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Redaktion C. Krettek, Hannover Unfallchirurg 2008 · 111:776–784 DOI 10.1007/s00113-008-1492-y © Springer Medizin Verlag 2008 H. Zwipp Klinik und Poliklinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie, Universitätsklinikum Dresden Wiederherstellende Chirurgie der Folgezustände nach Kompartmentsyndrom des Unterschenkels und/oder Fußes Vorstellung einer neuen Klassifikation Leitthema Deformitäten des Fußes und der Zehen nach nicht erkanntem, unzureichend be- handeltem oder nicht beeinflussbarem (direkte Quetschung) Kompartmentsyn- drom sind aufgrund der funktionellen Beteiligung extrinsischer und intrin- sischer Muskeln am Erfolgsorgan Fuß so- wohl nach Kompartment- und/oder Post- ischämiesyndrom des Unterschenkels, des Fußes oder durch Kombination bei- der möglich. Während im Vorfußbereich Hammer- zehen nach isoliertem Kompartmentsyn- drom des Fußes insbesondere durch Kon- trakturen der Mm. flexores breves ent- stehen, sind beim kombinierten Kom- partmentsyndrom des Unterschenkels und Fußes durch Beteiligung der extrin- sischen und intrinsischen Beuger vorwie- gend Krallenzehen zu beobachten. Entsprechend den 4 Kompartmenten am Unterschenkel sind isolierte oder kombinierte Folgeschäden bei unzurei- chend entlastetem Kompartment-/Post- ischämiesyndrom möglich: F Der ausschließliche Befall der Tibia- lis-anterior-Loge imponiert wie eine Lähmung des tiefen Astes des M. pe- ronaeus. Es besteht die Unfähigkeit, den Fuß dorsal zu flektieren und die Zehen zu heben. Sensibel bestehen Ausfälle im ersten Zehenzwischen- raum. Es finden sich kaum Kontrak- turen, es sei denn, dass durch eine Mitbeteiligung der oberflächlichen Beugerloge ein Pes equinus resultiert. Als isolierter Ausfall der Tibialis-an- terior-Loge ist diese Entität in knapp 40% aller Fälle nach Gefäßverletzung zu beobachten [12]. F Ein isoliertes Kompartmentsyndrom der Peronaeusloge ist nach Whitesides [20] extrem selten. Aufgrund der Mit- beteiligung des N. peronaeus super- ficialis sind sensorische Defizite as- soziiert. Der motorische Verlust ent- spricht einer deutlichen Schwächung der Pronationskraft des Fußes. F Die oberflächliche Beugerloge ist eben- so wie die Peronealsehnenloge iso- liert extrem selten betroffen [20] und führt regelhaft zur kontrakten Spitz- fußfehlstellung ohne Sensibilitätsstö- rungen, da in dieser Loge keine Ner- ven verlaufen. F Beim isolierten Befall der tiefen Beu- gerloge, der sicherlich am häufigsten übersehenen oder unzureichend ge- spaltenen Loge, kommt es in Extrem- fällen zum schwersten Pes equino- varus mit typischer Supinations-Ad- duktion-Equinusstellung des Vor- und Mitt-Fußes verbunden mit er- heblichem Rückfußvarus. Dies ist durch die pathologische Muskelim- balance, insbesondere durch die Kon- traktur des M. tibialis posterior und der langen Beuger zu erklären. Bei Muskelnekrosen des M. flexor hallu- cis longus und des M. flexor digito- rum longus kommt es zur Ausbildung von Krallenzehen im Sinne des Hal- lux flexus und der Krallenzehen D2 bis D5. Zusätzlich können Sensibili- tätsstörungen an der Fußsohle beste- hen, oft kombiniert mit trophischen Störungen der Haut bis hin zu un- bemerkten Druckulzera unter dem fünften Strahl. Während nach Echtermeyer [3] ein Kom- partmentsyndrom des Unterschenkels bei 17% aller Unterschenkelfrakturen be- obachtbar ist, kann nach eigener, früherer Analyse [16] ein isoliertes Kompart- mentsyndrom des Fußes vornehmlich bei Lisfranc- und Chopart-Luxationsfrak- turen in knapp 40% der Fälle beobachtet werden, nach Kalkaneusfrakturen in etwa 5–10%. Die Kombination von Unterschen- kel- und Fußkompartmentsyndrom kann in annähernd jedem 4. Fall eines Unter- schenkelkompartmentsyndroms beob- 776 |  Der Unfallchirurg 10 · 2008

Wiederherstellende Chirurgie der Folgezustände nach Kompartmentsyndrom des Unterschenkels und/oder Fußes

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Page 1: Wiederherstellende Chirurgie der Folgezustände nach Kompartmentsyndrom des Unterschenkels und/oder Fußes

RedaktionC. Krettek, Hannover

Unfallchirurg 2008 · 111:776–784DOI 10.1007/s00113-008-1492-y© Springer Medizin Verlag 2008

H. ZwippKlinik und Poliklinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie, Universitätsklinikum Dresden

Wiederherstellende Chirurgie der Folgezustände nach Kompartmentsyndrom des Unterschenkels und/oder FußesVorstellung einer neuen Klassifikation

Leitthema

Deformitäten des Fußes und der Zehen nach nicht erkanntem, unzureichend be-handeltem oder nicht beeinflussbarem (direkte Quetschung) Kompartmentsyn-drom sind aufgrund der funktionellen Beteiligung extrinsischer und intrin-sischer Muskeln am Erfolgsorgan Fuß so-wohl nach Kompartment- und/oder Post-ischämiesyndrom des Unterschenkels, des Fußes oder durch Kombination bei-der möglich.

Während im Vorfußbereich Hammer-zehen nach isoliertem Kompartmentsyn-drom des Fußes insbesondere durch Kon-trakturen der Mm. flexores breves ent-stehen, sind beim kombinierten Kom-partmentsyndrom des Unterschenkels und Fußes durch Beteiligung der extrin-sischen und intrinsischen Beuger vorwie-gend Krallenzehen zu beobachten.

Entsprechend den 4 Kompartmenten am Unterschenkel sind isolierte oder kombinierte Folgeschäden bei unzurei-chend entlastetem Kompartment-/Post-ischämiesyndrom möglich:FDer ausschließliche Befall der Tibia-

lis-anterior-Loge imponiert wie eine Lähmung des tiefen Astes des M. pe-ronaeus. Es besteht die Unfähigkeit, den Fuß dorsal zu flektieren und die Zehen zu heben. Sensibel bestehen

Ausfälle im ersten Zehenzwischen-raum. Es finden sich kaum Kontrak-turen, es sei denn, dass durch eine Mitbeteiligung der oberflächlichen Beugerloge ein Pes equinus resultiert. Als isolierter Ausfall der Tibialis-an-terior-Loge ist diese Entität in knapp 40% aller Fälle nach Gefäßverletzung zu beobachten [12].

FEin isoliertes Kompartmentsyndrom der Peronaeusloge ist nach Whitesides [20] extrem selten. Aufgrund der Mit-beteiligung des N. peronaeus super-ficialis sind sensorische Defizite as-soziiert. Der motorische Verlust ent-spricht einer deutlichen Schwächung der Pronationskraft des Fußes.

FDie oberflächliche Beugerloge ist eben-so wie die Peronealsehnenloge iso-liert extrem selten betroffen [20] und führt regelhaft zur kontrakten Spitz-fußfehlstellung ohne Sensibilitätsstö-rungen, da in dieser Loge keine Ner-ven verlaufen.

FBeim isolierten Befall der tiefen Beu-gerloge, der sicherlich am häufigsten übersehenen oder unzureichend ge-spaltenen Loge, kommt es in Extrem-fällen zum schwersten Pes equino-varus mit typischer Supinations-Ad-duktion-Equinusstellung des Vor-

und Mitt-Fußes verbunden mit er-heblichem Rückfußvarus. Dies ist durch die pathologische Muskelim-balance, insbesondere durch die Kon-traktur des M. tibialis posterior und der langen Beuger zu erklären. Bei Muskelnekrosen des M. flexor hallu-cis longus und des M. flexor digito-rum longus kommt es zur Ausbildung von Krallenzehen im Sinne des Hal-lux flexus und der Krallenzehen D2 bis D5. Zusätzlich können Sensibili-tätsstörungen an der Fußsohle beste-hen, oft kombiniert mit trophischen Störungen der Haut bis hin zu un-bemerkten Druckulzera unter dem fünften Strahl.

Während nach Echtermeyer [3] ein Kom-partmentsyndrom des Unterschenkels bei 17% aller Unterschenkelfrakturen be-obachtbar ist, kann nach eigener, früherer Analyse [16] ein isoliertes Kompart-mentsyndrom des Fußes vornehmlich bei Lisfranc- und Chopart-Luxationsfrak-turen in knapp 40% der Fälle beobachtet werden, nach Kalkaneusfrakturen in etwa 5–10%. Die Kombination von Unterschen-kel- und Fußkompartmentsyndrom kann in annähernd jedem 4. Fall eines Unter-schenkelkompartmentsyndroms beob-

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Zusammenfassung · Abstract

Unfallchirurg 2008 · 111:776–784 DOI 10.1007/s00113-008-1492-y© Springer Medizin Verlag 2008

H. Zwipp

Wiederherstellende Chirurgie der Folgezustände nach Kompartmentsyndrom des Unterschenkels und/oder Fußes. Vorstellung einer neuen Klassifikation

ZusammenfassungFolgen eines abgelaufenen, unerkannten, nicht ausreichend entlasteten oder nicht beeinflussbaren (direkte Muskelquetschung) Kompartment- und/oder Postischämiesyn-droms des Unterschenkels (meist nach Unter-schenkelfraktur oder A.-poplitea-Läsion) manifestieren sich durch Nekrosen und Kon-trakturen der extrinsischen Fußmuskeln, die Fehlstellungen des Fußes wie Krallenzehen, einen Pes equinus mit oder ohne Fußheber-lähmung bis hin zum schwersten Pes equino-varus – je nach betroffenem Kompartment – hervorrufen können. Beim kombinierten Kompartmentsyndrom des Unterschenkels und Fußes sind nicht nur die langen, sondern auch die kurzen Flexoren betroffen, sodass es zur ausgeprägten Krallenzehenbildung der Kleinzehen und zum Hallux flexus kommt. Auch isolierte Kontrakturen des M. flexor hallucis longus sind beobachtbar, die funk-tionell bei geringer Verkürzung erst bei der „Kniebeuge” zum schmerzhaften Einkral-len der Großzehe führen. Beim unzureichend

entlasteten, isolierten Kompartmentsyndrom des Fußes stehen kontrakte Hammerzehen im Vordergrund, die meist nach offenen oder drittgradig geschlossenen Kalkaneusfrak-turen gesehen werden.

Entsprechend der vielfältigen Kompart-mente des Fußes und der 4 Logen des Unter-schenkels ergeben sich beim unzureichend behandelten Kompartmentsyndrom des Fußes und/oder Unterschenkels eine große Varianz von Fehlstellungen und Funktions-defiziten. Nach der Schwere der Behinderung und dem Ausmaß der notwendigen opera-tiven korrigierenden Maßnahmen wird ei-ne neue Klassifikation der Funktionsstörung (Grad 1a bis 5c) vorgestellt.

Von 1994 bis zum 2006 wurden in der Klinik für Unfall- und Wiederherstellungs-chirurgie am Universitätsklinikum „Carl Gustav Carus” der Technischen Universität Dresden 66 Patienten an den Folgen eines Unterschenkel- oder Fußkompartmentsyn-droms operativ versorgt. Am häufigsten wur-

den Patienten mit Hammerzehen (meist D2 bis D5) nach Kalkaneusfrakturen (n=26) bei kompartmentbedingten Kontrakturen der Mm. flexores breves operiert. Am zweithäu-figsten fanden sich Fälle eines schweren Pes equinovarus nach Kompartment- und/oder Postischämiesyndrom des Unterschenkels mit Kontrakturen der tiefen und oberfläch-lichen extrinsischen Beugemuskeln (n=24). Seltener wurden Folgen eines isolierten Kom-partments extrinsischer Muskeln korrigiert, wie z. B. nach dem Ausfall der M.-tibialis- anterior-Loge, der Peronealsehnenloge, einzelner Muskeln der 4 Unterschenkel- muskellogen oder eines kombinierten Kompartmentsyndroms des Unterschenkels und Fußes (n=16).

SchlüsselwörterUnterschenkel/Fuß · Kompartmentsyndrom · Postischämiesyndrom · Hammerzehen · Krallenzehen · Hallux flexus

Reconstructive surgery of sequelae of compartment syndrome of the lower leg and/or foot. Presentation of a new classification

AbstractThe sequelae of an undiagnosed insufficiently treated or unpreventable (by crush injury) compartment or postischemic syndrome, most often after lower leg fracture or popliteal artery injury, are caused by necrosis and contracture of the extrinsic foot muscles. Therefore claw toes, pes equinus or other forms, such as a severe pes equino varus related to the compartment involved will decide the kind of foot deformity. In cases of a combined compartment syndrome of the lower leg and foot, not only the extrinsic but also the intrinsic muscles especially the short flexors are involved, leading to extensive claw toeing of the hallux and the lesser toes as well. In the case of an isolated compartment

syndrome of the foot one will see contracted hammer toes most often after open or third degree closed calcaneal fractures. A new clas-sification of all the different deformities of the foot and ankle as sequelae of a compart-ment and/or postischemic syndrome, is intro-duced distinguishing 5 degrees of deformi-ty. Between 1994 and 2006, a total of 66 pa-tients with sequelae of a compartment and/or postischemic syndrome were treated at the Department of Trauma and Reconstruc-tive Surgery of the University Hospital“Carl Gustav Carus” of the Technical University of Dresden. Patients with contract hammer toes after calcaneal fractures were seen most of-ten (n=26). Another large group of 24 pa-

tients suffered from the sequelae of a com-partment and/or postischemic syndrome of the extrinsic muscles of the superficial and deeper compartment of the flexor tendons, producing a severe pes equino varus. Less common (n=16) were the deformities caused by an isolated compartment syndrome, such as necrosis of the anterior tibialis, long ex-tensor muscles, peroneal muscles or a com-bined compartment syndrome of the lower leg and foot.

KeywordsLower leg · Foot compartment syndrome · Postischemic syndrome · Hammer toes · Claw toes · Hallux flexus

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achtet werden. Bei rechtzeitig entlastetem Kompartmentsyndrom des Fußes ist die Entwicklung von Hammerzehen wenig wahrscheinlich (ca. 8%), beim Postischä-miesyndrom ohne Spaltung aller 4 Haupt-logen des Fußes ist die Entwicklung hin-gegen sehr wahrscheinlich [16].

Schwere „postischämische Fußdefor-mitäten”, die über die Ausbildung eines sog. Kurzfuß-Syndroms (der betroffene Fuß ist kleiner als der gesunde) oder Hammer- bzw. Krallenzehenbildung hin-ausgehen, sind bei meist unzureichend behandeltem Unterschenkelkompart-mentsyndrom am wachsenden Skelett, d. h. bei Kindern und Jugendlichen zu beobachten [21]. Dies gilt insbesondere,

wenn z. B. neben einer Unterschenkel-fraktur mit Kompartmentsyndrom noch zusätzlich eine Gefäßzerreißung bestand, die im Sinne des Postischämiesyndroms und/oder Kompartmentsyndroms v. a. zu Nekrosen in der tiefen Beugesehnenloge führte. Gerade der posttraumatische, in-direkt entstehende Pes equinovarus zeigt in Sonographie und MRT Nekrosen und Narben im Bereich des M. tibialis poste-rior, M. flexor hallucis longus und M. fle-xor digitorum longus. Auch bleibende Nervenschäden, z. B. des N. ischiadicus, N. tibialis oder N. peronaeus profundus führen besonders am wachsenden Skelett zur Muskelimbalance und zu konsekuti-ven kontrakten Fußfehlstellungen.

Daher sind rekonstruktive Operati-onen am Fuß zur Behebung von Folge-schäden nach Kompartmentsyndrom meist notwendig bei Muskelnekrosen und -kontrakturen der extrinsischen Muskula-tur im vorgeschalteten Unterschenkelseg-ment oder bei vorausgegangenem Kom-partmentsyndrom der Fußbinnenmus-kulatur.

Klassifikation

Aufgrund der Vielfalt der Deformationen nach Kompartmentsyndrom unterschei-den wir nach dem Ausmaß der funktio-nellen Behinderung und dem Umfang der notwendigen Korrekturmaßnahmen 5 Grade der Folgen nach Kompartment- oder Postischämiesyndrom (.Tab. 1, 2):

Grad 1: Kleinzehenkontraktura) Isolierte Schädigung der Fußbinnen-

muskulatur mit Muskelnekrosen und -kontrakturen der Mm. flexores bre-ves unter Ausbildung von kontrakten Hammerzehen.

b) Kombinierte Schädigung der Mm. flexores breves und des M. fle-xor digitorum longus mit Ausbildung von Krallenzehen.

Grad 2: Großzehenkontraktura) Funktioneller Hallux flexus nach iso-

lierter Muskelpartialnekrose des M. flexor hallucis longus, d. h. patho-logisches Einkrallen der Großzehe nur bei Kniebeugung.

b) Kontrakter Hallux flexus nach Mus-kelnekrose des M. flexor hallucis longus.

Grad 3: Großzehen- und Kleinzehenkont-raktura) Kontrakter Hallux flexus mit zusätz-

lichen Hammer-/Krallenzehen D2–D5 nach Nekrose des M. flexor hallu-cis longus, des M. flexor digitorum longus und/oder der kurzen Zehen-beuger als Ausdruck eines kombi-nierten Unterschenkel- und Fußkom-partmentsyndroms.

b) Kontrakter Hallux flexus et abductus bei extremer Verkürzung des M. fle-xor hallucis longus kombiniert mit Hammer-/Krallenzehen D2–D5.

Tab. 1  Klassifikation der Folgen an Fuß und Sprunggelenk nach Kompartment-/ Postischämiesyndrom

Typ I Kleinzehenkontraktur a) Hammerzehenb) Krallenzehen

Typ II Großzehenkontraktur a) Funktioneller Hallux flexusb) Kontrakter Hallux flexus

Typ III Kleinzehen- und Großzehenkontraktur

a) Kontrakter Hallux flexus + Hammer-/Krallenzehen (D2 bis D5)b) Kontrakter Hallux flexus et abductus + Hammer-/Krallen- zehen (D2 bis D5)

Typ IV Pes equinus a) Kontrakter Pes equinus, kein Nervenschadenb) Ausfall des M. tibialis anterior, M. extensor hallucis/digitorum longus und/oder Ausfall des N. peronaeus communisc) Zusätzliche Nekrose der Mm. peronaei und Ausfall des N. peronaeus communis

Typ V Pes equinovarus a) + Defekt N. peronaeus communis (motorisch/sensibel)b) + Defekt N. tibialis (motorisch/sensibel)c) + kombinierter Defekt N. peronaeus communis + N. tibialis + asensible Fußsohle

Tab. 2  Korrekturen nach isoliertem und kombiniertem Kompartmentsyndrom verschie-dener Logen

a) Isoliertes Unterschenkelkompartmentsyndrom n

M. triceps surae (perkutane Achillessehnentenotomie) 2

M. tibialis anterior (M.-tibialis-posterior-Transfer) 2

M. flexor hallucis longus (Verlängerungstenotomie) 5

M. peronaei (M.-tibialis-posterior-Transfer) 1

b) Isoliertes Fußkompartmentsyndrom

Mm. flexores breves (perkutane Tenotomie meist D2 bis D5) 26

c)  Kombiniertes Unterschenkel-/Fußkompartmentsyndrom

M. flexor hallucis longus + M. flexor digitorum longus + M. flexores breves (Verlängerungstenotomien)

6

d) Pes equinovarus

M triceps surae + M. flexor hallucis longus + M. flexor digitorum longus + M. tibialis posterior (komplexe Rekonstruktion)

24

Gesamt 66

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Leitthema

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Grad : Pes equinusa) Spitzfuß durch Nekrosen und Kon-

traktur der oberflächlichen extrin-sischen Beuger (M. triceps surae), keine Nervenschädigung.

b) Zusätzlicher Ausfall des M. tibialis an-terior, des M. extensor hallucis longus oder M. extensor digitorum longus aufgrund von Muskelnekrosen und/oder N.-peronaeus-communis-Läh-mung.

c) Zusätzliche Nekrose oder nervenbe-dingter Ausfall der Mm. peronaei.

Grad : Pes equinovarusa) Zusätzlicher N.-peronaeus-commu-

nis-Schaden.b) Zusätzlicher Defekt des N. tibialis.c) N.-peronaeus-communis- und N.-ti-

bialis-Schaden mit asensibler Planta pedis.

Operative Prinzipien

Da in der Literatur [2, 4, 5, 8, 9, 10, 13, 14, 15, 16, 17, 20, 21, 22] nur relativ wenige Hin-weise zur Behandlung der Kompartment-folgen am Fuß bestehen, hat sich aufgrund des eigenen Krankengutes ein definiertes Behandlungsregime ergeben, welches im Folgenden dargestellt wird.

Allgemein hat sich gezeigt, dass sich bei Folgezuständen nach Kompartmentsyn-

Abb. 1 8 Perkutane Tenotomie von Hammer-/Krallenzehen: a,b Unter Streckung der Zehe wird auf Höhe der Mittelphalanx (Inzision 1) mit der 15er-Klinge auf Höhe des Unterrandes des Knochens eine Stichinzision vorgenommen. Die Klinge wird im rechten Winkel zum Knochen zunächst waage-recht am Unterrand des Knochens entlang nach lateral geschoben, um sie dann um 90 Grad entgegen dem Uhrzeigersinn zu drehen. In der Regel wird die Zehe unter leichtem Krachen bei Durchtrennung der langen und kurzen Beugersehne vollkommen flexibel. Nur bei der Kontraktur des Endgliedes käme zusätzlich die Inzision 2 zur Durchtrennung der kontrakten plantaren Endgliedgelenkkapsel in Betracht. c Bei Hallux flexus wird prinzipiell bumerangförmig unterhalb des Innenknöchels die Inzi-sion über den Sehnen angelegt und kann beliebig (gepunktete Linie) nach distal fortgeführt werden. d Meist reicht die Z-förmige Tenotomie der Flexor-hallucis-longus- und Flexor-digitorum-longus-Sehne aus, um einerseits die Großzehe und andererseits die Kleinzehen unter Durchbewegen der Gelenke physiologisch ausrichten zu können. Sind distal Verklebungen vorhanden, kann über eine Stichinzision von medial an der Großzehe zusätzlich eine plantare Kapsulotomie des MP-I-Gelenkes (e) vorgenom-men werden, um dann die Großzehe mit einem Kirschner-Draht zentral zum Metatarsale-I-Köpfchen temporär zu transfixieren. Die tenotomierten Kleinzehen werden nach Möglichkeit funktionell vom Patienten behandelt

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drom im Gegensatz zu anderen Ursachen der Hammerzehe die minimal-invasive perkutane Tenotomie (.Abb. 1) sehr bewährt hat. Im Bereich der Flexor-hallu-cis-longus- und Flexor-digitorum-longus-Sehne kommen statt Tenotomien prinzi-

piell nur Tenolysen und treppenförmige Verlängerungen in Betracht. Im Bereich der Achillessehne hat sich die perkutane nahtlose Z-Plastik (.Abb. 2) bewährt. Beim M.-tibialis-posterior-Transfer zur aktiven Fußhebung hat sich bei den ten-

dogenen und arthrogenen Kontrakturen bisher nie die Entwicklung eines postope-rativen Pes plano valgus durch den Ver-lust des medialen Steigbügels gezeigt, so-dass diese Sehne bedenkenlos bei ausrei-chend motorisch funktionierendem Mus-kel zur aktiven Fußhebung eingesetzt wer-den kann.1. Hammerzehen nach Kompart-

mentsyndrom des Fußes (meist nach Kalkaneusfraktur) werden – wie be-reits früher dargestellt [21, 22] – per-kutan tenotomiert (.Abb. 1). Die Nachbehandlung kann dabei tem-porär mit 1,2 mm starken Kirschner-Drähten im Sinne der zentralen Auf-fädelung und Transfixation in Streck-stellung zum jeweiligen Metatarsa-leköpfchen für 3–4 Wochen erfol-gen, mit Ruhigstellung des Fußes im Lopresti-Slipper für 4–6 Wochen. Besser erscheint die alternative rein funktionelle Nachbehandlung durch den kooperativen Patienten selbst, der mit passiver Überstreckung der Zehen ab dem 2. postoperativen Tag 3×30-mal pro Zehe und Tag über ins-gesamt 4 Wochen die Eigenbehand-lung übernimmt. Eine Ruhigstellung des Fußes ist nicht notwendig, sodass in einem Verbandsschuh oder im pa-tienteneigenen Schuh nachbehandelt werden kann.

2. Der Hallux flexus erfordert den me-dialen Zugang mit subtiler Tenoly-se, plantarem Kapselrelease des Me-tatarsophalangealgelenkes I und trep-penförmiger Verlängerung der Seh-ne um die Länge, welche die intraope-rative korrigierte Neutral-0-Stellung der Großzehe vorgibt. Die Adaptati-on der Z-förmig tenotomierten Seh-ne erfolgt mit 2,0-PDS-Naht. In die-ser Position wird die Großzehe mit einem zentral eingebrachten Kirsch-ner-Draht (1,4 mm) zum Metatarsa-leköpfchen I über 3–4 Wochen tem-porär transfixiert. Gelegentlich ist zu-sätzlich zur Verlängerung der Flexor-hallucis-longus-Sehne noch eine ent-sprechende treppenförmige Verlän-gerung der Extensor-hallucis-longus-Sehne notwendig. Die Nachbehand-lung erfolgt im Lopresti-Slipper für 4–6 Wochen.

Abb. 3 8 Funktioneller Hallux flexus (Typ 2a) nach partieller Nekrose des M. flexor hallucis longus bei einem 20-jährigen Patienten. a: Bei gestreckten Knien steht die Großzehe nahezu normal. Der weiße Pfeil zeigt auf die lange mediale Narbe nach Plattenosteosynthese. b: Ab 40-Grad-Beugung krallt die Großzehe (roter Pfeil) immer mehr ein, was plantarseitig und streckseitig im Schuh erheb-liche Probleme verursacht

Abb. 2 8 Perkutane Tenotomie der Achillessehne: Man beachte, dass die Inzision proximal medial und distal lateral erfolgen soll, um den N. suralis nicht zu schädigen. Die Brücke soll in der Regel mindestens 5 cm betragen. Das Abscheren der Fasern längs erfolgt allein durch die kräftige Dorsal-flexion des Fußes wie rechts im Bild gezeigt

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Leitthema

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3. Hallux flexus und Krallenzehen (D2 bis D5) erfordern eine Korrektur des Hallux flexus wie oben beschrieben. Für die Korrektur der Krallenzehen ist eine analoge Verlängerung der M.-flexor-hallucis-longus-Sehne (FHL-Sehne) notwendig. Die Hautinzision erfolgt proximal inframalleolär über dem Verlauf der Sehne, um gegebe-nenfalls zusätzlich zur Tenolyse eine Verlängerung durchführen zu kön-nen. Die Z-förmige Verlängerung ist in der Länge vorzunehmen, wie sich die Kleinzehen intraoperativ bei dor-salflexiertem Fuß in Neutral-0-Posi-tion einstellen lassen. Da es sich bei der Krallenzehenbildung der Kleinze-hen in der Regel um eine kombinierte Folge des Kompartmentsyndroms von Unterschenkel und Fuß handelt, müssen in der Regel die kurzen Beu-ger zusätzlich, wie bei den Hammer-zehen oben beschrieben, tenotomiert werden. Die Kleinzehen werden hier-bei vorzugsweise zentral zu den Meta-

tarsaliaköpfchen hin transfixiert ein-schließlich des korrigierten Hallux flexus. Die Ruhigstellung im Lopresti-Slipper erfolgt für 4–6 Wochen.

4. Pes equinus: Bei erhaltenem M. tibi-alis anterior und intakten Mm. pero-naei ist die Kontraktur durch Muskel-nekrosen der oberflächlichen extrin-sischen Beuger bedingt, sodass hier-für in der Regel eine perkutane Te-notomie der Achillessehne ausrei-cht (.Abb. 2). Die Nachbehand-lung erfolgt im Variostabil-Stiefel für 6 Wochen. Bei fehlender aktiver Fußhebung wird zusätzlich zu die-ser Maßnahme ein Transfer des M. ti-bialis posterior durch die Membra-na interossea hindurch oder subku-tan (3 QF oberhalb des Innenknö-chels von medial nach lateral) geführt auf das Os cuneiforme III vorgenom-men. Die Nachbehandlung erfolgt im Unterschenkelgehgipsverband für 6 Wochen mit einem anschließen-den speziellen krankengymnastischen

Übungsprogramm zum Erlernen der aktiven Fußhebung.

5. Pes equinovarus: Diese schwerste Form der posttraumatischen Fehlstel-lung des Fußes nach Kompartment- und/oder Postischämiesyndrom er-fordert ein sehr aufwendiges Vor-gehen mit Sehnenverlängerung des M. flexor hallucis longus, des M. fle-xor digitorum longus und des M. tibi-alis posterior, sofern dieser nicht bei Fußheberausfall mit Knochenblock zur aktiven Fußhebung auf das Os cuneiforme III transponiert werden muss. Ein zusätzliches mediales Re-lease der kontrakten Flexorenretina-cula und medialen Kapselkontrak-turen ist meist notwendig, um den va-rischen Rückfuß zu korrigieren. Nur bei unzureichender Einstellung des Fußes in die Neutral-0-Position kann zusätzlich eine Triplearthrodese not-wendig werden oder bei schwerstkon-traktem zusätzlichem Pes cavus an-terior eine achskorrigierende Cho-

Abb. 4 8 Kontrakter Hallux flexus mit Krallenzehen D2, D3 (Typ 3b): Die Abbildungen a–d wurden von der Patientin gefertigt und überlassen. a Erheblich kontrakter Hallux flexus mit Kontraktur auch der Extensor-hallucis-longus-Sehne assoziiert mit Krallenzehen (D2 und D3). b–c Die 1-Jahres-Kontrolle belegt die vollständige funktionelle Wiederherstellung der Zehen D1 bis D3 einschließlich des Tragens eleganter Schuhe

Abb. 5 8 Pes equinus nach kontraktem, teilreseziertem M. tibialis anterior (1) und des Extensor digi-torum longus (2). b 11-Jahres-Follow-up mit sehr guter Funktion der Dorsalflexion des transponierten M. tibialis posterior auf das Os cuneiforme III

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part-Arthrodese. Bei Kontraktur der Plantaraponeurose ist ein zusätzliches Steindler-Procedere zu empfehlen. Bei motorischen und/oder sensiblen Ausfällen des N. tibialis sollte prinzi-piell eine vollständige Dekompressi-on des N. tibialis mit Lupenbrille er-folgen. Als medialer Zugang hat sich der „postero-medial utility approach” nach Hansen [6] vom Hinterrand des Innenknöchels bis zum Os naviculare bewährt. Für einen eventuell zusätz-lich notwendigen Zugang lateral, z. B. bei Triplearthrodese ist der Ollier-Zu-gang vorteilhaft. Für die unmittelbare postoperative Nachbehandlung ist ein temporäres Anlegen einer tibiotar-salen Transfixation für 10 Tage, d. h. für die Wundheilungsphase zu emp-fehlen. Bei zusätzlichem M.-tibialis-posterior-Transfers oder Umleitung des M. peronaeus longus oder brevis zur aktiven Fußhebung ist nach Ent-fernung des Unterschenkelgehgips-verbandes ein spezielles krankengym-nastisches Übungsprogramm erfor-derlich.

Cave: Bei erheblichem Rückfußvarus ist präoperativ im Rahmen des Aufklärungs-gespräches immer darauf hinzuweisen, dass unter Umständen durch die Korrek-tur des Rückfußes medialseitig auch bei Verwendung des „postero-medial utili-ty approach” ein Hautverschluss primär nicht möglich sein kann und ggf. eine kleine Vollhautverpflanzung primär oder sekundär notwendig werden kann. Auch auf die Gefahr von Hautnekrosen medial-seitig mit eventuell sekundär notwendiger Lappenplastik oder die iatrogene Läsion des N. tibialis bei starker Vernarbung ist hinzuweisen.

Klinische Fallbeispiele

Funktioneller Hallux flexus (Typ 2a)

Ein 20-jähriger Patient war 1 Jahr zuvor auswärtig bei zweitgradig offener Unter-schenkelfraktur links mittels Plattenos-teosynthese an der Tibia, wegen verzö-gerter Heilung mit sekundärer autologer Spongiosaplastik versorgt worden. Er be-klagt bei protrahiertem Heilverlauf ein schmerzhaftes Einkrallen der Großzehe,

die nur bei aktiver Kniebeuge ab 40 Grad (.Abb. 3) auftritt. Die passive Streckung der Großzehe ist rechts bis 80 Grad, links nur bis 20 Grad möglich. In seinem Beruf als Klempner fühlt er sich bei häufig not-wendig kniender Arbeit sehr beeinträch-tigt, sodass eine klare Indikation zur Kor-rektur besteht.

Die notwendige Verlängerung be-trägt 1 cm. Auf eine temporäre Kirschner-Draht-Transfixation kann bei sicherer Z-förmiger Verlängerungsplastik mit 2,0-PDS-Naht verzichtet werden, sodass die Nachbehandlung rein funktionell mit Tapeverband für 4 Wochen erfolgt. Bei der 3-Monats-Kontrolle ist der Patient völlig beschwerdefrei und lässt keiner-lei Einkrallen der Großzehe bei Kniebeu-gung erkennen.

Kontrakter Hallux flexus  mit Krallenzehen (Typ 3b)

Eine 20-jährige Patientin (.Abb. 4), die 1 Jahr zuvor auswärtig bei chro-nischer vorderer Kreuzbandinstabili-tät eine Ersatzplastik erhalten hatte, ent-wickelte durch einen postoperativ-stran-gulierenden, nicht korrigierten Verband einen Taubheit der Fußsohle mit Fuß-heberlähmung sowie einen rasch pro-gredienten Pes equinus mit kontrakten Zehen D1 bis D3 rechts. Die junge Stu-dentin beklagt Schmerzen der kontrak-ten Zehen im normalen Schuhwerk so-wie die Unmöglichkeit, elegante Schuhe zu tragen.

Durch ein kombiniertes Vorgehen mit „gastroc slide“, Verlängerung der Sehne des M. flexor hallucis longus um 3 cm und des M. flexor digitorum longus um 1 cm sowie des M. extensor hallucis longus um 1,5 cm einschließlich der Dekompression des N. tibialis in Lupenbrillentechnik wird die Großzehe mit einem 1,8er-Kirschner-Draht zum MT-I-Köpfchen hin für 4 Wo-chen transfixiert, die Kleinzehen D2 und D3 werden funktionell durch die Patien-tin selbst behandelt. Die Immobilisation erfolgt im Unterschenkelgehgipsverband mit 20 kp Teilbelastung für 6 Wochen. Beim 1-Jahres-Follow-up sind alle Zehen frei beweglich. Die Taubheit der Fußsäu-le ist nahezu vollständig verschwunden. Die Patientin ist nicht nur beschwerde-frei, sondern überglücklich, auch wieder

hochhackige Schuhe tragen zu können (.Abb. 4e).

Pes equinus mit kontraktem/teilreseziertem M. tibialis anterior (Typ 4b)

29-jähriger Patient, der 3 Jahre nach Unterschenkelfraktur mit Kompart-mentsyndrom, Faszienspaltung und par-tieller Nekrektomie des M. tibialis ante-rior und M. extensor digitorum longus (.Abb. 5a) weniger unter einem leich-ten Spitzfuß leidet, als vielmehr an ei-ner fehlenden aktiven Hebung des Fußes, verbunden mit dem notwendigen Tragen eines Heidelberger Winkels.

Durch einen M.-tibialis-posterior-Transfer mit Knochenblock, subkutan von medial 3 QF oberhalb des Innen-knöchels nach lateral tunneliert und auf das C3 transferiert, zeigt er beim Follow-up nach 11 Jahren eine nahezu norma-le Fußheberfunktion und keine sekun-däre Entwicklung eines Pes plano valgus durch Opferung des M. tibialis posterior (.Abb. 5b).

Fazit für die Praxis

Wenngleich Pioniere zur Erkennung und Behandlung des Kompartmentsyndroms [1, 7, 14, 15, 18] wiederholt auf die  Gefahren des Kompartment- oder Post-ischämiesyndroms hingewiesen und ver-schiedene Chirurgen [3, 8, 10, 11, 14, 20, 22] die rechtzeitige Spaltung der Muskel-logen zur Vermeidung von Folgeschäden  empfohlen haben, gibt es zur rekon-struktiven Chirurgie der Deformitäten  an Sprunggelenk und Fuß insgesamt nur relativ wenig Berichte [2, 4, 5, 8, 9, 13, 16, 17, 21, 22]. Während Seddon [15] und Manoli et al. [9] die Exzision nekrotisch-kontrakter Muskeln empfehlen, konnten  im eigenen Krankengut Kontrakturen in der OSG- und Fußebene in der Regel durch Tenolyse und Z-förmige Sehnen-verlängerungen ausgeglichen werden, um den Fuß in seinen anatomischen  Achsen reorientieren zu können. Dies mit minimaler Rezidivrate von 2 bei 24 kom-plexen Korrekturen eines Pes equinova-rus. Tenotomien der extrinsischen Seh-nen und Triplearthrodesen wie von Han-sen [5] noch 1991 empfohlen und im  

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Leitthema

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eigenen früheren Krankengut [21, 22] ausschließlich durchgeführt, sind zwi-schenzeitlich im eigenen Vorgehen seit 15 Jahren durch operative Prinzipien wie Sehnenverlängerung, Gelenklösung, Achskorrektur und nur temporäre  Gelenktransfixation abgelöst worden. Selbst die rein funktionelle Behandlung nach Tenotomie der Kleinzehenbeuger  auf Höhe des proximalen Interphalan-gealgelenkes der Kleinzehen erschei-nen der Tenotomie mit anschließender Kirschner-Draht-Transfixation überle-gen zu sein, da die peripheren Beugeseh-nen so unter Verlängerung verheilen und eine Restfunktion beim Abstoßen des Fußes übernehmen können. Reorien- tierende Triple-, Subtalar- oder Chopart-/ Lisfranc-Arthrodesen müssen nur noch in Ausnahmesituationen zur Anwendung kommen.

KorrespondenzadresseProf. Dr. H. ZwippKlinik und Poliklinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie, Universitätsklinikum DresdenFetscherstr. 74, 01307 [email protected]

Interessenkonflikt. Der korrespondierende Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

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784 |  Der Unfallchirurg 10 · 2008

Interaktive OP-Lehre im Internetwww.webop.de

Nach einer 10monatigen Entwicklungszeit

startet die online OP-Lehre webop. Auf dieser

Ausbildungs- und Internetplattform werden

zunächst ausgewählte Operationen, ab

Herbst 2010, das komplette Spektrum

der Allgemein- und Viszeralchirurgie mit

ca. 140 Operationen abgebildet. Mit der

didaktisch innovativen Trias Text – Video –

Skizze werden Operationen Schritt für Schritt

erklärt. Die Themen Anatomie, perioperatives

Management, Komplikationen und Evidenz

vervollständigen jedes Thema zu einer abge-

schlossenen Wissens- und Lerneinheit. Unter

dem Motto „sehen – verstehen – mitmachen“

bildet ein interaktiver Bereich das Herzstück

der OP-Lehre. Durch die Möglichkeit des

web2.0 können die Benutzer Informationen

austauschen, Inhalte erstellen und selber

Videosequenzen zur Verfügung stellen. So

kann Wissen nicht nur abgerufen, sondern

auch diskutiert werden. Mit diesem inno-

vativen Konzept und der Aufbereitung als

web2.0-Portal stellt sich webop dem hohen

Anspruch von Aktualität und Praxisbezug.

Entwickelt wurde webop am Lehrstuhl für

Chirurgie I der Universität Witten/Herdecke

von Prof. Dr. M.M. Heiss und Frau Dr. C. Pape-

Köhler. Das Gründerherausgeberteam

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Prof. Dr. H.-P. Bruch, Prof. Dr. M. M. Heiss und

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Das webop Portal steht ab Oktober 2008

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können ebenfalls über das eCME-Center

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