Wie Kinder Sprechen Lernen

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  • 7/25/2019 Wie Kinder Sprechen Lernen

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    Kin

    der-und

    Jugen

    dpolitik

    in

    Nie

    dersachsen

    E

    ngagiert

    Wie Kind er spreche n lernenEnt w icklung und F rderung

    d er Spra che im Elem en t a rbe reich

    N iederschsisches M inisterium

    fr Frauen, A rbeit und Soziales

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    Wie Kind er sprechen lernen

    Ent w icklung und F rderung

    d er Spra che im Elem en t a rbe reich

    N iederschsisches M inisterium

    fr Frauen, A rbeit und Soziales

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    V o rw o rt_

    Kindergart en bildet, das w issen Eltern,und die meisten nut zen diese Bildungs-chance. Kindergart en bi ldet heit auch

    das Programm der Landesregierung zurWeiterentw icklung und Qualittssteige-rung des Erziehungs- und Bildungsauft ragsin Kindertagessttt en. Einer der zent ralenBausteine ist d ie gezielte Sprachfrderung.

    Sprechen lernen ist eine der w ichtigstenLernleistungen kleiner Kinder, Sprach- undSprechkompetenz der ent scheidende Fak-tor zu Bildungserwerb und Bildungserfolg und damit fr die Chancengleichheit. Einesichere Beherrschung der deut schen Spra-che ist der Schlssel zum Verstehen undGestalt en unserer Welt . Das gnstigsteZeitf enster fr ein er folg reiches Erlernender (Verkehrs-)Sprache liegt vor der Ein-schulung. Die Sprach- und Sprechfrde-rung ist daher eine zentrale Aufgabe derKindertagessttt en. Die Landesregierung

    unt ersttzt die Sprach- und Sprechbildungunserer Kinder mit zahlreichen Ma-nahmen.

    Kinder brauchen zum Lernen eine kindge-rechte Umgebung und vielfltige Anregun-gen. Erzieherinnen und Erzieher mssenmit einem bew ussten und gezieltenSprechverhalten auf das einzelne Kind ein-

    gehen. Vor allem muss die Sprach- und

    Sprechfrderung in den Kindergart enalltagintegriert werden, wenn sie erfolgreich seinsoll. Dinge, die sie begreifen knnen, Erleb-nisse, die sie beschft igen und ber die sie

    sich mitt eilen und austauschen wollen,bieten Kindern viele Anlsse zum Sprechen.Stndiges Erleben und Auswerten, w ie esKinder unbew usst tun, hat als ganzheitli-ches Lernen einen nachhaltigen Effekt -auch auf ih r Sprachvermgen.

    Fr die Fachkrfte in den Tagessttten heitdas: viel beobachten und im richtigen Mo -

    ment (re-)agieren. Sprachfrderung im Kin-dergarten soll nicht als zustzliche Au fgabeund damit als Belastung fr die M itarbeite-rinnen und M itarbeiter aufgefasst w erden,sondern Bestandt eil des pdagogischenKonzepts sein.

    Wie eine solche Sprachfrderung aussehenkann, dafr bietet diese Broschre fundier-te Info rmat ionen und zahlreiche Beispiele.Der erste Teil stellt Erkennt nisse und ber le-gungen zum Spracherwerb und zur mehr-sprach igen Erziehung vor, der zweite Teilbeschreibt grundlegende Aspekte derSprachfrderung und gibt praktische Tipps.Pdagogische Fachkrft e und int eressierteEltern w erden hier viele Anregungen fr dieSprachfrderung im A lltag f inden. Profitie-ren werden davon die Kinder: Denn je bes-

    ser sie lernen, d ie Sprache als Schlssel zurWelt zu gebrauchen, desto besser werdensie ihr Leben in dieser Welt meistern.

    Dr. Gitt a Trauern ichtNiederschsische M inisterin fr Frauen ,

    Arbeit und Soziales

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    8 Einle it un g

    11 Theore t ische Grundlag en

    12 1. Vo ra usset zun gen frden Spracherw erb

    14 1.1 Die W urzeln des

    Sprachbaum s

    17 1.2 D er Stam m des

    Sprachbaum s

    18 1.3 Die Krone desSprachbaum s

    19 1.4 Die Sonne: Zuneigung und

    W ertschtzung als Voraus-setzung

    19 1.5 D ie G iekanne: FrderndeA spekte beim Sprechen

    lernen

    20 1.6 Die Erde: D ie Bedeutung der

    Lebensum w elt

    21 2. D ie En t w icklu ng d er Sp ra ch e

    22 2.1 Der Spracherw erb

    24 2.2 Vorstufen des Spracherw erbs

    27 2.3 Stadien des Spracherw erbs

    32 3. Me hrsp ra ch ig ke it im

    Elementarbereich

    33 3.1 Erstsprache und

    Identittsentw icklung

    36 3.2 Die Bedeutung der

    Erstsprache

    40 3.3 W esentliche Aspekte

    beim Erw erb der deutschenSprache

    48 3.4 berlegungen zurzw eisprachigen Erziehung

    51 Spra chf rderung a ls Teilder Gesamtkonzeption

    52 1. Die Grund la gen der

    Sprachf rderung

    53 1.1 D ie Lebenssituation von

    Kindern ein W egw eiser freine am Kind orientierte

    Sprachfrderung

    55 1.2 D ie Sprachsituation in der

    Fam ilie A usgangspunkt frw eitere Lernerfahrungen

    60 1.3 Verknpfung von H andelnund Sprache

    64 2. Vie r Sch rit t e z u e in er

    bew ussten Sprachf rderung

    64 2.1 D ass w ir sprechen knnen,heit noch lange nicht, dassw ir auch etw as sagen

    _In h alt

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    In h a lt_

    67 2.2 Vier Schritte

    68 2.3 Erster Schritt: Eine Situation

    als geeignet fr Sprachfrde-

    rung erkennen

    70 2.4 Zw eiter Schritt: Einen

    ffnendenKontakt zumKind herstellen

    74 2.5 D ritter Schritt: Sprache

    bew usst und situationsorien-

    tiert frdern

    77 2.6 Vierter Schritt: D ie Situation

    tabellarisch dokum entieren

    80 3. Spra chf rderung im

    p da go gischen Alltag

    81 3.1 O ffenheit und O rientierung

    im Tagesablauf

    83 3.2 Rum e regen zumSprechen an

    86 3.3 D ie Vielfalt von M aterialien

    und M edien nutzen

    99 3.4 D urch ffnung zumStadtteil neue Sprachrum e

    erschlieen

    104 4. Die Ro lle der

    sozialp dagogischen

    Fachkraft

    104 4.1 Beobachtung als Voraus-setzung fr Sprachfrderung

    111 4.2 Die sozialpdagogischeFachkraft als Sprachvorbild

    eine O rientierungshilfe frdie Sprachentw icklung des

    Kindes

    115 4.3 D ie m uttersprachlichesozialpdagogische Fachkraftim pdagogischen A lltag

    119 5. Zu sa m me na rb eit m it Elt ern

    119 5.1 D ie Sprachw elt der Kinder

    kennenlernen

    120 5.2 A uf Eltern kann nichtverzichtet w erden

    126 5.3 Voraussetzungen zur

    Zusam m enarbeit: W ertscht-zung und Anerkennung

    128 Litera t ur

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    _E in leitun g

    D ie sprachlichen A usdrucksm glichkeitenvon Kindern zu entw ickeln und zu pflegen,

    ist eine der zentralen A ufgaben des Kinder-

    gartens. D abei kom m t die Frderung der

    sprachlichen Fhigkeiten allen Kindernzugute und nicht nur solchen, deren A us-

    drucksverm gen A nlass zur Sorge gibt.

    Sprachfrderung im Rahm en des situati-onsbezogenen A nsatzes ist eingebettet in

    die alltgliche A rbeit der sozialpdagogi-schen Fachkrfte (im Folgenden sozpd.Fachkrfte) und Teil der Konzeption von Ta-

    geseinrichtungen. Sie setzt eine differen-zierte Vorgehensw eise voraus, die individu-

    elle U nterschiede bercksichtigt und dieverschiedenen Lebensw elten von Kindern

    in Betracht zieht. D ies bedeutet fr die pd-agogische A rbeit, dass den unterschiedli-

    chen Sprachniveaus der Kinder Rechnung

    getragen w ird und die A nsatzpunkte zur

    Sprachfrderung von K ind zu Kind unter-schiedlich sein knnen. D am it verbietensich gleichzeitig pauschale Frderungs-program m e, die sich in gleicher W eise analle K inder einer G ruppe w enden.

    W enn im situationsbezogenen A nsatz die

    aktuellen Lebenssituationen der Kinder

    den A usgangspunkt fr die Planung undG estaltung der pdagogischen A rbeitbilden, heit dies zudem , die m ehr-

    sprachige Lebenssituation von Kindern auszugew anderten Fam ilien zu bercksich-tigen. Fr die Sprachfrderung ergibt sichdaraus die A ufgabe, neben der U nterstt-zung der deutschen Sprache als Zw eit-

    sprache auch der Erstsprache m it ihrer

    identittssttzenden Funktion in der Ent-w icklung von Kindern einen Platz in der

    A rbeit einzurum en. D ies gew hrleistet,

    dass Kinder aus zugew anderten Fam ilien

    ebenso am Leben ihrer ethnischen G ruppe

    w ie am Leben der deutschen G esellschaft

    teilhaben knnen. D am it sind gleichzeitigw esentliche A spekte einer interkulturellen

    Erziehung angesprochen.

    Entw icklungspsychologische Erkenntnisse,

    w ie das W issen darum , dass Kinder ihre

    Entw icklung in w echselseitigen A npas-

    sungsprozessen m it der U m w elt vorantrei-

    ben, spielen im situationsbezogenen A n-

    satz eine w ichtige Rolle. Kinder erschlieensich ihre U m w elt, indem sie selbst ttig

    w erden.

    A uch der Spracherw erb ist ein Lernprozess,

    der durch die aktive A useinandersetzung

    des Kindes m it seiner U m w elt getragen

    w ird. W esentlich fr den Erw erb sprach-licher Fhigkeiten sind hierbei die Erfahrun-gen, die das Kind im handelnden U m gang

    m it Personen und D ingen seiner U m w elt

    m acht.

    Sprachfrderung erfordert von der sozpd.Fachkraft ein fundiertes W issen ber denSpracherw erb als einen Teilaspekt entw ick-

    lungspsychologischer Ablufe. Bei A nw e-senheit von Kindern aus zugew anderten

    Fam ilien stellen sow ohl Erkenntnisse zur

    Bedeutung der Erstsprache fr die Entw ick-lungvon Kindern als auch H intergrundw is-

    sen zum Erlernen einer zw eiten Sprache dieBasis fr eine professionelle G estaltungsprachfrdernder Situationen im Kinder-garten dar. In diesem Zusam m enhang sind

    berlegungen, die eine A nnherung vonKindern untersttzen, zu beachten.

    D ie Reflexion des eigenen Sprachverhal-

    tens und der eigenen Sprachverw endung

    gibt der sozpd. Fachkraft Hinw eise auf

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    Ein leitu n g _

    persnliche Entw icklungsnotw endigkeitenund -m glichkeiten.

    Zur Frderung einer zw eisprachigen Erzie-

    hung bei Kindern m it M igrationshinter-grund w ill das Land N iedersachsen die Ent-

    w icklung von M odellen untersttzen, dieeine Frderung der sprachlichen Kom pe-tenz der Kinder in den Kindertageseinrich-

    tungen m it A ngeboten fr Eltern in derErw achsenen- und Fam ilienbildung verzah-

    nen, dam it Eltern aktiv den Spracherw erb

    ihrer Kinder frdern knnen.

    Sprachfrderungw ie sie hier beschriebenw ird ist ein kreativer Prozess, der nacheiner flexiblen Zeit- und Raum nutzung ver-

    langt. Situationen der Sprachfrderungbrauchen hufig Zeit. Sie gelingen leichterin Rum en, in denen sich Kinder und soz-pd. Fachkrfte w ohl fhlen. A uch kanndie sozpd. Fachkraft in ihrem A lltag aufeine V ielfalt an M aterialien und M edien

    zurckgreifen, die zum Zuhren, Fragenund Erzhlen herausfordern. ber eine ff-nung zum Stadtteil lassen sich neue Lebens-

    und Sprachrum e fr Kinder entdecken.

    D ie Zusam m enarbeit m it Eltern kann zu

    einer Bereicherung im Sinne einer Erw eite-

    rung der sprachlichen Lern- und Erfah-

    rungsrum e von Kindern beitragen. Sie

    kann zudem zu einem A ustausch berw esentliche Inform ationen zum Sprach-

    verhalten in den Fam ilien fhren.

    D ie A nalyse der fam iliren Sprach- undSprechgew ohnheiten bietet der sozpd.Fachkraft darber hinaus A nhaltspunktefr die Planung und G estaltung ihrerA rbeit.

    In der Zusam m enarbeit m it Eltern ergeben

    sich gengend A nlsse, die sprachlicheSituation der Kinder m it den Eltern zu the-

    m atisieren, sie in die A rbeit einzubeziehen

    und ihre sprachlichen Kom petenzen freine Sprachfrderung zu nutzen.

    D iese verschiedenen A nsatzpunkte erge-

    ben ein Bild, das die Verknpfung dersprachlichen Frderung m it recht unter-schiedlichen A spekten einer pdagogi-schen A rbeit im Elem entarbereich w ider-

    spiegelt, die sich an interkulturellen

    berlegungen orientiert. D am it w ird dieKom plexitt von Sprachfrderung aufge-zeigt, aber auch deutlich, w ie viele andere

    Bereiche der pdagogischen A rbeit fr eineSprachfrderung genutzt w erden knnen.

    D ie folgenden A usfhrungen bauen aufder Broschre der Beauftragten der Bun-desregierung fr A uslnderfragen H allo,H ola, O laauf, w erden um verschiedeneA spekte erw eitert und fhren dam it w eiterin das Them a ein.

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    _E in leitun g

    Zusammen-

    arbeit

    mit Eltern

    Integration

    Orientierunga n

    Lebenssituation

    Be drfnissenErfahrungen

    Kultur

    Identit t

    Zweisprachigkeit

    f rdern

    Offene Planung

    Eigenaktivit tvon Kindern

    unterst t zen

    Rolle de r

    Erzieherin

    mi t und ohne

    Migrations-

    hintergrund

    f fnungzum

    Gemeinwesen

    Situations-

    bezogener

    Ansatz undinterkulturelle

    Erziehung

    Verknpfung von situationsbezoge-nem A nsatz und interkultureller

    Erziehung unter dem A spekt:

    Zw eisprachigkeit frdern

    Aspekte einer interkul-

    tur ellen Erziehung

    Aspekte des situat ions-

    bezogenen Ansatzes

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    The o ret ische Grund la g en

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    _ T h e o re tis ch e G ru n d la g e n

    Bei der G eburt verfgen Kinderber A ugenzum Sehen, O hren zum H ren und eineStim m e zum Schreien und Sprechen. Spre-

    chen ist eine Fertigkeit, die w ie alle anderen

    Fertigkeiten im Verlauf der Entw icklung

    gelernt w erden m uss. A llerdings bringen

    Kinder eine angeborene Bereitschaft m it,

    Sprache zu erlernen.

    W elche Voraussetzungen gegeben seinm ssen, dam it Sprache erlernen m glich istund Ergebnis einer positiven G esam tent-

    w icklung sein kann, soll m it H ilfe des

    Sprachbaum es1verdeutlicht w erden.

    Ein Baum ist m it seinen W urzeln m it der Er-

    de verbunden. D ie W urzeln geben ihm H alt

    und Standfestigkeit und erm glichen die

    A ufnahm e von N hrstoffen aus der Erde.

    D er Stam m gibt dem Baum Standfestigkeit.

    H ier w erden die N hrstoffe, die der Baumber seine W urzeln aus dem Boden oderber Licht und Luft aufnim m t, transportiertund dem Baum zur Verfgung gestellt.

    D ie Krone des Baum es besteht aus einer

    im m er feiner w erdenden U nterteilung von

    sten und Zw eigen, einem dichten Blatt-w erk und schlielich aus Knospen undFrchten, die die Verm ehrung des Baum esbernehm en.

    D er Baum kann sich nur entfalten, w enngengend Licht vorhanden ist und w enndas lebensnotw endige W asser gengendN hrstoffe enthlt.

    W enn w ir dieses Bild auf die Sprach-

    entw icklung von K indern bertragen,stehen die W urzeln fr unterschiedlicheEntw icklungsprozesse, die das Kind erfolg-

    reich durchlaufen m uss. D abei erw irbt esgrundlegende Fhigkeiten in unterschiedli-chen Bereichen, die fr die Sprachentw ick-lung von Bedeutung sind.

    D er Stam m verw eist auf die Sprechfreude

    und das Sprachverstndnis des Kindes unddie K rone auf die ausgebildete Sprache m it

    ihren A spekten A rtikulation, W ortschatz

    und G ram m atik.

    U m Sprache entw ickeln zu knnen, m ussdas Kind A kzeptanz, W rm e und Liebe vonseinen Bezugspersonen erfahren und aus-

    reichende Sprachanregungen erhalten.

    1. Vo ra usset zun g en f r de n Spracherw erb

    1 Wendlandt , 1992, S. 9

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    V o ra u s se tz u n g e n f r d e n S p r a ch e r w e rb _

    Mama Milch ha ben

    M a ma tomm

    M a ma !

    Weil

    ich

    Milch

    tomm

    Mama

    ha b e n

    sch

    kr

    k m

    o

    a

    Artiku-lation Wort-schatz Gram-matik

    Sprachverst ndnis

    Sprechfreude

    W rm e

    Liebe

    Akzeptanz

    sensomotorische

    IntegrationSchreien /La llen

    H re n

    Sehen

    Ta st en Bew e gun gGrob-, Feinmot orik

    sozialemot iona le Entw icklung

    ge istige Ent w icklung

    Hirnreifung

    Kommuni-kation

    Blickk

    ontak

    t

    nich

    t nach

    spre

    chen

    lass

    en

    zuh

    ren

    aussprech

    enlassen

    Sprac

    he

    anre

    gen

    L e b e n s u m w e l t _ K u l t u r _ G e s e l l s c h a f t

    Der Spra chb a um

    t r ich w ill Milch hab en

    s

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    _ T h e o re tis ch e G ru n d la g e n

    Sensomo to rische Ent w icklung

    Bei der G eburt des Kindes sind alle fr dieSprache w ichtigen O rgane und M uskeln

    ausgebildet: das Zw erchfell, der Rachen,

    die Stim m bnder, die Lippen, die Zungeund das G ehr. ber das O hr nim m t das

    Kind Schalleindrcke und Sprachlaute auf.D iese akustischen Signale der U m w elt

    w erden von den G ehrnerven zur Ent-schlsselung dem H r- und Sprachzentrumzugeleitet. D as G ehr ist die Voraussetzungfr die Entw icklung von Sprache.

    Bereits im M utterleib kann der Em bryo

    G erusche w ahrnehm en: den H erzschlag

    der M utter, ihren A tem rhythm us, ihre Ver-

    dauungsgerusche, ihre Stim m e, aber auchG erusche aus der U m gebung. N ach derG eburt ist das G ehr gut entw ickelt undU nterschiede in D auer und Intensitt vonTnen w erden vom Sugling registriert.

    N otw endige A nregungen fr die Sprach-entw icklung sind das W ahrnehm en

    von Lauten aus der U m gebung des Kindes

    und dasSich-selbst-hren-knnen.

    Viele Eindrcke erhlt das Kind berdas visuelle System ,ber das Auge. M itH ilfe der A ugen nim m t es optische Ein-

    drcke auf und verarbeitet sie, d.h. es lernt

    1.1 Die Wurzeln des Sprachbaums

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    V o ra u s se tz u n g e n f r d e n S p r a ch e r w e rb _

    Form en und Farben erkennen, M uster zu

    unterscheiden, nim m t Inform ationen, z.B.

    ber Rum e und bew egliche O bjekte, auf.

    Kurz nach der G eburt knnen SuglingeO bjekte, die sich langsam bew egen, m itden A ugen verfolgen. Zudem sind sie in der

    Lage, verschiedene M uster w ahrzuneh-

    m en, w obei sie gesichtshnliche M usterbevorzugen. Kinder entdecken m it ihren

    A ugen ihre nhere und w eitere Um w elt.

    Fr die Sprachentw icklung ist das Sehendeshalb von Bedeutung, w eil Kinder auf

    den M und des Erw achsenen, auf seine

    Lippenbew egungen achten und versuchen,

    diese nachzuahm en. D asA blesen-knnender richtigen M undstellung istnotw endig, um eine altersgem e A rtikula-tion entw ickeln zu knnen.

    Die taktile Kommunikation ist die ersteSprache des Kindes, auf der die verbale

    Sprache aufbaut .2

    Fr den Sugling ist die H aut ein w ichtigesKom m unikationsm ittel. ber sie nim m t erKontakt zu seiner U m w elt auf. So erfhrt erz.B.ber die A rt, w ie er gestreichelt odergehalten w ird, ob er angenom m en ist oder

    eher auf A blehnung stt.

    ber den Tastsinn lernt das Kind zuneh-m end den Berhrungen durch andereM enschen eine Bedeutung zuzuordnen,

    z.B. die Bedeutung von W rm e, N he, Trostoder Zuversicht, aber auch von unangehm

    und schm erzhaft. Taktile Berhrungen sind

    eine Grundlage der sozialen Existenz,d.h. sie sind fr die Entw icklung lebens-notw endig.3

    U m sprechen zu knnen, m uss das Kind be-stim m te M und- und Zungenbew egungenausfhren, w as eine Feinabstim m ung un-terschiedlicher M uskelgruppen verlangt.

    D as Kind lernt allm hlich, seinen Sprech-apparat zu steuern und zu koordinieren.

    Lippen, Zunge und G aum ensegel w erden

    zunchst bei der Nahrungsaufnahm ebentigt. Som it sind Saugen, Schlucken,Lecken und K auen Vorbungen fr dasSprechen. Zunehm end lernt das Kind auch

    die an der Lautbildung beteiligten O rgane

    zu beherrschen, nm lich die Zw erchfell-m uskulatur und die M uskulatur der Stim m -

    bnder.

    Lange bevor Kinder ihr erstes W ort spre-

    chen, krabbeln sie, richten sich auf, m a-

    chen G ehversuche, d.h. sie trainieren ihre

    gesam te M uskulatur und die Bew eglichkeit

    der G elenke.

    Zunehm ende K oordination der Tast-, M us-

    kel- und G elenkw ahrnehm ungen sow ie

    des Sehens fhren dazu, dass Kinder gezieltnach Gegenstnden greifen, d.h. hier ent-w ickelt sich die Feinmotorik.

    A ber nicht nur m it ihren H nden erforschenKinder ihre U m w elt, sondern auch, indem

    sie G egenstnde in den M und stecken, siem it dem M und begreifen.

    2 Zimmer,1995, S. 106 3 Zimmer,a.a.O, S. 106

    T h ti h G d l

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    _ T h e o re tis ch e G ru n d la g e n

    Sie lernen im m er m ehr, Bew egungen fein

    aufeinander abzustim m en, die Kraft, die

    fr Bew egungen notw endig sind, richtig zudosieren und die fr die A ussprache richti-

    gen M undstellungen und Spannungszu-stnde der M undm uskulatur herzustellen.

    Sozia lemot iona le Ent w icklung

    D ie A rt und W eise, w ie der Sugling ge-pflegt und versorgt w ird, w ie seine Bedrf-nisse aufgegriffen und erfllt w erden, w iebefriedigend die Beziehungen zw ischen

    ihm und seinen Bezugspersonen sind,

    entscheidet ber seine G rundhaltung zuM enschen und U m w elt. D as Kind w ird

    M enschen Vertrauen entgegenbringen und

    seine U m w elt aktiv m it gestalten, w enn es

    selbst erfhrt, dass es angenom m en ist undVertrauen und G eborgenheit erlebt.

    Sprechen heit, in Beziehung zu anderenM enschen zu treten und sich aktiv der U m -

    w elt zuzuw enden.

    Kinder, die nicht ausreichend m itm enschli-

    che Zuw endung erfahren, bleiben w ieU ntersuchungen belegen in ihrer sprachli-chen Entw icklung zurck, da ihnen A nre-gung und M otivation fehlen, sich sprach-

    lich zu uern.4

    Geistige Entw icklung

    In den ersten W ochen und M onaten nach

    der G eburt w chst das Gehirn des Kindesw eiter, und es vollziehen sich noch w ichtige

    Reifungsprozesse in den entsprechenden

    H irnzentren sow ie in den die Sprachw erk-

    zeuge bettigenden und steuernden N er-venbahnen. D as G ehirn besitzt unter-

    schiedliche A reale, denen bestim m te Funk-

    tionen zugeordnet w erden. So gibt es

    m otorische Zentren, m it deren H ilfe alleBew egungen, w ie G ehen oder G reifen, ge-steuert w erden. ber die sensorischenZentrenw erden Berhrungsreize der H autsow ie die Stellungsreize aus den G elenken

    und der M uskulatur w ahrgenom m en. D ar-

    ber hinaus gibt esSeh- und H rzentren.Bei 90 - 95% aller M enschen liegt das

    aktive Sprachzentrum in der linken H irn-hlfte und daspassive Sprachzentrum , indem das gesprochene W ort aufgenom m en

    w ird, in der rechten H irnhlfte.

    M it dem W achstum des G ehirns entfalten

    sich die geistigen Fhigkeiten des Kindes.Es lernt, w ahrgenom m ene D inge w iederzu-

    erkennen oder zu unterscheiden, bestim m -

    ten Begriffen bestim m te D inge zuzu-

    ordnen, Bedeutungen zu erfassen.

    W hrend der Spracherw erb zunchst rela-tiv unabhngig von der kognitiven Entw ick-lung zu verlaufen scheint, treffen sich die

    Entw icklungslinien fr das Denken und dieSprache nach dem ersten Lebensjahr. In

    dieser Zeit bem erkt das Kind, dass ein

    G egenstand, z.B. ein Ball, auch dann exi-

    stiert, w enn es ihn nicht m ehr sehen kann.

    Es sucht nach sprachlichen Bezeichnungen,m it denen es auf die A n- oder A bw esenheit

    des G egenstandes reagieren kann. D as

    Kind erkennt nun, dass jedes Ding einen

    N am en hat. D er enge Zusam m enhang zw i-

    schen geistiger und sprachlicher Entw ick-

    lung w ird im so genannten Fragealter be-

    sonders deutlich, w enn sich das Kind seine

    U m w elt m it ihren vielfltigen Erscheinun-

    gen ber Sprache erschliet.4 Vgl. Merten und Klann-Delius

    V o ra u s se tz u n g e n f r d e n S p r a ch e r w e rb

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    V o ra u s se tz u n g e n f r d e n S p r a ch e r w e rb _

    Schreien und La llen

    In den ersten Lebenstagen und -w ochen

    kann sich der Sugling nurber das Schrei-

    en artikulieren. Schon bald lassen sich je-doch U nterschiede beim Schreien feststel-

    len. D as Schreien gew innt an Inform a-

    tionsgehalt fr die Bezugspersonen des Kin-des. Sie erkennen, ob der Sugling H ungerhat, ob ihn Bauchschm erzen qulen oder ober schreit, w eil er allein ist. D er Sugling w ie-derum lernt, dass sein Schreien bestim m te

    Reaktionen in seiner U m w elt auslst, dassz.B. die M utter kom m t, ihn hochhebt, strei-

    chelt, stillt, zu ihm spricht. H ier entw ickelt

    sich zw ischen beiden eine erste stim m liche

    Kom m unikation und dam it einhergehenddie zw ischenm enschliche Beziehung.

    Etw a vom zw eiten bis dritten M onat fngtdas Kind, das sich w ohlfhlt, an zu lallen.Lalluerungen sind rhythm ische Lautket-ten, die unterschiedlich lang sein knnen:m am am a, dada, gegegege ...

    1.2 Der Sta mm de s Sprachbaums

    Sprechfreude und Sprachverst ndnis

    Kinder sind neugierig und w ollen ihre U m -

    w elt entdecken. D er Sugling plaudert vielund gern, ahm t einzelne Laute und G eru-sche nach, zunchst noch ohne den Sinn zuverstehen. Es m acht dem Kind Freude, sich

    anderen m itteilenzu knnen. D ie Kom -m unikationsfhigkeiten entw ickeln sich zu-nehm end, w enn sich die Bezugspersonen

    auf die Sprechabsichtendes Kindes ein-lassen und freudig aufgreifen, d.h. in einen

    D ialog m it dem Kind eintreten, und seine

    Sprechversuche Erfolg haben.

    Zu erw hnen ist, dass die Fhigkeit, Spra-che zu verstehen, eher vorhanden ist als die

    Fhigkeit zu sprechen. D as Kind begreiftdie Bedeutung einzelner W rter eher undhandelt entsprechend, noch bevor es z.B.

    selbst sagen kann:H ol den Ball!

    T h e o re tis ch e G ru n d la g e n

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    _ T h e o re tis ch e G ru n d la g e n

    D ie drei A spekteA rtikulation, W ortschatzund G ram m atikentfalten sich nebeneinan-der und m eist in einem beachtlichen Tem po.

    In seiner Artikulation gelingt es dem Kind

    im m er besser, die verschiedenen Laute rich-

    tig zu bilden. Beim Erw erb von Lauten

    scheint es eine bestim m te Reihenfolge zu

    geben. So w erden zuerst die Laute erw or-

    ben, die im vorderen M undbereich gebildet

    w erden, w ie m ,a,b, danach folgen dieje-nigen, die im m ittleren, w ie l,n,tundschlielich diejenigen, die im hinterenM und- und Rachenbereich entstehen,

    w ie kr, gl.

    Im W ortschatz des Kindes sind zunchstBegriffe fr solche D inge vorzufinden, diedas Kind anfassen kann und tglich w ahr-nim m t. Es schlieen sich in der Regel Be-griffe fr D inge an, die sich auerhalbseiner unm ittelbaren U m gebung befinden,

    die es nicht anfassen kann oder abstrakte

    Bezeichnungen sind.

    D ie Entw icklung der gram m atikalischen

    Strukturen erfolgt von der Einw ortphase

    ber die Zw eiw ortphase zu kom plexenStzen m it N ebensatzkonstruktionen.

    1.3 Die Kron e d es Sprachbaums

    V o ra u s se tz u n g e n f r d e n S p r a ch e r w e rb

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    p _

    U m sich entw ickeln zu knnen, m uss sichdas Kind angenom m en fhlen, Liebe undZuneigung erfahren. Bei Strungen in dersprachlichen Entw icklung gilt es herauszu-

    finden,w elches Klim ain der Fam ilie bzw .

    in der Kindertageseinrichtung vorherrscht:

    ist hier ein stndig verhangener H im m el

    bestim m end oder kom m en die Entw ick-

    lungsm glichkeiten des Kindes aufgrund ei-ner berbehtungzuviel Sonnezu kurz?

    Zuhren:Fr das, w as Kinder m itteilenm chten, sollte im m er gengend Zeit vor-handen sein, auch w enn die M itteilungen

    des Kindes aus der Sicht des Erw achsenen

    noch sehr ungeschickt sind.

    Aussprechen lassen:Es ist w ichtig, Kindern

    zuzuhren und sie aussprechen zu lassenund nicht Verstndnis zu signalisieren, be-

    vor Kinder ihre M itteilung beendet haben.

    Sprachanregungen:Erw achsene sollten

    deutlich und verstndlich m it Kindernsprechen, in einer A rt, die ihnen signalisiert,

    dass sie ernst genom m en w erden. G espr-che m it Kindern sind eine gute M glichkeit,Kinder zum Sprechen anzuregen.

    1.4 Die Son ne : Zune igun g u nd Wert sch tzungals Voraussetzung

    1.5 Die Giekanne: F rdernd e Aspektebe im Sprechen lernen

    Kinder lernen sprechen ber die Kom m uni-kation m it Erw achsenen. Erstber das tg-liche G esprch m it dem Kind knnen sichseine kom m unikativen Fhigkeiten entfal-

    ten. D ie G iekannesteht fr das sprach-frdernde Verhalten der Eltern bzw . dersozpd. Fachkraft. U m die Sprechfreudeder Kinder zu erhalten und zu untersttzen,sind folgende A spekte zu bercksichtigen:

    Blickkontakt: ber den Blickkontakt zw i-schen Eltern/sozpd. Fachkraft und Kindkann em otionale N he und Zuw endung

    entstehen. A uerdem hat das Kind dieM glichkeit, auf die M und- und Lippenbe-w egungen zu achten, und erhlt dadurchA nregungen fr die eigene Lautbildung.

    Nicht nachsprechen lassen:Lsst m an K in-der bei Fehlern oder A bw eichungen von

    der N orm sprache der Erw achsenen

    richtignachsprechen, knnen die

    Sprechfreude der Kinder gem indert und

    H em m ungen aufgebaut w erden. W ichtiger

    als die richtige Form sollte der Inhalt der

    M itteilung genom m en w erden.

    _ T h e o re tis ch e G ru n d la g e n

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    So w ie der Baum in der Erde verw urzelt

    ist und H alt und lebensnotw endige N hr-stoffe in ihr vorfindet, so ist auch das K ind

    in seine soziale U m gebung eingebettet.

    ber die Erziehung in der Fam ilie w erdendem Kind kulturelle und gesellschaftliche

    A spekte verm ittelt, findet es seinen Stand-

    ort, von dem aus es die W elt w ahrnim m t

    und sich in ihr zurechtfindet. Einflsse ausder sozialen U m gebung w irken sich som it

    auch auf den G ebrauch der Sprache alsTeil der Kulturund ihre A usgestaltungdurch das Kind aus.

    So w ie kein Baum dem anderen gleicht,

    sind auch in der sprachlichen Entw icklung

    von Kindern U nterschiede festzustellen.

    O bw ohl die A blufe in der sprachlichenEntw icklung hnlich sind, lassen sich groeindividuelle U nterschiede beobachten.

    A uch w echseln sich Zeiten schnellen m it

    Zeiten langsam eren Fortschritts ab.

    W enn U nterschiede in der sprachlichen

    Entw icklung von Kindern deutlich w erden,

    w enn K inder Lautverbindungen nicht aus-

    sprechen knnen oder W rter noch nichtbeherrschen, w enn sie nur langsam spre-

    chen lernen, ist es w ichtig zu berlegen,w elchesM enan SprachanregungenKinder bentigen, das die individuellenFhigkeiten bercksichtigt.

    1.6 Die Erde : Die Bed eut ungder Lebe nsumw elt

    D ie E n tw ic k lu n g d e r S p ra c h e

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    _

    Sprache ist die w ichtigste G rundlage der

    Kom m unikation m it anderen M enschen,

    durch die G edanken und G efhle zum A us-

    druck gebracht, Bedeutungen verm ittelt,

    Erlebnisse verarbeitet, Erfahrungen ausge-tauscht, W nsche und Begehren kundge-

    tan, Zusam m enhnge verstanden und

    H andlungen geplant w erden.

    Sprache und Sprechen helfen dem Kind,

    Erscheinungen und Vorgnge der U m w elt

    zu verarbeiten, d.h. D inge und Vorgnge

    zunchst die unm ittelbaren, spter auch die

    w eiter entfernten zu erkennen und zu un-terscheiden. Erscheinungen und Vorgnge

    der U m w elt w erden durch Sprache verfg-

    bar. D adurch erw eitert sich gleichzeitig die

    Begriffsw elt des Kindes. D ie D ifferenzie-

    rung der U m w elt und die U m setzung in

    Sprache helfen ihm , sich die U m w elt anzu-

    eignen, sie zu verstehen, Erlebnisse und

    W ahrnehm ungen zu speichern und Erfah-

    rungen zu strukturieren.

    Sprache erm glicht ihm die geistige ber-

    brckung von Zeit und Raum , sich aus dem

    Jetzt und H ierzu lsen, Vergangenheit

    und Zukunft ins Blickfeld zu rcken. Erfah-

    rungen des Kindes bleiben durch Sprachegegenw rtig, auch w enn sich Personen

    und D inge nicht in unm ittelbarem Sicht-

    kontakt befinden.

    D urch Sprechen und Sprache nim m t das

    Kind Kontakt zu seiner Um w elt auf, stellt es

    Beziehungen zu anderen M enschen her.

    Zuerst ber Laute, dann ber Stze ver-

    sucht es, Verbindung zu seiner U m w elt auf-zunehm en. D abei nehm en im Kleinkind-

    alter M im ik, G estik und Intonation noch ei-

    nen groen Platz im Kom m unikations-

    system des Kindes ein. Erst das ltere Kin-

    dergartenkind achtet m ehr auf den Infor-

    m ationsgehalt des G esprochenen, da kr-

    persprachliche uerungen w ie M im ik und

    G estik als Verstndigungsm ittel nicht m ehr

    ausreichen, zum al sie U rsache fr

    2. Die Ent w icklun g d er Spra che

    _ T h e o re tis ch e G ru n d la g e n

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    vielfltige M issverstndnisse sein knnen.

    ber die Sprache w ird das Kind m it den

    Sichtw eisen seiner U m w elt, den N orm en

    und W erten seines Kulturkreises vertraut

    gem acht. D adurch w erden sein Selbstbildw ie auch sein Bild von der W elt entschei-

    dend beeinflusst. G rundlegend fr die Ver-

    m ittlung von sprachlichen Fhigkeiten ist

    die Fam ilie m it ihrem jew eiligen kulturellen

    H intergrund. D as in seiner Fam ilie bliche

    Kom m unikationsverhalten hat w esentli-

    chen Einfluss auf die sprachlichen Fhig-

    keiten des Kindes.

    D urch Sprechen und Sprache uert, er-

    kennt und verarbeitet das Kind seine G e-

    fhle, W nsche, Bedrfnisse und Vorstel-

    lungen. G efhle und D enken, D enken und

    Sprechen bilden bei ihm eine Einheit, auch

    w enn es zunchst noch nicht gengend

    ausdrcken kann, w as es em pfindet oder

    denkt. Fr das Kind ist es w ichtig zu erfah-

    ren, dass es seine G efhle, W nsche und

    Bedrfnisse ausdrcken kann und darf,

    aber auch, dass es m it H ilfe der Sprache

    lernt, m it seinen G efhlen um zugehen, siezu verarbeiten und sich in sein soziales U m -

    feld einzuordnen.

    Sprache gibt Kindern ber Literatur, M r-

    chen, Bilderbcher und Erzhlungen einen

    Einblick in eine W elt der Phantasie, die ihre

    Erlebnis- und W ahrnehm ungsfhigkeit

    erw eitert. H ier w erden G efhle, G edanken

    und Erlebnisse anderer M enschen beschrie-

    ben. H ier knnen Kinder Spannungen m it-

    erleben, G efahren berw inden und Pro-

    blem e lsen. Sie knnen sich m it den Inhal-

    ten der G eschichten auseinandersetzen,

    sich m it den G estalten identifizieren und

    evtl. Lsungsm glichkeiten fr eigene

    Problem e finden.

    2.1 Der Spra cherw erb

    5 Grimm,19 87, S. 599

    6 Zimmer,1992, S. 52

    7 Hurlock,1971 , S. 157

    Sprachentw icklung ist stets als ein Vor-

    gang der Verm ittlung einer vorhandenen

    Sprache als Sym bolsystem einer bestehen-

    den G esellschaft anzusehen. Spracherw erb

    ist ein Prozess der Sprachverm ittlung,d.h.Sprache w ird in einem lang anhaltenden,

    dialogischen Prozess zw ischen dem Kind

    und seinen Bezugspersonen erw orben.5

    D abei ist Sprache nicht nur eine Produk-

    tion von Lauten, sondern ein kom plexer

    und vielgestaltiger Prozess der Kom m uni-

    kation, bei dem ber den Einsatz der

    Sprechorgane und Sprachw erkzeuge hinaus

    der ganze M ensch m it all seinen unteschied-

    lichen Ausdrucksm itteln beteiligt ist.6

    Sprechen besteht nach H U RLO C K darin,

    dass ein Kind die Bedeutung der W rter,

    die es gebraucht, auch kennen m uss undsie m it den G egenstnden, die sie bezeich-

    nen, in Verbindung bringtund dass es sei-

    ne W rter so ausspricht, dass sie fr

    andere M itglieder der G esellschaft leicht

    verstndlich sind.7

    D ie E n tw ic k lu n g d e r S p ra c h e _

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    Jedes Kind hat eine angeborene Bereit-

    schaft, Sprache zu erlernen. D er Erw erb der

    Erst- oder M uttersprache vollzieht sich in

    bestim m ten aufeinander folgenden Pha-

    sen, die verm utlich fr alle Kinder gleichsind. A lle Kinder verfgen zunchst ber

    einen gem einsam en Lautbereich.

    In allen Sprachen basieren die ersten W r-

    ter auf den frhen Kinderlauten, z.B. m a-

    m a, dada, baba, papa. D ie fr die jew eilige

    Sprache spezifischen Laute m uss das Kind

    lernen.

    Im Verlauf der Sprachentw icklung sind

    groe individuelle U nterschiede zw ischen

    den Kindern zu beobachten, und zw ar hin-

    sichtlich der G eschw indigkeit der Entw ick-

    lung des W ortschatzes, der A ussprache-

    und Satzbildungsfhigkeit. Bei fast allen

    Kindern sind auerdem Zeiten schnellen

    und langsam eren Fortschritts auszum achen.

    D as Kind bernim m t das Sprachsystem derSprache seiner U m w elt u.a. durch N ach-

    ahm ung beim Erw erb von Lauten und W r-

    tern und durch W iederholung. D abei spielt

    auch die H ufigkeit des A uftretens eine

    Rolle, d.h. je fter eine bestim m te Satz-

    struktur oder W ortklasse auftritt, desto

    eher kann sie vom Kind bernom m en und

    verarbeitet w erden.

    Ein grundlegendes Prinzip des Spracher-

    w erbs ist aber, so FELIX, das Zerlegen von

    Strukturen der Zielsprache bzw . der einzel-

    nen sprachlichen Bereiche in verschiedene

    Schritte, die sich das Kind nacheinander an-

    eignet. Bei dieser system atischen A nnhe-

    rung an die Sprache der U m w elt treten

    Phasen auf, die als Abw eichungen vom

    Erw achsenenm odell, als Rckschritte oder

    gram m atische Fehler erscheinen. D iese in

    den sprachlichen uerungen des Kindes

    vorkom m enden Abw eichungen vomErw achsenenm odell sind jedoch keines-

    w egs beliebig oder w illkrlich. D as Kind

    bildet vielm ehr seine uerungen nach

    bestim m ten Prinzipien, die in sich ein logi-

    sches System darstellen.

    Beim Sprechen auftretende Fehler oder A b-

    w eichungen sind also so ZIM M ER nur

    Fehler aus der Sicht des Erw achsenen. A usder Sicht des Kindes handelt es sich dage-

    gen keinesw egs um Fehler, da es Regeln,

    die es erfasst hat, konsequent anw endet,

    die aber eben nicht im m er m it der Sprach-

    norm der Erw achsenen bereinstim m t, z.B.

    der O sterhase hat m ir ein Ei gebrungen

    (gebrungen gesungen).

    D er Spracherw erb vollzieht sich nur schein-

    bar w ie von selbst. Fr die sprachliche Ent-w icklung des Kindes sind die Sprachanre-

    gungen durch das Um feld von besonderer

    Bedeutung. Es ist w ichtig, dass Kinder Spra-

    che hren und anw enden knnen. D abei

    scheint das sprachliche Vorbild des Erw ach-

    senen einen w eit w irksam eren Einfluss auf

    die sprachlichen Fhigkeiten des Kindes zu

    haben als das Vorbild von Kindern, da

    durch das G esprch m it Erw achsenen Kin-der zu grerer sprachlicher Aktivitt ange-

    regt w erden.

    M it zunehm endem A lter gew innen die

    Kontakte zu Kindern jedoch an Bedeutung

    und sprachliches Lernen findet auch im

    A ustausch der Kinder untereinander statt.

    _ T h e o re tis ch e G ru n d la g e n

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    D ie vorsprachliche Phase um fasst den Zeit-raum von der G eburt bis zum ersten W ort

    des Kindes. Schreien, G urrlaute und Lallen

    sind Phasen, die sich teilw eise ergnzen

    oder einander ablsen und einen w ichtigen

    Schritt auf dem W eg zur Sprache darstellen.

    Schreien

    D ie Sprachentw icklung des Kindes beginnt

    m it dem Schreien, das bei der G eburt die

    Lungenatm ung in G ang setzt.

    In den ersten W ochen des Kindes w echseln

    lange Schlafzeiten m it kurzen W achzeiten

    ab, in denen seine Bedrfnisse nach N ah-

    rung und krperlichem W ohlbefinden

    befriedigt w erden. In diesen W ochen ist

    Schreien ein Signal zunchst noch undif-

    ferenziert , das den Bezugspersonen dieW achzeiten ankndigt und zugleich zur

    Befriedigung der Bedrfnisse nach N ah-

    rung und krperlichem W ohlbefinden

    auffordert.

    Schon nach w enigen W ochen sind U nter-

    schiede beim Schreien zu bem erken, und

    zw ar in der Intensitt und in der Tonhhe,

    spter auch in der Klangqualitt und imRhythm us des Schreiens. D as Schreien w ird

    also zunehm end differenzierter. Es gew innt

    an Inform ationsgehalt, so dass m an allm h-

    lich das Schreien aus H unger von dem

    durch andere Strungen w ie Blhungen

    und M agenbeschw erden verursachten

    Schreien unterscheiden kann. D ie Vernde-

    rung der Schreilaute und ihr Einsatz kom -

    m en zunchst rein instinktiv zustande. Sie

    w irken aber auf die m it der Pflege des Kin-des beschftigten Personen w ie ein ausl-

    sendes Signal, d.h. diese Laute haben den

    C harakter einer M itteilung. Voraussetzung,

    um die Schreilaute richtig interpretieren zu

    knnen, ist, dass die Erw achsenen das Kind

    beobachten und es kennen. Bevor das Kind

    drei M onate alt ist, hat es gelernt, Schreien

    als M ittel der A ufm erksam keitserregung

    einzusetzen.

    Je kleiner das Kind ist, desto strker ist der

    ganze Krper beim Schreien in Bew egung.

    Etw a ab der zehnten W oche treten auch

    Schreilaute lustvoller A rt auf, die so ge-

    nannten Kreischlaute.

    Explosivlaut e od er G urren

    N eben dem Schreien uern Suglingein den ersten W ochen und M onaten auch

    eine Reihe anderer einfacher Laute: Vokal-

    laute, w ie a, , die hufig m it hver-

    bunden w erden, h, hsow ie G urr-

    und Explosivlaute: so genannte rrr-Ketten,

    Kehllaute, w ie ech, gu, gr, ng. D iese Lau-

    te w erden oft durch rein zufllige Bew e-

    gungen des Stim m m echanism us hervorge-

    rufen. Sie haben explosivartigen C harakter,w erden von allen Suglingen gleicherm a-

    en geuert und brauchen nicht erlernt

    zu w erden. Sie sind berw iegend abhngig

    von der M undform und vom Luftstrom , der

    aus den Lungen ausgestoen w ird und an

    den Stim m bndern vorbeigeht. D as Kind

    stt diese Laute nicht absichtlich aus; sie

    sind lediglich Begleiterscheinungen und Re-

    aktionen auf krperliche Bedrfnisse und

    2.2 Vorstuf en de s Spra cherw erbs

    Die ersten Wochen

    D ie E n tw ic k lu n g d e r S p ra c h e _

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    A ktivitten. D em nach sind solche uerun-

    gen kein M ittel der Verstndigung, sondern

    lediglich eine A rt spielerischer Beschfti-

    gung. M eist verschw indet der grte Teil

    dieser frhen Laute w ieder, w enn sich derStim m m echanism us w eiterentw ickelt.

    M it den allm hlich lnger w erdenden

    W achzeiten w erden die Lautuerungen

    des Kindes im m er hufiger.

    N eben Schrei- und Kreischlauten treten

    w eitere Laute auf, die als Q uietschen be-

    zeichnet w erden, als A usdruck von Frh-

    lichkeit, w ie es z.B. beim Baden des Kindes

    oft zu beobachten ist.

    A ls A usdruck der Freude ist das Juchzen

    des Kindes zu interpretieren. Juchzen ist

    gekennzeichnet durch kurze, hervorbre-

    chende Laute m it pltzlichem Stim m lagen-

    w echsel.

    Ferner uert das Kind Blasreiblaute, w ief, w oder s, indem es die Luft zw ischen

    den geschlossenen Lippen durchpresst.

    Zunehm end sind auch rasch w echselnde

    Lautgebilde zu beobachten, die den ber-

    gang zur Lallphase kennzeichnen.

    Lallen

    Etw a vom zw eiten bis dritten M onat sind

    beim Kind, das sich w ohl fhlt, die ersten

    Behaglichkeitsuerungen w ahrzuneh-

    m en. D am it erreicht es die Phase des Lal-

    lens, die eine Vorbereitung auf die eigentli-

    chen Sprachleistungen des Kindes darstellt.

    Bei diesen Lautuerungen handelt es sich

    um rhythm ische Lautketten, die unter-

    schiedlich lang sein knnen, die einfach

    oder m ehrfach w iederholt w erden und die

    den C harakter von Silben haben, die sich

    aus Vokalen und K onsonanten zusam m en-

    setzen, z.B. m a-m a, da-da, ra-ra, de-de,

    ge-ge...

    Kennzeichen dieser Phase ist, dass es sich

    um spontane Lautproduktionen handelt,

    die stndig w echseln knnen.

    Im Laufe des ersten Lebensjahres nim m t

    die A nzahl der Laute, die ein Kind erzeugen

    kann, stndig zu, w obei Kinder im Laufe

    der Lallphase individuelle Vorlieben fr

    bestim m te Lautkom plexe entw ickeln. D ie

    in dieser Zeit gebildeten Lalluerungen

    knnen frem dartig klingen, w eil sie nicht

    nur Laute der Erst- oder M uttersprache

    enthalten.

    D as Lallen ist nicht an bestim m te G egen-

    stnde, M enschen oder Situationen gebun-

    den; es ist kein Sprechen im eigentlichen

    Sinne. O bw ohl m anche LalluerungenW rtern gleichen, verbindet das Kind noch

    keinerlei Bedeutung dam it, m a m a

    steht in dieser Phase noch nicht fr M utter.

    D er W ert des Lallens besteht in der bung.

    D ennoch hat das Lallen fr den spter ein-

    setzenden Spracherw erb eine w ichtige

    Funktion: D as Kind hrt seine eigenen

    Laute und freut sich ber die hrbar w er-

    denden Fhigkeiten.8

    D as K ind bt in dieser Zeit vielfltige Laut-

    verbindungen ein, die von Vernderungen

    in der Tonhhe und in der M odulation be-

    gleitet w erden.

    Die ersten Monate

    8 Gipper,1985, S. 40

    _ T h e o re tis ch e G ru n d la g e n

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    Im w eiteren Verlauf steht die W eiterent-

    w icklung der Laute im Vordergrund. D as

    Kind erzhltviel und gern, z.B. Konso-

    nant-Vokal-Verbindungen: nana, aga, ata,

    laalaa, rrr-Ketten. D abei w echselt es Laut-strke und Tonhhe.

    D as Kind fngt an, seine Lautuerungen

    zu w iederholen bzw . sich selbst nachzuah-

    m en. Es stellt eine Verbindung zw ischen

    H ren und Sprechen her: es hrt, w ie das

    klingt, w as es sagt, und spricht, w as es h-

    ren m chte. D am it ist der erste Schritt von

    einer spontanen Lautuerung hin zu einer

    gezielten A rtikulation getan, und die Laut-

    uerungen des Kindes nhern sich m ehr

    und m ehr der Erw achsenensprache an.

    D ies fhrt hufig dazu, dass die Fam ilie

    diese Lautungen aufnim m t und dem Kind

    w ieder vorspricht, so dass sich in einem

    hufig w iederholenden D ialog einzelne

    Lautgebilde verfestigen knnen.9

    M it etw a acht bis neun M onaten beginntdas Kind zu flstern und hrt sich dabei

    aufm erksam zu.

    In den letzten M onaten des ersten Lebens-

    jahres ist ein erstes Sprachverstndnis zu

    beobachten, d.h. das Kind versteht den

    Inhalt einiger W orte. So w endet es z.B. den

    Kopf dem entsprechenden G egenstand

    oder der Person zu, w enn m an es fragt:W o ist ...?, oder reagiert auf Verbote,

    w ie nein, indem es seine Ttigkeit kurz

    unterbricht.

    H ufig auftretende Lautuerungen in

    Verbindung m it einer Reduzierung der Viel-

    falt der Laute kndigen nach BO VIN G den

    Beginn einer neuen Phase an, nm lich den

    G ebrauch von Sprachlauten. Kennzeichenfr diese Vorstufe des Sprechens ist, dass

    das Kind den Sinngehalt einiger W orte

    erfasst und die m ehrsilbigen uerungen

    auf D oppelsilben reduziert und phonetisch

    stabile Form en benutzt. D iese Lautue-

    rungen w erden von allen Kindern in fr sie

    besonders w ichtigen Bereichen eingesetzt.

    H ierunter fallen die Lautuerungen, die

    Freude, Zufriedenheit oder Unzufriedenheit

    ausdrcken, die zur Bedrfnisbefriedigung

    auffordern oder Lautuerungen, die auf

    etw as hinw eisen, w ie da, da, die durch

    eine Zeigegebrde untersttzt w erden.

    Schon in den ersten M onaten w irken sich

    Einflsse aus der Um w elt des Kindes auf die

    A rt und H ufigkeit der Lautbildung aus.

    W esentlich fr die sprachliche Entw icklung

    ist, dass die M utter bzw . die Bezugsperso-nen und das Kind von A nfang an m iteinan-

    der kom m unizieren und ber den D ialog

    eine gem einsam e Erfahrungsw elt aufbau-

    en. Indem sie das Verhalten des Kindes in-

    terpretieren und ihm Bedeutungen zuw ei-

    sen, leiten sie das K ind an, selbst solche

    Konzepte und Regeln zu entw ickeln, die

    die G rundlage fr den Spracherw erb sind.

    D abei kom m t es hufig vor, dass die Be-zugspersonen die Laute des Kindes aufneh-

    m en und vorsprechen, so dass sich im

    D ialogeinzelne Lautgebilde verfestigen

    knnen, d.h. M utter und Kind fhren

    W echsel-G esprche. D as Kind ist dabei

    aktiv an der Interaktion beteiligt. Seine

    Lautuerungen differenzieren sich im

    Laufe der Zeit im m er strker aus.

    9 Boving. In: Gipper,1985, S. 91

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    Etw a gegen Ende des ersten Lebensjahres

    bildet das K ind erste sinnvolle W rter.

    W enn es in der Lage ist, Lautuerungen

    m it bestim m ten Inhalten/Bedeutungen zu

    verbinden, setzt das eigentliche Sprechenein. A us dem Lallen w ird Sprache, w enn

    das Kind eine Verbindung zw ischen W ort

    und Inhalt herstellt. U m diesen Entw ick-

    lungsschritt von den bedeutungslosen

    Lautuerungen hin zum ersten sinnvollen

    W ort m achen zu knnen, bedarf es des

    Erw achsenen, der dem Kind hilft, fr Perso-

    nen oder G egenstnde, die es w ahrnim m t,

    W orte zu finden.

    Einwortphase

    Beim bergang von der Lallphase zu den

    ersten Sprachlauten verlieren Kinder die

    Fhigkeit, vielfltige Laute zu erzeugen. Sie

    beginnen m eist m it nur w enigen Sprach-

    lauten aus ihrer Sprache.

    D ie ersten Sprachlaute w erden im Vorder-

    m und artikuliert, z.B. m am , ada, dada.

    D agegen w erden Laute, w ie f, s, sch, ch,

    l und r, pf und tsch sow ie st und sp, sofern

    sie zum phonologischen System der M ut-tersprache gehren, m eist spter von

    Kindern geuert. D as Erlernen der Sprach-

    laute scheint in einer bestim m ten Reihen-

    folge stattzufinden. G ew isse Laute und

    Lautverbindungen lernen die m eisten

    Kinder frher als andere Laute.

    In der ersten Phase des Spracherw erbs

    spricht das Kind einige w enige W orte voneinigen A utoren als Einw ortstze oder

    H olophrasenbezeichnet.

    D iese Einw ortuerungen beziehen sich

    im m er auf die G esam tsituation und knnen

    W nsche, Bedrfnisse, Behagen oder U n-

    behagen, G efhle ausdrcken oder Benen-

    nungsfunktion (N am en) haben. Sie sind

    Teile eines kom plexen H andlungsschem as.

    2.3 Sta dien de s Spracherw erbs

    Das erste Jahr

    _ T h e o re tis ch e G ru n d la g e n

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    So kann m am az.B. bedeuten; ich

    m chte etw as zu essenoder M am a,

    kom m bitte heroder ich m chte nach

    drauen...

    D as Kind drckt also m it einem W ort ver-

    schiedene Bedrfnisse aus, bei denen es oft

    G esten zur H ilfe nim m t, z.B. da, verbun-

    den m it einer Zeigegeste.

    D ie ersten W rter bestehen hufig aus

    einem W echsel von Vokalen und K onso-

    nanten, z.B. ba-ba. In dieser Phase be-

    vorzugt das Kind Substantive.

    Es ahm t jetzt hufig die Laute der Erw ach-

    senen nach, ohne den Sinn zu verstehen.

    In dieser Phase treten auch Lautm alereien

    auf. D abei handelt es sich um W rter, die

    die Beschaffenheit eines G egenstandes

    in einer bestim m ten W eise w iedergeben,

    z.B. w auw au(H und), puffpuff(Eisen-

    bahn).

    Zunchst vertauscht das einjhrige Kind die

    Bezeichnungen fr Personen, G egenstnde

    und Situationen noch beliebig.

    Von entscheidender Bedeutung fr die

    sprachliche Entw icklung ist die gesam te

    krperliche Entw icklung des Kindes, die es

    ihm erlaubt, verschiedene Eindrcke w ahr-zunehm en und zu koordinieren. U m Laute

    oder sprachliche uerungen verstehen

    zu knnen, m ssen K inder zuerst einm al

    verstehen, w orauf sich denn diese Laute

    oder uerungen berhaupt beziehen.

    D ies erreichen Eltern dadurch, dass sie die

    A ufm erksam keit des Kindes z.B. auf den

    G egenstand lenken, d.h. sie achten darauf,

    dass ihre Kinder den G egenstand ansehen,

    ber den sie gerade sprechen. Solche Situa-

    tionen (gem einsam auf etw as achten und

    entsprechende uerungen hren) erleich-

    tern dem Kind (...) die Zuordnung des Aus-

    drucks zu einem bestim m ten Inhalt.

    10

    U ntersttzend w irken die Reaktionen der

    Bezugspersonen auch, w enn sie die Laut-

    uerungen des Kindes aufgreifen, w ieder-

    holen und so in einen Dialogm it dem

    Kind treten. D abei ist w iederum hufig die

    Situation, in der die W iederholung stattfin-

    det, ausschlaggebend dafr, dass das Laut-

    gebilde des Kindes nicht nur stabil w ird,

    sondern auch einen Sinngehalt erhlt. D as

    Kind lernt, seine Lautgebilde m it Personen,

    G egenstnden und Situationen allm hlich

    eng zu verbinden, so dass sie zu deren

    Sym bolen w erden knnen.

    W esentlich bei den D ialogen ist, dass sich

    die Bezugspersonen dem kindlichen

    Sprachverstndnis anpassen, d.h. sie ver-

    w enden einfache Satzstrukturen, eine lang-sam e Sprechw eise und einen gedehnten

    Tonfall. Die Funktion dieser Anpassungen

    ist offensichtlich eine kom m unikative: Die

    Bezugspersonen bem hen sich darum , sich

    dem Kind verstndlich zu m achen und

    orientieren sich dabei am kindlichen

    Sprachverstndnis.11M it zunehm endem

    Sprachverstndnis erhht sich die Kom ple-

    xitt des Sprachstils.

    10 Kolonko,1 996, S. 45

    11 Apeltauer,1997, S. 37

    D ie E n tw ic k lu n g d e r S p ra c h e _

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    Zweiwortphase

    Zw ischen eineinhalb und zw ei Jahren tre-

    ten zunehm end Zw eiw ortuerungen auf.

    Bei den ersten Zw eiw ortuerungen w irdjedes W ort einzeln gesprochen und durch

    eine Pause gegen das andere abgesetzt,

    d.h. die ersten Zw eiw ortuerungen beste-

    hen aus einer A neinanderreihung zw eier

    Einw ortuerungen, z.B. ata Puppe.

    Bald w erden diese uerungen ber die

    Betonung als zusam m engehrig ausge-

    drckt. D am it entstehen echtezw eiw or-

    tige uerungen. D ie Zw eiw ortuerun-

    gen, die durch die existenziellen Bedrfnisse

    des Kindes beeinflusst w erden, erfllen u.a.

    folgende Funktionen: Feststellung: w aw a

    tun, (ich tue sie w ieder ins W asser), Ver-

    langen, W unsch: m am a ahm , (M am a,

    ich w ill auf deinen A rm ), Verneinung: heia

    nein!, (ich w ill nicht ins Bett), Fragen: w o

    Ball, O rtsbestim m ung: Ball daoder Be-

    zeichnung einer Eigenschaft: M ilch hei.

    Bei den Zw eiw ortuerungen variiert dieW ortfolge noch sehr stark, da das Kind das

    G efhlsbetonte und das A nschauliche vor-

    anstellt.

    C harakteristisch fr diese Phase ist der tele-

    gram m artige Stil der uerungen: das Kind

    verw endet Substantive im Singular, Verben

    im Infinitiv und einzelne A djektive. Es feh-

    len die unbestim m ten (einer, eine, ein) undbestim m ten A rtikel (der, die das), die K on-

    junktionen (und, oder, aber), die H ilfszeit-

    w rter (sein, haben) und die Flexions-

    endungen bei der Pluralbildung (Puppe

    Puppen).

    D as zw eijhrige K ind probiert verschiedene

    Verbindungen von Lautkom plexen und

    Inhalten. D iese Versuche w erden von den

    Erfahrungen, die das Kind m acht, beein-

    flusst und gesteuert.

    A llm hlich w ird es in seinen Bezeichnungen

    sicherer, und der W ortschatz des Kindesw chst stark an. Es entw ickeln sich Sub-

    stantive, Verben, A djektive und Pronom en

    (Beziehungsw rter).

    D as erste Fragealter setzt ein: D as K ind

    fragt nach dem N am en der Dinge: Ist

    das?. Es entdeckt, dass zu jedem G egen-

    stand ein Lautkom plex gehrt, der ihn be-

    zeichnet, dass jedes Ding einen N am en hat.

    Es erw acht das Bew usstsein von der Bedeu-

    tung der Sprache.

    M it dem bergang zu den Zw eiw ortue-

    rungen treten auch die ersten Flexionsver-

    suche auf, z.B. Puralbildungen beim Sub-

    stantiv. N un lernt das Kind die Form en

    der W ortabw andlungen, nm lich die Beu-

    gung des Verbs (Konjugation), des Substan-

    tivs (D eklination) und die Steigungsform ender A djektive (Kom paration) ziem lich

    gleichzeitig.

    A llgem ein w erden dabei die schw cher

    flektierten und regelm igen Form en leich-

    ter erlernt als die stark flektierten und unre-

    gelm igen, die oftm als durch Form en der

    ersten A rt ersetzt w erden, z.B. gut

    gterw ie gro grerstatt gut besser, ich habe getrinktw ie ich habe

    gem alt.

    In dieser Zeit w ird das Sprachverstndnis

    im m er differenzierter. D as Kind versteht all-

    m hlich A ufforderungen, die zw ei verschie-

    dene H andlungen enthalten, z.B. H ol den

    Ball und gib ihn ...

    Das 2. Jahr

    _ T h e o re tis ch e G ru n d la g e n

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    D as Kind versteht schon sehr viel, es kann

    Sprache besser verstehen als produzieren,

    d.h. das Verstehen von Sprache geht dem

    eigentlichen Sprechen voraus.

    Mehrwor tstze

    Etw a im dritten Lebensjahr spricht das Kind

    M ehrw ortstze m it drei oder m ehr W r-

    tern. A uch hierbei w erden die fr das

    Verstehen w ichtigen W rter geuert, die

    unw ichtigen fallen w eg, d.h. in der Sprache

    des Kindes berw iegen die Inhaltsw rter.

    D ie sog. Funktionsw rter, w ie Konjunktio-

    nen (und, oder), Prpositionen (in, an), A rti-kel (ein, eine) fehlen w eitgehend. D ie Spra-

    che erscheint noch im m er telegram m -

    stilartig. D ie uerungen des Kindes sind

    oftm als nur vor dem H intergrund der ge-

    sam ten Situation zu verstehen und zu inter-

    pretieren. Solche Interpretationen w erden

    w ie U ntersuchungen belegen von der

    M utter hufig vorgenom m en, indem sie die

    uerungen des Kindes in gram m atischrichtiger Form w iedergibt und abw artet, ob

    es gegen ihre Interpretation protestiert.

    M it dem A uftreten der M ehrw ortstze

    kann von gram m atikalischen Strukturen

    gesprochen w erden. So w ird z.B. aus

    M am a Ball, M am a holen, Ball holennun

    M am a Ball holen(Subjekt Prdikat

    O bjekt, hier: S O - P).

    D ie W ortstellung im Satz w eicht noch hu-

    fig von der Erw achsenensprache ab, da das

    Kind W rter voranstellt, die ihm w ichtig

    sind Ball, gib m ir.

    O ftm als w erden auch W rter zusam m en-

    gezogen, bin gangenstatt ich bin

    gegangen.

    N un uert das Kind auch A dverbien da,

    hier, spter Possessivpronom en m ein,

    deinund Prpositionen (Verhltnisw rter)

    auf, in. Beim Erw erb der Verhltnisw r-

    ter w erden O rtsbestim m ungen in, aufvor Zeitbestim m ungen, w ie jetzt, heute,

    gesternerlernt. D as Kind benutzt zu-

    nchst den unbestim m ten, spter den

    bestim m ten A rtikel.

    In Verbindung m it der geistigen Entw i-

    cklung und dem Vertrautw erden m it der

    U m w elt ist der Erw erb von Fragew rtern zu

    sehen. Zunchst treten die Fragew rter

    w o oder w asauf, spter folgen w er,w ie, w ieviel?Das Kind fragt nach dem N a-

    m en, es vergew issert sich.

    D as Kind verw endet vorw iegend H auptst-

    ze, aber schon auf verschiedene A rten, z.B.

    als A usrufe-, Frage- und A ussagestze.

    Es entw ickelt verschiedene N ebenstze

    und lernt, durch ber- und U nterordnungG edanken w iederzugeben. D ie ersten

    N ebenstze w erden hufig nicht erkannt,

    w eil sie durch einen undefinierbaren U ni-

    versallaut, w ie oder m m eingeleitet

    w erden. Bald folgen Verknpfungen m it

    undoder dann, spter erst m it w eil,

    darum , w enn... G egen Ende des dritten

    Lebensjahres treten auch die ersten Relativ-

    stze auf.

    Das dritt e Jahr

    D ie E n tw ic k lu n g d e r S p ra c h e _

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    Es f ragt na ch dem w arum, w ann und

    w ie lan ge .

    Etw a ab der zw eiten H lfte des dritten

    Lebensjahres bezeichnet das Kind G egen-stnde und O bjekte seiner U m gebung rich-

    tig. Es fragt nach dem N am en unbekannter

    D inge. D er W ortschatz nim m t zu.

    D urch A bleitungen und Zusam m ensetzun-

    gen bildet das Kind neue W rter, entspre-

    chend zu Dunkelheitgibt es eine

    Hellheit, zu Nachthem ddas Tag-

    hem d, ein unbekanntes G erusch fhrte

    zu der Frage O m a, w as hat dageruscht?12

    D ie A ussprache verbessert sich zuneh-

    m end. Es lernt auch die schw ierigen Laute,

    w ie r und srichtig auszusprechen.

    Kindestm liche Sprachbildungen gehen

    zurck, und die K indersprache nhert sich

    der Erw achsenensprache an.

    Zu den Strukturen, die das Kind erst spt

    erfasst, gehren die Passivkonstruktionen.

    D as Verstehen und Bilden der richtigen

    Passivkonstruktion fllt dem Kind am leich-

    testen, w enn H andelnder und Leidender

    logisch nicht um kehrbar sind, w ie: Die

    M aus w ird von der Katze gejagt, d.h. das

    Kind w ei, dass die Katze die M aus jagtund nicht um gekehrt. D er eigentliche

    Erw erb der Passivkonstruktionen erfolgt

    erst im Schulalter.

    M it etw a vier Jahren hat das Kind die

    w esentlichen Strukturen seiner Erstsprache

    erw orben. Es spricht berw iegend in voll-

    stndigen Stzen. In der Regel sind alle

    W ortklassen vorhanden. D as Kind kann

    seine W nsche, G edanken und A bsichten

    m itteilen. In der Sprache des Kindes herr-

    schen bis zur Einschulung im allgem einen

    einfache und kurze Stze vor, die vorw ie-

    gend durch undund dannverbundenw erden. D er W ortschatz w ird w eiter ange-

    reichert.

    D er Erw erb von Bedeutungen, der sehr eng

    m it der kognitiven Entw icklung verbunden

    ist, setzt sich bis ins Schulalter fort. A uch

    das Verstndnis fr Passivkonstruktionen

    nim m t im Schulalter w eiter zu. Relativstze

    w erden ebenfalls erst im Schulalter w irklich

    beherrscht.

    12 Gipp er, a.a.O., 1985, S. 143

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    Seit einigen Jahrzehnten w ird das Leben inder Bundesrepublik durch den Zuzug von

    M igrantinnen und M igranten, A ussiedlerin-

    nen und A ussiedlern sow ie Flchtlingen

    geprgt. D iese durch M igration entstande-

    ne m ultikulturelle G esellschaft ist zugleich

    auch eine m ehrsprachige G esellschaft,

    w ie u.a. in Kindertagessttten und Schulen

    deutlich w ird. Zw ei- und M ehrsprachigkeit

    ist allerdings kein Phnom en, das nur auf-

    grund von M igrationsbew egungen zustan-

    dekom m t. D a die m eisten M enschen in

    Kontakt m it m ehreren Sprachen aufw ach-

    sen und es Zw ei- und M ehrsprachigkeit in

    so unterschiedlichen Facetten und Form en

    gibt, w ird in der Literatur darauf hingew ie-

    sen, dass Zw eisprachigkeit in fast jedem

    Land der Erde vorkom m t, z.B. in der

    Schw eiz, in Belgien, in G renzgebieten,

    und som it das N orm ale sei.

    D abei w urde Zw eisprachigkeit ber eine

    lange Zeit als schdlich fr die Entw icklung

    von Kindern angesehen und nur hochbe-

    gabtenKindern zugebilligt. M an w ar der

    A nsicht, dass Zw eisprachigkeit zu schlech-

    teren Schulleistungen und zu geringerer In-

    telligenz fhre, und die sprachliche

    H eim atlosigkeitKinder seelisch instabilm ache. Erst ab A nfang der 60er-Jahre setz-

    te sich die A uffassung durch, dass eine

    zw eisprachige Erziehung positive A usw ir-

    kungen auf die soziale w ie kognitive Ent-

    w icklung habe. A n eine vollkom m ene

    Beherrschung von zw ei Sprachen in allen

    Bereichen m enschlichen Lebens ist dabei

    nicht gedacht. Zu w elcher A rt von Zw ei-

    sprachigkeit ein Kind gelangt, hngt haupt-schlich von den Bedingungen ab, unter

    denen zw eisprachiges Lernen stattfindet.

    Politische, konom ische und soziale A spek-

    te fhrten dazu, dass M enschen ihre Hei-

    m atlnder verlassen und sich u.a. in der

    Bundesrepublik Deutschland niedergelas-

    sen haben. W enn sie hier gesellschaftlich

    handlungsfhig sein w ollen, m ssen sie ihr

    Leben in der Bundesrepublik zw eisprachig

    organisieren und gestalten. In diese zw ei-

    sprachig organisierte Lebensw elt w achsen

    die K inder hinein. Fr Kinder aus zugew an-

    derten Fam ilien bedeutet dies, dass sie auf-

    grund ihrer Lebenssituation, in ihrer

    Entw icklung und Persnlichkeitsbildung

    auf Zw eisprachigkeit angew iesen sind.

    In m anchen Fam ilien ist die sprachlicheSituation bereits durch m ehr als zw ei Spra-

    chen geprgt, w eil D ialekte oder Regional-

    sprachen des Herkunftslandes gesprochen

    w erden. In anderen Fam ilien gew innt auch

    die deutsche Sprache an Bedeutung.

    3. Me hrspra chig keit im Elem en t a rbereich

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    3.1 Erstsprache und Ide nt it tsent w icklung

    14 Vgl. Erikson

    Schon ab der G eburt beeinflusst die Inter-

    aktion zw ischen Eltern und Kind die Identi-

    ttsentw icklung des Kindes in entscheiden-

    der W eise. N eben dem Krperkontaktbieten Eltern dem Kind auch ber die Spra-

    che Im pulse zur Verstndigung an. G leich-

    zeitig erfhrt es nach und nach, dass die

    Zeichen seiner Bedrfnisse w ie Schreien

    oder Lcheln verstanden oder auch m iss-

    verstanden w erden. N ach Erkenntnissen

    der m odernen Suglingsforschung entw i-

    ckeln sich dabei erste rudim entre Vorstel-

    lungen vom eigenen auftauchendenSelbst.13Reagieren die Eltern verlsslich

    und w iederholend auf die Interaktions-

    angebote des Kindes, helfen sie ihm , sich

    m ehr und m ehr als Subjekt zu erfahren, das

    die Reaktionen seiner Bezugspersonen

    selbst beeinflussen kann. Indem das Kind

    erfhrt, dass es Beziehungen m itgestalten

    kann, lernt es, sich selbst von den Eltern

    zu unterscheiden.

    Bereits in diesen frhen D ialogen m it den

    Eltern m acht das Kind also Erfahrungen,

    die fr den w eiteren Verlauf der Identitts-

    entw icklung von Bedeutung sind: In einer

    verlsslichen Interaktion m it M utter und

    Vater erlebt es G eborgenheit und Sicher-

    heit und entw ickelt dadurch U rvertrauen.14

    D ies hilft ihm , ein positives Selbstbild aufzu-bauen. D er D ialog m it der U m w elt ist

    dam it ein Beitrag zur Entstehung, Entw ick-

    lung und Stabilisierung der Ich-Identitt des

    Kindes.

    13 Vgl. Stern

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    15 Brazelton, Cramer, 1991, S. 76f

    16 Condon, Sander, 1975.

    In: Brazelton, Cramer, 1991

    17 Brazelton, Cramer, a.a.O., S. 77f 18 Oerter, Montada, 1987, S. 607

    D abei begleitet die Sprache der Eltern

    schon ab der G eburt die Interaktion m it

    dem Kind. Sie reagieren m it ihrer Krper-

    sprache, W rtern und Lauten auf die Kom -

    m unikationsangebote des Kindes. Klang

    und Stim m fhrung transportieren G efhle

    und Stim m ungen, die das Kind versteht,

    schon lange bevor es selbst sprechen kann.

    Im Kontakt m it dem Kind erfahren Eltern

    und andere w ichtige Bezugspersonen recht

    schnell, w ie sie m it ihrer Stim m e spezifische

    Klangfarben, M elodien und M odulationen

    erzeugen, die dem Kind G eborgenheit und

    Sicherheit verm itteln oder A ufm erksam keitbeim Kind hervorrufen knnen.D ie Eltern

    N eugeborener lernen rasch, w elche Ton-

    hhe die A ufm erksam keit ihres Babys zu

    w ecken verm ag. ... A ufm erksam e Eltern

    w erden berdies frher oder spter fest-

    stellen, dass die Babys ihre Bew egungen

    dem Rhythm us der elterlichen Stim m en an-

    passen und sie selbst, um gekehrt, das G lei-

    che tun.15

    N ach einer U ntersuchung vonCO NDO N und SAND ER16gleichen N euge-

    borene bereits unm ittelbar nach der Geburt

    ihre Bew egungen dem Rhythm us der Stim -

    m e ihrer M utter an.D ies ist ein Beispiel fr

    die groe, w echselseitige Anpassungsf-

    higkeit in der frhen Kindheit. D ie Bew e-

    gungen des Babys stim m en m it denen der

    M utterberein, die ihrerseits ihren Sprach-

    rhythm us den Bew egungen des Babysanpasst.17H ieran w ird deutlich, w elche

    Bedeutung der Erstsprache in der Entw ick-

    lung des Kindes zukom m t.

    Es ist die Sprache, die m it ihrem spezifi-

    schen Rhythm us und Klang dem Kind erste

    Erfahrungen des gem einsam en Verstehens

    erm glicht und dam it die Bindung zw i-

    schen Eltern und Kind festigen kann. D ie

    Sprache der Eltern ist durch erste Bindungs-

    erfahrungen stark em otional besetzt und

    hat dam it eine Intim itt stiftende Funkti-

    on: D urch die besondere Sprechw eise stellt

    die M utter eine positive affektive Bezie-

    hung zu ihrem Kind her und sichert die

    gegenseitige Verstndigung.18

    A uch der A ufbau von Beziehungen zum

    Vater, zu den G eschw istern und den G ro-eltern, die dem Kind helfen knnen, ein

    Selbstbild in A bgrenzung zu ihnen aufzu-

    bauen, w ird durch die Erstsprache beglei-

    tet. Som it ist die Erstsprache w ichtiger Be-

    standteil des fam iliren Bindungsgefges.

    W ird dem Kind zu einem spteren Zeit-

    punkt verw ehrt, seine Erstsprache zu spre-

    chen, kann sich dies auch auf die Beziehun-

    gen zu Fam ilienangehrigen ausw irken.

    D a sich die Identittsentw icklung des Kin-

    des in sozialen Bezgen seines direkten und

    spter auch erw eiterten fam iliren U m fel-

    des vollzieht, w erden m it der Erstsprache

    zugleich spezifische soziale Regeln, N or-

    m en und W erte verm ittelt, die dem Kind

    O rientierungspunkte fr den A ufbau seiner

    Identitt bieten.In der M utter-Kind-Dyadeverm ittelt, ist Sprache das Produkt gem ein-

    sam er Teilnahm e an gesellschaftlicher

    Praxis. ... D as Kind lernt also die Regeln der

    M e h rs p ra c h ig k e it im E le m e n ta r b e re ic h _

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    19 Oerter, Mont ada, a.a.O., S. 599f

    20 Peukert,1 979, S. 121f

    21 Peukert, 19 85, S. 326; vgl. auch Auwrter, Kirsch, Schrter 19 76

    Sprache nicht isoliert, sondern sie haben

    ihren U rsprung in Strukturen des sozialen

    H andelns.19Im w eiteren Verlauf seines

    Spracherw erbs lernt das Kind m it den

    gram m atikalischen Regeln zugleich die

    ihnen zugrunde liegenden sozialen K on-

    ventionen, die in einem gesellschaftlichen

    System anerkannten und definierten

    Rollen und Positionen.20

    Im Verlauf der Identittsentw icklung des

    Kindes stellt der Spracherw erb also eine

    w ichtige Errungenschaft dar. M it H ilfe der

    Erstsprache kann das Kind seinen G efh-

    len, Bedrfnissen und Interessen einensprachlichen A usdruck geben. D iese Fhig-

    keit untersttzt es dabei, sich von seinen

    Bezugspersonen abzugrenzen und dabei

    sein Selbstbild zu festigen.

    Fr den Zusam m enhang von Identitt

    und Sprache ist von Bedeutung, dass die

    Sprachentw icklung des Kindes eingebettet

    ist in ein W echselspiel von kognitiverund interaktiver Entw icklung.21D abei

    beeinflussen sich alle drei Entw icklungs-

    strnge w echselseitig. Sie frdern gegen-

    seitig ihre W eiterentw icklung und sind M o-

    tor fr die Identittsentw icklung.

    W enn ein K ind m erkt, dass seine Fhig-

    keit, sich m it G estik und M im ik non-verbal

    auszudrcken (interaktive Kom petenz),

    nicht m ehr ausreicht, um verstanden zu

    w erden, so w ird es sich bem hen, seine

    sprachlichen Kom petenzen voranzutreiben.

    hnlich verhlt es sich m it seinen kogniti-

    ven Kom petenzen. N eue Entdeckungen

    und Erfahrungen w ill ein Kind m eist auch

    seinen Eltern oder anderen Bezugsperso-

    nen m itteilen. O ft kann beobachtet w er-

    den, w ie Kinder um W orte ringen, um an-

    deren verstndlich zu m achen, w ovon sie

    so begeistert sind (s. Beispiel).

    D ie Entw icklung sprachlicher, kognitiver

    und interaktiver Kom petenzen strkt das

    Kind zugleich darin, seine Identitt in Kom -

    m unikation m it anderen zu erw eitern und

    dabei auch zu stabilisieren.

    Identittsent-

    w icklung

    kognitive

    Entw icklung

    sprachliche

    Entw icklung

    interaktive

    Entw icklung

    = W eiterentw icklung in den einzelnen Bereichen

    Beispiel:

    Kezan hat zusam m en m it anderen K in-

    dern aus ihrer G ruppe ein naturkundli-

    ches M useum besucht. U lrike, die Er-

    zieherin, fragt Kezan, w elches Tier ihr

    am besten gefallen habe.D as..., sie

    hlt inne und schttelt den Kopf.Fllt

    dir das W ort nicht ein?, fragt Ulrike

    zurck. Kezan schttelt den Kopf. U lri-

    ke:D ann spiel m ir doch dein Tier vor,

    und ich versuche es zu erraten.Kezan

    nickt eifrig. Sie breitet ihre H nde w ie

    Flgel aus und beginnt hin- und herzu-

    fliegen.A h, du m einst sicher einenVogel?N ein, nicht Vogel, kleiner,

    ein...U lrike:W ie groist denn das

    Tier?Kezan zeigt den A bstand zw i-

    schen Daum en und Zeigefinger:Klein.

    U lrike:U nd w as fr ein G erusch

    m acht das Tier?Kezan produziert ein

    deutlichesssssund fliegt sum m end

    um U lrike herum .Vielleicht eine Bie-

    ne?Bie..ne?fragt Kezan. U lrike:Ja, die sind von auen in das M useum

    hinein geflogen. Kezan:Ja, so ( sie

    spielt w ieder eine Biene)und dann

    ...in das... (sie berlegt) Loch sss und

    dann sss... hinter dem Fenster und

    dann so m it den..., Kezan zeigt auf

    ihre A rm e.M einst du vielleicht Fl-

    gel?, fragt U lrike.Ja, Flgel, m it den

    Flgeln ganz schnell ssss und dann w ar

    da eine Bie..ne..., andere Biene...

    Kezan ist kaum noch zu stoppen.

    Die Erzieherin hatte im M useum beob-

    achtet, w ie K ezan m it leuchtenden

    Augen vor dem Bienenstock stand, der

    einsichtig w ar. Nach und nach holte Ke-

    zan ihre Freundinnen dazu, um ihnen die

    fr sie w ichtige Entdeckung zu zeigen.

    _ T h e o re tisc h e G ru n d la g e n

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    W eiterhin w ird in den frhen Interaktionenm it den Bezugspersonen die Basis fr die

    spteren sprachlichen Kom petenzen des

    Kindes geschaffen. A ber auch im w eiteren

    Verlauf des Spracherw erbs kom m t den

    Bezugspersonen eine bedeutende Rolle zu,

    denn ihr sprachliches H andeln legt den

    G rund fr das eigene sprachliche H andeln

    des Kindes; ihre Sicht von W elt ist es, durch

    die das Kind seine ersten eigenen Einsich-ten gew innt.22

    So w erden die A lltagssituationen in zuge-

    w anderten Fam ilien durch die in der Fam ilie

    vorherrschende Sprache beeinflusst. In

    ihr m achen Kinder ihre ersten w ichtigen

    Lebenserfahrungen. In dieser Erstsprachew erden die K inder erzogen. Ihre W erte und

    N orm en, ihr W issen von der W elt, ihre Ein-

    stellungen und Vorstellungen w erden hier-

    durch entscheidend geprgt. M it H ilfe der

    Sprache erobern sie sich ihre U m w elt, w ird

    ihnen kulturspezifisches und gesellschaftli-

    ches W issen verm ittelt. M it der Erstsprache

    eignen sich Kinder Gestik, M im ik, Sprech-

    rhythm us und Intonation (Sprechm elodie)an, erw erben sie sprachliche H andlungs-

    kom petenz.

    D ie Sprache dient der Verstndigung inner-

    halb der Fam ilie, w obei das kontinuierliche

    G esprch zw ischen Eltern und Kindern und

    das Angenom m ensein in der Fam ilie grund-

    legend fr die em otionale Entw icklung

    der Kinder sind.

    3.2 Die Bedeu tun g de r Erstsprache

    22 Gogolin , 1988, S. 21

    M e h rs p ra c h ig k e it im E le m e n ta r b e re ic h _

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    In diesem Zusam m enhang ist anzum erken,

    dass die Erstsprache in zugew anderten

    Fam ilien nicht unbedingt m it der National-

    sprache des H erkunftslandes gleichgesetzt

    w erden kann. So m ssen Kinder aus der

    Trkei nicht trkisch, sondern knnen auch

    kurdisch als ihre Erstsprache angeben.

    Kinder aus Italien knnten in ihren Fam ilien

    nicht italienisch, sondern sardisch, rtoro-

    m anisch, deutsch oder friaulisch sprechen.

    D a sich die Frage nach der Erstsprache von

    auen nicht eindeutig beantw orten lsst,

    ist es fr die Erzieherin hilfreich, die Fam ili-

    en danach zu befragen.

    Ferner ist zu bercksichtigen, dass die

    Erstsprache der zugew anderten Fam ilien

    als Sprache von M inderheiten nicht m ehr

    in allen Lebensbereichen funktional ist.

    Sie beschrnkt sich oftm als auf die Kom -

    m unikation in der Fam ilie, innerhalb der

    eigenen ethnischen G ruppe oder auf Kon-

    takte zum H erkunftsland. In den Lebens-

    bereichen, in denen es um die K ontaktezw ischen M inderheit und M ehrheit geht,

    kom m t die Sprache der M ehrheit, nm lich

    die deutsche Sprache zum Tragen, z.B. in

    Bereichen der Arbeit, A usbildung, Bildung,

    Verw altung und Politik. D am it verlieren die

    Sprachen der M inderheiten w esentliche

    Funktionen in derffentlichen Kom m uni-

    kation, w as u.a. auch zu Vernderungen in

    diesen Sprachen fhrt. N eben Vernderun-

    gen in der syntaktischen Struktur und in der

    Bedeutung einzelner W orte flieen W rter

    und Redew endungen aus der deutschen

    Sprache in die Erstsprachen der zugew an-

    derten Fam ilien ein. W rter, w ie Kinder-

    garten, Jugendam t, A rbeitsam tsind viel-

    fach den G esprchen von zugew anderten

    Fam ilien zu entnehm en.

    G O G O LIN w eist darauf hin, dass Kinder

    aus zugew anderten Fam ilien w hrend

    ihres Spracherw erbs eine sprachliche

    Situation vorfinden, in der ihre Fam ilien

    Strategien sprachlichen Verhaltens entw i-

    ckelt haben, die u.a. auch die genannten

    Vernderungen in der Erstsprache bein-

    halten. D am it begegnen Kindern bereits

    in dieser Phase ersten Facetten von Zw ei-

    sprachigkeit.

    _ T h e o re tisc h e G ru n d la g e n

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    M it dem Eintritt in den Kindergarten m s-

    sen Kinder oft auf der G rundlage einer

    noch w enig beherrschten Erstsprache die

    Zw eitsprache Deutsch erlernen. U nter H in-

    w eis auf die bevorstehende Einschulung

    fordern m anche Eltern eine ausschlieliche

    Betreuung in der deutschen Sprache. A ber

    auch viele sozpd. Fachkrfte sind der M ei-

    nung, dass Eltern im H inblick auf eine Inte-

    gration G esprche m it ihren Kindern nur

    noch in der Zw eitsprache D eutsch fhren

    sollten, w eil sie sich hierdurch U nterstt-

    zung fr die eigene A rbeit in den G ruppen

    erhoffen. Vielfach ist im A lltag zu beobach-

    ten, dass die Erstsprache der Kinder nichtzur Kenntnis genom m en oder als H indernis

    beim Erw erb der Zw eitsprache angesehen

    und als Fam ilienangelegenheit abgetan

    w ird.

    D ieses Vorgehen kann sich jedoch sieht

    m an sich die vielfltigen Funktionen der

    Erstsprache an als problem atisch fr die

    w eitere Entw icklung der Kinder erw eisen.

    D as Kind hat seine ersten sprachlichen

    Erfahrungen in der Sprache der Fam ilie

    gem acht, es hat gelernt, seine G efhle aus-

    zudrcken und seine Erfahrungen und

    Erlebnisse m itzuteilen. D iese Erstsprache ist

    also Teil seiner selbst gew orden. Eine

    A blehnung oder Leugnung der Sprache

    kann beim Kind zu einer Beeintrchtigung

    seines Selbstverstndnisses fhren.

    D ie A blehnung der Erstsprache ist eine

    ganz um fassende Zurckw eisung des

    Kindes,denn die Sprache steht fr all das,

    w as das Im m igrantenkind andersm acht:

    seine Fam ilie, seine H erkunft, sein N am e,

    seine alltglichen G ew ohnheiten und seine

    W ertvorstellungen.23

    D ie Zurckw eisung kann nach W AG NER

    zu einer starken Verunsicherung und

    A nspannung fhren, denen das Kind auf

    unterschiedliche A rt und W eise zu begeg-

    nen sucht, indem es sich von der eigenen

    Fam ilie oder von den deutschen Bezugsper-

    sonen m it ihren Vorstellungen distanziert.

    Eine A blehnung kann den A ufbau eines

    Selbstbew usstseins erschw eren, und zw ar

    im Sinne einer tiefen Sicherheit, dass es

    ber Fhigkeiten verfgt, die von anderen

    M enschen anerkannt w erden. D ieses

    Selbstbew usstsein w iederum ist Vorausset-

    zung fr Interesse an und O ffenheit gegen-

    ber Lernprozessen und erleichtert demKind den Erw erb von Fhigkeiten und Fer-

    tigkeiten.

    Eine fehlende Frderung der erstsprachi-

    gen Fhigkeiten des Kindes kann auch die

    Kom m unikation zw ischen Kindern und

    ihren Bezugspersonen gefhrden. D ie

    M glichkeit, Erfahrungen und Erlebnisse

    von auerhalb in der Fam ilie m itzuteilenund dadurch die Verbindung zw ischen zw ei

    oftm als recht unterschiedlichen Erfah-

    rungsbereichen herzustellen, w ird dadurch

    erheblich eingeschrnkt.

    Eine fehlende U ntersttzung fhrt letztlich

    dazu, dass das Kind in seinen individuellen

    Entw icklungsm glichkeiten und seinen

    C hancen auf selbstbestim m te und gleich-

    berechtigte Partizipation am Leben seiner

    ethnischen G ruppe eingeschrnkt w ird.

    N eben diesen em otionalen und sozialen

    Beeintrchtigungen kann eine Vernachls-

    23 Wagner, 1993, S. 170

    M e h rs p ra c h ig k e it im E le m e n ta r b e re ic h _

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    sigung der Erstsprache auch zu Problem en

    im kognitiven Bereich und zu schulischem

    Versagen fhren. A us der Spracherw erbs-

    forschung ist m ittlerw eile bekannt, dass

    Kinder, die ber eine gut entw ickelte Erst-

    sprache verfgen, w eniger Schw ierigkeitenbeim Erw erb einer zw eiten Sprache aufw ei-

    sen, w eil sie bereits in der Erstsprache

    grundlegende sprachliche, kom m unikative,

    soziale und kognitive Fhigkeiten erw orben

    haben, die das Erlernen der zw eiten Spra-

    che begnstigen. So w issensie, dass

    eine Sprache nach Regeln aufgebaut ist

    und dass ein w esentlicher Teil der Kom m u-

    nikation an Sprache gebunden ist. U nter-suchungen zur Zw eisprachigkeit zeigen,

    dass es zu Schw ierigkeiten in der Zw eit-

    sprache kom m en kann, w enn nur der

    Zw eitspracherw erb gefrdert und die Erst-

    sprache vernachlssigt w ird.

    In A lltagssituationen ist zw ar im m er w ieder

    zu beobachten, dass Kinder flieend und

    akzentfreiber alltgliche D inge sprechen.D ies lsst sich nach M A IER aber dam it

    erklren, dass sich die A usdrucksfhigkeit

    der Kinder in der Regel auf die im m er w ie-

    derkehrenden Situationen beschrnkt, die

    sich auf G rund eines relativ festgelegten

    Tagesablaufs und der geringen A nzahl von

    Sprechanlssen zw ischen Erzieherin und

    Kindern ergeben. Erst beim genauen Zuh-

    ren und schlielich in der Schule w ird deut-

    lich, w ie unzureichend die sprachlichen

    Fhigkeiten in der zw eiten Sprache sind,

    w ie gering der W ortschatz ist, w elche M n-

    gel beim Satzbau und auf der abstrakten

    Ebene der Begriffe vorliegen. D adurch be-

    stehen erhebliche Lcken bei A ufgaben,

    die sprachliche und gedankliche A bstra-

    hierfhigkeit verlangen.

    _ T h e o re tisc h e G ru n d la g e n

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    D a es erfahrungsgem nicht ausreicht,

    w enn das Kind erst in der Schule einige

    Stunden m uttersprachlichen Frderunter-

    richt erhlt, sollte eine Frderung bereits

    frher einsetzen.

    D er besonderen Bedeutung, die die Erst-

    sprache fr die Entw icklung von Kindern

    hat, w ird auch in der U N Kinderrechts-

    konvention Rechnung getragen, w enn es

    dort in A rtikel 30 heit:

    In Staaten, in denen es ethnische, religiseoder sprachliche Minderheiten oder Urein-

    wohner gibt , darf einem Kind, das einer

    solchen Minderheit angehrt oder Urein-wohner ist, nicht das Recht vorenthalten

    werden, in Gemeinschaft mit anderen

    Angehrigen seiner Gruppe seine eigeneKultur zu pf legen, sich zu seiner eigenen

    Religion zu bekennen und sie auszubenoder seine eigene Sprache zu verwenden.

    3.3 Wesentliche Aspekte be im Erw erb de r de ut schen Sprache

    Beim Besuch von Tageseinrichtungen oder

    Schulen, bei Kontakten zu G leichaltrigen

    oder in G esprchen m itlteren G eschw is-

    tern steht vielfach die deutsche Sprache im

    M ittelpunkt. U m sich hier zurechtfindenund w ohl fhlen zu knnen, um deutsche

    Freunde gew innen oder um den A nforde-

    rungen auerhalb der Fam ilie entsprechen

    zu knnen, ist das Kind auf die deutsche

    Sprache angew iesen, d.h. ein w ichtiger Teil

    seiner Entw icklung und seines Lebens spielt

    sich in dieser Sprache ab.

    D er Besuch des Kindergartens bringt fr

    viele Kinder eine grere U m stellung und

    N euorientierung m it sich. Sie m ssen evtl.

    zum ersten M al fr eine lngere Zeit auf

    vertraute Bezugspersonen verzichten, sich

    auf neue, unbekannte Situationen einstel-

    len und eine neue Rolle einnehm en. Es

    w erden Erw artungen an ihr Verhalten ge-

    stellt, die m glicherw eise von denen in

    ihren Fam ilien abw eichen. Sie w erden m it

    zum Teil noch frem den Lebensgew ohnhei-

    ten und anderen Erziehungsvorstellungen

    konfrontiert, m ssen sich auf Regeln einlas-

    sen, die sie so nicht kennen. D ie im Kinder-

    garten vorhandenen Spielm aterialien undderen H andhabung sind vielfach nicht be-

    kannt. D ie Kinder knnen ihre Bedrfnisse,

    ihre U nsicherheiten und ngste nicht m it-

    teilen, fhlen sich unverstanden, frem d, der

    neuen Situation nicht gew achsen und m s-

    sen dennoch im m er w ieder m it neuen

    Situationen zurechtkom m en. D as G efhl

    von Frem dheit, das m it dieser Situation ver-

    bunden ist, w ird um so grer, je m ehr das

    Kind erfhrt, dass es die Sprache der soz-

    pd. Fachkraft und anderer Kinder nicht

    versteht und dass es sich m it seiner Erst-

    sprache nicht verstndlich m achen kann.

    D iese Situation kann fr Kinder sehr ver-

    w irrend und bengstigend sein.

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    D as in diesen Situationen U nvertraute,

    Frem de kann dazu fhren, dass einige von

    ihnen ihr Bedrfnis, sich m itzuteilen, aufge-

    ben und zu Beginn des Kindergartenbe-

    suchssprachlosw erden. Kinder erfor-schen ihre Um w eltso M aslow gerneaus einem sicheren H afen heraus. U nsi-

    cherheit und A ngst knnen strker sein als

    N eugier und dam it Lernbereitschaft beein-

    trchtigen. A ndere Kinder ziehen sich zu-

    rck und ergreifen kaum Spielin