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WIE TIEF UND MENSCHLICH - staatstheater.karlsruhe.de · von Eugène Scribe und Ernest Legouvé In italienischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln PREMIERE 1.4.17 GROSSES

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WIE TIEF UND MENSCHLICH

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ADRIANA LECOUVREUR Tragikomödie in vier Akten von Francesco CilèaLibretto von Arturo Colautti nach dem Schauspiel Adrienne Lecouvreur von Eugène Scribe und Ernest LegouvéIn italienischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

PREMIERE 1.4.17 GROSSES HAUSAufführungsdauer ca. 2 ¾ Stunden, eine PauseOriginalverlag: Casa Musicale Sonzogno di Piero Ostali, vertr. in Deutschland durch Musik und Bühne Verlagsgesellschaft mbH, Wiesbaden

WIE TIEF UNDMENSCHLICH

Moritz, Graf von Sachsen

Der Fürst von Bouillon

Der Abbé von Chazeuil

Michonnet,

JAMES EDGAR KNIGHT /RODRIGO PORRAS GARULO a. G. Ks. KONSTANTIN GORNY / AVTANDIL KASPELIJOSHUA LINDSAY a. G. / Ks. KLAUS SCHNEIDER SEUNG-GI JUNG / JACO VENTER

Spielleiter der Comédie-FrançaiseAdriana Lecouvreur, Schauspielerin KATHERINE BRODERICK /

Ks. BARBARA DOBRZANSKADie Fürstin von Bouillon SANJA ANASTASIA a. G. /

FREDRIKA BRILLEMBOURG a. G. Mademoiselle Jouvenot KS. TINY PETERS / AGNIESZKA TOMASZEWSKA Mademoiselle Dangeville ARIANA LUCAS a. G. / KRISTINA STANEKPoisson CAMERON BECKER / NANDO ZICKGRAF a. G.Quinault HAKAN ÇIFTÇIOĞLU* / YANG XU

Doppelbesetzungen in alphabetischer Reihenfolge * Opernstudio

Musikalische Leitung JOHANNES WILLIGNachdirigat DANIELE SQUEO Regie KATHARINA THOMABühne DIRK BECKERKostüme IRINA BARTELSLicht STEFAN WOINKEChor ULRICH WAGNERChoreografie HÉLÈNE VERRY Dramaturgie BORIS KEHRMANN

BADISCHE STAATSKAPELLE, BADISCHER STAATSOPERNCHOR & STATISTERIE DES BADISCHEN STAATSTHEATERS

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UND DIE KOMÖDIE WIRD ZUR TRAGODIE

Regieassistenz & Abendspielleitung BENJAMIN CORTEZ Musikalische Assistenz & Einstudierung ALISON LUZ, JULIA SIMONYAN, MIHO UCHIDA Studienleitung STEVEN MOORE Choreinstudierung MARIUS ZACHMANN Bühnenbildassistenz ERIKA HOPPE Kostümassistenz ADÈLE LAVILLAUROY, MARA WEDEKIND Übertitel PASCAL PAUL-HARANG Soufflage ANGELIKA PFAU Inspizienz GABRIELLA MURARO Leitung der Statisterie OLIVER REICHENBACHER Regiehospitanz ANNA PLUMMER

Technische Direktion HARALD FASSLRINNER, RALF HASLINGER Bühneninspektor RUDOLF BILFINGER Bühne RUDOLF BILFINGER, HELGA GMEINER Leiter der Beleuchtungsabteilung STEFAN WOINKE Leiter Ton- und Videotechnik STEFAN RAEBEL Ton / Video HUBERT BUBSER, JAN PALLMER Leiter der Requisite WOLFGANG FEGER Werkstättenleiter GUIDO SCHNEITZ Malsaalvorstand GIUSEPPE VIVA Leiter der Theaterplastiker LADISLAUS ZABAN Schreinerei ROUVEN BITSCH Schlosserei MARIO WEIMAR Polster- und Dekoabteilung UTE WIENBERG

Kostümdirektorin CHRISTINE HALLER Gewandmeister/-in Herren PETRA ANNETTE SCHREIBER, ROBERT HARTER Gewandmeisterinnen Damen TATJANA GRAF, KARIN WÖRNER, ANNETTE GROPP Waffenmeister MICHAEL PAOLONE, HARALD HEUSINGER Schuhmacherei THOMAS MAHLER, NICOLE EYSSELE, VALENTIN KAUFMANN Modisterei DIANA FERRARA, BRITTA HILDEBRANDT Kostümbearbeitung ANDREA MEINKÖHN Chefmaskenbildner RAIMUND OSTERTAG Maske SABINE BOTT, LAURA FELDMANN, KARIN GRÜN, FREYA KAUFMANN, NIKLAS KLAIBER, MARION KLEINBUB, MELANIE LANGENSTEIN, CAROLIN MASKE, PETRA MÜLLER, INKEN NAGEL, SOTIRIOS NOUTSOS, KERSTIN WIESELER

WIR DANKENder Privatbrauerei Hoepfner GmbH für die Unterstützung der Premierenfeier.

Wir machen darauf aufmerksam, dass Ton- und/oder Bildaufnahmen unserer Aufführungen durch jede Art elektronischer Geräte strikt untersagt sind.

3Ks. Tiny Peters, Kristina Stanek

UND DIE KOMÖDIEWIRD ZUR TRAGODIE

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ZUM INHALT

1. Akt

Hektisches Treiben hinter der Bühne. Heu-te treten Adriana Lecouvreur und Marie-Anne Duclos erstmals zusammen auf. Der Fürst von Bouillon, Sponsor des Hauses, plant ein Schäferstündchen mit der Duclos. Der Regisseur Michonnet macht Adriana einen versteckten Heiratsantrag, doch sie liebt Maurizio. Der Fürst fängt einen Brief der Duclos ab, den seine Frau an Maurizio richtet. Darin bittet die Fürstin den Gelieb-ten zu einer Unterredung. Der Fürst wittert Verrat seiner Mätresse und will sich rä-chen. Maurizio verlässt die Vorstellung. Es geht um seine politische Zukunft. Der Fürst lädt die Schauspieler zu einem Fest.

2. Akt

Am selben Abend erwartet die Fürstin Maurizio ungeduldig. Dieser erscheint und gesteht, daß er sie nicht mehr liebt. Sie werden vom Fürsten überrascht. Die Fürstin versteckt sich. Adriana wird dem Grafen von Sachsen vorgestellt und ent-deckt, wer ihr Geliebter wirklich ist. Sie verspricht ihm, seiner Gönnerin unerkannt zur Flucht zu verhelfen und gibt der Fürstin

den Schlüssel für die Hintertür. Die Frauen können sich im Dunkeln nicht erkennen, merken aber, dass sie Rivalinnen sind. Be-vor ihr Mann zurückkommt, kann die Fürs-tin entwischen. Sie vergisst ihr Armband.

3. Akt

Opernball unter der Schirmherrschaft des Fürstenpaares. Unter den Ehrengästen sind auch Adriana und Maurizio. Seit jener Nacht ist die Fürstin besessen von der Frage, wer ihr ihre große Liebe streitig macht. Als ihr Adriana vorgestellt wird, schöpft sie Ver-dacht und demütigt die Rivalin. Diese rächt sich, indem sie den Monolog der Phädra so spielt, dass die Fürstin bloßgestellt wird.

4. Akt

Jahre später im Hause Adrianas. Die Schauspielerin hat sich von der Bühne ver-abschiedet. Sie hängt ihrer enttäuschten Liebe und vergangenen Karriere nach. Mi-chonnet versucht, sie zu einem Comeback zu überreden. Ihre Kollegen feiern ihren Geburtstag. Adriana findet einen Veilchen-strauß. Sie erträgt die Erinnerungen nicht mehr und beschließt zu sterben.

LA DIVINA

5Ks. Barbara Dobrzanska

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Katharina Thoma im Gespräch mit Boris Kehrmann

Worin besteht die Herausforderung, Adri-ana Lecouvreur zu inszenieren?

Sie besteht bei veristischen Opern generell darin, dass sie sich nicht von vorneherein abstrahieren und verallgemeinern lassen. Man muss zunächst dicht am Text arbei-ten. Danach kann man sich auch Freiheiten nehmen. Bei Adriana Lecouvreur gilt dies besonders, weil sie in einem Parlandostil geschrieben ist, wo die Figuren Sätze oft nur antippen, die ein anderer vollendet oder nicht mal das. Vielleicht haben Cilèas Zeitgenossen das unmittelbar verstanden, für mich war da viel Entschlüsselungs-arbeit notwendig. Das war auch bei den Proben zu beobachten. Ich musste den Sängern oft erklären, was ein Satz meint und an wen er gerade gerichtet ist. Daraus entstand dann eine sehr lebendige Büh-nenkonversation. Bei Mozart oder Händel

kann man viel stärker in Subtexte oder Abstraktionen gehen. Im Verismo muss man sich wirklich um den Text kümmern.

Deine Inszenierung spiegelt die Buffa-Elemente, die in der Musik angelegt sind.

Wenn ich sehe, wie die Figuren sich die Bälle zuspielen und wie schnell das geht, entstehen Bilder und Situationen. Manches entwickelt sich auf der Probe, aber bei Adriana war es wichtig, genau Bescheid zu wissen, weil die Situationen so vielschichtig ist. Die Figuren sind sehr aktiv, jeder verfolgt sein eigenes kleines Ding, sie leben auf der Bühne, auf der Seitenbühne, wo auch immer. Das ist wie eine mehrstimmige Fuge, da muss man jeden Charakter durchdenken: Was hat er gesagt? Wann spricht er wieder? Mit wem ist er dann zusammen? Man darf sie nicht aus den Augen verlieren.

Adriana Lecouvreur wurde bisher aber als

ZUR INSZENIERUNG

WICHTIGE

LEBENS-INHALTE

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Melodram oder Tragödie rezipiert.

Es ist ja auch sehr tragisch und es ist wun-derbar, dass beides darin enthalten ist. Dadurch hat man eine enorme Fallhöhe. Wenn wir uns den Schluss ansehen, ist es immer sehr ergreifend, weil wir vorher herzlich gelacht haben. Das erweitert das Empfindungsspektrum des Zuschauers. Die Schwierigkeit bei den Komödienantei-len des Stückes ist, dass es wirklich lustig wird. Man muss eine eigene Art von Humor finden. Vielleicht ist er heute auch ein bis-chen anders als vor 115 Jahren.

Die Musik geht bis ins Operettenhafte. Es kommt mir vor, als hätten wir das erstmals entdeckt.

Ich bin vor der Rezeptionsgeschichte des Stücks eher geflohen. Die meisten frühe-ren Inszenierungen sind historisch, auf‘s Rokoko bezogen. Das interessiert mich weniger. Wenn ich eine Künstlerin, wenn ich Konflikte einer Künstlerexistenz und des Theaterlebens zeigen möchte, muss ich doch die Leute nehmen, die mir Tag für Tag begegnen. Diese Leute und Themen sind durchaus interessant und ich würde mir viel nehmen, wenn ich sie historisch inszenieren würde. Der historische Kon-text aber gibt viel von diesem Melodra-matischen vor. Wenn man sich fragt, was sind das für Menschen? Kommen sie mir irgendwie bekannt vor? Haben sie Proble-me, die ich vielleicht auch habe oder die ich um mich herum sehe? Dann wird das Ganze lebendig. Insofern war der Zugriff auf das Operettenhafte naheliegend, und auch die Darsteller haben das sofort auf-gegriffen und spielen damit. So wurde es flockig, unterhaltsam und macht viel Spaß.

Du sagst, Verismo sei etwas, wo man sich

erstmal klar an den Text halten muss …

Das sage ich nicht. Ich sage, man muss den Text erstmal ganz genau verstehen. Und dann kann man schauen, wie komme ich weiter? Wo muss ich dichter am Text bleiben, wo kann ich mir Freiheiten neh-men? Bei Adriana kommt hinzu, dass das Stück den meisten Zuschauern unbekannt sein wird und dass die Handlung extrem verworren ist. Wenn man das alles über Bord schmeißt, hat man nicht mehr viel in der Hand. Also musste ich in die andere Richtung gehen und es so erzählen, dass das Publikum versteht, worum es geht, und sich darauf einlässt. Dann kann ich eine Richtung wählen, die mir persönlich glaubwürdiger erscheint und die mehr das erzählt, was ich wirklich wichtig finde in dem Stück.

Du nimmst einen gravierenden Eingriff vor.

Tue ich das? Ich glaube, da ist das Libretto nicht nur seiner Zeit verhaftet, sondern einer noch viel älteren Zeit. Es wird hane-büchen, wenn ich erzähle, dass die Fürstin ihrer Rivalin vergiftete Veilchen ins Haus schickt und sie daran riecht und stirbt.

Aber sowas lieben wir doch?

Nein, da kenne ich genug Leute, die sagen: Um Gottes willen, was für eine Schmon-zette! Das habe ich auch gedacht. Aber dann habe ich mich gefragt: Wie ist das eigentlich? Eine Frau wurde von ihrem Geliebten verlassen. Ihre Gedanken krei-sen nur um diese Liebe. Außerdem hat sie ihre Kunst aufgegeben, aus welchen Gründen auch immer. Liebeskummer ist den meisten Menschen wiederfahren, man weiß, wie sich das anfühlt. Aber wir, die wir am Theater arbeiten, können er-

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messen, was es bedeutet, die Kunst nicht mehr auszuüben. Das ist für die meisten von uns ein zentraler Lebensinhalt. Damit war ich schnell bei dem Thema von altern-den Künstlern, die irgendwann ihren Beruf nicht mehr ausüben können und merken, sie werden immer weniger gefragt oder nicht verlängert und dann ist ihnen ein zentraler Teil ihres Lebens genommen. Das fand ich ebenso tragisch, wenn nicht tragi-scher als die Liebesgeschichte. Und diese Tragik ist auch in der Musik. Eigentlich habe ich einen Inhalt gefunden, der dieser Dimension gleichkommt, die ich höre. In-sofern ist es eine Tragik des Abschieds so-wohl von der Liebe als auch von der Kunst und von dem, was das Leben für einen Künstler im Wesentlichen bedeutet. Und verschiedene Textstellen im 4. Akt geben mir die Legitimation zu sagen, Adriana hat sich dafür entschieden, nicht mehr weiter-zuleben, weil das Leben leer geworden ist wie eine tiefe Depression.

Ist das auch für das Publikum interessant?

Ich glaube ja. Als ich Freunden davon erzählt habe, kam mir viel Interesse und Anteilnahme entgegen. Viele kennen die Filme über die Casa Verdi, das Altersheim für alte Sänger in Mailand. Ich will das nicht auf die Bühne bringen, aber die Leu-te haben diese alten Sänger vor Augen, die von ihrer Karriere erzählen, Erinnerungs-stücke, Kostüme, Requisiten aufbewahren, immer noch ihre Arien singen und in einer vergangenen Zeit leben. Cilèa hat übrigens seine Tantièmen der Casa Verdi vermacht. Bis 2020 fließen sie der Stiftung zu, auch die aus unserer Aufführung. Es geht also nicht nur um die Liebe, die sicher viele Leute ansprechen wird, sondern auch um andere wichtige Lebensinhalte. Wenn man Adriana im ersten Teil in ihrer Kunst erlebt

und dann den Bruch in ihrer Karriere sieht, ist das berührend und wird vielen Leuten nahegehen.

Du begreifst das Künstlerschicksal also als Paradigma? Kriegst Du am Schluss auch rote Augen?

Ich kriege selten rote Augen. Das passiert so gut wie nie, und wenn ich inszeniere, schon gar nicht. Da bin ich viel zu sehr am Basteln, Bewerten, Draufgucken. Man ist gut beraten, auf Distanz zu gehen. Ich bemerke allerdings die beglückenden Mo-mente, wenn eine Geste oder ein Vorgang besonders gut mit der Musik zusammen-geht und der Zuschauer davon geradezu eingesogen wird. Bei diesem Stück haben wir dafür großes Potenzial.

Exemplarisch ist das im Intermezzo sinfo-nico des 2. Akts geglückt.

Da habe ich anderthalb Minuten Zwi-schenspiel. Das kann mühsam sein, aber auch ein Fest für den Regisseur. Da sind zwei Frauen. Die eine weiß, dass die ande-re in dem Raum ist und es ist ihr suspekt. Es gibt irgendeine Verbindung zu dem Mann, den sie selbst liebt. Die andere Frau sitzt drinnen und weiß nicht, wie sie entkommen kann. Außerdem ist sie enttäuscht, denn sie hat schon mehr oder weniger eine Absage von Maurizio erhal-ten und fragt sich, wie geht es weiter? Das ist hoch spannend. Und dieses Unter-schwellige, die Erwartungen zu zeigen und dazu diese Musik zu haben, ist eine tolle Aufgabe für einen Regisseur.

Welches Fazit ziehst Du?

Ich würde sagen, die Arbeit hat sich ge-lohnt.

9Fredrika Brillembourg

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Adrienne Couvreur

Adrienne Couvreur wurde 1692 als Tochter einer Wäscherin und eines ständig betrun-kenen Hutmachers im Nordosten Frank-reichs geboren. Ihre Erziehung erhielt sie an einem wohltätigen Pariser Nonnenstift, dem sie zum Dank in ihrem Testament 1.000 Livres vermachte. Mit 13 Jahren verkörper-te sie Pauline in Corneilles Märtyrerdrama Polyeucte. Theaterspielen gehörte seit dem Mittelalter zum Lehrplan höherer Schulen. Die Jugendlichen lernten so außer Spra-chen, Geschichte, Literatur und Redewen-dungen selbstsicheres Auftreten und freies Sprechen. Die Aufführung fand im Palais der Präsidentin Du Gué, einer Gönnerin des Stifts, statt. Hier wurde Adrienne von François Le Grand, einem Schauspieler der Comédie-Française entdeckt. Er gab ihr Sprech- und Schauspielunterricht, empfahl sie einer Prinzipalin in Lille, wo Adrienne mit 15 Jahren unter dem Künstlernamen Le Couvreur auf dem Berufstheater debütierte, und ist das Vorbild für Michonnet. Weitere Stationen ihrer Karriere waren Nancy, die

Truppe des Herzogs von Lothringen in Lu-néville und Straßburg. In Straßburg kam Le Couvreur mit der Schauspielerdynastie Qui-nault in Berührung. Sie übte großen Einfluss an der Comédie-Française aus. Einer ihrer Abkömmlinge tritt in der Oper auf. Auch alle anderen genannten SchauspielerInnen sind historisch. Philippe Poisson schrieb 1723 eine Parodie auf Le Couvreur.

Adrienne revolutionierte ab 1717 den Stil der Comédie-Française. Sie ersetzte die „singende“ Deklamation des Alexandriners durch einen natürlicheren Sprechton, der zugleich vornehm, harmonisch und ein-fach war. Außerdem war sie die Erste, die zeitgenössisches Kostüm auf der Bühne trug. Zwar wurden damals alle Helden von der Antike bis zur Gegenwart in barocken Fantasiekostümen gespielt. Adrienne aber zog als Königin Elisabeth I. von England in Corneilles Comte d’Essex das aktuelle Hofkleid Königin Leszczinskas in Versailles an und gab damit ein unerhörtes interpre-tatorisches Statement ab. Ihre zahlreichen Briefe zeigen schon die Zwanzigjährige

ZUM STÜCK

EINE FREIE

FRAU

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als menschlich wie künstlerisch frühreife Persönlichkeit. Sie sind völlig unaffektiert, geistig unabhängig, heiter und von ho-hem Ernst. Ihre imponierende Mischung aus Intelligenz, Großzügigkeit, Empathie, psychologischem Scharfsinn und Frische lässt uns noch 300 Jahre später verstehen, warum Le Couvreur zum gefeiertsten Star Frankreichs seit der Champmeslé Ende des 17. Jahrhunderts aufstieg. Ihr Ruhm führte sie auch an den Hof. Ihre vorletzte Vorstel-lung vor ihrem Tod am 20. März 1730 gab sie in Versailles. Königin Leszczinska, die Frau Ludwigs XV., schenkte ihr jenes Diaman-tencollier, das sie in der Oper versetzt, um Maurizios Schulden zu begleichen.

Le Couvreur war nie verheiratet, unterhielt aber Beziehungen zu wechselnden Män-nern aus Bürgertum, Adel und Hochadel. Aus ihnen gingen mit 18 und 24 Jahren zwei uneheliche Töchter hervor. Der Vater der ersten starb, bevor sie ihn heiraten konnte, dem der zweiten untersagte seine adlige Familie die Ehe mit einer „Komödiantin“.

Am berühmtesten sind Le Couvreurs Affären mit Moritz von Sachsen, einem illegitimen Sohn Augusts des Starken, und Voltaire, der ihr schon 1714 eine Verserzäh-lung widmete. Moritz, vier Jahre jünger als Adrienne, war verheiratet, lebte aber von seiner Frau getrennt. Sein hinreißendes Aussehen, seine blauen Augen, sein un-widerstehliches Lächeln und sein unstill-barer sexueller Appetit machten ihn zum Herzensbrecher von ganz Paris. Die kur-ländischen Stände wählten ihn 1725 gegen den Willen Russlands und Polens, die den Einfluss Sachsens an ihren Grenzen nicht wachsen sehen wollten, zum Herzog. Ein russisches Bataillon marschierte in Kurland ein. Moritz, in elf Schlachten erprobt, ver-suchte, sein Herzogtum mit Waffengewalt

zu verteidigen. Adrienne unterstützte die Aufstellung eines Bataillons mit 40.000 Livres, die sie aus dem Verkauf ihres Tafel-silbers erlöste. Ihre Affäre, leidenschaftlich auf ihrer Seite, galant und nichts weniger als exklusiv auf seiner, bestand zehn Jah-re neben der mit Voltaire. „Ich denke an nichts anderes, als an Sie“, schrieb sie. „Nichts gleicht meiner Zärtlichkeit und Verehrung für Sie, die täglich wächst und sich zu einer echten Leidenschaft ent-wickeln könnte“, dämpfte er. Der Marquis d’Argenson schätzte das Verhältnis wohl richtig ein: „Es scheint, als irrte dieser ru-helose Fürst durch die Länder Europas wie durch die Liebe, ohne irgendwo Wurzeln zu schlagen. Er vagabundiert durch Adriennes Leben, verlässt sie, verliebt sich wieder, kehrt heute zurück, um morgen noch wei-ter weg zu laufen. Und dennoch verzehrt sich diese arme Seele immer noch nach ihm.“ Moritz hatte offenbar nichts als sein Projekt, seine „gloire“ im Kopf. Insofern treffen die Autoren unserer Oper den Nagel auf den Kopf, wenn sie Maurizio in seiner ersten Arie merkwürdige Sätze an die Ge-liebte richten lassen: „Du bist schön wie die Regimentsfahne im Pulverdampf der hitzigen Schlacht. Du erfüllst mein Herz mit Begeisterung wie die Aussicht auf Ruhm.“ Und zwar im doppelten pianissimo, also eher mit mulmigem Gefühl, als triumphal. Frühreif, klarblickend, verzeihend auch in eigener Sache, resignierte die historische Adrienne schon Mitte dreißig an der Liebe und ihren gesellschaftlichen Verpflich-tungen. Ihre Briefe sind eine erstaunlich moderne, illusionslose Bestandsaufnahme dessen, was es heißt, ein Star zu sein. Die Melancholie des Alters legte sich vorzeitig auf die Schauspielerin. Als sie 1730 starb, wachten ihre beiden Liebhaber Moritz und Voltaire gemeinsam an ihrem Sterbebett. Wie in der Oper.

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Le Couvreur starb eines natürlichen Todes. Da sie ihre Schwindsucht verheimlicht hat-te, traf er ihre Verehrer unvorbereitet. Das gab dem Gerücht eines Giftmordes Auf-trieb. Hinzu kam ein Skandal, den Voltaire publik machte. Der Bischof von Paris hatte einen Trauergottesdienst mit kirchlichem Begräbnis an die Bedingung geknüpft, dass der Star seiner Kunst öffentlich und werbe-wirksam als Sünde abschwöre. Die fromme Freidenkerin ließ sich in einem dramati-schen Ringen neun Monate bis zu ihrem Tod nicht klein kriegen. So wurde sie von ihren engsten Freunden heimlich und ohne Sarg an einem geheimen Ort verscharrt. Die Hast der Beerdigung öffnete Verschwörungs-theorien Tür und Tor. Voltaire goss Öl ins Feuer. Er instrumentalisierte Le Couvreurs Tod, um Frankreichs Steinzeitkatholizismus an den Pranger zu stellen und für die Ein-führung einer liberalen Kirchenverfassung nach englischem Vorbild zu werben.

Als Auftraggeberin des Mordes geriet schon neun Monate vor Adriennes Tod Louise-Henriette-Françoise de Lorraine ins Visier. Ein mittelloser Abbé, Simon Mouret, Vorbild unseres Abbate de Chazeuil, hatte das Gerücht in die Welt gesetzt, als er sie anzeigte und wegen Verleumdung ins Gefängnis geworfen wurde. Françoise, 15 Jahre jünger als Adrienne, war mit 18 an den dreimal so alten Herzog von Bouillon verheiratet worden und soll sich unglück-lich in Moritz von Sachsen verliebt haben. Die einflussreiche Familie tat alles, um den Abbé mundtot zu machen. Die Nachricht verbreitete sich dennoch wie ein Lauffeuer und flammte erneut auf, als Adrienne wirk-lich starb. Dass man sie hastig verscharrte, schien zu beweisen, dass interessierte Kreise eine Autopsie verhindern wollten. Laut Voltaire, der das Gerücht für Unsinn erklärte, hat sie trotzdem stattgefunden

und keinerlei Anzeichen einer Vergiftung ergeben. Mouret wurde zwei Jahre einge-sperrt, bis er seine Anschuldigung zurück-zog und aussagte, er habe die Geschichte des Mordauftrags erfunden, um einen Vor-wand zu haben, sich der Schauspielerin zu nähern. Eine klassische Stalker-Story. Die Adrienne nahe stehende Mlle. Aïssé war je-doch fest von dem Mord überzeugt. In ihren Briefen kann man die Gerüchte nachlesen. Sie berichtet u. a. von einer Vorstellung in der Comédie-Française, in der Adrienne die Phädra-Verse von den Verbrecherinnen, die niemals erröten, direkt an die Loge der Herzogin richtete, um sich für den Mordan-schlag ihrer Rivalin um Moritz’ Gunst zu rä-chen. Seltsam nur, dass in zeitgenössischen Zeitungen, Nachrufen und Erinnerungen nirgends sonst davon die Rede ist.

Scribe & Legouvé

1787 erschienen diese Briefe mit Anmer-kungen Voltaires. Sainte-Beuve gab sie 1846 neu heraus. Ihnen entnahmen die Berufsdramatiker Eugène Scribe und Ernest Legouvé den Stoff für ihr Schauspiel, das der aktuelle Star der Comédie, Rachel, bei ihnen in Auftrag gab. Es war nicht das erste Theaterstück über die berühmte Schau-spielerin, ihre Liebe zu Moritz von Sachsen und den mysteriösen Giftmord. Élisabeth Rachel Félix jedoch war ihrer berühmten Vorgängerin in vielem auf gespenstische Weise ähnlich. Auch sie wurde 1821 in prekären Verhältnissen geboren. Schon als Kind trug die Analphabetin mit Straßen-gesang und -tanz zum Auskommen ihrer Familie bei. Förderer ermöglichten ihr in Paris eine rudimentäre Ausbildung in Lesen, Schreiben und dialektfreier Aussprache. 1837 debütierte sie auf dem Berufstheater und nahm den Künstlernamen Rachel an, um stolz und kämpferisch gegen den schon

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damals grassierenden Antisemitismus ihre jüdische Herkunft hervorzukehren. Samson, ein Schauspieler der Comédie-Française, nahm sie unter seine Fittiche. Ein Jahr spä-ter machte sie dort mit denselben Klassi-kerrollen, in denen Adrienne brilliert hatte, Furore. Die Abendeinnahmen schossen innerhalb von 14 Tagen um das Siebenfache in die Höhe. Rachel wurde wie Le Couvreur dafür gefeiert, dass sie die erstarrte Klas-sikersprache wieder zu natürlichem Leben erweckte. Sie unternahm Tourneen durch ganz Europa, trat privat und öffentlich vor Zar Alexander I., Friedrich Wilhelm IV. von Preußen und anderen gekrönten Häuptern auf, die sie fürstlich beschenkten.

Ihr Liebesleben war ebenso bewegt wie das ihrer Vorgängerin. Zu ihren prominen-testen Affären gehörten der Dichter Alfred de Musset und Napoleon III. Ihre beiden unehelichen Söhne entstammten Bezie-hungen zu dem Sohn eines napoleonischen Marschalls sowie zu einem illegitimen Sohn Napoleons I. Obwohl sie nicht wissen konnte, dass sie sogar im selben Alter wie Adrienne sterben würde, lag es also nahe, bei den beiden erfolgreichsten Autoren der Zeit ein auf sie zugeschnittenes Stück über ihre große Vorgängerin zu bestellen. Mit ihm wollte die 28-Jährige ihren Fach-wechsel von der klassischen Verstragödie zum zeitgenössischen Konversationsstück vollziehen. Da Rachel die Entstehung über-wachte, enthält es autobiografische Züge. Das trug zu seinem Sensationserfolg bei. Es bot außer der atemberaubenden Handlung eine pikante Schlüssellochperspektive. Gleichzeitig führt es einen Diskurs über die Schauspielkunst, der Rachel Gelegenheit gab, ihre Ästhetik von der Bühne herab zu verkünden. Adriennes Rivalin, Marie-Anne Duclos (1670–1748), eine gescheiterte Opernsängerin, wird historisch korrekt als

Vertreterin überholter Vorstellungen, dem sinnlos gewordenen Singsang und heraus geschrienen falschen „Gefühl“, eingeführt. Auch die Fürstin reflektiert bei Scribe über die Schwierigkeit „natürlichen“ Sprechens.

Ein weiterer Grund für den Riesenerfolg von Adrienne Lecouvreur bestand darin, dass man sich hemmungslos mit den Figuren identifizieren konnte. Das tat zu allererst Rachel selbst, die über ihre berühmte Sterbeszene, bei der man die historischen Giftpillen durch den vergifteten Veilchen-strauß raffiniert ersetzte, berichtet: „Ich weinte nicht über Adrienne, sondern über mich selbst. […] Plötzlich überkam mich eine Ahnung, dass ich jung sterben würde wie sie. Es war mir, als säße ich in meiner eigenen Todesstunde in meinem eigenen Zimmer, und bei dem Ausbruch ,Lebt wohl, ihr Bühnentriumphe, leb wohl, Rausch einer Kunst, die ich so sehr geliebt habe’ weinte ich wirklich. Mich packte Verzweiflung, dass die Zeit alles, was einmal mein Talent gewesen war, spurlos verschwinden und dass schon bald niemand mehr wissen würde, wer oder was ‚Die Rachel’ einmal bedeutet hatte.“ Magda Olivero erzählt, Cilèa habe ihr kurz vor seinem Tod gestan-den, diese Worte hätten ihm die Musik zum Finale der Oper eingegeben.

Als Adrienne Lecouvreur fertig war, bekam die Auftraggeberin Angst vor dem Stück. Laut Legouvé schreckte sie vor dem Schritt von den gewohnten Alexandrinern, die ihr Halt gaben, zum Konversationsstück in Pro-sa zurück, in dem sie neue Mittel erproben musste, um das Publikum zu fesseln. Sechs Monate später hatte sie sich damit ange-freundet und stimmte der Uraufführung am 14. April 1849 an der Comédie-Française zu, die aufgrund des politischen Umschwungs nun für kurze Zeit Théâtre de la République

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15Cameron Becker, Yang Xu, Kristina Stanek, Statisterie

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hieß. Das Publikum feierte die sterbende Heldin, die Kritik erklärte den Abend ge-meinsam mit Meyerbeers zwei Tage später uraufgeführtem Propheten und Halévys Le val d’Andorre zur ersten künstlerischen Frucht der jungen Republik. Dem Bürgertum dürfte aber auch gefallen haben, dass der Adel als untergehende Kaste dargestellt wurde, während die bürgerliche Aufsteige-rin moralisch siegt. Gleichzeitig konnte man im Luxus von einst schwelgen, den man heimlich ersehnte, wie man ihn öffentlich verdammte. Der Erfolg war so groß, dass die Folies Dramatiques einen Monat später eine Parodie herausbrachten. Sie stammt von Marc Le Prevost und heißt Adrienne Lacouvreuse – Adrienne, die Dachdecke-rin.

Louis Schneider, ein Dichterkollege des jungen Theodor Fontane, schilderte die Inszenierung kurz nach der Uraufführung: „Von allen Dramen, in denen ich die Rachel in Paris habe auftreten sehen, zeichnete sich durch wirklich gelungenes Zusammen-spiel nur die Adrienne Lecouvreur von Scri-be und Legouvé vorteilhaft aus. Im letzten Akt stellt der Doppelautor der Künstlerin die heillos unästhetische Aufgabe, durch das Riechen an einem mit Strychnin vergifteten Bouquet in langsamer Krampfesqual dahin-zusterben. Der Bravouractrice war hiermit aber nur der schickliche Anlass zur Entfal-tung ihres ganzen übermächtigen, ja dämo-nischen Talentes geboten. Die Rolle ist mit allem, was die Passion aufstachelt, derma-ßen gepfeffert, dass man, selbst wenn man im Ganzen einer besseren Gefühls- und Ge-schmacksrichtung sich innerlich bewusst bleibt, doch bei den Knalleffekten einer so virtuosenhaften Darstellung unwillkürlich zu einem wahnsinnigen Enthusiasmus hin-gerissen wird. […] Der zweite, dritte und vierte Akt sind, wenn man den Glanz einer

Pariser Aufführung dabei im Auge hat, mei-sterhaft gearbeitet; sie entrollen vor uns eine wahre Galerie der pikantesten Szenen, denen trotz ihres raschen Wechsels zum Teil wenigstens eine gewisse psychologi-sche Wahrheit nicht abgeht. [...] Ein Effekt jagt den andern, und man kommt vor lauter Spannung und geistreichen Wendungen fast das ganze Stück hindurch kaum zu Atem. Die Darstellung war, wie schon be-merkt, fast in allen Teilen ausgezeichnet. [...] Mademoiselle Rachel war sowohl als schwärmerisch liebendes Mädchen, wie als Furie des Hasses und sterbende Unschuld gleich hinreißend; namentlich werde ich es nie vergessen, mit welcher Seele und welch überirdischem Frühlingsduft sie die Lafon-tainesche Fabel: ‚les deux pigeons‘ [Die beiden Tauben] im zweiten Akt mit Anspie-lung auf ihr seliges Herzensverhältnis zum jungen Helden vor diesem rezitierte, und wie sie im vierten Akte den Monolog aus Phädra: ‚ce front qui ne rougie jamais!‘ als rachedurstigen Blitzstrahl gegen die Herzo-gin schleuderte.“

Adrienne Lecouvreur trat ihren Triumphzug über die Bühnen der Welt an. Er sollte bis Ende des 19. Jahrhunderts anhalten. Die Sterbeszene war eine Bravouraufgabe aller großen Virtuosinnen bis zu Sarah Bernhardt und Eleonora Duse. Sie hatte auch litera-risch Folgen, löste sie doch eine Mode ähn-licher „Studien“ aus, der wir den ausführ-lichen Schwindsuchttod der 1852 auch auf die Bühne gebrachten Kameliendame und Verdis Traviata ein Jahr später oder Flau-berts arsenvergiftete Madame Bovary von 1856 verdanken. Alexander Tairov brachte noch 1919 seine legendäre Inszenierung am Moskauer Künstlertheater heraus. Indem er das Melodram in die ballettöse Parodie hochtrieb, versuchte er den Sowjetrevolu-tionären, die die Politisierung der Kunst und

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Diktatur der Relevanz forderten, mit dem Gegengewicht totaler Künstlichkeit Paroli zu bieten. Die offenbar atemberaubende expressionistische Meisterinszenierung brachte es auf über 750 Vorstellungen im In- und Ausland und tourte bis Südamerika. Sarah Bernhardt, eine Bewunderin der Rachel, schrieb 1907 ihr eigenes Stück, das sie allerdings nur in einer einzigen Privat-vorstellung zur Aufführung brachte. 1913 drehte sie den ersten der vielen Filme über die Diva. Es war ihre fünfte Filmrolle nach Hamlet, Tosca, Kameliendame, Elisabeth I.

Die Erstaufführung am Karlsruher Hof-theater fand am 27. Oktober 1850 in franzö-sischer Sprache als Gastspiel der Rachel mit dem Ensemble der Comédie-Française statt. Die Einnahmen spendeten die Künst-ler der jüdischen Gemeinde. Der spätere Karlsruher Intendant Eduard Devrient sah die Schauspielerin am 7.9.1850 in Dresden in dieser Rolle. Sein Tagebuch reflektiert den Umstand, dass man den autobiografischen Hintergrund auch im deutschsprachigen Raum erkannte: „Rachel als Adrienne Lecouvreur. Ein infames Stück (Scribe), die alten zerdroschenen Situationen, die Lust an den unsittlichen Pariser Epochen, ein paar neue, frappante Situationen. Ko-mödiantenwirtschaft in der Komödie, alle persönlichen Beziehungen Rachels aufs Theater gebracht, ein Paradestück für den Tagesmarkt. Vom 3. Akt an, wo Rachel in der Gesellschaft erscheint, begann ihre Un-übertrefflichkeit in feiner, vornehmster und weiblicher Haltung. Alles leise, mäßig, an-mutig und überaus anziehend. Therese [De-vrients Frau] war entzückt. Ihre Zärtlichkeit, Eifersucht, Schmerz, alles überaus rührend, obschon man die stolze, ehrgeizige, leiden-schaftliche Seele überall durchfühlt. Ihr Jammer über das zurückgesandt Bouquet, ihr Tod an dem Gift, das sie daraus gesogen,

alles wunderschön. Ihre Zärtlichkeit, ihre Körperschmerzen, Delirium, Wahnsinn, obschon lang dauernd, endlich selbst der zuckende Starrkrampf, der den Kopf rechts und links schleudert, mit dem sie stirbt, alles durchaus meisterhaft, präzis und doch schön bemessen. In summa: soviel man auch Ärgernis an ihr hat, sie ist eine große Meisterin.“ Trotz seiner Ablehnung setz-te Devrient das Stück gleich nach seiner Ankunft in Karlsruhe auf den Spielplan. In Theodor Gustav Herrmanns Bearbeitung wurde es hier am 14.11.1852 erstmals auf Deutsch gespielt und hielt sich bis 1857 im Repertoire. Die Dernière fand am 15.5.1857 mit Marie Seebach statt. Seither war das Stück nicht mehr in Karlsruhe zu sehen.

Cilèa

Nach dem Erfolg seiner dritten Oper, L’Arlesiana, die 1897 mit dem 24jährigen Enrico Caruso am Teatro Lirico interna-zionale, Mailands zweitem Opernhaus, triumphierte, gab Francesco Cilèas Verleger Edoardo Sonzogno ein weiteres Stück bei dem 31-jährigen Süditaliener in Auftrag. Cilèa las zahllose französische Theater-stücke, nicht nur, weil sie seiner Sensibilität näher standen als die italienische Literatur seiner Zeit, sondern auch, weil Sonzogno frankophil und seine Geschäftskontakte seit 1874 französisch ausgerichtet waren. Cilèas Wahl fiel auf Adrienne Lecouvreur. „Der Abwechslungsreichtum der Handlung“, er-innert er sich in seinen Memoiren, „die mir neuartige und elegante Situationen lieferte, die Mischung aus Komödie und Tragödie im luxuriösen Ambiente des 18. Jahrhunderts, das mir so vertraut ist, die leidenschaftliche Liebe der Titelheldin und der bewegende Schlussakt rührten mein Herz und reizten meine Fantasie.“ Bereits vor Cilèa hatte es italienische Vertonungen des Stücks

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gegeben: 1856 von Edoardo Vera in Rom, 1857 von Tommaso Benvenuti in Mailand und 1889 von Ettore Perosio in Genua. 1904 folgte Giacomo Setaccioli, dessen Version aber ungespielt blieb. Benvenutis Adriana war im selben Theater wie Cilèas urauf-geführt worden. Perosio dirigierte Cilèas Werke, darunter 1905 Adriana Lecouvreur. Hans-Joachim Wagner vermutet in Fremde Welten. Die Oper des italienischen Veris-mo, Cilèa und sein Librettist, der Journalist Arturo Colautti, hätten zumindest Perosios Fassung gekannt. Beide Vertonungen verfolgen dieselbe Strategie, den 1. Akt des Schauspiels wegzulassen und ihm ansonsten in groben Zügen zu folgen. Das entsprach der Bearbeitungskonvention solcher Schauspiele, die den Titelhelden erst im 2. Akt auftreten lassen, um ihn im 1. Akt im Spiegel unterschiedlicher Meinung-en zu zeigen und so die Spannung auf sein Erscheinen zu erhöhen. Boito macht es mit Shakespeares Othello für Verdi nicht an-ders. Allerdings weicht Perosio stärker von Scribe / Legouvés Schauspiel ab, um tra-ditionelle Gesangsnummern, zum Beispiel eine Serenade im Liebesnest des Fürsten zu interpolieren. Auch verlegt er den Schluss-akt aus Adriennes Wohnung wieder hinter die Bühne der Comédie-Française, um sie im Kreise ihrer Kollegen sterben zu lassen. Das führt zu einer Apotheose der Kunst. Cilèa und Colautti hielten sich, wie es der Verismo meist tat, enger an das Sprech-stück und erzielten dadurch einen wunder-baren Rhythmus von Gesellschafts- und intimen Szenen. Ihre Akte 1 und 3 spielen in der Öffentlichkeit, Akt 2 und 4 im Privaten.

Libretto und Musik von Cilèas Adriana Lecouvreur entstanden 1900–1902. Die Uraufführung fand am 6. November 1902, abermals mit Caruso, am Teatro Lirico statt, das Sonzogno 1894 gekauft hatte, um die

Werke seiner Autoren zu lancieren. Cilèas Schulfreund Umberto Giordano, seine Kolle-gen Franchetti, Leoncavallo, Orefice, sowie der Dichter Gabriele D’Annunzio, der sich gerade von Eleonora Duse getrennt hatte, saßen in den Logen. Jules Massenet, des-sen italienischen Rechte Sonzogno vertrat, besuchte eine Folgevorstellung und schrieb Cilèa: „Ich liebe ihre Musik. Ihre Instru-mentation ist so klar, so ausdrucksstark, so farbig. Welch‘ malerisches Gefühl neben solchem dramatischen Ausdruck. Ihre Adri-ana ist ebenso bewegend wie hinreißend. Es war ein Riesenerfolg.“

Innerhalb weniger Monate folgten sich die Inszenierungen Schlag auf Schlag: Lissabon, Verona, St. Petersburg, Florenz, Barcelona, Genua, Bologna, Buenos Aires, Hamburg, Messina, Neapel, Genf, Novara, Warschau, Antwerpen, Lüttich, Kairo, Alex-andria, Mexico City, Montevideo, Triest, Odessa, Bari, Palermo, Turin, London, Sant-iago de Chile, Catania, Vicenza, Rom, Paris, Ravenna, Cagliari, Venedig, New Orleans, New York und Bukarest. Zwischen 1902 und 1911 wurde Adriana in 46 Produktionen weltweit gespielt. Eine zweite Welle rollte nach sechs Adriana-losen Jahren mit 29 Produktionen zwischen 1917 und 1931 an, eine dritte, die stärkste von 1932, als die Zahl der Neuinszenierungen sprunghaft auf zehn anstieg, bis zum Zusammenbruch 1945 mit insgesamt 78 Produktionen, da-von drei im Deutschen Reich. Leider kann man nicht behaupten, Cilèa hätte nicht vom Faschismus profitiert. Im Gegenteil. Auf der Rangliste der meistaufgeführten italienischen Komponisten italienischer Staatsbühnen zwischen 1935 und 1943 rangiert er auf Platz 8 nach Verdi, Puccini, Mascagni, Donizetti, Giordano, Rossini / Respighi und Zandonai, unter den lebenden auf Platz 4. Diesen Erfolg hat er selbst lan-

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ciert. 1930 schlägt sein Freund Mascagni ihn als Mitglied der 1929 von den Faschisten gegründeten Accademia d’Italia vor. Mus-solini lehnt mit der Begründung ab, Cilèa sei nicht mehr aktiv. 1939 wird er dennoch aufgenommen. Inzwischen hatte Cilèa um eine Audienz beim Duce gebeten, die ihm am 4.4.1934 auch gewährt wurde. Drei Monate später legt er ihm seine Wünsche noch einmal schriftlich dar: „Exzellenz, ich hatte die hohe Ehre, von Ihrer Exzellenz empfangen zu werden und die allerhöchste Auszeichnung ihrer tröstlichen Worte über mein Werk als Erzieher und Künstler. Diese Anerkennung ermutigt mich, meine Scheu zu überwinden und Ihrer Exzellenz meine unglückliche Lage deutlicher zu schildern. Dass ein Künstler sich direkt an Ihre Exzel-lenz wendet, kann Sie nicht überraschen, da dieser Umstand Sie nur bewegen kann, die Kühnheit zu entschuldigen. Sie sind für jedermann Garant der Gerechtigkeit und sie sind es umso mehr für jemanden, der seine ganze Hoffnung auf den Erfolg seines geis-tigen Schaffens gesetzt hat. Meine Oper Adriana Lecouvreur wurde 1902 am Teatro Lirico in Mailand uraufgeführt und hatte in den folgenden Jahren großen Erfolg an den großen Bühnen Italiens und des Aus-lands. Sie wurde durch gemeine Intrigen verdrängt und erlebte erst nach ca. dreißig Jahren wieder einen denkwürdigen Tri-umph, nachdem sich das Königliche Opern-haus Rom veranlasst sah, sie nach so langer und ungerechter Vernachlässigung wieder zu beleben. Schließlich gelang es ihr sogar, gegen größte Widerstände und ungeachtet aller Schwierigkeiten, die Schwelle der Scala zu überwinden, wo sich der rau-schende Erfolg in Rom erneuerte. Dasselbe wiederholte sich bei allen meinen Werken, besonders Goria, deren Aufführung in jenen Theatern gegen innere Widerstände durch-gesetzt wurde, in denen Adriana die stärk-

sten und bedeutendsten Erfolge gefeiert hatte. Dabei muss Ihre Exzellenz wissen, dass Arrigo Boito Gloria als mein bestes Werk bezeichnet hat. Der verehrte Maestro machte sein Urteil 1913 in den Offiziellen Bekanntmachungen des Ministeriums für Volksbildung öffentlich, die ich mir erlaube in Abschrift beizulegen. Ich appelliere an Ihre Exzellenz, ein höchstes Machtwort bei der Intendanz des Teatro Reale di Roma zu sprechen, dass sie nicht ausschließlich mich daran hindert, jenen Weg zu beschrei-ten, der für einen Künstler lebensnotwendig ist. Mit der wiederholten Bitte um Verge-bung meiner großen Kühnheit, versichere ich Ihre Exzellenz meiner untertänigsten und tiefsten Anhänglichkeit.“

Wie wir sahen, war Adriana in den drei Jahrzehnten vor dieser Eingabe keineswegs verdrängt woren. Trotzdem gewährte Mus-solini Cilèas Bitte und intervenierte an der Oper Rom, die sich beeilte zu antworten, dass man Gloria ohnehin plane. Die Auf-führung mit Maria Caniglia, dem glühenden Faschisten Beniamino Gigli und Tito Gobbi unter Oliviero de Fabritiis, fand am 15. Janu-ar 1938 statt. Es folgten Open-Air-Spektakel im Theater der Sechstausend in Bologna und für 20.000 Besucher im Castello Sfor-zesco Mailand. Eine Inszenierung zur Feier der Deutsch-Italienischen Waffenbrüder-schaft in Dortmund beehrte der Komponist mit seiner Gegenwart. 1943 strahlte der italienische Rundfunk Gloria mit Beniamino Gigli aus. Was die Massenspektakel be-trifft, die sich auch für Adriana Lecouvreur unter faschistischer Federführung in Nea-pel wiederholten, kann man sich vorstellen, dass sie die Aufführungspraxis Cilèascher Musik, die völlig ungeeignet für derlei völkische Demonstrationen ist, gründlich ruinierten. Sie schufen falsche Traditionen, die sich noch heute in widersprüchlichen

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21Ks. Barbara Dobrzanska, Seung-Gi Jung, Cameron Becker, Yang Xu, Kristina Stanek, Ks. Tiny Peters, Ks. Klaus Schneider, Ks. Konstantin Gorny

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Angaben in Klavierauszügen und Partituren niederschlagen. Magda Olivero, die größte Interpretin der Adriana Lecouvreur, wird man davon wohl ausnehmen dürfen. Sie studierte die Partie 1939 mit Cilèa selbst, sang sie bis 1941 in zehn Produktionen und zog sich dann zehn Jahre von der Bühne zurück. Erklärt hat sie das damit, dass sie Theater und ihren hohen Anspruch an Mu-sik nicht mehr hätte vereinbaren können. Trotzdem sang sie gleich nach dem Zusam-menbruch Konzerte für das Rote Kreuz. War ihr Bühnenabschied ein Protest gegen die Ästhetik des Faschismus?

Nicht gegen den Faschismus protestiert hat hingegen Cilèa. Er schrieb 1937 erneut an Mussolini und lud ihn, nicht ohne Vorwurf, zur Römer Erstaufführung seiner dritten Oper, L’ Arlesiana, ein: „Duce, meine Oper Arlesiana wird kommenden Samstag, 40 Jahre nachdem sie in Mailand uraufgeführt wurde, erstmals in Rom zu hören sein. Die Enttäuschung über diese übermäßige Ver-spätung würde in höchstem Maße durch Ihre Gegenwart wettgemacht werden. Ich erlaube mir nicht, sie darum zu bitten, wage es aber zu hoffen. Mit dem Ausdruck meiner tiefsten Verehrung“. Es fällt schwer, sich den feingliedrigen Spross einer adligen Mutter und eines feinsinnigen Juristen als Parteigänger der bulligen Schläger aus Rom vorzustellen. Wahrscheinlich gehörte er wie Hans Pfitzner zu jenen Schöngeistern, die 1918 den Verlust der Welt von gestern nicht verwinden konnten und darüber den Verstand verloren. Cilèa reiste zu Auffüh-rungen seiner Werke ins Dritte Reich, z. B. 1938 zur Adriana nach Berlin und Hannover, 1940 zur Arlesiana nach Stuttgart, um dort das faschistische Italien zu repräsentie-ren. Pfitzner hat 1944 sogar ein Zitat aus Adriana Lecouvreur als Motto über seinen berüchtigten Warschauer Gruß an Hans

Frank gestellt, wie Peter P. Pachl entdeck-te. Offenbar hörte Reichsminister Frank, der „Schlächter von Polen“, ein geborener Karlsruher Jurist, Adriana im offiziellen Rahmen und machte sich daraus die unge-wöhnliche Kombination „Eccola ... Basta!“ als Redewendung zu eigen. Im Berliner Bundesarchiv haben sich Akten zu Cilèas politischer Indienstnahme aus dem Reichs-propagandaministerium und der Dienststel-le der Reichsarbeitsfront erhalten. Deutlich zeigt sich aber, dass der innerlich unsiche-re, des Zuspruchs bedürftige und an dem vorzeitigen Ende seiner kreativen Karriere mit 41 Jahren leidende Komponist verführ-bar durch Ehrungen, Repräsentationsämter und Aufführungschancen war. 1950, kurz vor seinem Tod, schrieb er Magda Olivero: „Die Menschen müssen wieder zur Liebe zum Schönen erzogen werden.“

Karlsruhe verhielt sich im Gegensatz zum gerade im Dritten Reich sehr fleißigen Stuttgart Cilèa-abstinent. Erst 1983 kam Giancarlo del Monacos legendäre Adriana Lecouvreur mit Natalja Troitskaja, Anne Wilkens, Mario Muraro und Ivan Konsulov heraus. Sie hielt sich bis 1986 auf dem Spielplan. Ungeahnte Aktualität entfaltete hingegen Walter Wilhelm Goetzes sehr wiederentdeckenswerte, weil hinreißende Lecouvreur-Operette Adrienne von 1926. Sie feierte am 21.9.1946 auf der Ausweich-bühne im Konzerthaus Premiere und konnte 19 mal mit großem Erfolg gegeben werden. Anders als die Oper geht sie natürlich glücklich aus. „Es ist ein historisches und doch – im Zeitalter des Männermangels – höchst aktuelles Problem: Der Kampf zweier Frauen um den geliebten Mann“, erläuterte Regisseur Arthur Chwalek im Programmblatt. „Moritz von Sachsen zieht in die Schlacht. Er vertröstet Adrienne auf die Zeit nach dem Kriege. Voilà!“

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Tragikomödie

Cilèa gab seiner Adriana den Untertitel „commedia dramma“. Er deutet an, worauf er im Nachhinein – möglicherweise im Hinblick auf eine fehlgeleitete, einseitig tragische Rezeption – in seinen Memoiren noch einmal ausdrücklich hinwies: Dass es ihm um eine „Mischung aus Komödie und Tragödie“ ging. Zwar kann „commedia“ ganz allgemein „Schauspiel“ bedeuten. Cilèa aber verwendete die Bezeichnung im engeren Sinne für Komödie, wie dies 1869 z. B. Ezio Castoldi in seinem „commedia dram-ma“ Un Episodio del duo Dicembre 1851 tat. Die Mischung aus Tragödie und Komödie prägt die Partitur. Die komischen Figuren, also das Schauspieler-Quartett und das Tandem Fürst–Abbé, als der lüsterne Alte und sein ewig hungriger Diener Nachfahren der commedia dell’arte, sind musikalisch in Buffo-Atmosphäre getaucht. Von ihr heben sich die romantischen Leidenschaf-ten Adrianas, Maurizios, der Fürstin sowie der Schluss wirkungsvoll ab. Als typischer mittlerer Charakter vermittelt Michonnet zwischen beiden Sphären. Der Alte, dessen Parlando Cilèa jenem von Verdis kurz zuvor uraufgeführten Falstaff nachgebildet hat, ist mit seiner unerwiderten Liebe zu Adria-na die tragikomische, auch berührende Fi-gur des Stücks. Die Dialektik von Tragik und Komik reicht bis in die Differenzierung des Buffo-Quartetts der Schauspieler hinein. Mlle. Jouvenot und M. Quinault spielen in Racines Tragödie Bajazet, Mlle. Dangeville und M. Poisson in dem heiteren Nachspiel, Regnards Komödie Les Folies amoureuses.

Die Kombination von Tragödie und Komödie an einem Abend ist historisch korrekt. Sie ist auch in Le Couvreurs Biografie belegt. Scribe und Legouvé aber wählten die Titel absichtlich. Roxane in Racines Tragödie

war nicht nur eine Paraderolle Adriennes, sondern auch ein Eifersuchtsdrama, wie es sich später zwischen Adriana und der Fürstin abspielen wird. Les Folies amoureu-ses ist eine Komödie um Geld, in der sich die junge Agathe durch Verstellungen aus den Händen eines alten Lüstlings befreien muss, an den sie finanziell gebunden ist wie die Duclos an den Fürsten. Das Phänomen der ausgehaltenen Frauen ist nicht nur in der Biografie Le Couvreurs bezeugt. Ein Adeliger bot der Schauspielerin nach ihrem Debüt an der Comédie-Française 500 Livres als Beihilfe zu ihrer Bühnengarderobe an, um eine Liaison anzubahnen. Im 19. Jahr-hundert nannte man sie Kurtisanen oder Demi-Mondaine. Sie unterschieden sich von der Dirne dadurch, dass man sie nicht für eine Nacht bezahlte, sondern fürstlich beschenkte und dafür eine von ihnen ein-gehaltene oder vorgetäuschte Exklusivität beanspruchen durfte, so lange Geld und Geschenke flossen. Diese Damen waren in irgendeiner Weise schöner, attraktiver, begehrter und geachteter als Straßendir-nen. Auch jünger. Zolas Nana stirbt mit 21 Jahren, Marie Duplessis mit 23, Blanche d’Antigny mit 34. Die Herren der Gesell-schaft, die sie aushielten, schenkten ihnen Schlösser, Ländereien, Villen, Kutschen, Pferde, Dienerschaft, Schmuck, kostbare Kleider usw. Solche Verhältnisse waren ein mehr oder weniger offenes Geheimnis. Männer, die sich in Begleitung begehrter Kurtisanen zeigten, demonstrierten wirt-schaftliche Potenz. Dem entsprechend wur-den sie nicht nur bewundert, an der Börse stieg auch ihr Kredit. Das war besonders dann wichtig, wenn sie schon bankrott wa-ren. Dann konnten sie ihre wirtschaftliche Lage mit Hilfe eines verschwenderischen Lebensstils eine Zeit lang verschleiern und hoffen, mit geliehenem Geld wieder einen Coup zu landen. Das galt auch für verheira-

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tete Männer. Es galt allerdings als unfein, in Gesellschaft davon zu sprechen. Das kleine Haus, das der Fürst der Duclos schenkt, entspricht also durchaus der Realität von 1730 wie von 1902. Entsprechend verärgert ist er, dass er bei den großen Summen, die er in sie investiert, kein Exklusivrecht besitzt, was ihn zudem lächerlich macht. Schließlich darf er sie nicht einfach fallen lassen, um zum Schaden nicht auch noch den Spott als kleinlicher Hahnrei auf sich zu ziehen. Er muss versuchen, sie mit welt-männischer Geste an Maurizio abzutreten. Dass sich die Duclos ein Zubrot als Zwi-schenträgerin der Briefe zwischen der Fürs-tin, die natürlich in allen Details über das Verhältnis ihres Mannes informiert ist, und Maurizio verdient, ist nur natürlich. Einer-seits muss die Fürstin dadurch nicht selber schreiben und kompromittierendes Material hinterlassen. Andererseits ist sie durch die Duclos genauestens informiert, wann das Haus frei und ihr Mann beschäftigt ist.

Selbstverständlich gestand diese Gesell-schaft, wie man in der chronique scanda-leuse des 18. Jahrhunderts, etwa bei Casa-nova, aber auch in Zolas Nana nachlesen kann, auch den Damen des Hochadels sol-che Freiheiten zu. Da solche Ehen nicht aus Liebe, sondern aus wirtschaftlichen oder politischen Gründen geschlossen wurden, war ein solches Ventil nötig. Liebhaber, mit denen sich eine verheiratete Dame schmü-cken durfte, hießen cavalier servente oder cicisbeo. Maurizio ist eher der Typus des cavalier servente, einer der zahllosen illegi-timen Söhne Augusts des Starken, für den vom Erbe außer seinem Namen und seiner hochadligen Herkunft nicht mehr viel übrig blieb und der deswegen auf abenteuerli-che Weise mit anderen Mitteln, etwa über eine militärische Karriere oder im Gefolge großer Damen zu einer standesgemäßen

Lebensweise kommen musste. Der Abbé ist eher der Typus des auch in Così fan tutte zitierten cicisbé. Das waren Zweitgeborene aus dem mittleren und niederen Adel, die von Hause aus keine Mittel mitbekamen, denen die Eltern aber eine leidliche Bildung mitzugeben und eine geistliche Sinekure zur Sicherung eines kleinen Grundeinkommens zu ergattern suchten, ohne dass die Betref-fenden die geringste Neigung zum geistli-chen Stand hätten. Da die damit verbunde-ne Rente aber meist viel zu bescheiden war, suchten sich diese mittellosen Abbés als Spaßmacher, Spione, lebende Zeitung, Stil-berater oder Liebhaber an die Rockschöße bemittelterer Damen zu hängen.

Theater auf dem Theater

Seit Beginn der Gattung hat sich die Oper immer, wenn sie etwas Altes verabschiede-te und etwas Neues hervorbrachte, mit dem Künstler, also mit dem eigenen Selbstver-ständnis beschäftigt. Dementsprechend ge-hört das Künstlerdrama auch im Verismo zu den bevorzugten Genres. Dazu tritt in Adria-na Lecouvreur das alterprobte Modell des Theaters auf dem Theater. Es beschäftigt sich mit dem dialektischen Verhältnis von Kunst und Wirklichkeit. In Adriana Lecou-vreur wird es insofern zugespitzt, als die Schauspielerin Adriana wahr spricht und handelt, während die Fürstin Rollen spielt und lügt. Diese Paradoxie hat Cilèas Zeit-genosse Oscar Wilde auf das Schlagwort von der „Wahrheit der Masken“ gebracht. Ernest Legouvé schließt seinen Bericht über die Adrienne-Proben mit folgendem Nachsatz: „Tatsächlich hatte die Rachel eine Vorahnung ihres tragischen Geschicks. Von diesem Abend an verfiel sie körperlich und starb in der Blüte der Jahre und auf dem Gipfel ihrer Karriere.“ Das Theatergift war wirklicher als das Leben gewesen.

Ks. Barbara Dobrzanska, Rodrigo Porras Garulo, Fredrika Brillembourg

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ZUR MUSIK

Im 1. Akt antwortet Adriana dem Fürsten nach der Arie „Io son l’umile ancella – Ich bin die demütige Magd des genialen Schöpfers“ auf die Frage, was ihr Kunst-ziel sei: „La verità – Die Wahrheit“. Wenn Michonnet ihr Spiel wenig später aus den Kulissen kommentiert, meint er, „la stessa verità – die Wahrheit selbst“ könne nicht wahrer sein. Der Komponist des Balletts Das Parisurteil im 3. Akt heißt Champfleur. Einen solchen Komponisten gibt es nicht. Der prominenteste Theoretiker des Rea-lismus um 1870 hieß aber Champfleury. Ein Wink mit dem Zaunpfahl. Nicht nur solcher Textzeilen wegen wird Cilèa dem Verismo zugerechnet. Was ist Verismo?

Der Verismo hat seine Wurzeln in Frank-reich. Hier opponierten fortschrittliche Theoretiker, Kritiker und Künstler wie der Maler Gustave Courbet oder der Romancier Gustave Flaubert Mitte des 19. Jahrhun-derts gegen die akademische Kunst und forderten größere Naturnähe. Mit der Verbreitung der Sensationsromane Émile Zolas in den Zeitungen, um nur den heute

bekanntesten Vertreter zu nennen, wurde der Naturalismus in den 1870er Jahren zum Massenphänomen. Es erfasste ganz Europa. In Italien ist der Sizilianer Giovanni Verga sein einziger heute noch allgemein bekannter Vertreter. Nach dessen Erzäh-lung Cavalleria rusticana schuf Pietro Mas-cagni 1890 den Prototyp der veristischen Oper. Er führte den Naturalismus ins Mu-siktheater ein. Cavalleria rusticana war in den folgenden beiden Jahrzehnten eine der weltweit meistgespielten Opern. In Berlin rangierte sie vor Mozart, Verdi und Wagner auf Platz 1, an der Mailänder Scala hinter Falstaff auf Platz 2, in New York brachten zwei Opernhäuser sie am gleichen Abend heraus. 1910 war sie die erste Oper, die live aus der Met übertragen wurde. Ihr Erfolg war gigantisch. Entsprechend oft wurde sie nachgeahmt. Sie wirkte stilbildend.

Der Verismo in der Oper wollte nicht das Schöne zeigen und hören, sondern das Wahre. Die Vorläufer, etwa Verdi, wand-ten sich zwar auch der Wirklichkeit zu, verwandelten und veredelten sie aber zum

IMPRESSIO-VERISMO

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„Bedeutenden“. Die deutsche Literaturge-schichte spricht in diesem Zusammenhang von „Poetischem Realismus“. Er spiegelt die Wirklichkeit nicht nur, sondern arrangiert und „verklärt“ sie. Die Veristen hingegen forderten das Alltägliche, Unbedeutende, Allzumenschliche. Sie hatten keine Angst vor Banalität. Librettosätze wie „Die Kartof-feln sind kalt“ aus Leoncavallos La bohème, „Milchpunch oder Whisky?“ aus Madama Butterfly oder „Ich habe Malaria“ aus La Fanciulla del West wären für einen Kom-ponisten der Generation Verdis undenkbar gewesen. Eduard Hanslick entsetzte sich 1897, in der Wiener Erstaufführung von Puccinis Bohème seien die Sänger mit „Ci-garrenstummel im Mund“ aufgetreten. Auch vom Geld in Gestalt des Lebensunterhalts wird gesungen. All das löste Kontroversen über die Frage aus, wie tief sich Musik her-ablassen dürfe. Brecht und Weill beerbten sie. Sie versuchten 1930 in Mahagonny mit genau diesen veristischen Provokationen von gestern, mit Whiskybar, Zigarren, Bor-dell, Geld und Boxkämpfen die alte Oper zu zertrümmern, um aus ihren Scherben die neue zu bauen.

Diese Art von Sozialverismo lag Cilèa fern. Sein Verleger drängte dem 24-Jährigen zwar mit La Tilda noch eine saftige Eifer-suchtsgeschichte aus dem Dorfmilieu auf. Sobald er seine Libretti aber selbst wählen konnte, griff er mit L‘ Arlesiana 1897 zu einer impressionistischen Pastorale aus der Pro-vence, träumte sich mit Adriana Lecouvreur ins Rokoko und schuf mit seiner letzten Oper Gloria einen symbolistischen Historien-schinken aus der italienischen Renaissance. Eine solche Bandbreite der Sujets und der zu ihnen gehörenden Musikstile ist für alle bedeutenden Musiker des Verismo charak-teristisch. Der Begriff führt also in die Irre. Er bezeichnet die italienische Opernmusik

zwischen 1890 und 1925 und sollte eher „Wagnerismo“ heißen, denn im Banne der radikalen Partituren des Deutschen wandten sich die jungen Musiker von der Schule Verdis ab und entwickelten einen neuen Orchester- und Gesangsstil, der auf eine Neudefinition des Verhältnisses von Stimme und Orchester hinauslief und zu-nächst an nationalen Sujets naturalistischer Provenienz ausprobiert wurde, um dem Wagnerschen Nationalismus einen italie-nischen entgegenzusetzen. Das Orchester diente nun nicht mehr bloß der Begleitung, sondern entwickelte Eigenleben. Es wurde größer und wichtiger, der Satz sinfonischer und differenzierter. Gesanglich entfernte man sich vom Belcanto-Ideal. Aus italieni-scher Sicht waren Wagners Musikdramen kein Gesang, sondern Deklamation auf fixierten Tonhöhen, „musikalische Prosa“. Auf diesem Wege suchten die Veristen nach eigenen, „italienischen“ Vermittlungen von Sprechen und Singen. Ziel war der unge-filterte Gefühlsausdruck, Lebensechtheit, Wirklichkeitsnähe. Darum integrierten sie auch außermusikalische Artikulationsmög-lichkeiten wie Ächzen, Stöhnen, Lachen, Schreien, Fluchen, Schluchzen, Wimmern und Sprechen. An Stelle der herkömmlichen Nummern traten Rumpfarien von oft nicht mehr als 14, 15 Takten in einem sinfonisch durchkomponierten Kontinuum. Duette tendierten zu atemlosen Dialogen, bei de-nen sich die Partner eher ins Wort fielen als im Stile Verdis zusammen zu singen, um ihre Harmonie zu demonstrieren. Das sin-fonische Eigenleben des Orchestersatzes stellte sicher, dass die atemlosen Wort-wechsel und abgebrochenen Ausrufe nicht auseinanderfielen. Vorbild war das Liebes-gehechel des 2. Tristan-Aktes, das Cilèa im letzten Duett zwischen Adriana und Mauri-zio zitiert. Auch alltägliche Dialoge konnten unabhängig vom musikalischen Kontext

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frei über dem Musikfluss schweben, da im Orchester ein Gewebe aus Leitmotiven Bedeutung und Zusammenhang sicherstell-ten. Cilèa legte jedoch Einspruch gegen bestimmte Ideen des Verismo ein. Er führt die Titelheldin seiner Oper naturalistisch sprechend ein. Sie ist ja Schauspielerin und probt eine Rolle. Nach zwei Versen bricht sie jedoch mit dem Ausruf, „Nein, das ist nicht gut“, ab. Der zweite Versuch mündet in Gesang. Beim großen Phädra-Monolog des 3. Akts, dem Kern des Werks, wieder-holt sich der Vorgang. Cilèa gibt damit ein Bekenntnis zum Primat des Singens ab.

Das ist Programm. Denn obwohl der Phädra-Monolog in Adriana Lecouvreur eines der berühmtesten Beispiele für ge-sprochene Sprache in der Oper ist, führt die Relativierung der veristischen Ästhetik in zentralen Szenen des Werks zum Kern von Cilèas Personalstil. Bei der musikalischen Analyse stellt man nämlich fest, dass die Arien, Duette, Ensembles und sogar sin-fonischen Teile im Gegensatz zur oben be-schriebenen „musikalischen Prosa“ nahezu alle in achttaktige Perioden gegliedert sind, also klassischer Liedform folgen. Diese lyrische Harmonie und Ausgewogenheit ist einerseits auf Cilèas Lieblingskomponisten Bellini zurückzuführen, verrät andererseits seine süditalienische Herkunft. Auch am Konservatorium in Neapel war der O sole mio-Sound gleichsam seine akademische Heimat. Seine angeborene Souplesse un-terscheidet ihn von anderen Veristen. Viel-leicht war sie es, die ihn am Rokoko-Milieu des Adriana-Stoffs und überhaupt an der französischen Kultur anzog. Drei seiner fünf Opern basieren auf französischen Stoffen, seine Harmonik und Orchesterpalette ten-dieren zum Impressionismus. Andererseits verwischt er als moderner Komponist die Regelmäßigkeit dieser Bögen permanent.

Er bricht sie durch Einschübe, Kadenzen, Variationen, Kürzungen, Erweiterungen, harte Schnitte, gleitende Übergänge in andere Gestalten sowie durch seine Nei-gung zu auftaktigen Themen auf. Es besteht also keine Gefahr, dass es schematisch, pedantisch oder vorhersehbar klingt. Im Gegenteil. Sein klassischer Periodenbau wird in der Regel übersehen, unbewußt aber genossen. Der Verismo hingegen orientiert sich nicht an achttaktigen Lied-formen, sondern an den unregelmäßigen Perioden gesprochener Sprache, wie man sie idealtypisch an Wagners Musikdramen studieren kann.

Obwohl wir den zum Gesang geborenen Süditaliener hierin also in Opposition zu Verismo und Wagner sehen, gibt es in Adri-ana Lecouvreur selbstverständlich auch ausgiebige Parlando-Passagen in einem der gesprochenen Sprache angenäherten Stil. Bezeichnenderweise folgt Cilèa in den einschlägigen Buffa-Szenen allerdings nicht dem Vorbild Wagners, sondern Verdis Falstaff, also ausgerechnet jenem Werk, mit dem der greise Verdi die Veristen vor der Wagner-Nachfolge warnen und auf den Weg einer spezifisch italienischen Ästhetik zurück nach vorn führen wollte. Besonders offensichtlich ist dies z. B. im Tohuwabohu des 1. Finales mit den „a mezzanotte“-Rufen und dem komponierten Gelächter der Hörner oder in nahezu allen Monologen und Szenen Michonnets, die sich unüberhörbar am quecksilbrige Parlando Falstaffs orien-tieren. In jener Szene des 2. Akts, in der Michonnet erzählt, was ihm in dem dunklen Zimmer widerfuhr, in dem sich die Fürstin versteckt, falsettiert er sogar wie Falstaff, wenn er von seinen Eroberungen berichtet.

Trotzdem war Cilèa kein Antiwagnerianer. Im Gegenteil. Er hat Wagner bewundert

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und dies in Adriana Lecouvreur durch Anspielungen und Zitate auch bekannt. Feenhafte Streicherarpeggien der geteilten 1. Geigen im dreifachen Pianissimo con sordino leiten den ersten Auftritt der Titel-heldin ein und lassen sie als Wesen aus einer anderen Welt erscheinen. Das erste Arpeggio enthält – Zufall oder nicht – die Töne des Tristanakkords f-h-dis-gis. Da sie in enharmonisch verwechselter Gestalt eis-gis-h-dis notiert sind, ist dies wohl eher als Dominantseptnonakkord über Cis-Dur zu interpretieren, wie ich einem Hinweis von Peter Nork verdanke. Im 4. Akt zitiert Cilèa das Rheingold-Vorspiel, um uns in unbewußte Seelentiefen der schlafenden Adriana mitzunehmen, die Schocks und Enttäuschungen zu verarbeiten hat. Auf das tristaneske Liebesdrängen im letzten Duett wurde bereits hingewiesen.

Auch die Leitmotivtechnik als Bindemittel des Orchestersatzes übernimmt Cilèa vom Bayreuter Meister. Um den Gesang von der Melodie zu emanzipieren und das Orches-ter autonom zu machen, griff Wagner auf Beethovens Sinfonien zurück und übertrug das Prinzip der charakteristischen The-men, ihrer Exposition, Durchführung und Verarbeitung auf die Oper. Cilèa hat den klassischen Sonatensatz von der Pike auf am Konservatorium von Neapel gelernt und sein Klavierdiplom außer mit Bachs Fugen und Chopins Nocturnes mit Beethovens Pathétique erworben. In Adriana Lecou-vreur verwendet er ein System aus über 30 Leitmotiven, die unterhalb dessen, was die Personen singen und sagen einen Roman über sie erzählen. Er wird lesbar in den Be-zügen der Motive untereinander und inner-halb der Situationen. Die berühmtesten sind Adrianas beide Arien. „Io son l‘umile ancel-la“ mit aufsteigendem Terzgang und sanft ausschwingenden Pendelnoten ist nicht

nur Klangsymbol einer himmelwärts stre-benden Kunst, die sich als bedingungslose Dienerin des schöpferischen Genies ver-steht, wobei „genio creator“ an den Wel-tenschöpfer, somit Wagners Kunstreligion anklingt, sondern auch ihre akustische Vi-sitenkarte. Sie wird in oft modifizierter, also kommentierender Gestalt immer dort abge-geben, wo Adriana auftritt oder jemand an sie denkt. Außerdem steht die Melodie für ihre Begabunng zu rückhaltloser Hingabe, die sich nicht auf die Kunst beschränkt, sondern auch in der Liebe manifestiert. Im 3. Akt, als der Fürst die berühmte Schau-spielerin auf seinem Ball begrüßt, wirkt das Motiv wie ein Jingle der Marke „Adriana“, das die Künstlerin selbst dann mechanisch abspult, wenn sie in Gedanken ganz woan-ders ist.

Die Arie enthält aber wie eine Sonate nicht nur ein Kopf-, sondern auch ein Sei-tenthema. Es wird vom melancholischen Englischhorn intoniert und auf die Worte „Ich bin der Klang der Schrift, das Echo der menschlichen Tragödie, das zerbrechliche Instrument in der Hand“ von Adriana über-nommen. Im anschließenden Wortwechsel erfahren wir, dass es Adrianas väterlichen Freund Michonnet meint, der nicht nur so bescheiden ist, wie Adriana sich darstellt, sondern in seinem Verzicht auf ihre Liebe auch menschliche Tragik verkörpert. Er ist ihr musikalisches Alter Ego, denn aus die-sem Motiv entwickelt sich während seines gescheiterten Heiratsantrags das Michon-netmotiv. Es vertritt von Anfang an nicht nur die melancholische Seite sowohl Adrianas als auch Michonnets, sondern entwickelt sich in Michonnets Arioso am Ende seines Kunstmonologs, wenn er in den Kulissen stehend Adrianas Spiel kommentiert, zum Resignationsmotiv. Die Anspielung auf Leoncavallos tragischen Bajazzo ist hier als

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italienische Alternative zu Wagners Hans Sachs unüberhörbar.

Bezeichnend sowohl für Adriana als auch Michonnet ist, dass das flackernde Eifer-suchtsmotiv, das eigentlich fest an die Fürstin gebunden ist, auch ihre Musik, also Seele infiziert. Bei Michonnet erscheint es im genannten Kunstmonolog an jener Stelle, an der er in Wut über das Publikum ausbricht, das Adrianas Kunst nicht zu schätzen weiß, weil es nicht applaudiert. Elf Takte später spricht die Regieanweisung tatsächlich von einem Eifersuchtsanfall. Nun sieht er allerdings, dass Adriana Mau-rizio in seiner Loge entdeckt hat, was die Geigen mit Maurizios leidenschaftlichem „Adriana“-Ruf aus dem ersten Liebesduett registrieren. Sie zitieren ihn als abebben-de Gefühlsaufwallung sechsmal original, viermal variiert und fünfmal verkürzt. Die vorweggenommene Eifersucht der Celli ist also ein klassischer Fall dessen, was Freud Übertragung nennt. Michonnet treibt seine Eifersucht aber nicht wie die Fürstin, die eine Besessene, also eine Psychopathin ist, in den Mord. Er reagiert wie ein normaler Mensch und resigniert. „Lass die Großen ihr Ding machen“, rät er Adriana im 2. Akt: „Wir sind einfache Leute.“ Bei Adriana blitzt das Eifersuchtsmotiv im 2. Akt kurz auf, wenn sie der Fürstin gegenüber steht und in ihr ihre Rivalin erkennt. Es wird aber sofort vom großzügigen „ancella“-Motiv verdrängt.

Adrianas zweite berühmte Arie sind die „poveri fiori“, die „armen Blumen“ mit ih-rem Oktavaufschwung und den Terzfällen. Sie erklingen nicht erst im 4. Akt, sondern schon im 1. Die 1. Geigen spielen sie sehr diskret, als Adriana Maurizio den Veil-chenstauß schenkt. Im 2. Akt intoniert die Solovioline das Motiv noch zerbrechlicher, wenn die Fürstin ihn im Knopfloch des

Geliebten entdeckt. Im Vorspiel zum 4. Akt verarbeitet Cilèa es zu einem Trauermarsch von Mahler‘schem Fatalismus. Wenn Adria-na Michonnet erzählt, dass Maurizio ihr die Blumen zurückgeschickt hat, erklingt das Motiv leise in der Oboe, dem Instrument, dem man eine weibliche Seele nachsagt. Erst in der Arie ganz am Schluss wird sein Geheimnis gelüftet.

Wenn Adriana Michonnet ihre Liebe ge-steht, nimmt die Klarinette Maurizios Arie „La dolcissima effigie“ in vollem Umfang vorweg. Dieses Motiv steht nicht nur für Maurizio, sondern auch für Adrianas Liebe und kehrt als Liebesduett im 4. Akt wieder, wenn die zerstörte Beziehung scheinbar wieder gekittet wird. Außerdem ist es der erste musikalische Gedanke, der Adriana auf dem Ball im 3. Akt durch den Kopf geht. Sie hat auch hier also nur Maurizio im Sinn, weshalb ihr die Fürstin umso leichter ihre Falle stellen kann. Der Themenkopf wirkt wie eine Umkehrung des „ancella“-Motivs. Er beginnt mit chromatischen Sekundschrit-ten, in denen das dortige Pendelmotiv eine Wendung ins Tragische nimmt und fällt dann in Terzen bzw. Sekundschritten eine None tief, wo Adrianas Kunst in Terzen aufstieg. Kunst und Liebe sind motivisch also verwandt, nur dass die Kunst nach oben führt, während die Liebe nach unten zieht. Ein viertes Motiv erklingt erstmals zu Beginn des Phädra-Monologs und charak-terisiert Adrianas Resignation. Es ist eines der beiden Hauptthemen der Sterbeszene. Das andere ist ein apotheotisches Verklä-rungsmotiv, dessen zarter Trauer man sich schwer entziehen kann.

Adrianas Rivalinnen sind die Duclos in der Kunst und die Fürstin in der Liebe. Die Duclos selbst bleibt stumm. Ihr Thema aber, ein leidenschaftlicher Oktavlauf nach

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oben, der in 3 x 3 Schritten wieder abebbt, ist schwungvoll, lebendig und elegant. Es lässt die melancholische Adriana-Seite der Partitur immer wieder in pure Lebenslust umschlagen. Ganz im Gegensatz zur histo-rischen Duclos übrigens, die gravitätisch, dick und schwerfällig gewesen sein soll. Die mit Cilèa befreundete Magda Olivero berichtet, der Komponist habe alles gesam-melt, was er über die historische Le Cou-vreur habe finden können. Er wich also im Interesse kontrastreicher Farbigkeit von der historischen Wahrheit ab.

Für die Fürstin steht in erster Linie das be-reits erwähnte Eifersuchtsmotiv, das erst-mals im Nachspiel des ersten Liebesduetts Maurizio-Adriana auftaucht. Dieses Nach-spiel feiert mit dem „ancella“-Motiv fortissi-mo in C-Dur und voller Orchesterbesetzung Adrianas Triumph. Die schmetternden Trompetenfanfaren werden aber schnell bissig, mutieren zu böse verminderten Ak-korden und im 7. Takt zum Eifersuchtsmotiv, dessen Bedeutung erst das Vorspiel zum 2. Akt enthüllt. Man spürt atmosphärisch aber die Bedrohung. Erst die Analyse jedoch zeigt, dass der Schatten der Fürstin schon unheilvoll auf den 1. Akt fällt. Das leicht erkennbare Eifersuchtsmotiv ist das meist verwendete der Oper und tritt in zahllosen Varianten auf. Sein Gegenstück, ein kleines Staccatomotiv, charakterisiert die koketten Verführungskünste der Fürstin. Diesen bei-den rein instrumentalen Motiven der Fürstin stehen zwei Vokalmotive gegenüber. Das eine auf „acerba voluttà“ bezeichnet mit seinen wilden Intervallsprüngen die über Leichen gehende Leidenschaft der Fürstin, das andere auf „O vagabonda stella“ ihre weiche Seite und Liebesfähigkeit. Letzteres entwickelt im Liebesduett Maurizio-Fürstin zwei Varianten, verbunden u. a. durch den markanten Wiegenrhythmus in unter-

schiedlicher Gestalt. Man kann sie aber auch als eigenständige Motive sehen. Das eine ist ein Schmeichelmotiv und erscheint erstmals, wenn die Fürstin Maurizio be-richtet, sie habe mit der Königin über sein Projekt gesprochen. Natürlich will sie ihn damit verführen. Im zweiten nimmt das Lie-besmotiv eine fordernde Form an. Im Ver-lauf des Duetts erpresst sie Maurizio denn auch damit. Mit diesen beiden Motiven wird er sie auf dem Ball im 3. Akt umgarnen, während Adrianas Resignationsmotiv mit ihnen verwandt ist, musikalisch also aus der Liebe der Fürstin zu Maurizio resultiert. Ihre Resignation ist im Libretto nur indirekt erkennbar, dafür umso deutlicher musika-lisch artikuliert. Es ist ein Gefühl, das dem Komponisten persönlich nahe war, worüber er aber nie sprach.

Zwei Dinge im 2. Akt sind musikdramatur-gisch besonders interessant. Maurizios Auftrittsmusik parodiert sowohl in der tänzelnden Orchesterbegleitung als auch in der Gesangslinie die „acerba voluttà“, die verzehrende Leidenschaft der Fürstin. Er nimmt sie also von Anfang an nicht ernst, was ihre nervöse Überreaktion verständlich und Maurizios Müdigkeitsarie „L‘anima stanca“ zur Pose macht. Zweitens ist das Duett Adriana-Fürstin kurz vor Schluss des Akts eine wörtliche Reprise des Duetts Adriana-Maurizio aus dessen Mitte. Beide Frauen machen sich also auch musikalisch den Platz im Liebesduett streitig.

Die Modernität der Veristen bestand ihrer Meinung nach darin, dass sie die Kunst auf die Höhe der Wissenschaften hoben. Nach dem Soziologen Auguste Comte war der Mensch durch sein Milieu geprägt, nach Hippolyte Taine durch Landschaft und Klima, nach Darwin durch sein biologisch-genetisches Erbe. Diese Lehren prägten

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33Seung-Gi Jung, Ks. Barbara Dobrzanska, Ks. Konstantin Gorny, Fredrika Brillembourg, Ks. Klaus Schneider, Badischer Staatsopernchor

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auch jenseits der inhaltlichen Seite die mu-sikalische Struktur der veristischen Oper. In sinfonischen Vor- und Zwischenspielen wurde die schicksalhafte Macht der Natur geschildert, in großen Chor- und Ensemble-szenen der Einfluss der Gesellschaft und in eruptiven Vokalausbrüchen die Macht der Instinkte. Außerdem arbeiteten veristische Partituren lange bevor der Film Bedeutung erlangte mit moderner Schnitt- und Monta-getechnik, um Milieus und Charaktere un-versöhnbar aufeinander prallen zu lassen. Dies entsprach den Erfahrungen einer sich industrialisierenden Massengesellschaft, die von Anonymität und Entfremdung zwi-schen den Schichten, aber auch zwischen Stadt und Land, Mensch, Arbeit und Natur geprägt war.

Adriana Lecouvreur bietet dem Theatermi-lieu mit dem rasant-fanfarenhaften, tänzeln-den, trillernden und geschäftig wirbelnden Theaterthema des Beginns breiten Raum. Es dominiert in unterschiedlichen Gestalten und Funktionen den gesamten 1. Akt und kehrt in den folgenden drei Akten punktuell wieder. Auch Fürst und Abbé sind milieu-haft durch ein höfisches Tanzmotiv, eine Bourrée, charakterisiert. Sie beginnt mit einem gravitätischen Auftakt, macht dann eine Art musikalischen Kratzfuß und tänzelt schließlich preziös dahin. Seine Intrige heckt der Fürst erstaunlicherweise penta-tonisch aus, eine Klangfarbe, die wir heute dank Turandot und Land des Lächelns eher mit dem Fernen Osten assoziieren. Cilèa sah darin offenbar eine grotesk veraltete Tonskala, mit der er den grotesk veralteten Fürsten graziös charakterisieren wollte. Das Sextett des Fürsten, seines Trabanten, des Abbés, und der Komödianten im 1. Akt ist ein satztechnisches Meisterwerk. Es synchronisiert unterschiedliche Rhythmen und lässt den Cantus firmus durch die Stim-

men wandern. Man fühlt sich einmal mehr an Strauss‘ Ariadne erinnert, diesmal an das Buffoquintett nach der Zerbinetta-Arie.

Auch der andere Gesellschaftsakt der Adriana ist musikalisch durch sein Milieu determiniert. Er besteht bis kurz vor Schluss aus einer einzigen Abfolge von Tänzen. Kernmotiv ist der Galopp, mit dem er be-ginnt und der den ganzen 3. Akt in ähnlicher Weise strukturiert wie das Theatermotiv den 1. Dieser Galopp rast auch durch die kurze Soloszene der Fürstin, die von kur-zen musikalischen Reminiszenzen des 2. Aktes albtraumartig heimgesucht wird. Ihr galanter Dialog mit dem schmetterlingshaft flatternden Abbate ist ein Menuett mit Trio, seine Rokoko-Canzonette ein Menuett. Die folgenden Dialoge werden wieder vor dem Hintergrund des Galopps geführt und durch Adrianas Auftreten unterbrochen. Zu Maurizios Auftritt baut sich über Fanfaren ein Polonaisenmotiv auf, passend für den Sohn des Königs von Polen. Darüber legt sich beim Gesellschaftstanz ein Walzer. Maurizios Kosakenerzählung ist ein Marsch, das Ballett besteht aus Barcarole, Saraban-de und Gigue. Der Streit der beiden Frauen entspinnt sich über dem Barcarolenthema, womit angedeutet ist, dass mit den Göttin-nen der Tanzpantomime die Rivalinnen ge-meint sind. Das Orchester intoniert fünf mal hintereinander Maurizios „Adriana“-Ruf, als wollte es sie warnen, sich nicht aus der Fas-sung bringen zu lassen. Auch der Chor fällt bei der Entdeckung des Armbands der Fürs-tin mit wuchtig-homophoner Deklamation aus der Rolle der Ballgäste und mutiert mu-sikalisch zum Chor einer antiken Tragödie. Damit nimmt das Schicksal seinen allertra-gischsten Lauf. Hier nun kippt die Tanzsuite des Balls effektvoll aus dem Milieu heraus in ein völlig anderes, zeitloses Genre, das im Phädra-Monolog seinen Höhepunkt findet.

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Auch mit sinfonischen Instrumentalstücken, die ein Glanzpunkt jeder veristischen Oper darstellen, geizt Adriana Lecouvreur nicht. Ein Höhepunkt ist sicher das Vorspiel zum 4. Akt, das aus einem Trauermarsch über „po-veri fiori“ und dem Mondscheinmotiv aus dem 2. Akt mit Einschüssen des Eifersuchts-motivs besteht. Das Mondscheinmotiv erscheint erstmals als Vorspiel zu „O vaga-bonda stella“, wenn die Fürstin ans Fenster tritt und den Neumond, also „schwarzes Licht“ auf der Seine schimmern sieht. Sein eingebildetes Flirren ist doppeldeutig. Es kann auch Herzflimmern bedeuten. Als sol-ches unterlegt es den Streit der Frauen im 3. Akt und das Intermezzo sinfonico im 2., wenn Adriana sich selbstlos entschließt, für Maurizio ins Nebenzimmer zu treten und der Fürstin unerkannt zur Flucht zu verhelfen, was übrigens schon in den Puritanern von Cilèas Lieblingskomponisten Bellini den Wahnsinn der Heldin auslöste. Dieses atem-beraubende Intermezzo bringt zweimal das „vagabonda stella“-Motiv, zweimal „dolicis-sima effigie“ und mündet schließlich in das Herzflimmern des Mondscheinmotivs. Damit stellt Cilèa die Liebe beider Frauen in der Mitte des Akts auf eine Ebene.

Die Sterbeszene, die schon im Schauspiel die Herausforderung aller Diven war, ist auch in Cilèas Oper das Meisterstück einer Psychologie des Sterbens. Zunächst ver-sucht Michonnet Adriana mit einer neapoli-tanischen Melodie aufzuheitern. Dann fei-ern die Komödianten ihren Geburtstag mit einem Spottlied auf den Fürsten. Es folgen die Arie und das Duett mit Maurizio, in dem noch einmal das „dolcissima effigie“-Motiv ihrer Liebe verarbeitet wird. Im B-Teil des Duetts erscheint, laut Regieanweisung „mit sanfter Traurigkeit“, erstmals Adrianas Verklärungsmotiv, und zwar auf jene Worte, in denen sie den Thron, den Maurizio ihr

anbietet, ablehnt, weil ihr Reich die Bühne sei. Maurizio greift das Motiv notengetreu auf, was musikpsychologisch das Verspre-chen ist, ihr Vermächtnis treu zu erfüllen. Darauf folgen die einzigen acht Takte der Oper, in denen sie text- und notenidentisch zusammen singen. Es ist eine bittersüße Apotheose der Zärtlichkeit im neapolita-nischen Tonfall wie wir ihn aus O sole mio kennen. Im Orchesternachspiel wiederho-len die Geigen die traurig-schöne Melodie, während die Hörner des Hades leise aber vernehmlich zum Aufbruch in die Unterwelt blasen. Eine konventionelle Oper würde mit so einem Liebesduett schließen. Doch nun setzt der Todeskampf ein, den man in der Tradition der Wahnsinnsszenen sehen kann, der in seinem Realismus aber höchs-tens mit Verdis Traviata vergleichbar ist. In ihm werden Fetzen der „poveri fiori“ vom Entsagungsthema verdrängt. Es wird über Streichertremolo oder fahlen Akkorden gesprochen. Wenn Adriana in der Agonie ihre Rivalin fantasiert, blitzt ein Fragment ihres Verführungsmotivs simultan mit dem nun zweideutig zwischen Laszivität und Verklärung schillernden Mondscheinmotiv auf. Adriana ist dem Wahnsinn nahe. Mau-rizio wiegt die Delirierende zum bitteren Themenkopf des Liebesmotivs in seinen Armen. Sie stößt ihn weg, spürt in einem euphorischen Moment seine Wärme, bei-de brechen in den Adriana/Maurizio-Ruf des ersten Liebesduetts aus. Gleichzeitig pochen Hörner und Posaunen leise an die Tür. Adriana verliert das Bewusstsein. Acht Takte lang geleitet ein chromatisch über verminderte Mollakkorde von B-Dur nach E-Dur fallendes Charonsmotiv in Bass-tuba und Posaunen die Bewusstlose in die Unterwelt. Mit dem Entsagungsmotiv der Klarinette gelingt es Michonnet, sie wieder zurückzuholen. Mit dem kraftvoll intonier-ten Verklärungsmotiv kommt sie zu Kräften,

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nur um den Geliebten nach der Nahtoder-fahrung „Rette mich! Rette mich! Ich will nicht sterben!“ anzuflehen. Die Illusion bricht schlagartig ab. Adriana hört im Fa-gott das Eifersuchtsmotiv der Fürstin, „Der Tod ist hier in mir drin“. Nach einem vor-letzten Aufbäumen driftet sie endgültig ins Delirium ab. Sie verkennt ihre Freunde, hält sich für Melpomene, reagiert auf die Gewalt der Eifersucht gewalttätig, antizipiert ihren Übertritt ins Jenseits. Sie tut dies erstmals außerhalb ihrer Bühnenrollen in gereimten Versen, also Zungenrede. Während sie selbst das Verklärungsthema nur noch gebrochen artikulieren kann, spielen die Geigen es ungebrochen. Dann übernehmen es die Celli tonlos. Adriana verlischt. Lange Pause wie bei Mimìs Tod in La Bohème, in denen die Anwesenden zu begreifen versuchen, was geschehen ist. Schließlich entschwebt ihre Seele wie diejenige Me-lisandes in Debussys im gleichen Jahr ur-aufgeführtem Pelléas, Cilèas Lieblingsoper, mit Streichern und Harfe im dreifachen pianissimo himmelwärts. Es gibt nicht viele Werke, die das Sterben so wissenschaftlich korrekt abbilden. Flauberts Madame Bova-ry, Tolstois Krieg und Frieden und Ferdinand Hodlers Aquarelle und Zeichnungen seiner sterbenden Geliebten Valentine Godé-Darel gehören dazu. In dieser Liga spielt Adriana Lecouvreur.

Cilèas Auseinandersetzung mit Wagner be-sitzt auch eine autobiografische Komponen-te. Mit 14 Jahren lernte er den Meister per-sönlich kennen. Wir sind von beiden Seiten über die Begegnung unterrichtet. Seit den 1850er Jahren hielt sich Wagner regelmäßig in Italien auf, im Alter nicht zuletzt, um dem deutschen Winter zu entfliehen. Das tat er auch 1880, wobei seine erste Station vom 4. Januar bis 7. August Neapel war. Am 16. April 1879 hatte er die Kompositionsskizze

zu Parsifal in dreijähriger Arbeit abge-schlossen. Nun wollte er Kraft sammeln, um den Entwurf zu überarbeiten und instru-mentieren. Gründonnerstag, den 25. März 1880, besuchte er auf Anregung einer italie-nischen Verehrerin, der Gräfin Bagnara, das Konservatorium von Neapel, wo Cilèa und sein Freund Umberto Giordano studierten. Hören wir zunächst Cosimas Tagebuch.

Wagner entschloss sich trotz seiner Ver- stimmung über eine exaltierte Wagneriane-rin aus Rom, „doch in die Kirche [zu] fahren, um das Miserere zu hören. – Lange Fahrt bis in das Konservatorium [...]. – Ankunft durch eine enge Gasse in dem hohen Gang eines schönen Hofes, dann in eine schö-ne gewölbte Kapelle. Empfang durch die anmutige Herzogin Bagnara; Plärren der Psalmen, Ein- und Ausgehen der Frommen, R. wird von dem Herzog und den andren Herren des Konservatoriums entführt, weil der Gottesdienst noch eine Stunde dauern soll. Er kommt wieder, und in der Dunkelheit beginnt der Chor. – Furchtbar erhabene Wirkung der Musik – sagt R. –, und: Es ist dies die eigentliche Musik, neben welcher alles Spielerei ist. Die Komposition (von Leo) baut sich wie ein mächtiger Dom auf, streng gefugt, erhaben und notwendig; jede Modulation ungeheuer wirksam, weil durch die Konsequenz der Stimmführung geschaffen. Die Aufführung leidet unter den Pausen, die der Kapellmeister der Sicher-heit wegen zu machen sich genötigt sieht. Aber die Knabenstimmen wirken rührend naiv. – Wir denken an Parsifal! [...] Lange noch, heimgekehrt, mit R. über diese Kir-chenmusik gesprochen – erhabenste, ganz unpersönliche Kunst.“

Wagner hatte die beiden Komponisten Leonardo Leos doppelchöriges Miserere von 1739 singen hören. Cilèa erinnerte sich

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später so: „Ich sehe Wagner noch vor mir, wie er zwischen Cosima und Florimo sitzt, die Füße auf einem hellen Kachelboden, der einen schon beim bloßen Anblick vor Kälte zittern ließ. Als wir gerade einsetzen wollten, machte er uns ein Zeichen, dass er noch nicht bereit sei. Dann wandte er sich an Florimo: Haben sie nicht einen kleinen Teppich für mich? Ich friere an den Füßen. Der Teppich wurde gebracht. Er war lang genug, dass auch Cosima ihre Füßchen da-rauf setzen konnte. Dann gab uns der große Meister, nachdem seine Füße warm waren, den Einsatz noch bevor dies unser Chorlei-ter tun konnte. Wir sangen gut, wir sangen richtig, hatten aber eine verfluchte Angst. Wagner taxierte uns mit blitzenden Augen einen nach dem anderen. Als wir fertig waren, klatschte er in die Hände und trat, ohne seinen Teppich zu verlassen, auf uns zu. Du da! Wie heißt du? [...] Und du? Und dann fragte er: Seid ihr alle Komponisten? Da wir es nicht wagten, vor dem Genie von unseren Kompositionen zu sprechen, bejahten dies unsere Professoren für uns und er rief aus: In Italien sind alle Musiker! Darauf wandte er sich zu Florimo und sagte: Vielleicht sind unter diesen Bengeln die Erben ihres großen Bellini. Und um uns zu beglückwünschen reichte er denjenigen, die ihm zunächst standen, die Hand. Dann sah er sich um, ging auf mich schmächtigen Knirps und Giordano zu, die er schon die ganze Zeit ganz besonders gemustert hatte und reichte meinem Freund die eine und mir

die andere Hand. Ich weiß nicht, wie es Um-berto ging, aber meine Hand war eiskalt und zitterte in derjenigen Wagners, der aber kaum etwas zu uns sagte, sondern nur zu-hörte, was unsere Professoren erzählten.“

Cilèas Bericht scheint zu stimmen, denn auch Cosimas Tagebuch registrierte am nächsten Tag einen Schnupfen, den sich Wagner in der Kirche geholt hatte, und wieder zwei Tage später die von Cilèa ge-schilderte Unterredung mit Florimo, dem Rektor des Konservatoriums, der Wagner seine Bellini-Sammlung gezeigt hatte. Das Leo'sche Miserere scheint aber noch weit-gehendere Folgen gehabt zu haben, denn anderthalb Monate später, am 7. Mai 1880, hält Cosima überrascht fest: „Bei Tisch mel-det er, daß er die Chöre aus dem ersten Akt von Parsifal für unsere Kinder einrichten wolle.“ Sie wurden offenbar unter dem Ein-druck des neapolitanischen Knabenchores umgeschrieben und in dieser Fassung von Wagners Kindern unter seiner Leitung und Mitwirkung zu seinem 67. Geburtstag in einem Hauskonzert uraufgeführt. Überhaupt registrieren Cosimas Aufzeichnungen nach dem österlichen Kirchenbesuch fortgesetz-te Diskussionen über Religion, die in brüns-tigen Fantasien, gemeinsam mit Hermann Levi das Abendmahl zu nehmen, gipfeln. Man darf also vermuten, dass die Abend-mahlsmusik des 1. Akts unter dem Eindruck von Leos Miserere und somit auch Cilèas ihre endgültige Gestalt erhielt.

ICH BIN NUR DAS INSTRUMENT

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JOHANNES WILLIG Musikalische Leitung

Johannes Willig studierte Klavier, Dirigie-ren und Korrepetition in Freiburg sowie Orchesterleitung in Wien. Engagements führten den DAAD-Stipendiaten und Preisträger mehrerer internationaler Diri-gierwettbewerbe an das Theater Biel / So-lothurn, an das STAATSTHEATER KARLS-RUHE und als Ersten Kapellmeister und Stellvertretenden GMD an die Oper Kiel. Er gastierte an Häusern wie Teatro Comunale di Bologna, Staatstheater Wiesbaden, Theater St. Gallen und Teatro di San Carlo in Neapel sowie am Freiburger Theater, an der Deutschen Oper Berlin und der Opéra de Lyon. Seit der Spielzeit 2011/12 ist er Erster Kapellmeister und Stellvertretender Generalmusikdirektor am STAATSTHE-ATER KARLSRUHE. Hier dirigierte er Ein Maskenball, Tosca, La Traviata, Doctor Atomic, Der Prophet, Macbeth, The Riot of Spring, Rheingold, Walküre, Hänsel und Gretel, Die Hochzeit des Figaro sowie zahlreiche Sinfoniekonzerte.

DANIELE SQUEO Nachdirigat

Daniele Squeo studierte Klavier und Chorleitung in Italien sowie Orchester-leitung in Weimar. Der Preisträger inter-nationaler Wettbewerbe arbeitete mit der Neuen Philharmonie Westfalen, den Philharmonikern von Jena und Essen, den Symphonikern von Nürnberg und Bochum, dem Karlsbader Sinfonieorchester sowie dem Orchester des Teatro Lirico Speri-mentale Spoleto zusammen. Er besuchte Meisterkurse bei Steven Sloane, Sir Ro-ger Norrington und Sylvain Cambreling. Operndirigate führten ihn mit La traviata nach Rom, Spoleto und Assisi. 2013/14 war Squeo Studienleiter und Kapellmeister am Theater Nordhausen, bevor er 2014 an das STAATSTHEATER KARLSRUHE wechselte, wo er seit dieser Spielzeit als Erster Kapellmeister amtiert. Hier leitete er die Neuinszenierungen von I Capuleti e i Montecchi, Der Liebestrank und The Riot of Spring, zahlreiche Repertoirevorstellun-gen sowie Sinfoniekonzerte.

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KATHARINA THOMA Regie

Katharina Thoma studierte an der Musik-hochschule Lübeck Klavier und kam über ihre Tätigkeit als Liedbegleiterin und Kor-repetitorin zur Regie. Sie inszenierte u. a. Madama Butterfly an der Folkopera Stock-holm, Hänsel und Gretel an der Göteborg Opera, La clemenza di Tito an der Opéra national du Rhin, Straßburg, Ariadne auf Naxos beim Glyndebourne Festival und Un ballo in maschera am Covent Garden. An der Oper Frankfurt brachte sie zu Beginn dieser Spielzeit Flotows Martha sowie vor-her Mozarts La finta giardiniera und – als Übernahme einer Produktion der Malmö Opera – Samuel Barbers Vanessa heraus. Zuvor war sie am Theater Nordhausen, Staatstheater Kassel sowie 2011-2014 als Hausregisseurin an der Oper Dortmund tätig. Nach ihrem Debüt mit Cilèas Ad-riana Lecouvreur am STAATSTHEATER KARLSRUHE inszeniert sie Verdis Otello in Schwerin sowie eine Uraufführung an der Königlichen Oper Stockholm.

DIRK BECKER Bühne

Nach seinem Studium in Salzburg ar-beitete Becker frei mit Regisseuren und Choreografen aller Sparten zusammen. Für Christof Loy entwarf er Haydns Armida zur Eröffnung der Salzburger Festspiele 2007, Henzes Prinz von Homburg am Theater an der Wien, Glucks Alceste an der Wiener Staatsoper und in Aix-en-Provence, Jenufa an der Deutschen Oper Berlin, Parsifal und Rosenkavalier in Stockholm. Mit Michael Schulz brachte er 2006ff. Wagners Ring in Weimar heraus, der auf DVD aufgezeichnet wurde. Es folgten Meistersinger in Buda-pest, Liebestrank und Salome in Dresden, Frau ohne Schatten in Kassel und Gelsen-kirchen. Mit David Bösch zeigte er Vivaldis Orlando furioso in Frankfurt. Am STAATS-THEATER KARLSRUHE debütierte er 2014 mit Yuval Sharons Doctor Atomic, gefolgt von Verlobung im Traum mit Ingo Kerkhoff, mit dem er auch an der Berliner Staatsoper zusammen arbeitete. Adriana Lecouvreur ist seine erste Bühne für Katharina Thoma.

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IRINA BARTELS Kostüme

Irina Bartels studierte Mode in Hamburg und ist nach Assistenzen an den Hambur-ger Kammerspielen, am Thalia Theater, beim NDR und am Schauspiel Frankfurt seit 2004 national wie international frei-schaffend für Schauspiel und Oper tätig. Sie entwarf Kostüme für Produktionen wie Fräulein Julie am Schauspiel Frankfurt, Don Carlos am Schauspiel Essen, Besuch der alten Dame und Wunschkinder am Schauspiel Bochum, L’Heure Espagnole an der Oper Frankfurt und Death in Venice an der Opéra Nice. Mit Katharina Thoma verbindet sie seit La finta giardiniera an der Oper Frankfurt eine langjährige Zu-sammenarbeit bei Eliogabalo und Boris Godunov in Dortmund, Ariadne auf Naxos in Glyndebourne, Hänsel und Gretel in Göteborg, Maskenball am Covent Garden, Titus in Straßburg und demnächst Otello in Schwerin. Mit Adriana Lecouvreur de-bütiert sie am STAATSTHEATER. Künftige Projekte führen sie ans Volkstheater Wien.

BORIS KEHRMANN Dramaturgie

Der Hamburger studierte in Zürich, Alba-ny, N.Y. und Dresden und promovierte mit einer Arbeit über Walter Felsenstein im Dritten Reich. Er arbeitete als Regieas-sistent, Kritiker internationaler Fachzeit-schriften wie der Opernwelt, Dramaturg, Juror, Publizist und Fachübersetzer. An der Deutschen Oper Berlin konzipierte er 2005 gemeinsam mit Andreas K.W. Meyer in Zusammenarbeit mit der TheaterGemeinde Berlin die Veranstaltungsreihe Opern-werkstatt, die er bis 2013 leitete. Beim Rundfunkchor Berlin erregten verschie-dene seiner auch auf CD dokumentierten Projekte Aufsehen, so Rodion Shchedrins Der versiegelte Engel, Gustav Holsts Savi-tri, Christian Josts Angst und LOVER, Ri-chard Strauss und die Antike sowie Ernst Peppings Passionsberichts des Matthäus mit Hans-Werner Kroesinger. Seit Fantasio 2014 betreute er vertretungsweise sechs Produktionen am STAATSTHEATER. Ab 2016/17 gehört er fest zum Haus.

KATHERINE BRODERICK Adriana LecouvreurDie Britin sang nach ihrem Studium u. a. an Covent Garden, English Na-tional Opera, beim Glyndebourne Festival unter Sir Colin Davis, Donald Runnicles und demnächtst Sir Simon Rattle. Seit dieser Spielzeit gehört sie zum Ensemble des STAATSTHEATERS. Sie debütierte als Sieglinde in Die Walküre und wird als Vitellia in Mozarts Titus zu erleben sein.

KS. BARBARA DOBRZANSKA Adriana LecouvreurInternationale Engagements führten die polnische Sopranistin u. a. nach Budapest, Rom, Wien und Stockholm. Seit 2002 gehört sie zum Ensemble des STAATSTHEATERS. Hier verkörperte sie fast alle großen Verdi- und Puccini-Heroinen sowie viele Partien des slawischen und französischen Repertoires. 2017 gastiert sie als Marta in Die Passagierin in Dresden.

FREDRIKA BRILLEMBOURG a. G. Fürstin von BouillonDie amerikanische Mezzosopranistin gehörte 1995–2001 zum Ensemble des Theaters Bremen, wo sie mit dem Kurt-Hübner-Preis der Bremer Volksbühne ausgezeichnet wurde. Sie gastierte in Brüssel, Genf, Vene-dig, Amsterdam, Lyon, Washington, Frankfurt a. M., Dresden, Aix-en-Provence und gibt nun ihr Debüt am STAATSTHEATER KARLSRUHE.

SANJA ANASTASIA a. G. Fürstin von BouillonDie serbische Mezzosopranistin studierte in Wien und Graz. Sie gehör-te 2011–2013 dem Ensemble des Staatstheaters Mainz an und gastiert seither u. a. regelmäßig in der Arena di Verona, beim Aspendos-Festival, an der Wiener Volksoper und der Cape Town Opera in Südafrika. Am STAATSTHEATER debütierte sie 2013/14 als Ulrica im Maskenball.

JAMES EDGAR KNIGHT Moritz von SachsenDer Australier ist seit 2015 Ensemblemitglied des STAATSTHEATERS. Hier stellte sich der Juilliard School-Absolvent als Fenton in Falstaff vor. Außerdem sang er Jonas in Der Prophet, Freddy in My Fair Lady, Macduff in Macbeth und Froh in Rheingold. 2017/18 wird er als Gabriele in Simon Boccanegra und Alfredo in La traviata zu hören sein.

RODRIGO PORRAS GARULO a. G. Moritz von SachsenGeboren in Mexiko-City, studierte er am Salzburger Mozarteum. Bis 2015 gehörte er zum Meininger Theater. Gastspiele führten ihn zu den Stutt-garter Philharmonikern, zur Oper Leipzig u. a. Am STAATSTHEATER sang er Don José und Cavaradossi. Ab 2017/18 wird er als Ensemblemitglied Alfredo in La traviata und Gabriele in Simon Boccanegra verkörpern.

JACO VENTER MichonnetDer Südafrikaner studierte in Pretoria, London und San Francisco und kam über die USA und Südafrika 2001 nach Deutschland. Seit 2003 sang er im Ensemble des Nationaltheaters Mannheim, seit 2011 in dem des STAATSTHEATERS alle großen Partien des italienischen und Wagner-Fachs. Demnächst kommt der Fliegende Holländer neu hinzu.

SEUNG-GI JUNG MichonnetDer koreanische Bariton studierte in Seoul und Karlsruhe. Engagements führten ihn nach Bern, Augsburg, Gstaad und Toulouse. 2011 debütierte er als Marcello und Vater Germont am Teatro La Fenice, Venedig. Im glei-chen Jahr kam er ans STAATSTHEATER KARLSRUHE, wo er in dieser Spielzeit Donner in Rheingold und Belcore im Liebestrank singt.

Ks. KONSTANTIN GORNY Fürst von BouillonMit seinem Debüt bei den Bregenzer Festspielen 1993 startete der russi-sche Bass eine Weltkarriere, die ihn u. a. an die Wiener Staatsoper, nach Tokio, Sydney, Paris und an weitere wichtige Bühnen führte. Seit 1997 ist er Mitglied des STAATSTHEATERS, seit 2006 Kammersänger. 2016/17 singt er z.B Bakunin in Wahnfried, 2017/18 Hagen in Götterdämmerung.

AVTANDIL KASPELI Fürst von BouillonDer georgische Bass studierte in Tiflis und München, wo er als Sparafucile in Rigoletto debütierte. Am Prinzregententheater war er der Komtur in Don Giovanni. Seit 2011/12 ist er am STAATSTHEATER engagiert. Hier sang er Pimen in Boris Godunov, Colline, Sarastro, Zacharias in Der Prophet, Ban-co, Lorenzo, Fafner in Rheingold. 2017 kommt der Siegfried-Fafner hinzu.

JOSHUA LINDSAY a. G. Abbé von ChazeuilLindsay studierte an verschiedenen amerikanischen Hochschulen, wo er 2009 den Doktortitel erwarb. Nach großen Rollen an Bühnen seiner Heimat kam er 2011 ans Tiroler Landesthheater. Dort sang er ein breites Repertoire von Rossini bis Anatevka und wurde 2014 mit dem Schika-neder-Preis ausgezeichnet. Als Abbé debütiert er am STAATSTHEATER.

Ks. KLAUS SCHNEIDER Abbé von ChazeuilDer Rheinländer debütierte 1989 an der Opéra National de Paris und ge-hört seit 1990 dem Ensemble des STAATSTHEATERS an. Hier sang er die großen Mozart-, ausgewählte Wagner-sowie Partien wie Max im Frei-schütz, Blaubart, Hoffmann, Werther, Peter Grimes. 2003 wurde er zum Kammersänger ernannt. 2017/18 wird er als Titus zu hören sein.

Ks. TINY PETERS Mlle. JouvenotDie Sopranistin ist seit 1981 Mitglied des STAATSTHEATERS. Zu ihrem um-fangreichen Repertoire gehören alle großen Mozart-Partien, Adele in Fle-dermaus, Eliza in My Fair Lady, Gretel in Hänsel und Gretel u.v.a. 2006 wur-de ihr der Titel Kammersängerin verliehen. 2016/17 ist sie als Mrs. Pearce in My Fair Lady, Marcellina in Figaros Hochzeit und Walküre zu erleben.

AGNIESZKA TOMASZEWSKA Mlle. JouvenotDie polnische Sopranistin studierte in Danzig und Wien. Am STAATS-THEATER gastierte sie als als Katja in Die Passagierin bevor sie 2014 ins Ensemble eintrat. Hier machte sie als Sina in Die Verlobung im Traum, Mimì, Fiordiligi, Berthe in Der Prophet und Micaela von sich reden. 2016/ 17 singt sie Adina im Liebestrank, Gräfin in Figaro, Freia in Rheingold.

ARIANA LUCAS a. G. Mlle. DangevilleDie Kalifornierin wechselte nach ihrer Ausbildung an den Universitätenvon Sacramento und San Francisco ans Studio der Oper Luxemburg, wosie zahlreiche Partien des Altfachs sang. Am STAATSTHEATER KARLS-RUHE gab sie 2016 mit der Rheingold-Erda ihr Solodebüt. Daran schloss sich Schwertleite in Yuval Sharons Walküre an.

KRISTINA STANEK Mlle. DangevilleNach dem Studium an der Royal Academy in London gehörte die Mezzoso-pranistin zum Ensemble des Theaters Trier, wo sie Carmen, Sextus, Glucks Orfeo sang. Die Gewinnerin des Prager Mozart Wettbewerbs und Stipen-diatin des Wagner Verbands wechselte 2015 ans STAATSTHEATER. Hier ist sie als Eliza in My Fair Lady und Cherubino in Figaro zu hören.

CAMERON BECKER PoissonDer amerikanische Tenor wurde an der Arizona State University und amSalzburger Mozarteum ausgebildet. Bevor er 2015/16 ans STAATSTHEA-TER wechselte, war er am Theater Regensburg engagiert. In Karlsruhewar und ist er in Partien wie Tamino, Pedrillo in Entführung, Freddy in My Fair Lady , Froh in Rheingold und Titus in Clemenza di Tito zu erleben.

NANDO ZICKGRAF a. G. PoissonZickgraf studierte an der Hochschule für Musik Karlsruhe u. a. bei Júlia Várady. 2013–15 gehörte er dem Opernstudio des STAATSTHEATERS an, wo er zahlreiche Rollen u. a. in Meistersinger von Nürnberg, Falstaff und Wo die wilden Kerle wohnen sang. Seither gastierte er am Münchner Gasteig, Nationaltheater Mannheim und STAATSTHEATER KARLSRUHE.

HAKAN ÇIFTÇIOĞLU QuinaultDer 1988 in Istanbul geborene Bass studierte an den Konservatorien seiner Heimatstadt und von Mersin und wirkte an Fazil Says Album Yeni Sarkilar mit. Als Gewinner des Internationalen Siemens-Gesangswett-bewerbes kam er 2016 ans OPERNSTUDIO des STAATSTHEATERS. Hier sang er den Arzt in Macbeth, My Fair Lady und im Weihnachtssingen.

YANG XU QuinaultDer chinesische Bassbariton absolvierte sein Studium in Peking. 2013–15 war er Mitglied des OPERNSTUDIOS, seit 2016 ist er fest am STAATS-THEATER KARLSRUHE engagiert. Hier sang und singt er Pater Lorenzo in Bellinis I Capuleti e i Montecchi, Fasolt in Rheingold, Somnus in Se-mele, Bartolo in Figaro und demnächst Publio in La clemenza di Tito.

HÉLÈNE VERRY ChoreografieVerry studierte an den Konservatorien Dijon und Lyon. Über das Jeune Ballet de France, Paris, und das Ballet National de Nancy et de Lorraine kam sie zum Ballett des STAATSTHEATERS KARLSRUHE. Hier tanzte sie unter den Ballettchefs Casado, Schmidt, Wyss. 2004 gründete sie das Bal-lettstudio LA REMISE. Seither tanzt und choreografiert sie freischaffend.

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BILDNACHWEISE

TITEL Felix GrünschloßPROBENFOTOS Falk von Traubenberg

Felix Grünschloß

IMPRESSUM

HERAUSGEBER BADISCHES STAATSTHEATERKARLSRUHE

GENERALINTENDANT Peter Spuhler

KAUFMÄNNISCHER DIREKTORJohannes Graf-Hauber

VERWALTUNGSDIREKTOR Michael Obermeier

CHEFDRAMATURG Jan Linders

OPERNDIREKTOR Michael Fichtenholz

REDAKTIONDr. Boris Kehrmann

KONZEPT DOUBLE STANDARDS BERLIN www.doublestandards.net

GESTALTUNGKristina Schwarz

DRUCK medialogik GmbH, Karlsruhe

BADISCHES STAATSTHEATER KARLSRUHE 2016/17Programmheft Nr. 369www.staatstheater.karlsruhe.de

TEXTNACHWEISAlle Texte sind Originalbeiträge von Dr. Boris Kehrmann. Die ungekürzte Versi-on ist auf www.staatstheater.karlsruhe.de abrufbar.

Die wichtigste Quellensammlung zu Cilèa ist der von Domenico Ferrari, Nandi Ostali und Piero Ostali jr. herausgegebene Band Francesco Cilèa, Mailand 2000. Pierre Germain, Adrienne Le Couvreur, tragédi-enne, Paris 1983, hat das Leben der Schau-spielerin aus zeitgenössischen Dokumen-ten erforscht. Fiamma Niccolodis Musica e musicisti nel ventennio fascista, Florenz 1984, ist nach wie vor das Referenzwerk zur Musik im italienischen Faschismus. Es ist eine Epoche, die auch in Italien immer noch in den meisten Biografien still-schweigend unterschlagen wird. Diesen drei Pionierarbeiten ist dieses Programm-heft zu Dank verpflichtet.

MORGEN BIN ICH WIEDER EINEN TAG ALTER

45Ks. Barbara Dobrzanska

ER GEHÖRT MIR!