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Zusatzmaterialien zur Folge 05 Wissen wir mehr als wir glauben?

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Zusatzmaterialien zur Folge 05

Wissen wir mehr als wir glauben?

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Zusatzmaterialien zur Folge 05

Wissen wir mehr als wir glauben?

Interessierte Horerinnen und Horer finden auf diesen Seiten weiterfuhrendeInformationen zum Sendungsthema als Zusatzmaterial. Philosophische Neulinge undFortge- schrittene erwarten ganz unterschiedliche Angebote zum Stobern, Uberfliegenoder Weiterdenken. Zeitmarkierungen erleichtern die Bezuge zur Sendung furLehrkrafte; Seitenangaben verweisen Multiplikatoren auf die Manuskripte.

Folge 05 zum Nachhoren und Herunterladen

Die Materialien wurden zum Zugriffszeitpunkt 1.12.2014 erstellt von:Judith Dieter, Kerstin Erlen, Julia Kretzschmann (Studierende)Sebastian Boll, M. A.; Dr. des. Jakob Krebs; OStR i. H. Sabine RehInstitut fur Philosophie der Goethe-Universität Frankfurt am Main

Inhaltsverzeichnis

1. Perspektiven ............................................................................................................................................... 21.1 Wissen und Wissensgesellschaft ............................................................................................... 21.2 Zum philosophischen Hintergrund ........................................................................................... 4

2. Konzepte ................................................................................................................................................... 102.2 Rationalismus – Wissen durch Denken ................................................................................ 122.3 Empirismus – Wissen durch Erfahrung ............................................................................... 132.4 Rechtfertigung von Überzeugungen ...................................................................................... 152.5 Wissen, Zweifeln, Glauben ......................................................................................................... 17

3. Personen ................................................................................................................................................... 194. Didaktik ..................................................................................................................................................... 23

Bitte verzichten Sie der Umwelt zuliebe auf unnotige Ausdruckedieses Dokuments.

Das Zusatzmaterial verweist großtenteils auf Online-Inhalte.

Sendung 05: Wissen wir mehr als wir glauben?Zusatzmaterialien, Seite 1

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1. Perspektiven

Alle Menschen streben von Natur aus nach Wissen.

Aristoteles

Der Mensch ist ein neugieriges Wesen. Schon in unserer Kindheit wollen wir wissen, wiedie Dinge in der Welt funktionieren und warum. Im Erwachsenenalter scheint sich unserWissensdrang verändert zu haben: Wir wissen dann wie man liest, schreibt und amEssenstisch sitzt, dass die Erde eine Kugel und der Mount Everest der hochste Bergunseres Planeten ist. Das wissen wir, weil es uns von anderen Menschen beigebrachtwurde, weil wir es gelesen oder irgendwo aufgeschnappt haben. Immer wieder muss derMensch jedoch erkennen, dass er nicht alles wissen kann. Auch wenn es in Bibliothekenund Datenbanken ein “menschliches Gedächtnis” zu geben scheint, der Mensch wird nieallwissend sein. Also stellt sich die Frage: Was wollen und was konnen wir eigentlichwissen?

Die Rubrik “Perspektiven” bietet zunächst einige allgemeine Hinweise auf die Relevanzdes Sendungsthemas und seine philosophischen Hintergrunde. SpezifischeErläuterungen folgen dann in der Rubrik “Konzepte“.

1.1 Wissen und Wissensgesellschaft

Bezug Manuskript: S. 8, 16; Bezug Audio 10:30, 22:50

Online-Audio-Podcast (13:03)Was kann ich wissen? (hr info)Harald Lesch wendet sich in der kurzweiligen Sendereihe “Philosophie fur Fußgänger”den vier Kantischen Fragen zu. Der Beitrag zur Frage “Was kann ich wissen?” beleuchtetImmanuel Kants Überlegungen zur Erkenntnistheorie. Dieser und weitere Lesch-Beiträge konnen online nachgehort und heruntergeladen werden.

Online-Video-BildungskanalWas wir noch nicht wissen (ARD-Alpha)In der Sendungsreihe von ARD-Alpha geht es um die ungeklärten Fragen des Lebens. DieMacher dieser spannenden Reihe kurzer Internet-Videos widmen sich sowohl

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praxisnahen (“Warum mussen wir schlafen?”) als auch wissenschaftlich-abgehobenenFragen (“Existiert der Mond auch, wenn keiner hinsieht?”). Die Beiträge zeigen, dass wirbezuglich vieler Aspekte unseres Lebens noch gar kein fundiertes Wissen haben.

Online-ArtikelWarum wir niemals alles wissen werden (Spiegel Online)Dieser Artikel begegnet dem Thema des Wissensdurstes sozusagen “vom anderen Ende”,nämlich ausgehend von der Tatsache, dass wir niemals alles wissen werden. Das klingtzunächst enttäuschend, allerdings sind wir damit im positiven Sinne herausgefordert,uns klarzumachen, zu welchem Zweck wir eigentlich etwas wissen wollen.

Online-PortalWissensgesellschaft (UNESCO)Die deutsche UNESCO-Kommission bietet auf ihrer Internetseite Informationen rund umdas Thema “Wissens- und Informationsgesellschaft” an, unter anderem zu den PunktenWissenserwerb, Wissensvermittlung und soziale Medien.

Online-EssayMerkmale der Wissensgesellschaft (Martin Heidenreich)Das Schlagwort “Wissensgesellschaft” ist unter Geisteswissenschaftlern eing l e i c h e r m a ß e n p o p u l ä r e r w i e s t r e i t b a r e r B e g r i f f . G e n a u w i e m i t“Informationsgesellschaft” oder dem von Kulturwissenschaftlern bevorzugten Begriff“Postmoderne” versucht man, das soziale und wirtschaftliche Leben despostindustriellen Zeitalters (seit den späten 1960er-Jahren) zu charakterisieren. Inseinem Essay untersucht der Soziologe Heidenreich, inwiefern Wissen (im Sinne derWissenschaften und der Informationstechnologie) fur unsere Gesellschaft zentral ist.Heidenreich steht dem Begriff “Wissensgesellschaft” jedoch kritisch gegenuber. Fraglichsei, ob eine Gesellschaft durch Rekurs auf “Wissen” definiert werden kann, daschlussendlich keine Gesellschaft ohne Wissen auskomme. Trotzdem konne der Begriffgenutzt werden, um die Besonderheiten der heutigen Gesellschaft zu beleuchten.

Seminar-Manuskript (PDF, 65 S.)Wissenschaftstheorie (Elke Brendel)Wie schafft die Wissenschaft eigentlich Wissen? Um neue Erkenntnisse zu erhaltenbetreiben wir Forschung. In den verschiedenen Wissenschaften fuhrt manUntersuchungen durch und denkt uber Probleme und mogliche Losungen nach.

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Wissenschaft muss dabei bestimmte Anforderungen erfullen, um auch als solche geltenzu konnen. Brendel gibt in diesem Skript einen Überblick uber die Theorie derWissenschaften.

Online-Transkript (ZEITonline)Zur Verantwortung der Wissenschaften (Helmut Schmidt)“Nach zwei Weltkriegen, nach Auschwitz, nach Hiroshima, nach einer weltweit großen Zahlekelhafter Diktaturen im Laufe des 20. Jahrhunderts geht es mir für das neue Jahrhundertum das Bewusstsein der Verantwortung für die Folgen. Es geht mir um Weitsicht, umUrteilskraft im Blick auf die ungewollten, zugleich aber immer möglichen Folgewirkungen.”– Helmut Schmidt thematisiert in seiner Rede 2011 zum 100. Geburtstag der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft die heutige soziale Verantwortung von Wissenschaftlerinnen undWissenschaftlern.

Handy-AppUnnützes Wissen (neon.de)Ist Wissen eigentlich immer nutzlich? Das hängt wohl maßgeblich vom Kontext ab. DieZeitschrift Neon hat inzwischen zwei Bucher mit “unnutzem Wissen” herausgegebenund verbreitet auch online Erkenntnisse, die niemand braucht. Sogar eine Handy-Appexistiert, mit der man sich jeweils das neueste unnutze Wissen auf das Smartphoneladen kann! Interessant ist es erstaunlicherweise dann oft trotzdem – oder wussten Sieschon, dass Fledermausmännchen entweder ein großes Hirn oder große Hoden haben?

1.2 Zum philosophischen Hintergrund

Bezug Manuskript: S. 2, 14; Bezug Audio 1:50, 20:00

Ich weiß, dass ich nichts weiß.

Sokrates

Begriffsbestimmung Was ist Wissen? – Die klassische Definition“Ich weiß, dass ich nichts weiß” – dieser Satz wird dem griechischen PhilosophenSokrates zugeschrieben. Er stellte damit die Frage, welche Wissensanspruche wirphilosophisch reflektiert aufrechterhalten konnen. Um darauf antworten zu konnen,

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mussen wir uns zunächst klarmachen, was Wissen uberhaupt ist. Sokrates und seinSchuler Platon suchten deshalb nach einer allgemeingultigen Definition von Wissen.

Platon diskutiert in seinem Dialog Theaitetos (online auf ZENO.org) moglicheDefinitionen des Wissensbegriffs. Die Dialogteilnehmer Sokrates und Theaitetos gehendavon aus, dass Wissen in unmittelbarem Zusammenhang mit Wahrheit stehen muss.Das bringt sie zu dem Definitionsversuch, dass Wissen wahre Meinung sein konnte. Dochdas kann nicht stimmen. Sokrates fuhrt als Beispiel den Richter an. Richter mussen nachHorensagen urteilen. Sie bilden sich Meinungen uber ihre Fälle. Gute Richter erwerbenwahre Meinungen uber Fälle; dennoch erlangen sie damit kein Wissen. Es muss derDefinition also noch etwas hinzugefugt werden. Diese zusätzliche Eigenschaft vonMeinungen wird als eine bestimmte Form der Begrundung bestimmt: Wissen ist wahreMeinung mit Erklärung. Im Sinne dieser Definition Platons galt nachfolgendjahrhundertelang die Auffassung, dass Wissen gerechtfertigte, wahre Meinung ist. Erst imJahr 1963 erfolgte ein echter Bruch mit dieser Annahme.

Wissenschafts-Blog50 Jahre Gettier-Fall oder -Fail? (Leonie Seng)Im Jahr 1963 veroffentlichte Edmund Gettier seinen nur knapp drei Seiten umfassendenAufsatz “Is Justified True Beliefe Knowledge?”. Gettier argumentiert, dass die klassischeDefinition des Wissens unzureichend ist, weil es Fälle von wahrer, gerechtfertigterMeinung gibt, die kein Wissen sind. In ihrem Blog beschreibt Leonie Seng verständlichund kurzweilig das Gettier-Problem. Die Szenarien, in denen die klassische Definitiondes Wissens versagt, mogen konstruiert erscheinen. Nimmt man sie aber ernst, kommtman nicht um die Feststellung umhin, dass Personen hier schlichtweg Gluck darin haben,dass ihre begrundeten Meinungen wahr sind.

Kann Wissen aber eine Sache des Glucks oder Pechs sein? Seit Gettiers Einwand gab esviele Versuche, die klassische Definition des Wissens zu modifizieren oder so zuergänzen, dass der Fall des epistemischen Glucks ausgeschlossen ist. Anlässlich des 50-jährigen Jubiläums des Gettier-Aufsatzes trafen 2013 Erkenntnistheoretiker an der UniErlangen fur einem Workshop zusammen. In ihrem Aufsatz gibt Seng auch einen kurzenÜberblick uber die dort vertretenen Positionen.

Online-Comic (englisch)Smith and Jones (nach Edmund Gettier)Einer der ursprunglichen Gettier-Fälle wird hier in Form eines Internet-Comicsveranschaulicht.

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Online-Artikel (Information Philosophie)Der Wissensbegriff in der Diskussion (Gerhard Ernst)Mit diesem Online-Artikel bietet Ernst einen sehr kompakten Überblick zu aktuellenerkenntnistheoretischen Diskussionen. Neben einigen Erläuterungen historischerHintergrunde widmet sich der Artikel insbesondere dem Verhältnis voninternalistischen und externalistischen Theorieansätzen, der Naturalisierung vonTheorien des Wissens, der Tugendepistemologie sowie den Debatten um denKontextualismus. In Ernsts Artikel wird dem Leser schnell klar, dass Philosophen sich fureine ganz bestimmte Form des Wissens interessieren; sehr häufig begegnet manFormulierungen wie “Person X weiß, dass …”.

Das Wort “Wissen” taucht in unserer Sprache tatsächlich in verschiedenen Variationenauf. Wir sagen zum Beispiel manchmal, dass wir wissen, wie man einen Kuchen backt,oder dass wir wissen, wer wir sind. Diese Formen von “Wissen” beziehen sich aufgewisse Fertigkeiten (im Englischen prägnant: “know-how”) oder auf eine bestimmte Artder Kenntnis (so sagt man im Englischen auch “to know a person”). Die Form desWissens, mit der sich die Philosophie hauptsächlich beschäftigt, ist jedoch eine andere,nämlich eben jenes Wissen, das mit “dass”-Sätzen ausgedruckt werden kann (englisch“know-that”). So kann man wissen, dass Lowen und Hauskatzen miteinander verwandtsind, oder dass die Winkelsumme im Dreieck immer 180 Grad beträgt, oder dass mangestern bei einem Fußballspiel war. Dies nennt man auch propositionales Wissen:Wissen, das sich auf Sätze bezieht (“Ich weiß: Gestern war ich bei einem Fußballspiel“).Diese Wissensform ist es, die man auch als Erkenntnis bezeichnet und die in derEpistemologie begrifflich erfasst werden soll.

Zur philosophischen ErkenntnistheorieIn der theoretischen Philosophie bezeichnet man das Fachgebiet, das sich mit demPhänomen des Wissens befasst, als Erkenntnistheorie (Epistemologie). DenEpistemologen geht es aber nicht nur darum, eine allgemeingultige Definition desWissens aufzustellen. Viele diskutieren außerdem die Frage, ob so etwas wiemenschliche Erkenntnis – also Wissen – denn tatsächlich moglich ist. DiejenigenPhilosophen, die das bezweifeln, gehoren dem Skeptizismus an und fordern damit dieErkenntnistheoretiker heraus. Denn diese wollen zum einen Aufschluss uber die Natur,den Ursprung und den Umfang menschlicher Erkenntnis geben, mussen zum anderenaber erst einmal zeigen, unter welchen Bedingungen es diese uberhaupt gibt.

Innerhalb der modernen Erkenntnistheorie kann man eine Einteilung in funf großeThemenkomplexe vornehmen, so wie sie am Philosophischen Institut der LMU Munchenerfolgt:

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1. Ein erkenntnistheoretisches Thema ist die Frage nach den Bedingungen vonWissen: Welche Voraussetzungen mussen erfullt sein, damit wir von einembestimmten Gegenstand Wissen haben? Dass es nicht reicht, eine wahrebegrundete Meinung zu haben, hat uns Gettier gezeigt. Trotzdem bleibt die Fragebestehen: Wie gut mussen die Grunde fur unsere Meinungen sein, damit wiretwas wissen?

2. Die Frage nach der Struktur von Erkenntnis bildet einen zweitenThemenkomplex. Wie begrunden wir unsere Meinungen? Gibt es womoglich einepistemisches Fundament, auf dem unser Wissen oder unsere Meinungenaufbauen? Oder sollte man Wissen eher als ein durch Meinungen gesponnenesNetz begreifen, das ein zusammenhängendes Ganzes bildet?

3. Ein drittes Teilgebiet der Erkenntnistheorie ist seine Naturalisierung. DieVertreter der naturalistischen Position sehen die empirischen Wissenschaften alsgrundlegend fur das menschliche Wissen an. Das heißt, dass Erkenntnistheorienichts anderes ist – oder sein sollte – als eine empirische Theorie der Kognition.Eine Frage ist dann, in welcher Beziehung Erkenntnistheorie und kognitivePsychologie zueinander stehen und ob die Erkenntnistheorie in letztereuberfuhrt werden kann.

4. Außerdem beschäftigen sich Epistemologen mit den Quellen von Wissen undErkenntnis. Es lassen sich sechs mogliche Wissensquellen unterscheiden:Wahrnehmung, Erinnerung, Introspektion, Induktion, Schlussfolgern und dieBezeugung durch andere.

5. Der Skeptizismus ist ein Grundproblem und somit auch ein wichtigesThemengebiet der Erkenntnistheorie. Er verweist darauf, dass es denkbareSzenarien gibt, in denen (fast) alle unsere Überzeugungen falsch sind; und wirkonnen nicht ausschließen, dass wir uns in einem solchen Szenario befinden.Dem skeptischen Einwand kann man auf verschiedene Weisen begegnen:

• Man kann versuchen, ihn zu widerlegen, indem man zeigt, dass Wissen uber die Welt – trotz der skeptischen Argumente – moglich ist.

• Man kann dem Skeptiker mit einer therapeutischen oder theoretischen Diagnose seines eigenen Arguments begegnen, d. h. zu zeigen versuchen, dassdas skeptische Problem selbst nicht hinreichend begrundet ist.

• Oder man kann zugestehen, dass der Skeptiker Recht hat. Dann stellt sich die Frage, welche Geltung unsere Praxis, in der Wissensanspruche zentral sind, noch haben kann.

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BegriffsbestimmungKontextualismusEine in der Erkenntnistheorie momentan vieldiskutierte Frage ist die, ob die Standardsfur Wissen (also beispielsweise eine gerechtfertigte, wahre Meinung) in jeder Situationgleich sind. Fur das Gegenteil – und damit fur einen erkenntnistheoretischenKontextualismus – hat unter anderem der Amerikaner Keith DeRose argumentiert. Einesseiner Gedankenexperimente läuft wie folgt:

Hannah will mit ihrer Freundin Sarah einen Gehaltsscheck bei der Bank einlosen. Als siean einem Freitagnachmittag dort vorbeifahren, sehen sie eine sehr lange Warteschlange.Hannah sagt: “Wir kommen besser morgen wieder; ich weiß zufällig, dass die Bank auchsamstags offen hat.” Hannah hat sich tatsächlich erst kurzlich uber die Öffnungszeitender Bank informiert. Es scheint also, dass ihre Wissensbehauptung korrekt ist. Dannaber erinnert Sarah sie daran, dass die Einlosung des Schecks noch an diesemWochenende außerordentlich wichtig ist, weil sonst ihr Konto nicht mehr gedeckt istund dadurch allerhand Scherereien drohen. Daraufhin korrigiert sich Hannah: “Du hastRecht, ich hätte wohl nicht sagen sollen, dass ich weiß, dass die Bank auch morgen nochoffen hat. Wir losen den Scheck besser gleich ein.”

Die philosophische Frage lautet: Ist es sinnvoll, dass Hannah ihre Wissensbehauptungzuruckzieht? Ist es gar der Fall, dass sie zuerst wusste, wie die Öffnungszeiten der Banksind, dann aber daran erinnert wurde, wie viel von ihrer Behauptung abhängt, und esdeswegen nicht mehr wusste? Oder wusste sie es von vornherein nicht? DerKontextualist wurde sagen: Ob jemand etwas weiß, hängt tatsächlich unter anderemdavon ab, wie viel in der fraglichen Angelegenheit auf dem Spiel steht. Eine Übersicht inStichworten bietet Christian Nimtz mit den Folien zu einer Vorlesung uber denKontextualismus.

Online-Vorlesungs-Aufzeichnung (3 x ~50:00)Grundbegriffe der Erkenntnistheorie I – III (Paul Hoyningen-Huene)Die Vorlesung “Einfuhrung in die theoretische Philosophie” aus dem Wintersemester2013/14 von Hoyningen-Huene (Leibniz Universität Hannover) ist online verfugbar. Inden Vorlesungen „Grundbegriffe der Erkenntnistheorie I bis III“ widmet sich Hoyningen-Huene der philosophischen Wissensproblematik. Im Video werden auch dieVorlesungsfolien eingeblendet, so dass man den Ausfuhrungen des Dozenten gut folgenkann. Folgende Themenkomplexe werden behandelt:

• I: Wissen und Wahrheit

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• II: Analytisch vs. synthetisch: A priori und posteriori• III: Genese vs. Geltung: Skeptizismus und Relativismus

Buch-EmpfehlungAnalytische Philosophie der Erkenntnis (Peter Bieri)Einen guten Überblick uber zeitgenossische Positionen in der Erkenntnistheorie gibtdieser von Peter Bieri herausgegebene Band. Besonders die von Bieri verfassteEinleitung bietet einen verständlichen Einstieg in die Problemfelder derErkenntnistheorie. Die Aufsätze – von namhaften Philosophen wie Donald Davidson undWillard Van Quine – sind nach ihren Kernproblematiken geordnet. Das sorgt dafur, dassfur den Leser stets der rote Faden erkennbar bleibt.

Online-PortalReligionsphilosophische Forschung (Goethe-Universität)Religionen scheinen eine ganz bestimmte Art von Wahrheit zu beanspruchen. Sie stellendie Fragen des Wissens und Glaubens in einen theologischen Kontext. DieReligionsphilosophie hat es sich deshalb zur Aufgabe gemacht, diese religiose Formbeanspruchter Wahrheit zum Gegenstand philosophischen Denkens zu machen. DasInstitut fur religionsphilosophische Forschung der Goethe-Universität Frankfurt arbeitetinterdisziplinär, vor allem am Dialog zwischen den Religionen, aber auch an der Frage,wie sich Naturwissenschaften und Religionen in einer postsäkularen, pluralistischenGesellschaft begegnen konnen.

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2. Konzepte

Wir sind normalerweise davon uberzeugt, viele verschiedene Dinge uber die Welt unduns zu wissen. Es gibt die Vielfalt der Wissenschaften, welche immer neue Erkenntnissehervorbringen. Philosophen wie Sokrates und Descartes lehren uns zugleich aber auch,dass wir an unserem Wissen zweifeln konnen. Daher stellt sich die Frage, woher wirunser Wissen erlangen, was die Quellen unseres Wissens sind. In der Philosophie wurdediese Frage in verschiedenen Ansätzen beantwortet.

Die Rubrik “Konzepte” greift zentrale philosophische Begriffe der Sendungen auf undverweist mit Hilfe kurzer Erläuterungen und Kommentare auf vertiefende Ressourcenwie Internet-Portale, Online-Videos und klassische Bucher. Auch hier kann nach eigenemErmessen und Vorwissen ubersprungen oder tiefer eingetaucht werden.

2.1 Fundamente des Wissens

Bezug Manuskript: S. 8, 15; Bezug Audio 11:30, 22:00

SOKRATES: Und glaubst du, daß das Wissen, sowie ich es jetzt meinte,

zu finden eine Kleinigkeit ist und nicht viel mehr unter die gar schwierigen Aufgaben gehört?

THEAITETOS: Beim Zeus, unter die allerschwierigsten, glaube ich.

(aus Platons Dialog Theaitetos)

Online-Vorlesungsfolien (PDF, 8 S.)Was heißt in der Philosophie Fundamentalismus?Wissensanspruche und Überzeugungen mussen begrundet werden. Dies geschieht durchRekurs auf weitere Überzeugungen oder vorausgesetztes Wissen. Was passiert, wennwir immer weiter nach einer Begrundung fragen? Die Erkenntnistheorie nennt hier dreigrundsätzliche Moglichkeiten. Erstens konnte es sein, dass wir schlichtweg ohneAbbruch fragen wurden; das heißt wir gerieten in einen sogenannten infiniten Regress.Zweitens konnte es sein, dass wir bei der Begrundung eines Wissensanspruchsirgendwann wieder bei der eigentlich zu begrundenden Überzeugung ankämen; dannwäre die Begrundung zirkulär. Eine dritte Option ist der erkenntnistheoretische

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Fundamentalismus, der davon ausgeht, dass es ein Fundament des Wissens gibt, das ausgesicherten, unbezweifelbaren Überzeugungen besteht und bei dem nicht mehr sinnvollweiter nach Begrundungen gefragt werden kann. Die Vorlesungsfolien von ChristianNimtz von der Universität in Bielefeld geben einen Überblick. Die zwei wichtigstenSpielarten des erkenntnistheoretischen Fundamentalismus sind der Rationalismus undder Empirismus.

Online-Vorlesungsfolien (PDF, 162 S.)Die Suche nach dem WissenFur das Thema Wissen interessant sind die Vorlesungsfolien zur Einfuhrung in dieErkenntnistheorie aus dem Sommersemester 2013. Auf der Institutsseite von HolmBräuer von der Philosophischen Fakultät der Technischen Universität Dresden lassensich neben wissenschaftlichen Publikationen auch Materialien aus der Lehre finden.Sowohl der Laie als auch der wissenschaftliche Einsteiger konnen hier mit Gewinn einenvisuellen Exkurs zu Wissen und Wahrheit unternehmen. Die Folien sind so anschaulichgestaltet, dass der Umfang durchaus erfreuen kann. Die Suche nach der Wahrheit wirddurch weitere Folien (PDF 179 S.) unterstutzt. Leicht verständlich wird die Theorie deserkenntnistheoretischen Fundamentalismus Schritt fur Schritt hergeleitet.

Buch-EmpfehlungAnalytische Einführung in die Erkenntnistheorie (Thomas Grundmann)Zur verständlichen und dabei vertiefenden Lekture ist das Buch von ThomasGrundmann geeignet. Im Klappentext heißt es: “Diese Einfuhrung ist sinnvoll fur Leserohne besondere Vorkenntnisse aus unterschiedlichen Disziplinen, Studierende derPhilosophie; sie ist aber auch fur philosophische Kenner eine Gewinn bringendekritische Orientierungshilfe.” Wie die 386 Buchseiten gegliedert sind, zeigt dasInhaltsverzeichnis. Um den Fundamentalismus geht es im 5. Kapitel.

BegriffsbestimmungenRationalismus und EmpirismusErkenntnistheoretische Rationalisten und Empiristen stimmen in der Frage uberein,dass Wissensbegrundungen fruher oder später abbrechen – das heißt, dass esbestimmte Überzeugungen gibt, die zwar andere Überzeugungen begrunden, selbst abernicht weiter begrundet werden mussen. Sie streiten jedoch daruber, welche Art vonÜberzeugung dafur in Frage kommt. Der Rationalismus, dessen fruhester undprominentester Vertreter Descartes war, besagt, dass unser Wissen auf nichts anderemberuhen kann als unserem Denken: Einige wenige Wahrheiten konnen wir als

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unmittelbar evident einsehen. Descartes nennt hier den beruhmten Satz “Ich denke, alsobin ich”, den man nicht bezweifeln kann, ohne sich dadurch selbst zu widersprechen. DerEmpirist hingegen ist uberzeugt, dass Wissen nur aus der Erfahrung stammen kann.Unter “Erfahrung” wird hier die Gesamtheit unserer Wahrnehmungen verstanden;Wissen beruht schlussendlich auf den sogenannten Sinnesdaten, das heißt auf denInformationen, die wir durch unseren Wahrnehmungsapparat uber die Außenwelterhalten.

2.2 Rationalismus – Wissen durch Denken

Bezug Manuskript: S. 2, 10; Bezug Audio 1:50, 14:30

Schon vor Jahren bemerkte ich, wie viel Falsches ich von Jugend auf als wahr hingenommen habe und wie zweifelhaft alles sei, was ich später darauf gründete; darum war ich der Meinung,

ich müsse einmal im Leben von Grund auf alles umstürzen und von den ersten Grundlagen an ganz neu anfangen, wenn

ich später einmal etwas Festes und Bleibendes in den Wissenschaften errichten wollte.

Descartes

Online-Video (29:03)Descartes (Denker des Abendlandes)Harald Lesch und Wilhelm Vossenkuhl stellen René Descartes in ihrer Reihe “Denker derAbendlandes” auf unterhaltsame Weise vor. Im angeregten Gespräch heben die beidenPhilosophen Descartes als den großen Denker heraus, der den Umschwung zurmodernen Philosophie bewirkt hat. Sie wurdigen ihn daruber hinaus als Vater dermodernen Mathematik und der cartesianischen Methode des Denkens. Auch denMenschen Descartes bringen Lesch und Vossenkuhl dem Zuschauer näher. Descartes giltals der Begrunder des Rationalismus und unten unter “Personen” findet sich einKurzportrait.

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Online-Podcast (21:43)Cogito ergo sum oder die Geburt der Moderne (BR alpha)Dieser Audio-Beitrag aus der Reihe “Philosophie der Aufklärung” vermittelt – angefulltmit prägnanten Zitaten – verständlich und sachlich Descartes’ Weg zur Erneuerung desphilosophischen Denkens. Ein sicheres Fundament sollte Ausgangspunkt fur alleanderen Wissenschaften sein. Zu diesem Zweck wandte Descartes eine Methode an, dieman als radikalen Zweifel bezeichnet: Er geht hypothetisch davon aus, dass alles, wasbezweifelt werden kann, tatsächlich falsch ist. Hierunter fallen sämtliche Überzeugungenuber die Außenwelt, ja sogar uber den eigenen Korper. Erst bei der Seele machtDescartes Halt: Wenn ich schon zweifle, dann kann ich zumindest nicht mehr bezweifeln,dass ich existiere und zweifle. Der beruhmte Satz “Ich denke, also bin ich” steht also amEnde einer radikalen Zweifelsoperation. In dem Beitrag wird ebenfalls Descartes‘Substanzlehre von der ausgedehnten und der denkenden Substanz (res cogitans und resextensa) vorgestellt.

2.3 Empirismus – Wissen durch Erfahrung

Bezug Manuskript: S. 9, 13; Bezug Audio: 12:50, 18:40

Nehmen wir also an, der Geist sei, wie man sagt, ein unbeschriebenes Blatt, ohne alle Schriftzeichen, frei

von allen Ideen; wie erhält er seine Einrichtung? Wie gelangt er zu dem gewaltigen Vorrat an Ideen, womit ihn die geschäftige schrankenlose Phantasie des Menschen in

nahezu unendlicher Mannigfaltigkeit ausgemalt hat? Woher hat er all das Material für sein Überlegen und seine

Erkenntnis? Ich antworte darauf mit einem einzigen Worte: aus der Erfahrung. Auf sie gründet sich unsere gesamte

Erkenntnis, von ihr leitet sie sich letztendlich her.

John Locke

Online-Video (2:22)Was ist eigentlich Empirismus? (3sat, Philosophisches Kopfkino)Sehr alltagstauglich bringt der 3sat-Artikel aus der Reihe Philosophisches Kopfkino demLeser den Empirismus nahe. Die Welt erschließt sich laut Empirismus uber Erfahrungen,

Sendung 05: Wissen wir mehr als wir glauben?Zusatzmaterialien, Seite 13

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ob mit dem Chemiebaukasten oder der Keksdose. Im dazugehorigen Online-Video (2:22)wird die kurze Einfuhrung humorvoll animiert.

Online-Vorlesungsfolien (PDF, 10 S.)Locke und der Empirismus (Uwe Meyer)Eine kurze, auf universitärem Niveau gehaltene Information zu John Locke und demEmpirismus geben zehn Vorlesungsfolien von Meyer von der Universität Osnabruck.Hier wird die empiristisch geprägte, angelsächsische Philosophie der kontinentalenPhilosophie des Rationalismus gegenubergestellt. Alles, was der Geist wahrnimmt,bezeichnet Locke als “Idee”. Doch auch der Empirismus stoßt bei der Suche nach demFundament des Wissens auf Probleme, die auf den Folien ebenfalls kurz skizziertwerden.

Online-PodcastsZu den Vertretern des EmpirismusWichtige Vertreter des Empirismus sind neben John Locke Thomas Hobbes und DavidHume. Sie gehen von der sinnlichen Erfahrung als Basis aller Erkenntnis aus. NachVorbild der exakten Wissenschaften soll auch die Philosophie neu begrundet werden.Eine intensive Auseinandersetzung wird dabei mit den Vertretern deserkenntnistheoretischen Rationalismus gefuhrt. Wer das Fundament des Wissens fursich beanspruchen kann, um sein Theoriegebäude darauf zu errichten, ist heftigumstritten. Zu diesem Thema gibt es ein interessantes und sich ergänzendes Angebot anOnline-Podcasts.

• Thomas Hobbes und John Locke (Online-Video, 29:00, ARD/BR)

• David Hume (Online-Video, 29:54, ARD/BR)In der Reihe “Denker des Abendlandes” stellen Harald Lesch und Wilhelm Vossenkuhl die Vertreter des Empirismus vor. Im Dialog der Gesprächspartner werden dabei die Erkenntnisse von Hobbes, Locke und Hume an praktischen Beispielen entwickelt und interessante biographische und historische Hintergrunde beleuchtet.

• Empirismus – Die Welt als Erfahrung (Online-Audiobeitrag, 22:34)Aus der Reihe “Philosophie der Aufklärung” seien diese beiden Horbeiträge empfohlen. England an der Schwelle der industriellen Revolution – dies ist der Hintergrund, vor dem der Empirismus an Fahrt gewann.

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2.4 Rechtfertigung von Überzeugungen

Bezug Manuskript: S. 4, 9; Bezug Audio 3:50, 12:40

Es gibt keine tabula rasa. Wie Schiffer sind wir, die ihr Schiff auf offener See umbauen müssen, ohne es

jemals in einem Dock zerlegen und aus besten Bestandteilen neu errichten zu können.

Otto Neurath

Wie konnen wir zu richtigen Überzeugungen kommen? Zwei alternative philosophischeKonzepte, die nicht von der Annahme eines Wissensfundaments ausgehen, sind derKohärentismus und der Pragmatismus. Beide versuchen den skeptischen Szenarienfindiger Philosophen etwas entgegenzusetzen.

Online-Vorlesungsfolien (PDF, 23 S.)Was genau ist Koharentismus? (Ansgar Beckermann)Der Kohärentismus besagt: Jede Überzeugung bedarf der Stutzung durch andereÜberzeugungen. Alle Überzeugungen stehen miteinander im Zusammenhang. Kohärenzist gegeben, wenn alle Überzeugungen durch andere gestutzt werden und dabei keinWiderspruch entsteht. Ein kohärentes System ist holistisch, das heißt ein in sichgeschlossenes Ganzes. Die Vorlesungsfolien stammen von Beckermann von derUniversität Bielefeld.

Online-Video (3:37)Was ist eigentlich Pragmatismus? (3sat, Philosophisches Kopfkino)In der 3sat-Reihe Philosophisches Kopfkino findet sich eine unterhaltsame Einfuhrungzum Pragmatismus in nur dreieinhalb Minuten. Der Pragmatismus betont diepraktischen Aspekte des Denkens und Handelns. Er bringt zum Ausdruck, dassallgemeiner und abstrakter Zweifel nicht ausreicht, um unsere Überzeugungen insWanken zu bringen; nur durch begründete Zweifel lassen sich unsere Überzeugungenherausfordern. Als Begrunder des Pragmatismus gilt Charles S. Peirce. Neben ihm istWilliam James Vertreter dieser Stromung. Der Pragmatismus hat sich nach fruhenAnfängen bei Bacon und Kant gegen Ende des 19. Jahrhunderts vor allem in Amerikaetabliert. Hier der zum Video gehorende 3sat-Artikel.

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Online-Vorlesungsfolien (PDF, 9 S.)Skeptizismus (Christian Nimtz)Der Skeptizismus beschäftigt sich mit der Frage, ob Wissen uberhaupt moglich ist:Vielleicht gibt es gar keine gemeinsamen Merkmale all der Fälle, die wir unter “Wissen”subsumieren. Davon jedenfalls geht der Skeptizismus aus, laut Duden eine “den Zweifelzum Prinzip des Denkens erhebende, die Moglichkeit einer Erkenntnis der Wirklichkeitund der Wahrheit infrage stellende Richtung der Philosophie.” Einen Überblick zumSkeptizismus geben die Vorlesungsfolien von Nimtz von der Universität in Bielefeld.Weitere Materialien zum philosophischen Gedankenexperiment, ob wir ausschließenkonnen, dass wir nur als Gehirn in einem verkabelten Nährstofftank existieren findensich hier:

• Das Denkmodell der “Gehirne im Tank”(Online-Vorlesungsfolien, PDF, 8 S.)Das beruhmte Gedankenexperiment des Philosophen Hilary Putnam wird hier mit nur acht Vorlesungsfolien von Uwe Meyer dargestellt.

• Wer weiß, ob die Wirklichkeit wirklich wirklich ist? Online-Artikel (ZEITonline)Die gute Nachricht ist, dass wir – so Putnam – nicht schon seit jeher Gehirne im Tank sein konnen.

Buch-EmpfehlungDer Wahrheit auf der Spur (Thomas Grundmann)Einen Eindruck des Buchs von Grundmann gibt die Rezension, die Elke Brendel in derZeitschrift Grazer Philosophische Studien veroffentlicht hat. Das Buch verhilft zu einemweiterfuhrenden Verständnis verschiedener Wissenskonzeptionen. Der klassischenDefinition des Wissens liegt eine internalistische Konzeption zugrunde. Das heißt:Maßgebend fur Wissen sind bestimmte kognitive Vorgänge beim (oder “im”) Subjekt –im klassischen Fall das Vorliegen einer Rechtfertigung. Anders beimerkenntnistheoretischen Reliabilismus (auch Verlässlichkeitstheorie des Wissensgenannt), der auf einer externalistischen Konzeption beruht, also auf der Annahme, dasses ausreicht, wenn das Subjekt in einem bestimmten objektiven Verhältnis zur Wahrheitsteht. Dem Reliabilismus zufolge kann nur derjenige Wissen haben, der uber einenverlässlichen Überzeugungsbildungsprozess verfugt.

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2.5 Wissen, Zweifeln, Glauben

Bezug Manuskript: S. 11, 18; Bezug Audio 15:40, 24:40

Gott ist das Vollkommenste, was es gibt; da ein Gott, der bloß gedacht wäre und nicht existierte,

weniger vollkommen wäre als ein Gott, den es gibt, muss also Gott existieren.

Anselm von Canterbury

Online-Zeitschriftenartikel (Hermeneutische Blätter)Der unglaubige Thomas (Jorg Frey)In der Figur des ungläubigen Thomas ist der Zweifel – tief eingeprägt in dieabendländische Kultur – auch außerhalb der Philosophie uber Jahrtausende lebendig.Diesem prominenten biblischen Skeptiker kommt eine Vermittlerrolle zwischen Zweifelund Glauben zu, so Frey von der Universität Zurich in der Zeitschrift HermeneutischeBlätter.

Online-Video (30:01)Anselm von Canterbury und sein Gottesbeweis (ARD/BR)In der Reihe “Denker des Abendlandes” sind Harald Lesch und Wilhelm Vossenkuhl imGespräch uber Anselm von Canterbury. Sie beschreiben seine Auseinandersetzungzwischen Vernunft und Glauben im elften Jahrhundert. Auf dem Weg zur Erkenntnissuchte Anselm zuerst nach einer Definition der Wahrheit. Erst auf dieser Grundlageentstand sein Gottesbeweis. Eingebettet in einen historischen Exkurs wurdigen Leschund Vossenkuhl in ihrem unterhaltsamen Dialog Anselms Beweis als eine Brucke uberden Abgrund des Zweifels.

Zur Suche nach dem GottesbeweisWarum wollen die Philosophen Gott beweisen? Seit der Antike versuchten Philosophen,die Existenz Gottes zu begrunden. Im Hochmittelalter hat nach Anselm von Canterburyauch Thomas von Aquin gleich auf funf Wegen Gott zu beweisen gesucht. In der Neuzeitkommt Immanuel Kant in seiner “Kritik der reinen Vernunft” zu dem Ergebnis, dass Gottallein mit der Vernunft weder beweisbar noch widerlegbar ist. Dazu musste der Bereichdes sinnlich Wahrnehmbaren uberschritten werden. Dass Gott nicht beweisbar ist, heißtjedoch nicht, dass er nicht existiert.

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• Was ist der Glaube?(Online-Video, 2:54)Das Philosophische Kopfkino von 3sat stellt hier kurz und knapp die Suche des Menschen nach Grundsätzen des Glaubens vor.

• Logische Formalisierung vom Glauben(Online-Artikel, academia.edu)Auch Glauben lässt sich in logische Formen bringen. Hier wird der Gottesbeweis von Anselm von Canterbury mit Elementen der Aussagenlogik formalisiert dargestellt.

• Infragestellung von Gottesbeweisen(Online-Vorlesungsfolien, PDF, 5 S.)Zusammengefasst auf funf Vorlesungsfolien von Uwe Meyer von der Universität Osnabruck lässt sich hier nachlesen, dass dieser Gottesbeweis aus dem elften Jahrhundert bereits zu Lebzeiten Anselms von dem Monch Gaunilo von Marmoutiers in Frage gestellt wurde.

• Gottesbeweis bei René Descartes(Online-Podcast, 3:30)In der Audioreihe PhilosophenUndDenker kann man den Gottesbeweis bei René Descartes nachvollziehen. Unendlichkeit und Vollkommenheit sind die Eigenschaften nur eines Wesens, von Gott – so erklärt es Descartes in seinem Gottesbeweis.

• Kritik der reinen Vernunft(Online-Text)Kant hat in der Kritik der reinen Vernunft (drittes Hauptstuck, dritter Abschnitt) eine Nomenklatur der Gottesbeweise entwickelt. Danach lassen sich physikotheologische, kosmologische und ontologische Gottesbeweise unterscheiden.

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3. Personen

Informationen zu den Interviewpartnern der Sendung und den einschlägigenPersonlichkeiten der Philosophiegeschichte finden Sie in der folgenden Auflistung.

# Elke BrendelElke Brendel ist Professorin fur Logik und Grundlagenforschung an der UniversitätBonn. Neben Logik gehoren auch Argumentationstheorie, Erkenntnistheorie,Sprachphilosophie und Wissenschaftsphilosophie zu ihren Arbeitsschwerpunkten.Brendel hat unter anderem Bucher uber den Zusammenhang von Wahrheit und Wissengeschrieben.

# René DescartesRené Descartes (1596 – 1650) ist ein Vertreter des Rationalismus, dererkenntnistheoretischen Gegenposition zum Empirismus. Die wichtigsten Werke desfranzosischen Philosophen sind die Abhandlung über die Methode, richtig zu denken undWahrheit in den Wissenschaften zu suchen (1637) und vor allem die beruhmtenMeditationen (1641), in denen Descartes den Versuch unternimmt herauszufinden, wasman als Mensch sicher wissen kann. Um eine Antwort auf seine Ausgangsfrage zu finden,wendet Descartes den methodischen Zweifel an. Er hinterfragt zunächst alles, von demer bisher glaubte, es sicher zu wissen. Insbesondere Erkenntnisse, zu denen wir mit Hilfesinnlicher Erfahrungen gelangen, zweifelt Descartes an, da uns unsere Sinne häufigtäuschen. So nehmen unseren Augen beispielsweise einen Strohhalm, den wir insWasser halten, als geknickt wahr. Mit seinem beruhmten Cogito-Argument gelangtDescartes schließlich zu dem, was er als Fundament der Erkenntnis akzeptieren kann:

“Zweifellos bin also auch Ich […] so lange ich denke, ich sei etwas. Nachdem ich so allesgenug und übergenug erwogen habe, muß ich schließlich festhalten, daß der Satz ‚ ‘Ich bin,Ich existiere’, so oft ich ihn ausspreche oder im Geiste auffasse, notwendig wahr sei.” (II, 3).

Gerade indem Descartes sich als zweifelnd erfährt, muss er sich selbst als existentannehmen. Damit glaubte er, einen verlässlichen Ausgangspunkt fur alle weiterenErkenntnisse gefunden zu haben. Nicht zuletzt mit seinem Cogito-Argument hatDescartes die Diskussionen der modernen Philosophie entscheidend beeinflusst.

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# Edmund GettierEdmund Gettier (geboren 1927) erlangte als Philosoph große Bekanntheit durch seinennur drei Seiten umfassenden Aufsatz “Is Justified True Belief Knowledge?” von 1963. Erwirft das Problem auf, dass wahre, gerechtfertigte Meinung als Definition des Wissensentgegen einer weit verbreiteten Annahme unzureichend ist. Die Klasse dieser undähnlich gelagerter Problemfälle wird inzwischen als die der Gettier-Fälle bezeichnet,obgleich sich ähnliche Argumente allgemeiner auch schon bei Ludwig Wittgenstein undBertrand Russell finden.

# Thomas GrundmannThomas Grundmann ist Professor fur Philosophie an der Universität Koln. Schwerpunkteseiner Arbeit sind Erkenntnistheorie, Sprachphilosophie, Kant sowie die Philosophie desGeistes.

# David HumeDavid Hume (1711 – 1776) war ein schottischer Ökonom, Historiker und als Philosophein bedeutender Vertreter des Empirismus und der Aufklärung. Er verfasste Schriftenzur Erkenntnistheorie, Religionsphilosophie, Ethik und Politik sowie zurGeschichtswissenschaft. Zu seinen wichtigsten Werken gehoren A Treatise of HumanNature (1739), An Enquiry Concerning Human Understanding (1748/58), An EnquiryConcerning the Principles of Morals (1751) und Dialogues Concerning Natural Religion(1779). Von seinen Werken wurde unter anderem Immanuel Kant maßgeblichbeeinflusst.

# Immanuel KantImmanuel Kant (1724 – 1804) war der wohl bedeutendste Philosoph der Aufklärung.Seit 1770 war er als Professor in Konigsberg tätig und verfasste dort auch seineHauptwerke, die Kritik der reinen Vernunft, die Kritik der praktischen Vernunft, die Kritikder Urteilskraft sowie Die Metaphysik der Sitten. Mit der 1781 erschienenen Kritik derreinen Vernunft vollzog Kant eine Wende im philosophischen Denken.

# Thomas S. KuhnThomas S. Kuhn (1922 – 1996) war ein amerikanischer Wissenschaftshistoriker undPhilosoph. Besondere Bekanntheit erlangte er durch sein Buch The Structure of ScientificRevolutions (Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen), das 1962 erschien. Der Begriff

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des “Paradigmas” bzw. “Paradigmenwechsels” in den Wissenschaften ist zentralerBestandteil seiner Wissenschaftstheorie.

# PlatonPlaton (427 – 347 v. Chr.) war ein Schuler von Sokrates. In seinen Schriften berichtet erhäufig vom Denken seines Lehrers und der sokratischen Methode. Die Hinrichtung vonSokrates hat Platon wohl tief erschuttert – vermutlich war er auch deshalb ein Kritikerseiner Zeit und des damaligen politischen Systems in Athen. Bekannt ist Platon vor allemfur seine Ideenlehre und das Hohlengleichnis. Seine Werke prägen dieErkenntnistheorie, Sprachphilosophie, Ethik, Anthropologie und politische Philosophiebis heute.

# Hilary PutnamHilary Putnam (geboren 1926) ist ein amerikanischer Philosoph, der vor allem in denBereichen Sprachphilosophie und Philosophie des Geistes tätig ist. Die Vorstellung voneinem „Gehirn im Tank“ thematisiert er am Anfang seines Werkes „Vernunft, Wahrheitund Geschichte“.

# Markus SchrenkMarkus Schrenk ist seit 2014 wissenschaftlicher Mitarbeiter am PhilosophischenS e m i n a r d e r W i l h e l m s - U n i v e r s i t ä t M u n s t e r. Z u v o r u b e r n a h m e rProfessurenvertretungen der theoretischen Philosophie an der Universität Koln wahr.Seine Arbeitsschwerpunkte liegen in den Bereichen Metaphysik, Erkenntnistheorie undSprachphilosophie. Eine seiner aktuellen Veroffentlichungen beschäftigt sich mit derMetaphysik der Naturwissenschaften.

# SokratesSokrates (ca. 469 – 399 v. Chr.) ist neben Platon und Aristoteles einer der wichtigstenPhilosophen der griechischen Antike. Bekannt war Sokrates zu Lebzeiten vor allem furseine markante Gesprächsfuhrung, mit der er zum philosophischen Denken anregte.Dabei fand die Methode der sogenannten Mäeutik (“Hebammenkunst”) Verwendung:Eine Person gelangt zu Erkenntnis, indem sie durch entsprechende Fragen zum eigenenNachdenken angeregt wird und sich einen Sachverhalt selbst erschließen kann. Wissenwird auf diese Weise von der Person “geboren” – der Fragende ist sozusagen die“Hebamme”. Von Sokrates selbst sind keine Schriften uberliefert. Mit 70 Jahren wurde erwegen Gottlosigkeit und Verderbung der Jugend angeklagt und zum Tode durch den

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Schierlingsbecher verurteilt. Oft wird ihm der Satz „Ich weiß, dass ich nichts weiß“zugeschrieben. Er bezieht sich auf seine Grundannahme des (Nicht-)Wissens: Sokratesist sich bewusst, dass er nichts weiß, und weiß insofern doch wieder mehr als Menschen,die vorgeben, sicheres Wissen zu haben.

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4. Didaktik

In der Rubrik “Didaktik” finden Sie Bezuge zum philosophischen Unterricht sowieweiterfuhrende Lehr- und Lernmaterialien. Die Beiträge sind selbstverständlich nichtnur Lehrkräften vorbehalten und laden zum Stobern und Nachlesen ein.

Der weiß, dass er nichts weiß, wie alle andern auch nichts wissen.

Nur weiß er, was die anderen und er noch lernen müssen.

Carlo Karges (Novalis)

4.1 Curriculare Bezüge

• Entwurfsfassungen der neuen Kerncurricula Philosophie und EthikSeit ihrer Veroffentlichung im November 2014 konnen die Entwurfe der neuen Kerncurricula fur die gymnasiale Oberstufe breit diskutiert werden. Die Einordnung der fachlichen Inhalte der Sendung erfolgt hier exemplarisch. Zu folgenden Unterrichtsinhalten ist eine Zuordnung moglich.

• Zur Philosophie:* E1 Einfuhrung in die Philosophie* Themenfeld 1: Was ist und soll Philosophie? Was kann ich wissen? (Erkenntnisphilosophie)* Themenfeld 5: Metaphysik Mensch und Glaube* Q2 Erkenntnis und Wissenschaft* Themenfeld 1: Erkenntnis und Wahrheit – Erkenntnis, Wahrheit und Wirklichkeit: Erkenntnistheorien

• Zur Ethik:* E2 Ethik und Religion* Themenfeld 2: Glaube und Vernunft* Q4 Mensch, Natur und Technik* Themenfeld 2: Technik und soziale Welt

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4.2 Die Sokratische Methode

SOKRATES: Ja auch hierin geht es mir eben wie den Hebammen, ich gebäre nichts von Weisheit, und was mir bereits

Viele vorgeworfen, daß ich Andere zwar fragte, selbst aber nichts über irgend etwas antwortete, weil ich

nämlich nichts kluges wüßte zu antworten, darin haben sie Recht … Die aber mit mir umgehn, zeigen sich

zuerst zwar zum Teil gar sehr ungelehrig; hernach aber bei fortgesetztem Umgange alle denen es der Gott vergönnt wunderbar schnell fortschreitend, wie es

ihnen selbst und Andern scheint; und dieses offenbar ohne jemals irgend etwas von mir gelernt zu haben, sondern nur selbst aus sich selbst entdecken sie viel

Schönes, und halten es fest.

(aus Platons Dialog Theaitetos)

Online-Artikel Sokratische MethodeLehren und Lernen mit der sokratischen MethodeSokrates und Platon begleiten uns nicht nur seit uber 2000 Jahren durch dieErkenntnistheorie. Sie haben auch wichtige Beiträge dazu beigesteuert, wie der Erwerbvon Wissen didaktisch aufbereitet werden kann. In der sokratischen Methode wird dasLehren mit der Hebammenkunst (Mäeutik) verglichen; die Lehrenden sind dieGeburtshelfer des Wissens. Diese didaktische Methode trägt den Namen von Sokrates,weil Platon in seinen Dialogen Sokrates als Meister und Lehrer auftreten lässt. ManfredRosenbach hat dazu didaktische Materialien fur die Schulpraktischen Seminare in Berlinerstellt.

Online-Video (29:19) (ARD/BR)Sokrates – der fragende LehrerIn der Reihe “Denker des Abendlandes” sind Harald Lesch und Wilhelm Vossenkuhl imGespräch uber Sokrates, den wohl bekanntesten Philosophen der Antike. Harald Leschfragt: “War Sokrates ein Streetworker der Vernunft?” Auf dem Marktplatz von Athenstellt Sokrates eine neue, besondere Art von Fragen, Fragen danach, was etwas ist, “tiestin”-Fragen oder Definitionsfragen. Mit der Hebammenkunst geht Sokrates nach einembestimmten Verfahren vor, dem “Elenchos”. Dies ist die zentrale Methode, mit der

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Sokrates seine Gesprächspartner fuhrt. Lesch und Vossenkuhl demonstrieren dies demZuschauer unterhaltsam am Beispiel des Guten mit einem Gespräch uber den Geschmackvon Birnen.

Zum ElenchosDas Standard-Elenchos hat folgenden beispielhaften Gesprächsablauf: Sokrates‘Gesprächspartner, nennen wir ihn T, stellt eine Behauptung auf. Sokrates befragt T, undneben der Behauptung werden durch Sokrates‘ Fragen weitere relevanteÜberzeugungen herausgefordert, die T äußert. Diese Überzeugungen stehen nun nebender ursprunglichen Behauptung. Doch weil T im Gespräch mit Sokrates nicht allesuberblickt hat, sind dabei auch solche Überzeugungen ans Licht getreten, die imGegensatz, ja Widerspruch zur ersten Behauptung stehen. Nun hat sich der T als jemanderwiesen, der nicht recht weiß, was er denkt und sagt. Dadurch gerät er in Aporie, alsoRatlosigkeit und Ausweglosigkeit. Erst jetzt springt Sokrates helfend ein, um dieBehauptung von T zu widerlegen. Der demonstrierte Wissensanspruch von T muss erstdem Anerkenntnis von Nicht-Wissen weichen, bevor ein Fortschritt in der Erkenntnismoglich ist.

Zur GeometriestundeDer Menon-Dialog gilt als das Paradebeispiel der sokratischen Methode. Anliegen vonSokrates ist, die Erinnerung an vorgeburtliches Wissen nachzuweisen. Durch dieWiedererinnerung des ungebildeten Sklavenjungen will Sokrates die Prä-Existenz derSeele beweisen. Im Menon-Dialog entwickelt Sokrates nicht nur die zugrundeliegendefragende Gesprächsform (Elenchos), sondern praktiziert sie auch gleich sehranschaulich. Der Sklavenjunge in der Rolle des Schulers erhält eine Aufgabe. Er soll auseinem gegebenen Quadrat ein Quadrat mit dem Flächeninhalt von 2a in den Sandzeichnen. Mehrere erfolglose Versuche fuhren den Schuler in die Ratlosigkeit (Aporie).Dies ist der entscheidende (didaktische) Augenblick. Mit Sokrates’ Begleitung gelangtder Schuler doch zum Ziel.

SOKRATES: Sieh nun aber auch zu, was er von dieser Verlegenheit aus,

mit mir suchend, auch finden wird, indem ich ihn immer nur frage und niemals lehre. Und gib wohl acht, ob du mich je

darauf betriffst, dass ich ihn lehre und ihm vortrage und nicht seine eigenen Gedanken nur ihm abfrage.

(aus Platons Dialog Menon)

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Online-Artikel (Bildungsserver Berlin-Brandenburg)Die neosokratischen GesprachsführungDer Artikel zur Methode der neosokratischen Gesprächsfuhrung dient als kurzeEinfuhrung. Fur den Unterricht wurde die sokratische Methode von Leonard Nelson undGustav Heckmann zum Gruppengespräch erweitert. Bei diesem neosokratischenGespräch wird die Leitidee beibehalten, dass die Lernenden Erkenntnisse selbstentwickeln. Fur den Lehrenden jedoch ist äußerste Zuruckhaltung in derGesprächsleitung geboten. Wesentliche Elemente sind die gemeinsame Konsensfindungund die Ebene des Meta-Gesprächs. Beim Philosophieren in der Schule unterstutzt dieseMethode wirksam die Entwicklung der Gesprächskultur. Weitere Grundlagen undAnwendungsfelder finden sich im Zusatzmaterial zur ersten Sendung des Funkkollegs.

4.3 Philosophieren in Filmen

Die Matrix ist allgegenwärtig, sie umgibt uns, selbst hier ist sie, in diesem Zimmer. Du siehst sie, wenn du aus

dem Fenster guckst, oder den Fernseher anmachst. Du kannst sie spüren, wenn du zur Arbeit gehst. Oder in die Kirche,

und wenn du deine Steuern zahlst. Es ist eine Scheinwelt, die man dir vorgaukelt, um dich von der Wahrheit abzulenken.

Morpheus im Film Matrix

Zum Philosophieren in FilmenJetzt konnen wir Platon noch weiter folgen, diesmal in sein Gedankenexperiment derHohle (in der Politeia). Wir gelangen dort in ein Szenario bewegter Schattenbilder an derHohlenwand. Diesen Bildern hat schon Platon eine besondere Kraft zugeschrieben. Dochanders als im Hohlengleichnis haben didaktisch ausgewählte Kinofilme eine produktiveSymbolkraft. Sie konnen im Schulunterricht zur Reflexionseroffnung und als Basis desPhilosophierens dienen.

• Was ist eigentlich Idealismus? (Online-Video, 2:38)In der Reihe Philosophisches Kopfkino wird der Zuschauer in Platons Hohle gefuhrt. Platons Ideen als das Wesen aller Dinge begrundeten den späteren Idealismus. Dazu entstand der Materialismus als Gegenbewegung. Zum dazugehorigen 3sat-Artikel geht es hier.

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• Matrix (Kino-Trailer, 2:15)Das cineastische Spektakel der Matrix-Trilogie wurde weltweit bekannt und greiftmehrere wichtige Fragen der Erkenntnistheorie auf.

• Philosophieren mit Science-Fiction-Filmen (Online-Artikel, PDF, 5 S.)In drei Punkten fuhrt Steenblock in diesem Textbeitrag aus, wie die Philosophie auf die Science-Fiction-Kultur zugeht. Fur die Didaktik lässt sich dieses Potential nutzbar machen.

• Philosophie im Film (Buch-Empfehlung)Das Autorenteam Jorg Peters, Martina Peters und Bernd Rolf geben mit diesem Buch eine wertvolle didaktische Handreichung fur den Film im philosophischen Unterricht mit vielen Filmbeispielen zu ubergreifenden Themen wie Wahrnehmen und Erkennen (Blow Up, Matrix) oder Medienwelten (The Truman Show), jeweils mit konkreten Arbeitsaufgaben zu den einzelnen Unterrichtsprojekten. Auf der Verlagsseite sind exemplarische Buchseiten veroffentlicht.

• Philosophieren mit Filmen (Buch-Empfehlung)Ein weiteres Buch zum Philosophieren anhand von Filmen stammt von Volker Steenblock. Inhaltsverzeichnis und Einleitung finden sich hier als Leseprobe.

• Unterrichtsmaterial zu Filmen bei Kinofenster.de

Online-Lernplattform (ZEIT fur die Schule)Einführung zu DescartesEine abwechslungsreiche Einfuhrung zu Descartes und seiner Erkenntnistheorie bietetdie Lernplattform der ZEIT. Der methodische Zweifel und die darauf aufbauendenerkenntnistheoretischen Schritte werden nicht nur verständlich erläutert, sondern mitHilfe kleiner Filmsequenzen – zum Beispiel zu den Farbenspielen von Beau Lotto – aufspielerische Weise veranschaulicht. Es werden zudem weiterfuhrende Bezugehergestellt, etwa zum Film Matrix.

4.4 Mediendidaktik

Mit der Erkenntnistheorie von der Antike uber die Aufklärung zum eLearning: Wiesicher sind die Quellen unseres Wissens?

Sendung 05: Wissen wir mehr als wir glauben?Zusatzmaterialien, Seite 27

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Online-Dossier (bpb)UrheberrechtBevor Lehrende und Lernende sich mit den sogenannten neuen Medien beschäftigen, istes angeraten, sich uber Urheberrechtsfragen zu informieren. Aber naturlich ist einsolcher Einleitungssatz gewissermaßen weltfremd, denn die Begegnung und Erfahrungmit digitalen Medien ist dem in der Regel längst vorausgegangen. Information undAufklärung schaffen auch hier Kompetenzen – bei Lehrenden und Lernenden. DasDossier der Bundeszentrale fur Politische Bildung veranschaulicht dazuGrundlagenwissen. Interessant ist eine Zeitleiste zur Geschichte des Urheberrechts, dieauch verdeutlicht, wie schnell Angebote im Netz nicht mehr aktuell sind.

Internet-RatgeberNetzdurchblickDieses Projekt von Studierenden der HAW ist ein Internet-Ratgeber fur Kinder undJugendliche und vermittelt altersgerecht Kenntnisse im Netz. Hier gibt es Comics, Videosund Musik. Zu finden ist ein weiterer Beitrag zum Urheberrecht, ein Wissenstest und –nicht zu verpassen –, der Netzdurchblick Rap.

Online-FachportalFachportal PadagogikDas Fachportal Pädagogik ist ein Tor zur bildungswissenschaftlichen Fachinformation.Neben Literaturdatenbanken und umfassenden Informationssammlungen zuWissenschaft und Forschung lassen sich hier aktuelle Anregungen und neuePublikationen finden, so zum Beispiel ein Beitrag zum lebenslangen Lernen mit demInternet. Das Angebot richtet sich unter anderem an das schulische Lehrpersonal. DieNutzung ist ohne Anmeldung moglich und kostenfrei.

Online-Veroffentlichung der Universität KielWissensgesellschaft (Kubler und Elling)Hans-Dieter Kubler und Elmar Elling haben gesammelte medienpädagogische Beiträgeunter dem Titel Wissensgesellschaft. Neue Medien und Ihre Konsequenzen herausgegeben.Der Umfang der Veroffentlichung sollte den interessierten Leser nicht abschrecken, lässtsich doch hier die ganze Vielfalt des Themas auffächern. Besonders interessant fur dieSchule: Lernen in der Informationsgesellschaft; Claus J. Tully beschreibt neueLernformen in der Schule vor dem Hintergrund digitalisierter Welten.

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