichim Sektor Elektrizitätswirtschaft praktisch.

Mitgliedstaaten werden weiter umstandslos von den Wett-bewerbsregeln der Art. 85 f. EG-Vertrag erfaßt, soweit sieunternehmerisch handeln. Geklärt ist dabei zweierlei: Der

28 Überblick bei W. Möschel, Hoheitliche Maßnahmen und dieWettbewerbsvorschriften des Gemeinschaftsrechts, in Wei-terentwicklung der Europäischen Gemeinschaften und derMarktwirtschaft. Referate des XXV. FIW-Symposions, Köln-Berlin-Bonn-München 1992, S. 89 ff. mit umfänglichenNachweisen.

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Umstand, daß ein Hoheitsträger sich einer öffentlichrecht-lichen Organisationsform bedient, sei es Körperschaft, An-stalt, Sondervermögen, Regiebetrieb oder unmittelbarerTeil der Staatsverwaltung, entzieht ihn noch nicht derAnwendbarkeit der Wettbewerbsregeln. Ebenso schließtder hoheitliche Charakter einer Maßnahme nicht ihre ge-meinschaftsrechtliche Qualifizierung als unternehmerischaus. Das gilt, wie seit der British Telecom-Entscheidungdes EuGH feststeht, selbst für legislative Akte.29 Auch dievom Bundespostminister erlassenen früheren sog. Benut-zungsverordnungen, Rechtsverordnungen im Sinne vonArt. 80 Grundgesetz, waren in zahlreichen Kommissions-verfahren auf den Prüfstand u.a. der Art. 85, 86 EG-Ver-trag genommen worden. Beides erklärt sich aus demGrundsatz des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts und derGleichmäßigkeit seiner Anwendung. Er kann nicht durchformelle Dispositionen auf der Ebene der Mitgliedstaatenausgehebelt werden. Noch nicht abschließend geklärt istdie materielle Frage, wann in diesem Zusammenhang po-sitiv von unternehmerischem Handeln im Gegensatz zugenuiner Staatstätigkeit auszugehen ist. Die Rechtspre-chung des Europäischen Gerichtshofs geht freilich außer-ordentlich weit. Dies zeigt etwa seine Entscheidung inSachen Vermittlungsmonopol der Deutschen Bundesan-stalt für Arbeit. Für eine Einschätzung als unternehmeri-sches Handeln genügte ihm folgendes: „Im Rahmen desWettbewerbsrechts umfaßt der Begriff des Unternehmensjede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit, un-abhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzie-rung... Daß die Vermittlungstätigkeit normalerweise öf-fentlichrechtlichen Anstalten übertragen ist, spricht nichtgegen die wirtschaftliche Natur dieser Tätigkeit. Die Ar-

29 EuGH Rs. 41/83, Slg. 1985, S. 873.

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beitsvermittlung ... muß nicht notwendig von solchen Ein-richtungen betrieben werden.“30 Jede Tätigkeit, die einemTeilnehmer am Markt zugänglich ist, wäre danach unter-nehmerisch. Ebenso laufen hoheitliche Maßnahmen derMitgliedstaaten gemeinschaftsrechtlich leer, soweit sie ein-zelne Wirtschaftssektoren der Anwendung der nationalenWettbewerbsgesetze ganz oder partiell entziehen. Für dieBundesrepublik Deutschland sind die Ausnahmebereichedes GWB angesprochen. Gemeinschaftsrechtlich bleibtdas unerheblich. Soweit nicht das Gemeinschaftsrechtselbst einer Anwendung der Wettbewerbsregeln Grenzensetzt, wie dies in Art. 42 Abs. 1 EG-Vertrag für die Pro-duktion landwirtschaftlicher Erzeugnisse und für den Han-del damit geschehen ist, setzen sich die Art. 85 ff. EG-Vertrag durch. Dies ist für die Wirtschaftszweige der Ban-ken, Versicherungen, des Verkehrs und für Urheberrechts-verwertungsgesellschaften ebenso entschieden wie für dieTelekommunikation. Eine gleiche Entwicklung zeichnetsich im Hinblick auf die leitungsgebundene Energiever-sorgung ab. Unberührt bleibt die nicht sektoral definierteRegelung in Art. 90 Abs. 2 EG-Vertrag.

Weitere Bindungen für hoheitliches Handeln der Mitglied-staaten folgen aus der sog. effet utile-Rechtsprechung desEuGH. Gestützt auf eine unmittelbare Verpflichtung derMitgliedstaaten aus Art. 5 Abs. 2 EG-Vertrag in Verbin-dung mit Art. 3 g) EG-Vertrag erkennt diese Rechtspre-chung eine mittelbare Beeinträchtigung der Wettbewerbs-vorschriften durch staatliche Maßnahmen in vier Fallgrup-pen an:31

30 EuGH Rs. 41/90, Slg. 1991, S. 1979, 2016.31 W. Möschel (Fn. 28), S. 92 ff.

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– Staatliche Maßnahmen erleichtern oder fördern wettbe-werbsbeschränkende Verhaltensweisen von Unterneh-men, die nach Art. 85 oder 86 EG-Vertrag verboten sind;

– staatliche Maßnahmen schreiben Unternehmen derarti-ge Verhaltensweisen vor;

– staatliche Maßnahmen verstärken die Auswirkungen vonVereinbarungen, die nach Art. 85 Abs. 1 EG-Vertragverboten sind;

– staatliche Maßnahmen übertragen privaten Wirtschafts-teilnehmern die Verantwortung für Interventionsent-scheidungen im wirtschaftlichen Bereich und verlierendadurch ihren staatlichen Charakter.

Die jüngste Rechtsprechung hat geklärt, daß die staatlicheMaßnahme in diesem Zusammenhang akzessorisch seinmuß zu einem Verstoß der handelnden Unternehmen ge-gen Art. 85 oder 86 EG-Vertrag.32 Diese Rechtsprechungknüpft mithin im Kern nicht an die Inhalte, sondern an dieMethoden staatlicher Regelungen an, sie erzwingt Typen-klarheit und Zuordnung der Verantwortlichkeit. Grauzo-nenmaßnahmen in Kooperation zwischen Unternehmenund staatlichen Stellen werden eingeschränkt. Plastischhat man dies „Entkorporatisierung des sektoriellen Wirt-schaftsrechts“ genannt.33

Die wichtigste wirtschaftsverfassungsrechtliche Vorschriftin diesem Zusammenhang ist schließlich Art. 90 Abs. 1

32 Hierzu W. Möschel, Wird die effet utile-Rechtsprechung desEuGH inutile?, Neue Juristische Wochenschrift 47 (1994),S. 1709 ff.

33 B. van der Esch, Die Artikel 5, 3 f, 85/86 und 90 EWGV alsGrundlage der wettbewerbsrechtlichen Verpflichtungen derMitgliedstaaten, Zeitschrift für das gesamte Handels- undWirtschaftsrecht 155 (1991), S. 274, 299.

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EG-Vertrag. Danach ist es den Mitgliedstaaten untersagt,in Bezug auf öffentliche Unternehmen und Unternehmen,denen sie besondere oder ausschließliche Rechte gewäh-ren, dem Vertrag und insbesondere den Wettbewerbsre-geln widersprechende Maßnahmen zu treffen oder beizu-behalten. Hier kommt der Grundsatz zum Ausdruck, daßder öffentliche Wirtschaftssektor mit der Privatwirtschaftin dem Sinne gleichgestellt ist, daß ihm keine Privilegieneingeräumt sind. Der Anwendungsbereich der Norm istnamentlich im Hinblick auf Art. 86 EG-Vertrag von selb-ständiger Bedeutung.34 Anders als innerhalb der effet uti-le-Rechtsprechung ist eine Akzessorietät der staatlichenMaßnahmen zu selbständigem unternehmerischen Han-deln nicht gefordert. Ein Verzicht auf dieses Erfordernishätte die effet utile-Rechtsprechung, die sich auf beliebigeUnternehmen bezieht, uferlos werden lassen. Im einge-schränkten Anwendungsfeld des Art. 90 Abs. 1 EG-Ver-trag (öffentliche Unternehmen und Unternehmen mit be-sonderen Rechten) entfällt dieses Bedenken. Eine Verlet-zung der Norm ist schon dann gegeben, wenn das öffentli-che Unternehmen in der Befolgung gesetzlicher Vorschrif-ten unvermeidlich einen Mißbrauch begeht. Dies war z.B.die gesetzliche Gewährleistung des Vermittlungsmono-pols der Deutschen Bundesanstalt für Arbeit, ohne daßdiese in der Lage gewesen wäre, die Nachfrage auf demMarkt zu befriedigen. Die legislative Monopolgewährlei-stung ging sinnlos auf Kosten der Nachfrager wie derprivaten Personalberatungsunternehmen. Der Staat ver-stößt schon dann gegen Art. 90 Abs. 1 EG-Vertrag in Ver-

34 Zuletzt hierzu mit Nachweisen E.-J. Mestmäcker, Zum Be-griff des Mißbrauchs in Art. 86 des Vertrages über die Euro-päische Gemeinschaft, in Festschrift für Peter Raisch, Köln-Berlin-Bonn-München 1995, S. 441, 450 ff.

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bindung mit Art. 86 EG-Vertrag, wenn durch die verliehe-nen Rechte eine Lage geschaffen werden könnte, in derdas begünstigte Unternehmen einen Mißbrauch begeht.Dies galt etwa für einen Fernmeldenetzbetreiber, der mitprivaten Unternehmen auf den Endgerätemärkten konkur-rierte und zugleich über die technischen Spezifikationendieser Endgeräte und über ihre Zulassung entschied. Aufder genannten Rechtsgrundlage wurde eine strikte Tren-nung dieser Funktionen nötig.

b) Zur Subventionsaufsicht der Gemeinschaft

aa) Der Zweck

Der bedeutsamste Unterschied zum nur nationalen Rechtbesteht darin, daß das Gemeinschaftsrecht eine Aufsichtüber die von den Mitgliedstaaten gewährten Subventionenkennt, und zwar auf der Grundlage eines allgemeinenVerbots mit Erlaubnisvorbehalt (Art. 92 und 93 EG-Ver-trag). Eine Kontrolle des Bundes über Fördermaßnahmender Länder oder der Gemeinden gibt es dagegen inDeutschland nicht.

Die Regelung erklärt sich zunächst daraus, daß die Ge-meinschaft zum einen eine Zuständigkeit für den Binnen-markt hat, die Wirtschaftspolitik dagegen unverändert imVerantwortungsbereich der Mitgliedstaaten verbleibt.Ohne eine Kontrolle der Wirtschaftssubventionierung,welche die Mitgliedstaaten gewähren, wäre ein solchesRegelungssystem höchst lückenhaft. Denn mit Beihilfenlassen sich die nationalen Märkte de facto ähnlich ab-schotten wie mit Zöllen, mengenmäßigen Beschränkun-gen, zollgleichen Abgaben und sonstigen nontarifärenHandelshemmnissen. Der Zusammenhang wird unmittel-

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bar sichtbar, wenn Beihilfen zugleich von dem Verbot desArt. 30 EG-Vertrag erfaßt werden (Maßnahmen gleicherWirkung wie eine mengenmäßige Beschränkung). Ein Bei-spiel ist die bevorzugte Vergabe öffentlicher Aufträge anAnbieter aus bestimmten inländischen Regionen oder anbestimmte inländische Unternehmen. Art. 30 EG-Vertragist nur insofern noch strenger, als es dort keinen Erlaubnis-vorbehalt gibt.

Die Regelung der Art. 92 ff. EG-Vertrag hat letztlich frei-lich einen Zweck, der über die Problematik, welche ausder genannten Zuständigkeitsverteilung erwächst, hinaus-geht: Sie zielt auf einen Markt, der von Beihilfen weitge-hend frei sein soll. Aus diesem Grund ist eine häufigvorgetragene Argumentation, eine Beihilfe ermögliche an-gesichts gravierender, wettbewerbsverzerrender Kosten-nachteile überhaupt erst einen wirksamen Wettbewerb,per se unschlüssig. Die Feststellung einer Verfälschungder Wettbewerbsverhältnisse pflegt denn auch in der Pra-xis keine Schwierigkeiten zu bereiten, wenn die übrigenVoraussetzungen des Tatbestandes einmal bejaht sind.

bb) Die materielle Reichweite

Bei der materiellen Reichweite des Tatbestandes sind einhorizontaler und ein vertikaler Aspekt auseinanderzuhal-ten.35

35 Überblick in BDI (Hrsg.), EU-Beihilfenpolitik: Die Tatbe-standsmerkmale des Artikels 92 Absatz 1 EG-Vertrag, Köln1994.

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aaa) Der horizontale Aspekt

Art. 92 EG-Vertrag erfaßt nur Maßnahmen, die sich alseine Begünstigung „bestimmter Unternehmen“ oder „be-stimmter Produktionszweige“ erweisen. Nicht erfaßt sindMaßnahmen allgemeiner Wirtschaftspolitik, welche dergesamten Wirtschaft eines Mitgliedstaates zugute kom-men wie z.B. eine allgemeine Steuersenkung, Investiti-onszulagen für alle Unternehmen oder Zuschüsse für dieEinstellung von Langzeitarbeitslosen. Es muß ein diskri-minierendes Element vorhanden bleiben, im Jargon „Spe-zifizität“ genannt. Auch Einkommenstransfers auf privateHaushalte, seien sie einkommens-, sozial- oder vermö-genspolitisch motiviert, werden von vorneherein nicht er-faßt. Dies wird erst dann wieder anders, wenn die allge-meine Maßnahme oder der Transfer an Private punktuellbestimmten Unternehmen oder Regionen zugute kommt,z.B. wenn damit entsprechende Bezugsauflagen verbun-den sind. Die Bedeutung dieser Abgrenzung zwischenBeihilfe und allgemeiner Fördermaßnahme erwächst dar-aus, daß erstere, wenn sie ohne Zustimmung der Kommis-sion durchgeführt wurde, von den Mitgliedstaaten zurück-verlangt werden muß einschließlich Verzugszinsen.

Die innere Rechtfertigung für eine solche Interpretationdes Beihilfebegriffes in Art. 92 EG-Vertrag liegt darin,daß das Regime zwar einen diskriminierungsfreien Wett-bewerb zwischen Unternehmen ermöglichen soll, nichtaber eine Gleichschaltung der einzelnen Volkswirtschaf-ten anstrebt. Bei fortbestehender Zuständigkeit der Mit-gliedstaaten für ihre nationale Wirtschaftspolitik läßtArt. 92 EG-Vertrag einen Systemwettbewerb zu. Wennhier eine Harmonisierung gewünscht ist, ist dies nichtAufgabe der Kommission nach Art. 92 EG-Vertrag, son-

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dern es wird Aufgabe des Ministerrates, eine Rechtsan-gleichung durch Erlaß einer Richtlinie nach Maßgabe vonArt. 101 EG-Vertrag zu erreichen.

bbb) Der vertikale Aspekt

In diesem Rahmen ist die vertikale Reichweite des Beihil-febegriffes sehr groß. Der Tatbestand spricht denn auchvon „staatlichen Beihilfen gleich welcher Art.“ So ist derBegriff des Staates im weitesten Sinne zu verstehen. InDeutschland sind das nicht nur der Bund, die Länder unddie Gemeinden, sondern auch die Sozialversicherung, dieBundesanstalt für Arbeit, alle Sondervermögen, auch para-fiskalische Fonds wie der ERP-Fonds oder der mittlerwei-le für verfassungswidrig erklärte Kohlepfennig.

Das Verbot umfaßt in seiner ersten Kategorie – über dieAusgabenseite – alle sog. Finanzhilfen wie verlorene Zu-schüsse, zinsgünstige Darlehen, Zinszuschüsse, Bürg-schaften und nichtmarktübliche Beteiligungen an Unter-nehmen.

Zu einer zweiten Kategorie gehören die Formen einerSubventionierung über die Einnahmeseite der öffentlichenHaushalte, Steuerermäßigungen, -erleichterungen, -nach-lässe, Steuerpräferenzen sowie die Freistellung oder Er-mäßigung bei öffentlichen Abgaben und Gebühren.

Vom Zweck der Vorschrift her fallen unbestritten in einedritte Kategorie auch alle sonstigen verdeckten Formeneiner Subventionierung, eine Kreditlenkung über einenverstaatlichten Bankenapparat, der Einsatz staatlicher Un-ternehmen zum Zwecke der Wirtschaftsförderung, Förde-rungen von Unternehmen oder Regionen über Verkehrsta-

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rife, die nicht marktgerechte Veräußerung von Sachgü-tern, die Übernahme von Dienstleistungen durch die öf-fentliche Hand, Preisausgleichskassen, im Einzelfall auchMindest- und Höchstpreisregelungen.

Die Gebührenfinanzierung der öffentlichen Rundfunkan-stalten im dualen System kommt hier auf den Prüfstand,wenn diese Mittel nicht zur Erfüllung eines im Marktsonst nicht erreichbaren öffentlichen Auftrags verwandtwerden. Gleiches gilt für die Gewährträgerhaftung im öf-fentlichen Bankensektor, wenn ein „reasonable privateinvestor“ ein solches Risiko mangels Ausschüttung nie-mals auf sich nähme.

cc) Zum Verfahren

Das Kontrollverfahren der Art. 92 ff. EG-Vertrag ist kom-pliziert.36 Es umfaßt im wesentlichen drei Etappen, einVorprüfverfahren, ein Hauptprüfverfahren und die even-tuelle Untersagungs- oder Genehmigungsentscheidung.Das Vorprüfverfahren schließt schon für sich den Vorgangab, wenn die angemeldete Maßnahme keine Beihilfe istoder bereits genehmigt ist oder aber als mit dem Gemein-samen Markt vereinbar angesehen wird. Hält die Kommis-sion die Beihilferegelung für unvereinbar oder hat sieernste Zweifel an ihrer Vereinbarkeit mit dem Gemeinsa-men Markt, so leitet sie das Hauptprüfverfahren ein. NachAbschluß dieses Verfahrens entscheidet sie, ob die ge-plante Regelung dem Verbot des Art. 92 Abs. 1 unterliegtund damit von Mitgliedstaaten nicht in Kraft gesetzt wer-

36 Überblick in BDI (Hrsg.), EU-Beihilfenpolitik: Die Rechteder Unternehmen und die Rolle der Mitgliedstaaten in derBeihilfenpolitik, Köln 1995.

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den darf oder ob sie aufgrund der Ausnahmetatbeständeder Abs. 2 und 3 des Art. 92 genehmigt werden kann.

Am Vorprüfverfahren sind offiziell nur die Kommissionund der betreffende Mitgliedstaat beteiligt. Allerdings istniemand gehindert, insbesondere nicht die begünstigtenUnternehmen, die benachteiligten Konkurrenten oder ihreVerbände, Eingaben zu machen oder gar erst durch eineinformelle Beschwerde die Aufmerksamkeit der Kommis-sion zu erregen. Akzeptiert die Kommission im Ergebnisschon hier die Maßnahme, so können Konkurrenten nachArt. 173 Abs. 2 EG-Vertrag dagegen Klage vor dem Euro-päischen Gerichtshof erheben, falls sie „individuell undunmittelbar“ betroffen sind. Der bloße Umstand, daß einDritter auf demselben Markt tätig ist, reicht für sich nicht.Es muß substantiiert vorgetragen werden, daß er durch dieBeihilfe in der Marktstellung wesentlich beeinträchtigt ist.Im Grundsatz muß der Dritte im Vorprüfverfahren auchbereits eine gewisse Rolle gespielt haben. Dies wirft natur-gemäß Transparenzprobleme auf. Der Gerichtshof hat demmittlerweile dadurch Rechnung getragen, daß eine aktiveMitwirkung eines Dritten im Vorprüfverfahren nicht uner-läßlich ist, nämlich dann nicht, wenn er davon gar nichtswissen konnte. Unter dieser Voraussetzung ist auch dasVerstreichen der Ausschlußfrist von zwei Monaten, wel-che Art. 173 EG-Vertrag für solche Klagen vorsieht, über-windbar.

Im Hauptprüfverfahren werden Dritte dagegen offiziellzur Stellungnahme aufgefordert. Dies geschieht durch Ver-öffentlichungen im Amtsblatt. Hier ist eine aktive Teil-nahme Dritter am Verfahren ein unerläßliches Erfordernis,wenn eine spätere Klage gegen die Einstellung des Ver-

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fahrens oder gegen die explizite Genehmigung der Beihil-fe aufgrund eines Ausnahmetatbestandes zulässig sein soll.

Verstoßen Mitgliedstaaten gegen ihre hier bestehendenPflichten (keine Notifizierung der beabsichtigten Beihilfe,Durchführung der Maßnahme, obwohl die Kommissioneine abschließende Entscheidung noch nicht erlassen hat,die Beihilfe wird nicht aufgehoben oder umgestaltet), sokann die Kommission gegen diese ein Vertragsverlet-zungsverfahren einleiten. Auch Klagerechte Dritter vornationalen Gerichten kommen in Betracht. Ein Verstoßgegen die gemeinschaftsrechtlichen Beihilfevorschriftenmacht den mitgliedstaatlichen Hoheitsakt in jedem Falleformal rechtswidrig.37

Insgesamt ist dieses Verfahren verbesserungsfähig. Na-mentlich sollte die Transparenz des Vorprüfverfahrensnachhaltig gesteigert werden. Die weitaus meisten Sach-verhalte werden bereits hier erledigt. Erleichterungen, wel-che die Rechtsprechung Drittbetroffenen bei Klagen mitt-lerweile gewährt, reichen nicht hin. Denn der Gerichtshofräumt der Kommission zwar nicht bei der Interpretationdes Rechtsbegriffs Beihilfe, aber bei der Frage, ob diesemit dem Gemeinsamen Markt insgesamt vereinbar ist,einen beträchtlichen Beurteilungsspielraum ein. Dritte soll-ten demgemäß rechtzeitig schon innerhalb des administra-tiven Verfahrens präsent sein können. Praktisch werdensich solche Verbesserungen der Transparenz nur in derForm realisieren lassen, daß die Verbände der betroffenenBranche frühzeitig informiert werden. Es bleibt dann de-ren Aufgabe, die potentiell betroffenen Unternehmen ent-sprechend rasch in Kenntnis zu setzen.

37 Vgl. EuGH, Rs. C-354/90, Slg. 1991, S. 5505 (Saumon).

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Materiell wäre der überragende Reformpunkt eine Erstrek-kung der Beihilferegelung auch auf die Gemeinschaftselbst. Gegenwärtig erfaßt das Gesetz nur Maßnahmen derMitgliedstaaten. Der Bedarf danach ist im Gefolge vonMaastricht I mit seiner Ausdehnung politisch-diskretionä-rer Entscheidungsfelder auf Gemeinschaftsebene bis hinzur Industriepolitik nach Art. 130 EG-Vertrag größer ge-worden.

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IV. Zu den Ursachen für solcheEntwicklung

Insgesamt ist es erstaunlich, in welchem Ausmaß die Bun-desrepublik Deutschland, in Sonntagsreden gerne als einprofiliert marktwirtschaftliches Land gepriesen, sich inder Praxis von den Strukturprinzipien eines solchen Ord-nungskonzepts entfernt hat. Zwei tiefere Ursachen sindentscheidend, zum einen Spätfolgen sozialistischen Ge-dankenguts, zum anderen und wichtiger Strukturschwä-chen innerhalb demokratischer Gesellschaften.38

1. Spätfolgen sozialistischen Gedankenguts

Die Herausbildung des heutigen Interventions- und Sozi-alstaats ist von dem, was man in Europa sozialistischesGedankengut oder in den USA progressive movementnennt, wesentlich beeinflußt worden. Dahinter stand dieVorstellung einer verhältnismäßig geschlossenen, wenig-stens durch moderne Erziehung erreichbaren Wertege-meinschaft innerhalb einer Gesellschaft im Gegensatz zudivergierenden, beliebigen Individualinteressen. Hinzu tratein Glaube an die Leistungsfähigkeit wissenschaftlicherErkenntnis und wissenschaftlicher Methoden. Konstrukti-vismus, wie von Hayek dies nannte, überlagerte die eherevolutionstheoretisch begreifbare Ordnung des Marktes,verdrängte das Prinzip von Versuch und Irrtum als ent-behrliche Verschwendung. Aus heutiger Sicht scheint es,daß solche Vorstellungen schon in den 60er Jahren ihren

38 Hierzu W. Möschel, Erstarrung durch Bürokratisierung undReglementierung, in Alfred Herrhausen Gesellschaft für in-ternationalen Dialog (Hrsg.), Erstarrende Gesellschaft inbewegten Zeiten, Stuttgart 1993, S. 125, 127 ff.

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Zenit überschritten hatten. Sie wirken freilich vielfältigfort. So ist das Menschenbild des liberalen Ökonomen, derauf die Handlungsfreiheit und die Selbstverantwortungdes einzelnen gerade im Bereich des Wirtschaftlichensetzt, nicht für jedermann attraktiv. Dies gilt namentlichfür denjenigen, der wenig Zutrauen zur eigenen Kraft undLeistungsfähigkeit hat. Er wendet sich nicht von vornher-ein gegen Elemente der Zwangsbetreuung und damit derUnselbständigkeit. Eine verbreitete Präferenz für Umlage-verfahren in den Sozialversicherungssystemen – im Ge-gensatz zu Kapitaldeckungsverfahren – dürfte hierin eineWurzel finden. Weitgehend Ähnliches gilt für eine häufiganzutreffende Reserve gegenüber den Ungewißheiten undLasten einer Wettbewerbsordnung – Stichwort: Struktur-wandel. Der Ruf nach sozialer Abfederung durch Subven-tion oder gar nach Schutz vor Wettbewerb, namentlich ausDrittstaaten, durch Protektion, gehört hierher. Die Akzep-tanz einer marktwirtschaftlich geprägten Ordnung dürftein Deutschland immer noch weniger auf Einsicht und Ver-ständnis beruhen als auf der – jedenfalls bislang – dauern-den Erfahrung, daß sie insgesamt erfolgreich arbeitet.

Eher gegenläufig zu diesen Spätfolgen ist, wie es scheint,ein zunehmender Verlust an republikanischen Tugendenoder an Gemeinsinn. Eine Maxime von der Art „Öffentli-che Dinge sind auch Deine Dinge“ wirkt heute fast schonkomisch. Was wir demgegenüber vielfältig beobachten,ist ein ausgeprägtes Sankt-Florians-Prinzip. In ein etwasschnoddriges Bild gefaßt: Wenn der Gürtel enger zuschnallen ist, fummelt ein jeder nur am Gürtel seinesNachbarn herum.

Insgesamt hat solche Abweichung von den marktwirt-schaftlichen Strukturprinzipien sehr viel mit dem Souve-

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rän, dem principal, zu tun und nicht nur mit den politi-schen Entscheidungsträgern, den agents, auf die man be-vorzugt einschlägt.

2. Strukturschwächen in demokratischenGesellschaften

Auf der Ebene der politischen Entscheidungsträger ma-chen sich Strukturschwächen bemerkbar, wie sie in demo-kratischen Gesellschaften nahezu unvermeidlich scheinen.Wir wissen nicht, was politische Akteure wirklich denken.Man kann nur versuchen, ihr Verhalten zu erklären unddaraus Prognosen für die Zukunft abzuleiten. Am brauch-barsten hat sich bis heute die etwas hartgesottene Public-Choice-Theorie erwiesen. Sie überträgt das Analysein-strumentarium der neoklassischen Ökonomie auf dieMärkte der Politik. Auf diese Weise wird unmittelbareinsehbar, daß Recht zu haben, aber Wahlen zu verlieren,niemals eine Option für die Politik sein kann. Gruppenin-teressen, die sich leichter organisieren lassen, haben einegrößere Durchsetzungschance als schwer zu mobilisieren-de Allgemeininteressen. Dies gilt insbesondere, wennGruppennachteile sofort sichtbar sind, überwiegende Ge-meinwohlvorteile demgegenüber in komplexen undschwer identifizierbaren Zurechnungsketten versickern.Das liberale Plädoyer für eine Verbesserung von Rahmen-bedingungen oder für mehr Wettbewerb stößt hier aufGrenzen der Durchsetzbarkeit. Kleinen Gruppen mit ein-heitlichem Wählerverhalten kann unter solchen Bedingun-gen ein überproportionaler Einfluß zuwachsen. Die Agrar-lobby in den westlichen Industriestaaten ist das wichtigsteBeispiel dafür. Diese Mechanismen spielen nicht nur imVerhältnis von principal und agent, sie gelten auch inner-

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halb der Parteien im Verhältnis von Parteiführung zu denAbgeordneten oder zur Funktionärsbasis.

Eine Facette dieses Erklärungsansatzes ist, daß innerhalbeines solchen Systems die Berücksichtigung zukünftigerInteressen notwendig auf Schwierigkeiten stößt. Sie sindin aller Regel nicht organisierbar. So verdrängen z.B. diepolitischen Kräfte in hohem Maße die Probleme, in wel-che die im Umlageverfahren finanzierte gesetzliche Ren-tenversicherung aufgrund der sich abzeichnenden demo-graphischen Entwicklung hineintreibt. Ähnlich verantwor-tungslos wird zu Lasten einer kommenden Generationgehandelt, wenn die Mittel aus einer hohen Staatsver-schuldung überwiegend konsumtiv verwandt werden. EineSpielart solcher Strukturschwäche ist es, wenn sich einGesetzgeber in eine Entscheidungssituation treiben läßt,aus der es nur noch einen inferioren Ausweg gibt. DieDebatte um die gesetzliche Pflegeversicherung bietet in-soweit reiches Anschauungsmaterial.

Ein gewisses Gegenbeispiel liefert der gesamte Komplexdes Umweltschutzes. Hier scheinen sich Zukunftsinteres-sen in einer freien Gesellschaft einigermaßen nachhaltigdurchgesetzt zu haben. Möglicherweise hängt dies inDeutschland mit der konkreten Erfahrung des sog. Wald-sterbens und mit einer – angeblichen oder tatsächlichen –Neigung zu Angstpsychosen zusammen. Doch ist dies einGegenbeispiel von Gewicht, aus dem mancher Optimis-mus ableiten mag.

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V. Lösungsansätze

Die denkbaren Lösungsansätze seien zunächst abstrakt-generell vorgestellt.39 Die im letzten Abschnitt zu entwik-kelnden konkreten Vorschläge verwirklichen daraus nureinen Teilbereich mit Rücksicht auf eine Einschätzungdessen, was gegenwärtig und auf mittlere Sicht polit-prak-tisch durchsetzbar erscheint.

1. Der Möglichkeitsbereich

Hier ist nach Anknüpfungspunkt und nach Umsetzungsartzu trennen.

a) Anknüpfungspunkte

Vier Ebenen kommen in Betracht:

aa) Die Aufgabenseite

Am wichtigsten scheint, die Aufgabenseite des Staates zubegrenzen. Es sollte sehr viel mehr dem Bereich der Ge-sellschaft, das heißt dem einzelnen und dem Markt über-lassen bleiben. Konkret bedeutet dies entschlossene Priva-tisierung. Solche Idee der stärkeren Entstaatlichung zieltfreilich weiter. Sie bezieht das Ausbildungssystem mit ein.Am wichtigsten wäre es, die sozialen Sicherungssystemevon den Arbeitsverträgen, mit denen sie im Grunde nichtszu tun haben, abzukoppeln. Auch aus dieser Sicht geht dieverwirklichte Pflegeversicherung in die falsche Richtung.Sie bekräftigt nur den alten Trott. Obwohl in der Problem-struktur nicht voll vergleichbar, kann man sich beim Ver-

39 Vgl. W. Möschel, Erstarrung (Fn. 38), S. 132 ff.

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hältnis von Staats- und Gesellschaftskompetenz an dasMuster anlehnen, welches der EG-Vertrag für das Verhält-nis von Mitgliedstaaten zur Europäischen Gemeinschaftvorsieht: Keine virtuelle Allzuständigkeit der Gemein-schaft, sondern Prinzip der limitierten Einzelermächtigungund ein Subsidiaritätsprinzip von der Art, daß die Staat-saufgaben auf ihren unerläßlichen Kern reduziert werden.

bb) Die Einnahmenseite

Ein zweiter Aufgreifpunkt ist die Einnahmenseite der öf-fentlichen Hand. Eine Begrenzung hier wäre in der Lage,den fatalen Zusammenhang zwischen Zugang zu den Ein-künften der Bürger und ständiger Ausdehnung der Staats-aufgaben zu unterbrechen. Auch ließe sich der Wettstreitzwischen unterschiedlichen Interessengruppen, mit Hilfedes Gesetzgebers für sich leistungsfremde Einkommen zuerzielen, etwas dämpfen. Auf EG-Ebene schlägt sich die-ser Gedanke darin nieder, daß die Gemeinschaft sich letzt-lich aus Matrikularbeiträgen der Mitgliedstaaten finanziertund eine Änderung der Finanzverfassung nicht nur derEinstimmigkeit des Ministerrats bedarf, sondern von denMitgliedstaaten gemäß ihren jeweiligen verfassungsrecht-lichen Vorschriften ratifiziert werden muß (Art. 201 EG-Vertrag). Auf staatlicher Ebene sei an der Vorschlag Her-bert Gierschs erinnert, den Grundrechtskatalog des Grund-gesetzes dahin zu ergänzen, daß jedermann von einer zu-sätzlich verdienten Mark mindestens die Hälfte soll behal-ten dürfen. Man kann grundsätzlicher fragen, ob durcheine Umgestaltung der vertikalen Finanzverfassung zwi-schen Bund, Ländern und Gemeinden und durch einenAusbau plebiszitärer Verfahren die Einnahmenhoheit nichtwieder stärker in die Hand des Souveräns zurückgegebenwerden sollte. Dabei ist auf einen geeigneten Minderhei-

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tenschutz Bedacht zu nehmen. Es sollte nicht die jeweiligeMehrheit in die Lage versetzt werden, permanent ihreHände in den Taschen der Minderheit zu halten.

cc) Die Organisationsseite

Der dritte Ansatzpunkt ist die Organisationsseite. Zumeinen geht es um mehr Wirtschaftlichkeit beim Manage-ment staatlicher Einrichtungen. Neben anderen hat derKronberger Kreis diesbezüglich ausgefeilte Vorschlägedargelegt.40 Ihr Pfiff liegt in einer Kombination von dreiReformschichten: Rechnungsinstrumente, welche sich anprivatwirtschaftliche Vorbilder anlehnen, sollen die über-kommene Kameralistik ablösen. Eine Einführung ziel- undergebnisbezogener Führungsprinzipien und eine Stärkungdezentraler Entscheidungs- und Wirtschaftsautonomie sol-len höhere Flexibilität gewährleisten. Eine Rückkehr zurleistungsbezogenen Besoldung und Beförderung soll eineverbesserte Anreizstruktur schaffen.

Zum anderen geht es um eine Rechts- und Verwaltungs-vereinfachung zugleich. So ließe sich eine vielfach über-zogene Regelungsdichte abbauen, etwa wenn Verbote mitErlaubnisvorbehalt öfter in ein System der Anzeigepflichtüberführt würden, wenn auf verschiedene Behörden zer-splitterte Genehmigungsverfahren wieder stärker in einerHand konzentriert würden; insbesondere die Verselbstän-

40 Kronberger Kreis, Reform der öffentlichen Verwaltung, BadHomburg vdH 1991; Investitionsförderung durch flexible Ge-nehmigungsverfahren. Bericht der Unabhängigen Experten-kommission zur Vereinfachung und Beschleunigung von Pla-nungs- und Genehmigungsverfahren, herausgegeben vomBundesminister für Wirtschaft, November 1994.

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digung der Umweltverträglichkeitsprüfung wäre rückgän-gig zu machen. Entscheidungsfristen für Verfahren, Aus-schlußfristen für die Beteiligung anderer Behörden könn-ten für eine erwünschte Beschleunigung sorgen. Eine ten-denziell hypertrophe Kontrolldichte ließe sich auflockern,wenn die Zahl drittschützender Normen abgebaut würde,wenn die Verwaltungsgerichte auf der Tatbestandsseiteden Verwaltungsstellen in höherem Maße, als dies gegen-wärtig geschieht, einen Beurteilungsspielraum beließen.Auch an eine stärkere Einbeziehung externer Sachverstän-diger ist zu denken. Dieser Punkt berührt sich mit derPrivatisierungsdiskussion.

Solche Ideen sind nicht neu. Ohne dabei auftauchendeZielkonflikte herunterspielen zu wollen, sind es vielfachdoch unheilige Allianzen, die einer Durchsetzung entge-genstehen. Auch die Wirtschaft gehört zu den Sündern. Essei nur an Versuche erinnert, Importwettbewerb durch dieAufrechterhaltung nontarifärer Handelshemmnisse zu be-hindern.

dd) Politische Infrastruktur

Ein vierter Punkt läßt sich unter der Bezeichnung „Politi-sche Infrastruktur“ zusammenfassen. Gemeint sind Fra-gen der Rekrutierung des politischen Nachwuchses, derinnerparteilichen Kandidatenaufstellung, des Wahlrechts.Dieser Punkt kann hier nicht im einzelnen diskutiert wer-den. Als potentiell wichtig sei er aber jedenfalls nachricht-lich erwähnt.

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b) Umsetzungsart

Die eigentlichen Schwierigkeiten liegen in der politik-ökonomischen Umsetzbarkeit von Reformideen.

aa) Verfassungslösung

Die traditionelle Lösung, einen Gesetzgeber an die Kettezu legen, ist eine Verfassungslösung. Sie begrenzt vonvornherein seine Gestaltungs- und seine Fehlgestaltungs-möglichkeiten. Das Bonner Grundgesetz ist auf dem Feldeder Wirtschafts- und Sozialpolitik jedoch relativ offen.Verfassungsändernde Mehrheiten für stärkere Begrenzun-gen zu finden, dürfte heute ausgeschlossen sein. Denn dievorgeblichen oder tatsächlichen Verlierer bei solchen Än-derungen stehen fest. Ihr Widerstand führt zur Stabilisie-rung des status quo. Was sich bestenfalls erreichen läßt,sind vage Staatszielbestimmungen, wie sie jüngst in dasGrundgesetz aufgenommen wurden. Hier schiebt man dieVerantwortung letztlich auf die Gerichte, deren künftigerUmgang mit diesen Normen nicht wirklich vorhersehbarist.

bb) Parakonstitutionelle Lösungen

Ein zweiter Denkansatz läßt sich als parakonstitutionelleLösung bezeichnen. Das wichtigste Beispiel ist der EG-Vertrag mit seinem Vorrang vor jedem nur nationalenRecht. Daraus ist zunehmend ein Reformimpuls in Rich-tung Deregulierung und mehr Wettbewerb erwachsen. Ge-nannt seien die Telekommunikation, das Verkehrswesen(Luftverkehr, Straßengüterverkehr, Eisenbahn), das Versi-cherungswesen, die Kreditwirtschaft. Eine Umgestaltungder weitgehend monopolistisch strukturierten Elektrizi-

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tätswirtschaft steht auf der Agenda. Besonders wichtigsind die oben näher erörterten Beihilfevorschriften desGemeinschaftsrechts. In erster Linie diese werden z.B. zueiner Revision der deutschen Kohlepolitik beitragen;Schwierigkeiten, die man in Brüssel macht, werden inBonn dankbar entgegengenommen.

Hervorzuheben ist, daß die hier aktivierten Rechtsgrundla-gen in den Gemeinschaftsverträgen selbst enthalten sind.Eine Verständigung darauf war im Jahre 1957 noch mög-lich, weil sie sozusagen unter dem Schleier der Ungewiß-heit erfolgte. Keiner unter den Mitgliedstaaten konnte vor-aussehen, was aus den unbestimmten Rechtsbegriffen undden Formelkompromissen des Vertragswerks sich im ein-zelnen entwickeln würde. Maastricht I war teilweise schonein Versuch derer, die das ordnungspolitische Spiel verlo-ren hatten, nachträglich die Spielregeln zu verändern.

Das Instrument ist auch im diskretionär-politischen Be-reich einsetzbar, nämlich bei der Schaffung sekundärenGemeinschaftsrechts aufgrund von Mehrheitsentscheidun-gen: Man kann sich in Brüssel überstimmen lassen unddamit Lösungen erreichen, die allein national nicht durch-setzbar sind. Dem entsprechen freilich Risiken. Die euro-päische Lösung kann sich auf den kleinsten gemeinsamenNenner beschränken und im Einzelfall dann zu einemRückschritt gegenüber einer nationalstaatlichen Lösungführen. Zu erinnern ist an die diversen Protektionismen inder gemeinsamen europäischen Außenhandelspolitik(Selbstbeschränkungsabkommen im Hinblick auf den ja-panischen Automobilexport, restriktive Regelungen be-züglich sensitiver Produkte wie Kohle, Stahl, landwirt-schaftliche Erzeugnisse, Textilien in den sog. Europaab-kommen mit Polen, Ungarn und Tschechien).

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In die Gruppe parakonstitutioneller Lösungen gehörenweiter multilaterale oder bilaterale völkerrechtliche Ver-träge. Gedacht ist an den Typus GATT, OECD-Codices,UN-Konventionen. Man schiebt Reformen auf die Ebenedes Völkerrechts. Der nationale Gesetzgeber, der die völ-kerrechtliche Vereinbarung in das innerstaatliche Rechttransferieren muß, kann dann nur noch insgesamt Ja oderNein sagen. Das erhöht faktisch die Durchsetzungschancefür Reformen. Der Weg ist in der bisherigen Praxis wenigeffizient. Es werden schon auf der Ebene des völkerrecht-lichen Vertrags zu viele Vorbehalts- und Ausweichmög-lichkeiten geschaffen. Aber er ist ausbaufähig. Zu verfol-gen ist auch die Idee Jan Tumlirs, in solchen Verträgensubjektive Rechte der einzelnen Bürger zu begründen.41

Damit wäre ein selbständiger Durchsetzungsmechanismusgeschaffen.

cc) Stabilisierungsfaktoren im Inland

Stabilisierungsfaktoren im Inland außerhalb des Parla-ments formen eine dritte Gruppe. Zu denken ist an Institu-tionen nach Art der Bundesbank, des Rechnungshofes, andie zwingende Einschaltung von unabhängigen Kommis-sionen (zum Beispiel Stellungnahme der Monopolkom-mission vor jeder Ministergenehmigung eines untersagtenUnternehmenszusammenschlusses), an eine Weisungsfrei-heit oberer Bundesbehörden, wie dies für die Einzelfall-entscheidungen des Bundeskartellamtes zutrifft. Agency-Lösungen etwa nach Art der FCC in den VereinigtenStaaten oder des Office of Telecommunications in Groß-

41 Überblick bei H. Hauser/P. Moser/R. Planta/R. Schmid, DerBeitrag von Jan Tumlir zur Entwicklung einer ökonomischenVerfassungstheorie, ORDO 39 (1988), S. 219 - 237.

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britannien kommen in Betracht. Dies wäre innerhalb dersogenannten Postreform I von 1989 eine vorzugswürdigeOption gewesen. So realisierte diese außerhalb dessen,was das europäische Gemeinschaftsrecht ohnehin an Libe-ralisierung erzwang, nur das, was sich die Deutsche Bun-despost schon immer gewünscht hatte. Im Kontext derStabilisierungsfaktoren ist auch die Treuhandanstalt zunennen, auf EG-Ebene die unabhängige EG-Kommission.Beratungsgremien nach Art des Sachverständigenrates zurBegutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklungkönnen Autorität aufbauen, welche politisch nur schwerüberwindbar sein mag. Manchmal sind Reformen leichterdurchsetzbar, weil sie keine legislativen, sondern nur ad-ministrative Mittel erfordern. Ein Beispiel sind die Eigen-kapitalgrundsätze für Banken. Die Empfehlungen des so-genannten Basle-Committee konnten so relativ geräusch-los umgesetzt werden. Hier wäre noch Raum für institutio-nelle Phantasie.

dd) Einfache Gesetze

Zur Gruppe der einfachen Gesetze seien drei Facettenangesprochen.

– Reformen sind denkbar unterhalb der „Wahrnehmungs-schwelle“, das heißt so, daß eine breite Öffentlichkeitnicht bemerkt, was geschieht. Dies kommt in Deutsch-land gar nicht so selten vor. Ein fast schon groteskesBeispiel ist die Neufassung des Art. 21 im Staatsver-trag der Länder über den Rundfunk im vereintenDeutschland aus dem Jahre 1991. Er brachte auf derEbene der Landesmedienanstalten eine verquere Inve-stitions- und Fusionskontrolle für den privaten Rund-funk. Die Öffentlichkeit wurde dessen erst sehr viel

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später gewahr. Anlaß waren die Querelen um eine Li-zenzverlängerung für den Sender SAT 1 in Nordrhein-Westfalen. Doch ist ein Reforminstrument dieser Artwenig demokratisch und es sollte in einer offenen Ge-sellschaft jedenfalls auf Dauer nicht eben realistischsein.

– Blockaden, die eine Folge des Einflusses von Interes-sengruppen sind, legen als Gegenstrategie nahe, Re-formmaßnahmen so umfassend anzulegen, daß die da-mit verbundenen Verteilungswirkungen sich über dieverschiedenen Einflußgruppen hinweg tendenziell aus-gleichen und auf diese Weise neutralisieren. Die prak-tischen Erfahrungen mit solcher Strategie sind in die-sem Lande nicht positiv. Es sei nur an die ebenso lang-andauernden wie vergeblichen Bemühungen erinnert,die öffentlichen Subventionshaushalte nachhaltig zureduzieren. Dafür gibt es einen objektiven Grund: Daspolitische Kalkül bei solcher Strategie der Lastenneu-tralisierung zielt nicht so sehr auf die Ebene des princi-pal, der Bevölkerung in ihren unterschiedlichen Inter-essengruppierungen, sondern in erster Linie auf dieEbene des agent, der politischen Parteien. Hier funk-tioniert solche Strategie nicht, wenn eine free rider-Sach-lage besteht, etwa eine Partei vom Zuschnitt der Repu-blikaner von solchen Maßnahmen zu profitieren droht.

– Vertrauen auf die Durchsetzungskraft der Vernunft, ge-nauer, dessen, was man dafür hält, bildet eine weitereFacette. Doch setzt dies einschlägige Aufklärungsbe-mühungen voraus. Hier scheint in Deutschland man-ches unterentwickelt zu sein. Es beginnt mit dem Defi-zit, daß ein Denken in wirtschaftlichen Zusammenhän-gen nicht Bestandteil traditioneller Allgemeinbildung

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zu sein pflegt, setzt sich fort in einer nicht gerade ein-drucksvollen Berichterstattung vieler Medien in Wirt-schaftsfragen und reicht hin bis zu politischen Entschei-dungsträgern, die sich allzu häufig als bloßes Echo vonPublikumsgruppen verstehen denn als eigene kraftvol-le Stimme innerhalb des politischen Konzerts. All diesmacht es gelegentlich möglich, Reformen unter bewuß-tem Einsatz von Irrationalität durchzusetzen: Als inner-halb des Steuerreformpakets der Jahre 1985 - 1990 derSpitzensatz der Einkommensteuer von 56 auf 50% ge-senkt werden sollte und dieses Vorhaben sofort demüblichen Neideinwand begegnete, beschränkte man sichbekanntlich auf eine Senkung um 3 Prozentpunkte, al-lerdings bei Vorverlegung des Beginns der oberen Pro-portionalzone. Die Folge war, daß jetzt tatsächlich nurnoch die Spitzenverdiener von dieser Änderung profi-tierten. Bei der ursprünglichen Option wäre der gesam-te linear-progressive Einkommensteuerast etwas nachunten gekommen, so daß jeder Lohn- bzw. Einkom-mensteuerzahler partizipiert hätte. Die Öffentlichkeitwar‘s gleichwohl zufrieden. Daß diese kontraprodukti-ve Antwort auf das Neidargument von zwei mit allenWassern gewaschenen Sozialpolitikern propagiert wor-den war, ist eine Pointe, die fast schon ermüdend wirkt.

Wie auch immer man Irrationalität als Reformerleichte-rung bewerten mag, Versuche, einen Beitrag zur Aufklä-rung zu leisten, bleiben mühsam und haben vielfach nurauf lange Frist Aussicht auf Erfolg.

ee) Pathologisches Lernen

Die größten Umsetzungschancen für Reformen dürftenaus dem erwachsen, was man pathologisches Lernen

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nennt: Ein Krisendruck wird so stark, daß Änderungenschlichtweg erzwungen werden. Die über Jahrzehnte hinverschleppte Reform der Bundesbahn gehört ebenso hier-her wie die 1996 und damit viel zu spät erfolgende Teilpri-vatisierung der Deutschen Bundespost Telekom. Bei lee-ren Kassen des Bundes wird der Weg der Eigenfinanzie-rung von außen unausweichlich. Auf EG-Ebene setztesich ein Herkunftslandprinzip erst dann durch, als dieVersuche zu ambitiöser Rechtsvereinheitlichung in denachtziger Jahren gescheitert waren. Eine Reform der euro-päischen Agrarpolitik wird bestenfalls unter dem Druckihrer Unbezahlbarkeit erreichbar sein. Die unterlasseneReform der gesetzlichen Rentenversicherung wird sich imbestehenden System Bahn brechen: Der Charakter derRente als Lohnersatz wird dahinschwinden. Sie wird an-gesichts der sich abzeichnenden demographischen Ent-wicklung nur noch ein Existenzminimum sichern können.Für alles, was darüber hinausgeht, muß private Vorsorgeeintreten. Die politische Klasse von heute dürfte sich des-sen wohl bewußt sein, sie spricht es nur nicht aus. Auchdie mittlerweile deutliche Überforderung des Bundeshaus-haltes wird Einsparungen erzwingen, die in der Vergan-genheit als Tabu galten. Man muß sich dabei nur übereines im Klaren sein: Pathologisches Lernen ist häufig einrealistischer Reformweg. Er ist aber auch mit Abstand derteuerste.

2. Konkrete Vorschläge

Die im folgenden darzustellenden konkreten Vorschlägekonzentrieren sich auf zwei Bereiche, nämlich auf eine zuforcierende Privatisierungspolitik der verschiedenen öf-fentlichen Hände einerseits und auf ein neu zu schaffendes

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Bundesgesetz zur Begrenzung von Subventionen (Sub-ventionsbegrenzungsgesetz) andererseits.

a) Zur Privatisierung

Über die Notwendigkeit einer solchen wurde bereits obendas Gebotene gesagt.42 Das reformatorische Schwerge-wicht liegt dabei nicht mehr bei den Unternehmensbeteili-gungen des Bundes. Es befindet sich auf der Ebene derLänder und der Kommunen. Vier legislative Maßnahmenbieten sich an:

– In das Bundesgesetz über die Grundsätze des Haushalts-rechts des Bundes und der Länder (Haushaltsgrundsät-zegesetz-HGrG) wird eine Bestimmung aufgenommen,wonach eine wirtschaftliche Tätigkeit einer öffentlichenGebietskörperschaft nur in engen Grenzen zulässig ist.Die Länder sollen verpflichtet werden, diese Grundsät-ze in ihre jeweiligen Gemeindeordnungen aufzunehmen,damit auch die Ebene der Kommunen erfaßt wird. Inder Formulierung kann man sich an Vorschriften anleh-nen, die in einzelnen Haushaltsordnungen bereits vor-handen sind (z.B. § 65 Bundeshaushaltsordnung). Al-lerdings müßten die danach geforderten Voraussetzun-gen gegenüber dem geltenden Recht, welches im Sinneeiner wirklichen Begrenzung kaum effektiv gewordenist, verschärft werden. So sollte nicht nur ein wichtigesöffentliches Interesse gefordert sein, sondern ein zwin-gendes. Die weitere Voraussetzung, daß der angestreb-te Zweck nicht besser und wirtschaftlicher auf andereWeise erreicht werden kann, mag beibehalten werden.

42 Vgl. oben II.2.a.

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Man sollte sie nur durch den Zusatz ergänzen, „insbe-sondere nicht durch eine Wirtschaftstätigkeit Privater.“

– Entscheidend ist, daß eine solche Begrenzung als Schutz-gesetz für davon betroffene private Wirtschaftsunterneh-men ausgestaltet ist. Es geht nicht mehr in erster Liniedarum, die Träger von Hoheitsgewalt vor finanziellenAbenteuern zu bewahren. Die Zielrichtung sollte eineordnungspolitische sein, wonach der Staat im Sinne deroben nachgezeichneten Strukturprinzipien einer markt-wirtschaftlichen Ordnung nur strikt subsidiär wirtschaft-lich tätig werden darf. Die im vorangegangenen Spie-gelstrich formulierte Ergänzung „insbesondere nichtdurch eine Wirtschaftstätigkeit Privater“ drückt diesenGedanken aus. In der Begründung zu einem entspre-chenden Änderungsgesetz des Haushaltsgrundsätzege-setzes mag dieser Gedanke so verdeutlicht werden, daßer im Wege einer evidenten historischen Interpretationdie Gerichte effektiv bindet und von diesen – in wel-cher Auslegungstechnik auch immer – nicht ausgehe-belt werden kann.

– Ebenso sollten die Gebietskörperschaften in einem sol-chen Gesetz zu einer turnusmäßigen Vorlage sog. Pri-vatisierungsrechnungen veranlaßt werden.43 Dies kannin standardisierter Form, die im einzelnen vorgeschrie-ben wird, erfolgen. Auf diese Weise würde vielfachüberhaupt erst eine realistische Diskussion über die zurVerfügung stehenden Handlungsoptionen ermöglicht.Dies gilt für die zuständigen Parlamente, einschließ-lich der Gemeindeebene, ebenso wie für das interes-sierte allgemeine Publikum.

43 Vgl. Kronberger Kreis, Privatisierung (Fn. 9), Tz. 36.

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– Die Entscheidung einer Gebietskörperschaft, nament-lich von Gemeinden, eine bestimmte Wirtschaftstätig-keit selbst aufzunehmen oder dafür eigene Unterneh-men vorzuhalten, wird in hohem Maße von steuerlichenRahmenbedingungen beeinflußt.44 Gegenwärtig sinddiese zugunsten der öffentlichen Tätigkeit und zu La-sten potentiell konkurrierender Privatanbieter nachhal-tig verzerrt. Eine gemeindeeigene Müllabfuhr zahlt z.B.keine Steuern, während eine private GmbH Körper-schaftsteuer, Umsatzsteuer, Gewerbesteuer und Vermö-gensteuer aufbringen muß. Wird die öffentliche Wirt-schaftstätigkeit in Unternehmen eigener Rechtsformausgegliedert, so geschieht dies meist in der Weise, daßgewinnbringende und verlustbringende Betriebe gekop-pelt werden. Dies führt zu verdeckten internen Quer-subventionen. Diese wirken nicht nur allokationsver-zerrend, sie führen regelmäßig auch dazu, daß weiter-hin keine Steuern anfallen. Hier ist eine steuerlicheGleichstellung einerseits und eine Unterbindung sol-cher verdeckter Quersubventionierung andererseits an-gezeigt.

Die Schwierigkeit bei der praktischen Umsetzung solcherVorschläge liegt darin, daß es sich dabei um sog. zustim-mungspflichtige Gesetze handelt. D.h., ohne eine zustim-mende Mehrheit auf der Ebene des Bundesrates kann einesolche Gesetzesänderung nicht wirksam werden. Ange-sichts der in diesem Lande vorherrschenden politischenKultur, besser Unkultur, bedeutet dies, der nackte Einzel-egoismus wird zum alleinigen Kriterium für eine Zustim-mung oder Ablehnung. Parteipolitische Motivationen tre-ten in der Praxis des Bundesrates – außerhalb ideologiean-

44 Näher Kronberger Kreis, Privatisierung (Fn. 9), Tz. 34 ff.

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fälliger Felder wie z.B. die Reform des § 218 StGB –demgegenüber in die zweite Reihe. Insgesamt ist der Man-gel an Gemeinsinn erschreckend, auch und gerade auf derEbene politischer Entscheidungsträger. Gegenüber der Be-völkerung setzen diese obendrein ein ungutes Signal vonder Art: „Jeder denkt an sich, selbst zuletzt.“

Ein Ausweg könnte in zwei Richtungen gesucht werden:Zum einen ist der Druck aus der öffentlichen Diskussionin Richtung forcierter Privatisierung zu verstärken. Nichtnur die ordnungspolitischen Gralshüter dieser Republik,vom Sachverständigenrat, dem Wissenschaftlichen Beiratbeim Bundeswirtschaftsministerium, der Monopolkom-mission über den Kronberger Kreis bis hin zum Bund derSteuerzahler reichend, ziehen in dieser Frage an einemStrang. Auch die breite Öffentlichkeit hegt deutliche Sym-pathie gegenüber solchen Vorschlägen. Die Anregung derMonopolkommission, den öffentlichen Geschäftsbanken-sektor zu privatisieren, ist in Meinungsumfragen von rund83% der Befragten unterstützt worden.45

Zum anderen ist auf der Ebene der Gesetzgebungsvor-schläge daran zu denken, solche Reformanliegen zu Ent-scheidungsbündeln zusammenzuschnüren. Bei analogenVorgängen innerhalb der Gesellschaft wäre dann zwar vonErpressung zu sprechen. Für eine pluralistische Gesell-schaft, die überdies des Gemeinsinns in diesem Maßeentbehrt, gibt es schwerlich eine bessere Alternative.

45 Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung - Blick durch die Wirt-schaft Nr. 160 vom 20. August 1992, S. 1 („Viele Bürger wol-len offenbar lieber private Sparkassen. Emnid-Umfrage zurForderung der Monopolkommission nach Privatisierung“)

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b) Subventionsbegrenzungsgesetz

Die Verabschiedung eines Subventionsbegrenzungsgeset-zes, welches die öffentliche Hand auf allen ihren Ebenenbindet, ist der weitaus wichtigere Schritt, um einer Aus-höhlung des Wettbewerbs durch den Staat entgegenzutre-ten. Gewiß wäre es am sichersten, wenn es gelänge, solcheRegelungen jedenfalls in einem Kernbereich mit Verfas-sungsrang auszustatten. Dann wäre der Staat sozusagenauf Dauer an die Kette gelegt. Angesichts der Schäden, diemit Subventionen insgesamt angerichtet werden, wäre einemit solcher Regelung verbundene Inflexibilität auch in-nerhalb einer nicht vorhersehbaren Zukunft kein zu hoherPreis. Doch dürfte eine Absicherung mit Verfassungsranggegenwärtig und auf absehbare Zeit illusionär sein.

Einfache Gesetze haben den Nachteil, daß sie nachträglichwieder mit einfachen Mehrheitsverhältnissen geändertwerden können. Dem läßt sich in der Form entgegenwir-ken, daß einem einfachen Subventionsbegrenzungsgesetzin der öffentlichen Meinung ein besonderer Rückhalt ver-schafft wird. Dies war im Falle des Bundesbankgesetzesund der Deutschen Bundesbank gelungen. Nach eher un-richtiger, insbesondere nach der Änderung des Art. 88Grundgesetz im Gefolge von Maastricht I dubioser, aberdurchaus herrschender Auffassung ist die Unabhängigkeitder Deutschen Bundesbank nur einfachgesetzlich gewähr-leistet. Doch ist diese von einer positiv eingestellten Öf-fentlichkeit derart abgeschirmt, daß keine politische Kraftes wagt, an diesem Status auch nur zu rühren. Eine ver-gleichbare Entwicklung wäre für ein solches Subventions-begrenzungsgesetz anzustreben. Aus diesem Grunde emp-fiehlt es sich nicht, wie dies der Bund der Steuerzahlerunlängst vorgeschlagen hat, solche Begrenzungen für eine

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Subventionsgewährung in das Haushaltsgrundsätzegesetzeinzuarbeiten.46 Noch weniger sollte man solche Regelun-gen in das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz aufnehmen.Im Kontext einer Fiskalpolitik, die mit dem gescheitertenund zunehmend obsolet gewordenen Anspruch konjunktu-reller Glättung antritt, wären auf Begrenzung von Subven-tionen zielende Normen durchaus verunglückt positioniert.

Will man mit Subventionsbegrenzungen primär einer Aus-höhlung des Wettbewerbs durch den Staat entgegentreten,ist es folgerichtig, den Subventionsbegriff horizontal inAnlehnung an Art. 92 EG-Vertrag zu definieren. Ein Dis-kriminierungselement, eine Spezifizität im europarechtli-chen Jargon, bleibt dann zentral. Maßnahmen der allge-meinen Wirtschaftspolitik, auch Transfers an Private,wenn sie sich nicht verschleiernd als mittelbare Subven-tionen erweisen, werden dann nicht erfaßt. Dies wäre an-ders, wenn eine weitergehende Zielrichtung verfolgt wird,etwa eine generelle Begrenzung von Ausgaben aus fiskali-schen Gründen. So sympathisch ein solches Ziel erscheint,so sehr dürfte man sich um die Chance bringen, überhaupteinen Schritt in eine richtige Richtung zu tun. Ein Insistie-ren auf einer Maximallösung steht dem nur im Wege.Auch ergibt sich dann das Risiko einer uferlosen Reich-weite des Subventionsbegriffes. Dies würde aller Wahr-scheinlichkeit nach wieder ausbalanciert mit eher großzü-gigen Möglichkeiten der Rechtfertigung für solchen Mit-teleinsatz. Dann wäre aber im Saldo insgesamt wenigerreicht.

Materiell ist ein grundsätzliches Verbot vorzusehen, vondem im Einzelfall abgewichen werden kann. Eine genaue-

46 AaO (Fn. 13)

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re Konturierung solcher Erlaubnistatbestände, etwa infantindustry-Überlegungen, könnte geeignet sein, Tore zu öff-nen, durch welche alle Interessenten eher mühelos hin-durchmarschieren. Vorzugswürdig erscheinen stärker un-bestimmte Rechtsbegriffe mit einer verfahrensmäßigenGewährleistung, daß sie teleologisch korrekt konkretisiertwerden. So sollte ein zwingendes öffentliches Interesse anSubventionsgewährung erforderlich sein. Eine solche soll-te immer auch nur als strikt subsidiär in Betracht kommen,wobei als Handlungsalternativen nicht nur an sonstigeadministrative, sondern auch an legislative Maßnahmenzu denken ist. Das materielle Problem ließe sich wesent-lich entschärfen, wenn zwei weitere Voraussetzungen ein-gehalten sind: Solche Subventionen dürfen nur zeitlichbegrenzt und aus der Logik, die Förderung absehbar aufeinen Punkt Null zu bringen, auch nur degressiv gewährtwerden.

Umfassende Transparenz sollte hergestellt werden. Diesbeginnt damit, daß für solche Subventionen als Instrumentausschließlich offene Finanzhilfen in Betracht kommen,nicht aber verdeckte Steuerbegünstigungen. Letzteres magfür staatliche Maßnahmen außerhalb eines so umrissenenSubventionstatbestandes möglich bleiben (Transfers anPrivate, Maßnahmen allgemeiner Wirtschaftspolitik ohneDiskriminierungselement im Unternehmenssektor). ZurTransparenz sollten weiter Anhörungspflichten im Hin-blick auf unmittelbar Betroffene gehören. Dann ist garan-tiert, daß deren Standpunkt eine Chance hat, sich inner-halb der Entscheidungsfindung zur Geltung zu bringen.Damit korrespondiert eine Pflicht zur Begründung für einevom grundsätzlichen Verbot abweichende Subventionie-rung. Flankierend sollte eine regelmäßige Berichtspflicht

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über Inhalt, Ausmaß und namentlich Erfolgskontrolle beigewährten Subventionen hinzutreten.

Entscheidend sind die verfahrensmäßigen Mechanismen,welche in der Praxis eine Berücksichtigung solcher Be-grenzungen erzwingen. Zwei Wege sollten kumulativ zurAnwendung kommen:

– Am wichtigsten wäre es, betroffenen Dritten die Mög-lichkeit zu einer Konkurrentenschutzklage einzuräumen.Dann ist ein vom politischen Ermessen unabhängigerKontrollmechanismus vorhanden. Sollte er – eher aus-nahmsweise – statt in eine Verhinderung der Subventi-on in Hinnahme derselben unter Schadenersatz mün-den, so wäre klarzustellen, daß die mit solchen Sub-ventionsbegrenzungen verfolgten Zwecke drittschützen-den Charakter aufweisen. Pauschalierung von Schaden-ersatz über die Beweiserleichterungen hinaus, welcheim Rechtsgedanken des § 287 ZPO enthalten sind, mageine zusätzliche Hilfe sein.

– Neben die Aktivierung der Privatinteressen Betroffenersollte als ein weiterer Mechanismus die Einschaltungeines unabhängigen Sachverständigengremiums treten.Man mag es Subventionskontrollrat nennen. Im Sinneder oben formulierten Systematik wäre dies ein Stabili-sierungsfaktor. Er sollte über Anhörungs-, Äußerungs-und Berichtsrechte verfügen. Die Notwendigkeit sei-ner Zustimmung bzw. umgekehrt formuliert die Mög-lichkeit eines Vetos seinerseits gegen die Gewährungvon Subventionen sollte man nicht in Betracht ziehen.Das Demokratieprinzip, die Ermächtigung der Gesetz-gebungsorgane zu selbstverantwortlicher Entscheidung,wäre dann übermäßig strapaziert. Ein Stabilisierungs-

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faktor solcher Art ist akzeptabel, wenn ihm sozusageneindimensional die ausschließliche oder doch ganz pri-märe Berücksichtigung eines bestimmten Zieles über-antwortet ist. Das ist z.B. bei der Deutschen Bundes-bank unter dem Aspekt der Währungssicherung der Fall.Bei der Entscheidung von Zielkonflikten, wie sie beiSubventionen auftreten können, ist eine auf das Parla-ment und damit letztlich den Souverän zurückgehendeLegitimation vorzugswürdig. Dies ist kein Widerspruchzur Tatsache, daß die Kontrolle einer einmal getroffe-nen Entscheidung durch die Gerichte unberührt bleibt.

c) Ein neuer Art. 94a EG-Vertrag

Man kann in diesem Zusammenhang auch auf die Katego-rie der parakonstitutionellen Lösung zurückgreifen. Wennman die Chancen zur Durchsetzung eines solchen Subven-tionsbegrenzungsgesetzes, zur bewußten Selbstbindungder politischen Entscheidungsträger, ohnehin für geringhält, mag man an einen Umweg über Brüssel denken:Maastricht II böte Gelegenheit, den EG-Vertrag in derWeise zu ergänzen, daß in einem neu zu schaffendenArt. 94 a EG-Vertrag den Mitgliedstaaten aufgegebenwird, für ihre interne Wirtschaftssubventionierung einenRegelungsrahmen zu schaffen, der sich inhaltlich anArt. 92, 93 EG-Vertrag anlehnt. Das Risiko eines Schei-terns bei einer Ratifizierung von Maastricht II durch dienationalen Verfassungsorgane mit Rücksicht auf einen sol-chen Reformpunkt erscheint eher gering. Ein solcher Vor-schlag klingt nicht sehr demokratisch, er könnte aber wirk-sam sein.

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VI. Zusammenfassung

In der Sozialen Marktwirtschaft gebühren privater Initiati-ve und privatem Eigentum grundsätzlich Vorrang vorstaatlicher Zuständigkeit und staatlichem Eigentum. Dertatsächliche Befund in unserem Land ist gegenwärtig einvöllig anderer. Nahezu jede zweite erwirtschaftete Markwird dem einzelnen aus der Tasche gezogen und läuft überöffentliche oder parafiskalische Kassen. Insgesamt ist eserstaunlich, in welchem Ausmaß die BundesrepublikDeutschland, in Sonntagsreden gerne als ein profiliertmarktwirtschaftliches Land gepriesen, sich in der Praxisvon den Strukturprinzipien eines solchen Ordnungskon-zepts entfernt hat.

Besondere Gefahren drohen der Marktwirtschaft durchdie unmittelbare oder mittelbare staatliche Wirtschaftstä-tigkeit auf an sich grundsätzlich offenen Märkten. Werdenstaatliche Unternehmen auf solchen Märkten durch eineMischung von Subvention und Protektion geschützt, wozuauch Grauzonenmaßnahmen wie privilegierte Geschäfts-beziehungen mit öffentlichen Auftraggebern gehören,kommt es unausweichlich zu Verfälschungen des Wettbe-werbs.

Mit der ausgedehnten Subventionspolitik des Staates wirdder Wettbewerb noch weitaus stärker ausgehöhlt. DenGrundsatz der Marktwirtschaft, wonach ein jeder nachseiner Marktleistung entlohnt wird, setzt die Subventions-praxis außer Kraft. Das gilt um so mehr, als der Staat mitSubventionen und Beihilfen nicht nur indirekt, sondernzunehmend direkt in den Wettbewerb zwischen einzelnenUnternehmen eingreift. Denjenigen Unternehmen, diewirtschaftlich gesund sind oder welche die Anpassungs-

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krise aus eigener Kraft bewältigt haben, aber für sich nichtdas Subventionsinteresse der öffentlichen Hand erregenkönnen, wird auf diese Weise das Überleben künstlicherschwert. Die unumgängliche Marktbereinigung vollziehtsich nicht nach Leistungsfähigkeit im Wettbewerb. Aus-schlaggebend ist vielmehr die Fähigkeit, öffentliche Geld-quellen anzuzapfen. Da sich das wettbewerbliche UmfeldDeutschlands dramatisch verändert hat, können solche ord-nungspolitischen Defizite nicht mehr mit Gleichmut hin-genommen werden.

Der rechtliche Befund

Gegen die Aushöhlung des Wettbewerbs durch eigeneWirtschaftstätigkeit des Staates oder durch Subventionenbestehen derzeit keine effektiv greifenden Begrenzungendurch inländisches Recht. So gibt es für die Wirtschaftstä-tigkeit der öffentlichen Hand Grenzen von Verfassungswegen nur in Spurenelementen. Auch aus der Anwendungder Wettbewerbsgesetze, des Gesetzes gegen unlauterenWettbewerb (UWG) und des Gesetzes gegen Wettbe-werbsbeschränkungen (GWB) ergeben sich Begrenzun-gen nur im geringen Ausmaß. Mit diesen Rechtsgrundla-gen läßt sich grundsätzlich nur das „Wie“ öffentlicherWirtschaftstätigkeit kontrollieren, nicht das „Ob“. Auchbei der Subventionskontrolle sieht es nach deutschemRecht nicht besser aus.

Im europäischen Gemeinschaftsrecht bestehen dagegensehr viel engere Grenzen sowohl für die Wirtschaftstätig-keit des Staates als auch für die Beihilfepolitik der Mit-gliedstaaten. Nicht zu Unrecht spricht man davon, daß dieGemeinschaft über die am stärksten marktwirtschaftlichgeprägte Verfassung der Welt verfügt. Vorbehalte ergeben

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sich freilich daraus, daß ein Eingreifen des Gemeinschafts-rechts in der Regel einen Bezug auf den zwischenstaatli-chen Wirtschaftsverkehr voraussetzt.

Bei der Subventionskontrolle liegt der bedeutsamste Un-terschied zum nationalen Recht darin, daß das Gemein-schaftsrecht eine Aufsicht über die von den Mitgliedstaa-ten gewährten Subventionen kennt, und zwar auf derGrundlage eines allgemeinen Verbots mit Erlaubnisvorbe-halt (Art. 92 und 93 EG-Vertrag). Verstoßen Mitgliedstaa-ten gegen ihre hier bestehenden Pflichten, so kann dieKommission ein Vertragsverletzungsverfahren einleiten.Auch Klagerechte Dritter vor nationalen Gerichten kom-men in Betracht. Ein Verstoß gegen die gemein-schaftsrechtlichen Beihilfevorschriften macht den mit-gliedstaatlichen Hoheitsakt in jedem Falle rechtswidrig.Dieses europäische Regelungswerk bleibt aber verbesse-rungsfähig. Zudem räumt der Europäische Gerichtshof derKommission zwar nicht bei der Interpretation des Rechts-begriffs „Beihilfe“, wohl aber bei der Frage, ob diese mitdem Gemeinsamen Markt insgesamt vereinbar sei, einenbeträchtlichen Beurteilungsspielraum ein.

Subventionsbegrenzungsgesetz

Lösungen zur Begrenzung staatlicher Wirtschaftstätigkeitund der Subventionspraxis bestehen in einer zu forcieren-den Privatisierungspolitik der verschiedenen öffentlichenHände einerseits und in einem neu zu schaffenden Bun-desgesetz zur Begrenzung von Subventionen (Subventi-onsbegrenzungsgesetz) andererseits.

Die Verabschiedung eines Subventionsbegrenzungsgeset-zes, welches die öffentliche Hand auf all ihren Ebenen

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bindet, wäre ein wichtiger Schritt, um der Aushöhlung desWettbewerbs durch den Staat entgegenzutreten. Dabeikönnte der Begriff der Subvention in Anlehnung an Art.92 EG-Vertrag definiert werden. Da es auf absehbare Zeitillusionär sein dürfte, ein solches Gesetz mit Verfassungs-rang auszustatten, ist nur die Verabschiedung eines einfa-chen Gesetzes möglich. Um dabei dem Nachteil entgegen-zuwirken, daß es nachträglich wieder mit einfacher Mehr-heit geändert wird, muß dem Subventionsbegrenzungsge-setz in der öffentlichen Meinung ein besonderer Rückhaltverschafft werden. Dies ist im Falle der Deutschen Bun-desbank und des Bundesbankgesetzes gelungen. Eine ver-gleichbare Entwicklung wäre für ein solches Subventions-begrenzungsgesetz anzustreben. Aus diesem Grunde emp-fiehlt es sich nicht, solche Begrenzungen für eine Subven-tionsgewährung, wie dies der Bund der Steuerzahler un-längst vorgeschlagen hat, in das Haushaltsgrundsätzege-setz einzuarbeiten.

Das Subventionsbegrenzungsgesetz sollte ein grundsätzli-ches Verbot vorsehen, von dem im Einzelfall abgewichenwerden kann. Eine genauere Auflistung solcher Erlaubnis-tatbestände sollte vermieden werden. Dies könnte Toreöffnen, durch welche alle Interessenten eher mühelos hin-durchmarschieren. Vorzugswürdig erscheinen stärker un-bestimmte Rechtsbegriffe mit einer verfahrensmäßigenGewährleistung, daß sie teleologisch korrekt konkretisiertwerden. So sollte ein zwingendes öffentliches Interesse anSubventionsgewährung erforderlich sein. Zudem sollteumfassende Transparenz hergestellt werden. Als Instru-ment sollten ausschließlich offene Finanzhilfen in Be-tracht kommen, nicht verdeckte Steuerbegünstigungen.Zur Transparenz sollten weiter Anhörungspflichten imHinblick auf unmittelbar Betroffene gehören. Dann ist

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garantiert, daß deren Standpunkt eine Chance hat, sichinnerhalb der Entscheidungsfindung zur Geltung zu brin-gen.

Entscheidend sind aber die verfahrensmäßigen Mechanis-men, welche in der Praxis eine Berücksichtigung solcherBegrenzungen erzwingen. Drei Wege sollten kumulativzur Anwendung kommen:

– Am wichtigsten wäre es, betroffenen Dritten die Mög-lichkeit zu einer Konkurrentenschutzklage einzuräumen.Dann ist ein vom politischen Ermessen unabhängigerKontrollmechanismus vorhanden.

– Neben die Aktivierung der Privatinteressen Betroffenersollte als ein weiterer Mechanismus die Einschaltungeines unabhängigen Sachverständigengremiums treten.Man könnte es Subventionskontrollrat nennen. Der Ratsollte über Anhörungs-, Äußerungs- und Berichtsrech-te verfügen. Die Notwendigkeit seiner Zustimmung bzw.die Möglichkeit eines Vetos gegen die Gewährung vonSubventionen sollte nicht in Betracht gezogen werden.Das Demokratieprinzip, die Ermächtigung der Gesetz-gebungsorgane zu selbstverantwortlicher Entscheidung,wäre dann übermäßig strapaziert.

– In den Maastricht II-Verhandlungen von 1996 sollte einArt. 94a in den EG-Vertrag eingeführt werden, wonachden Mitgliedstaaten aufgegeben wird, für ihre internenWirtschaftssubventionen eine Kontrolle nach dem Mu-ster der Art. 92ff. EG-Vertrag zu verwirklichen.