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ABHANDLUNGEN Wettbewerb auf den Versicherungsmarkten aus wirtschaftswissenschaftlicher Sichtl Von Hans M S 11 er, Miinchen Gliederung 1. Einleitung 2. Zu den Funktionen des Wettbewerbs 3. Besonderheiten der Versicherungsmarkte 4. Angebotsstruktur und Anbieterwettbewerb 4.1. Die Bedeutung des Wirtschaftswachstums und der Sozialversicherung 4.2. Marktsegmentierung und Anbieterstruktur 4.3. Kern-. und Randgruppe 4.4. Die Abkapselung des deutschen Versicherungsmarktes 5. Der Wettbewerb auf den Versicherungsm5rkten im engeren Sinne 5.1. Mdrkte fiir Produzentenversicherungen 5.2. Markte fiir Konsumentenversicherungen 6. Schlullbemerkungen 1. Einleitung Zundchst muB der Vorstand unseres Vereins zur Wahl des Themas der diesjahrigen Tagung besonders begliickwiinscht werden. Das Thema „Wettbewerb" hat gerade in den letzten Monaten und Wochen eine be- sondere Aktualitdt erlangt, die bei der schon weit ldnger zuriick- liegenden Entscheidung uber das Thema richtig vorausgesehen wurde. Die Aktualitdt des Themas ergibt sich aus drei Griinden: Erstens ist der Wettbewerb auf den Versicherungsmarkten sichtbar in Bewegung geraten. Es deuten sich signifikante Veranderungen an. 1 Vortrag auf der Jahrestagung des Deutschen Vereins fiir Versicherungs- wissenschaft vom 6. Marz 1985 in Bern — einschlialich einiger aus Zeit- mangel nicht verlesener Passagen des urspriinglichen Manuskripts. Von Hin- weisen auf die hier als bekannt vorausgesetzte spezielle versicherungswissen- schaftliche Literatur ist im folgenden i. d. R. abgesehen worden. Dagegen erschienen Literaturangaben zu den erwahnten wirtschaftstheoretischen Problemkreisen 11 a Zeitschr. f. d. ges. Versicherungsw. 2 - 3

Wettbewerb auf den Versicherungsmärkten aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht

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ABHANDLUNGEN

Wettbewerb auf den Versicherungsmarktenaus wirtschaftswissenschaftlicher Sichtl

Von Hans M S 11 er, Miinchen

Gliederung

1. Einleitung

2. Zu den Funktionen des Wettbewerbs

3. Besonderheiten der Versicherungsmarkte

4. Angebotsstruktur und Anbieterwettbewerb4.1. Die Bedeutung des Wirtschaftswachstums und der Sozialversicherung4.2. Marktsegmentierung und Anbieterstruktur4.3. Kern-. und Randgruppe4.4. Die Abkapselung des deutschen Versicherungsmarktes

5. Der Wettbewerb auf den Versicherungsm5rkten im engeren Sinne5.1. Mdrkte fiir Produzentenversicherungen5.2. Markte fiir Konsumentenversicherungen

6. Schlullbemerkungen

1. Einleitung

Zundchst muB der Vorstand unseres Vereins zur Wahl des Themasder diesjahrigen Tagung besonders begliickwiinscht werden. Das Thema„Wettbewerb" hat gerade in den letzten Monaten und Wochen eine be-sondere Aktualitdt erlangt, die bei der schon weit ldnger zuriick-liegenden Entscheidung uber das Thema richtig vorausgesehen wurde.

Die Aktualitdt des Themas ergibt sich aus drei Griinden:

Erstens ist der Wettbewerb auf den Versicherungsmarkten sichtbarin Bewegung geraten. Es deuten sich signifikante Veranderungen an.

1 Vortrag auf der Jahrestagung des Deutschen Vereins fiir Versicherungs-wissenschaft vom 6. Marz 1985 in Bern — einschlialich einiger aus Zeit-mangel nicht verlesener Passagen des urspriinglichen Manuskripts. Von Hin-weisen auf die hier als bekannt vorausgesetzte spezielle versicherungswissen-schaftliche Literatur ist im folgenden i. d. R. abgesehen worden. Dagegenerschienen Literaturangaben zu den erwahnten wirtschaftstheoretischenProblemkreisen

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Aul3ere Anzeichen daftir sind etwa der Sparplan der Banken mit Ver-sicherungsschutz und die vor kurzem bekannt gewordenen Planungender Allianz.

Zweitens werden die Versicherungsmdrkte schon seit langerer Zeit— also unabhangig von den jiingsten Ereignissen — in den Medienkritisch unter die Lupe genommen, wobei der Konsumentenschutz inden Vordergrund gertickt wird, obwohl dieser doch seit jeher dasHauptanliegen des Bundesaufsichtsamtes ftir das Versicherungswesen(BAV) war.

Drittens ist Kritik an der Regulierung durch das BAV audi von derokonomischen Theorie geilbt worden; diese hat aber dariiber hinauseinige Fortschritte und neue Modelle zu verzeichnen, die die traditionel-len Vorstellungen vom Wettbewerb im allgemeinen und auf Versiche-rungsmarkten im besonderen zwar nicht aus den Angeln heben, aberdoch neu beleuchten und erweitern.

Jede dieser drei Entwicklungen stellt fiir den Okonomen eine spe-zifische Herausforderung dar: er wird angesprochen als Diagnostikergegenwartiger Zustande und Prognostiker zu erwartender Verande-rungen, wetter als wirtschaftspolitischer Berater insbesondere auf demGebiet der Offentlichen Regulierungstdtigkeit und schliel3lich als Theo-retiker, der die in der Diskussion befindlichen neuen Modelle vorftihrtund interpretiert sowie auf die Empirie anzuwenden und damit zuiiberpriifen versucht.

Trotz meiner persOnlichen Praferenz fiir die zuletzt genannte Rolledes Okonomen, muB ich es mir aus Zeitgriinden hier leider versagen,auf die Entwicklungen der Wirtschaftstheorie natter einzugehen; diesesind selbstverstandlich mit berticksichtigt worden, da empirische Ana-lysen und wirtschaftspolitische Aussagen ohne theoretische Grundlageauf schwachen FiiBen ruhen wiirden. 2 Aber auch die beiden erstenProblemkreise: Diagnose und Prognose beobachtbarer Entwicklungen,

2 Neben den in spateren Anm. (5, 10, 12, 15, 16, 19, 20) genannten Theorie-bereichen waren vor allem zu nennen:(1) 1Thergang von der Analyse exogen vorgegebener Marktformenstrukturen

zur Erklarung von deren Entstehung und Entwicklung im Zeitablauf.(2) Konsumtheorie von K. Lancaster, die u. a. die Produktdifferenzierung der

Anbieter nicht als Mittel monopolisierender Absatzpolitik, sondern alsErgebnis Okonomisch optimaler Wettbewerbsprozesse erklart.

(3) Analysen des Finanzsektors der Volkswirtschaften and insbesondere derFinanzintermediare („Theory of Finance").

(4) Informationslikonomik.Die Einfliisse dieser Entwicklungen auf den gegenwartigen Stand der

Wirtschaftstheorie (mit ausfiihrlichen Literaturangaben) finden sich z. B. inManfred Neumann, Theoretische Volkswirtschaftslehre, Bd. III, Wachstum,Wettbewerb und Verteilung, Miinchen, 1982.

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sowie die Regulierung sind viel zu umfangreich, urn im Rahmen einesReferates einigermaBen vollstandig behandelt werden zu kOnnen. Dameine Ausfiihrungen am Anfang unserer Tagung stehen, schien es mirzweckmaBig zu sein, ihnen den Charakter eines einleitenden Uberblickszu geben, in den beide Problemkreise einbezogen werden, was dannallerdings nur mehr beispieihaft unter Beschrankung auf wichtigeTeilaspekte und unter Verzicht auf historische Beztige geschehen kann.

Das gilt insbesondere fiir die Probleme der Regulierung, die ja vonPrUsident Angerer noch gesondert aus der Sicht des Bundesaufsichts-amt fiir das Versicherungswesen dargestellt werden. Ob und wie sichdie Sicht des BAV von der des Wirtsc.haftswissenschaftlers unterschei-det, wird sich im Laufe unserer Tagung herausstellen. Um keine MiB-verstdndnisse und keine falschen Erwartungen aufkommen zu lassen,mOchte ich gleich zu Beginn darauf hinweisen, daB die Kritik eines be-stehenden Zustands und Reformvorschlage zu seiner Verbesserung aufverschiedenen Ebenen liegen. Zwar erfordern Reformvorschlage alsGrundlage immer auch eine vorherige Kritik der Zustande, die ge-5ndert werden sollen; jedoch ist Kritik sehr wohl meglich, selbst wennnoch keine Reformvorschlage in Sicht sind. Sie soil dann ein ernst-haftes Nachdenken -Ober Reformen auskisen bzw. beschleunigen, dasauch dann ntitzlich ist, wenn sich Reformen aus diesen oder jenenGriinden als undurchfiihrbar erweisen sollten. In diesem Sinne bitteich jedenfalls, kritische Anmerkungen in meinem Referat aufzunehmen.

Im folgenden werde ich zunachst ganz kurz die Hauptfunktionen desWettbewerbs in Erinnerung rufen, die bereits 1979 auf der Jahres-tagung des Vereins in Wiesbaden ausfilhrlich eriirtert wurden (Ab-schnitt 2). AnschlieBend erschien es mir notwendig zu sein, erneut aufdie Besonderheiten der Versicherung aus wirtschaftstheoretischer Sichteinzugehen, weil diese in der Offentlichen Diskussion und von AuBen-stehenden haufig noch immer schief gesehen werden (Abschnitt 3). Da-mit wird zugleich die Grundlage und ein niitzlicher Rahmen fiir dieweiteren Ausliihrungen gewonnen, in denen zunachst (Abschnitt 4) dasVerhalten der Anbieter von Versicherungsschutz umfassend und all-gemein erOrtert und schlieBlich (Abschnitt 5) dessen Auswirkungen aufdenjenigen Markten behandelt wird, auf denen Nicht-Versicherer, alsodie Produzenten und Konsumenten, mit Versicherungsschutz versorgtwerden. Dies sind die Versicherungsmarkte im engeren Sinne, derenFunktionieren jedoch ohne den intensiven Wettbewerb zwischen denVersicherern auf anderen vor- und nachgelagerten Markten kaum zu-treffend beurteilt werden kann. Dabei habe ich eine strenge Syste-matik — wiederum aus Zeitgriinden — insofern durchbrochen, als ichwettbewerbsrelevante empirische Fakten bereits in die mehr theore-

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tischen Uberlegungen eingestreut habe, um sie spater nicht mehr ge-sondert aufgreifen zu miissen.

2. Zu den Funktionen des Wettbewerbs

Hier sei lediglich in Erinnerung gerufen, daB der Wettbewerb —nach den jeweiligen Wiinschen der Verbraucher — das nach Gilterartenund -qualitaten bestmOgliche und zugleich billigstmOgliche Angebothervorlocken soil. Die von den Anbietern erzielbaren Gewinne dienenals Anreiz, werden aber zugleich, gerade durch den Wettbewerb, innoch vertretbaren Grenzen gehalten. Dieser stellt also eine Kombina-tion von Anreiz- und Kontrollsystem dar. Gegentiber der zeitweisevorherrschenden statischen Betrachtungsweise des Wettbewerbs im Rah-men vorgegebener Marktformen und Marktstrukturen werden schonseit langem dessen dynamische Aspekte in den Vordergrund geriickt.

In dieser dynamischen Sicht ist der Wettbewerb ein ProzeB, der mitstandigen Innovationen, also mit „schlipferischer Zerstbrung", verbun-den ist, und der die jeweiligen Marktformen und Marktstrukturen auchverandert. Dieser ProzeB vollzieht sich nicht im luftleeren Raum son-dern im Rahmen der allgemeinen Wirtschaftsordnung, die bei uns alssoziale Marktwirtschaft apostrophiert wird; ferner unter dem EinfluBdes allgemeinen Wettbewerbsrechts; hinzu treten gerade fiir das pri-vate Versicherungsgewerbe noch die zahlreichen staatlichen Eingriffeder Versicherungsaufsicht.

Dabei sind die Grundlagen der allgemeinen Wettbewerbstheorie und-politik umstritten. So besteht z. B. ein signifikanter Unterschied, obman etwa mit Friedrich von Hayek den freien und von privatrecht-lichen Beschrankungen seitens der Marktbeteiligten nicht behindertenWettbewerb als Entdeckungsverfahren ansieht, dessen Ergebnis manim voraus nicht wissen kann, aber dennoch als im wesentlichen spon-tane Ordnung fiir zweckmdBig halt, oder ob man vom Wettbewerb be-stimmte Ergebnisse erwartet und ihn im Hinblick auf diese Ergebnissebewertet und gestaltet sehen mlichte.

In einer eben erschienenen Untersuchung hat Ernst-Joachim Mest-mtither gezeigt, daB bereits das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschran-kungen (GWB) einen KompromiB zwischen diesen beiden Grundposi-tionen darstellt und daB in der Auslegung und Anwendung dieses Ge-setzes — und ebenso des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb(UWG) — der Schutz des freien (und lauteren) Wettbewerbs mehr undmehr zugunsten eines „verwalteten" Wettbewerbs zuruckgedrangt

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wurde.3 Zu diesem zàhlt Mestmticker nicht nur den kartellbehiirdlichverwalteten Wettbewerb, sondern ebenso den selbstverwalteten Wett-bewerb oder den von Verbanden „selbstgeordneten" Wettbewerb.

Fiir die Versicherungswirtschaft kann man wohl sagen, daB zumin-dest seit dem Versicherungsaufsichtsgesetz von 1901 ein behOrdlich ver-walteter Wettbewerb bestand, dessen Regulierung standig zugenommenhat — wenn man von der Wiederabschaffung der vom Naziregime ein-gefiihrten Bediirfnisprilfung fiir Neuzulassungen von Versicherungs-unternehmen absieht. Gleichwohl spielt auch in der Versicherungs-wirtschaft der selbstverwaltete bzw. von Verbanden geordnete Wett-bewerb eine Rolle. Auf die damit verbundenen Probleme kann hiernicht eingegangen werden.

3. Besonderheiten der Versicherungsmarkte

Der Wettbewerb der Versicherungswirtschaft weist im Vergleich zuanderen Wirtschaftszweigen gewisse Besonderheiten auf, mit denenletztlich auch die Institution der Versicherungsaufsicht begriindet wird.Diese Besonderheiten lassen sich zwar leicht enumerieren, jedoch ist esgleichwohl schwierig, sie im einzelnen zu interpretieren und ihre Re-levanz fiir den Ablauf von Wettbewerbsprozessen zu beurteilen. Dasbeginnt bereits bei der Charakterisierung des Produktes „Versiche-rungsschutz" als Gegenstand des Marktverkehrs.

Unter Beriicksichtigung neuerer Entwicklungen der Wirtschaftstheo-rie wiirde ich es z. B. fiir irrefiihrend halten, Versicherungsschutz alsein Produkt zu betrachten, das wie andere Giiter auf Markten verkauftoder gekauft wird. Vielmehr besteht der harte Kern einer Versicherungin einem finanziellen Tausch von VermOgens- (bzw. Einkommens-)posi-tionen und dieser erfordert relativ komplizierte individuelle Kon-trakte, deren AbschluB mit ungewOhnlich hohen Transaktionskostenverbunden ist. Der Versicherer ilbernimmt vom Versicherungsnehmerunsichere VermOgenspositionen, wobei die individuellen Risiken durchPoolung (Kollektivbildung) weitgehend vernichtet werden; er tauschtdafiir sichere VermOgenspositionen in Form der Beitrage ein. Entspre-chendes gilt umgekehrt fiir den Versicherungsnehmer. Bei diesemTausch von VermOgenspositionen liegt somit kein volkswirtschaftlicherRessourcenverzehr vor.4

3 Ernst-Joachim Mestmacker, Der verwaltete Wettbewerb, Eine verglei-chende Untersuchung fiber den Schutz von Freiheit und Lauterkeit im Wett-bewerbsrecht, Tiibingen 1984.

4 Ein solcher Tausch stiftet wie jeder freiwillige Tausch — auch nach Be-riicksichtigung der aufzuwendenden Transaktionskosten — fiir die Beteilig-ten und damit far die Volkswirtschaft insgesamt zusatzlichen Nutzen (Wohl-

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Der Versicherer ist also ein Finanzintermediar, der einerseits be-dingte Forderungen anbietet, die filr ihn zu bedingten Verbindlich-keiten werden, sobald sie von den Versicherungsnehmern akzeptiertsind, andererseits aber zugleich feste Beitrage bei diesen nachfragt. AlsAnbieter ist er bei uns gesetzlich geschtitzt, als Nachfrager konkurrierter mit anderen Finanzintermediâren — wie vor allem Banken — urndie Finanzanlagen der Wirtschaftssubjekte. Aus mehreren Griinden,die hier nicht weiter diskutiert zu werden brauchen, ist das Versiche-rungsgeschaft — auch wenn man vom Sparvorgang in der gemischtenLebensversicherung absieht — mit der Ansammlung erheblicher Ka-pitalien verbunden, die von den Versicherern auf dem Kapitalmarktangelegt werden, was ihre Rolle als Finanzintermediar unterstreichtund die Konkurrenz mit anderen Finanzintermediaren noch verstarkt.

Die gewerbliche Ubernahme bedingter Verbindlichkeiten durch denVersicherer erfordert selbstverstdndlich, daB dieser in den Beitragengeniigend finanzielle Mittel erhalt, urn die bei Eintritt des Versiche-rungsfalls f5llig werdenden Verbindlichkeiten voll erfilllen zu kiinnen.Der diesem Zweck dienende Teil des Beitrags des Versicherungsneh-mers, also die Netto- oder Risikopramie, muB infolgedessen miiglichstgenau kalkuliert werden, was wegen der vielen dabei zu beriicksich-tigenden Unsicherheiten immer nur naherungsweise gelingen kann,aber, wie Theorie und Praxis beweisen, urn so besser gelingt, je griifierdas zugrundeliegende Kollektiv ist und je giinstiger es im Hinblick aufdie erforderlichen Kalkulationen zusammengesetzt ist. Fiir die immernoch verbleibenden Unsicherheiten bedarf der Versicherer einer Eigen-mittel-Reserve, die seine Kapazitat zur Ubernahme bedingter Ver-bindlichkeiten begrenzt.

Die Kalkulation der Nettoprdmien setzt die Abgrenzung von Teil-kollektiven nach Risikoarten, Wagnisklassen usw. voraus und erforderteine Fiille von schwer beschaffbaren Informationen. In diesem Zusam-menhang sind auch die neuerdings von der Wirtschaftstheorie intensivdiskutierten Probleme von moralischem Risiko und negativer Selektionvon groBer Bedeutung. 5 Insgesamt verbleibt bei der Kalkulation der

fahrtsgewinn), der, weil in der Regel nicht direkt meBbar, statistisch nichterfaBt wird. Da dieser Nutzengewinn durch den Tausch die verfilgbarenRessourcen und ihre Verwendung in der Produktion beeinfluBt, ergibt sichindirekt eine positive Riickwirkung auch auf das statistisch ausgewieseneSozialprodukt, deren Abschatzung — wie bei anderen Finanztransaktionen(z. B. Krediten) — auf groBe Schwierigkeiten stoat. (Vgl. auch Anm. 40.)

5 Moralisches Risiko (moral hazard) und negative Selektion (adverseselection) gehtiren. zum Kern der neuen InformationsOkonomik, die nunmehrnahezu auf alle Bereiche der Volkswirtschaftslehre angewendet wird, wall-rend anfangs VersicherungsmErkte als besonders anschauliches Beispiel imVordergrund standen. Im Gegensatz zur friiher iiblichen vereinfachendenAnnahme vollstandiger Information wird dabei von unvollstandiger In-

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Nettopramien ein signifikanter Spielraum mit der Moglichkeit derMischkalkulation, die allerdings der Wettbewerb zwischen den Ver-sicherern in Grenzen halt .°

Der finanzielle Tausch von Vermbgenspositionen vollzieht sich nuninteressanterweise nicht nur zwischen Erstversicherer und Versiche-rungsnehmer, sondern auch zwischen den Erstversicherern unterein-ander und im Verkehr mit professionellen, auf diese Tatigkeit spe-zialisierten Rtickversicherern, sowie sc.hlieBlich zwischen den profes-sionellen Riickversicherern selbst. Ein Erstversicherer oder ein Rtickver-sicherer fragt also selbst Versicherungsschutz nach, den ein andererErstversicherer bzw. Rtickversicherer befriedigt. Der Rtickversiche-rungsmarkt erlaubt eine volkswirtschaftlich vorteilhafte VergroBerungder Versicherungsbestande und ihre bessere Verteilung auf die Ver-sicherer. Ohne Rackversicherungsmaglichkeit milBte ein einzelner Ver-sicherer Versicherungskontrakte ablehnen, die seine Kapazitat fiber-schreiten oder die Zusammensetzung seines Bestandes tibermaBig ver-schlechtern. Der Wettbewerb auf den Rackversicherungsmarkten istverhaltnismaBig wenig reguliert und sehr schwer zu durchschauen,weil er sich tiberwiegend zwischen relativ wenigen Versicherungs-unternehmen (VU) aufgrund individueller und zum Teil kaum stan-dardisierbarer Vertrage abspielt. Ich werde im folgenden auf ihn nichtmehr im einzelnen eingehen. 7

Ebenso wichtig wie diese Charakteristika des „finanziellen Kerns"der Versicherung sind die Besonderheiten, die sich im Zusammenhangmit den Transaktionskosten ergeben, die einen Ressourcenverzehr dar-stellen und somit echte volkswirtschaftliche Kosten sind .° Sie umfassendie Aufwendungen far Erstellung, AbschluB und Abwicklung von

formation ausgegangen, sei es aber das, was auf Markten ge- oder verkauftwird (mit den Problemen von adverse selection), oder sei es fiber das Ver-halten von Marktpartnern (mit den Problemen von moral hazard). Der wohlgegenwartig qualitativ und quantitativ fruchtbarste Wissenschaftler auf die-sen Gebieten ist Joseph E. Stiglitz an der Princeton University und derHoover Institution, Stanford. Sein neuester aberblicks -Aufsatz: „Informationand Economic Analysis: A Perspective" in Supplement to the EconomicJournal, Vol. 95 (March 1985), S. 21 - 41 (mit weiteren Literaturangaben). Imdeutschsprachigen versicherungswissenschaftlichen Schrifttum ist ftir mora-lisches Risiko und negative Selektion einschlagig: Roland Eisen, Theorie desVersicherungsgleichgewichtes, Berlin 1979.

6 Ein Versicherer kannte beispielsweise eine einheitliche durchschnittlicheRisikopramie filr bessere und schlechtere Risiken bei zunehmender Informa-tion der Versicherungsnehmer im Wettbewerb auf die Dauer nicht aufrecht-erhalten, weil er gute Risiken verlieren und schlechte Risiken gewinnenwiirde. Der Wettbewerb wiirde hier z. B. zu einer risikogerechteren Pramien-differenzierung fiihren kannen.

7 Rackversicherungsbeziehungen kannen neben diesen rein „versicherungs-technischen" auch noch anderen Zwecken im Rahmen der Unternehmens-kooperation dienen, die in Abschnitt 4 kurz erwahnt werden.

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z. T. sehr komplizierten Versicherungskontrakten, die zur Bildung einesVersicherungskollektivs mit jedem einzelnen Versicherungsnehmer ab-geschlossen werden miissen. Dabei spielt die Beschaffung von Infor-mationen ftir die Beurteilung des Risikos und ftir die Kontrolle desEintritts von Versicherungsfallen haufig eine groI3e Rolle, zumal dieVersicherungsnehmer ein verstandliches Interesse haben, bei ihnenverftigbare aber ftir sie ungtinstige Informationen zurtickzuhalten odergar falsche Informationen weiterzugeben.

Dazu kommt, daB vor allem private Haushalte als potentielle Ver-sicherungsnehmer fiber das Wesen der Versicherung wenig informiertsind; wahrend sie beispielsweise fur die sichere Aufbewahrung ihresBargeldes durch Einlage bei einer Bank sogar bereit wdren, notfallsselbst einen Preis zu zahlen, ist der Vorteil des Tausches einer Versiche-rungspramie in eine bedingte Forderung weit weniger einsichtig. Esbedarf deshalb besonderer Anstrengungen, um einen potentiellen Ver-sicherungsnehmer zum AbschluB eines Kontraktes zu bewegen, auchwenn dessen Vorteile ftir beide Seiten eindeutig gegeben sind. Ausalien diesen Besonderheiten ergibt sich, daB eine Makler- und Ver-mittlertdtigkeit zur Herbeifiihrung von Versicherungskontrakten yolks-wirtschaftlich in der Regel vorteilhaft ist.

Obwohl eine solche Tatigkeit dutch selbstdndige Makler auf denVersicherungsmdrkten eine gewisse Rolle spielt, haben fast uberall dieVersicherer selbst die Aufgabe der Information und Akquisition vonKunden ubernommen, was ihnen auch die vorteilhafte Standardisie-rung der Versicherungskontrakte erleichtert. 9 Allerdings bleibt demVersicherungsnehmer trotzdem die ebenfalls kostenverursachende Su-che nach dem far ihn giinstigeren Versicherer. Da die Werbung mitder Informationsvermittlung weitgehend auf Einzelfdlle abgestelltwerden mun, kommt es ftir einen Versicherer entscheidend darauf an,sich Zugang zu einem Kreis potentieller Versicherungsnehmer zu ver-schaffen, was uberwiegend mit Hilfe eines firmeneigenen AuBendien-stes von selbstdndigen Versicherungsvertretern geschieht. Deren Len-

8 Vgl. Anm. 4.Von der fiir jeden Versicherer erforderlichen Standardisierung der Kon-

trakte ist deren Vereinheitlichung fiir konkurrierende Versicherer zu un-terscheiden, die in der BRD durch das Versicherungsvertragsgesetz und dasErfordernis der behOrdlichen Genehmigung (durch das BAV) fiir die Allge-meinen Versicherungsbedingungen fiir die einzelnen Versicherungszweige(auf Grund von „Musterbedingungen") bewirkt wird. Ob dabei die wett-bewerbsfOrdernden Effekte durch die ErhOhung der Markttransparenz oderdie wettbewerbsbeschrankenden Effekte durch die Erschwerung der Pro-dukt-(Kontrakt-)Differenzierung und -Innovation ilberwiegen, laBt sich ge-nerell wohl nicht entscheiden. Sicher ist nur, daB bei dieser Praxis Belangeder Versicherungsnehmer nicht von diesen selbst sondern vom BAV wahr-genommen werden.

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kung und Kontrolle wird flir den Versicherer dadurch wesentlich er-leichtert, daB diese auf Provisionsbasis arbeiten. Auch hierfiir spielenInformationsprobleme mit moral hazard und adverse selection eineentscheidende Rolle."

Im Regelf all konkurrieren die Versicherer also um geeignete haupt-und nebenberufliche Versicherungsvertreter, die sie auf einem Vertre-termarkt gewinnen miissen und deren Vergiitung nicht in die Wert-schOpfung des Versicherers eingeht, sondern fiir diesen — auch in dervolkswirtschaftlichen Gesamtrechnung — den Bezug einer Vorleistungdarstellt. Der Wettbewerb der Versicherer auf dem Beschaffungsmarktfiir Vertreterleistungen ist von groBer Bedeutung und die Versicherer-Verbande haben versucht, ihn durch „Wettbewerbsrichtlinien der Ver-sicherungswirtschaft" minutiiis zu kanalisieren, ein Problemkreis mitdem ich mich ebenfalls nicht weiter befassen werde.' 1

Die Griinde Mr die ZweckmaBigkeit eines selbstandigen AuBendien-stes machen zugleich klar, daB auf den firmeneigenen AuBendienstkostensparend verzichtet werden kann, wenn der Versicherer fiber einanderes eigenes Netz von Kontakten zu einer ausreichend groBen Zahlpotentieller Versicherungsnehmer verfiigt oder von ihm ein andererVerteilerapparat benutzt werden kann, was jedoch seine MOglichkeitender Akquisitionspolitik einengt und es erschwert, den Firmennamenzu einem Glite- und Leistungszeichen zu entwickeln." Ein solcher Ver-

10 Die wirtschaftliche Beziehung zwischen Versicherern und selbstandigenVertretern ist ein Schulbeispiel fur das „Principal-Agent-Problem", dessenGeneralisierung zur Anwendung auf viele Bereiche der Wirtschaftstheorie(Arbeitskontrakte, Unternehmensorganisation bis hin zur Theorie der Plan-wirtschaft) gefiihrt hat. Die Bezeichnung dieses Problems scheint von St. A.Ross zu stammen (The Economic Theory of Agency: The Principal's Problemin Am. Ec. Review, Vol. LXIII, 2, May 1973). Die neueste VerOffentlichungstammt von R. Rees, The Theory of Principal and Agent, Part I in Bulletin ofEconomic Research, Vol. 37, 1 (1985).

11 Die neueste Fassung dieser Richtlinien stammt vom 15. 12. 1977 undwurde dem BAV vorsorglich gemaB § 102 GWB gemeldet. Sie betreffen imubrigen nicht nur den Wettbewerb urn Vertreter und das Vertreterverhalten,sondern auch den Wettbewerb urn Versicherungsnehmer und enthalten u. a.Richtlinien far die Werbung (einschl. Versicherungsberatung), Hinweise aufdie UnzulEssigkeit der Ausspannung mit unlauteren Mitteln oder auf un-lautere Weise — verbunden mit der Empfehlung auf Ausspannungen ganzzu verzichten.

12 Die Qualitat des Versicherungsschutzes (etwa die Schnelligkeit undKulanz bei der Schadensregulierung) spielt neben seinem Inhalt und Preisfill. die Akquisition eine gewisse Rolle. Insoweit will -de der Versicherungs-schutz zu den „Conveniencegiitern" rechnen, die ohne nennenswerte Be-ratung durch Verkaufspersonal in Kaufhausern usw. vertrieben werdennen. Tatsdchlich gehOrt der Versicherungsschutz aber ebenso sowohl zu den„Suchgiitern" (bei denen der Kaufer selbst sick detaillierte aufwandver-ursachende Informationen verschaffen mull) als auch zu den „Erfahrungs-giltern" (bei denen die Eigenschaften der Ware erst nach dem Kauf feststell-

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zicht war bisher offenbar nur in besonders gelagerten Fallen vorteil-haft und bildet derzeit eher die Ausnahme als die Regel, was sichkiinftig andern kOnnte.

Alle beim Versicherer anfallenden Transaktionskosten milssen durchdie Bruttopramie abgegolten werden und fiihren in seiner Kalkulationzu Zuschlagen auf die Nettopramie ftir AbschluB- und Verwaltungs-kosten, ohne daB der Versicherungsnehmer die einzelnen Pramien-bestandteile erfahrt." Die relative HOhe der Transaktionskosten imVerhaltnis zur eigentlichen Finanztransaktion hat im tibrigen zurFolge, daB die Vertragsparteien an einer moglichst langen Dauer derVertrage und an der Nutzung einmal hergestellter Kontakte fur meh-rere Versicherungszwecke bzw. fiir die ErhOhung bestehenden Ver-sicherungsschutzes interessiert sind. Damit treten erhebliche Verbund-vorteile auch im Transaktionskostenbereich eM, die auBerdem demVersicherer wiederum eine Mischkalkulation, hier bei der Zurechnungder AbschluB- und Verwaltungskosten, erlauben." Der Wechsel desVersicherungsnehmers zu einem giinstigeren Anbieter ist also sehrerschwert", so daB sich der Wettbewerb auf den immer kleiner wer-denden Kreis bisher Unversicherter, und darunter der jeweils her-anwachsenden Jahrgange, sowie auf neu entstehende und gegebenen-falls erst versicherbar zu machende Risiken verlagert.

Zusammenfassend laBt sich also feststellen, daB fur einen Versichererin der Regel die Verbundvorteile (im Englischen „economies of scope")durch die Zusammenfassung unterschiedlicher Versicherungsangebotesowohl im finanziellen (Risikopramien-) als auch im Transaktions-kostenbereich meist die Spezialisierungsvorteile ilberwiegen." Trotz-

bar sind). Das Gewicht der Eigenschaften dieser drei neuerdings von derOkonomischen Theorie unterschiedenen Giiterkategorien (vgl. M. Neumann,Theoret. VWL, III, a.a.O., S. 189) ist bei den einzelnen Arten von Versiche-rungsschutz sehr verschieden.

13 Da es wegen der Spielraume in der Pramienkalkulation keine eindeu-tigen und nachpriifbaren Werte fiir Risikopramie (einschl. Sicherheitszu-schlage) und Kostenzuschlage geben kann, ware eine Information des Ver-sicherungsnehmers fiber die Zusammensetzung der Bruttopramie letztlichwertlos.

14 Derartige Verbundvorteile ergeben sich auch beim Versicherungsnehmerfar die von ihm zu tragenden Suchkosten. Unabhangig davon erschwert dasInteresse von Versicherer und Versicherungsnehmer an moglichst langfristi-gen Kontrakten den Wettbewerb, weil nicht auszuschlieBen ist, daB die mitkarzeren Laufzeiten von den Versicherungsnehmern erzielbaren Vorteilebei der Risikopramie hinter der damit verbundenen Erhohung der Trans-aktionskosten zurackbleiben.

15 Bei Einproduktbetrieben zeigen sich „GraBenvorteile" (economies ofscale) in mit dem output sinkenden Durchschnittskosten; bei simultaner Pro-duktion von mehreren Giitern auBern sich „Verbundvorteile" darin, daB diegesamten Produktionskosten niedriger sind als wenn die Giiter isoliert er-zeugt warden, wobei die Verbundvorteile i. d. R. mit der Zusammensetzung

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dem kann in Einzelfallen eine Spezialisierung sehr wohl vorteilhaftsein. Versicherer sind aber, selbst wenn sie nur einen Versicherungs-zweig betreiben, immer nosh als Mehrproduktunternehmen zu inter-pretieren, weil sie in der Regel mehrere Kontrakttypen mit unter-schiedlichen Versicherungsinhalten anbieten (Produktdifferenzierung).Die Bedingungen eines natiirlichen Monopols sind dagegen filr die Ver-sicherungswirtschaft schon wegen der Besonderheiten im Transaktions-bereich m. E. nicht gegeben, so daB das Problem der optimalen Be-triebsgrOBen von Bedeutung bleibt."

Der tYberblick zeigt, wie komplex das Wettbewerbsgeschehen aufVersicherungsmarkten ist und wie schwer es sich beurteilen laBt, undzwar schon dann, wenn man seine Regulierung durch die staatlicheVersicherungsaufsicht ganz auBer acht laBt. An sich sollte der Wett-bewerb dafiir sorgen, daB fiir den finanziellen Kern des Versicherungs-kontraktes adaquate Nettopramien zustande kommen und dab die er-forderlichen Transaktionskosten, also die gesamten Verwaltungskosten-zuschlage, minimiert werden, wobei beides wechselseitig voneinanderabhangig ist. Ob — und gegebenenfalls unter welchen Bedingungen —ein gesamtwirtschaftliches Optimum theoretisch ableitbar ist, mag hierganz of fen bleiben. Dagegen laBt sich eher prilfen, ob die Versiche-rungswirtschaft ein gegebenes, also z. B. das von ihr jeweils realisierteVersicherungsprogramm effizient bereitstellt und abwickelt. Indizien

des outputs variieren und das einfache Konzept der Durchschnittskosten nichtmehr anwendbar ist. Grafien- und Verbundvorteile kannen gleichzeitig auf-treten, was ihre begriffliche Erfassung erheblich erschwert. Vgl. dazuM. Neumann, Theoret. VWL, Bd. III a.a.O., S. 241 ff. und den in Anm. 16 an-gegebenen Beitrag von Baumol.

16 Als natarliches Monopol (ein schillernder Begriff) gilt heute i. d. R. einbestimmtes Verhaltnis zwischen der Nachfrage und den technischen Bedin-gungen des Angebots derart, daB die gesamte Nachfrage auf einem relevantenMarkt zu den niedrigsten Preisen nur durch einen einzigen Anbieter (z. B.wegen sinkender Durchschnittskosten) befriedigt werden kdnnte, weil an-dernf alls — bei mehreren Anbietern — der Wettbewerb nicht effizient ware(z. B. weil wegen Kartellbildung hahere Preise zustande kamen oder weilalle Anbieter bis auf einen Monopolisten eliminiert warden); vgl. R. Posner,Natural Monopoly and its Regulation, Stanf. Law. Rev., Vol. 21, Part 1,1968/69, S. 548 ff. Vorschnell (und neuerdings m. E. auch zu Recht bestritten)wird das natiirliche Monopol als legitime Rechtfertigung far eine staatlicheMarktregulierung betrachtet (entweder um eine Monopolisierung zu ver-hindern, oder umgekehrt ein staatl. kontrolliertes Monopol zu errichten).Manfred Neumann scheint das natiirliche Monopol fiir die Versicherungs-wirtschaft als gegeben anzusehen, denn er behauptet: „Auf Grund des Ge-setzes der groBen Zahlen nehmen die Durchschnittskosten mit der GraBe derVersicherungsfirma ab." (Theoret. VWL, Bd. III a.a.O., S. 225). Diese Theseist m. E. wegen der dargelegten Besonderheiten der Versicherung nicht zu-treffend. Die theoretische Analyse dieser Frage ist auBerst verwickelt (vgl.vor allem W. J. Baumol, On the Proper Cost Tests for Natural Monopoly ina Multiproduct Industrie, Am. Ec. Rev., Vol. 67, Dec. 1977, S. 809). (Vgl. auchAnm. 40.)

12.

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180 Hans Miller

der Ineffizienz waren etwa nicht-optimale Betriebsgriifien, ilberhOhteTransaktionskosten, nicht adaquate Nettopramien-Relationen, durch de-ren Korrektur im Finanzbereich hOherwertige Tauschoperationen er-reicht werden kOnnten, und die Erzielung standig iiberhOhter Ge-winne. Die Identifizierung solcher Ineffizienzen ist allerdings von derzugrundeliegenden Wettbewerbskonzeption abhangig; stellt man sichradikal auf den Standpunkt Hayeks vom freien Wettbewerb als Ent-deckungsverfahren, so lassen sich die genannten Indikatoren fiir Ineffi-zienz teilweise bestreiten und es bleibt dann lediglich die Priifung, obder freie Wettbewerb durch vermeidbare Hindernisse privat- oderOffentlich-rechtlicher Natur beschrankt wird.

4. Angebotsstruktur und Anbieterwettbewerb

4.1. Die Bedeutung des Wirtschaftswachstums und der Sozialversicherung

Das Wettbewerbsgeschehen auf einem Markt wird sehr wesentlichvon den Wachstumsraten dieses Marktes, der Branche, der er angehOrt,und der Gesamtwirtschaft beeinfluBt. Es bedeutet einen Unterschied,ob sich die Wettbewerbsschwache eines Unternehmens z. B. in einemVerlust von Marktanteilen bei zunehmender oder abnehmender Unter-nehmensgrOBe auBert und ob die Chancen fiir den nbergang auf an-dere Mdrkte der gleichen Branche besser oder schlechter sind. In derZeit nach dem 2. Weltkrieg bis zur Mitte der 70er Jahre war die Ent-wicklung der Gesamtwirtschaft, des Finanzsektors insgesamt und desVersicherungswesens insbesondere durch eine auBergewOhnliche Ex-pansion charakterisiert, durch die der Wettbewerb und seine Wirkun-gen gemildert wurden. Mit der eingetretenen und wohl nachhaltigenReduktion der volkswirtschaftlichen Wachstumsraten ist zu erwarten,daB auch die Zunahmeraten far den Finanzsektor einschlialich desVersicherungswesens zuruckgehen werden und der Wettbewerb aufden Versicherungsmarkten kiinftig wesentlich harter wird als bisher. 17

Fiir die Bundesrepublik Deutschland (aber auch fur andere Lander)ist die Expansion der Privatversicherung in der Vergangenheit deshalbbesonders bemerkenswert, weil zugleich die Sozialversicherung einebetrachtliche Ausweitung erfuhr, wodurch sich der Bedarf an Privat-versicherung tendenziell verminderte. Angesichts der filr die Sozial-

Eindriicke von dem in der Vergangenheit besonders schnellem und sichnunmehr stark abschwachenden Wachstum der Versicherungswirtschaft ver-mitteln die „Wirtschaftsstudien sigma" der Schweizcrischen Rtickversiche-rungsgesellschaft (verschiedene Hefte), in denen auch auf die schwierigenMeSprobleme hingewiesen wird (vor allem auf den das Wachstum nur no-minell erhOhenden Einflufi der Inflation). Filr die Bundesrepublik vgl. auchdie eindrucksvolle Tabelle von Farny (Anm. 22) S. 5.

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Wettbewerb auf den VersicherungsmArkten 181

versicherung nunmehr fiihlbar gewordenen Grenzen der Finanzierbar-keit, kOnnten sich die Wettbewerbschancen der Privatversicherungkiinftig wieder verbessern18, allerdings wohl nur dann, wenn der Wett-bewerb zwischen den Privatversicherern seine Funktionen besser er-fiillt als bisher und Vorbehalte potentieller Kunden gegentiber derPrivatversicherung abgebaut werden können.

Auch unabhangig von den Finanzierungsschwierigkeiten des Wohl-fahrtsstaates ktinnten die Unsicherheiten und/oder die Risikoaversionder Menschen kiinftig zunehmen und das Wachstum der Privatver-sicherung trotz niedrigerer volkswirtschaftlicher Wachstumsraten be-gtinstigen. Untersuchungen darner sind mir bisher nicht begegnet.Eine neuere Schrift von K. Galbraith liefert speziell zu dieser FrageauBer ihrem verheiBungsvollen Titel „The Age of Uncertainty" (Bo-ston, 1977) keinen Beitrag.

4.2. Marktsegmentierung and Anbieterstruktur

Charakteristisch filr den Gesamtmarkt der Privatversicherung istdessen sehr weitgehende Segmentierung in verschiedenartige Teil-m5rkte mit wirksamen Eintrittsbarrieren von auBen und sehrbaren Zugangs- bzw. Mobilitatsbarrieren zwischen ihnen. Die Teil-mdrkte kOnnen sich nach der Art des Versicherungsgeschafts (z. B.nach Sparten bzw. Zweigen oder feiner untergliedert), regional odernach anderen Gesichtspunkten (wie etwa bestimmten Kundenkreisen)unterscheiden.

In der theoretischen Analyse von Marktprozessen haben die Markt-eintritts- und -austrittsbarrieren gerade in den letzten beiden Jahr-zehnten zunehmende Bedeutung erlangt. Von ihnen hängt vor allemdie Wirkung der potentiellen Konkurrenz ab, die die Marktpolitik derbereits etablierten Marktteilnehmer wesentlich beeinfluBt. Die poten-tielle Konkurrenz kann den Wettbewerb zwischen bereits vorhandenenAnbietern teilweise ersetzen; wirksame Zugangsbarrieren schiltzenalso vor Konkurrenz und ermoglichen monopolartige Gewinne.lo An-

18 In der gleichen Richtung dilrfte wirken, daB sich der weitere Ausbauder (wirtschaftspolitisch begiinstigten) betrieblichen. Altersversorgung durchBildung von Pensionsriickstellungen nach ErlaB des BAV-Gesetzes von 1974und der Heraufsetzung des hier anzuwendenden RechnungszinsfuBes aufnunmehr 6 % Ende 1981 verlangsamt hat. Dazu W. Ruppert, Verliert die be-triebliche Altersversorgung an Bedeutung? in ifo-Schnelldienst 9/85 vom25. 3. 1985, S. 12 ff.

19 Relevant ist hier die Theorie des „Eintrittssperrenpreises" (vgl. dazuM. Neumann, Theoret. VWL, Bd. III, a.a.O., S. 176 ff.) sowie das 1982 vonW. J. Baumol, J. C. Panzer und R. D. Wellig entwickelte Konzept „umstrit-tener Markte" (contestable markets), das allerdings selbst noch umstrittenist. Gibt es fiir einen Markt keinerlei Eintritts- und Austrittsbarrieren, so

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dererseits klinnen Markteintrittsbarrieren unter bestimmten Aspektenauch eine wettbewerbsfOrdernde Funktion erfilllen, falls gerade sieeinen Innovator vorubergehend vor nachahmenden Wettbewerbernschiitzen und ihm so erhOhte Gewinnchancen belassen, ohne die er dasRisiko einer Marktinnovation vielleicht nicht iibernehmen wiirde. 2°

Eintritts- und Austrittsbarrieren fiir den gesamten Versicherungs-markt und seine Teilmarkte ergeben sich zunachst aus den inhdrentenProdukteigenschaften und den daraus folgenden Angebotsbedingungen.Solche Barrieren kiinnen z. B. durch akkumulierte Erfahrungen fiberdie Risikomerkmale konkreter Versichertenbestande oder durch nichtallgemein zugangliche Netze von personellen Beziehungen zwischenpotentiellen Versicherungsnehmern begriindet werden. 21

Dazu kommen staatliche Barrieren. Sie bestehen darin, daB zur Auf-nahme des Versicherungsgeschafts nicht nur eine einmalige Erlaubnisdes BAV erforderlich ist, die die Griindung eines rechtlich selbstandigenVersicherungsunternehmens und die Erfiillung weiterer Bedingungenvoraussetzt; vielmehr muB sich das Versicherungsunternehmen darnerhinaus einer stdndigen und z. T. intensiven Kontrolle durch die Ver-sicherungsaufsicht und gegebenenfalls auch deren regulierenden Ein-griffen unterwerf en.

Die Zulassung erfolgt filr eine oder mehrere der 20 von der Ver-sicherungsaufsicht enumerierten Versicherungssparten. Der Betriebeiner anderen Sparte bedarf wiederum der Genehmigung. Selbst dieAufnahme einer neuen Art von Versicherung oder eines neuen Kon-trakttyps bedarf in einigen Versicherungssparten einer vorherigen Ge-schaftsplangenehmigung durch das BAV. Fiir den Betrieb der Lebens-,Kranken-, Rechtsschutz- sowie Kredit- und Kautionsversicherung wirdeine Kombination mit anderen Sparten nicht zugelassen, so daB dieErrichtung je eines rechtlich selbstandigen Versicherungsunternehmenserforderlich ist. Nur die Schaden- und Unfallversicherer dilrfen

sorgt nach dieser Theorie die darn mogliche „hit and run-competition" dafiir,clan die etablierten Anbieter keine iiberhOhten Preise fordern, weil sie er-warten miissen, daB potentielle (preisgiinstigere) Anbieter die damit erziel-baren Gewinne durch schnellen Markteintritt absahnen und aus dem Marktwieder ausscheiden, bevor die etablierten Anbieter sich zur Wehr setzenkOnnen. Zur theoretischen Bedeutung des Konzepts trotz seiner wenig reali-stischen Annahmen vgl. M. Spence, Contestable Markets and the Theory ofIndustry Structure: A Review Article, in J. of Ec. Lit., Vol. XXI, 1983,S. 981 ff.

20 Dazu vor allem C. C. von Weizsticker, Barriers to Entry, Berlin u. a.,1980.

21 fiber die Bedeutung anderer Eintrittsbarrieren wie etwa Werbung undvertikale Integration von Unternehmen siehe M. Neumann, Theoret. VWL,Bd. III, a.a.O., S. 194 und S. 260.

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auch die aktive Riickversicherung betreiben; da die professionelleRiickversicherung (ohne Erstversicherung) weitgehend aufsichtsfreibleibt, ist sie zu einer sechsten Sparte mit rechtlich selbstandigenVersicherungsunternehmen geworden. Sicher spezialisieren sich Ver-sicherungsunternehmen vielfach auf nur eine Sparte oder gar inner-halb derselben auf enger abgegrenzte Versicherungsaktivitdten, weildas fiir sie unter den gegebenen Bedingungen vorteilhaft ist. Trotzdembedeutet die rechtliche Spartentrennung fiir den in einer Sparteetablierten Versicherer ein Hindernis bei der Ausnutzung der geradefiir die Versicherung sehr bedeutsamen Verbundvorteile.

Es ist schwer und sicher nicht generell zu beurteilen, welches Ge-wicht die staatlichen Eintritts- und Mobilitatsbarrieren im Vergleich zuden sehr hohen sich schon aus den Marktverhdltnissen ergebenden Bar-rieren besitzen. Aber selbst dann, wenn die staatlichen Barrieren dieohnehin bestehenden Barrieren nur relativ geringfilgig erhOhen soll-ten, kOnnen sie Marktprozesse merklich beeinflussen.

Das Versicherungsangebot bietet als Folge der Marktsegmentierungein sehr buntscheckiges und schwer durchschaubares Bild. 22 Als Ak-teure gegeniiber den Versicherungsnehmern treten rechtlich selbstin-dige Versicherungsunternehmen in drei unterschiedlichen Rechtsfor-men auf, die aber hdufig entweder Versicherungskonzernen im recht-lichen Sinn und/oder Versicherungsgruppen angehOren, oder sonstwie(z. B. kapitalmaBig bzw. personell) miteinander verflochten sind. DasBAV weist in seinen Statistiken gut 400 Versicherer namentlich nach,von denen aber nur rd. die Halite jdhrliche Pr5mieneinnahmen von-Ober 60 Mio. DM erzielt." Die Zahlen der nicht namentlich aufgefiihrten

22 Erst nach dem Vortrag und erst nach dessen teilweiser Fertigstellungfilr die Drucklegung erhielt ich die neue Verliffentlichung von D. Farny undMitarbeiter, „Die deutsche Versicherungswirtschaft, Markt, Wettbewerb,Konzentration", Karlsruhe, 1983, die offenbar erst kiirzlich ausgeliefertwurde. Soweit die Angaben von Farny mit meinen eigenen statistischen Er-mittlungen im wesentlichen iibereinstimmten oder nicht im Widerspruchstanden, habe ich deshalb auf eine Bezugnahme auf Farny verzichtet. Da-gegen sind in Einzelpunkten Korrekturen und Erganzungen aus Farny'sBuch beriicksichtigt worden.

2. 3 Die 225 Versicherungsunternehmen mit Prthnieneinnahmen fiber60 Mio. DM erzielten 1983 etwas fiber 90 % (92,3) der Pramieneinnahmen allerberichtenden Versicherungsunternehmen (im Durchschnitt dieser 225 Ver-sicherungsunternehmen gut 490 Mio.). Die Anteile der Rechtsformen an denBrutto-Beitragen aller Versicherungsunternehmen (einschl. der Off.rechtl.Versicherungsunternehmen nur unter Landesaufsicht) belaufen sich auf 59 %fiir AG, 26,8 0/0 fiir VVaG, 10,5% fiir Off.rechtl. Versicherungsunternehmenund 3,5 % flit. ausl. Versicherer. Wirtschaftlich gesehen liegt der Anteil derVersicherungsaktiengesellschaften wohl wesentlich niedriger, weil Off.rechtl.Versicherungsunternehmen und VVaG Konzerngesellschaften in Form derAG besitzen. (Vgl. auch Anm. 26.)

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fiber 2 700 kleinen und kleinsten Versicherer sind im Abnehmen be-griffen und spielen filr das Marktgeschehen keine Rolle. Die Zahl derrechtlich abgegrenzten Konzerne hat in den letzten beiden Jahrzehntenauf rd. 80 zugenommen, darunter befinden sich aber viele kleine undeher unbedeutende Zusammenschhisse. 24 Bei der weit geringeren Zahlvon Versicherungsgruppen ist die Abgrenzung schwierig und umstrit-ten, wie etwa das Beispiel Allianz und Miinchner Riick mit den vonihnen gemeinsam kapitalmaBig abhangigen Konzernen und Versiche-rungsunternehmen zeigt. 25

Die kapitalmaBige Verflechtung zwischen den rechtlich selbstandigenVersicherungsunternehmen ist auBergewohnlich stark. Das Grundkapi-tal nahezu aller Versicherungs-Aktiengesellschaften lag bereits 1960 zuknapp 60 0/0 in den Handen von Versicherungsunternehmen 25 — keinWunder, allein schon wegen der Spartentrennung und da Versiche-rungsunternehmen im ilbrigen professionelle Kapitalanleger sind, Be-

24 Wiirde jeder wirtschaftlich selbstandige Versicherer elle Versicherungs-erten betreiben und die (einschl. professioneller Riickversicherer) dafar not-wendigen sechs rechtlich selbstOndigen Versicherungsunternehmen errichtenund zu einem Konzern zusammenfassen, so wiirden sich die gut 400 nament-lich erfaBten Versicherungsunternehmen auf rd. 70 Konzerne verteilen mils-sen. Tatsdchlich gibt es such Konzernbildungen, an denen entweder nichtelle Sparten oder mehrere Versicherungsunternehmen einer Sparte beteiligtsind. Vgl. im Bbrigen das Verzeichnis der Konzerne bzw. Gruppen bei Farny(Anm. 22) S. 39 ff. Zur Spartentrennung vgl. H. Muller, Der Grundsatz derSpartentrennung im Gemeinsamen Markt nach Verabschiedung der Koordi-nierungsrichtlinien fiir die Lebensversicherung, ZVersWiss 1979, H. 1/2,S. 147.

25 Die Monopolkommission, die seit einigen Jahren den Konzentrations-grad in der Versicherungswirtschaft zu erfassen sucht, ermittelt ftir die10 grOBten Konzerne einen Anteil von rd. 37 % am gesamten selbstabge-schlossenen Erstversicherungsgeschäft (er entspricht fast genau dem Anteilder 10 groBten Kreditinstitute an der Bilanzsumme eller Kreditinstitute);ftir das ROckversicherungsgeschdft liegt der Anteil der zehn groBten Kon-zerne dagegen bei 60 0/o. Allianz und Miinchener Riick werden als selbstân-dige Konzerne behandelt und ebenso die Hamburg-Mannheimer, obwohldiese mit der Allianz und Miinchener Riick eng verbunden ist. (Vgl. Haupt-gutachten 1982/83, Baden-Baden 1984, S. 83 ff.) Unter Berufung auf einenfriiheren Beitrag von Farny gibt Gartner fiir Vers.Gruppen einen wesentlichhOheren Anteil (50,66 0/o) fiir die 10 Greaten an (vgl. R. Gartner, Versiche-rungen, in P. Oberender (Hrsg.), Marktstruktur und Wettbewerb, Miinchen,1984, S. 498). Farny (Anm. 22) verwendet den Durchschnitt aus PrOmienauf-kommen und Bilanzsumme als Kriterium und ermittelt fiir die 7 grOBtenGruppen/Konzerne fiir 1980 einen Anteil von 45 %. Zur Frage der Konzern-bildung im ilbrigen H.-G. Gromann, Die Staatsaufsicht fiber Versicherungs-konzerne nach dem VAG — Eine Bestandsaufnahme der bisherigen Praxis,in Die Aktiengesellschaft, 26. Jg., Nr. 9 (1981), S. 241 ff.

66 Ergebnis der Konzentrationsenquete, zit. nach Gromann (siehe Anm. 25)S. 241; erneute Berechnungen von Johann Strobel in seiner Diplomarbeitergaben keine wesentlichen Anderungen. Bemerkenswert ist, dal3 auch VVaGund Off.rechtl. Versicherungsunternehmen Beteiligungen an VAG halten,wOhrend diese sich an Vereinen und Off.rechtl. naturgemal3 nicht beteiligenktinnen.

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Wettbewerb auf den Versicherungsmdrkten 185

teiligungen zu den — allerdings nur begrenzt erlaubten — Kapital-anlagen gehtiren und sie bei Beteiligungen an Versicherungs-Aktien-gesellschaften erhebliche Informationsvorteile besitzen.

Um die Bedeutung dieser wohl einzigartigen Angebotsstruktur fiirden Wettbewerb auf den Versicherungsmarkten abschatzen zu kOnnen,ist es zweckmaBig zwischen „normaler" Absatzpolitik und „strate-gischen" Marktentscheidungen zu differenzieren.

Auf einem gegebenen Teilmarkt erfordert eine Ausdehnung der Ab-satzmenge fur eigene Rechnung bei gleicher Bruttopramie oder urn-gekehrt eine ErhOhung der Prâmie bei gleicher Absatzmenge hOhereTransaktionskosten, in der Regel also verstarkten Vertretereinsatz,oder giinstigere Rtickversicherungskontrakte, oder gar eine Qualitats-verdnderung. All das gehOrt zum normalen Marktverhalten.

Unter dem Aspekt der Dynamik von Marktprozessen interessierendie durchgesetzten Innovationen, wobei es schwierig ist, Verfahrens-und Produktinnovation eindeutig zu identifizieren. Die nosh im Gangebefindliche Rationalisierung von Innen- und AuBendienst mit Hilfe derComputer-Techniken ist sicherlich eine Verfahrensinnovation, die denVersicherern ebenso wie anderen Produzenten durch die starke Er-htihung der Arbeitskosten im Verhaltnis zu den Kapitalkosten im Wett-bewerbsprozeB aufgezwungen wurde. Dagegen kiinnte man streiten, obund inwieweit man etwa Anderungen in der Tarifierung, also eineneue Strukturierung der Aufteilung des Gesamtbestandes in Teil-kollektive oder auch eine Neufassung der risikospezifischen Versiche-rungsbedingungen als Verfahrens- oder als Produktinnovation odernur als blone Qualitatsveranderung betrachten soli. Einige von soichenInnovationen wiirde man wohl ebenfalls zum normalen Marktverhaltenrechnen kOnnen.

Die strategische Marktpolitik dagegen umfaBt neben technischenGroBinvestitionen beispielsweise die Aufnahme einer bisher nicht be-triebenen Versicherungsart, sowie die Wahl neuer Absatzwege. Gleichesgilt ftir den Erwerb von Beteiligungen filr strategische Zwecke. Auchdem Verhalten gegennber dem BAV kann in wichtigen Angelegen-heiten strategische Bedeutung zukommen.

Betrachtet man die Kapitalverflechtung im Lichte dieser Unterschei-dung, so werden Minderheitsbeteiligungen eines Versicherungsunter-nehmens an einem anderen Versicherungsunternehmen. reine Kapital-anlagen darstellen und in der Regel keine strategische Bedeutung ha-ben. Immerhin kOnnten sie eine ntitzliche Ausgangsbasis fiir eine stra-tegische Aufstockung bilden und zuweilen dazu dienen, das von der

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Beteiligung erfaBte Unternehmen an strategischen marktpolitischenEntscheidungen zu hindern, die dem Inhaber der Beteiligung im Hin-blick auf seine eigene Marktposition unerwiinscht erscheinen.

Durch Beteiligungen oder auf andere Weise vermittelte Konzern-bzw. Gruppenbildungen beeinflussen die Marktpolitik der zugehOrigenVersicherungsunternehmen in der Regel bei ellen strategischen Ent-scheidungen, filr die zu erwarten ist, daB sie im Interesse des Konzernsbzw. der Gruppe koordiniert und einheitlich getroffen werden, was imEinzelfall nicht immer ohne Spannungen abgehen mag. Beim normalenMarktverhalten kannen sich die Versicherungsunternehmen eines Kon-zerns oder einer Versicherungsgruppe nach auBen zwar gemeinsamerEinrichtungen — etwa im AuBendienst — bedienen, urn Verbundvor-teile im Transaktionsbereich auszunutzen. Erforderlich ist dies jedochnicht; vielmehr kann der Wettbewerb auch zwischen den firmeneigenenAuBendiensten der Versicherer desselben Konzerns oder derselbenGruppe, selbst in der gleichen Sparte, sogar bewuBt als Instrument zurLeistungssteigerung eingesetzt werden. Die GrOBen- und Verbundvor-teile ftir den Risikoausgleich im Kollektiv lassen sich durch die interneRiickversicherung der Konzernmitglieder erreichen. Das normale Markt-verhalten unterscheidet sich dann nach auBen nicht von dem unabhan-giger Versicherungsunternehmer.

Im ilbrigen ist zu berilcksichtigen, daB Konzernbindungen auch an-deren nicht-marktpolitischen Zwecken — etwa rein finanzieller, haf-tungsrechtlicher oder steuerlicher Art — dienen und daB bei vielenKonzernen gerade diese Zwecke groBes Gewicht besitzen — etwa imVerhaltnis zu aufsichtsfreien Rilckversicherungsunternehmen. Danniiben die Bindungen nur einen sehr indirekten und relativ schwachenEinfluB auf das Marktangebot der beteiligten Versicherungsunterneh-men aus. Das gilt vor allem air die haufig vorkommenden Konzern-verbindungen mit sehr kleinen Partner-Unternehmen, zu denen auchviele kleine Riickversicherungsunternehmen gehOren. Im tibrigen exi-stieren wohl auch sehr alto (historisch gewachsene) Konzernverbin-dungen, deren aktuelle Bedeutung gering ist.

Wie dieser nberblick zeigt, sind die Spartentrennungsvorschriften si-cker nicht der einzige, aber immerhin ein wichtiger Grund filr diegroBe Zahl von Versicherungsunternehmen und die Konzernbildungzwischen ihnen. Ferner ist von Bedeutung, daB zwischen den Versiche-rungsanbietern ein Wettbewerb urn Versicherungsaktien herrscht, ins-besondere far strategische Beteiligungen, weil der Zugang zu einemanderen Versicherungszweig bzw. Teilmarkt durch Erwerb einer Mehr-heitsbeteiligung haufig billiger sein diirfte als die Griindung einesneuen Unternehmens oder den Aufbau einer neuen Absatzorganisation.

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Wettbewerb auf den Versicherungsmarkten 187

4.3. Kerngruppe und Randgruppe

Ein niitzliches Konzept zur Analyse von Markten bietet die Unter-scheidung zwischen einer den WettbewerbsprozeB dominierenden klei-nen Kerngruppe von einfluBreichen Anbietern und der zahlenmaBiggrOBeren Randgruppe.27 Da der gesamte Versicherungsmarkt aus einemSystem zahlreicher Teilmarkte besteht, wird man hier zum Kern nurdiejenigen Gruppen bzw. Konzerne rechnen kiinnen, die praktisch inallen Versicherungszweigen und im gesamten Bundesgebiet anbieten.Nach meiner zugegebenerweise sehr groben Schdtzung wiirde der Kernetwa die 10 grOBten Versicherungsgruppen umfassen, deren Markt-anteil sicher Ober 50 8/0 liegen dilrfte. Und unter diesen Versicherungs-gruppen ragt die Allianz und Miinchener-Riick-Gruppe als Marktfiihrerin fast alien Versicherungszweigen heraus. 28

Der Gesamtmarkt ist also durch ein Angebotsoligopol mit einemMarktfilhrer charakterisiert. Marktkampfe sind die Ausnahme, weildie Anbieter ihre gegenseitigen Abhangigkeiten kennen und letztlichim eigenen Interesse auf die bewuBte Herbeiftihrung massiver Markt-anteilsverschiebungen zwischen sich verzichten. Auf einzelnen Tell-mdrkten kann sehr wohl ein wirksamer Wettbewerb herrschen, dervor allem von der Nachfrageseite her oder von den Versicherungs-unternehmen der Randgruppe ausgeliist bzw. verstarkt wird.

Zur Randgruppe gehOren kleinere Allround-Versicherer sowie Spe-zialversicherer, darunter such recht groBe Versicherungsunternehmen,sowie nur regional arbeitende Versicherer. Die Mitglieder der Rand-gruppe sind bestrebt, ihr Geschaftsvolumen auszuweiten und ihremeist sehr kleinen Marktanteile zu vergrOBern. Dies scheint ihnen inihrer Gesamtheit in den letzten Jahren in einem gewissen Umfang ge-lungen zu sein. Dagegen existieren fiir sie Barrieren bei strategischen

27 Die Unterscheidung zwischen Kern- und Randgruppe ist aus einer Di-plomarbeit von Tuki Gitlin Wrangel und G. S. Yip, Barriers to Entry,Lexington, Mass., 1982, iibernommen.

28 Ftir die 19 wichtigsten Versicherungszweige zeigt sich nach den BAV-Statistiken, daB die Allianz/Miinchener Rtick-Gruppe nur in der Rechts-schutzversicherung (Viktoria/DAS), Sturmversicherung (Westf. Provinzial-Feuersozietdt), Verbundene Wohngebaude-Vers. (Prov. Feuersozietat Rhein-provinz), Hagelversicherung (Norddeutsche Hagel), Tierversicherung (R + V-Gruppe) und Transportversicherung (Gerling) nicht an der Spitze steht (inKlammern die auf diesen Markten umsatzstarksten Versicherer); in derTransportversicherung und Verb.Wohngeb.Versicherung steht die Allianzan der 2. bzw. 3. Stelle mit einem im Vergleich zu den Spitzenreitern nur ge-ringfilgig niedrigerem Marktanteil. Dagegen sind die Marktanteile der Al-lianzgruppe auf alien Markten, auf denen sie die Spitzenposition innehat,mit Ausnahme der Feuerversicherung nahezu und vielfach weit mehr alsdoppelt so hoch wie die Anteile der zweit- und drittgrOBten Versicherer zu-sammengenommen.

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Entscheidungen, mit denen sie in die Kerngruppe oder in andere Teil-markte vorstoBen ktinnen, die fiir sie aber leichter zu uberwinden sindals fiir New-Corner, die auch die Barrieren filr den Eintritt in dieRandgruppe iiberspringen milssen. Der Kern der Anbieter ist auf dieseWeise doppelt geschiltzt.

Ein Wettbewerb mit Produktinnovationen, der durch die bestehen-den Eintritts- und Mobilitatsbarrieren bei den Mitgliedern sowohl derKern- als auch der Randgruppe eigentlich gefOrdert werden miiBte,kommt anscheinend deshalb kaum zustande, weil geplante Innova-tionen dem BAV und damit der gesamten Branche bekannt werden,wodurch sich die Chancen zur Erzielung von Innovationsgewinnen ver-ringern. Innovationsprozesse, die mit trial and error und infolgedessenauch mit Unsicherheiten fiir den Versicherungsnehmer verbunden seinklinnten, sieht das BAV offenbar ungern.

Die Zusammensetzung der Randgruppe muB im Zeitablauf wechseln.In ihr beginners neugegriindete Versicherungsunternehmen 2° ihretigkeit und sie werden von Mitgliedern der Kerngruppe erworben odergeben die Geschaftstatigkeit auf. Und einzelne Mitglieder der Rand-gruppe kiinnen durch ihre strategische Marktpolitik im Laufe der Zeitin die Kerngruppe vorstoBen, sofern sie auf diesem Wege nicht vonMitgliedern der Kerngruppe absorbiert werden. Eine Analyse dieserArt von Wettbewerbsgeschehen ist mir bisher nicht begegnet. Siewilrde vielleicht interessante und aufschluBreiche Ergebnisse liefern. 3°

4.4. Die Abkapselung des deutseben Versieherungsmarktes

Wie die bisherigen Ausfahrungen schon erkennen lassen, handelt essich beim deutschen Versicherungsmarkt um einen weitgehend ge-schlossenen Markt. Die AbschlieBung besteht einmal gegenilber demAusland und zum anderen gegentiber anderen Branchen. Hier kOnnte

29 Die Zahl der Zulassungen von Versicherungsunternehmen zum Ge-schaftsbetrieb war in den letzten. 20 Jahren relativ gering (Pensions- u.Sterbekassen: 46, Lebensvers.: 31; Krankenvers.: 14; Riickvers.: 10; Schaden-u. Unfallvers.: 131 und Transportvers.: 59). Eine auBergewOhnliche H5ufungvon Zulassungen in den Jahren 1977 - 1979 (56 Transportvers. und 54 Scha-densvers.) laBt vermuten, daB es Bich dabei vor allem urn nachtragliche Zu-lassungen wegen veranderter Rechtsvorschriften handelt (z. B. Einbeziehungder Transportversicherung). Im iibrigen ist nicht ersichtlich, inwieweit dieNeugriindungen von bereits etablierten Versicherern ausgehen, die lediglichwegen der Spartentrennung erforderlich wurden. Ferny (Anm. 22) gibt einenUberblick fiir die Zeit von 1975 - 1980 und unterscheidet Neugriindungen, Ge-nehmigungen und Aufnahmen des Geschaftsbetriebs einerseits, sowie Er-weiterungen des Geschaftsbetriebs andererseits.

30 Ein anschauliches Bild solcher Verdnderungen bieten J. Milner / I. Vo-gelsang (Anm. 40) fiir die Kfz-Versicherung (S. 265).

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man in Analogie zur Spartentrennung von einer Branchentrennungsprechen, die bei uns noch sehr ausgeprdgt ist, wahrend sie in den USAoffenbar zunehmend ubersprungen wird.

Die AbschlieBung gegeniiber dem Ausland besteht nur filr die Erst-versicherung, nicht dagegen fiir die professionelle Riickversicherung,die schon seit jeher internationalisiert war. Es existiert eM echterinternationaler Riickversicherungsmarkt, an dem deutsche Riickver-sicherer in starkem MaBe beteiligt sind. Ihr Auslandsgeschdft beliefsich zuletzt auf iiber 40 0/o ihrer Bruttobeitragseinnahmen. Die vondeutschen Versicherern an auslandische Riickversicherer gezahltenRiickversicherungsbeitrdge werden statistisch leider nicht erfaBt. Wall-rend auf den internationalen Geld- und Kreditmarkten viele deutscheKreditinstitute direkt tdtig sind, lduft das Erstversicherungsgeschdftzwischen Inland und Ausland wegen der staatlichen Markteintritts-barrieren nur fiber auslandische Niederlassungen in der Bundesrepu-blik und Niederlassungen deutscher Versicherungsunternehmen imAusland. Gemessen an den Bruttoprdmieneinnahmen der deutschenVersicherer ist sowohl das Inlandgesc.hdft der auslandischen Versiche-rungsunternehmen als auch das Auslandsgeschaft der inlandischen Ver-sicherungsunternehmen mit weniger als 6 0/0 sehr goring, obwohl dieabsolute Zahl solcher Niederlassungen mit mehr als 100 in beiden Rich-tungen relativ hoch ist.

Auch hier bietet sich der meist leichtere indirekte Weg iiber Beteili-gungen an rechtlich selbstdridigen Versicherungsunternehmen im je-weiligen Ausland an. tYber die Bedeutung ausldndischer Konzernunter-nehmen inldndischer Versicherungsunternehmen und inldndischer Kon-zernunternehmen ausldndischer Versicherungsunternehmen, sowie iiberderen Geschdftsvolumen liegen keine verldBlichen Angaben vor. 31 DerErwerb und die Verwaltung ausldndischer Beteiligungen durch deut-sche Versicherungsunternehmen scheint durch die Versicherungsauf-sicht — insbesondere mit ihren Anlagevorschriften — behindert zuwerden. Jedenfalls wurde das mit als eM Grund filr die Umstruktu-

31 Farny (Anm. 22) nennt 10 grOBere deutsche Versicherungsunternehmenmit ihren auslandischen GroBaktion5ren und 10 auslandsorientierte deutscheVersicherungsgruppen bzw. -konzerne. Fiir die Anteile auslandischer Ver-sicherer (Niederlassungen und Mehrheitsbeteiligungen zusammen) am deut-schen Markt ermittelt er fiber alle Branchen 1975 und 1980 einen Prozent-satz von rd. 12 und 11,5 °/o, der in den letzten Jahren zugenommen habenklinnte. Davon entfallen knapp 7,5°10 auf schweizerische Versicherer, wall-rend Versicherer aus GroBbritannien und den USA nur mit zusammen rd.2,5 % beteiligt sind. Das Geschaft von auslândischen Versicherungsunter-nehmen im Mehrheitsbesitz deutscher Versicherer diirfte deren Niederlas-sungsgeschgft betrdchtlich iibersteigen und in den letzten Jahren erheblichzugenommen haben. Seine Erfassung erfordert von WechselkursanderungenbeeinfluBte Umrechnungen in deutsche Wahrung.

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rierung der Allianz angegeben, die offenbar ihre Auslandsaktivitatenverstarken will. Die davon betroffenen auslandischen Versicherungs-unternehmen werden eine Expansion deutscher Versicherer im Aus-land allerdings wohl nicht ganz tatenlos hinnehmen. Zudem wird sichder schon jetzt, vor allem von Seiten der EG, ftihlbare Druck verstar-ken, den Zugang von auslandischen Versicherungsunternehmen zumdeutschen Erstversicherungsmarkt zu erleichtern. 32

Die bereits erwahnte Branchentrennung ergibt sich daraus, daB esbranchenfremden Unternehmen verboten ist, unmittelbar Versiche-rungsgeschafte abzuschlieBen. Sie mtissen zu diesem Zweck hohe Ein-trittsbarrieren ilberspringen und ein gesondertes Versicherungsunter-nehmen griinden oder erwerben bzw. mit einem bestehenden Versiche-rungsunternehmen kooperieren. Umgekehrt dilrf en Versicherungsun-ternehmen branchenfremde Geschafte nicht betreiben, falls diese mitdem Versicherungsgeschaft in keinem unmittelbaren Zusammenhangstehen. Das Problem der Branchentrennung wird z. Z. besonders akutim Verhaltnis zu anderen Unternehmen auBerhalb des Finanzsektors,soweit diese fiber ein dezentralisiertes Verteilernetz verfiigen (z. B.Handelsketten, Tankstellen, u. a. m.) und selbstverstandlich auch hu

Verhaltnis zu anderen Finanzintermediaren, wie vor allem Banker'und Bausparkassen, die meist ebenfalls mit einem Filialnetz arbeiten.

Unternehmen, fiir die umfangreiche Verteilerapparate eine groBeRolle spielen, geraten gegenwartig unter einen zunehmenden wirt-schaftlichen Druck, well die Kosten dieser Apparate schneller als dieerzielten Umsatze steigen, was vor allem mit der Abschwachung desgesamtwirtschaftlichen Wachstums und technischem Wandel auch imVertriebsbereich zusammenhangt. Dem kann auf dreierlei Weise be-gegnet werden: durch Rationalisierung im firmeneigenen Verteiler-apparat, durch Zusammenfassung der Verteilerapparate der gleichenBranche oder durch Kombination von Verteilerapparaten von Firmenverschiedener Branchen.

Der letzte Weg wird durch die Branchentrennung erschwert, obwohlgerade er die Chance bietet, daB die Abnehmer ein kombiniertes An-gebot von unterschiedlichen Verteilerdienstleistungen als Vorteil emp-finden, so daB dadurch auch eine Umsatzsteigerung erzielbar wird. Inden USA wird dieser Weg offenbar bereits im groBen Stil erprobt. Inder Bundesrepublik waren solche Versuche wegen der Branchentren-nung wohl kaum zulassig oder wegen der erforderlichen Zusammen-arbeit mit einem Versicherungsunternehmen weniger attraktiv.

32 Die wichtigen und interessanten Wettbewerbsprobleme im Zusammen-hang mit dem Ziel der Errichtung eines gemeinsamen Versicherungsmarktesder EG werden hier nicht behandelt.

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Die Branchentrennung im Verhaltnis zum Kreditgewerbe beziehtsich in erster Linie darauf, daB Kreditinstitute keine Beitrage filr dieZusage von Versicherungsleistungen hereinnehmen dilrfen und Ver-sicherungsunternehmen sich ihre finanziellen Mittel von AuBenstehen-den — abgesehen vom Eigenkapital — nur in Form von Versicherungs-beitragen beschaffen klinnen. Dagegen sind beide Arten von Finanz-intermediaren nebeneinander bei der Anlage ihrer Kapitalmittel tatig,wobei sie sich teilweise erganzen, teilweise im Wettbewerb urn giinstigeAnlagemliglichkeiten stehen und teilweise sogar kooperieren, weilviele Versicherungsunternehmen zwecks Risikoverminderung und Ko-stenersparnis einen Teil ihrer Mittel direkt bei den Banken anlegen,die sie dann weiterleiten. Zweifellos hat sich der Wettbewerb zwischenVersicherungen und Banken sowohl urn die Geldanlagen des Publikumsund der Wirtschaft als auch um giinstige KapitalanlagemOglichkeitenverstarkt, wobei steuerliche Vergiinstigungen der Versicherung einengewissen Vorteil verschaffen. Andererseits ware zur Erleichterung dergeschilderten Schwierigkeiten mit dem AuBendienst haufig eine engeKooperation beider Institutionen vorteilhaft, die mit Bausparkassensowie im Sparkassen- und Genossenschaftssektor und im Bereich derBank fiir Gemeinwirtschaft teilweise schon praktiziert wird.

In den USA ist die wechselseitige wirtschaftliche Durchdringungverschiedener Arten von Finanzintermedigren bereits in vollem Gang.Banken steigen in das Versicherungsgeschaft ein und Versicherungenversuchen zugleich Bankdienstleistungen anzubieten. Einige neuereEntwicklungen in den USA laufen darauf hinaus, monetare Trans-aktionen ohne Benutzung von unverzinslichen Einlagekonten abzu-wickeln, was den amerikanischen WahrungsbehOrden bereits Sorge be-reitet. Die Banken verzichten also auf einen Teil ihrer Zinsertrage zu-gunsten der Einleger, urn auf diese Weise Kunden und Geschaft zu ge-winnen. Dem entspricht in der Versicherungswirtschaft die in der BRDbisher nicht iibliche planmaBige Verwendung der Kapitalertrage zurReduktion der Netto- und Bruttopramie zugunsten der Versicherungs-nehmen"

In der Bundesrepublik Deutschland werden sich analoge Entwicklun-gen, wenn auch vielleicht in etwas anderen Formen, vollziehen. ImSparplan der deutschen Banken mit Versicherungsschutz kann manein erstes Anzeichen daftir erblicken. Dieser hat bereits zu Reaktionenauf Seiten. der Lebensversicherer gefiihrt, um diesem VorstoB zu be-gegnen. Bei der Ausnutzung von Verbundvorteilen zwischen Versiche-rungsunternehmen und Kreditinstituten sind reine Versicherungsgrup-

33 Vgl. dazu W. Miller, Finanzierungstheoretische Analyse der Versiche-rungsunternehmen und Versicherungsmarkte, ZVersWiss Bd. 72, 1983,S. 535 ff.

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pen gegeniiber den ohnehin mit bestimmten Bereichen des Kredit-gewerbes organisatorisch verkniipften Versicherungsgruppen zunachstim Nachteil.

Insgesamt gesehen sind mit den Barrieren filr den Eintritt in denVersicherungsmarkt also auch Barrieren fiir eine branchenmaBige Di-versifikation verbunden, was den Wettbewerb sicherlich beschrankt.Wohin die Versuche zur Durchbrechung, Umgehung oder Auflockerungsoldier Barrieren fiihren werden, laBt sich vorerst jedoch nicht ab-sehen. Selbst miBlungene Versuche kannen positive Wettbewerbs-effekte haben, wenn sie dazu beitragen, verkrustete Organisations-strukturen oder erstarrte Marktbeziehungen wieder aufzulockern.

5. Der Wettbewerb auf den Versicherungsmarktenim engeren Shine

Der Wettbewerb zwischen den Versicherungsanbietern ist interessantund unter vielen Aspekten aufschluBreich; den Okonomen interessiertjedoch letztlich die Wirkung auf Versicherungsmarkten im engerenSinn. Die Nachfrager nach Versicherungsschutz sind dort Produzentenoder Konsumenten. Die in der Versicherungswirtschaft iibliche Eintei-lung in Industrie- und Massengeschaft deckt sich mit der Unterschei-dung zwischen Produzenten und Konsumenten weitgehend, aber nichtvollstandig. Zum Massengeschdft kann man die Lebens-, Kranken-,Kfz- und verbundene Hausratversicherung rechnen, auf die zusammenbereits gut 70 0/0 der gesamten Bruttopramieneinnahmen entfallen, vondenen aber gewisse Teile eher der Produzenten- als der Konsumenten-sphare zuzurechnen sind.

Da die Produzenten letztlich Konsumentenwiinsche befriedigen, stif-tet der Versicherungsschutz fiir Produzenten indirekt auch einen Nut-zen fiir die Konsumenten, der sich in einer billigeren und/oder besserenVersorgung mit Giitern und Dienstleistungen niederschldgt, als sieohne Versicherung zustande kommen wiirde. Die direkten Vorteile derVersicherung fiir Produzenten lassen sich in Geldeinheiten erfassen,sofern nicht eine nutzenmaBige Risikobewertung ins Spiel kommt. BeiKonsumenten schlagen sich die direkten Vorteile der Versicherungohnehin in Nutzenniveaus nieder, deren Messung auf groBte Schwie-rigkeiten stliBt.

5.1. Markte ffir Produzentenversicherungen

Auf den Markten fiir den Versicherungsschutz von Produzentenherrscht erfahrungsgemdB ein reger Wettbewerb, bei dem die Pramie,zusatzliche Serviceleistungen und Innovationen eine wichtige Rollespielen. Mit der Ausbreitung des Risk Managements bei den Produzen-

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ten wird die Versicherungsnachfrage scharfer kalkuliert und die Ver-sicherer miissen in den hating bilateralen Verhandlungen eher Zu-gestandnisse machen. Die Drohung, die versicherbaren Risiken selbstzu behalten, oder gar Captives zu griinden, steht allerdings nur groBenund potenten Versicherungsnehmern zu. Zwar gibt es in der Bundes-republik einige Captives, doch haben sie bislang keine allzu groBe Be-deutung erlangen ktinnen. 34

Die Versicherungsaufsicht vermag auf den Markten far den Ver-sicherungsschutz von Produzenten kaum Regulative zu bieten, obwohldie Versicherer daran in Zeiten des Pramienverfalls sehr interessiertwaren. Das liegt daran, daB die Risiken und die dafilr erforderlichenPramienkalkulationen zu heterogen sind und kaum dauerhafte gene-relle Regelungen zulassen. Audi die etwa in der Feuerversicherungverbandsintern festgelegten Kalkulationsschemata scheinen fiir diesenZweck wenig geeignet zu sein. Eine Kartellbildung, die sich zumindestin Notzeiten als scheinbarer Ausweg anbietet, ist zwar friiher mehrfachversucht worden, war jedoch immer nur vorubergehend erfolgreich. 35

Heute sind Kartellbildungen durch das GWB grundsatzlich verbotenund das BAV kannte sich dariiber wohl kaum hinwegsetzen, selbstwenn es dies wollte. Allerdings kann es mit marktregulierenden Ein-griffen kartellahnliche Effekte bewirken.

Ganzlich frei (lathe der Wettbewerb auf den Versicherungsmarktenfiir Produzenten trotzdem nicht sein. Die zahlenmaBig sehr wenigenVersicherer der Kerngruppe haben sicherlich kein Interesse an oligo-polistischen Marktkampfen untereinander und ktinnten sich wohl auchohne unter das GWB fallende Absprachen verstandigen. Sttirend ktinn-ten sich also nur Versicherer der Randgruppe verhalten; aber soweitdiese auf Riickversicherungsschutz angewiesen sind, kiinnen die maB-gebenden Rackversicherer der Kerngruppe deren Marktverhalten aufdem Erstversicherungsmarkt sicherlich beeinflussen. Insgesamt gesehenist vielleicht doch die Frage berechtigt, ob der Wettbewerb auf denMarkten fiir Produzentenversicherungen zu einer hinreichend op-timalen Versorgung der Versicherungsnehmer fiihrt. Sie zu beantwor-

34 In anderen Landern spielte die Griindung von Captives — insbesonderein aufsichtsfreien Steueroasenldndern — zeitweise eine gewisse Rolle. In-zwischen scheint das Interesse an dieser Form der Selbstversicherung wiederabgenommen zu haben, zumal die FinanzbehOrden den industriellen Miitternder Captives die mit diesen zundchst erzielbaren steuerlichen Vorteile nichtmehr gewdhrten.

35 Vgl. dazu auch B. ROper (Hrsg.), Wettbewerbsprobleme der Versiche-rungswirtschaft, Berlin, 1978, mit den Ergebnissen einer 1976 stattgefundenenTagung der Arbeitsgruppe Wettbewerb im Wirtschaftspolitischen Ausschufides Vereins filr Socialpolitik, an der Wissenschaftler, Praktiker und Mit-glieder beider AufsichtsbehOrden teilnalunen.

13 Zeitschr. f. d. ges. Versicherungsw. 2 - 3

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ten, wiirde detaillierte Einzelmarktanalysen erfordern, die ich nichtvorgenommen babe 38

5.2. Mirkte fiir Konsumentenversicherungen

Auf den Markten des MassengeschOtes mit Konsumenten bietet derWettbewerb dagegen ein ganz anderes Bild. Auf fast alien diesen Mirk-ten greift die Versicherungsaufsicht intensiv regulierend ein, so daBsick der verbleibende Wettbewerb zwangslaufig auf Nebengleise" ver-lagert und die Frage auftaucht, ob und inwieweit die Effizienz in derBereitstellung von Versicherungsschutz gewdhrleistet bleibt. In dendrei grOBten Zweigen des Massengeschafts — der Lebens-, Kranken-und Kfz-Versicherung — werden vom BAV weitgehend die Pramienund die Gewinne reguliert, und zwar zusâtzlich zu den fiir die Ver-sicherungswirtschaft generell geltenden (faktischen und rechtlichen)Eintrittsbarrieren, Kapitalanlagevorschriften und Solvabilitatsnormen.

In der Lebensversicherung wird die Pramienkalkulation durch dieaufsichtsamtliche Vorgabe des RechnungszinsfuBes, der Sterbetafel undder rechnungsmaBigen AbschluBkosten so festgelegt, daB riesige 'Ober-schilsse entstehen, die zwar nicht den Versicherungsunternehmen ver-bleiben, sondern fast ganzlich den Versicherungsnehmern zugute kom-men milssen, was sick jedoch offenbar nur auf eine fur den AuBen-stehenden ziemlich undurchsichtige Weise bewerkstelligen Mt. In derKrankenversicherung, die neben allem anderen mit der standigenrealen ErhOhung der Krankheitskosten fertig werden muB, sind Pra-mientarife genehmigungspflichtig und es muB bzw. kann ein festerKostenzuschlag auf die Schadensleistungen kalkuliert werden, so daBpraktisch bei alien Krankenversicherungsunternehmen ebenfalls "Ober-schtisse entstehen, die grOBtenteils wiederum den Versicherungsneh-mern als erfolgsabhangige Beitragsrtickerstattung vergiitet werden.Auch in der Kfz-Haftpflichtversicherung gibt es genehmigungspflich-tige Unternehmenstarife, feste Kalkulationsvorschriften und minutiOsfestgelegte Normen dartiber, wieviel Gewinne aus etwaigen Uberschiis-sen von den Versicherungsunternehmen behalten werden diirfen. Dar-

86 Allerdings warden Einzelmarktanalysen dafilr nicht ausreichen, weilInterdependenzen zwischen den Einzelmarkten far Produzentenversicherun-gen und auch Konsumentenversicherungen zu beriicksichtigen waren. Schwa-cher Wettbewerb mit hohen Gewinnen auf einigen Teilmarkten kann sehrwohl ineffizienten Wettbewerb auf anderen Teilmarkten zur Folge haben.Ferner taucht auf Markten fiir Produzentenversicherungen das Problemwettbewerbsbedingter zyklischer Schwankungen des Pramienniveaus auf.

37 Solche Nebengleise sind vor allem der Kampf urn Kunden nicht durchganstigere Pramien, sondern mit iibermafiigen Vertriebsaufwendungen undmit UberschuI3beteiligungen. In der Kfz-Versicherung besteht allerdings in-zwischen wieder auch ein Pramienwettbewerb.

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ilber hinaus verbleibende überschilsse sind wiederum an die Versiche-rungsnehmer auszuschatten. De facto hat sich also in alien drei Ver-sicherungsmdrkten von den Versicherten her gesehen eine Art vonUmlagefinanzierung herausgebildet, erfahren diese doch erst nachtrdg-lich, was die Versicherung netto kostet bzw. in der Summenversiche-rung, was sie ihnen an Leistungen bringt. 38 Das bedeutet eine be-trdchtliche Wettbewerbsbeschrankung.

Die staatliche Preis- und Gewinnregulierung hat nun eine lange Ge-schichte. Weniger lang, aber ebenfalls schon lang ist die Geschichte derKritik an solchen RegulierungsmaBnahmen durch die OkonomischeTheorie, die im Laufe der Zeit modifiziert, erweitert, verfeinert undneuerdings auch empirisch belegt wurde. Mein 1967 verstorbenerWinchner Kollege Erich Preiser hat beispielsweise in einer bereits imletzten Weltkrieg erschienenen Studie darauf hingewiesen, daB diestaatliche Festsetzung unternehmensindividueller Preise, die durchGewinnzuschldge auf die Kosten ermittelt werden, den Anbietern einemonopoldhnliche Position verschafft, wahrend ein staatlicher Einheits-preis noch gewisse positive Wettbewerbseffekte zuliel3e. 39 Dieser kommtfiir die Versicherungswirtschaft wohl deshalb nicht in Betracht, weildie Anbieter ihre Gewinne mittels Qualitatsverschlechterung erhOhenkOnnten und eine kontinuierliche staatliche Qualitdtsiiberwachungkaum Aussicht auf Erfolg hdtte.

Wichtige Erkenntnisse dieser wegen der Kriegszeiten fast gdnzlichunbeachtet gebliebenen Schrift sind in den letzten zwei Jahrzehnten inneuem Gewande — aber auch wesentlich vertieft — aus den USAnach Deutschland importiert worden und sind im deutschsprachigenRaum auf groBes Interesse gestoBen. Der nunmehr hier in Bern leh-

38 Das ist insofern bemerkenswert, als das Pramienverfahren — also dieObernahme von Risiken gegen eine feste Prdmie — iiblicherweise als wich-tiger Vorteil der Privatversicherung und der VersAG (gegeniiber demVVaG) angesehen wird. Man kann die „Umlagefinanzierung" auch als „retro-spektive Tarifierung" deuten, durch die Irrtums- und Anderungsrisikenteilweise oder ganz auf die Versicherungsnehmer abgewdlzt werden. In die-sem Zusammenhang spielen such die Bich neuerdings ausbreitenden „quasi-automatischen" Prdmienanpassungsklauseln eine Rolle (vgl. dazu auch un-.ten Abschnitt 6 und Anm. 44 iiber den EinfluB von Inflationsprozessen).

33 E. Preiser, Wettbewerbspreis und Kostenpreis in G. Schmiilders (Hrsg.),Der Wettbewerb als Mittel volkswirtschaftlicher Leistungssteigerung undLeistungsauslese, Berlin 1942, S. 107 ff. Diese Schrift mit wissenschaftlichenBeitragen vieler namhafter und z. T. ordoliberaler Okonomen konnte selt-samerweise wdbrend des Krieges in den „Schriften der Akademie filrDeutsches Recht" erscheinen; es ist deshalb leicht erkldrlich, daB sie kaumbekannt wurde. In seiner Analyse hat Preiser allerdings die erst spater vonder Okonomischen Theorie aufgegriffenen Probleme des „Rosinenpickens"(„cream skimming") nicht naher analysiert (vgl. zu diesem Problemkreisz. B. E. Kaufer, Theorie der Offentlichen Regulierung, Mtinchen 1981).

13*

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rende Carl Christian v. Weizsticker hat in den letzten Jahren wesent-lich dazu beigetragen, daB die Theorie der Offentlichen Regulierungbei uns nunmehr auch, oder wieder, von den Okonomen bearbeitetwird." Er hat eine Reihe von jungen Wissenschaftlern auf den Weg ge-bracht, die nicht nur theoretische Modelle auswerten sondern auch ver-suchen, diese empirisch zu testen. Ist es da verwunderlich, daB auch dieVersicherungswirtschaft in die SchuBlinie gekommen ist?

Es ist deutlich erkennbar, daB die Analysen meines Kollegen undWeizsticker-Schiilers JOrg Finsinger in weiten Kreisen der deutschenVersicherungswirtschaft MiBfallen erregt haben." Soweit ich sehe, istaber der eigentliche Kern seiner Analysen noch nicht aufgegriffen unddiskutiert worden." Dieser Kern ist die theoretische Begrtindung derThese, daB die staatliche Marktregulierung mittels Preis- und Ge-winnkontrollen Anreize setzt, die die Anbieter zu einer ineffizientenVersorgung der Konsumenten auch auf Versicherungsmarkten verlei-

40 Vgl. dazu das Vorwort zu einer der ersten deutschsprachigen Buchver-iiffentlichungen zu diesem Spezialgebiet, das in den USA unter den Stich-worten „staatliche Regulierung" und „Deregulierung" intensiv beackertwird: J. Muller / I. Vogelsang, Staatliche Regulierung, Baden-Baden 1979.In dieser Schrift werden neben theoretischen Problemen, wie sie hier im2. Abschnitt angeschnitten wurden (z. B. Wohlfahrtsmessung, natiirlichesMonopol) auch die amerikanische Regulierung des Versicherungswesens ineiner lesenswerten Kurzdarstellung sowie beispielhaft die aufschlullreicheEntwicklung der Kfz-Versicherung in der Bundesrepublik zwischen 1965 und1975 behandelt. Im Personenverzeichnis des Buches tauchen bereits die Na-men mehrerer Autoren auf, die sich dann spater intensiv mit Regulierungs-problemen befalJten (u. a. Ch. B. Blankart, E. Kaufer und J. Finsinger).

41 Neben seinem Buch „Versicherungsmarkte", Frankfurt/M. 1983, mittheoretischen. Analysen und empirischen Untersuchungen der Lebens- undKfz-Versicherung (in dem er bereits 11 eigene Zeitschriftenaufsdtze aus denJahren 1980 - 83 zitiert) liegen inzwischen weitere einschlagige Vertiffent-lichungen vor: vor allem (zus. mit K. Kraft) {fiber „Marktordnung und Ko-stenstruktur in der Privaten Krankenversicherung" in Ztschr. f. Wirtschafts-und Sozialwissenschaften, 104 Jg. (1984), S. 389 - 415; sowie „Markup Pricingand Firmdecisions" in ZgS, 140 Jg. (1984), S. 500 - 509; ferner (zus. mit Ch. B.Blankart) „Warum werden wettbewerbsfOrdernde MaBnahmen verwassert?— Der Fall der Fahrzeugvollversicherung —" in Wirtschaft und Wettbewerb,1983/9, S. 688 ff.; aul3erdem (zus. mit Friedrich Schneider) „Verfiigungsrechteund Unternehmensentscheidungen, Eine Okonometrische Analyse des Zu-sammenhangs zwischen Verfilgungsrechten und dem Vertrieb von Lebens-versicherungen", ZfB, 55 Jg., 1985, Nr. 4, S. 347 ff.; und (zus. mit Mark V.Pauly) „Reserve Levels and Reserve Requirements for Profit MaximizingInsurance Firms" in G. Bamberg und K. Spremann (Hrsg.), Risk and Capital,Springer, 1984. In Kiirze erscheinen (zus. mit Mark V. Pauly als Hrsg.) „TheEconomics of Insurance Regulation: A Cross-National Study", London/NewYork 1985; und „Wettbewerb oder staatliche Lenkung, Ein Vergleich der Ver-sicherungsmarkte in sieben Landern" in Hbg. Jb. f. Wi.- und Gesellschafts-politik, Bd. 30 (1985).

42 Der Beitrag in der ZfB von B. Rauhut zu Finsingers Buch in Jg. 54(1984) Heft 9 und Finsingers Entgegnung in Jg. 55 (1985) Heft 2 mit der an-schlieBenden Erwiderung von Rauhut ktinnen wohl nur als erster Ansatz zueiner (hoffentlich noch stattfindenden) Diskussion gewertet werden.

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ten. Fiir die iiblichen Glitermarkte ist das jedenfalls die herrschendeMeinung unter den Okonomischen Theoretikern der ganzen Welt, undFinsinger hat abzuleiten versucht, warum dies auf Versicherungsmark-ten ebenfalls gilt. Verdienstvollerweise hat er dariiber hinaus versuchtzu priifen, ob sich die von ihm abgeleiteten Anreize auch in der Em-pirie so auswirken, wie es die Theorie — unter Annahme bestimmterVoraussetzungen — prognostiziert. Er mag teilweise geirrt haben, etwastrittige Gedankenansdtze, falsche Zahlen oder inaddquate statistisch-iikonometrische Methoden verwendet haben. All das kann und muf3man sachlich diskutieren und gegebenenfalls richtigstellen.

So habe ich selbst z. B. noch immer gewisse Zweifel, ob die Gedan-kenkette Finsingers zutrifft, mit denen er die Richtigkeit der These— Regulierung verursacht hOhere Kosten — fiir die Versicherungs-wirtschaft zu beweisen sucht; er vermutet rechtsformspezifische Un-terschiede in absatzpolitischen Zielen der Anbieter, die entsprechendeUnterschiede in den Kostenniveaus bewirken mill3ten, und stellt dannfest, daB solche tatsachlich vorliegen. Mir scheinen diese Unterschiededagegen weniger auf unterschiedliche Unternehmensziele als auf an-dere eher exogene Faktoren, wie etwa die starke Segmentierung desVersicherungsmarktes in sehr unterschiedliche Teilmarkte zurtickzu-ftihren zu sein. Farnys Analysen der Geschaftsergebnisse der Kompo-sitversicherung kiinnten m. E. dafiir einige Anhaltspunkte liefern."Dieser Einwand wurde zwar die Beweiskraft der empirischen Ablei-tungen, nicht aber die Ausgangsthese erschilttern.

Daftir, daB die Marktregulierung zu einer ineffizienten Versorgungder Konsumenten mit Versicherungsschutz fiihrt, scheinen mir eineganze Reihe von Indizien vorzuliegen, von denen einige nunmehr auchin der Tagesdiskussion eine Rolle spielen. Zu ihnen gehOren etwa diegeringe Innovationsbereitschaft der Versicherer und die mangelndeDurchsichtigkeit der nberschuBverteilungen fiir die Versicherungsneh-mer. Ich will mich mit solchen Kritikpunkten nicht weiter befassen,weil mir eine andere Frage viel wichtiger erscheint; sie lautet: WaskOnnte und sollte man an der bisherigen Regulierung der Versiche-rungsmarkte andern? Wie kiinnte man die Effizienz der Versorgungmit Versicherungsschutz im Massengeschaft verbessern? Diese Fragenhalte ich ftir dringend, weil die gegenwartige Regulierung des Massen-geschafts kaum auf die Dauer aufrecht erhalten werden kann, nichtnur wegen der zunehmenden &fentlichen Kritik von Seiten der Nach-frager, sondern auch wegen der Reaktionen all derjenigen, die auBer-halb des abgeschlossenen deutschen Versicherungsmarktes stehen.

43 Vgl. die regehnüBigen Analysen der Geschaftsergebnisse der Kompo-sitversicherung in „Versicherungswirtschaft" (zuletzt 1984 in Beilage zuNr. 21), deren Basisdaten sich auch nach weiteren Kriterien auswerten Lassen.

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6. SchluBbemerkungen

Wie eingangs bereits betont, werde ich bier nicht Reformmanahmenfar die staatliche Regulierung der Versicherungsmarkte diskutieren.Es ist mir auch klar, daB es sich dabei urn eine auBerst schwierige Auf-gabe handelt, die sehr sorgfaltiger Prtifung bedarf, bei der sicherlichauch Meinungsverschiedenheiten fiber die anzuwendenden Effizienz-kriterien ins Spiel kommen. Finsinger selbst hat bereits einige wirt-schaftspolitische Anregungen gegeben. Eine ersatzlose Aufhebung derRegulierung dilate wohl kaum in Betracht kommen, und einfacheAlternativen zum gegenwartigen Zustand sind angesichts der inharen-ten Bedingungen eines Wettbewerbs auf Versicherungsmarkten nichtsichtbar. AbschlieBend sei nur auf drei wichtige Punkte hingewiesen,die bei einer solchen Priifung eine Rolle spielen sollten.

Der erste Punkt betrifft die vielfaltigen Ruckwirkungen der moder-nen Wahrungsordnungen auf Versicherungskontrakte und -markte.Unsere Geldordnungen lassen gewollt auch groBere Geldwertschwan-kungen zu, was praktisch andauernde Inflationsprozesse mit starkwechselnden jahrlichen Inflationsraten impliziert. Das erfordert stan-dige Pramienanpassungen allein aus diesem Grund, erschwert diestaatliche Preisregulierung und verringert die ohnehin schon geringeMarkttransparenz filr die Versicherungsnehmer." Viel wichtiger aberist, daB wegen der Inflationsprozesse die nominellen Zinssatze auf denFinanzmarkten die realen Zinssatze etwa um die Inflationsrate iiber-steigen. Gleichwohl wird in den langfristigen Lebensversicherungsver-tragen mit Laufzeiten bis zu 30 Jahren nach wie vor ein Rechnungszinsvon 3 0/0 zugrundegelegt, wie das friiher bei stabilem Geldwert undlangfristigen Marktzinssatzen von etwa 4 0/0 durchaus angemessen war.Auf den Kreditmarkten haben die veranderten monetaren Verhaltnissez. B. zu einer Verkurzung der Laufzeiten, zu roll-over Krediten und zuKrediten mit variablen Zinssatzen gefiihrt. Im Versicherungswesenhat man denkbare Anpassungen an die nunmehr herrschenden mone-taren Verhaltnisse wohl noch nicht geniigend diskutiert.

Der zweite Punkt betrifft die Grundsatzfrage, ob und inwieweit derWettbewerb seine Funktionen erfiillen kann, wenn man die Aufsichtvon vornherein und prinzipiell an dem Ziel orientiert, Konkurse vonVersicherungsunternehmen zu verhindern. Das kapitalistische markt-wirtschaftliche System beruht darauf, daB Unternehmen, und das heiBtihre Eigentumer und Manager, frei disponieren airmen und dabei Ri-

44 Das Problem quasi-automatischer Pramienanpassungen ist nicht nur inder Kfz- und Krankenversicherung relevant, sondern neuerdings auch in derHausratversicherung akut geworden.

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siken iibernehmen, wofiir sie dann auch belohnt und bei Nichterfolgbestraft werden. Wenn man sie de facto dadurch vom Konkursrisikobefreit, dall man ihre Dispositionen entsprechend reguliert, verliert dasganze System weitgehend seine Steuerungskraft.

Der dritte Punkt betrifft die Interpretation des Konsumentenschut-zes, der als oberstes Ziel der Versicherungsaufsicht gilt, und mit demzweiten Punkt insofern zusammenhangt, als auch die Beseitigung desKonkursrisikos mit dem Konsumentenschutz begriindet wird. Bei derPrilfung der Frage, inwieweit die Konsumenten fur ihren eigenen Schutzdurch das BAV nicht vielleicht einen zu hohen Preis in Form hdhererKosten oder weniger attraktiver Kontrakte zu zahlen haben, sollte manm. E. nicht vergessen, daB auch Konsumenten lernen kiinnen und daBLernprozesse ebenso durch gute wie durch schlechte Erfahrungen gefOr-dert werden. Es enisprache eher dem marktwirtschaftlichen Grundsatzder Konsumentensouveranitat, wenn man die Konsumenten lernen lieBeund es ihnen erleichtern wiirde, dies auch zu tun und sich selbst zuschiitzen.45

Damit bin ich am Ende meiner Ausfiihrungen, die — dem Charaktereines einleitenden überblicksreferates entsprechend — nur einen Ver-such darstellen konnten, die vielschichtigen Probleme des Wettbewerbsauf Versicherungsmarkten aufzuzeigen und zu ordnen. Ich hoffe, dalimir zumindest dies gelungen ist — auch wenn Sie vermutlich mit eini-gen meiner Beurteilungen nicht einverstanden sein sollten.

45 Tatsdchlich werden viele Versicherungsnehmer solche Lernprozesse alslüstig empfinden und freiwillig darauf verzichten. Das ist aber ein Teil ihrer„Souverdnitat" und rechtfertigt nicht fiir sich allein, daB staatliche Stellensie bevormunden.