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DEUTSCHLANDFUNK Hintergrund Kultur / Hörspiel Redaktion: Sabine Küchler „Wie eine schöne Wolke am Himmel“ Roland Barthes und die Poesie Von Roland Koch Autor: Schüler: Zitator:
REGIE: Claudia Kattanek
Urheberrechtlicher HinweisUrheberrechtlicher HinweisUrheberrechtlicher HinweisUrheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig.
©
- unkorrigiertes Exemplar - Sendung: Freitag, 20. Juli 2012, 20:10 – 21:00 Uhr
2
O-Ton Barthes =b2:
„Entrer en littérature, en écriture; écrire, comme si je ne l’avais jamais
fait; ne plus faire que cela“. (D1, 01. 49:29-49:40)
Zitatsprecher:
„In die Literatur, ins Schreiben eintreten; schreiben, als hätte ich es
noch nie getan: nichts mehr tun als das“. (V 38)
Autor:
Ich kenne Roland Barthes als jemanden, der unerwartet abweicht,
eine neue Richtung findet, Haken schlägt, das hat mich seit der
ersten Lektüre seines kleinen Buches „Die Lust am Text“ nicht mehr
losgelassen.
O-Ton Schimmang js1:
„Das Allerwichtigste finde ich, daß er immer gegen die Doxa war,
gegen die Verfestigung bestimmter Sprachen, bestimmter
Sprachgesten“ (2:52-3:07)
Autor:
Jochen Schimmang, Schriftsteller.
Zitatsprecher:
„In Metaphern, nicht in Adjektiven reden, das ist es, was die Dichter
getan haben.“ (N 111)
3
Autor:
Ich habe bei Roland Barthes immer wieder über das Wesen des
Schreibens, die Poesie gelesen. Vor allem in seinen Ende der 70er
Jahre gehaltenen Vorlesungen „Das Neutrum“, „Wie zusammen
leben“ und „Die Vorbereitung des Romans“, die in den letzten
Jahren auf Deutsch erschienen sind, blitzen Gedanken auf, die mich
anregen, über mein Schreiben nachzudenken, alles in Frage zu
stellen, aber auch, neu anzufangen.
Schüler:
Was kann ich machen, um diese Stimmung zu erreichen, um etwas
wirklich Neues hervorzubringen?
Zitatsprecher:
„Man braucht die Regeln nur zu verletzen, um einen subversiven,
herausfordernden, verwirrenden Text (Gesprächsbeitrag)
hervorzubringen: das rätselhaft Unerwartete: manisch, ironisch,
dunkel, übertrieben elliptisch reden, sich außerhalb von Wahr und
Falsch stellen, Irrelevantes (nach Maßgabe des eben Gesagten) oder
Versponnenes äußern.“ (N 188f.)
O-Ton Schabacher gs1:
„Das ist ein großer Feind von ihm, die Doxa“ (26:22-26:25)
Autor:
Gabriele Schabacher, Medienwissenschaftlerin und Barthes-Expertin.
Schüler:
Und was, wenn ich Fehler mache?
4
O-Ton Barthes 12:
„Les plus belles céramiques, celles où un défault, un excès de cuisson
de la couleur produit des nuances incomparables, des trainées
inattendues, volupteuses. D’une certaine facon, la Nuance: ce qui
irradie, diffuse, traine (comme le beau nuage d’un ciel).” (D1, 07.
8:50-9:29)
Zitatsprecher:
„Am schönsten sind diejenigen Keramiken, die einen Fehler
aufweisen, die zu lange gebrannt wurden und deshalb
unvergleichliche Farbnuancen zeigen, unerwartete, wollüstige
Spuren. In gewisser Weise ist die NUANCE das, was ausstrahlt, sich
zerstreut, sich in die Länge zieht (wie eine schöne Wolke am
Himmel).“ (V 94)
O-Ton Schimmang js2:
„Also die Macke an dem fertigen Produkt ist vielleicht wie die eigene
Unterschrift, wie die Signatur“ (17:13-17:26)
Autor:
Ich weiß über Roland Barthes, daß er von 1915 bis 1980 lebte, als
Theoretiker, als Semiologe, als Strukturalist bekannt war, doch für
mich ist er viel mehr Schriftsteller, Poet, jemand, der die Art und
Weise, etwas zu sagen, sich auszudrücken, erneuert. Dies in vielen
Büchern, in den „Mythen des Alltags“, in den „Fragmenten einer
Sprache der Liebe“.
Schüler:
Wie kann ich Meister werden?
5
Zitatsprecher:
„Mein Ziel: weder Meister noch Schüler zu sein, sondern ‚Künstler‘“.
(N 120)
Schüler:
Und wie lerne ich das Schreiben?
Zitatsprecher:
„Man setzt die Farben auf der Leinwand nebeneinander, statt sie auf
der Palette zu mischen. Ich setze die Figuren im Vorlesungssaal
nebeneinander, statt sie zu Hause, am Schreibtisch, zu mischen. Der
Unterschied besteht darin, daß es am Ende kein fertiges Gemälde
gibt“. (Z 216)
O-Ton Schabacher gs2:
„Ich würde sagen, daß ein ganz wichtiges Charakteristikum seiner
Schreibweise eben das ist, was man eben als kurze Schreibweise, als
Schreiben in Fragmenten als etwas, wo auch er immer wieder
versucht, sich nicht festlegen zu lassen“. (6:19-6:33)
Autor:
Ich sehe ihn als jemanden, der schwankt, zwischen dem Schreiben,
der akademischen Welt, das Schwanken macht auch die Stärke
seiner Gedanken aus.
O-Ton Barthes 3:
„Ecrire sert à sauver, à vaincre la Mort: non pas sa sienne, mais celle
de ceux qu’on aime, en portant témoignage pour eux, en les
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perpétuant, en les érigeant hors de la non-Mémoire”. (D1, 01. 1:00:25-
1:00:46
Zitatsprecher:
„Das Schreiben dient der Rettung, dazu, den TOD zu besiegen; nicht
den eigenen, sondern den Tod derer, die man liebt, indem man von
ihnen Zeugnis gibt, indem man sie fortdauern läßt, sie aus dem
Nichterinnern heraushebt.“ (V 40)
Schüler:
Wie kann ich so etwas Schweres tun?
Zitatsprecher:
„Wenn es mir dennoch gelingt, diesen Tod durch eine meisterliche
Schreib-Leistung auszusprechen, beginne ich wieder aufzuleben; ich
kann Antithesen aufstellen, Ausrufe hören lassen, ich kann singen“.
(F 91)
O-Ton Schabacher gs3:
„Es ist vor allem jemand, den man schwer einordnen kann, und der
es auch geliebt hat, schwer einordnenbar zu sein (00:26-00:34)
Schüler:
Und was wäre ein Ratschlag für mich?
Zitatsprecher:
„Den Begriff durch die Metapher ersetzen: schreiben.“ (N 261)
Schüler:
Und wie kann ich leben, wenn ich mich dem Schreiben hingebe?
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O-Ton Barthes 8:
„Car l‘énigme de l’écriture, sa vie tenace, son désirable, c’est qu’on
ne peut jamais la séparer du monde, un peu d’écriture sépare du
monde, beaucoup y ramène”. (D1, 05. 2:33-2:57)
Zitatsprecher:
„(..) denn das Rätsel des Schreibens, sein zähes Leben, das
Begehrenswerte an ihm ist ja, daß man es niemals von der Welt
trennen kann; ‚ein wenig Schreiben führt ab von der Welt, viel davon
führt zu ihr zurück‘“. (V 71)
O-Ton Schimmang js3:
„Daß er ein Liebhaber des Offenen, des Unfertigen und des
Fragments ist, (…) dieses Fragile, dieses Luftige von Barthes zu lesen
(…) das ist einfach auch ein ästhetischer Genuß, ihn zu lesen“ (4:20-
4:58)
Schüler:
Und wie bleibe ich bei der Sache?
Zitatsprecher:
„Tendenziell wäre sogar ein Werk, eine Vorlesung vorstellbar, die
aus nichts als Abschweifungen bestünde: ausgehend von einem
fiktiven Titel, dem ‚Thema‘ (der quaestio), das (die) durch die List
einer unaufhörlichen Flucht zerstört würde. Das Thema ist beinahe
inexistent, eine sehr vage, blitzartig aufleuchtende Erinnerung“. (Z
217)
8
Autor:
Ich sehe Roland Barthes als jemanden, der im Sommer in Sandalen
über den Treidelpfad in Urt im französischen Südwesten spaziert,
der eine Vorlesung nur aus den Büchern konzipiert, die er zufällig in
seinem Haus dort vorfindet. Als jemanden, der in der Gegend
aufgewachsen ist, früh den Vater verliert, Zeit seines Lebens mit
seiner Mutter zusammenlebt. Dessen freies Denken nicht aus seinem
Leben erklärt werden kann.
Zitatsprecher:
„Das Neutrum ist dieses unbeugsame Nein: ein Nein, das gegenüber
den Verhärtungen des Glaubens und der Gewißheit gleichsam in der
Schwebe bleibt, unbestechlich gegenüber dem einen wie dem
anderen.“ (N 45)
O-Ton Schabacher gs4:
„daß er über die von ihm so geliebten Doppelwörter sagt, daß sie
kostbar zweideutig seien und daß der eine Wortsinn gewissermaßen
dem anderen zuzwinkern würde“. (22:30-22:44)
Schüler:
Wenn ich immer hart arbeite?
O-Ton Barthes 23:
„La joie productrice d‘écriture est une autre joie: c’est une jubilation,
une ex-tase, une mutation, une illumination, ce que j’ai appelé
souvent un satori, une ébranlement, une conversion”. (D1, letzter
Track, 01. 21:25-21:57)
9
Zitatsprecher:
„Die schöpferische Freude am Schreiben ist eine andere Freude: Sie
ist ein Jubel, ein Ek-stase, eine Verwandlung, eine Erleuchtung, das
was ich oft als satori bezeichnet habe, eine Erschütterung, eine
‚Konversion‘.“ (V 212)
Autor:
Ich sehe Roland Barthes auf Fotos, ernst oder lächelnd, mit Krawatte,
als Professor, im Tweedjackett, aber lieber stelle ich ihn mir vor, wie
er über einen Einfall lacht oder verwundert ist, wie er zu Hause
fünfzig Ideen gleichzeitig hat und aufschreibt, wie er Klavier spielt
und frei ist.
Zitatsprecher:
„Was mir bei der Vorbereitung der Vorlesung vorschwebte, ist eine
Einführung ins Leben, ein Lebensratgeber (ein ethisches Projekt): ich
möchte gemäß der Nuance leben. Nun gibt es eine Instanz, die über
die kleinen Unterschiede wacht: die Literatur.“ (N 40)
O-Ton Schabacher gs5:
„Die Forschung nimmt dann gerne Zuflucht dazu, Listen zu machen
und zu sagen, er ist Semiologe, er ist Literat, er ist Schriftsteller, er ist
Philosoph, und Ottmar Ette, ein Forscher, der sich viel mit Barthes
beschäftigt hat, hat mal so schön gesagt, wenn man sein Werk
sozusagen zur Kenntnis nehmen will, muß man in Buchhandlungen
das regelrecht erlaufen, man muß von Regal zu Regal gehen, um
dann in der einen Ecke die Schriften zur Fotografie zu finden, in der
nächsten Ecke die Schriften zur Zeichentheorie, in der anderen Ecke
die Sachen, die dann literarischer sind, jedenfalls hat er immer
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großen Wert darauf gelegt, daß man ihn nicht so ohne weiteres zu
fassen kriegt“. (00:44-1:24)
Schüler:
Es ist doch schwer, etwas Neues zu tun, alles ist schon geschrieben.
Zitatsprecher:
„Gerade weil das literarische Schreiben nichts bleibendes mehr
schafft, ist es von seinem konservativen Gewicht, von seiner Last der
Erhaltung befreit und läßt sich aktiv als ein Werden denken, als etwas
Leichtes, Aktives, Berauschendes, Frisches“. (V 442)
Autor:
Das Leben Roland Barthes‘ erscheint mir tragisch durch seinen
Unfalltod. Ich stelle ihn mir vor, beim Mittagessen mit Francois
Mitterand. Anschließend wird er angefahren, ist nicht
lebensgefährlich verletzt, aber stirbt aufgrund seiner
Lungenkrankheit, einer Infektion. Er war angekommen in der
akademischen Welt, er war berühmt, aber er hoffte, sich wieder
befreien zu können.
Zitatsprecher:
„Vielleicht ist die Zeit zum Verstehen eine göttliche Zeit: der
angemessene (zarte, langsame, wohlwollende) Übergang von einer
Logik zur anderen, von einem Körper zum anderen: Wenn ich einen
Gott zu erschaffen hätte, würde ich ihn mit einer ‚langen Leitung‘
versehen: ein Problem gleichsam tropfenweise verstehen.“ (N 81)
11
O-Ton Schimmang js4:
„Also ich denke, das Schreiben (…) es erlaubt, wenn man‘s geschickt
anstellt, gewisse Grandiositätsgefühle zu entwickeln und die
Kränkungen, die man erfahren hat (…) zu heilen“ (12:25-13:05)
O-Ton Barthes 4:
„Les blessures du Désir peuvent etre recueillies, transcendées par
l’idée de ‘faire un Roman’, de dépasser les contingences de l’echec
par une grande tache, un Désir Général don’t l’objet est le monde
entier. Roman: sorte de grand Recours – sentiment qu’on ne se sent
bien nulle part”. (D1, 02. 34:14-34:55)
Zitatsprecher:
„Mit dem Gedanken, ‚einen Roman anzufertigen‘, lassen sich die
Kränkungen des Begehrens auffangen und überwinden; Roman: eine
Art großer AUSWEG – Gefühl, daß man sich nirgendwo sonst wohl
fühlt.“ (V 47)
O-Ton Schabacher gs6:
„es ist selbst zu nem Mythos geworden, daß Barthes immer auf dem
Weg zum Schriftsteller gewesen ist“. (3:14-3:20)
Autor:
Ich höre von Roland Barthes als Sohn, der den Tod seiner Mutter nie
verwindet, dessen Lebenskraft mit der Trauer schwindet. Und ich
lese, daß er selbst „Mamie“ genannt wurde von seinen jungen
Schülern, Freunden und Geliebten.
Schüler:
Und wie vom Gekritzel zum Roman gelangen?
12
O-Ton Barthes 22:
„Quand je produits des Notations, elles sont toute vraies: je ne mens
pas (je n’invente jamais), mais précisement, je n’accède pas au
Roman; le roman commencerait non au faux, mais quand on mele
sans prévenir le vrai et le faux: le vrai criant, absolu, et le faux
colorié, brillant, venu de l’ordre du Désir et de l’Imaginaire – le
roman serait poikilos, bigarré, varié, tacheté, moucheté, couvert de
peintures, de tableaux, vetement brodé, compliqué, complexe“. (D1,
13. 01:02:57-01:04:11)
Zitatsprecher:
„Wenn ich NOTIZEN mache, sind sie alle ‚wahr‘: ich lüge nie (ich
erfinde nie), doch gerade so gelange ich nicht zum ROMAN; der
Roman würde zwar nicht beim Falschen beginnen, sondern dort, wo
Wahres und Falsches unvorhersehbar ineinandergehen: das
schreiende, absolute Wahre und das kolorierte, glänzende, aus der
Ordnung des BEGEHRENS und des IMAGINÄREN stammende
Falsche – Der Roman wäre poikilos, bunt, veränderlich, gescheckt,
getüpfelt, mit Gemälden, mit Bildern bedeckt, ein besticktes,
verwickeltes, komplexes Gewand“. (V 181)
Schüler:
Wenn ich eine Idee habe, soll ich sie dann ausführen?
Zitatsprecher:
„Der Schriftsteller glaubt an die Wichtigkeit des Geschriebenen, nicht
des Gedachten – also nicht Treue zur Idee, sondern Festhalten an
einer Praxis = das, was der Schriftsteller ‚arbeiten‘ nennt.“ (N 269)
13
O-Ton Schimmang js5:
„Ich glaube, daß Barthes, in dessen Zentrum der Begriff der
Schreibweise stand, für Schriftsteller, für den Blick auf ihre eigene
Arbeit eine ganz wichtige und entscheidende Figur ist, und ich finde
es ein Paradox, aber eins, das mich amüsiert, daß dieser Mann ja am
Ende eigentlich einen Roman schreiben wollte“ (9:00-9:33)
O-Ton Barthes 5:
„Présent: avoir le nez collé à la page; comment écrire longuement,
couramment (d’une facon courante, coulée, filée) en ayant un oeil sur
la page et l’autre sur ce qui m’arrive’?”. (D1, 03. 01:20-01:49)
Zitatsprecher:
„Gegenwart: mit der Nase am Papier kleben; wie soll man mit
langem Atem, fließend (gewandt, flüssig, behende) schreiben, wenn
man mit einem Auge aufs Blatt und mit dem anderen auf das starrt,
‚was mir widerfährt‘?“ (V 53)
O-Ton Schabacher gs7:
„Ich würde sagen, es ist vor allem ein Werk, das versucht, in
Bewegung zu bleiben“. (1:42-1:46)
Autor:
Ich stelle mir Roland Barthes vor, wie er in seinem roten Käfer durch
Paris fährt, wie er auf dem Land einen Blaumann trägt, wie seine
Mutter immer dabei ist: der Sohn wird berühmt, um ihr eine Freude
zu machen.
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Schüler:
Und wenn Tausende von Eindrücken gleichzeitig auf mich
einstürzen?
O-Ton Barthes 1:
„Car face au ronron de la gestion, deux votes s’ouvrent: 1. Ou bien la
silence, le repos, le retrait (Assis paisiblement, sans rien faire, le
printemps vient, et l’herbe croit d’elle meme) 2. Ou bien reprendre la
marche dans une autre direction, c’est-à-dire batailler, investir,
planter”. (D1, 01. 34:20-35:30)
Zitatsprecher:
„Denn um sich dem ‚Gesumm‘, der Geschäftigkeit zu entziehen,
stehen zwei Wege offen: 1. Entweder das Schweigen, die Ruhe der
Rückzug (‚Ruhig sitzen, nichts tun. Der Frühling kommt, und das
Gras wächst von selbst‘); 2. oder aber in eine andere Richtung
weitergehen, das heißt kämpfen, besetzen, pflanzen“. (V 35)
O-Ton Schimmang js6:
„Den beginnenden Romancier, sozusagen den fragmentarischen
Romancier finde ich aber an ganz vielen Stellen bei Barthes, selbst in
teilweise eher theoretisch daherkommenden Aufsätzen leuchtet das
in einzelnen Sätzen immer wieder auf“ (28:24-28:46)
O-Ton Barthes 6:
„On peut écrire le Présent en le notant – au fur et à mesure qu’il
tombe sur vous ou sous vous (sous votre regard, votre écoute)”. (D1,
03. 03:10-03:25)
15
Zitatsprecher:
„Man kann die Gegenwart schreiben, indem man sie aufzeichnet – im
selben Maße, wie sie uns ‚überfällt‘ (oder vorfällt, vor Augen tritt,
oder zufällt, zu Ohren kommt“. (V54)
O-Ton Schabacher gs8:
„Er wollte das auch durchdringen, was es heißt, einen Roman zu
schreiben, und ich glaube, daß man eher sagen müßte, Barthes hat
eine unglaubliche Vorliebe gehabt für die Praxis des Schreibens, also
es ging vielleicht wenige darum zu sagen, er selbst wollte einen
Roman schreiben, sondern er wollte vor allen Dingen darüber
sprechen, wie man einen Roman schreibt, und der Haiku, die kurze
Schreibweise, das Schreiben in Fragmenten, das sind ja alles Sachen,
die er in vielen Texten schon praktiziert hat“. (4:30-4:59)
Schüler:
Soll ich aus meinem Leben schöpfen?
O-Ton Barthes 7:
„La vie – qui est texte à la fois enchainé, filé, succesif, et texte
superposé, histologie de textes en coupe, palimpseste -, et d’un geste
sacré: marquer”. (D1, 03. 05:37-06:40)
Zitatsprecher:
„Das Leben – das ein verketteter, zusammenhängender, fortlaufender
Text und zugleich eine Schichtung histologischer Textschnitte, ein
Palimpsest ist – wird mittels einer sakralen Geste eingeschnitten,
markiert“. (V 54)
16
O-Ton Schimmang js7:
„Was er dort über das Schreiben, über den Schreibprozeß, über die
Vorbereitung des Romans uns nahegebracht hat, das finde ich
großartig, also es ist selten jemand so wirklich in den Schreibprozeß
eingedrungen, also nicht als jemand, der über Literatur spricht, über
Literatur, die schon vorliegt, sondern der uns erklärt, was der
Schreibprozeß eigentlich ist und was wir da machen, das denke ich
ist für lange Zeit unübertroffen“ (10:17-10:47)
Autor:
Ich empfinde Scheu oder Scham beim Lesen der Klatschgeschichten
über Barthes, über seinen Körper, seine Begierden. Auch wenn es zu
ihm gehört, auch die Erfahrung, nicht mehr attraktiv zu sein für die
jungen Männer, auf dem Markt der Körper zu versagen.
Schüler:
Und woran erkenne ich, daß ich ein Dichter werde?
O-Ton Barthes 17:
„Ceci purrait etre la définition de la Poésie: elle serait en somme le
langage du réel, en ce qu’il ne plus se diviser ou ne s’interesse pas à
se diviser davantage.“ (D1, 10. 52:58-53:14)
Zitatsprecher:
„So könnte die Definition der Poesie lauten: Letztlich wäre sie die
Sprache des Realen, insoweit es nicht weiter teilbar ist oder an seiner
weiteren Zerlegung nicht interessiert ist“. (V 134)
17
O-Ton Schabacher gs9:
„Diese Kategorie des Zwischenraums ist ja eine, die ihm sehr wichtig
ist, man könnte zum Beispiel sagen, daß dieses Schreiben in
Fragmenten, was er immer wieder praktiziert, auch so etwas ist, wo
er dann so schön sagt, ich schreibe in Fragmenten, jedes Fragment ist
quasi der Nachbar anderer Fragmente oder der Zwischenraum der
anderen Fragmente und was bedeutet es sozusagen reinen
Zwischenraum zu produzieren, (…) er sieht sich immer in einem
Raum der sozusagen nicht im Vollen ist, sondern der immer an der
Kante, am Rand, im Zwischen“ (16:40-17:10)
Zitatsprecher:
„Platz des Schriftstellers: der RAND? Deren gibt es viele: Am Ende
wird selbst der Anspruch auf MARGINALITÄT anmaßend – Ich
ziehe ihm das BILD des ZWISCHENRAUMS vor: SCHRIFTSTELLER
= der Mensch des ZWISCHENRAUMS.“ (V 445)
O-Ton Schimmang js8:
„Daß der Schriftsteller ein Mann des Zwischenraums ist, das ist
etwas, was mir sehr gut gefällt, weil ich diese Ansicht teile“ (1:42-
1:50)
O-Ton Barthes 10:
„On peut dire que la civilisation grégaire d’aujourd’hui se définit par
le rejet (agressif) de la nuance.” (D1, 07. 02:54-03:10)
Zitatsprecher:
„Man kann sagen, daß sich die Medienzivilisation durch die
(aggressive) Ablehnung aller Zwischentöne definieren läßt.“ (V 93)
18
Autor:
Barthes war jemand, der immer zu früh kam, lese ich, der an
Langeweile litt, der abends in den Pariser Brasserien Menschen
beobachtete.
O-Ton Schabacher gs10:
„Die Kategorie der Abweichung, des Driftens, nicht zum Stereotyp
zu werden, der es also auch genossen hat, wenn die Leute wieder
versucht haben, ihn wieder zum Meister von XY zu machen, also
gerade in dieser Phase, wo er sich viel mit dem Strukturalismus
auseinandergesetzt hat, hat er es glaube ich mit einem
Augenzwinkern auch gesehen, wenn die Leute ihn als
Strukturalisten adressierten, und er sich aber selbst schon auf andere
Felder begeben hatte“. (2:14-2:44)
Schüler:
Was beschreiben?
O-Ton Barthes 9:
„L’eté capturé dans la chambre est plus intense: il est capturé comme
absence, capturé dehors. C’est dans l’intérieur, là d’où il est repoussé
que l’eté est le plus fort: il triomphe dehors et presse – son intensité:
Intensité de l’indirect; comme quoi l’indirect est la voie meme de
communication, de manifestation de l’Essence”. (D1, 05. 41:53-42:30)
Zitatsprecher:
„Der in dem Zimmer gefangene Sommer ist intensiver: Er ist darin
gefangen als abwesender, insofern er draußen ist. Am stärksten ist
der Sommer im Inneren, dort, von wo er verdrängt wurde: Er
19
triumphiert draußen und übt von dort Druck aus – seine Intensität:
INTENSITÄT DES INDIREKTEN; was besagt, daß der Umweg der
eigentliche Weg der Mitteilung, der Erscheinung des Wesens ist.“ (V
78)
O-Ton Schimmang js9:
„Weil er ein Mensch vom Rande ist, auch schon durch seine
Biographie, ein Quereinsteiger gewissermaßen, der ja nicht diese
übliche französische akademische Ochsentour gemacht hat“ (00:39-
00:58)
O-Ton Barthes 11:
„D’où nécessité aujourd‘hui de lutter pour la Poésie: la Poésie devrait
faire partie des Droits de l’Homme; elle n’est pas décadente, elle est
subversive et vitale.” (D1, 07. 06:46-07:05)
Zitatsprecher:
„Daher ist es heute notwendig, für die DICHTUNG zu kämpfen: Die
POESIE sollten zu den ‚MENSCHENRECHTEN‘ gehören; sie ist
nicht ‚dekadent‘, sondern subversiv: subversiv und vital.“ (V 94)
Autor:
Ich kann mir gut vorstellen, wenn berichtet wird, daß Roland Barthes
die Gabe besaß, seine Gesprächspartner klug zu machen, ihnen das
Gefühl zu geben, jemand zu sein.
O-Ton Schabacher gs11:
„Was man ihm anmerkt, daß er sehr gerne weitergibt“. (9:54-9:58)
20
Schüler:
Kann ich überhaupt etwas Wahres schreiben?
O-Ton Barthes 21
„Au plan de l’écriture: Moment de vérité = solidarité, compacité,
fermeté de l’affect et de l’écriture, bloc intraitable. Le Moment de
vérité n’est pas dévoilement, mais au contraire surgissement de
l’ininterprétable, du dernier degré du sens, de l’après quoi plus rien à
dire“. (D1, 13. 52:24-52:58)
Zitatsprecher:
„Auf der Ebene des Schreibens: AUGENBLICK DER WAHRHEIT =
Verbundenheit, Dichte, Geschlossenheit von Affekt und Schrift,
unerbittlicher Block. DER AUGENBLICK DER WAHRHEIT ist keine
Enthüllung, sondern vielmehr Auftauchen des Uninterpretierbaren,
des letzten Grades des Sinns, dessen, wonach es nichts mehr zu sagen
gibt“. (V 178)
O-Ton Schimmang js10:
„Seine Kunst war ganz gewiß auch, sozusagen Vorschläge zu
machen und zu sagen, jetzt fangt was damit an, ich sag euch nicht,
was, weil ich weiß es vielleicht selbst nicht, oder ihr müßt was
anderes damit anfangen, als ich damit anfangen würde.“ (32:55-
33:10)
O-Ton Barthes 13:
„Créer (poetiquement), c’est vider, exténuer, faire mourir le choc (le
son) au profit du Timbre.” (D1, 07. 13:16-13:32)
21
Zitatsprecher:
„(Poetisch) schöpferisch sein heißt den Schock (den Ton) zugunsten
der KLANGFARBE verströmen, schwinden, sterben lassen.“ (V 96)
O-Ton Schabacher gs12:
„Ein kleines Detail, ein Riß, eine Störung, etwas, das sozusagen in
irgend einer Weise nicht paßt, und dieses Nicht-Passende, dieses
Störende, das, was nicht dazugehört, das ist immer wieder das, was
Interesse auslöst, was überrascht, und insofern wäre das ein
Moment, was auch für das Schreiben extrem wichtig wäre“ (18:51-
19:10)
O-Ton Barthes 14:
„Par exemple, on ne m’empechera pas de préférer la facon don’t
Proust parle du chagrin à celle don’t Freud parle du deuil.” (D1, 07.
38:13-38:27)
Zitatsprecher:
„Zum Beispiel werde ich immer die Art, wie Proust vom Kummer
spricht, der Art, wie Freud von der Trauer spricht, vorziehen.“ (V
101).
O-Ton Schimmang js11:
„Ein zentraler Begriff von ihm ist ja die Schreibweise, also daß ein
Autor sich durch eine Schreibweise auszeichnet, und das ist etwas
anderes als zu sagen, daß ein Autor einen bestimmten Stil hat (…),
daß sein Umgang mit der Sprache ihm auch in gewisser Weise
vorgibt und steuert, was er schreibt, der Autor setzt sich ja nicht hin,
das habe ich durch Barthes (…) verstanden, um zu sagen, ich möchte
jetzt etwas sagen und ich möchte etwas vermitteln, sondern der
22
Autor schreibt einfach, und er hat eine bestimmte Schreibweise und
das steuert auch in gewisser Weise das, was er sagt (5:19-6:02)
O-Ton Barthes 15:
„Quelque chose qui n’est pas le silence, qui ne signifie pas le silence
(lui-meme toujours signifiant), mais – différence subtile – le son
coupé, la parole au loin, présente et effacée, là sous le gommage
inaudible sans que ce soit par confusion, brouillage, brouhaha;
l’inaudible pur, qui ne provient pas d’un bruit; muet: sourd-et-muet:
toute la peinture; l’image est ainsi muette avec force.” (D1, 08. 33:54-
34:46)
Zitatsprecher:
„Etwas, das nicht das Schweigen ist, das nicht das Schweigen
bedeutet (das als solches immer bedeutsam ist), sondern – ein feiner
Unterschied – der gedämpfte Ton, das Sprechen von ferne, präsent
und ausgelöscht, unter der Lösung präsent, unhörbar, aber nicht
wegen Stimmengewirrs, Tonstörung, Tumult; das reine Unhörbare,
aber nicht wegen eines Lärms; stumm: taub-und-stumm; die ganze
Malerei, das BILD ist sozusagen intensiv stumm.“ (V 111)
O-Ton Schabacher gs13:
„Und das ist letzten Endes so seine große Idee, zwischen alles immer
noch was einzuschieben zu wäre, und das praktiziert er teilweise ja
auch mit großem Genuß, daß man sich immer sagt, aber das ist ja
noch ein Einschub, und dann das sozusagen nicht ausschachtet,
sondern plötzlich an einer Stelle einfach abschneidet“ (25:46-26:04)
23
Autor:
Den verzweifelten, trauernden, alten, müden, nicht mehr
begehrenswerten Roland Barthes sehe ich hinter seinem Schreiben
verschwinden.
Schüler:
Und wenn ich Zweifel habe?
O-Ton Barthes 24:
„Pour l‘écrivain, l’écriture est d’abord (d’abord et sans cesse) une
position absolue de valeur: introjection de l’Autre sous les espèces
d’un langage essentiel. Quel que soit le devenir de ce sentiment (et il
n’est pas simple), l’écrivain possède, est constitué par une croyance
narcissique première – J’écris, donc je vaux, absolument, quoi qu’il
arrive. Classiquement, on appellerait cette croyance: l’Orgueil: il y a
un orgueil de l’écrivain, et cet orgueil est un primitif.” (D2, 03. 15:24-
16:16)
Zitatsprecher:
„Für den Schriftsteller ist das Schreiben zunächst (und dauerhaft)
eine Position von höchstem Wert: Introjektion des ANDEREN in
Gestalt einer essentiellen Sprache. Wie immer dieses Gefühl
entstanden sein mag (das ist nicht einfach), der Schriftsteller verfügt
über einen ursprünglichen narzißtischen Glauben, ohne den er nicht
auskäme – Ich schreibe, also habe ich Wert, unbedingt, was auch
geschieht. Klassisch würde man diesen Glauben als Stolz bezeichnen;
es gibt einen Schriftstellerstolz, und dieser ist ursprünglich.“ (V 255)
24
O-Ton Schimmang js12:
„Und der Körper schreibt selbstverständlich auch in dem
Augenblick, um ein Beispiel nur zu nennen, wenn man Szenarien
entwirft oder Figuren schafft, das ist wie ich finde kein primär
geistiger Prozeß“ (7:38-7:56)
O-Ton Schabacher gs14:
„Ja diese Frage der Körperlichkeit ist natürlich eine heißdiskutierte
bei Barthes, immer gewesen“. (7:04-7:10)
O-Ton Barthes 25:
„J’écris, donc je m’assure moi-meme (idéal du moi), mais en meme
temps je constate que: non, ce que j’ai écrit n’est pas tout moi; il y a
un reste, extensif à l’écriture, que je n’ai pas dit, qui fait ma valeure
entière, et qu’il me faut à tout prix dire, communiquer,
monumentaliser, écrire: Je vaux plus que j’ai écrit.” (D2, 03. 21:28-
22:22)
Zitatsprecher:
„Ich schreibe, also versichere ich mich meiner selbst (Ichideal), doch
gleichzeitig stelle ich fest: nein, das, was ich geschrieben habe, bin
nicht ganz ich; es bleibt ein ausgedehnter Rest dessen, was ich nicht
gesagt habe, ein Ungesagtes, das meinen ganzen Wert ausmacht, und
das ich um jeden Preis sagen, mitteilen ‚monumentalisieren‘,
schreiben muß: ‚Ich bin mehr wert als das, was ich schreibe.‘“ (V 256)
Autor:
Susan Sontag beschreibt Roland Barthes als kindlich, voller Wehmut,
mit einem rundlichen Körper, sanfter Stimme, schöner Haut und
ganz auf sich bezogen. (Li 102)
25
O-Ton Schabacher gs15:
„Das Wertende der Schreibweise, das ist ja auch was, was ihm immer
sehr wichtig ist, daß der Geschmack, daß dieses ich liebe ich liebe
nicht ich mag ich mag nicht, daß das irgendwie Bedeutung hat fürs
eigene Schreiben“. (12:52-13:03)
O-Ton Barthes 16:
„J’entends par effet de réel l’évanouissement du langage au profit
d’une certitude de réalité: le langage se retourne, s‘énfouit et
disparait, laissant à nu ce qu’uil dit. En un sens, effet de réel =
lisibilité”. (D1, 10. 01:09-02:19)
Zitatsprecher:
„Ich verstehe unter ‚Wirklichkeitseffekt‘ das Verlöschen der Sprache
zugunsten einer Realitätsgewißheit: Die Sprache zieht sich zurück,
verbirgt sich und verschwindet, so daß nur noch das Gesagte nackt
übrigbleibt. In gewissem Sinne ist der Wirklichkeitseffekt =
Durchsichtigkeit.“ (V 126)
O-Ton Schimmang js13:
„Barthes war jemand, der einfach uns gezeigt hat und selber
neugierig darauf war, nicht nur, was wir mit der Sprache machen
können, sondern auch, was dieses System Sprache mit uns macht“
(23:02-23:20)
Schüler:
Einfach eine Geschichte beginnen?
26
Zitatsprecher:
„An der Haltestelle der Linie 89 vor dem Senat: zwei Frauen und ein
kleiner Junge, den sie hinter sich herziehen; die eine trägt ein
kaftanartiges weißes Hemd. Sie geht mit übertrieben wiegender
Bewegung. Damit diese Begebenheit in meinen Augen notiert zu
werden verdient, muß sie gleichsam einen Umweg nehmen; ich muß
mir klarwerden, daß ich, um das Übertriebene dieses Gehens
darzustellen, sagen müßte: Wenn ein Mann so ginge wie sie, würde
man sagen: er geht wie eine Frau!“ (V 159)
O-Ton Schimmang js14:
„Auf der anderen Seite ist in dieser Stelle natürlich auch derjenige zu
erkennen, jedenfalls im Nachhinein, der kryptisch über seine
Homosexualität spricht, weil er sich sein ganzes Leben lang
verpflichtet fühlte, sie zu verbergen gegenüber seine Mutter, mit der
er sein Leben lang zusammengelebt hat“ (27:50-28:12)
Autor:
Nach dem Tod seiner Mutter hat Barthes mit dem „Tagebuch der
Trauer“ versucht, Abschied zu nehmen, aber das Leben ohne sie
scheint ihm nicht mehr zu glücken, nicht einmal das Schreiben ist ein
Ausweg.
Schüler:
Und wenn ich wie ein Maler werde? Gedichte schreibe?
O-Ton Barthes 18:
„Il ne peut y avoir de vérité générale: c’est ce que dit le haiku, haiku
après haiku.” (D1, 11. 24:03-24:11)
27
Zitatsprecher:
„Es kann keine allgemeine Wahrheit geben: das sagt das Haiku, ein
Haiku nach dem anderen.“ (V 142)
O-Ton Schabacher gs16:
„Es geht ihm nicht darum, Wissen zu vermitteln, ihm geht es darum
zu zeigen, wie Dinge gemacht sind“ (10:17-10:22)
O-Ton Barthes 20:
„Par ce que cette radicalité du concret désigne ce qui va mourir: plus
c’est concret, plus c’est vivant, plus cela va mourir”. (D1. 13. 46:23-
46:44)
Zitatsprecher:
„Weil diese Radikalität des Konkreten dasjenige bezeichnet, was
sterben wird: Je konkreter es ist, desto lebendiger, und je lebendiger,
desto mehr wird es sterben“. (V 177)
O-Ton Schimmang js15:
„Man begibt sich ja sozusagen in die Szenerie, die man beschreibt
selbst mit hinein mit seinem ganzen Körper und deshalb schreibt der
Körper die Bücher“ (8:11-8:20)
Schüler:
Und deswegen muß ich den Körper in Schreibstimmung bringen?
O-Ton Barthes 26:
„Une epreuve concrète, pratique: la conduite, pàs à pàs, de l’Ecrire
(ècrire l’objet choisi); d’où la nécessité d’organiser sa vie en fonction
du travail d’écriture et de surmonter les mille traverses, extérieures
28
et mentales, de cet accomplissement; c’est l’epreuve du Temps: la
Patience.” (D2, 03. 01:29:01-01:29:44)
Zitatsprecher:
„Eine konkrete, praktische Prüfung: das SCHREIBVERHALTEN; die
Fähigkeit, beim Schreiben des gewählten Gegenstandes ‚einen Fuß
vor den anderen zu setzen‘; daher die Notwendigkeit, sein Leben
gemäß den Anforderungen des Schreibens zu organisieren und die
tausend äußeren und geistigen Hindernisse, die sich der Ausführung
dieser Arbeit entgegenstellen, zu überwinden; das ist die Prüfung
der ZEIT: die GEDULD.“ (V 272)
O-Ton Schabacher gs17:
„Er hat ja auch seine Tagesabläufe so organisiert, daß er nicht nur
Zeit fürs Schreiben hatte, sondern auch für das Kritzeln, auch für das
Malen, auch für das Klavierspielen“. (7:40-7:46)
Schüler:
Wie ist mein Arbeitstag?
O-Ton Barthes 34:
„Le problème de l’Horaire, c’est en effet de le tenir, car sa régularité
meme – sans quoi il ne serait rien – est ruinée, menacée par des
dérangements (c’est à dire par les autres: Ci-git moi, tué par les
autres)”. (D2, 08. 47:03-47:42)
Zitatsprecher:
„Das Problem des Stundenplans besteht nun in der Tat darin, ihn
einzuhalten, denn ohne seine Regelmäßigkeit ist er nichts. Was ihn
29
zunichte macht, was ihn bedroht, sind Störungen (= die anderen:
‚Hier ruhe ich, getötet von den anderen‘)“. (V 376)
Autor:
Der schwache Mensch Roland Barthes ist mir nah, seine
Empfindlichkeit, sein Wunsch, in Ruhe gelassen zu werden, seine
Freiheit zu haben. Er fühlt sich oft verfolgt von Bewunderern und
Anhängern. Er sucht die Nähe der Menschen, aber will sich nicht
festlegen.
O-Ton Schimmang js16:
„Interessant ist ja bei Barthes, daß er sozusagen jeden Auftrag, jede
Anfrage, ob er nicht hier oder dort etwas schreiben wollte oder
darüber etwas schreiben wollte, angenommen hat, also ihm war
sozusagen alles ein Anlaß“ (13:59-14:13)
Schüler:
Und wenn ich es nicht schaffe?
O-Ton Barthes 33:
„Face à l’exigence de l’Oeuvre, le corps de l‘écrivain se sent démuni,
insuffisant, impuissant à trouver une justesse, une équation juste
entre la Phrase et le Corps; le corps se sent à la fois et
contradictoirement endormi, opaque, vaseux, bourbeux, paresseux,
ininventif – il faut le reveiller, l’exiter – et en meme temps il faut
controler l’excitation, qui a tendance à continuer infiniment”. (D2, 07.
30:07-30:50)
30
Zitatsprecher:
„daß sich der Körper des Schriftstellers gegenüber den
Anforderungen, die das Werk stellt, ohnmächtig, unzulänglich fühlt,
unfähig, ein rechtes Maß zu finden, eine Balance zwischen dem SATZ
und dem KÖRPER; der Körper fühlt sich schläfrig,
undurchdringlich, ‚unwohl‘, morastig, schlaff, uninspiriert – man
muß ihn wecken, erregen –, doch zugleich gilt es im Gegensatz dazu
die Erregung, die sich tendenziell unendlich fortsetzt, unter
Kontrolle zu halten“. (V 351)
O-Ton Schabacher gs18:
„Also er greift ja alles auf vom Citroen DS über den Striptease über
das Gesicht der Garbo über Pommes frites und Beefsteak, was es
alles gibt, Omo, Persil alles kommt vor, also Werbung, gleichzeitig ist
es natürlich so, daß er sich immer sehr stark mit der Machart dieser
Sachen beschäftigt hat, also er hat eben auch einen Text über eine
Nudelwerbung von Panzani“. (8:34-9:00)
Schüler:
Was ist die wichtigste Eigenschaft, die ich brauche?
O-Ton Barthes 35:
„On peut penser par inspiration, on ne peut écrire que par labeur.”
(D2, 08. 52:11-52:19)
Zitatsprecher:
„Zum ‚Denken‘ mag Inspiration genügen, zum Schreiben braucht
man Ausdauer.“ (V 377)
31
Autor:
Barthes hat eben nicht offen über seine sexuelle Orientierung
geschrieben, über seinen Körper, über seine Jagd nach Befriedigung,
über sein Altern, sondern schwebt schreibend darüber hinweg,
wendet sich immer neuen Themen zu.
O-Ton Schimmang js17:
„Er hat das auch sehr gerne gemacht und das macht auch am Ende
natürlich die auf den ersten Blick Disparatheit seines Werks auch
aus“ (14:13-14:30)
O-Ton Barthes 28:
„Désir, à un moment de la vie (je ne décide pas lequel): ce n’est pas
forcément la vieillesse), d’un livre où l’on va mettre Tout: le Tout de
sa vie, de ses souffrances, de ses joies, et donc, bien sur, le tout de son
monde et peut-etre le tout du monde“. (D2, 04. 43:09-43:37)
Zitatsprecher:
„Irgendwann im Leben (ich entscheide nicht, zu welcher Zeit; nicht
unbedingt im Alter) entsteht das Begehren nach einem Buch, in das
man ALLES legen wird; das GANZE seines Lebens, seiner Leiden,
seiner Freuden und natürlich das Ganze seiner Welt und vielleicht
das Ganze der Welt“. (V 287)
O-Ton Schabacher gs19:
„Exprimer, das eben einerseits ganz simpel heißt, einen Saft
ausdrücken, und sich ausdrücken“ (22:49-22:59)
32
Schüler:
Und wenn ich verlorengehe?
O-Ton Barthes 29:
„Seule la littérature ne puisse en elle-meme aucun secours, ne loge
pas en elle-meme, est à la fois jeu et désespoir. Ce default
d’indépendance, ce default de toute possibilité d’auto-assurance
vient de ce que la littérature est langage, et langage pur, participant
entièrement au statut du langage, ordre sans preuve; pleine mer sans
repère”. (D2, 05. 07:11-07:39)
Zitatsprecher:
„Nur das Schreiben ist hilflos, wohnt nicht in sich selbst, ist Spaß
und Verzweiflung. Dieser Mangel an Unabhängigkeit, dieser Mangel
an Möglichkeit der Selbst-Sicherheit kommt daher, daß die Literatur
Sprache ist, und reine Sprache, die ganz am Status der Sprache
teilhat, Ordnung ohne Beweis ist, offenes Meer ohne
Orientierungspunkt.“ (V 300)
O-Ton Schimmang js18:
„Was mich also an dieser Figur Barthes interessiert, ist auch die
Tatsache, daß er, nachdem er es gewissermaßen geschafft hat (…),
daß er dann plötzlich gesagt hat, ich möchte gerne etwas anderes
machen (…) und sein Phantasma war dann der Roman, den er
schreiben wollte“ (19:52-20:48)
Zitatsprecher:
„Das Buch, der heilige Ort der Sprache, wird entheiligt, verflacht; es
verkauft sich, gewiß, so wie Tiefkühlpizza, aber es hat nichts
33
Würdevolles mehr. Die Autoren selbst, mitgerissen von dieser
PROFANEN VERDINGLICHUNG, glauben nicht mehr an das Buch.
Sie verstehen es kaum noch als GROSSES HEILIGES OBJEKT“. (V
281)
O-Ton Schabacher gs20:
„und ich glaube, dagegen muß der Text dann gleichzeitig wieder
opponieren, er muß einerseits überdauern, er muß andererseits in
Bewegung bleiben“. (20:57-21:04)
Autor:
War der Körper, der diese Vorlesungen und Bücher voller Freiheit
geschrieben hat, der dem Schreiben Freiheit gegeben hat, so unfrei?
Und was würde das ändern? Für mich sind die „Fragmente einer
Sprache der Liebe“ nicht nur das Resultat einer unglücklichen Liebe
zu einem anderen Mann.
Schüler:
Und was ist mein Ziel?
O-Ton Barthes 30:
„La Maitrise serait plutot un appauvrissemenet dirigé, une économie
épicurienne des plaisirs qu’on est apte à donner (et à se donner) en
écrivant”. (D2, 05. 33:56-34:11)
Zitatsprecher:
„‘MEISTERSCHAFT‘ wäre eher eine kontrollierte Verarmung, eine
epikureische Ökonomie der Lüste, die man als Schriftsteller zu geben
(und sich zu geben) vermag.“ (V 305)
34
O-Ton Schimmang js19:
„Und er steht eben innerhalb der damaligen Zeit und der damaligen
Meisterdenker doch in gewisser Weise auch wieder am Rande oder
um ihn selber zu zitieren er tummelt sich dazwischen, er versteckt
sich auch teilweise“ (32:10-32:28)
Autor:
Einsamkeit, Bücher, Männer, Freiheit, Getriebenheit, Roland Barthes
hat nicht versucht, die Widersprüche zu leugnen, auch in seinem
Leben nicht.
O-Ton Barthes 31:
„On écrit un livre sur l’Amour pour se rapprocher de l’etre aimé,
pour l’inclure dans l’oeuvre, mais ce livre, précisement, l’etre aimé ne
l’aime pas, parce qu’il ne laisse pas parler; à peine s’il le lit, avec
mauvaise humeur, ressentiment; l’Oeuvre d’amour sépare encore
davantage les deux partenaires; l’Oeuvre a triomphé”. (D2, 05.
01:17:20-01:18:05)
Zitatsprecher:
„Man schreibt ein Buch über die Liebe, um dem geliebten Wesen
nahezukommen, um es ins Werk einzuschließen, doch ebendieses
Buch liebt das geliebte Wesen nicht, weil es ihm keine Stimme
verleiht; kaum hat es das Buch gelesen, üble Laune, Verbitterung,
das WERK der Liebe trennt die beiden Partner noch mehr
voneinander; das WERK triumphiert“. (V 317)
O-Ton Schabacher gs21:
„Zuzutrauen ist ihm das, also auch da wieder zu gucken, was man
aus dem machen kann, was da ist“ (12:15-12:21)
35
O-Ton Barthes 32:
„Substituer à la charité (où, si ce mot gene, à la générosité) (etre
disponible à tous) une autre instance, qui participe, elle aussi, d’un
certain religieux, c’est-à-dire d’un lien fondamental à la nature, au
monde – et qui est l’Ecriture”. (D2, 07. 03:05-03:39)
Zitatsprecher:
„An die Stelle der Nächstenliebe (oder, wenn Sie das Wort stört, an
die Stelle der Großzügigkeit) (allen zugänglich sein) eine andere
Instanz setzen, die ebenfalls ‚religiöse‘ Bezüge hat, das heißt in einer
elementaren Verbindung zur Natur, zur Welt steht – nämlich das
Schreiben“. (V 347)
O-Ton Schabacher gs22:
„Die Schmiedung ist etwas, wo er dann noch einmal sehr deutlich
sagt, man muß Gegensätze sozusagen bringen, damit man überhaupt
etwas sagen kann.“ (23:47-23:56)
Schüler:
Was für ein Mensch muß ich sein?
O-Ton Barthes 36:
„Le travail de l’Oeuvre est donc une conduite de type initiatique
pour atteindre non le succès, mais ce qu’on appellera (compte tenu
de l’existence nietschéenne du mot) une Vie Noble”. (D2, 08.
01:00:04-01:00:27)
36
Zitatsprecher:
„Die Arbeit am WERK ist also ein Verhalten von der Art einer
Initiation, nicht um den Erfolg zu haben, sondern das, was man (mit
einem Blick auf das Vorkommen dieses Wortes bei Nietzsche) ein
VORNEHMES LEBEN nennen kann.“ (V 378)
(O-Töne Barthes 19 u. 27, ursprünglich mitgezählt, existieren nicht.)