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originalarbeit 196 1 3 Wie nachhaltig ist Supported Employment? Eine katamnestische Untersuchung an, war ab dem dritten Jahr wieder rückläufig und lag zum Katamnesezeitpunkt auf dem leicht angestiegenen Niveau der Kontrollgruppe. Schlussfolgerungen Diese Untersuchung weist auf eine eingeschränkte Nachhaltigkeit von Supported Employment bei Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen in Bezug auf die Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses und die Einkommenssituation hin, wenn das Coaching nicht fortgesetzt wird. Schlüsselwörter Supported employment · Nachhaltig- keit · Follow-up · Schizophrenie How sustainable is supported employment? A follow-up investigation Summary Subject e largest European multicenter randomized controlled trial to date on the effectiveness of supported employment (EQOLISE) was conducted in six European centres until 2005. It revealed that the intervention “indi- vidual placement and support” was more effective than conventional prevocational training services. e aim of this investigation was to assess the Zurich sample (indi- viduals with schizophrenic, schizoaffective or bipolar disorders) 24 months after termination of the EQOLISE trial in terms of working situation, income, and hospital admissions. More favorable outcomes concerning these parameters were assumed for the intervention group. Methods Assessment of the working situation and psychiatric hospitalizations since the end as well as the development of salaries since the start of EQOLISE. Com- parisons between groups and illustration of incomes using a random coefficient model were conducted. Results 50 % of the original sample could be assessed. All subjects who worked in competitive workplaces at the end of EQOLISE were met in a different situation. No Zusammenfassung Fragestellung Die bisher grösste europäische multizent- rische randomisiert-kontrollierte Studie zur Wirksamkeit von Supported Employment (EQOLISE) wurde bis 2005 in sechs europäischen Städten durchgeführt und konnte einen höheren Vermittlungserfolg in den ersten Arbeits- markt bei Probanden der Interventionsgruppe gegen- über der Kontrollgruppe mit konventionellem „pre- vocational training“ nachweisen. Die vorliegende Studie hatte zum Ziel, die Arbeitssituation, den Einkommens- verlauf sowie die Klinikaufenthalte der Zürcher Stich- probe (Personen mit Schizophrenie, schizoaffektiver oder bipolarer Störung) 24 Monate nach Abschluss von EQOLISE erneut zu untersuchen. Es wurden nachhaltig positive Effekte auf die Zielparameter bei der Interventi- onsgruppe hypothetisiert. Methoden Erhebung der Arbeitssituation und der Anzahl und Länge der Klinikaufenthalte seit Beendigung sowie des Einkommensverlaufs ab Beginn der EQOLISE- Studie. Gruppenvergleich und Darstellung des Einkom- mensverlaufs durch ein Multilevel-Modell. Ergebnisse 50 % der ursprünglichen Stichprobe (N =  50) konnte untersucht werden. Alle Probanden, die am Ende der EQOLISE-Studie auf dem ersten Arbeits- markt tätig waren, wurden in einer anderen Situation angetroffen. Es zeigten sich keine Unterschiede zwischen Interventions- und Kontrollgruppe in Bezug auf Klinik- aufenthalte. Das mittlere monatliche Einkommen der Interventionsgruppe stieg während EQOLISE deutlich Neuropsychiatr (2013) 27:196–201 DOI 10.1007/s40211-013-0085-3 Wie nachhaltig ist Supported Employment? Eine katamnestische Untersuchung Matthias Jäger · Svetlana Paras · Carlos Nordt · Ingeborg Warnke · Bettina Bärtsch · Wulf Rössler · Wolfram Kawohl PD Dr. med. W. Kawohl () · M. Jäger · C. Nordt · W. Rössler Universität Zürich, Militärstrasse 8, Postfach 1930, 8021 Zürich, Schweiz E-Mail: [email protected] M. Jäger · S. Paras · C. Nordt · I. Warnke · B. Bärtsch · PD Dr. med. W. Kawohl Zentrum für Soziale Psychiatrie, Psychiatrische Universitätsklinik, Zürich, Schweiz Eingegangen: 30. Juli 2013 / Angenommen: 28. August 2013 / Online publiziert: 24. Oktober 2013 © Springer-Verlag Wien 2013

Wie nachhaltig ist Supported Employment? Eine katamnestische Untersuchung; How sustainable is supported employment? A follow-up investigation;

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originalarbeit

196 1 3Wie nachhaltig ist Supported Employment? Eine katamnestische Untersuchung

an, war ab dem dritten Jahr wieder rückläufig und lag zum Katamnesezeitpunkt auf dem leicht angestiegenen Niveau der Kontrollgruppe.

Schlussfolgerungen Diese Untersuchung weist auf eine eingeschränkte Nachhaltigkeit von Supported Employment bei Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen in Bezug auf die Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses und die Einkommenssituation hin, wenn das Coaching nicht fortgesetzt wird.

Schlüsselwörter Supported employment  · Nachhaltig-keit · Follow-up · Schizophrenie

How sustainable is supported employment? A follow-up investigation

SummarySubject The largest European multicenter randomized controlled trial to date on the effectiveness of supported employment (EQOLISE) was conducted in six European centres until 2005. It revealed that the intervention “indi-vidual placement and support” was more effective than conventional prevocational training services. The aim of this investigation was to assess the Zurich sample (indi-viduals with schizophrenic, schizoaffective or bipolar disorders) 24 months after termination of the EQOLISE trial in terms of working situation, income, and hospital admissions. More favorable outcomes concerning these parameters were assumed for the intervention group.

Methods Assessment of the working situation and psychiatric hospitalizations since the end as well as the development of salaries since the start of EQOLISE. Com-parisons between groups and illustration of incomes using a random coefficient model were conducted.

Results 50 % of the original sample could be assessed. All subjects who worked in competitive workplaces at the end of EQOLISE were met in a different situation. No

ZusammenfassungFragestellung Die bisher grösste europäische multizent-rische randomisiert-kontrollierte Studie zur Wirksamkeit von Supported Employment (EQOLISE) wurde bis 2005 in sechs europäischen Städten durchgeführt und konnte einen höheren Vermittlungserfolg in den ersten Arbeits-markt bei Probanden der Interventionsgruppe gegen-über der Kontrollgruppe mit konventionellem „pre-vocational training“ nachweisen. Die vorliegende Studie hatte zum Ziel, die Arbeitssituation, den Einkommens-verlauf sowie die Klinikaufenthalte der Zürcher Stich-probe (Personen mit Schizophrenie, schizoaffektiver oder bipolarer Störung) 24 Monate nach Abschluss von EQOLISE erneut zu untersuchen. Es wurden nachhaltig positive Effekte auf die Zielparameter bei der Interventi-onsgruppe hypothetisiert.

Methoden Erhebung der Arbeitssituation und der Anzahl und Länge der Klinikaufenthalte seit Beendigung sowie des Einkommensverlaufs ab Beginn der EQOLISE-Studie. Gruppenvergleich und Darstellung des Einkom-mensverlaufs durch ein Multilevel-Modell.

Ergebnisse 50 % der ursprünglichen Stichprobe (N = 50) konnte untersucht werden. Alle Probanden, die am Ende der EQOLISE-Studie auf dem ersten Arbeits-markt tätig waren, wurden in einer anderen Situation angetroffen. Es zeigten sich keine Unterschiede zwischen Interventions- und Kontrollgruppe in Bezug auf Klinik-aufenthalte. Das mittlere monatliche Einkommen der Interventionsgruppe stieg während EQOLISE deutlich

Neuropsychiatr (2013) 27:196–201DOI 10.1007/s40211-013-0085-3

Wie nachhaltig ist Supported Employment? Eine katamnestische Untersuchung

Matthias Jäger · Svetlana Paras · Carlos Nordt · Ingeborg Warnke · Bettina Bärtsch · Wulf Rössler · Wolfram Kawohl

PD Dr. med. W. Kawohl () · M. Jäger · C. Nordt · W. RösslerUniversität Zürich, Militärstrasse 8, Postfach 1930,8021 Zürich, SchweizE-Mail: [email protected]

M. Jäger · S. Paras · C. Nordt · I. Warnke · B. Bärtsch · PD Dr. med. W. KawohlZentrum für Soziale Psychiatrie,Psychiatrische Universitätsklinik, Zürich, Schweiz

Eingegangen: 30. Juli 2013 / Angenommen: 28. August 2013 / Online publiziert: 24. Oktober 2013© Springer-Verlag Wien 2013

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originalarbeit

1971 3 Wie nachhaltig ist Supported Employment? Eine katamnestische Untersuchung

auf dem ersten Arbeitsmarkt, konnten diese länger hal-ten und arbeiteten mehr Stunden. Zudem wurde die Befürchtung, dass eine erhöhte Stressbelastung durch die Arbeit in einem kompetitiven Arbeitsumfeld zu mehr Rehospitalisation führen könnte, nicht bestätigt [5].

Diese Katamnesestudie untersucht zur Überprüfung der Nachhaltigkeit von Supported Employment einen Teil der Probanden der Zürcher Stichprobe (N = 50) rund zwei Jahre nach Abschluss der EQOLISE-Studie mit denselben Instrumenten in Hinblick auf die Kriterien Arbeitssituation, Klinikaufenthalte und Einkommens-verlauf. Es wurde hypothetisiert, dass in der Interven-tionsgruppe nachhaltig positive Effekte in Bezug auf die genannten Kriterien gezeigt werden können.

Methoden

Prozedere

Für die vorliegende katamnestische Studie wurde die Zürcher Stichprobe der EQOLISE-Studie 42 Monate nach der Ausgangserhebung T0 bzw. 24 Monate nach der letz-ten Erhebung T3 erneut untersucht. Alle 50 Probanden wurden angeschrieben, über Ziel und Vorgehen der Nachuntersuchung informiert und um Teilnahme gebe-ten. Zwei Wochen nach dem Anschreiben erfolgte eine telefonische Kontaktaufnahme mit mündlicher Aufklä-rung und ggf. Vereinbarung eines Interviewtermins. An diesem Termin wurde noch offenen Fragen geklärt, eine schriftliche Einverständniserklärung eingeholt und das Interview mit den bereits zuvor verwendeten Fragebö-gen durchgeführt. Die Studienteilnehmenden erhielten 30 Schweizer Franken Aufwandentschädigung. Einge-schlossen in die Untersuchung wurden ausschliesslich Personen, die bereits an der EQOLISE-Studie beteiligt waren. Die katamnestische Untersuchung wurde von der zuständigen Ethikkommission genehmigt.

Instrumente

Sämtliche verwendeten Instrumente kamen auch in der EQOLISE-Studie zum Einsatz. Zur Erfassung der sozio-demographischen Daten, des Einkommens sowie der bezogenen Versorgungsleistungen wurde das Client Sociodemographic and Service Receipt Inventory (CSSRI-EU) verwendet [7]. Das Instrument erfasst neben demographischen Variablen die Wohnsituation, Lebens-umstände, Einkommen, Inanspruchnahme von Versor-gungsleistungen sowie die Medikation in Bezug auf die letzten 3 Monate. Ergänzend wurde der Versorgungs-bedarf, insbesondere die Inanspruchnahme stationärer Behandlung über das Camberwell Assessment of Needs (CAN-EU) [8] evaluiert.

Die Arbeitssituation wurde über den Job-Preferences-Fragebogen [9] erfasst, der acht Fragen umfasst und die aktuelle Arbeitssituation der Probanden beinhaltet.

differences were found concerning hospital admissions. The mean monthly income considerably increased dur-ing EQOLISE and decreased during the third year. At the time of follow-up it was approximately at the same level as the slightly increased control group.

Conclusions This investigation points at limited sus-tainability of supported employment among individuals with severe mental disorders in terms of maintenance of employment and income if the job coaching is not continued.

Keywords Supported employment  · Sustainability  · Follow-up · Schizophrenia

Einleitung

SupportedEmployment ist ein international vielfach dis-kutiertes und evaluiertes Konzept zur Wiedereingliede-rung von Menschen mit psychischen oder physischen Behinderungen in den sogenannten allgemeinen oder ersten Arbeitsmarkt. Im Gegensatz zu traditionellen Ansätzen der Arbeitsrehabilitation („prevocational trai-ning“, „first train, then place“ bzw. Stufenleitermodell der Rehabilitation) werden die Arbeitnehmenden durch einen Job-Coach (im Folgenden sind stets die männliche bzw. weibliche Form mitgemeint) bei der Stellensuche und der anschliessenden Aufrechterhaltung des Arbeits-verhältnisses unterstützt („individual placement and support“, IPS). Der Job-Coach steht hierbei ohne zeitliche Befristung als Bezugsperson und Berater für den Arbeit-nehmenden wie auch als Ansprechperson für den Arbeit-geber zu Verfügung. Umfangreiche Studien aus den USA zeigten deutlich höhere Wiedereingliederungsraten als konventionelle Ansätze [1–3] sowie eine längere Dauer der Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses in der freien Wirtschaft bei Menschen mit psychischen Erkran-kungen [4]. Die bisher grösste europäische multizentri-sche randomisiert-kontrollierte Studie zur Wirksamkeit von Supported Employment (EQOLISE) wurde zwischen 2003 und 2005 in sechs europäischen Städten mit einer Probandenzahl von N = 312 durchgeführt [5]. Die Stich-probe setzte sich aus Personen mit Schizophrenie bzw. schizoaffektiver oder bipolarer Störung zusammen, die mindestens ein Jahr arbeitslos waren, wegen Symptomen oder Funktionseinschränkungen durch die psychotische Störung behandelt wurden und einen Wunsch nach Wie-dereingliederung in den ersten Arbeitsmarkt hatten. Bei der Interventionsgruppe wurde Supported Employment gemäss IPS-Protokoll durchgeführt [6]. Als Kontrollinter-vention wurde das jeweils qualitativ hochstehendste lokale „prevocational training“-Programm gewählt. Im Rahmen der EQOLISE-Studie wurde das Job-Coaching nach Studienabschluss nicht nahtlos fortgesetzt, jedoch bestand für alle Studienteilnehmer das Angebot, sich beim Supported Employment Programm der Psychiatri-schen Universitätsklinik Zürich zur weiteren Begleitung zu melden. Probanden in der Supported Employment-Gruppe erhielten in allen Zentren häufiger eine Stelle

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originalarbeit

198 1 3Wie nachhaltig ist Supported Employment? Eine katamnestische Untersuchung

Kontrollgruppe auf dem ersten Arbeitsmarkt. Fünf Per-sonen der Interventions- und drei der Kontrollgruppe hatten eine Beschäftigung auf dem zweiten Arbeits-markt bzw. in der Freiwilligenarbeit. Die Übrigen fünf bzw. sieben Probanden waren ohne Arbeit. Diese Vertei-lung zeigte keine signifikanten Unterschiede zwischen den Gruppen (Chi-Quadrat 0,995, df 2, p = 0,608). Von den 12 Probanden der Interventionsgruppe hatten bei Abschluss der EQOLISE-Studie 5 (42 %) auf dem ersten Arbeitsmarkt gearbeitet. Von den beiden zum Erhe-bungszeitpunkt auf dem ersten Arbeitsmarkt tätigen Probanden hatte eine Person bereits während der EQO-LISE-Studie in der freien Wirtschaft, jedoch auf einer anderen Stelle und die andere Person im geschützten Rahmen gearbeitet. Beide Personen hatten ihre aktuelle Stelle ohne Unterstützung des Job-Coachs gefunden. Von den anderen vier Personen, die bei Abschluss der EQOLISE-Studie in der freien Wirtschaft tätig gewesen waren, hatten drei selbst gekündigt und einer Person war gekündigt worden. Zwei dieser Probanden arbeiteten zum Zeitpunkt der Katamneseerhebung auf dem zwei-ten Arbeitsmarkt, eine Person war ohne Arbeit und eine als Hausfrau und Mutter von zwei Kindern tätig. Die drei Personen der Kontrollgruppe, die zum Katamnesezeit-punkt auf dem ersten Arbeitsmarkt beschäftigt waren, waren bei Abschluss der EQOLISE-Studie auf dem zwei-ten Arbeitsmarkt und in der Freiwilligenarbeit beschäf-tigt bzw. ohne Arbeit gewesen. Auch sonst war damals keine Person der Kontrollgruppe auf dem ersten Arbeits-markt angestellt gewesen. Tabelle 1 gibt einen Überblick über den Verlauf der Probanden beider Gruppen, die entweder bei Abschluss der EQOLISE-Studie und/oder zum Zeitpunkt der Katamneseerhebung auf dem ersten Arbeitsmarkt beschäftigt waren.

Klinikaufenthalte

Die mittlere Zahl der Klinikaufenthalte im Katam-nesezeitraum zwischen T3 und T4 bei der Interven-tionsgruppe lag bei 0,16 (SD 0,39), der Mittelwert der Hospitalisationstage lag bei 21,3 (SD 60,8). Die mittlere Zahl der Klinikaufenthalte bei der Kontrollgruppe lag bei 0,38 (SD 0,65), der Mittelwert der Hospitalisationstage lag bei 17,3 (SD 51,5). Diese Differenzen zeigten keine signifikanten Ergebnisse in der Testung.

Einkommensverlauf

Abbildung  1 zeigt den Verlauf des Gesamteinkommens der Probanden ab Studienbeginn T0 von EQOLISE bis zum Katamnesezeitpunkt nach 3,5 Jahren. Entsprechend dem initialen Vermittlungserfolg der Interventions-gruppe auf den ersten Arbeitsmarkt zeigt sich ein Anstieg des Einkommens, welches im Verlauf des dritten Jahres langsam wieder abfällt und zum Katamnesezeitpunkt T4 das Niveau der Kontrollgruppe erreicht, welches im glei-chen Zeitraum leicht angestiegen ist.

Statistische Auswertung

Die Auswertung der erhobenen Daten erfolgte unter Verwendung des Programms SPSS Statistics, Version 15 (SPPS Inc., Chicago, USA), die Einkommensent-wicklung mit SAS 9.3 (SAS Institute, Cary, USA).Neben deskriptiven Auswertungen im Katamnesezeitraum wur-den Gruppenunterschiede kategorialer Variablen mit Chi-Quadrat-Test und Mittelwertunterschiede stetiger normalverteilter Variablen mit T-Test überprüft. Der Ein-kommensverlauf pro Monat wurde auf der Datenbasis sämtlicher Erhebungszeitpunkte (T0 bis T3 von EQOLISE sowie Katamnesezeitpunkt T4) mittels eines Multilevel-Modells (random coefficient model) mit approximierten 95 %-Konfidenzintervallen berechnet [10]. Der Erhe-bungszeitpunkt T0 war bei Studienbeginn, T1 nach 6, T2 nach 12, T3 nach 18 und T4 nach 42 Monaten.

Ergebnisse

Stichprobe

Die Zürcher Stichprobe der EQOLISE Studie umfasste 50 Probanden, von denen jeweils 25 der Interventions- bzw. der Kontrollgruppe zugeteilt wurden. Im Verlauf der vier Erhebungen innerhalb 18 Monaten schieden sieben Probanden (14 %) aus der Studie aus (davon 5 aus der Interventions- und 2 aus der Kontrollgruppe). Für die Katamneseerhebung der vorliegenden Arbeit konn-ten insgesamt 25 Probanden (50 %) der ursprünglichen Stichprobe gewonnen werden (davon 12 aus der Inter-ventions- und 13 aus der Kontrollgruppe). Gründe für Nichtteilnahme waren: kein Interesse für die Teilnahme (N = 15), nicht auffindbar (N = 9), verstorben (N = 1). 42 % der Teilnehmenden sowie 75 % der Nichtteilnehmenden aus der Interventionsgruppe waren zum Zeitpunkt T3 auf dem ersten Arbeitsmarkt beschäftigt. Kein Proband der Kontrollgruppe war zum Zeitpunkt T3 auf den ersten Arbeitsmarkt beschäftigt.

Soziodemographische und klinische Variablen

Das Durchschnittsalter der Probanden betrug 43,4 Jahre bei der Interventions- und 44,2 Jahre bei der Kontroll-gruppe (Range 28 bis 55 Jahre). 36 % der Teilnehmenden waren weiblichen Geschlechts. Die mit 68 % häufigste Hauptdiagnose war Schizophrenie (ICD-10: F20), gefolgt von 20 % schizoaffektive Störung (ICD-10: F25) und 12 % bipolare Störung (ICD-10: F31).Die Interventionsgruppe unterschied sich in keiner dieser Variablen signifikant von der Kontrollgruppe.

Beschäftigungsstatus

Zum Zeitpunkt der Katamneseerhebung arbeiteten zwei Probanden der Interventions- und drei Probanden der

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1991 3 Wie nachhaltig ist Supported Employment? Eine katamnestische Untersuchung

markt, die sich die Probanden jeweils selbst arrangiert hatten. Bezüglich der Inanspruchnahme stationärer psychiatrischer Behandlung ergaben sich keine Unter-schiede zwischen den beiden Gruppen zwei Jahre nach Abschluss der EQOLISE-Studie. Die Einkom-mensentwicklung der Probanden in der Interventions-gruppe zeigt ähnlich zur veränderten Arbeitssituation der Probanden der Interventionsgruppe bis Mitte des zweiten Jahres einen deutlichen Anstieg, der jedoch im dritten Jahr wieder rückläufig ist und zum Katamne-sezeitpunkt nur leicht über dem Ausgangsniveau liegt. Das Einkommen der Probanden der Kontrollgruppe erfährt hingegen eine stetige Zunahme während des Untersuchungszeitraumes und liegt zum Katamne-sezeitpunkt schliesslich auf dem Niveau der mit IPS gecoachten Probanden. Die Hypothesen dieser kata-mnestischen Untersuchung müssen somit verworfen werden. Die Studienergebnisse weisen vielmehr darauf hin, dass sich Supported Employment zwar während des laufenden Programms, d. h. für den Zeitraum der Unterstützung durch den Job-Coach förderlich auf die Reintegration in den ersten Arbeitsmarkt auswirkt, die

Diskussion

Am Ende der EQOLISE-Studie hatten 44 % der Pro-banden der Interventionsgruppe und kein Proband der Kontrollgruppe in der freien Wirtschaft gearbei-tet. Zwei Jahre später zeigte sich ein anderes Bild. 17 % der Interventionsgruppe arbeiteten auf dem ersten Arbeitsmarkt, wobei diese Arbeitssituationen nicht direkt aus dem Supported Employment Programm hervorgegangen, sondern von den Arbeitnehmen-den selbst und ohne Unterstützung eines Job-Coachs organisiert worden waren. Die Frage, inwiefern die vorherige Begleitung durch das Job-Coaching die betreffenden Probanden zu diesem Schritt befähigt hat, muss hier offen bleiben. Sämtliche Probanden, die am Ende der EQOLISE-Studie auf den ersten Arbeits-markt vermittelt gewesen waren, wurden zwei Jahre später in einer neuen Situation angetroffen, meist auf dem zweiten Arbeitsmarkt oder ohne Arbeit. Aus der Kontrollgruppe hatten in der Katamneseuntersu-chung 23 % eine Anstellung auf dem ersten Arbeits-

Gruppe Proband Beschäftigung bei

Abschluss EQOLISE,

Zeitpunkt T3

Kündigung des Arbeits-

verhältnisses zwischen

T3 und T4 durch

Vermittlung der

neuen Stelle mit

Job-Coach?

Beschäftigung bei

Katamnese-Zeit-

punkt T4

Intervention 1 Erster AM Arbeitgeber Nein Erster AM

Intervention 2 Zweiter AM Proband Nein Erster AM

Intervention 3 Erster AM Proband Nein Zweiter AM

Intervention 4 Erster AM Proband – Ohne Arbeit

Intervention 5 Erster AM Proband – Hausarbeit/Mutter

Intervention 6 Erster AM Arbeitgeber Nein Zweiter AM

Kontrolle 1 Freiwilligenarbeit – Nein Erster AM

Kontrolle 2 Zweiter AM Proband Nein Erster AM

Kontrolle 3 Ohne Arbeit – Nein Erster AM

AM Arbeitsmarkt

Tab. 1 Verlauf der Arbeitssi-tuation zwischen Abschluss der EQOLISE-Studie (Zeit-punkt T3) und Katamnese-zeitpunkt T4 (dargestellt sind nur Probanden, die zu T3 und/oder T4 auf dem ersten Arbeitsmarkt angestellt waren; N = 9)

CH

F

Anzahl Jahre ab Studienbeginn EQOLISE

0

1000

2000

3000

4000

5000

6000

7000

8000

0 1 2 3

MW Kontrolle MW Intervention KI 95% KI 95%

Abb. 1 Einkommensent-wicklung ab Studienbeginn EQOLISE. (MW Mittelwert, KI Konfidenzintervall)

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originalarbeit

200 1 3Wie nachhaltig ist Supported Employment? Eine katamnestische Untersuchung

knapp die Hälfte auf dem ersten Arbeitsmarkt beschäf-tigt, bei den Nicht-teilnehmenden drei Viertel. Zudem war diese Untersuchung auf die Probanden eines ein-zelnen Zentrums der EQOLISE-Studie beschränkt und das Coaching war nur in Einzelfällen wie im IPS-Mo-dell vorgesehen fortgesetzt worden. Zusammen mit der geringen Probandenzahl bedingt dies die Notwendig-keit, die hier dargestellten Befunde mit Zurückhaltung als kritisch für den generellen Nutzen von Supported Employment zu interpretieren.

Zu den Limitationen bei der Methodik des Multilevel-Modells mit approximierten 95 %-Konfidenzintervallen gehört, dass wegen der fehlenden Varianzhomogeni-tät die Analysen für die Gruppen getrennt voneinander durchgeführt werden mussten. Diese Diskrepanz in der abhängigen Variablen war jedoch unvermeidbar, da nur für die Interventionsgruppe ein entscheidender Anstieg im Einkommen zu erwarten war. Zudem sind die approximierten Konfidenzintervalle sehr gross, was die Interpretierbarkeit der Mittelwerte der monatlichen Einkommen einschränkt.

Schlussfolgerungen

Die Überlegenheit von Supported Employment gegen-über anderen rehabilitativen Programmen auf den Ver-mittlungserfolg in den ersten Arbeitsmarkt ist gut belegt und konnte auch durch die EQOLISE-Studie gestützt werden. Diese katamnestische Untersuchung beinhaltet Hinweise auf eine fehlende Nachhaltigkeit der Interven-tion in Bezug auf die Aufrechterhaltung des Arbeits-verhältnisses und die Einkommenssituation, wenn das Coaching nicht über die Vermittlung auf einen Arbeits-platz hinaus fortgesetzt wird. Eine weitere flexible und bedarfsorientierte Fortsetzung über die Stellenvermitt-lung hinaus ohne zeitliche Limitierung könnte die Nach-haltigkeit massgeblich verbessern. Weitere Studien mit grösseren Probandenzahlen und einen höheren Mass an Operationalisierung potentieller Einflussfaktoren auf die Nachhaltigkeit von Supported Employment sind nötig, um diese Zusammenhänge besser zu verstehen.

InteressenkonfliktM. Jäger, S. Paras, C. Nordt, I. Warnke und W. Rössler geben an, dass kein Interessenskonflikt besteht.

W. Kawohl ist Leiter des Zentrums für Soziale Psychiat-rie der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psycho-somatik der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich, in dem ein Supported Employment Programm angeboten wird. Er ist Vorstandsmitglied eines Trägervereins einer Werkstätte für Menschen mit Beeinträchtigungen.

B. Bärtsch war Job Coach bei der EQOLISE Studie und ist heute Leiterin Supported Employment, Psychi-atrische Universitätsklinik Zürich, Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, Zentrum für Soziale Psychiatrie.

Anstellungen nach Beendigung des Programms aber nicht gehalten wurden. Ob dies in Zusammenhang mit der Beendigung der Begleitung durch den Job-Coach steht oder die Anstellung aus anderen Gründen been-det wurde, kann aus den vorliegenden Daten nicht beantwortet werden. Denkbar wäre auch eine beruf-liche oder persönliche Weiterentwicklung als Begrün-dung für den Wechsel der Anstellung, unabhängig vom Supported Employment. Die Überführung des im Rah-men der Studie befristeten Job-Coaching Angebots in das anschliessend eingeführte klinische Supported-Employment-Angebot könnte als Schwelle wahrge-nommen worden sein und zum Abbruch des Kontakts mit dem Job-Coach geführt haben. In der narrativen Dokumentation der katamnestischen Erhebung finden sich immer wieder Hinweise, dass sich die Probanden nach Beendigung der Studie nicht eigeninitiativ mit dem Job-Coach in Verbindung gesetzt hatten. Ein kon-tinuierlich fortgeführtes Job-Coaching hätte eher die kommenden Schwierigkeiten frühzeitig erkennen und bearbeiten lassen können. Die Kündigung der Stel-len auf dem ersten Arbeitsmarkt erfolgte teils durch die Arbeitgebenden, teils durch die Probanden selbst und lässt kein Muster erkennen. In den meisten Fällen war der Job-Coach zu diesem Zeitpunkt bereits nicht mehr involviert, in einem Einzelfall konnte er jedoch den Probanden unterstützen, eine Anstellung auf dem zweiten Arbeitsmarkt zu finden.

Kritische Bewertungen der Nachhaltigkeit von Supported Employment Programmen sind auch in der Literatur zu finden. So zeigt sich neben einem Vermittlungserfolg, der anderen arbeitsrehabilita-tiven Ansätzen überlegen ist, eine eingeschränkte Nachhaltigkeit durch kurze Beschäftigungsdauer mit rascher Kündigung durch Arbeitgeber oder Arbeitneh-mer [9, 11, 12]. Als mögliche Gründe hierfür werden neben psychischen Beschwerden und dysfunktiona-lem Verhalten die vermittelten Jobs selbst genannt, die oftmals auch bei nicht psychisch beeinträchtigten Arbeitnehmenden eine hohe Fluktuation in der perso-nellen Besetzung aufweisen [13]. Ein anderer Grund kann die Befürchtung der Arbeitnehmenden darstel-len, wegen der Arbeit auf dem ersten Arbeitsmarkt weniger Sozialleistungen zugesprochen zu bekommen [6]. Weiterhin können Gründe für die fehlende Nach-haltigkeit im Studiendesign zu finden sein, welches das Job-Coaching auf die Dauer der Evaluation des Modells begrenzt.

Limitationen

Als Limitation dieser katamnestischen Untersuchung ist die bei Längsschnittstudien bekannte hohe Drop-out-Rate zu nennen, die sich auf die Generalisierbarkeit der Ergebnisse auswirkt. Ein Drittel der Probanden, die die Primärstudie beendet hatten, waren nicht mehr zu einer Teilnahme an der Katamneseerhebung bereit. Von den Teilnehmenden war bei Ende der EQOLISE-Studie

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originalarbeit

2011 3 Wie nachhaltig ist Supported Employment? Eine katamnestische Untersuchung

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