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Wolfgang Bühne, Hrsg.bitimage.dyndns.org/german/WolfgangBuehne/Sehnsucht_Der_Betroge… · Wolfgang Bühne, Hrsg. Sehnsucht derBetrogenen Christliche ... nem Leben. Ich begeisterte

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Wolfgang Bühne, Hrsg.

Sehnsuchtder Betrogenen

ChristlicheLiteratur-Verbreitung e.V.

Postfach 110135 · 33661 Bielefeld

1. Auflage 19862. Auflage 19873. Auflage 19874. Auflage 19885. Auflage 19906. Auflage 19927. Auflage 19968. Auflage 2000

© 1986 by CLV · Christliche Literatur-VerbreitungPostfach 110135 · 33661 BielefeldUmschlag: Dieter Otten, GummersbachSatz: Enns Schrift & Bild, BielefeldDruck und Bindung: Elsnerdruck, Berlin

ISBN 3-89397-111-4

Inhaltsverzeichnis

Antonio BuenoAn den Schnüren Satans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

Benedikt PetersEnde einer Illusion am Fuß des Himalaja . . . . 27

Hans EichbladtKein »Spruch« mehr auf Lager! . . . . . . . . . . . . . . 45

Susanne KautzSelbsterfahrung – Erfahrung einer Sackgasse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69

Franz HuberTanz mit dem Tod . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101

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SehnsuchtderBetrogenen

ANTONIO BUENO

An denSchnüren Satans

»Wir kümmern uns nicht um lange Haare,wir tragen keine weiten Hosen,auf meinem Gesicht keine Spur von Wirklichkeit.Ich arbeite nicht,eine Menge Rauschgift ist alles,was ich brauche.Ich bin ein fauler Trottel.«

Punk-Club ...

Die aufpeitschenden Rhythmen des Punk-Rock trei-ben mich auf die Tanzfläche, wo »Pogo« getanztwird. Eine Menge kaputter Typen mit maskenhaf-ten Gesichtern, fast alle wie ich von Alkohol undHaschisch angeturnt, entladen beim »Pogo« ihreAggressionen. Stampfen ... Rempeln ... Prügeln ...

Der Sound des Chaotischen macht hart und gefühl-los.

»Tanz den Mussolini,tanz den Adolf Hitler,tanz den ...

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SehnsuchtderBetrogenen

Unsere Stiefel sind so schwarz,rechts der schwarze Stern ...«

Und ich tanze an den Schnüren Satans!

Meine Vorgeschichte ist typisch für einen Punk.1963 wurde ich in München geboren. Mein Vater istSpanier und meine Mutter Deutsche.

Als Kleinkind war ich oft krank und so entwickelteich mich nur sehr langsam. Etwa acht Jahre war ichalt, als wir nach Pamplona/Nordspanien zogen, womeine Eltern ein Restaurant besaßen.

Mein Vater, der in jungen Jahren katholischer Prie-ster war, versuchte mich religiös zu erziehen und sowar der sonntägliche Kirchgang für mich selbstver-ständlich.

Eine Zeitlang schien für mich und meine Schwesterdie Welt recht heil zu sein, bis es in der Ehe meinerEltern kriselte und die anfänglichen Wortgefechteoft in Prügeleien endeten.

Diese immer handfester werdenden Streitigkeitenwaren für mich und meine jüngeren Geschwistereine furchtbare Belastung. Meine Mutter hielt eseines Tages nicht mehr aus, kehrte nach Deutsch-land zurück und überließ für vier Monate die Erzie-hung der Kinder meinem Vater, bis sie sich wieder

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Antonio Bueno

versöhnten. Wenige Monate später verkauften sieihr Restaurant an unsere Verwandten und zogenwieder mit uns nach München.

Da ich kein Lern-Genie war, fiel mir diese Umstel-lung sehr schwer und so stand ich bald im Schattenmeiner jüngeren Schwester Carmen, die mit Leich-tigkeit lernte. Meine schulischen Schwierigkeitenwurden von Jahr zu Jahr größer und ich kam mitchaotischen Noten nach Hause. Die Reaktion mei-ner Eltern: Prügel, bis ich blau war!

Mein Vater, der inzwischen als Kellner arbeiteteund oft erst um drei Uhr morgens von der Arbeitnach Hause kam, geriet über meine Zensurenmanchmal so sehr in Zorn, daß er mich aus demBett zog und mir mit voller Wucht ins Gesichtschlug.

So wurde die Beziehung zu meinem Vater nicht vonLiebe und Verständnis, sondern von Angst geprägt,die sich bald in glühenden Haß verwandelte.

Damals war ich dreizehn Jahre alt.

Schließlich begann meine Ausreißperiode mit demZiel, das zu suchen, was ich zu Hause vermißte:Geduld, Trost und Geborgenheit. Wie sehnte ichmich danach! Oft saß ich in den langen Winter-nächten frierend und träumend in meinem Ver-

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An den Schnüren Satans

steck, während mich draußen die Polizei mit ihrenHunden suchte.

Um meinen Hunger zu stillen, begann ich in Super-märkten zu stehlen und lebte dann tagelang meistnur von Schokolade.

Manchmal gelang es mir auch, in ein Restauranteinzubrechen und dort etwas aus der Küche zustehlen. Das war nicht so schwer, denn ich war sehrdünn und konnte leicht durch ein gekipptes Toilet-tenfenster einsteigen. Ich erinnere mich, daß ich ein-mal, total übermüdet, in einem solchen Toiletten-raum eingeschlafen bin.

So war ich dauernd auf der Flucht vor meinen Pro-blemen, Sorgen und Ängsten, landete aber nacheinigen Tagen jedesmal bei der Polizei, die michdann zu meinen Eltern brachte.

Erstaunlicherweise hat mir mein Vater diese Flucht-versuche recht großzügig vergeben. Nur wenn ichschlechte Arbeiten von der Schule mitbrachte, wur-de er rasend vor Zorn. Vielleicht lag das daran, daßer eine Zeitlang tatsächlich glaubte, aus mir einenFlugingenieur machen zu können. Doch alle ver-zweifelten Lernversuche änderten nichts an derTatsache, daß ich mit sechzehn Jahren die Schuleabbrechen mußte. Damals fing ich eine Lehre alsBäcker an.

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Antonio Bueno

Anfangs wohnte ich noch bei meinen Eltern, aberweil der Weg zur Lehrstelle ziemlich weit war,bekam ich bald dort ein Zimmer. Nun glaubte ichendlich die Freiheit zu haben, von der ich geträumthatte: Freiheit von dem Druck meiner Eltern, die ichhaßte, obwohl sie sich Mühe gaben, mit mir ein nor-males Verhältnis zu bekommen. Doch der Haß inmir fraß um sich wie ein Krebs und machte meinHerz kalt und gefühllos. Ihre Versuche, mir zu hel-fen, registrierte ich nicht, vergaß aber nie den einenSatz, den meine Mutter einmal ausgesprochen hat-te: »Du wirst es zu nichts bringen. Du bist eine Nie-te, ein Trottel!«

Diese Worte hatten mich zutiefst verletzt und da ichnicht stark genug war, diese unbedachten Wortevon mir abprallen zu lassen, fraßen sie sich tief inmich hinein. Ich war voller Minderwertigkeitskom-plexe, denn tatsächlich war ich nur ein kleiner Lehr-ling, ein Nichts.

Auch als Bäckerlehrling hatte ich Probleme mit derArbeit und in der Berufsschule war ich ebenfalls einVersager.

Um mich abzulenken und die Sorgen eine Zeitlangzu vergessen, suchte ich des öfteren eine Disko auf,in der ich oft bis zum Arbeitsbeginn blieb. Mankann sich vorstellen, wie sich der Schlafmangel aufmeine Arbeitsmoral auswirkte.

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An den Schnüren Satans

Musik spielte nun auch eine wichtige Rolle in mei-nem Leben. Ich begeisterte mich für Gruppen wieAC/DC, KISS und andere, deren Texte und Rhyth-men meinem Empfinden entsprachen.

Das Bewußtsein, nichts wert – ein »fauler Trottel«zu sein, steigerte meinen Haß, der sich gegen diemeisten Menschen meiner Umgebung und beson-ders gegen die Ausländer richtete, obwohl ichselbst einer war.

Ich verehrte zunächst heimlich Adolf Hitler undinformierte mich intensiv über seine Person undseine Ideologie. Der Gedanke, daß Hitler auch ein-mal als Versager klein angefangen hatte und dochein großer Führer wurde, motivierte mich, so daßich bald in der NPD mitlief, Hakenkreuze anfertigteund alle möglichen Wände und Gegenstände be-schmierte.

Die Gedanken von Gewalt und Zerstörung began-nen nun auch meine Phantasie zu beherrschen. Sowurde ich von Vorstellungen geplagt, wie ichjemand erschießen oder zerstückeln würde. Zu die-sem Zeitpunkt war ich schon im Netz Satans ge-fangen, der mich bald zu einem bedingungslosenNachfolger und Anbeter machte.

An meiner Arbeitsstelle gab es einige Lehrmäd-chen, unter denen Alexandra auffiel. Sie war reli-

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Antonio Bueno

giös, glaubte an die Existenz Gottes und ging zurrussisch-orthodoxen Kirche. Dazu kam, daß sieHalbrussin war und so hatte ich nach meiner neuenIdeologie eigentlich Grund, sie zu hassen und zuverachten. Aber das Gegenteil geschah, nach langerZeit wurde mein Herz wieder warm für einen Men-schen und wir verliebten uns.

Alexandra war alles für mich und ich war glücklichmit ihr und sie mit mir. In der ersten Zeit verstan-den wir uns bestens, zumal wir uns von unserenEltern unverstanden glaubten. Wir merkten nicht,wie wir uns gegenseitig zum Idol machten undeigentlich kein tragfähiges Fundament für unsereFreundschaft hatten.

So dauerte es auch nicht mehr lange, bis unsereBeziehung stark erschüttert wurde. Uns verbandnur noch die gegenseitige sexuelle Abhängigkeit,die fast zu einer Sucht wurde.

Ian Dury sang: »Sex and Drugs and Rock’n Roll isall your body needs.« Was uns noch fehlte, warendie Drogen. Doch die ließen auch nicht mehr langeauf sich warten.

Etwa zu diesem Zeitpunkt wurden die »Punks« inDeutschland bekannt. Sie sorgten auch in Münchenfür Schlagzeilen und ich war fasziniert von ihremAuftreten, ihrem »Mut« und ihrer Auflehnung ge-

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An den Schnüren Satans

gen jede Art von Autorität. Von nun an trug ich nurnoch schwarze Kleidung und fand es stark, mitIrokesenschnitt die biederen Durchschnittsbürgerzu schocken. Auch Alexandra war entsetzt übermein Erscheinungsbild und als ich dann noch einesTages betrunken zur Arbeit kam, einen Gesellenverprügelte und anschließend dem Bäckermeisterdas Handtuch warf, war es zwischen Alexandraund mir aus.

Mir war alles egal: »No future for me!«

Ich schlug wild um mich, weil ich allen anderen, nurnicht mir selbst die Schuld an meinem Elend gab.

Im Fußballstadion von »München 1860« lernte ichnun die Neonazis kennen, die durch einen kurzenHaarschnitt, Militärstiefel und grüne Fliegerjackenauffielen und für kurze Zeit sympathisierte ich mitder »Wehrsportgruppe Hoffmann« und verprügeltemit ihren Anhängern die Fans von Schalke 04 undvom FC Nürnberg. Auch bei den Schlägereien ge-gen Türken, Griechen und andere von uns gehaßteAusländer war ich mit dabei.

Später machte es mir auch nichts mehr aus, mit den»Punks« irgendwelche fremden Menschen, die unsnichts getan hatten und nicht wußten, wie ihnengeschah, anzupöbeln und zu verprügeln.

Jedoch eine Aktion wurde mir zum Verhängnis. Am

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Antonio Bueno

Weißenburger Platz sah ich einen eleganten Mannmit Aktenkoffer aus einem weißen Mercedes stei-gen. Mit dem Aufschrei »Bonzenschwein« stürzteich mich auf ihn, um ihm den Koffer zu entreißen.Doch hatte ich nicht damit gerechnet, daß etwafünfzig Meter von uns entfernt ein Polizist aufeinem Motorrad saß und sofort eingriff. WenigeMinuten später wurde ich in Handschellen zur Poli-zeistation gebracht.

Anschließend wurde ich nach Stadelheim in dieUntersuchungshaft eingeliefert. Die Anklage laute-te: »Versuchte räuberische Erpressung und Bedro-hung mit der Waffe, Gefahr für Leib und Leben.«

Nun war alles aus. Zum ersten Mal im Knast – keinAlkohol, um den Frust hinunterzuspülen, keinPunk. Eine Einsamkeit wie nie zuvor überfiel mich.

Erschwerend kam noch hinzu, daß während meinerU-Haft mein Zimmer durchsucht wurde und dieKripo dort einen Brief fand, den ich kurz vor meinerStraftat, einen Tag nach dem Bombenanschlag aufdem Oktoberfest in München an Herrn Hoffmanngeschrieben hatte:

Sehr geehrter Herr Hoffmann!

Es freut mich sehr, daß unser Kamerad Gundolf Köhlerseinen Mut bewiesen hat, daß er bereit war, für unsere

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An den Schnüren Satans

Sache zu sterben. Auch freut mich, daß dabei noch vierEngländer drauf gegangen sind.

Trotz meines Respektes vor Ihnen war es aber nicht gut,daß wir nicht gewarnt wurden, bevor die Bombe explo-dierte. Es wäre besser gewesen, wenn die Bombe in derWestendstraße explodiert wäre, wo die Kannaken woh-nen. Damit hätten wir dann mindestens 200 Nichtarierweggeschafft.

Mit einem »Heil Hitler!« grüßt Antonio Bueno Gill.

Dieser Brief ist ein schreckliches Zeugnis meinerdamaligen bösartigen, menschenverachtenden Le-benseinstellung.

Ein wenig Licht in meine dunkle Zelle brachten mirdie Briefe von Alexandra, die trotz allem wieder dieVerbindung mit mir suchte. In ihren Briefen schriebsie von Christen, die sie kennengelernt habe undvon der Liebe Gottes, die auch für mich da wäreund sich am Kreuz auf Golgatha bewiesen hätte.

Alexandras Zeilen ließen mich nicht unberührt. Ichmußte immer wieder darüber nachdenken und hät-te in der Einsamkeit der Zelle Zeit und Gelegenheitgenug gehabt, diesen Gott zu suchen und anzu-rufen. Aber statt dessen reifte in mir ein teuflischerPlan. Ich mußte mit etwa zwei Jahren Haftstraferechnen und wußte, daß jeder Brief von und an

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Antonio Bueno

Alexandra vom Richter gelesen wurde. So beschloßich, Gott für meine Situation zu mißbrauchen und»fromme« Briefe zu schreiben.

So dokumentierte ich auf diese Weise meine »Reue«und Gesinnungsänderung, obwohl ich nach wie vorjenen Menschen, den ich überfallen hatte, haßte.

Mein Plan ging auf. Als ich nach drei Monaten mei-ne Verhandlung hatte und Alexandra für mich aus-sagte und so tat, als wären wir bis über beide Ohrenineinander verliebt, bekam ich nur eine Bewäh-rungsstrafe.

Zunächst schien wieder alles gut zu sein. Ich warfrei und bekam sogar eine neue Lehrstelle in eineranderen Bäckerei. Aber mein Herz war nach wievor voller Gewalt und Haß, vor allem gegen dieReichen und gegen Ausländer und ich schmiedetePläne, wie man die Reichen beseitigen und dienichtarischen Rassen ausrotten könne.

Anarchogruppen wie »Sex Pistols«, »DAF« und»U.K.« drückten in ihren Liedern aus, was ich fühlte:

»Ich bin ein Antichrist, ich bin Anarchist.Ich weiß, was ich will und ich weiß, wo ich es bekomme.Ich möchte den Vorübergehenden vernichten.Ich will gesetzlos sein.«

(Aus: »Anarchie in the U.K.«)

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Mein Verhältnis zu Alexandra wurde in dieser Zeitsehr gespannt. Zunächst lebten wir zusammen aufAlexandras Zimmer, aber wir entfremdeten unsinnerlich immer mehr, weil ich fast jeden Tag in denPunk-Club ging und erst spät in der Nacht zurück-kehrte. Nachdem wir uns wieder einmal sehr heftiggestritten hatten, zog sie zu ihrem Vater und hinter-ließ mir eine sturmfreie Bude, die bald von meinenPunks bevölkert wurde. Das hatte wiederum zurFolge, daß die Ruhe unseres Vermieters empfind-lich gestört und das Zimmer gekündigt wurde.

Da wir das Zimmer räumen mußten, war Alexan-dra genötigt, ihre Sachen zusammenzupacken. EinesSamstags erschien sie total betrunken, um ihre Kla-motten zu sortieren und kurze Zeit später tauchteein junger Mann auf, der sich mit Alois vorstellteund ihr half, die Sachen abzuholen.

Wir brachten die Sachen zu Alexandra nach Hause,wo Alois und ich noch eine Zeitlang zusammen inder Küche saßen. Wir hatten ein langes Gesprächmiteinander, und er machte mir das Angebot, ineine christliche Wohngemeinschaft zu ziehen. Stolzlehnte ich dieses Angebot ab und verabschiedetemich, nachdem ich mit Alexandra noch einige haß-geladene Beschimpfungen ausgetauscht hatte.

So stand ich wieder einmal auf der Straße und wardarauf angewiesen, in Schmutz und Dreck mit den

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Antonio Bueno

Punks zu leben. Bald war ich dieses Hin und Herleid und da es zudem Winter wurde, versuchte ich,bei meinen Eltern unterzukommen. Als ich dortauch abgewiesen wurde, blieb mir nichts anderesübrig, als kleinlaut bei den Christen um Unterkunftzu bitten.

Diese jungen Leute nahmen mich herzlich auf, undich hatte nun in den kommenden Wochen die Mög-lichkeit, ihren für mich völlig ungewohnten Lebens-stil auf Echtheit zu prüfen. Hier fiel kein böses Wortund es herrschte eine saubere, ehrliche Atmosphä-re. Die Herzlichkeit und Selbstlosigkeit beeindruck-te mich tief. Sie gaben, ohne etwas zu fordern oderzu erwarten. Alois sagte einmal zu mir: »Ihr Punksund wir Christen haben eine Erkenntnis gemeinsam:daß es auf dieser Erde keine Zukunft mehr gibt!«

Obwohl ich bei den Christen wohnte, blieb ich derPunkszene treu und besuchte weiterhin die Punk-Clubs. In einem dieser Lokale wurde ich dann auchTürsteher und bekam auf diese Weise mein Bierkostenlos.

Oft kam Alois des Nachts, um mich dort abzuholen,und ich scheute mich nicht, weitere Freunde mitzu-nehmen. Reinhold, den wir »Kamikaze« nannten,Antonio, ein weiterer Spanier, Ralf und ich warenmeist zusammen. Die Christen boten uns Schlafge-legenheiten und verpflegten uns. Verstehen konn-

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ten wir das nicht. Sie strahlten eine Liebe undFreundlichkeit aus, die uns einfach unfaßbar war.Schließlich wollten ja nicht einmal unsere eigenenEltern etwas mit uns zu tun haben.

Von dieser Herzlichkeit verunsichert, reagierten wirmit Provokationen. Aber selbst als ich Alois einmalmit dem Messer bedrohte, behielt er seine Nervenund entwaffnete mich mit seiner Freundlichkeit.

Ab und zu gingen wir auch mit Alois zur Gemein-de. Obwohl ich z.B. so entstellt aussah, daß michmeine eigene Schwester auf der Straße nicht er-kannte, sondern dachte: »Hoffentlich quatscht michdieser miese Typ nicht an«, wurden wir von denChristen mit offenen Armen aufgenommen, wennauch einige sicher schwer schlucken mußten, alswir mit gefärbten Haaren, Kajalstift an den Augenund nach Patschouli stinkend in den Saal hineinge-knallt kamen.

Auf die Liebe dieser Christen antwortete ich immermehr mit Haß. Mich ärgerte es maßlos, daß siegenau das in ihren Herzen hatten, was mir völligfehlte: Frieden und Freude. Um diese Menschen zuverletzen, hatte ich meine Lederjacke mit Sprüchenversehen, die den Namen Jesu in den Dreck zogen.

Eines Nachts, als ich mich ziemlich betrunken hatte,suchte ich nach langer Zeit wieder einmal Alexandra

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auf. Ich blieb bis zum Morgen bei ihr und bekamdann einen Anfall von Haß und Wut. Alexandra hat-te Ikonen in ihrem Zimmer hängen. Diese riß ich vonden Wänden und spuckte darauf. Dann rief ich ihrzu: »Verleugne deinen Gott und diene dem Satan!«Sie antwortete darauf – offensichtlich schon von derLiebe Gottes angerührt: »Nein, Jesus liebt dich!«

Nun brannte bei mir die Sicherung durch und ichbrüllte sie an: »Verleugne!«

Als sie darauf nicht antwortete, verlor ich jedeSelbstbeherrschung und verprügelte sie mit mei-nem Nietenband. Früher hatte sie sich immergewehrt, aber diesmal umarmte sie, auf der Erdeliegend, meine Beine und sagte: »Geh nicht weg,Gott liebt uns.« Ich sah, daß sie völlig am Ende war,doch mit einem Schlag ins Gesicht stieß ich siezurück und stürzte wutentbrannt aus der Woh-nung.

Wenn ich heute daran denke, dann zerreißt es mirdas Herz und ich verstehe nicht, warum ich diesenGott, der bereits begonnen hatte, das Leben vonAlexandra zu verändern, so hassen konnte undwarum ich einen Menschen, den ich liebte, so miß-handelt habe.

Während ich mich nun umsomehr mit Alkohol undHasch vollpumpte, gingen mir die Worte »Jesus

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liebt dich!« nicht mehr aus dem Kopf. Nur derPunk-Rock, der laut genug war, schien für eine kur-ze Zeit diese Worte zu übertönen.

Während dieser Zeit hatte ich die Wohngemein-schaft der Christen verlassen und hielt mich miteinigen Freunden in Nürnberg auf. Da wir aber baldwieder einmal finanziell auf dem Schlauch standen,mußten wir nach München zurück und ich suchteAlexandra an ihrer neuen Arbeitsstelle auf. Ich warauf dem Tiefpunkt meines Lebens angelangt, dennnicht einmal der Punk bedeutete mir noch etwas.

Eigentlich hatte ich vor, mir etwas Speed zu besor-gen, doch dann entschloß ich mich, Alexandra vonihrer Arbeit abzuholen. Auch ihr ging es nicht gut,sie war inzwischen alkoholabhängig geworden;dennoch versuchten wir »cool« zu sein und unserElend unter einer Maske zu verbergen.

Wir gingen zusammen in eine Kneipe und spieltendort Billard. Obwohl Alexandra eine gute Billard-spielerin war, verfehlte sie diesmal die Kugeln. Alsich ihr darauf etwas genauer in die Augen sah,erkannte ich, daß sie irgend etwas genommen hatte.Sie gestand, Alkohol und Tabletten gemischt undgetrunken zu haben.

Wir fühlten uns beide völlig ausgelaugt. Wir warenam Ende. Es gab nur noch eine Möglichkeit, aus

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Antonio Bueno

unserem Elend herauszukommen und ich wußte,daß ich an diesem Tag die Weiche für unser zukünf-tiges Leben stellen mußte. So packte ich aus: »Fan-gen wir noch einmal von vorne an. Ich habe denPunk und mein ganzes Dasein satt!«

»Es gibt nur Einen, der uns noch helfen kann: JesusChristus«, war ihre Antwort.

»Ich gehe zu Alois zurück und frage, ob sie michwieder aufnehmen. Und dann schmeiße ich meineKlamotten heute noch weg, das verspreche ich dir,und morgen besuche ich meinen Bewährungshelferund suche mir eine Arbeit.«

»Das mußt du mir erst einmal beweisen. Vorherglaube ich dir nichts mehr!«

Wir zahlten, verabschiedeten uns und ich machtemich auf den Weg zur Wohngemeinschaft. Aufmein Klingeln öffnete mir Klaus, der mich ziemlichverwundert ansah. »Darf ich rein? Ich will meineKlamotten ablegen.« Klaus wies mich nicht ab undso warf ich meine Kleidung weg und suchte mir ausder Kleiderkiste auf dem Dachboden Ersatz.

Am nächsten Tag suchte ich meinen Bewährungs-helfer auf, der mir eine Arbeitsstelle als Spüler be-sorgte.

Äußerlich hatte sich mein Leben nun völlig geän-

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dert, aber mein böses Herz wurde durch neue Klei-dung und geregelte Arbeit nicht verbessert. DieseVeränderung konnte nur von Gott bewirkt werdenund sie begann damit, daß Klaus mir ein NeuesTestament schenkte, indem ich nun las und auf fol-gende Stelle stieß:

»... denn in der Stunde, in welcher ihr es nicht meint,kommt der Sohn des Menschen« (Luk. 12,40).

Ich erschrak tief, denn ich war auf eine Begegnungmit diesem Jesus in keiner Weise vorbereitet undwußte, daß ich mit meinem Leben vor Ihm nichtbestehen konnte.

Doch Seine barmherzige Liebe öffnete mir nicht nurdie Augen für meine Verlorenheit und Schuld, son-dern auch für die unbegreifliche Gnade Gottes. Ichlas die wunderbaren Worte: »... wer zu mir kommt,den werde ich nicht hinausstoßen« (Joh. 6,37).

»Kann das wirklich wahr sein, Gott? Willst Du einenso dreckigen Punk, der Deinen heiligen Namen inden Schmutz getreten hat, wirklich aufnehmen?«

Es gibt Entscheidungsstunden im Leben, in denenman weiß: jetzt oder nie! Diese Stunde war jetzt fürmich gekommen und ich hörte deutlich den RufGottes zur Umkehr. Ich wollte diese Chance nichtverpassen und so übergab ich an diesem Tag Jesus

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Antonio Bueno

Christus im Gebet den Schrott meines Lebens undbat Ihn, mir mein gottloses Leben zu vergeben undmich aufzunehmen.

Dieses Gebet war der erste Schritt in ein neuesLeben – ein Leben frei von den Ketten der Sünde,ein Leben der Freude und des Friedens.

Auch Alexandra hat diesen Schritt getan und dieBefreiung von Schuld und Sünde durch den Glau-ben an Jesus Christus, der am Kreuz den Preis unse-rer Erlösung mit Seinem Leben bezahlte, erfahren.

Inzwischen sind einige Jahre vergangen und ich bindurch Höhen und Tiefen gegangen, aber Gott hatmich nie im Stich gelassen. Es gab Zeiten, in denenmein Stolz und Eigenwille wieder auftauchten undich es meinen Mitchristen schwer machte, mit mir zuleben. Aber dann hat Gott die Zügel etwas strafferangezogen, um mich zur Besinnung zu bringen. Daswar oft schmerzlich, aber um nichts in der Weltmöchte ich wieder mit meinem alten Leben tauschen.

1983 haben Alexandra und ich geheiratet, undinzwischen hat Gott uns einen Sohn und eine Toch-ter geschenkt.

Seitdem mein Leben Gott gehört, ist es mein beson-derer Wunsch, meinen ehemaligen Punk-Freundenzu erzählen, wie Gott mein Leben verändert hat.

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An den Schnüren Satans

Einer von ihnen meinte in einem Gespräch: Dir istdas Religiöse aufgezwungen worden.

Nun, ich kann dankbar bezeugen, daß einzig derlebendige Gott selbst durch Sein Wort, die Bibel, zumir gesprochen und mich überzeugt hat.

Vielleicht steckst Du in einer ähnlichen Situationwie ich damals. Wenn Dein Leben voller Schuld ist,sei es durch Alkohol, Drogen, Geldgier, Diebstahl,sexuelle Sünden, Mord und was es sonst nochgeben mag, der Herr Jesus ist am Kreuz auf Golga-tha für diese Sünden gestorben und hat die Strafefür meine und Deine Sünden dort getragen.

Aufgrund dieser Tatsache kann Gott Vergebungvon Schuld und ein neues, ewiges Leben anbieten.

»Denn also hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen einge-borenen Sohn gab, auf daß jeder, der an ihn glaubt, nichtverloren gehe, sondern ewiges Leben habe« (Joh. 3,16).

Jesus Christus, der einen elenden, dreckigen Punkwie mich aufgenommen und zu einem Kind Gottesgemacht hat, wird Dich nicht abweisen, wenn Dumit Deinem kaputten Leben zu Ihm kommst. Ersteht zu Seinem Wort.

Jesus liebt Dich!

Dein Antonio

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Antonio Bueno

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BENEDIKT PETERS

Ende einer Illusion am Fuß

des Himalaja

»AHL-UL-KITAB« – »Volk des Buches« – diesesarabische Wort gebraucht ein Moslem, wenn er vonden Christen redet.

Ich hätte nie gedacht, daß ich auch einmal zum»Volk des Buches« gehören würde. Doch die Bibel,das Buch der Bücher, hat schließlich mein Lebenverändert und geprägt.

In Finnland – also in einem Land, in dessen Famili-en es bis vor etwa 20 Jahren noch üblich war, eineBibel im Haus zu haben und ab und zu auch darinzu lesen – bin ich geboren und aufgewachsen. Aller-dings hatte meine Familie keine Beziehung mehrzur Bibel.

Als ich dann aber aus Anstandsgründen trotzdemkonfirmiert werden sollte – wir waren inzwi-schen in die Schweiz gezogen – hatte ich eigentlichschon eine klare Entscheidung getroffen. Bei derKonfirmation sollten wir eine Art Treuegelöbnisablegen, daß wir unser weiteres Leben unter der

SehnsuchtderBetrogenen

Führung Jesu Christi gestalten wollten. Allerdingsbrauchten wir damals unser Versprechen nichtlaut auszusprechen, denn dann hätte ich wahr-scheinlich gelogen, sondern wir konnten still füruns selbst auf die Frage des Pfarrers eine Antwortgeben.

Ich habe damals aus voller Überzeugung geant-wortet:

»Nein, das will ich nicht. Ich habe kein Interessedaran, Jesus nachzufolgen.«

Natürlich ließ ich mich trotzdem konfirmieren, aberdie Konfirmation war für mich die Abschiedsfeiervon aller Religiösität und vom Christentum. In denfolgenden 4 bis 5 Jahren habe ich keine Bibel mehrangerührt und an keiner christlichen Veranstaltungoder sonst einer Sache, die irgend etwas mit demChristentum zu tun hatte, teilgenommen.

Nachdem ich mein Abitur hinter mich gebracht hat-te, wollte ich endlich einmal die Welt kennenlernen.In der Schweiz, so meinte ich, war alles so klein-kariert, verklemmt, viel zu genau, zu ordentlichund zu geregelt. Ich wollte frei sein und glaubte,daß Freiheit darin besteht, tun und lassen zu kön-nen, was man will. Und das war meiner Überzeu-gung nach nur in einem Land möglich, wo mannicht alles so genau nimmt, wo man nicht arbeiten

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Benedikt Peters

muß und wo man die Dinge bekommt, die mangenießen möchte.

Für mich gab es nur ein Land, das in Frage kam:Indien, das gelobte Land. Bereits ein Jahr vor mei-ner Abreise dorthin hatte ich mich oft mit meinemFreund getroffen und dann haben wir uns in denschillernsten Farben ausgemalt, wie es dort seinwürde. Wir träumten davon, irgendwo am Fuß desHimalaja, wo es ruhig ist und die Menschen zufrie-den sind, ein Haus für uns zu haben, genügendGeld, um nicht arbeiten zu müssen und vor allemausreichend mit Drogen versorgt zu sein, die wirdamals nahmen, weil wir das Leben sonst nicht er-tragen hätten.

Nun, das waren schöne Träume und meistens ge-hen Träume nicht in Erfüllung. Aber das Erstaunli-che war, daß unser Traum buchstäblich in Erfüllungging.

Es kam der Tag, an dem ich im friedlichen Indien, amFuß des Himalaja in einem gemieteten Haus wohnte.Ich hatte genügend Geld, um auch längere Zeit nichtarbeiten zu müssen und hatte vor allem die Drogen.Nun war ich am Ziel meiner Träume und hätteeigentlich der glücklichste Mensch auf Erden seinmüssen. Aber weit gefehlt! Mit der Erfüllung meinerTräume hatte ich alle Illusionen verloren. Damalsfühlte ich mich unglücklicher als je zuvor.

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Ende einer Illusion am Fuß des Himalaja

In der ersehnten Abgeschiedenheit am Fuß desHimalaja wurde mir bewußt, daß ich alles hatte,was ich jemals wünschte, mir aber dennoch genaudas fehlte, wonach ich mich sehnte: Glück undZufriedenheit.

Beim Grübeln über dieses Problem kam mir der Ge-danke: Mit dem Glück in Indien hat es nicht geklappt,also mußt du die Sache ganz anders anpacken. Dufährst zurück in die geordnete Schweiz, hörst mit denDrogen auf, gehst einer anständigen Arbeit nach, hei-ratest und wirst einfach ein normaler Bürger. Wahr-scheinlich ist das der Weg zur Zufriedenheit.

Gedacht, getan. Ich kehrte in die Schweiz zurück,hörte auf Drogen zu nehmen und ging einer ehrba-ren Arbeit nach. Und doch, im Herbst 1971, einigeMonate bevor ich 21 Jahre alt wurde, stand ich aufdem Balkon unseres Hauses und verfluchte denTag, an dem ich geboren wurde.

Ich habe nicht mit Gott gehadert, denn ich glaubtenicht an ihn, aber ich fand es empörend, daß ich exi-stierte. Warum mußte ich auf der Welt sein, ohnedaß ich gefragt wurde und ohne daß ich zu meinemDasein die Zustimmung gegeben hatte?

Ich empfand das Leben als eine unerträgliche Lastund so stand ich auf diesem Balkon und dachte:Wenn ich nur nicht existieren müßte, wenn ich aus

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Benedikt Peters

diesem unsinnigen Leben aussteigen könnte, ein-fach nicht mehr da wäre!

Hätte ich mehr Mut besessen, dann wäre ich ausdem 3. Stock hinuntergesprungen, um mir das Le-ben zu nehmen. Aber eine Überlegung hielt michzurück: Wenn ich hinunterspringe, dann ist wohlmein Körper zerstört, der mir eigentlich bisherwenig Probleme bereitet hat, denn ich bin wederkrank, noch leide ich an einem körperlichen Man-gel. Aber was ist mit meinem Ich, mit meiner Per-sönlichkeit, die mir die Konflikte bringt, ist sie dannauch vernichtet oder existiere ich dann weiter?

Diese Unsicherheit ließ mich zögern.

Während dieser Zeit, als ich an meinem Dasein ver-zweifelte, kam ein alter Freund zu mir, der früherim selben Stil gelebt hatte wie ich. Ich hatte ihn überein Jahr nicht mehr gesehen und als er zur Tür her-einkam, erkannte ich, daß er sich völlig veränderthatte. Er strahlte eine Lebenshaltung aus, die mirvöllig unbekannt war. Es dauerte nicht lange, bis erdas Geheimnis seiner Veränderung lüftete: Er hättebegonnen die Bibel zu lesen und folge nun Gottnach, der ihm ein neues Leben geschenkt habe. Soetwa drückte er sich aus. Und dann gab er mir einNeues Testament und sagte: »Lies darin!«

Die veränderte Lebenseinstellung meines Freundesbewirkte, daß ich neugierig wurde und nun anfing

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Ende einer Illusion am Fuß des Himalaja

in einem Buch zu lesen, das mir bisher immer uner-träglich langweilig schien. Zum ersten Mal in mei-nem Leben las ich freiwillig und mit Interesse imNeuen Testament. Ich begann mit dem Matthäus-Evangelium und während ich las, wurde ich vondem Inhalt eigenartig gepackt. Dieses Buch beinhal-tete etwas, was ich bisher noch nicht gehört odergelesen hatte, obwohl ich nicht genau hätte definie-ren können, was mich an diesem Buch so anzog.Und so las ich einfach weiter, bis ich an die Stelle inMatthäus 11,28 kam:

»Kommt her zu mir, alle ihr Mühseligen und Beladenen,und ich werde euch Ruhe geben.«

Von diesen Worten Jesu fühlte ich mich unmittelbargetroffen. Ich hatte keine Erklärung dafür, war abervöllig überzeugt: Ja, das stimmt!

Ich las weiter: »Nehmet auf euch mein Joch und lernetvon mir, denn ich bin sanftmütig und von Herzendemütig, und ihr werdet Ruhe finden für eure Seelen.«

Genau das suchte ich doch: Ruhe, Zufriedenheit,Erfüllung, Frieden. Ich dachte, wenn das stimmt,dann will ich von diesem Jesus lernen! Ich will wei-ter lesen, was Er sagt und dann tun, was Er gebietet.

Zu diesem Zeitpunkt wollte ich meine Arbeitsstellewechseln und hatte mich bei einer neuen Firma in

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St. Gallen vorzustellen. Vor dem Vorstellungsge-spräch hatte ich noch eine Stunde Zeit und so gingich ein wenig spazieren und wurde mächtig vondem prächtigen Dom dieser Stadt angezogen. Daich dachte, daß dieser Bau ein besonders geeigneterPlatz zum Bibellesen sei, ging ich dort hinein, setztemich auf eine Kirchenbank und las im Johannes-Evangelium. Und während ich dort las, wurde mirmit einem Mal deutlich: Gott existiert, Gott ist! Die-ses Bewußtsein hat mich so überwältigt, daß ichdort auf die Knie ging. Es war mir egal, ob dort Leu-te waren, die mich belächeln konnten, oder nicht,ich betete nur den kurzen Satz: O Gott, vergib! Mehrnicht. Danach stand ich von meinen Knien auf, setz-te mich und hatte irgendwie die Gewißheit, daßGott mein Gebet erhört und mir vergeben hatte.

Während ich dort saß, lief in Gedanken mein ver-gangenes Leben an mir vorüber. Ich hatte Gottgeleugnet und so gelebt, als ob ich selbst Gott wäre.Ich erkannte, wie völlig verkehrt mein bisherigesLeben war und konnte Gott in bezug auf meine Ver-gangenheit nur sagen: »Vergib!«

Das war meine erste wirkliche Begegnung mit demlebendigen Gott.

Mit diesem Gott, der mir dort begegnet war, wollteich nun leben. Ich wollte Ihn noch besser kennenler-nen und mein Leben ganz auf Ihn ausrichten. Und

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so las ich weiter in der Bibel und besorgte mir auchandere Literatur, um mehr über Gott zu erfahren.Weil ich es nicht besser wußte, habe ich Bücher überden Hinduismus gelesen, die Reden des Buddhastudiert und angefangen, den Koran zu lesen. Allesmit dem aufrichtigen Wunsch, Gott besser kennen-zulernen.

Damals war ich viel mit meinem Freund Peter zu-sammen, der die gleichen Fragen hatte wie ich.Gemeinsam suchten wir die verschiedenen Kirchenauf und hörten mal eine katholische und dann eineevangelische Predigt. Wir lasen zusammen in derBibel und tauschten uns darüber aus.

Die Beschäftigung mit den verschiedenen Glau-bensgemeinschaften und Religionen hat damals zu-mindest etwas dazu beigetragen, unserem Lebeneinen gewissen Inhalt zu geben.

Allerdings wurde uns dann bald wieder einmalbewußt, daß die Leute in der Schweiz viel zu mate-rialistisch eingestellt sind. Wir wollten wieder nachIndien gehen, weil wir überzeugt waren, daß dortdie Menschen viel geistlicher und spiritueller waren.Wir hatten uns vorgenommen, in Indien einen geist-lichen Meister, einen Guru zu suchen, der uns helfenwürde, mit der Gottheit vereinigt zu werden. Unddas war nach hinduistischer Lehre nur durch einenMittler möglich, durch einen Guru, der selbst schon

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das völlige Gottesbewußtsein verwirklichte. In derSchule eines solchen Meisters wollten wir lernen.

So war es für uns selbstverständlich, auf unsere Rei-se nach Indien ein Neues Testament, die Reden desBuddha und die Bhagwadgita mitzunehmen.

Zunächst kamen wir nur bis nach Pakistan, wo wirbleiben mußten, weil der Krieg zwischen Indienund Pakistan ausgebrochen war.

Wenn wir uns dort in die religiösen Bücher vertief-ten, betete ich immer wieder: »O Gott, zeige mir denrechten Weg!« Ich war nicht sicher, ob letzten Endesin allen Büchern dasselbe stand und ob es vielleichtegal ist, welche Religion man vertritt, wenn mannur seine Sache aufrichtig und ernst verwirklicht.Deshalb war mein Gebet zu Gott um klare Wegwei-sung sehr ehrlich gemeint. Ich suchte Gewißheit.

Gott erhört unsere Gebete oft auf erstaunliche Wei-se, und manchmal benutzt Er sogar einen Diebstahldazu.

Wir waren in die Stadt zum Einkaufen gegangenund hatten draußen vor der Stadt, an einem – wiewir glaubten – sicheren Ort unser Gepäck versteckt.Aus irgendeinem Grund bin ich noch einmal zu-rückgegangen und habe aus meinem Gepäck dasNeue Testament herausgenommen. Sonst nichts.

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Als wir abends aus der Stadt zurückkamen, stelltenwir fest, daß man unser ganzes Gepäck gestohlenhatte. Mein einziger übriggebliebener Besitz warnun das Neue Testament!

Zuerst habe ich mich sehr über den Diebstahl geär-gert und sofort meinem Bruder in Schweden einenBrief geschrieben mit der Bitte, mir die gestohlenenBücher zu besorgen und zu schicken. Aber als ichnach dem ersten Ärger ein wenig zur Ruhe undzum Nachdenken kam, fragte ich mich, ob mir Gottvielleicht etwas dadurch sagen wollte, daß ich nurnoch ein Neues Testament als Lektüre besaß.

Bald lernten wir in Pakistan überzeugte Christenkennen, die uns zu ihren Zusammenkünften einlu-den. Im Zusammenleben mit diesen Christen habeich immer mehr von der biblischen Botschaft gehörtund hatte Zeit, etwa ein Jahr lang intensiv die Bibelzu lesen. Dort reifte in mir der feste Entschluß: Ichwill nur Jesus Christus folgen und keinem anderenReligionsstifter.

Dort in Pakistan traf ich übrigens auch jenen altenFreund aus der Schweiz, der mir damals das NeueTestament geschenkt hatte. Da wir beide vonganzem Herzen Jesus nachfolgen wollten, bliebenwir zusammen, lebten bei den pakistanischen Chri-sten und lasen eifrig in der Bibel. Wir gewöhntenuns daran, jeden Morgen »Stille Zeit« zu halten und

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hatten abgemacht, daß derjenige, der zuerst wachwurde, den anderen zu wecken hatte. Abwechselndlasen wir dann die Bibel und zwar genau die Seite,die beim ersten Griff aufgeschlagen wurde. Es warunser aufrichtiger Wunsch, von Gott unmißver-ständliche Anweisungen zu bekommen, die wirkompromißlos befolgen wollten.

Eines Morgens schlugen wir Matthäus 10 auf, woJesus seine Jünger aussendet und ihnen in Vers 9sagt:

»Verschaffet euch nicht Gold noch Silber noch Kupfer ineure Gürtel.«

Also kein Geld besitzen!

»... keine Tasche auf dem Weg, noch zwei Leibröcke, nochSandalen, noch einen Stab ...«

Also nur ein Gewand und barfuß!

Unsere Reaktion darauf war folgende: Wir nahmenunsere Schuhe und warfen sie weg, weil wir Gottgehorchen wollten. Mit der Kleidung hatten wirkeine Probleme, weil wir nur noch das besaßen, waswir auf dem Leib trugen. Ich hatte nur eine einzigeSorge: Der Besitz von etwa 100 Dollar in Reise-schecks. Wir grübelten, was wir nun mit diesemGeld machen sollten. Schließlich kam uns derGedanke, daß wir diese Schecks in pakistanische

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Rupien wechseln wollten, um diese Rupien dann inKaratschi an die vielen Bettler zu verteilen.

Wir zogen nun per Anhalter los und übernachtetenin einer Moschee. Ein solches Gebäude ist zumSchlafen gut geeignet, weil dort Matten sind, aufdenen man liegen kann und weil man ein Dach überdem Kopf hat.

In dieser Nacht haben wir offensichtlich sehr gutund tief geschlafen, denn als wir aufwachten, warenwir unsere Sorgen los: Unser Geld und auch unserePässe hatte man gestohlen!

Als wir darauf zur Polizei gingen, hatte man dortschon unsere Pässe abgeliefert, aber das Geld warweg und wir freuten uns darüber und haben Gottauf den Knien dafür gedankt, daß Er uns die Lastdes Geldes abgenommen hatte!

Unser Wunsch war, alles zu tun, was Er uns sagenwürde und so haben wir uns auch an die Worte Jesuerinnert: »... der Arbeiter ist seines Lohnes wert ... undin welche Stadt irgend ihr eintratet, und sie euch auf-nehmen, da esset, was euch vorgesetzt wird ...« (Luk.10,7-8).

Wir haben uns damals gesagt, wenn wir uns aufJesus Christus und Sein Wort verlassen, dann wirdEr uns auch versorgen, wenn wir kein Geld haben.

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So entschlossen wir uns, wohl Essen, aber kein Geldvon unseren Gastgebern anzunehmen. Rückblik-kend kann ich nur sagen, daß Gott mit unseremUnverstand und unserer Unwissenheit große Ge-duld hatte und uns wunderbar versorgt hat.Während dieser Zeit haben wir wertvolle Erfahrun-gen mit den Verheißungen und der Treue Gottesgemacht.

Einmal waren wir per Anhalter unterwegs und hat-ten abends in irgendeinem Palmenhain übernach-tet. Am nächsten Morgen ging es wieder weiter,ohne daß wir ein Frühstück hatten. Während derMittagshitze ruhten wir uns im Schatten aus, umdann um 15 oder 16 Uhr weiter zu marschieren.Während wir uns ziemlich hungrig durch dieGegend schleppten, kam plötzlich ein Mann aufuns zu, winkte uns zu sich und lud uns ein, aneinem für zwei Personen reich gedeckten TischPlatz zu nehmen. Dieser Mann sprach nicht viel, ersagte nur: »Eßt!« Und als wir ausgiebig gespeisthatten, verabschiedete er sich mit den Worten: »AufWiedersehen, macht’s gut!«

Wir zogen dann weiter in dem freudigen Bewußt-sein, von Gott versorgt worden zu sein.

Beide hatten wir bisher gelernt, daß Christsein bein-haltet, Jesus Christus nachzufolgen. Aber wir merk-ten bald, daß noch eine Menge mehr dazu gehörte.

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So wurde uns beiden zur Not, daß wir wohl in derLage waren, rein äußerliche Dinge wie barfuß ge-hen usw. zu befolgen, andere Gebote Jesu uns abersehr viel Mühe machten.

Ich merkte z.B., daß ich meinem Freund gegenüberoft sehr ungeduldig, gereizt und unwillig war. AlleVersuche mich zu ändern, schlugen fehl und ichwußte, daß mein schlechtes Verhalten Sünde war,denn so hatte mein Heiland und Herr nicht gelebt.

Schließlich wurde die in uns wohnende Sünde zueinem solchen Problem, daß wir beschlossen, 10Tage lang zu fasten, um »richtige« Christen zu wer-den. Jesus hatte zwar 40 Tage lang gefastet, aber daswar uns doch ein bißchen zu viel. So haben wir einekleine Hütte aufgesucht und angefangen zu »fa-sten« – nichts zu essen und nichts zu trinken.

Nun, am dritten Tag wurde ich ohnmächtig und alsich wieder zu mir kam, meinte mein Freund: »Wärees nicht besser, wenn wir wenigstens ein wenigWasser trinken würden?«

In den folgenden sieben Tagen haben wir danndoch etwas Wasser getrunken, aber nichts gegessen.

Während wir fasteten, haben wir uns in zwei Bü-cher vertieft. Wir hatten beschlossen, nur die Offen-barung und das Buch von Thomas a Kempis »Nach-

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folge Christi« zu lesen. In diesen zehn Tagen habeich beim Lesen der Offenbarung kaum etwas begrif-fen. Nur eines wurde mir klar: Es gibt ein ewigesSchicksal des Menschen, entweder in der Herrlich-keit Gottes oder in der ewigen Verdammnis. Unddann waren mir in der Offenbarung einige Worte,die sich wiederholten, in die Knochen gefahren.Immer wieder war die Rede von solchen, die »über-winden« und die dafür eine wunderbare Zusageerhielten. Ich fragte mich: »Gehöre ich zu denen, diebis zum Tode treu bleiben, die Christus um jedenPreis festhalten?«

Die Antwort auf meine Frage bekam ich nicht wäh-rend der Fastenzeit, aber ich brauchte nicht mehrlange darauf zu warten.

Nach den zehn Tagen gingen wir ziemlich ernüch-tert wieder zu unseren pakistanischen Freunden.

In einer der folgenden Nächte konnte ich nicht ein-schlafen, so daß ich aufstand und aufs Feld hinaus-ging. In dieser Nacht wurde mir mit einem Mal allesklar. Ich verstand plötzlich Bibelverse, die ich oftgelesen, aber nie begriffen hatte. Was meine letzteFrage betraf, kamen mir die Worte Jesu in den Sinn:»In der Welt habt ihr Drangsal, aber seid guten Mutes,ich habe die Welt überwunden« (Joh. 16,33).

Mir wurde klar, daß ich all das, was Gott von dem

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Menschen fordert, niemals erfüllen kann und daß esmir unmöglich ist, in eigener Kraft Jesus nachzufol-gen. Und weil ich das nicht kann, mußte Jesus Chri-stus für mich in den Tod gehen. Er starb für meineSünden und für meine Unfähigkeit, überhauptetwas Gutes tun zu können!

In dieser Nacht bin ich dort auf dem Feld auf meineKnie gegangen und habe Jesus Christus gebeten,daß Er mein Leben in Seine Hand nehmen, ja, daßEr in mein Leben kommen möge, um mich zu füh-ren und an das Ziel zu bringen: »Du allein kannstüberwinden – ich kann es nicht.«

In dieser Nacht, irgendwann im Januar 1973, bin ichein Kind Gottes geworden.

»So viele ihn aber aufnahmen, denen gab er das Recht,Kinder Gottes zu werden, denen, die an seinen Namenglauben« (Joh. 1,12).

Dort habe ich den Sohn Gottes in mein Leben auf-genommen und Ihm die Herrschaft und Führungmeines Lebens übergeben. Von diesem Tage anwußte ich, daß ich durch Gottes Gnade ewigesLeben hatte. Wenige Tage später hörte ich die Pre-digt eines Amerikaners, der in Indien arbeitete, mitdem Thema Heilsgewißheit. Seitdem habe ich niemehr daran gezweifelt, daß ein Kind Gottes ewigesLeben besitzt.

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Diese völlige Gewißheit des ewigen Lebens hat mirdann auch eine große Freude gegeben, von nun andiesen wunderbaren Herrn zu bezeugen und Ihnunter den Menschen bekannt zu machen. Ich habedamals in Pakistan, Indien und Bangladesch mitsehr vielen Hindus und Moslems gesprochen unddurfte bei einigen erleben, daß sie auch zum Glau-ben kamen und erfuhren, daß Jesus Christus ewigesLeben, Ruhe und Frieden schenkt.

Nachdem ich zweieinhalb Jahre in Pakistan undIndien gelebt habe, bin ich wieder in die Schweizzurückgekehrt. Inzwischen bin ich mit Helen, einerSchweizerin, verheiratet und Gott hat uns vier Kin-der geschenkt. Wir freuen uns, gemeinsam unserenHerrn lieben und Ihm leben zu dürfen.

Die Bibel, die ich damals in Pakistan lieben undschätzen lernte, ist mir seitdem immer kostbarergeworden.

Damals in Indien, als ich noch jung im Glauben war,habe ich das Verlangen nach mehr Glauben ver-spürt und oft gebetet: »Laß mich Dich doch einmalsehen, damit mein Glaube wächst und meine Zwei-fel an Deiner Macht schwinden!«

Ich bin dankbar, daß Gott mir dieses Gebet nieerhört hat, denn ein solches Erlebnis hätte meinenGlauben nicht vergrößert, sondern mich im Gegen-

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teil abhängig von Dingen gemacht, die man sehenkann. Es gibt nur zwei Dinge, die den Glauben näh-ren und stärken und das sind Gottes Wort und eingehorsames Herz.

Je länger und intensiver ich in diesem wunderbarenalten und doch stets aktuellen Buch gelesen habe, jemehr kann ich frohen Herzens bestätigen, was derPsalmdichter vor Jahrtausenden über das WortGottes ausgesagt hat:

»Ich freue mich über dein Wort wie einer, der große Beutefindet.«

«Wohlgeläutert ist dein Wort und dein Knecht hat eslieb« (Psalm 119,162 + 140).

Ich grub so viel mit meinem Spatenund immer war es Wüstensandbis ich an jenes Buch geraten,darin ich Gold und Silber fand.

Auf alle meine tausend Fragengab Antwort mir das weise Buch,hat um mein kaltes Herz geschlagenden Frieden, wie ein warmes Tuch.

H. Dannenbaum

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HANS EICHBLADT

Kein »Spruch« mehr auf Lager!

Während in Vietnam junge Männer ihr Leben ein-setzen mußten, um das ins Wanken geratene Selbst-bewußtsein der USA zu stützen, wuchs ich inHückeswagen, einer kleinen Stadt in der NäheWuppertals, auf.

Meine Mutter und mein Stiefvater waren nachAmerika ausgewandert und hatten mich bei denGroßeltern zurückgelassen, weil meine MutterAngst hatte, daß ich als junger Bursche in diesenunsinnigen Krieg eingezogen würde.

Während meine Mutter den Plan hatte, daß ich ihrspäter in die Staaten folgen sollte, hatte mich meinGroßvater als Nachfolger für sein gut funktionie-rendes Geschäft ausersehen.

Allerdings merkte ich bald, daß ich wohl zusätzlichdie Aufgabe hatte, meine Großeltern, die sichgegenseitig haßten, beieinander zu halten. Ich warwohl das einzige Bindeglied zwischen ihnen, weilbeide eigentlich nur für mich lebten. Ich hatte aber

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SehnsuchtderBetrogenen

absolut keine Lust, für sie zu leben und so ent-wickelte ich recht früh meinen eigenen Lebensstil.

Da ich als zukünftiger Geschäftsmann eine entspre-chende Bildung haben sollte, mußte ich aufs Gym-nasium und landete nach einigen vergeblichenAnläufen auf einer höheren Privatschule. Dort wareine Menge junger Leute zusammengewürfelt, dieähnlich wie ich durch irgendwelche Quintas undSextas gefallen waren und alle den Turn drauf hat-ten, ein bißchen extravagant herumzuspinnen.

Weil ich einen weiten Schulweg nach Wuppertalhatte, befand ich mich so ziemlich außerhalb derKontrolle meiner Großeltern. Bald gehörte ich zueiner Clique junger Kerle, die recht abenteuerlichlebten. So entdeckten wir in Wuppertal Kneipen,in denen die Huren und ihre Zuhälter noch desMorgens früh vollgetankt herumhingen. Da einigeJungens von uns Judo gelernt hatten, fühltenwir uns stark genug, um uns in diesen anrüchigenSpelunken ein Bier zu bestellen. Für uns wardas immer eine spannende Sache, weil wir jedesMal damit rechnen mußten, mit einigen blauenAugen und wackeligen Zähnen dieses Lokal zuverlassen.

Das Geld für diese Kneipenbesuche verschafftenwir uns auf folgende, etwas nervenkitzelnde Weise:Im Bahnhofsgebäude Wuppertal-Steinbeck stand in

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Hans Eichbladt

der Nähe des Fahrkartenschalters ein Bildzeitungs-Verkaufsstand, auf dem ein kleiner Geldbehälterbefestigt war, in den man damals 10 Pfennig proZeitung werfen mußte. Etwa um acht Uhr morgenswaren diese Behälter recht ansehnlich gefüllt.

Einige Jungens von uns warfen dann einen Gro-schen in den Kasten und stellten sich breitbeinig mitaufgeschlagener Zeitung vor dem Verkaufsständerauf. Meine Aufgabe bestand nun darin, abge-schirmt durch die »bildungshungrigen« Zeitungs-leser, in Windeseile den Geldbehälter abzumontie-ren und unauffällig verschwinden zu lassen.

Mit der Zeit hatten wir eine solche Routine ent-wickelt, daß die Sache in Sekundenschnelle erledigtwar, ohne daß man uns auch nur ein einziges Malerwischt hätte.

Die Schule interessierte uns immer weniger, wasmit entsprechenden Zeugnissen quittiert wurde.Dieser peinliche Umstand veranlaßte mich aller-dings zum Entwickeln der Fähigkeit, mir mit einembesorgten Stempel und gefälschten Unterschriftenin den letzten drei Schuljahren die Zeugnisse selbstzu schreiben und schließlich mit meinem hand-geschriebenen Abitur abzugehen. Meine Eltern inAmerika und meine Großeltern in Hückeswagenahnten von alldem natürlich nichts, sondern glaub-ten meinem sauberen Abschluß und rechneten mit

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meiner geschäftlichen Karriere. Und die sollte imBetrieb meines Großvaters beginnen.

Ich war zwanzig Jahre alt, als ich in dieses Geschäfteinstieg. Wir verkauften medizinische Badegeräte,welche mein Opa damals vor dem Krieg in Dresdenentwickelt hatte und die in ganz Deutschland be-kannt waren. Regelmäßig stellten wir auf den gro-ßen Messen in München, Köln, Düsseldorf usw.aus, so daß ich oft mit Großvater unterwegs war.

Während dieser Zeit wurde mir erst richtig bewußt,daß Großvater unheilbar an Krebs erkrankt war.Nach einer Operation hatte man ihm einen künstli-chen Darmausgang gelegt, was damals noch einewahnsinnig stinkende und unhygienische Angele-genheit war, die sich nicht gerade förderlich auf dasGeschäft auswirkte.

Obwohl mein Großvater den Tod vor Augen hatte,gab er nicht auf. Mit seinem eisernen Willen schaffteer es, nach der Operation noch ein Jahr lang auf denMessen auszustellen. Aber dann zeichnete sich dasSterben ab und es kam der Tag, an dem er das Bettnicht mehr allein verlassen konnte. Ich mußte ihndann vor den Fernseher schleppen – einen Mann,der nur noch aus Haut und Knochen bestand, abermit einem intakten Geist – einen Mann mit demunbändigen Willen zu leben, aber dem Wissen, ster-ben zu müssen.

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Als ich eines Abends zu ihm kam, lag er tot im Bett.Morgens hatte ich ihn noch gefragt, ob alles inOrdnung sei und abends lebte er nicht mehr. Keinerhatte gemerkt, daß er schon am Nachmittag anHerzversagen gestorben war.

An diesem Abend wurde mir klar, daß das mensch-liche Leben unsinnig ist. Man wird geboren, wächstauf und dann kommt eine unheimliche Krankheitwie zum Beispiel Krebs und dann zieht nichts mehr.Weder der schnelle Wagen, noch die 100.000 DMauf dem Konto.

Damals habe ich gedacht: Wenn das Leben so aus-sieht, dann muß ich etwas aus meinem Leben ma-chen, solange ich noch jung und gesund bin.

Und so kam es, daß ich nach der Beerdigung meinesGroßvaters das Geschäft auflöste, alles Geld abhob,auf Weltreise ging und meine Großmutter überNacht zu einer armen, verschuldeten und betroge-nen Frau machte.

Doch nach einem halben Jahr war das Geld ver-braucht, denn in den entsprechenden Nachtclubsfetzt man leicht einige Tausender herunter. Aberinzwischen hatte ich eine Menge Leute kennen-gelernt, die einige Tricks kannten, mit wenig Arbeitviel Geld zu verdienen.

Auf ihre Praxis aufbauend, entwickelte ich mit der

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Zeit eine eigene Methode Autos zu »besorgen« undein spezielles System im Bankenbetrug. Auf dieseWeise finanzierte ich von da an mein aufwendigesLeben, dessen Sinnlosigkeit mir immer vor Augenstand.

Zuerst »arbeitete« ich im Kölner Raum, dann inWuppertal und Düsseldorf, mußte mich aberbald nach Spanien absetzen, weil die Polizei michsuchte.

Da ich außer Mercedes englische Sportwagen liebte,habe ich mir in Spanien einen solchen besorgt, michirgendwo einquartiert und eigentlich alles gehabt,wovon ich geträumt hatte.

Jeden Tag war ich am Strand, habe mir dort einenette Frau angelacht, um mit ihr ein paar amüsanteStunden zu verbringen.

Scheinbarer Erfolg wie Geld, Autos, Frauen, Son-nenbräune waren da und doch konnte das alles dieeine Tatsache nicht auf Dauer verdrängen: MeinHerz war kalt und einsam. Oft habe ich des Nachtsirgendwo neben einem Mädchen gelegen und ge-dacht, daß das Leben ein einziger Wahnsinn ist.

Einen Weg zurück gab es für mich nicht, den hattemir der Haftbefehl in Deutschland verbaut. Und sowar ich oft an einem Punkt, wo ich mich ins Meer

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stürzen wollte, obwohl ich die Taschen voller Geldhatte. Mein Leben war sinnlos. Es gab keinen Men-schen, den es interessierte, was aus meinem Lebenwurde, und ich hatte auch keinen, dem ich etwasErzählenswertes hätte erzählen können.

Irgendwann im Winter 1971, es war kurz vor Weih-nachten, trieb es mich nach Deutschland. Ich wolltesehen, was aus Großmutter geworden war, ich hatteeine starke Sehnsucht nach »Zuhause«. Obwohl ichdamit rechnen mußte, daß mich am DüsseldorferFlughafen die Polizei erwartete, flog ich nachDeutschland und kam ohne Schwierigkeiten durchdie Kontrolle.

Die erste Nacht verbrachte ich in einer Bar, um desMorgens in aller Frühe bei meiner völlig verstörtenOma zu erscheinen. Nun hatte ich ihr Elend undauch mein Elend vor Augen und sah, was ich ange-richtet hatte.

Aber wie Großmütter nun einmal sind, die Enkelkönnen noch so viel Mist machen, irgendwie haltensie durch und so hatte sie mich trotz allem liebbe-halten, und ich konnte einige Tage bei ihr wohnen.

Tagsüber wagte ich mich nicht auf die Straße, umnicht erkannt zu werden und trieb mich deshalbnur des Nachts herum und lernte auf diesem WegIngrid, meine jetzige Frau, kennen.

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Ich trat auf wie der große Geschäftsmann, hatteGeld, ein schönes Auto und da Ingrid aus einer zer-störten Ehe kam und viele Enttäuschungen erlebthatte, sehnte sie sich auch nach ein bißchen Liebeund Zuwendung und fiel dabei auf einen Verrück-ten wie mich herein.

Sie glaubte meinen tollen Geschichten und verliebtesich in mich. So habe ich mich wieder von meinerGroßmutter abgesetzt, um ab und zu bei Ingrid auf-zutauchen, ansonsten aber in Köln zu leben, wo ichmich einer Gruppe angeschlossen hatte, die Mäd-chen verkauften. Mich ekelte das Leben dort an,denn obwohl genug Mädchen und Geld zur Ver-fügung standen, war in meiner Seele ein einzigesChaos. Ich hielt es da nur aus, weil ich einen Unter-schlupf brauchte, von dem aus ich ab und zu Ingridbesuchen konnte.

Doch in dieser Zeit wurde mir der Boden inDeutschland so heiß, daß ich mich wieder nachSpanien absetzen wollte. Ich hatte mir auf meineWeise einen Audi 100 besorgt, um damit über dieGrenze zu kommen und wollte eine letzte Nachtbei Ingrid verbringen, um dann spurlos zu ver-schwinden.

Als ich morgens um 5 Uhr aus dem Bett krabbelte,um mich mit einem »Tschüß« von Ingrid zu verab-schieden, fand ich meinen Autoschlüssel nicht. Ich

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ahnte nicht, daß Ingrid Lunte gerochen hatte und inderselben Nacht, während ich schlief, meine Schlüs-sel versteckt und einen Mann namens Friedel ange-rufen hatte, um ihm zu sagen: »Hier ist der Hansund ich glaube, daß irgend etwas Schlimmes imGange ist. Du befaßt dich doch mit Leuten, die kri-minell sind. Kannst du nicht einmal vorbeikommenund mit ihm reden?«

Und während ich um 5 Uhr morgens verzweifeltmeine Schlüssel suchte, hörte ich plötzlich ein Autokommen:

Friedel rollte an!

Ich kannte ihn von früher als einen »Frommen«,denn im Alter von 13-17 Jahren bin ich oft zum Fuß-ballspielen zum EC-Scheideweg gefahren, in demFriedel mitarbeitete. Die anschließenden Andach-ten hatte ich vorsichtshalber immer verpennt. Aberimmerhin hatte ich ihn in Erinnerung und hatte dasIngrid gegenüber dummerweise einmal erwähnt.Und nun stieg dieser Kerl aus dem Auto und ichahnte Fürchterliches.

Zuerst überlegte ich, ob ich aus dem Fenster sprin-gen und abhauen sollte. Aber dann raffte ich michinnerlich auf und dachte: Nur »cool« bleiben, denKerl empfangen, irgendwie wirst du die Sacheschon in den Griff kriegen.

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Ja, und dann begann ein seltsamer Morgen, an demmir Friedel auf den Kopf zusagte, wie kaputt meinLeben war.

Und damit traf er genau ins Schwarze, denn nichtsmacht innerlich so fertig, wie dauernde Flucht vorder Polizei und den übrigen Kriminellen, die nurdarauf warteten, einen abzuziehen. Dieses ständigeauf-der-Lauer-liegen, nach allen Seiten schielen, umals der Clevere zu überleben, kann einen total zer-mürben.

Als dann Friedel erzählte, daß Gott mein Leben ver-ändern könne, habe ich in mich hineingeschmun-zelt: Das wäre doch wohl das Letzte, jetzt auf diealten Tage noch fromm zu werden! Aber dannmachte Friedel mir ein Angebot und sagte: »Hörmal zu, wenn du wirklich willst, dann geh ich zu allden Leuten, die du betrogen hast und auch zur Poli-zei. Ich werde mich mit meinem Haus und Geld fürdich verbürgen, wenn du bereit bist, das zu tun,was ich dir empfehle. Ich habe einen Schwager, derals Polier auf dem Bau arbeitet. Bei ihm könntest duals Handlanger arbeiten, einen anderen Job kriegstdu sowieso nicht. Und dann kannst du einmalbeweisen, daß du ein Kerl bist.«

Bis heute weiß ich noch nicht, warum ich damalsauf diesen Vorschlag eingegangen bin und mich zumeinem verkorksten Leben bekannt habe.

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Als Handlanger in einem Baubetrieb anzufangen,war für mich eigentlich das Unsinnigste, das ich tunkonnte. Körperlich hatte ich bisher nie gearbeitetund wenn überhaupt, war ich in kaufmännischenBerufen tätig gewesen.

Zwei Tage später, es war ein nasser Montagmorgen,stand ich auf der Baustelle in Radevormwald, um-geben von handfesten Einschalern, Maurern undsonstigen Arbeitern. Und dann ging es auf dieserGroßbaustelle rund: Steine schleppen, Zement mi-schen, Zementsäcke herumtragen. Nach drei Stun-den hatte ich »keine Hände mehr« und der Rückenschmerzte wahnsinnig, denn seit 10 Jahren hatte ichnicht mehr richtig körperlich gearbeitet. Ich sagtemir: Du hast ja ein Rad ab, auf dieser Baustelle zumalochen!

Und obwohl ich schimpfend nach Hause kam undschwor, mich nie wieder auf der Baustelle sehen zulassen, befand ich mich doch am anderen Morgenpünktlich auf dem Bau. Inzwischen waren auchmeine hautengen Jeans geplatzt und alle gutenHemden verschlissen, so daß ich mir eine etwasausgebeulte Hose für die Arbeit angeschafft hatte.Dabei wurde mein menschlicher Stolz ganz schönin die Pfanne gehauen, denn ich hatte bisher ziem-lich modebewußt gelebt.

Und dann kam ein Wochenende, an dem in Schei-

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deweg eine Evangelisation von »Wort des Lebens«durchgeführt wurde. Friedel hatte mich schon zweiWochen lang mit Handzetteln traktiert und be-schwatzt, doch auf jeden Fall einmal vorbeizukom-men, so daß ich um des lieben Friedens willengedacht habe: Na gut, kannst ja einmal hingehen,um den Quälgeist loszuwerden.

Christ zu werden war für mich nicht aktuell, weilich das Christentum für eine Ideologie hielt. Dieeinen sind Christen, die anderen Marxisten, wassoll’s?

Ich weiß noch genau, daß Ingrid und ich an diesemAbend eigentlich nach Düsseldorf fahren wollten,um in einer Discothek zu tanzen. Doch um allemPalaver zu entgehen, beschlossen wir, der Einla-dung zur Evangelisation zu folgen und fuhren insVereinshaus.

Kurz vor Beginn der Veranstaltung stürzten wir zurTür hinein. Ich mit Lederklamotten, schulterlangemHaar und Schnauzbart, Ingrid mit viel Pep ge-schminkt. Vor uns saßen dann all die netten, from-men Leutchen, die erst erschrocken auf uns blick-ten, um dann verwirrt den Boden oder die Deckeanzustarren.

Vorsichtshalber blieben wir an der Tür stehen, umwieder schnell abhauen zu können. Mir war klar:

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Die da drinnen wollen mich bekehren, denn das istdas Ziel aller Christen. Aber genau darauf legte ichkeinen Wert. Ich wollte kein Christ werden.

Irgendwie lief die Stunde ab, ohne uns zu beein-drucken. Wie befürchtet, versuchten anschließendFriedel und der Redner uns klar zu machen, warumJesus so wichtig ist, aber da haben wir locker abge-wunken und sind nach Hause gefahren.

Am nächsten Abend, es war Sonntag, wollten wirdie Fahrt nach Düsseldorf nachholen. Da die Ver-handlung bevorstand und der Ausgang ungewißwar, wollten wir noch einmal das Leben genießen.Wir stiegen um 19 Uhr ins Auto und fuhren los.Ohne es eigentlich zu wollen, verließ ich die Straßenach Düsseldorf und bog ein zum Vereinshaus.Irgendwie schoß mir der Gedanke durch den Kopf:Fahr noch einmal dort hin! Ingrid ließ sich dazuüberreden und so standen wir wenige Minuten spä-ter wieder hinten an der Tür.

Als wir dort scheinbar gelangweilt und erwar-tungslos den Liedern und der Predigt zuhörten,spürte ich ganz deutlich, wie Gott an mein Herzappellierte: »Ich will dich retten, ich möchte, daß dumir dein Leben übergibst.« Immer wieder ging mirdieser Satz durch den Kopf.

Zuerst dachte ich: Du kriegst einen religiösen Tick.

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Die vielen Christen hier im Raum, die schlechteLuft und irgendeine psychologische Mache mani-pulieren dich. Du bist sowieso schon halb toll imKopf und jetzt kommt das noch dazu!

Doch Gottes Stimme konnte ich nicht verdrängen:»Ich will dich retten!«

Als die Stunde zu Ende war, wollte ich fluchtartigden Raum verlassen. Ich dachte: »Nichts wie raushier, das ist ja verrückt!«

Ich stieß Ingrid an und versuchte mit ihr ins Freie zukommen. Aber das war nicht so einfach, denn vieleMenschen strömten dem Ausgang zu und wirkamen nicht dazwischen. Nun hatte ich auch keineLust, mich durchzuboxen und beschloß zu warten,bis der Besucherstrom nachlassen würde.

Während ich da etwas unmutig stand, tippte mirjemand von hinten auf die Schulter. Als ich micherstaunt umdrehte, sah ich in das Gesicht des Predi-gers, der mir freundlich zulächelte und sagte: »Jesushat mir klargemacht, daß du dich heute bekehrensollst!«

Ich bildete mir ein, diesen aufdringlichen Kerl miteinigen Sätzen aus dem Anzug zu heben. Um Argu-mente gegen das Christentum war ich nicht verle-gen und so versuchte ich, mit einem Redeschwall

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die ganze Sache madig zu machen. Aber währendich erhaben argumentierte und mich in eine Diskus-sion verwickelte, ahnte Bob, mein Gesprächspart-ner nicht, daß mir dieser Satz »Ich will dich heuteretten« nach wie vor durch den Kopf ging und nichtzu übertönen war.

Nach einigem Hin und Her schlug Bob vor: »Laßtuns doch zusammen beten. Du wirst erleben, wenndu Jesus Christus in dein Leben aufnimmst, wirdalles verändert.«

Nein, dachte ich, jetzt wo ich ein total kaputterHund bin und alle Menschen abgezogen habe, jetztsoll ich mich hinknien und Christ werden? Niemals!

Um diesen Quälgeist endgültig loszuwerden, wand-te ich mich an meine Freundin: »Weißt du was,Ingrid, hör mal zu! Der will, daß wir beten gehen.Hättest du Interesse zu beten?«

Ingrid war ja noch »knackungläubiger« als ich. Siehatte nun wirklich gar keine Ahnung, während ichdoch wenigstens vor Jahren mal nach dem Fußball-spiel eine Andacht gehört hatte. Deshalb hatte ichfest damit gerechnet, daß sie »Nein« sagen würde.Und dann wollte ich zu Bob sagen: Feierabend,Pech gehabt, wir hauen ab!

Aber zu meiner großen Verwirrung antwortete In-

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grid: »Ja.« Das versetzte mir einen derartigen Tief-schlag, daß mir die Luft ausging. Bisher waren mirimmer genügend Sprüche eingefallen, aber jetztwußte ich nichts besseres zu antworten als: »Na ja,wenn du meinst, dann laß uns mal beten gehen.«

Und dann sind wir in ein gut christliches Hinter-zimmer gepilgert, weiß gestrichen, kahl, unfreund-lich und ungemütlich, wie so Vereinszimmer nunmal sind. Irgendwo saß einer und zählte die Kollek-te. Bob begann Bibelstellen vorzulegen und Fragenzu stellen. Aber das bekam ich nur nebenbei mit,denn ich spürte deutlich, daß Gott weiter zu mirsprach. Schließlich sagte Bob: »Laßt uns auf dieKnie gehen.«

Doch das ging nicht, dazu war ich zu stolz undselbst dann, als ich wollte, war mir, als hätte ich einpaar Kanthölzer im Rücken. Auch in mir wurdealles hart und verschlossen, bis ich einen sanftenDruck auf meinen Schultern fühlte und ich langsamund sachte auf die Knie ging und plötzlich los-heulte. Ich konnte nicht viel beten, ich weinte undmit diesen Tränen schwamm das ganze Elend, derganze Wahnsinn meines kaputten Lebens, meinEntsetzen über meine Gottlosigkeit und Sündhaf-tigkeit heraus.

Gott hielt Sein Versprechen: »Wer zu mir kommt, denwerde ich nicht hinausstoßen« (Joh. 6,37).

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Hans Eichbladt

Als die Tränen aufhörten, war etwas Neues inmeinem Herzen, etwas, das ich vorher nie gekannthatte. Ich hatte Ruhe, Frieden. Die ganze Angst,die Unruhe, das Kriminelle, alles Kaputte warnicht mehr da und als ich von den Knien auf-stand wußte ich: Jetzt bin ich ein Kind Gottes. Dashatte mir keiner eingeredet, ich hatte einfach diefelsenfeste Gewißheit: Mir sind die Sünden ver-geben.

Als ich mich nach Ingrid umschaute, sah ich, daß siedie gleiche Erfahrung wie ich gemacht hatte.

Zuhause angekommen, haben wir die Konfirma-tionsbibel von Ingrid hervorgekramt und dann miteiner unglaublichen Freude darin gelesen.

Ich weiß nicht, ob sich jemand vorstellen kann, wiedas war. Es gab in meinem Leben Zeiten, in denenich kein Geld für eine Tasse Kaffee, für Brot, Wurstund Käse hatte. Und wenn ich dann irgendwoherein paar Mark bekam und in die Bistro gehen konn-te, um mir eine Tasse Kaffee und ein Butterhörn-chen zu bestellen, dann war das, als ginge die Sonneauf. Das war total schön.

Genauso war es, als ich jetzt begann, in der Bibel zulesen. Gott wohnte in meinem Herzen, und Er rede-te zu mir. Christus, der vor fast 2000 Jahren amKreuz für meine Sünden starb, war nun mein Herr

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und Heiland. Seit dieser Zeit lebe ich mit demHerrn Jesus.

Als nächstes wurde mir klar, daß ich zur Kripogehen mußte, um mich zu stellen. Die Angst vor derPolizei war verflogen, weil ich durch Jesus ChristusFrieden hatte. So ging ich zwei Tage später zurKripo nach Wermelskirchen, um auszupacken. Dortmachte man große Augen und war so erstaunt,auch darüber, daß ich Arbeit und Wohnung hatte,daß man mich bis zur Gerichtsverhandlung auffreiem Fuß ließ.

Anschließend bin ich dann zu Friedel gefahren undhabe ihm alles erzählt, was mit mir geschehen warund von all den Personen, Banken und Instituten,die ich betrogen hatte. Mir war ganz klar, daß ichzu diesen Menschen hingehen mußte, um ihnenmeine Schuld zu bekennen und ihnen zu sagen, daßich versuchen wollte, den Schaden wiedergutzu-machen.

Friedel zog dann mit mir los. Wir haben erst maldie Banken in unserer Umgebung abgeklappert.Danach kamen die Autohändler dran. In denersten Tagen machten wir oft jeden Abend zweiBesuche und manchmal war es so, daß die Leutezuerst triumphierten, als sie endlich den Dieb vorAugen hatten, sich dann aber an den Kopf pack-ten, als ich ihnen meine Bekehrung erzählte und

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Hans Eichbladt

dachten: Jetzt ist dieser Lump auch noch Christgeworden!

Dann ging es los: »Anzeige, Polizei.« Und dannkam Friedel und sagte: »Aber hören Sie mal zu. Derhier hat sich freiwillig gestellt, können wir das nichtvernünftig regeln?«

Was konnte ich schon vernünftig regeln! Ich weißnoch, daß wir in Wipperfürth einen Autohändler auf-suchten, dem ich einen Mercedes gestohlen hatte. Erfragte nach dem Vorschlag von Friedel: »Was könnenSie denn zurückzahlen?« »10 DM pro Monat«, ant-wortete ich. Damals verdiente ich 7,50 DM pro Stun-de als Handlanger und es blieb mir nichts anderesübrig, als einer langen Liste von Leuten 5 DM, 10 DModer 20 DM monatlich zu zahlen, damit überhauptetwas ins Rollen kam. Für mich war es jedes Mal einWunder, wenn diese betrogenen Leute dann ein paar-mal schluckten und schließlich sagten: »Okay, versu-chen wir es einmal. Mal sehen was daraus wird.«

Wenige Wochen später war meine zweite Gerichts-verhandlung, auf welcher alle Delikte auf einmalbehandelt werden sollten. Ich fuhr zur Verhandlungmit der Bereitschaft, anschließend eingelocht zuwerden. Doch die Angst vor dem Knast war ver-schwunden, weil ich wußte, daß eine Gefängnis-strafe einfach gerecht war und ich sie mit GottesHilfe absitzen wollte.

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Ingrid fuhr mit und wartete betend vor dem Ge-richtssaal. Als dann der Staatsanwalt mit fürch-terlich drohendem Gesicht die ganze Litanei meinerDelikte vorlas, ahnte ich, daß ich keine Chance hatte.

Dann habe ich dem Richter und dem Staatsanwalterzählt, daß ich Christ geworden sei, worauf sie nurihre Gesichter verzogen. Ich habe aber einige Tatenberichtet, die sie nicht kannten und so das Bild mei-ner Kriminalität vervollständigt und habe ihnengesagt, wenn sie wollten, dann könnten sie mir eineChance geben, aber das müßten sie entscheiden.

Das Gericht zog sich darauf zur Beratung zurück,und ich sah die Polizisten neben mir und dachte:Die werden dich gleich ins Gefängnis abführen.

Plötzlich kam der Richter aus der Beratung gestürztund fragte mich, ob ich das auch wirklich ernstgemeint hätte. Nach 20 Minuten kamen die Herrenzurück und der Richter verkündigte, daß ich 1 1/2Jahre auf 3 Jahre Bewährung bekäme. Er hat mirdann noch 100 Auflagen gegeben, gegen die ich aufkeinen Fall verstoßen dürfte, und dann konnte ichgehen. Wie ein Träumender verließ ich den Ge-richtssaal.

Nun wurde auch meine Beziehung zur Arbeit ver-ändert. Die Knochenarbeit auf dem Bau machte mirauf einmal Spaß. Ich habe mich dann unheimlich

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ins Zeug geschmissen und versucht, aus diesemHandlangertum etwas zu machen.

Man kann auf einer Großbaustelle als Handlangereine ziemlich wichtige Persönlichkeit werden. Sohabe ich mir Mühe gegeben und nach einiger Zeitden Bauführer gefragt, ob er mich nicht als Maureranlernen wolle. Ich hatte gar kein Interesse mehr, inmeinen alten kaufmännischen Beruf zurückzu-kehren. Ich merkte, was für eine tolle Sache das ist,eine Wand hochzuziehen, ein Haus zu bauen, krea-tiv zu arbeiten und nicht am Schreibtisch zu sitzenund Zahlen zu pinnen. Man war draußen an derfrischen Luft und auch der Körper wurde wiederfit. Bald durfte ich dann den ersten Stein auf Speissetzen und wurde als Maurer angestellt.

In dieser Zeit wurde mir auch klar, daß diese Kerleauf dem Bau mit ihren Bierflaschen, ihrem Klaren,mit dem Skat-Spiel und den Montagsmorgen-Ge-schichten Jesus Christus brauchten.

Damals, ich war gerade 2-3 Tage bekehrt, begannich zu Hause mit Ingrid vor dem Essen zu beten. Ichhatte das bei Friedel gesehen und dachte: Dasmachst du auch. Das war eine total feierliche Sache,als ich das erste Mal zu Ingrid sagte: »Jetzt wollenwir beten.«

Als ich wenige Tage später in der Baubude saß und

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mir mein Butterbrot reinschob, während die Kolle-gen Skat droschen oder Bildzeitung lasen, dachteich: Eigentlich müßtest du hier beten. Sofort hingmir der Magen auf den Schuhsohlen, aber immer-hin schob ich unauffällig die Hände unter denTisch. Doch mir war klar: Das ist absolut Feigheit.Egal was kommt, Hände auf den Tisch, Augen zuund richtig beten! Mein Herz klopfte wild vor Auf-regung und gerade, als ich zu beten begann, stießmir der Nebenmann in die Rippen und sagte: »He,pennst du?« »Nein, ich bete!«

»Du betest, was ist denn mit dir los?«

Zum ersten Mal legte ich nun Zeugnis ab, weil ermich aus meinem begonnenen Gebet heraus-geschleudert hatte und ich vor lauter Schreckbekannte, daß Jesus Christus in mein Herz gekom-men war.

An diesem Mittag war ich der glücklichste Menschauf der Baustelle. Als ich die Bude verließ, wußteich, daß genau das meine Lebensaufgabe war: Mitden Menschen über den Herrn Jesus zu reden, wieEr mich befreit und mein Leben verändert hatte.

Da war zum Beispiel in unserem Bautrupp ein Ein-schaler, der fast so breit wie hoch war und den wirdeswegen »Meterriß« nannten. Mit ihm sprach ichauch über den Glauben und fragte ihn etwas her-

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ausfordernd: »Was hältst du von Jesus?« Er wurdeziemlich ärgerlich und als er mir das nächste Malbegegnete, war ich am Verfugen und er stand miteinem Kantholz auf dem Rücken in der Tür undsagte: »Junge, wenn du nicht mit deinem Jesus auf-hörst, dann haue ich dir eine runter.«

Weil das ziemlich echt klang, stand ich da unddachte: Das wird böse ausgehen, aber besser platt-gehauen werden, als meinen Herrn verleugnen. Ichbegann ein Gespräch mit ihm und der Herr war sognädig, daß mir die Kantholzkur erspart blieb.

So hatte ich eine Menge wunderbarer Erlebnisse aufdem Bau.

Auch außerhalb der Arbeitszeit war es für Ingridund mich – wir hatten inzwischen geheiratet –selbstverständlich, unsere Mitmenschen auf JesusChristus aufmerksam zu machen. Wir konnten garnicht anders, denn die Freude an unserem Herrnmachte es uns unmöglich, davon zu schweigen. Soschleppten wir unsere Freunde, unsere Bekanntenund Nachbarn mit ins Vereinshaus oder wo sonstdie Möglichkeit war, zu Christen und damit zuChristus Kontakt zu bekommen.

Selbstverständlich war für uns auch, daß wir unserschönes Haus und unser Leben mit solchen teilten,die eine ähnliche Vergangenheit wie wir hatten.

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Gott hat uns sehr verändert. ER machte unsere Her-zen barmherzig und gab uns Kraft, Menschen zuertragen, die von der Sünde gezeichnet und vomTeufel betrogen waren. Wir versuchten, ihnen daseine Lebensziel vor Augen zu stellen: Jesus Christus.Diese Arbeit hat uns sehr froh gemacht und dahingeführt, daß wir unser Leben mehr und mehr Gottauslieferten. Als wir andere Menschen zu unseremHerrn Jesus führen wollten, erkannten wir, wie vieleFehler wir selbst noch hatten und beteten darum,daß Gott uns Ihm ähnlicher machen möchte, und ERhat das Wunder getan. Er hat alles Zerbrochene ausunseren Herzen herausgenommen und uns Kraftgegeben, unsere eigenen Probleme zu vergessenund die Probleme anderer Menschen aufzunehmen.

So verkauften wir eines Tages unser Haus, um ineine Wohnung zu ziehen, die von der Gefähr-deten-Hilfe gemietet wurde. Hier leben wir miteiner Gruppe junger Menschen zusammen, die imGefängnis waren oder andere Probleme haben. Gotthat uns immer mehr befreit, auch davon, finanzielletwas besitzen zu wollen, und hat uns auch in die-sem Bereich von Ihm abhängig gemacht.

Wir wären als gescheiterte Menschen im Irrenhausoder im Gefängnis gelandet, wenn Gott sich nichtüber uns erbarmt hätte. Deshalb ist es uns eineFreude, alles, was Gott uns anvertraut hat an Kraft,Zeit und Geld in Seinen Dienst zu stellen.

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Hans Eichbladt

SUSANNE KAUTZ

Selbsterfahrung – Erfahrung

einer Sackgasse

Mit großem Eifer übe ich gerade am Klavier diesezwei schwierigen Takte aus einem Stück von J. S.Bach. Immer und immer wieder, ganz langsam.Dann wird das Metronom eine kleine Stufe schnellergestellt und wieder dasselbe, solange bis ich es ein-wandfrei kann. Dann wieder ein wenig schneller.

Aus dem Zimmer unter mir höre ich, wie sich meinebeiden älteren Brüder ärgern: »Warum immer nurwir? Die Susanne kann doch auch mal was tun!«

»Susanne übt gerade Klavier«, höre ich leise die ver-ständnisvolle Stimme meiner Mutter.

An solche Situationen aus meiner Kindheit kann ichmich noch recht gut erinnern.

Mein ältester Bruder Elmar zeigte schon sehr frühInteresse und besondere Begabung auf dem Gebietder Mathematik. Solange Elmar mit einem mathe-matischen Problem beschäftigt war oder ich amKlavier saß, waren wir sicher vor jeder Mithilfe im

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SehnsuchtderBetrogenen

Haushalt. Wir waren ja schließlich mit sinnvollenund äußerst wichtigen Dingen beschäftigt. Mei-stens hatte ich große Freude daran, stundenlangam Klavier zu sitzen, um zu üben. Ich gab mirgroße Mühe, alles gewissenhaft und genau zu erar-beiten und muß zugeben, daß es für mich eineGenugtuung war, entsprechende Anerkennung zuernten.

Noch gut habe ich die Worte meines Vaters in Erin-nerung: »Siehst du, Susanne, wie wichtig es ist, daßman wenigstens auf einem Gebiet etwas Hervorra-gendes leistet.« Diese Bemerkung meines Vaterswar durchaus nicht unbegründet.

Elmar war nämlich wegen seiner außergewöhnli-chen mathematischen Begabung wieder einmalinterviewt worden. In den nächsten Tagen sollte einArtikel über das Wunderkind erscheinen.

Wie lange wird es dauern, dachte ich, bis auch ich inder Zeitung stehen werde?

Meine Eltern bemühten sich darum, uns möglichstvielseitig zu fördern. So durfte ich schon früh zumBallett gehen, später lernte ich auch Reiten, Judound Karate. Für mich waren allerdings die musika-lischen Fächer von Bedeutung. So kann ich michnoch gut erinnern, wie ich im Alter von vielleicht 11oder 12 Jahren meine ersten Flötengruppen leiten

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durfte. Diese Leistungen wurden immer mit gebüh-render Anerkennung belohnt. So war ich immersehr beschäftigt. Ein Gefühl der Langeweile kannteich so gut wie gar nicht.

Ich entsinne mich, daß ich sogar als Kind schon ein-mal den Gedanken hatte, daß mein Leben nuneigentlich schon gemacht sei. Ich hatte ein klaresZiel vor Augen, dem ich mit allem Eifer nachjagenwollte. Was konnte mich noch davon abhalten? Einwenig herablassend schaute ich auf meine Mit-schüler, die mit sich selber unzufrieden waren. Undda gab es sogar Leute, die sich fragten, ob das Lebenüberhaupt einen Sinn hat. So etwas konnte ich abso-lut nicht verstehen.

Nach einem Sonntagsausflug war meist mein ersterWeg zum Klavier, um nicht etwa einen ganzen Tagohne Übung verstreichen zu lassen. Durch dieseFamilienausflüge weckten meine Eltern in unseinen gewissen Sinn für die Schönheit der Natur.Darüber hinaus boten sie uns aber auch eine gün-stige Möglichkeit zur Schulung unseres kritischenDenkvermögens.

»Schaut einmal her, Kinder. Nehmen wir einmal anhier die X- und da die Y-Achse und hier die beidenVektoren ...« Mit einem Stock in der Hand zeichnetemein Vater zur Veranschaulichung etwas auf denBoden und versuchte uns den Unterschied zwi-

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schen dem skalaren und vektoriellen Produkt zwei-er Vektoren zu erklären.

Gewöhnlich hielt ich mich mehr zu meiner Mutter,um nicht ein Opfer der mathematischen Belehrun-gen meines Vaters zu werden.

Die Zeit der Autofahrt wurde durch gemeinsamesLesen von englischen oder französischen Bücherngut genutzt. Eine Zeitlang verstand ich es ganz gut,Desinteresse zu verbergen. Auf derart simple Fra-gen über den Inhalt des Gelesenen hatte ich es dochwahrlich nicht nötig, eine Antwort zu geben. Docheines Tages wurde es zu offensichtlich, daß ich vondem Inhalt der soeben beendeten Familienlektüreüber Ilias und Odyssee nicht die geringste Ahnunghatte. Meine Maske war mit Gewalt vom Gesichtgerissen worden. Das war peinlich. Manchmal hätteich vielleicht Interesse gehabt, doch ich hatte denAnschluß verpaßt und wollte mein Gesicht wahren.Durch Fragen hätte ich wahrscheinlich meine Un-wissenheit enthüllt. So habe ich bis heute denUnterschied zwischen dem skalaren und vektoriel-len Produkt zweier Vektoren nicht verstanden.

Inzwischen war es für mich schon zu einer Ge-wohnheit geworden, eine Show abzuziehen. Ichhätte um keinen Preis zugegeben, was ich allesnicht wußte. Aber auch in anderer Hinsicht zeigteich nicht mein wahres Gesicht: Süßigkeiten gab es

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bei uns nur ganz selten, weil Zucker schlecht für dieZähne ist. Als vernünftige Kinder hatten wir folg-lich auch gar kein Verlangen danach, zumindestnicht voreinander oder in Gegenwart meiner Eltern.Doch in meinem Innern sah es manchmal ganzanders aus.

Eines Tages sagte mein Bruder zu mir: »Susanne,weißt du was, kommst du auch mit zum Tengel-mann? Da können wir uns etwas Gutes kaufen.«Einige Minuten später waren wir schon in dem klei-nen Versteck hinter dem Kaufhausgebäude undverzehrten in aller Eile heimlich dieses ungesundeZuckerzeug – mit großem Genuß. Seitdem kaufteich mir auch manchmal heimlich alleine etwas.Wenn mir allerdings Süßigkeiten angeboten wur-den, lehnte ich entschieden ab, zumindest bei Be-kannten oder in Anwesenheit meiner Eltern.

Auch hatte ich es mir zur Gewohnheit gemacht, kei-nen Rückzieher mehr zu machen, wenn ich einmalgelogen hatte. Selbst wenn mich meine Eltern schonlängst durchschauten, beharrte ich auf meiner ein-mal gemachten Aussage. Es hätte zuviel gekostet,mir vor meinen Eltern oder gar vor meinen Brüderneine solche Blöße zu geben.

Einmal nahm ich mir ganz fest vor, das Lügen ein-zustellen. Aber ich schaffte es einfach nicht. Baldbefand ich mich wieder in dem alten Trott. Mich für

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etwas zu entschuldigen, daß hätte ich nie fertig-gebracht. Es gab für mich kein Zurück mehr, dennwenn ich auch nur einmal etwas zugegeben hätte,was hätte ich erwidern können, wenn es hieß: »Wereinmal lügt, dem glaubt man nicht.«

Ich weiß noch genau, wie ich mich mehr und mehrverhärtete und schrittweise mein Gewissen zumSchweigen brachte.

Mehr als 5 Jahre meiner Schulzeit verbrachte ich aufder Rudolf-Steiner-Schule in München. Die Art undWeise des Unterrichts förderte mein Interesse undermutigte mich sehr zur Mitarbeit auf verschieden-sten Gebieten.

Doch bald machte ich die Erfahrung, daß es keiner-lei Folgen haben würde, wenn ich nur in denFächern etwas tat, die mich gerade interessierten.Durchfallen konnte man in dieser Schule nicht undNoten gab es offiziell auch keine. Ich dachte, ich seibegabt genug, um jede Lücke wieder aufzufüllen.Und so gab es Zeiten, wo ich weder Aufgabenmachte noch in der Schule aufpaßte. In Mathematikerwirkte mir mein Vater sogar eine Zeitlang dieMöglichkeit, mich während der Unterrichtsstundemit sinnvolleren, von ihm selber gestellten mathe-matischen Aufgaben zu befassen und nicht die Zeitmit derart simplen Dingen des durchgenommenenLehrstoffes zu vergeuden. Wenn ich dann auch

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noch hier und da einen Fehler entdeckte, den derLehrer machte, stieg beständig meine Selbstsicher-heit, nicht zuletzt auch durch die Anerkennung, dieich daraufhin auch von meinen Eltern bekam. Ganzstolz und ein wenig herablassend berichtete ichdann daheim, welchen Blödsinn Herr X heute wie-der verzapft hatte. Es bereitete uns immer Freude,wenn einer von uns Geschwistern mit einer »Beute«nach Hause kam und diese gewissermaßen gemein-sam »verzehrt« wurde. Wir waren doch etwas Ge-hobeneres und jedenfalls viel intelligenter als dieanderen.

Übrigens war es auf dieser Schule üblich, daß jederSchüler am Ende des Schuljahres einen sogenann-ten Zeugnisspruch bekam. Jeweils in dem darauf-folgenden Jahr mußten immer einige Schüler amAnfang des Unterrichts ihren Zeugnisspruch vorder Klasse aufsagen.

So saßen wir gerade in der Klasse und warteten aufdie Verteilung der Zeugnisse, welche nicht aus No-ten, sondern aus in Worte gefaßten Beurteilungenbestanden. Was wird wohl alles darinnen stehen?Sicher wird doch vieles ein wenig milder ausge-drückt, als es in Wirklichkeit war. Dann bekamenwir endlich die Zeugnisse in verschlossenen Ku-verts. Sie waren in erster Linie für die Elternbestimmt. Mit dem Öffnen mußten wir also warten,zumindest bis wir außerhalb des Schulgebäudes

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waren. Ich begann zu lesen: »Susannes Mitarbeit inder Schule ließ in diesem Jahr sehr zu wünschenübrig. Auf keinem einzigen Gebiet des Hauptunter-richts erreichte sie eine Leistung, die ihren Fähigkei-ten entspricht ...«

Und so ging es dahin – eine ganze große Seite lang.

Recht wohl war mir dabei nicht. Ich las weiter, da,der Zeugnisspruch. Da ging es mir wie ein Stichdurchs Herz:

»Wie klarer, tiefer Alpensee,hell durchsichtig im Lichte liegt,wird durch der Wahrheit lauteres Wortdes Menschen Wesen heil und klar.«

Ich war durchschaut. Hatte meine Lehrerin ge-merkt, daß ich so oft nicht die Wahrheit sagte? Unddiesen Spruch sollte ich vor der ganzen Klasseaufsagen. Mein Gewissen meldete sich. Doch nurnichts anmerken lassen!

Die zunehmende Geltung, die ich mir durch daskritische Folgen des Unterrichts und durch Korri-gieren der Lehrer bei einzelnen Mitschülern ver-schaffte, erlangte ich um einen Preis, der mir sehr zuschaffen machte. Ich geriet zusehends in Distanz zumeinen Schulkollegen und wurde mehr und mehrzur Außenseiterin.

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Obwohl z.B. Turnen eines meiner liebsten Fächerwar, mußte ich doch jedes Mal befürchten, daß wirwieder irgendwelche Übungen zu zweit machenwürden, bei denen ich nur schwer einen Partner fin-den könnte und oft alleine übrig blieb.

Ständig diese Ablehnung zu spüren, machte mirsehr zu schaffen, auch wenn ich das niemals zuge-geben hätte. Wie erleichtert war ich da, als wir eineneue Mitschülerin bekamen, die sehr bald meinenPlatz einnehmen mußte. Auch als es mir gelang,mich mit einer Klassenkameradin anzufreunden,lebte ich ständig in der Angst, diese Freundin baldwieder zu verlieren.

Es war eine sehr schlimme Zeit für mich. Ich faßtedie besten Pläne und Vorsätze, mein Verhalten zuändern, aber immer wieder scheiterte ich. Ich wußteja auch nicht genau, woran das alles lag. Außerdemwurde ich einfach nicht damit fertig, daß ich zu dickwar. Ich hatte Hemmungen mich frei zu bewegenund stellte mich immer so, daß mich niemandgenau anschauen konnte. Wenn mich meine Mutterdazu anhielt, weniger zu essen, mußte ich meineVerletztheit überspielen. Ich wagte es nicht, ernst-hafte Selbstmordpläne zu machen, denn wenn ichdann doch überleben würde, wäre alles noch vielschlimmer. Meine einzige Möglichkeit war, dieseSchwierigkeiten zu überspielen. Ich hatte ja auch

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etwas, woran ich mich festhalten konnte, eine Auf-gabe, ein Ziel, das mir irgendwie auch einen Wertgab – meine Leistungen am Klavier.

Das Verhältnis zu meinem Vater hatte sich zuse-hends verschlechtert. Von ihm wollte ich mir niegerne etwas sagen lassen. So ignorierte ich oft seineWorte und ließ ihn einfach links liegen. Ich merktewohl, daß ich ihn damit sehr verletzte. Doch dasänderte nichts an meinem Verhalten zu ihm.

Und dann war da auch noch die Sache mit den Zäh-nen, die ich mir auf unserer Marmortreppe ausge-hauen hatte und die erst gerichtet werden sollten»wenn ich einmal ins heiratsfähige Alter kommenwürde«, worüber ich innerlich empört war. Anlaßgenug, um die innere Ablehnung gegen meinenVater zu pflegen. So war damals und auch noch vielspäter meine Einstellung.

Die Darstellung meiner Kindheit aus eigener Erfah-rung mag vielleicht sehr subjektiv und einseitigsein, daher möchte ich an dieser Stelle nur noch ein-fügen, daß meine Eltern uns Kindern wirklich vielLiebe entgegen brachten und auch bereit waren,unsertwegen Opfer auf sich zu nehmen. Das warfür mich damals eigentlich alles selbstverständlich.Heute bin ich ihnen sehr dankbar dafür.

Eine zeitliche Einordnung meiner Kindheitserinne-

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rungen ist mir kaum möglich. Doch eines weiß ichnoch genau. Am 20. 9. 1972 war dann das großeEreignis, das ich bis heute gut in Erinnerung habe:Aufnahmeprüfung am Konservatorium der StadtMünchen mit 13 Jahren, altersmäßig nur 1 Jahr spä-ter als mein ältester Bruder, der sein Universitäts-studium in Mathematik begonnen hatte.

Durch gut bescheidenes äußeres Auftreten fand ichals »Klassenbaby« den besten Nährboden für mei-nen inneren Stolz. Einige Jahre später eröffnete sichfür mich die Möglichkeit nach Wien in die »Musik-Stadt« zu gehen. Dies sah ich aus verschiedenenGründen als meine ganz große Chance an. Dadurchkonnte ich ein Jahr früher die Matura machen unddas nach 5 Jahren Steiner-Schule, wo ein Großteilder Schüler damit rechnen mußte, ein zusätzlichesJahr anhängen zu müssen. Außerdem würde ich,wie eine Reihe meiner Schulkollegen, nicht mehr zuHause bei den »Alten« wohnen müssen. Ich warstolz darauf, meinen Alterskollegen weit voraus zusein und bereits genaue Berufspläne zu haben, dieich zielstrebig verwirklichen würde. Ich träumte oftdavon, wie es wohl sein würde, wenn ich meineMatura in der Tasche hätte, während die anderennoch auf der Schulbank sitzen müßten. Außerdemhoffte ich im Geheimen darauf, vielleicht docheinen Freund zu finden. Auch wenn ich mich oftüber die Flirterei meiner Mitschüler lustig machteund ihre Umgangsweise miteinander verachtete,

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litt ich doch darunter, keine rechte Beziehung zuMädchen, geschweige denn zu Jungen, herstellenzu können.

Auch meine Eltern, besonders mein Vater, warensehr an meinem beruflichen Fortkommen interes-siert. Ohne natürlich meine wahren Motive zu ken-nen, ermöglichten es mir meine Eltern, mit 16 Jah-ren nach Wien zu gehen, um dort neben Schule undKlavierpädagogischer Ausbildung eine solistischeLaufbahn zu beginnen.

Ich klopfte an die Tür des Unterrichtszimmers mitder angegebenen Nummer und trat vorsichtig ein.Ein etwas älterer graumelierter Herr mit blauge-streiftem Anzug war intensiv mit einer Japanerin,offenbar einer Schülerin, beschäftigt und nahm kei-nerlei Notiz von mir. Erst nach einiger Zeit streckteer mir seine Hand zur Begrüßung entgegen unddeutete, daß ich mich setzen könne. Meine Befürch-tung, daß er mein neuer Lehrer sei, bestätigte sichbald durch zwei Zeitungsartikel, die er mir inzwi-schen zum Lesen in die Hand gedrückt hatte undaus welchen unter anderem hervorging, daß er derLeiter der Meisterklasse für Klavier sei. Nachdem erdie Japanerin hinausgeschickt hatte, erklärte er mir,daß er mich zu seiner Schülerin auserwählt habe.

Selbstverständlich bemühte ich mich in den nun fol-genden Jahren, meiner »Auserwählung« entspre-

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chende Leistungen zu bringen.Einige Jahre später konnte man nach einem Konzertin der Zeitung lesen:

»... eine Ausnahme von dieser Regel (daß man diekünstlerische Reife im jugendlichen Alter einfachnoch nicht haben kann) scheint die 20jährige Susan-ne Eder zu sein, die ihren Bach (die selten zu hören-de 6. Partita, Bachwerkverzeichnis 830) sehr ge-scheit und durchdacht anging. Wunderbar klar imformalen Aufbau und präzise in der Ausführung,aber dennoch mit intensiv beseeltem Ausdruck.Eine wahrlich reife Leistung, die sich hören lassenkann. Susanne Eder hatte verdientermaßen nocheinen zweiten ›Auftritt‹ konzertiert erhalten, beidem sie beweisen konnte, daß sie auch im 20. Jahr-hundert daheim ist. Ihre Interpretation von Stra-winskis Sonate zeigte neben technischer Bravoureine überzeugende Ausgewogenheit in der richti-gen Verteilung der Gewichte und Akzente. Gleich-falls absolute Konzertreife ...«

In einer anderen Zeitung war die Rede von einemvielversprechenden Talent für die Zukunft desKonzertlebens in Wien oder so ähnlich. Welch einErfolg! Unzählige Stunden der Vorbereitung aufdiesen einen Abend. Dann das langsame – in denletzten Tagen viel zu schnelle – Heranrücken dieserStunden und schließlich das bange Warten unmit-telbar vor dem Auftritt. Die Hände kalt und den-

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noch feucht, Hals und Brust wie zugeschnürt. Jetztmußt du dein Bestes geben! Die Tasten, die immerrutschiger werden, und dann ist es geschafft. DasZiel erreicht – ein erhebendes Gefühl – und miteinem Mal ist alles vorbei.

Doch irgendwie kam dann ein Gefühl der Leere.Und jetzt ...? Wie von jemandem gehetzt einem Zielnachjagen: Wenn ich will, dann schaffe ich alles.Doch dem war nicht so.

Durch meine Studien der Musiktherapie war meinZielsicherheit eigentlich schon untergraben wor-den, wie ein Haus, das noch einige Zeit steht, wenndas Holz schon morsch geworden ist. Hier lerntenwir nämlich »an uns selber zu arbeiten«. Wir muß-ten Einblick in unser eigene Gefühlswelt nehmenund, soweit bereits möglich, durch AssoziationenZusammenhänge mit unserer Vergangenheit, mitBeziehungen durch nahestehende Personen odermit Ereignissen erkennen. Daß der Mensch durchfrühere Erfahrungen geprägt sei, schien mir ein-leuchtend. Wenn es also doch (was ich nur ungernzugeben wollte) irgendwelche persönlichen Proble-me in meinem Leben gab, dann war die Ursachedavon hier zu suchen.

In der musikalischen Improvisation, einem Medi-um der Kommunikation, werden echte Verhaltens-weisen im Spiel sichtbar. Dazu ein Beispiel: Eine

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meiner Mitstudentinnen und ich saßen am Klavierund machten ein musikalisches Partnerspiel, eineImprovisation. Anschließend wurden wir aufgefor-dert, dazu Stellung zu nehmen und zu beschreiben,was sich zwischen uns abgespielt hatte. Auch dieanderen Studenten äußerten sich dazu, wie sie dasSpiel empfunden hatten und welche Gefühle vonuns beiden jeweils zum Ausdruck gebracht wur-den. Wir stellten fest, daß ich gegenüber meinerPartnerin dominierend, ja sogar aggressiv gespielthatte und entdeckten Parallelen zu unserem Leben.Meine Partnerin ließ sich oft von anderen, wie auchschon früher von ihrer Mutter, beherrschen, wäh-rend ich auch sonst oft viel zu wenig auf andere ein-ging. Auf dieser spielerischen Ebene bietet sichleicht die Möglichkeit der Verhaltensänderung.

Wir machten ein weiteres Partnerspiel mit dem The-ma: Führen, Folgen in umgekehrter Rollenvertei-lung. Vor allem lernten wir aber auch, die eigenenVerhaltensweisen und Gefühle nicht zu leugnenoder zu verdrängen, sondern so, wie sie sind, wert-frei anzunehmen.

Anfangs waren diese Dinge sehr fremd für michund auch unangenehm, nicht zuletzt deshalb, weilich dadurch in vielen Punkten meine Fassade auf-geben mußte, denn wer konnte wissen, was in mei-nem Inneren schon alles vorgegangen war. Natür-lich ist es vollkommen nutzlos, wenn man zwar

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gelernt hat, sich im Spiel auszudrücken und positi-ve wie negative Gefühle, ja sich selbst »anzuneh-men«, wenn man aber nicht gleichzeitig auch ge-lernt hat, diese Dinge in die Wirklichkeit, in daspraktische Leben umzusetzen. Genau das versuchteich nun in meiner musiktherapeutischen Studienab-schlußarbeit über »Familientherapie« zu erreichen.

Die eigentliche Patientin war die an psychosomati-schem Asthma leidende Tochter, deren Krankheitganz offensichtlich mit dem Verhalten ihrer Elternim Zusammenhang stand. Bereits in der ersten The-rapiestunde wurde deutlich, daß die Eltern mitSchuldgefühlen beladen waren, welche ich ihnenallmählich zu nehmen versuchte.

Schuldgefühle – so hatte ich gelernt – können einenMenschen sehr belasten, ja ihn daran hindern, seinePersönlichkeit zu entfalten, die eigenen Bedürfnis-se wahrzunehmen und danach zu handeln. MeinZiel war es, die vorhandenen Verhaltensmustersichtbar zu machen, sowie der Tochter zu helfen,sich zunächst auf spielerischer Ebene, dann aberauch in der Realität aus dem festgefahrenen Fa-miliengefüge mit diesen starren Verhaltensmusternzu lösen. Dieses Ziel konnte in Zusammenarbeitmit anderen Therapeuten tatsächlich erreicht wer-den. Die Patientin war am Ende der Therapieanfallsfrei, allerdings mit dem Ergebnis, daß dieBeziehungen zwischen Eltern und Tochter in die

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Brüche gegangen waren. So hatte ich mit dieserArbeit mein eigenes privates Verhalten »wissen-schaftlich« untermauert.

Schon geraume Zeit verhielt ich mich meinem Vatergegenüber ausgesprochen lieblos und hart. Seitetwa einem halben Jahr war ich mit meinen Elternaus geringem Anlaß sogar zerstritten. Da meinVater seine Unterhaltszahlungen für mich plötzlichgekürzt hatte, sah ich mich vor die Entscheidunggestellt, mich aus Angst vor existentiellen Schwie-rigkeiten von meinen eigenen Eltern unter Drucksetzen zu lassen oder meine rechtlichen Ansprücheirgendwie geltend zu machen. Schließlich hatte ichin den letzten Jahren doch gelernt, nichts hinunter-zuschlucken, sondern mein Recht, meine Bedürfnis-se und Ansprüche wahrzunehmen und danach zuhandeln, nicht nur auf spielerischer Ebene, sondernauch in der Realität. Und hier war die Realität. Soll-te ich gerade jetzt meinen Grundsätzen zuwiderhandeln? Sollte ich mir etwa sagen lassen müssen,daß ich mich gegen meine Eltern nicht habe durch-setzen können? Ich sollte mich ja selbst verwirkli-chen, zu meinen Ansprüchen stehen.

Lange Zeit wurde ich hin und her gerissen. Hier er-lebte ich, welch harter Kampf es ist, alle Hemmun-gen abzulegen. Im Nachhinein sehe ich deutlich,daß es mein Gewissen war, welches ich nicht ohneMühe zum Schweigen bringen konnte. Schließlich

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entschloß ich mich, vor Gericht zu gehen.Nun kam für mich eine harte Zeit und sie sollte baldnoch härter werden. Mit viel Ehrgeiz absolvierte ichzeitgerecht sowohl meine Klavierlehrer- als auchmeine Musiktherapieabschlußprüfung im gleichenJahr, trotz Krankheit, die mich gerade in dieser Zeitoft erheblich beeinträchtigte. Wenige Tage spätermachte ich mich mit Koffer und Rucksack beladennach London zu einem Selbsterfahrungs- und Fort-bildungskurs auf, natürlich per Anhalter. Obwohlich dabei einige Male in sehr problematische Situa-tionen geriet, dachte ich immer noch, mir könne nieetwas passieren. Gesundheitlich ging es mir all-mählich schlechter. Doch auch durch wochenlangandauerndes, hohes Fieber, zeitweise über 40 Grad,ließ ich mich, getrieben vom Ehrgeiz, nicht davonabhalten, in diesem Zustand noch ein Klavierkon-zert zu geben.

Nicht nur wegen finanzieller Schwierigkeiten, son-dern auch aus Abenteuerlust schloß ich mich danneiner Gruppe von Sanyassin, sog. Bhagwans an, ummit ihnen gemeinsam Häuser zu besetzen. Das sindjunge Leute mit roter Kleidung, schwarzer Holz-perlenkette und mit eingerahmtem Bild ihres Bhag-wan aus Poona in Indien und mit selbstsicherem,ruhigem Auftreten. Ich war froh, Menschen gefun-den zu haben, mit denen ich, dazu noch kostenlos,zusammen wohnen konnte. Ihre Religiosität stelltedie Grundlage für ihre Selbsterfahrungstechniken

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dar. So lernte ich bald auch andere Praktiken wierebirthing, bioenergetic usw. näher kennen. DieseTechnik besteht im Beobachten und Erfahren deseigenen Körpers. Die hochsteigenden Gedankenund Gefühle sollen nicht weggeschoben werden,sondern frei zur Entfaltung gelangen. Der Menschmüsse lernen, das Verhalten nicht immer zu werten(was uns leider anerzogen sei), sondern frei zu wer-den: »Alles was aus deinem Inneren kommen will,mußt du einfach kommen lassen, um den ›energy-Fluß‹ im Körper möglichst wenig zu beeinträchti-gen.« Schließlich besteht ja kein Zweifel darüber,daß sich seelische Verkrampfungen auf physischerEbene im Körper niederschlagen. Durch »Stauungder Energie« könne z.B. Fieber entstehen. Negati-ven Gedanken und Gefühlen, z.B. Aggressionen,müsse eine Möglichkeit der Ableitung oder desAusdrucks gegeben werden.

Da ich damals die Auseinandersetzungen mit mei-nen Eltern noch lange nicht verdaut hatte, aber auchkeineswegs bereit war, meinen Eltern zu vergeben,geschweige denn die Unrichtigkeit meines eigenenVorgehens einzusehen, hatten sich in der Tat meineAggressionen gegen meinen Vater mehr und mehraufgestaut. So forderte mich mein Therapeut undLehrer eines Tages zu einer Übung auf, welche vonder Gestalttherapie her allgemein bekannt ist. Erbrachte ein großes Kissen, legte es vor mich hin undermutigte mich, mir vorzustellen, daß dies mein

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Vater sei, mit dem ich jetzt sprechen könne, ohnemeine Gefühle zu verdrängen. Auch körperlichkönne ich meinen Gefühlen in der Weise Ausdruckverleihen, in welcher ich gerade ein Bedürfnis ver-spüren würde, sei es, das Kissen anzupacken, esirgendwohin zu schleudern, daran zu reißen oderauch darauf einzuschlagen.

Als ich diese Übung ablehnte, meinte mein Lehrer,daß sie vielleicht doch noch zu schwer für mich seiund er mich in keiner Weise dazu drängen möchte.Mit der Zeit würde ich zunehmend lernen, mei-ne Hemmungen abzulegen und meinen GefühlenAusdruck zu verleihen. Aber es brauche viel Zeitbis ich lernen würde, mein Inneres, meinen Kern,frei zur Entfaltung zu bringen. Dabei müsse ichauch lernen, meine Gefühle wertfrei anzunehmen.

Inzwischen hatte ich mich in meinen Lehrer ver-liebt, genierte mich allerdings, daß ich in meinemAlter von 21 Jahren noch keinerlei sexuelle Erfah-rungen hatte.

Im Sinne der bisher durchgemachten Enthemmungs-therapien mußte mir das vollkommen abnormalerscheinen. In mir pochte es, nun auch diese Hem-mungen ablegen zu können. Und nur sehr schwergelang es mir, diese Schwelle zu überwinden.

Spät abends kletterte ich über den Zaun in einen

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Park, nicht weit von unserem Haus entfernt undsetzte mich unter eine Weide auf einen flachen Steinam Ufer des kleinen Teiches. Verschiedene Gedan-ken schossen mir durch den Kopf. Sollte ich feigesein und meine Gefühle verheimlichen, ja verleug-nen? Was aber, wenn er nicht mit mir schlafen woll-te? Würde ich mich dann völlig umsonst zutiefstblamieren?

Und genau so kam es schließlich auch. Noch dazumit der Anregung, meine sexuellen Bedürfnisse, dieich mir ja selbst eingebildet hatte, durch Selbstbe-friedigung zu stillen. Die anderen konnten sichwenigstens durch das freie Ausleben ihrer sexuellenBedürfnisse mit verschiedenen Partnern Anerken-nung verschaffen. Mir dagegen sollte diese Antwortmeine Minderwertigkeit und Abnormität bestäti-gen oder sollte ich sie als ein Warnschild auf einemIrrweg ansehen? Sollte ich mich etwa in einer Sack-gasse befinden?

Alle moralischen Maßstäbe versuchte ich über Bordzu werfen und doch regte sich manchmal meinGewissen. Meine Eltern waren für mich so gut wienicht mehr existent. Meine Krankheit fesselte michoft ans Bett. Woran sollte ich mich noch festhalten?Sollte es etwa nicht stimmen, daß ich alles kann,wenn ich nur will?

Ich verlor den Boden unter den Füßen. Auf meinem

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Weg zur Selbstverwirklichung war ich wohl dochnoch nicht weit genug. Ein anderes Erlebnis brachtemich noch mehr in Verwirrung und Unsicherheit:ein Seminar im Center von bioenergetics. EineGruppenteilnehmerin schlägt wie besessen auf einean die Wand gelehnte Gummimatte ein. Ihr Ge-sichtsausdruck zeugt von unheimlichen Energien,die sie nun versucht freizusetzen, bis sie hochrotanläuft, Schaum aus ihrem Mund tritt und sie sichschließlich nach einigen Schreien übergeben muß.

Ein anderes Mädchen liegt am Boden und schautihrer Partnerin, die sich über sie gebeugt hat, tief indie Augen. In immer kürzer werdenden Abständenstößt sie geradezu tierische Schreie aus. Nachdemsie ihre Erinnerung äußert, in ihrer frühen Kindheitsexuell mißbraucht worden zu sein, wird sie vonunserem Gruppenleiter noch mehr angespornt. Wievon tiefem Haß ergriffen, nimmt sie ihre letztenKräfte zusammen. Auch diese Szene endet damit,daß sich die Klientin bei vollkommener Erschöp-fung übergeben muß und im Rahmen des an-schließenden Gruppenübungskreises soll jeder Teil-nehmer durch einen kurzen intensiven Schrei mitseinem gegenübersitzenden Partner in Kommuni-kation treten.

In mir stiegen allmählich grundlegende Zweifelauf, ob ich mich nicht doch in einer Sackgassebefände. Gab es nicht doch so etwas wie Verantwor-

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tung, richtiges und falsches, gutes und schlechtesHandeln? Doch mein Lehrer versuchte mich zuermutigen: was mir Schwierigkeiten mache, sei nurdas im Laufe der Menschheitsentwicklung ange-lernte wertende Denken, welches die persönlicheEntfaltung hemme. Ich solle mich mehr selberannehmen, dürfe an auftretenden Schwierigkeiten,an vorübergehenden Tiefs nicht scheitern. Da müs-se jeder durch. Ich solle weiter an mir arbeiten.

Was aber war das Ziel? Die Erfüllung? ... Das Nir-wana, in das man erst nach vielen Menschenlebensolle eingehen können? Das wollte ich nun dochnicht glauben. Religiös war ich ja nicht. Dann beob-achtete ich die Lebensweise meiner Mitbewohner:Eine Nacht mit diesem Mädchen, die nächste schonwieder mit einer anderen. Doch niemand versuchtediese Dinge zu verbergen. Ja, sie konnten wirklichdazu stehen und behaupteten dabei sogar noch,glücklich zu sein – sogar die Frauen. Mit welchemRecht behaupten die Menschen, daß monogameBeziehungen das einzig Richtige seien? Und irgend-wie hatten meine Mitbewohner damit ja auch nichtUnrecht. Aber andererseits konnte doch etwas nichtstimmen.

In den analytical-music-therapie-sessions arbeite-ten wir nun des öfteren mit Träumen. Trauminhalte,wie auch frei erfundene Phantasiebilder und -the-men sollten durch musikalische Improvisationen

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dargestellt und weitergeführt werden: einfach dieGefühle und Gedanken kommen lassen und ihnenim Spiel Ausdruck geben. Dadurch mehrten sichbald meine Träume und zwar vor allem meine Alp-träume. Ich dachte, jetzt endlich kommen tief ver-drängte Konflikte an die Oberfläche.

Meine Tagebuchaufzeichnungen von damals zeu-gen von stark depressivem Gefühlsleben, ja vontiefster Finsternis. Die Beziehung zu meiner Studi-enfreundin, welche relativ viel von dem wußte, wasin meinem Innern vorging, verschlechterte sich ste-tig. Wir gingen jetzt nicht gerade liebevoll mitein-ander um, sondern beschuldigten einander undversuchten vor allem diese Beziehungsstörung auf-grund unseres Wissens übereinander zu analysie-ren. War es nicht absurd, daß wir uns gegenseitigtherapieren wollten? Blinde Leiter von Blinden!

Eine kurze Zeit des Aufatmens und der Erleichte-rung fand ich durch einen »Fluchtversuch« in dieeinsamen schottischen Northern-Highlands perAnhalter und dann zu Fuß. Als Reiseproviant je einGlas Haselnußmus und Honig. Das ist platzspa-rend. Wasser gab’s unterwegs immer wieder. Hierkonnte man auf zerklüfteten Felsen direkt an derMeeresküste tagelang wandern. Menschen warenhier mit ziemlicher Sicherheit nicht mehr anzutref-fen. Das war gerade das Richtige für mich.

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Obwohl ich nicht viel nachdachte, erkannte ich dieWirklichkeit dessen, was ich schon längere Zeitempfunden hatte. Mehr und mehr hatte ich gelernt,die Verantwortung für mein Handeln abzuschie-ben – auf prägende Erlebnisse, Erfahrungen undBeziehungen vor allem aus der Vergangenheit. Manhatte mir beigebracht, Begriffe wie schlecht, falschund schuldig möglichst nicht in den Mund zu neh-men und grundsätzlich jedes Verhalten zu entschul-digen. Und zwar auf der Basis des Glaubens an den»guten Kern« des Menschen. Mein Gewissen, wel-ches ich oft zum Schweigen gebracht hatte, sagtemir dennoch, daß ich als Mensch für mein Tun undHandeln verantwortlich bin, daß ich überall dort,wo ich meine Verantwortung nicht wahrgenommenhabe, Schuld – echte Schuld! auf mich lud.

Ich war inzwischen überzeugt, daß es so etwas wieein Prinzip des Guten geben müsse. Vielleicht das,was andere das Göttliche nannten. Wie könntesonst so eine Schönheit in der Natur sein? Wie wares sonst möglich, daß von selbst ein Baum oder eineBlume entsteht? Oder eine Blüte, wo jedes einzelneBlatt genau an der richtigen Stelle wächst? Da muß-te doch wenigstens ein Prinzip hinter stecken?Irgendeine Kraft, die bewirkt, daß etwas Geordne-tes entsteht und nicht ein Chaos. Also mußte esdoch etwas Gutes geben, ein Prinzip des Guten!

Andererseits konnte ich aber auch nicht mehr leug-

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nen, daß ich in all meiner Finsternis gefangen war.Wie konnte ich mich der Schlechtigkeit, die in mei-nem Herzen war, all der Gedanken, Depressionenund Alpträume entledigen? Wie herausfinden ausdieser Finsternis?

Ich war tatsächlich in eine Sackgasse geraten. Aberwo sollte ich hin? Zurück zum Leistungsstreben?Zu diesem Karrieredenken? Zu meiner Selbstsicher-heit? Das war mir einfach nicht mehr möglich. Waswar mit meiner Arroganz, mit der ich so vielesüberspielte? Sollte ich versuchen nach meinemGewissen zu handeln, einem Gewissen, das dochangeblich nur anerzogen war und das so unbere-chenbar reagierte, wie ein Barometer, an dem stän-dig herumgedreht wird. Oder mußte ich mich selbständern? Ich war realistisch genug, um zu wissen,daß ich das nicht konnte.

Es war eine Sackgasse, aus der ich keinen Auswegwußte.

Doch das Leben ging weiter, und wieder einmalwar ich per Anhalter unterwegs. Diesmal schon inÖsterreich. Es kam mir sehr gelegen, daß ich miteinigen jungen Leuten in ihrem kleinen Bus mitfah-ren durfte. Die waren wenigstens viel nüchternerund schienen mir recht vernünftig und nicht zu reli-giös zu sein, obwohl sie christliche Lieder sangen.Ohne viel zu überlegen, willigte ich sogar ein, mit

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einem Mädchen von ihnen in der Bibel zu lesen, indiesem »alten frommen Buch, welches psychischSchwache und alte Leute als Stütze für ihr Lebenbrauchen, welches aber durch seinen mythologi-schen Inhalt doch lesenswert sei, wie auch die vie-len anderen religiösen Schriften«.

Um so erstaunter war ich über die Einfachheit undKlarheit aber auch Härte der biblischen Aussagen.Hier war sehr wohl die Rede von der Verantwor-tung des Menschen, ja von Schuld und Sünde.Wenn ich diese beiden Worte auch nicht hören woll-te, wußte ich doch genau, daß sie Realität waren,daß gerade mein eigenes Leben davon geprägt war.Wie in einem Spiegel mußte ich mich selbst erken-nen, als Sklave der Sünde, wie es im Römerbriefheißt: ein Sklave, weil ich mich selbst nicht befreienkonnte, was mich die Erfahrung schmerzlichgelehrt hatte.

So erkannte ich die Richtigkeit des biblischen unddamit auch den verheerenden Irrtum des modernenMenschenbildes. Das, was ich in der Bibel fand, wareinfach die ungeschminkte Wahrheit. Von dem»guten Kern« im Menschen fand ich darin nichts.Aber dann war da Gottes Angebot der Erlösung,der Vergebung aller Sünden durch Jesus: »Wer mirnachfolgt, wird nicht in der Finsternis wandeln, sonderndas Licht des Lebens haben« (Joh. 8,12).

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Ja, ich brauchte Erlösung. Keine Selbsterlösungoder Selbstverwirklichung, sondern die Vergebungmeiner Schuld.

Ich weiß gar nicht mehr genau, was alles in meinemInnern vorging und wie es eigentlich dazu kam.Aber irgend etwas trieb mich dazu, daß ich Seinerettende Hand ergriff. Es war wirklich das erste Malin meinem Leben, daß ich gebetet habe. Das ersteMal, daß ich mein Versagen, meine Arroganz, meineSchuld eingestanden habe, vor Ihm und vor Men-schen. Wie recht hatten doch alle die gehabt, vondenen ich gelernt hatte, daß der Mensch nicht mitSchuldgefühlen leben kann. Durch Gottes Gnadedurfte ich aber erkennen, daß es nicht um Gefühlegeht, sondern vielmehr um die Schuld selber, für dieich gerechterweise Gottes Gericht und Strafe ver-dient hätte. Jesus Christus hat durch Seinen Tod die-se Strafe an meiner Statt auf sich genommen. Wierecht hatten sie, daß man seine schlechten Gedankenund Gefühle nicht einfach hinunterschlucken kann.Aber nun konnte ich Jesus Christus all das hinlegen,mich Ihm anvertrauen und mir meine Last abneh-men lassen, ja, ein neues Leben mit Ihm beginnen.Da konnte ich auch meine negativen Gefühle, jasogar Haßgefühle, wie ich sie zum Teil beschriebenhabe, einfach ablegen, sie Ihm bekennen, und Seinewunderbare Vergebung erfahren.

Nachdem ich das selber erlebt hatte, wurde es mir

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möglich, auch anderen zu vergeben. Auch dasschlechte Verhältnis zu meinen Eltern hat sich da-nach sehr gebessert. Allmählich merkte ich, daß mirwie von selbst die Anerkennung immer unwichti-ger wurde. Ja, wie ich mit der Zeit gar kein Verlan-gen mehr danach verspürte. Ich hatte auch keinBedürfnis mehr, am Klavier vorzuspielen, sondernwar froh, wenn ich es nicht tun mußte.

Eigentlich vollzog sich dieser Prozeß, ohne daß esmir bewußt war, ohne daß ich auf mich selbstgeschaut hätte, ohne Selbsterfahrung, ohne daß ichan mir gearbeitet hätte. Heute weiß ich, daß es ein-zig und allein mein Herr Jesus Christus war, dermich freigemacht hat. Er hat mich davon freige-macht, den Blick immer auf mich selbst gerichtet zuhaben und nach meinen eigenen Bedürfnissen han-deln zu müssen. Und Er hat mir auch wirklicheFreude geschenkt, die nicht von Leistung und Aner-kennung abhängig ist.

Eine weitere wichtige Erfahrung war, daß ich mitmeiner Bekehrung lernte, Fehler zuzugeben undnicht mehr so krampfhaft mein Gesicht zu wahren.Auch hierin haben sich die Worte Jesu bewahr-heitet:

»Wenn nun der Sohn euch freimachen wird, so werdetihr wirklich frei sein« (Joh. 8,36).

Ich wüßte nicht, wann ich mich in meinem alten

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Leben einmal für etwas entschuldigt habe. Heutemuß ich mich des öfteren für etwas entschuldigen.Gottes Geist treibt mich einfach dazu, wenn ichmich in irgendwelchen Dingen nicht richtig verhal-ten habe. Ich kann jetzt zu mir selber stehen, so wieich bin mit meinen Fehlern, ohne sie aber gutzu-heißen. Im Gegenteil, ich merke, wie Gott meinGewissen prägt und schärft. Vor meiner Bekehrungbin ich jahrelang immer nur schwarzgefahren, so-gar mit gutem Gewissen. Jetzt könnte ich das nichtmehr tun.

Was mir aber am wertvollsten ist, daß ist die ganzpersönliche Gemeinschaft mit Jesus Christus selber,indem ich mit Ihm sprechen kann und vor Ihm allesausschütten darf, was in meinem Herzen ist; vorIhm, der mich wirklich ganz angenommen hat undin dem ich jeden Tag neu tiefen inneren Friedenerfahren kann, wie ich ihn zuvor nicht gekannthabe.

Wie schön ist es auch, Seine Worte als lebensspen-dende, wirksame Kraft zu erleben und innereGewißheit zu haben, auf ewig über den Tod hinausmit Ihm in Gemeinschaft zu sein.

Ich habe mich dem anvertraut, der Seine Liebebuchstäblich »durch Seinen Tod am Kreuz« bewie-sen hat, dessen Auferstehung eine historische Tatsa-che ist und der mein Leben durch Sein Wort und

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Wirken neu gemacht hat.»... denn in ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit leib-haftig.«

»... in welchem verborgen sind alle Schätze der Weisheitund der Erkenntnis ...« (Kol. 2,3).

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FRANZ HUBER

Tanz mit dem Tod

Amsterdam – an einem schönen, warmen Sommer-tag.

Trixi, eine ehemalige Freundin von mir, sitzt miteiner Bekannten zusammen und verbringt nochein paar schöne Stunden mit ihr. Nachdem sie sichverabschiedet haben, geht Trixi in den 3. Stockdes Hauses, trinkt eine Flasche hochprozentigenSchnaps und springt dann aus dem Fenster.

Amsterdam – an einem schönen Sommertag in derVeer-Straat. Sie liegt mit Hirnquetschungen und zer-brochenem Becken auf der Straße. Minuten späterwird sie mit Blaulicht ins Krankenhaus eingeliefert,wo die Ärzte verzweifelt um ihr Leben kämpfen.

Als wir sie nach Tagen besuchen, können wir nichtmehr mit ihr sprechen. Sie hat keinen Lebenswillenmehr. Nach einem unerfüllten Leben wünscht siesich den Tod.

Die Rolling-Stones singen in ihrem Lied »Dancingwith Mr. D.«:

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SehnsuchtderBetrogenen

»Wird es Gift in meinem Glas sein,wird es langsam oder schnell gehen,ein Schlangenbiß,ein Spinnenstich,ein ›Belladonna-Drink‹ aus einer Nacht vonToussaint.Ich hab mich versteckt in einer Ecke in New-York City.Und in West-Virginia in den Lauf einer 44ergeschaut.Hab getanzt,hab mich ausgetanzt ...Ich habe getanzt mit Mr. D.«

Trixi war meine erste Liebe in meinem Hippie-Dasein. Im P.N.-Hithaus in München (ein ähnlicherClub wie der Star-Club in Hamburg, wo die erstenBeat-Gruppen spielten) sah ich sie zum ersten Mal.

»Hallo, willst du tanzen, willst du Haschisch rau-chen?«

»Ja.«

Ich nahm sie mit in das Haus meines Freundes Bob-by. Wir legten die Rolling-Stones auf, hörten dieBeatles und rauchten. Dann lagen wir auf demBoden und es wurde viel von Freiheit gesprochen ...

»Unten im Friedhof, wo wir verabredet sind, die Luft riecht süß,die Luft riecht dumpf.

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Franz Huber

Er lächelt nie, sein Mund zuckt nur mal.Die Luft klebt fett in meinen Lungen.Ich kenne jetzt seinen Namen.

Man nennt ihn Mister D.Und bald wird er euch allen die Freiheit geben. Totenköpfe baumeln von seinem Hals.Meine Hände werden feucht und klamm.«

(Rolling-Stones: »Dancing with Mr. D.«)

Trixi wurde für die nächsten Jahre meine Begleiterinauf der Drogen-Straße. Wir nahmen LSD, Meskalin,STP, DOM, wir rauchten Haschisch und Marihuana.Dann kamen die Opiate: Morphin, Eukodal, Dilau-did und wir tanzten, tanzten, tanzten.

In einen anderen Club, ähnlich wie der P.N., gingenwir Nacht für Nacht. Wir hatten Morphin dabei,verkauften Morphium und nahmen Morphium. DieDroge hatte uns gefesselt.

Damals wohnten Trixi, Jacky und ich zusammen.Eines Abends, als auch der »schöne Bernie« zuBesuch da war, lagen wir, nachdem wir Morphiumgenommen hatten, auf den Matratzen und hörtenMusik. Plötzlich klingelte es an der Tür. Ich rappeltemich auf, sah durch den »Spion« und erkanntedraußen »Rudi Trallala«, der etwas in Packpapiereingewickelt trug. Okay, ich machte die Tür auf, ließ

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ihn hinein. Er wickelte aus dem Packpapier einGewehr, legte auf mich an und sagte: »Franz, dubist link!« Er drängte mich in die Ecke, wie in einemWildwestfilm. »Du hast mich gelinkt!«

Ich bekam wahnsinnige Angst, daß jemand durch-drehen könnte und die Nachbarn oder die Polizeirufen würde. Dann würden wir alle im Gefängnislanden. Deshalb gab ich ihm das Morphium, das erverlangte und dann ging er.

An einem Abend – ich weiß nicht mehr, ob es Som-mer oder Winter war – saß ich mit Siggi und Romanin der Wohnung. Siggi hatte eine Nacht zuvor ineiner Apotheke eingebrochen und alle Morphium-Präparate gestohlen. Als wir die Beute betrachteten,jubelten wir: »Oh, nur das Feinste vom Feinen!«und machten uns Cocktails mit Dilaudid und Ko-kain, bis Roman blau wurde. Wir rissen das Fensterauf, ich gab ihm Ohrfeigen und schließlich machtenwir Mund-zu-Mund-Beatmung. Nichts half.

Von der Angst getrieben, daß er bei uns im Zimmersterben könnte und wir dann alle verhaftet würden,haben wir ihn auf die Schultern genommen, denHausflur hinuntergetragen und unweit der Mün-chener Freiheit auf die Straße gelegt. Dann ranntenwir zur Telefonzelle, riefen die Polizei an und sag-ten: »In der und der Straße liegt ein Bewußtloser,können Sie ihn bitte abholen?« Wir hingen auf und

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wußten, daß die Polizei der Sache nachgehen wür-de. Und dann liefen wir quer durch die Stadt, dennwir hatten Angst.

Als wir Stunden später nach Hause gingen, standRoman vor der Türe. Okay, Junge!

Wir gingen in unsere Wohnung und nahmen Mor-phium. Roman fiel wieder um. Jetzt saß mir dieAngst im Nacken:

»Roman, mir reichts, du mußt ins Krankenhaus!«

Wir brachten ihn bis vor den Krankenhauseingangund warteten solange, bis er schließlich hineinging,und dann liefen wir weg.

Roman lebt heute nicht mehr.

»Eines Nachts hab ich mit einer Dame in Schwarzgetanzt.Sie trug Handschuhe und Hut aus schwarzer Seide.Sie sah mich lüstern mit samtschwarzen Augen an.Ihr Blick war seltsam, ganz verschlagen und wissend.Dann sah ich, wie das Fleisch von ihren Knochen fiel.Die Augen im Schädel glühten wie Kohlen.Ich hab getanzt mit Mr. D. ...«

München, Hirschgarten-Allee. Ein verkommenesHaus. Hier leben Drogensüchtige und Alkoholiker:

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Lupo, Siggi, Viktor, Frank, Trixi und andere, derenNamen ich nicht mehr kenne. Wir hatten kein Mor-phium und kein Opium mehr, dafür meldeten sichdie gefürchteten Entzugserscheinungen – »ColdTurkey«. Wir wollten einbrechen und warfen Lose,wer mitgehen sollte. Das Los fiel auf mich.

Es war mein erster Einbruch, und ich zog mit Christi-an los. Zunächst gingen wir zu einem nahen Steh-Ausschank und tranken uns mit Bier erst einmal Mutan, denn wir waren keine Profis und deshalb ging esauch nicht besonders leise bei unserem Einbruch zu.Wir warfen einen Pflasterstein ins Fenster, schobendann noch schnell den Rolladen hoch und liefenweg. Wir beobachteten das Haus, ob sich dort oderbei den Nachbarn etwas regte. Nichts rührte sich,keiner hatte etwas gemerkt. Nun stiegen wir ein undließen den Rolladen wieder vorsichtig runter. End-lich waren wir in der Apotheke, suchten fieberhaftden Giftschrank und konnten ihn nicht finden. Chri-stian sagte schließlich: »Wir müssen den Viktorholen!« Viktor hatte schon einige Apothekenein-brüche hinter sich, war also ein Mann mit Erfahrung.

Während Christian zurücklief, um Viktor zu holen,mußte ich am Tatort Schmiere stehen und legtemich zu diesem Zweck unter ein Auto. Bald kamChristian mit Viktor zurück, der sofort den Gift-schrank fand und ihn aufbrach. Minuten späterzogen wir glücklich ab. Für die nächsten Tage hat-

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ten wir alles, was wir brauchten: Morphium, Dilau-did, Eukodal, Jetrium, Kokain usw. Nur mit Mühekonnten wir Christian daran hindern, auch nocheine Schreibmaschine mitzunehmen. Er war wirk-lich unerfahren.

Monate später hatte ich wieder einen Entzug. Der»Affe« saß mir im Rücken, und ich hatte nichts zu»schießen«. Lupo und Frank auch nicht. Was wirnoch hatten, war ein Auto und ein gefälschtesRezept. Wir fuhren zur Wetterstein-Apotheke, dieich kannte und wo ich schon einmal ein Rezept ein-gelöst hatte. Ich gab dem Apotheker das Rezept miteinem Jetrium-Präparat. Es war viel Betrieb zu die-ser Tageszeit, und die Angestellten liefen emsig hinund her. Ich sah schon das Jetrium-Gläschen in derHand des Apothekers, und mein Puls schlugschneller. Doch er beeilte sich nicht sehr, mir dasMittel zu geben, sondern sagte, als plötzlich die Türaufging, auf mich deutend: »Das ist er!« Ich wußte,daß nun hinter mir die Polizei stand. So war meinTanz zu Ende und ab ging es ins Polizei-Gefängnis,in die Krankenabteilung.

Nun, dies war zwar mein zweiter Gefängnisaufent-halt, aber doch der erste mit einem »Affen« imRücken. Oh, welch eine Qual, Schmerzen, nichts alsSchmerzen und dann die Resignation: Alles vorbei,es läuft nichts mehr, kein Morphium, sondern Ent-zug! Cold Turkey!

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Zuerst wurde ich in die Kleiderkammer geführt, woich blau-weiß gestreift – mit den Farben der Kran-kenabteilung – eingekleidet wurde. In der Kranken-abteilung selbst kam ich auf eine Gemeinschaftszel-le, wo ich zunächst mit Behelfsmitteln wie Valium,Neurocil und anderen Psychopharmaka versorgtwurde. Ja, der Tanz war aus! Da lag ich nun, dieNase lief und die Augen tränten, meine Kleiderwaren schweißdurchnäßt. Heiße und kalte Schauerüberfielen mich, Beine und Magen schmerzten. Nurein Gedanke: Morphium!

Doch war mir klar, daß es keinen Sinn hatte, zu jam-mern. Ich konnte nur da liegen und mein Leid ertra-gen. Mir war bewußt, daß keiner mir helfen konnte,nur die Zeit würde heilen, in 3 bis 4 Tagen würdedas Schlimmste vorbei sein.

Auf meiner Gemeinschaftszelle lag Robert, der gro-ße Dealer – selbst auch süchtig. Er sagte immer:»Das Feinste, das Feinste vom Feinen.« Da war Lar-ry, ein ehemaliger Vietnam-Soldat, der immer einlockeres Bein hatte und bei jeder Gelegenheit tanzte.

Da war ein Jugoslawe, Alkoholiker, wegen politi-scher Sachen eingelocht, er sorgte auf der Zelle fürSauberkeit – er hatte einen regelrechten Putzfim-mel. Und dann waren da noch die anderen: Diebe,Zuhälter, Schwule und Zeitgenossen ähnlichenKalibers.

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Die Zelle war für sechs Häftlinge zu klein. Drei Eta-genbetten, ein Tisch, Stühle und die Spinde. In denersten Nächten war es für mich sehr schwer, Schlafzu bekommen. Zum einen, weil mein Entzug mitDepressionen, Angstzuständen und Horror-Träu-men verbunden war, zum anderen, weil es im Ge-fängnis nachts oft rund geht. Oft ahmten wir danndie unterschiedlichsten Tiere nach, bis wir uns wieim Zoo vorkamen, oder wir saßen beim Schein derselbstgemachten Kerzen und spielten Karten.

Nicht selten bekamen die Insassen der Einzelzellenden Knastkoller. Es beginnt damit, daß einer dieMöbel zertrümmert und endet damit, daß er dieEinzelteile aus dem Fenster wirft, unter den An-feuerungsrufen der anderen Gefangenen, die ihrenGaudi haben: »Los, schmeiß auch den Spind raus!«Bald hört man Wasser rauschen, nachdem der Ab-lauf vom Waschbecken demontiert ist.

Ja, das Gefängnisleben!

Unsere Gespräche hatten meist nur ein Thema: Mor-phium, Kokain, Drogen. Wie kommen wir da ran?

Unsere Mithäftlinge, die Alkoholiker waren, be-kamen für den Entzug »Distras« (Distraneurin).Einmal kam ein Landstreicher in unsere Zelle, derstarke Entzugserscheinungen hatte. Er sah Spinnenund alle möglichen anderen Krabbeltiere. Als sein

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Delirium zu Ende war, erkannten wir unsere Chan-ce. »Freund, du spielst uns ein Delirium, redest vonSpinnen, Käfern und Elefanten. Wir hauen dieGlocke raus, drücken den Alarm und wenn derSchließer kommt, sagen wir: ›Holen Sie bitte einenSanitäter, der Mann hat ein Delirium.‹ Und wenndu dann die Pillen bekommst, tauschst du sie beiuns gegen Tabak ein.« Auf diese Weise erhielten wirunser ersehntes Feeling.

Manchmal veranstalteten wir auch eins unserermakaberen Spiele. So ließen wir den Landstreicherauch einmal »schwimmen«. Wir sagten zu ihm:»Lege dich mal auf den Boden und machSchwimmbewegungen.« Der Mann tat das in seinerHilflosigkeit und wir drehten dann den Wasser-hahn solange auf, bis das Wasser auf den Bodenfloß. Unter Gelächter drückten wir dann die Glockeund sagten dem herbeieilenden Wärter: «SchauenSie mal, der hier ist verrückt geworden!«

Einmal kam ein Amerikaner auf unsere Zelle, derziemlich durcheinander war. Wir rieten ihm: »Wenndu dich aufhängst, kommst du in eine bessereAnstalt.« Wir bauten ihm dann einen Galgen. DerMann hing sich tatsächlich in die Schlinge und rief,als wir den Stuhl wegzogen: »Holt mich runter!«

Die Glocke wurde gedrückt und der Schließer kam.Wir sagten: »Als wir aufwachten, hing der da.«

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Dieser Mann kam nicht in eine bessere, sondernstrengere Haftanstalt. Das sind so die Knastspiele.Kommt jemand in die Zelle, den man nicht leidenkann, ekelt man ihn hinaus.

Für mein gefälschtes Rezept hatte ich sieben Mona-te bekommen und in den langen, schlaflosen Näch-ten zog mein bisheriges Leben an mir vorüber:

Ich wurde im Mütterheim geboren, mein Vater hattekurz vor meiner Geburt meine Mutter verlassen undwar nach Ost-Deutschland zurückgekehrt. So wuchsich ohne Vater bei Mutter und Großmutter auf. Alsich neun Jahre alt war, starb meine Großmutter, undich wurde ein Schlüsselkind. Wenn ich aus der Schu-le kam, lag meist ein Zettel auf dem Tisch mit etwafolgenden Worten: »Guten Tag, Franz, im Schranksind die Nudeln, im Kühlschrank liegen Tomatenund Wurst. Mach dir etwas Leckeres zu essen. Ichwünsche dir einen guten Appetit. Deine Mutter!«

Bald brachte Mutter auch einen Freund mit nachHause, der die Vaterrolle spielen sollte. Ich konnteihn nicht leiden und so passierte es, daß wir einmalim Streit auf dem Boden lagen und ich mich mitmeinen Fingernägeln in seine Glatze gekrallt hatteund schrie: »Ich hasse dich, ich hasse dich!«

Dann kam die Zeit, einen Beruf zu erlernen. Ichselbst hatte keine Vorstellungen, aber Mutter mein-

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te: »Suche dir eine Lehrstelle als Metzger, dannhaben wir immer etwas zu essen.«

Damals war es nicht schwer, eine Lehrstelle zubekommen, und mit dem Beginn der Lehrzeit nahmich auch die ersten Drogen. Ich besorgte mir Capta-gon, ging nachts in die Discotheken und erschiendann morgens um fünf Uhr in der Metzgerei. MeineArbeitsleistung war entsprechend. Einmal warenWürste im Kessel, es waren Wiener- und Regens-burger-Würstchen. Ich heizte den Ofen an, doch dieTemperatur wurde zu hoch und alle Würstchenplatzten. Der Chef war zu diesem Zeitpunkt geradeim Schlachthof und ich wußte, wenn er zurückkam,gab es Panik.

Er kam zurück, öffnete den Deckel des Kessels undsah, daß alle Würstchen geplatzt waren. Daraufhinbekam er einen Zornesausbruch und schmiß denKübel nach mir.

Ein anderes Mal waren Würste in der Räucherkam-mer. Dieses Mal füllte ich zuviel Sägemehl nach, mitdemselben Ergebnis, daß alle Würste platzten.

Nach einem Jahr brach ich die Lehre ab. No future!Keine Zukunft! Warum sollte ich arbeiten? Ichkonnte darin keinen Sinn erkennen. Selten fühlteich mich wohl und angenommen. Meistens kam ichmir ohne Trip unverstanden vor.

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So ging ich des Nachts oft ins P.N. Es war einer vonden Rockschuppen, wo viele Jungen mit einemAuto, Motorrad, mit der Straßenbahn oder zu Fußhinkamen, um dort auszuklinken und um zu tan-zen. Die Musik verzauberte uns und wir fanden esberauschend, die leeren Biergläser auf dem Bodenzu zerschmeißen.

Das P.N. war in Schwabing, und in diesem Stadtteillernte ich bald auch Marihuana, Haschisch und Shitkennen. Ich begann es zu rauchen und zu verkaufen.So lebte ich mein eigenes Leben und war mir selbstüberlassen. Nur zeitweise schlief ich zu Hause undimmer mehr Nächte verbrachte ich bei Freundenoder schlief im Englischen Garten, in Hausfluren,Aufzügen und Trockenräumen. Ich suchte meinenWeg oder den Sinn meines Lebens bei den Gammlernund fand es interessant, mit Leuten zu sprechen, dieam Rande der Gesellschaft standen. Sex, Drogen undRock’n’Roll fesselten mich und doch war ich einsam.Die Sehnsucht nach Liebe ging unter im Rausch. DieTage vergingen sinnlos und sinn-entleert. Auf denStraßen rief man nach Frieden, auch mein Herz schrienach Frieden, dennoch fand ich ihn nicht und rutsch-te immer tiefer in den Drogenkonsum hinein.

»Am Morgen einen Joint, und der Tag ist deinFreund.«

Das war für mich die Welt der rosa-roten Brille, wo

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im Grunde doch alles dunkel und aussichtslos war:Nur die Idioten schuften für ihre Kröten. Inzwi-schen war ich ein kleiner Haschisch-Dealer. Abendfür Abend, wenn die Bands spielten und die Groo-pies da waren, bot ich Haschisch und LSD an.

Meinen ersten Schuß bekam ich von einem Mannaus Hamburg. Er tauchte auf, als wir alle Haschischrauchten und sagte, er hätte Jetrium. Ich sagte: »Eh,Alter, ich habe es nicht gerne, wenn wir es vor denLeuten machen, aber ich würde es sehr gerne neh-men. Gibst du es mir auf der Toilette?« Dort bekamich den ersten Schuß und der gab mir irgendwiealles. Er schien mir die Freiheit und Liebe zu geben,nach der ich mich sehnte, und von nun an befandich mich auf der Einbahnstraße der Junkies.

In einem anderen Club lernte ich zwei Zuhälterkennen, die sagten: »Steig bei uns ein, Junge, wirzeigen dir, wie man es macht.« Sie gaben Trixi, Jackyund mir Morphium auf Kommission und kamenjeden Abend zu uns auf die Bude, um abzurechnen.

Eine Zeitlang war eine junge Frau, die rothaarigeMischa, die Verteilerin für Morphium. Meistenskam sie nachmittags, aber wie die meisten Dealerin-nen und Junkies war sie ganz und gar unpünktlich.Oft wartete eine ganze Meute wie die Ratten auf dierote Mischa und heftete sich an ihre Fersen, wennsie endlich erschien, um in irgendeinem Café das

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Geld unter oder über dem Tisch zu kassieren. Dannverschwand sie um eine Ecke, wo sie Drogen ver-steckt hatte. Geduld mußte man haben. Aber dannkonnte man endlich den ersehnten Schuß setzen.Manchmal dauerte es lange, bis ich eine Vene fand,doch dann strömte das Opiat durch meinen Körper.

Ich hatte meine Seele der Droge verkauft, hatte allesfür die Droge gegeben. Bald stellte sich auch einestarke Todessehnsucht ein und der Gedanke kam,mich totzuschießen. Oft sagte ich: »I am a Junkie,I am a monkey.« Ich bin ein Süchtiger, ich binein Affe.

Aber jetzt saß ich erst einmal im Knast und wartetemeine sieben Monate ab. Da ich zu Trixi weiterhinKontakt hatte, wußte ich, wohin ich nach meinerEntlassung gehen würde. Und der Tag der Entlas-sung kam und mit ihm auch der langersehnteSchuß, den ich bei Trixi und Ali bekam. Die Junkie-Szene hatte mich wieder und ich trug wieder meineGun bei mir, die Spritze mit der 18er Nadel.

Bald lernte ich auch die Drogenszene von Amster-dam kennen. Ich hatte beim Gericht einen Terminwegen Apothekeneinbruch und da bin ich liebervorzeitig über die Grenze geflohen. Wenn es inHolland einen Vorhof der Hölle gibt, dann ist dasAmsterdam. Da sind sie, die Pommes-Buden, dieCafés, die Discotheken, die Dealer. Als ich dort an-

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kam, machte ich mich sofort auf die Suche nachHeroin. Ich fand einen Farbigen, der mir etwas ver-kaufte, und bald lernte ich andere Süchtige kennen.Die meisten von ihnen gingen Stehlen, und so hattedie Polizei immer ein Auge auf uns. Viele Spitzelumgaben uns, und so konnte man keinem trauen.Jetzt kannte ich auch die Junkies von Amsterdam.Magere Körper, magere Gesichter, ekelhaft geklei-det. Da war Glenn, ein Farbiger, der alte Franziskoaus Hamburg, da war Tuti aus München und ich.Wir wohnten auf einem Boot. Tuti hatte es aufgeris-sen. Die Besitzerin war eine Prostituierte, sie über-ließ uns das Boot für eine bestimmte Menge Heroinpro Monat. Mittags standen wir auf und gingen los,um Geld zu besorgen. Während die anderen zumDealen gingen, zog ich los in die Kaufhäuser, umHandtaschen zu stehlen, die ich dann an die Prosti-tuierten verkaufte. Hauptsache, das Geld war da,um Heroin zu kaufen.

Manchmal hatte ich zwar Heroin, aber keinen Löf-fel, den ich so dringend für die Injektion brauchte.Dann habe ich bei einer Familie geklingelt undgesagt: »Ich bin ein Tourist und habe eine DoseBohnen, aber keinen Löffel. Können Sie mir einenbesorgen?«

Schlimm wurde es, wenn ich nachmittags immernoch kein Geld hatte und wußte: Noch ein oderzwei Stunden, dann kommt der Affe! Um der Droge

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willen habe ich dann gestohlen, betrogen, habemich smart angezogen und war freundlich zu älte-ren Damen und zu älteren Herren.

Einige Zeit war ich mit einem Taschendieb befreun-det. Wir arbeiteten zusammen und meine Aufgabewar es, angetrunkene Männer aufzuspüren, sie inein nettes Gespräch zu verwickeln, auf die Schul-tern zu klopfen und abzulenken. Wenn meinFreund mir dann ein Zeichen gab, bedeutete das:Laß ihn laufen! Wir hatten dann eine Geldbörsemehr.

Es gab auch Tage, an denen ich betteln gehen muß-te. Oft ging ich dann zum Bahnhof, setzte mich ineinen Zug und tischte den Mitreisenden irgendeineLüge auf. »Ich bin bestohlen worden«, »ich mußunbedingt nach Hamburg«. So ging ich von Abteilzu Abteil, erzählte den Leuten, daß ich zu meinerGroßmutter, zu meiner Freundin, zu meiner Fraumüßte, drückte auf die Tränendrüsen und bekammeist 50 oder 100 Gulden zusammen. Ich erinneremich noch, daß ein Mann auf meine Geschichte rea-gierte: »Sie sind heute schon der Dritte, was ist dennhier überhaupt los?« Da wußte ich, daß ich nichtallein unterwegs war.

Alle Mühe und alle Peinlichkeiten waren aber ver-gessen, wenn ich mir dann den ersehnten Schußsetzen konnte. Welch eine Erleichterung. Das Gift

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strömte durch meinen Körper – Schmerzlosigkeit,Liebe, alles schien mir die Droge für kurze Zeit zugeben. So vergingen die Monate. Ich hetzte durchdie Straßen, brach Autos auf, verkaufte falschesHaschisch und echtes LSD. Die holländische Polizeischob mich nach Deutschland ab, doch postwen-dend ging ich über die »grüne Grenze« nachHolland zurück. Nach einem weiteren Diebstahl,bei dem ich erwischt wurde, verzichtete die Polizeidarauf, mich über die Grenze zu schicken »Wennwir dich abschieben, kommst du doch wieder her.Was soll’s.«

Die Drogen bestimmten meinen Abstieg und be-schleunigten meinen Lauf auf dem Weg zur Hölle.Den Knast hatte ich nun verschiedentlich kennen-gelernt, nun sollte ich auch mit der »Klapsmühle«bekannt werden.

Wegen einer kriminellen Aktion kam ich zunächstins Gefängnis und anschließend in die Nerven-anstalt. Da war ich nun mit Mördern, Sittlichkeits-verbrechern und Schwachsinnigen in einer ge-schlossenen Abteilung. Wie immer waren wir Jun-kies zusammen und hatten nur ein Thema: Drogen.»Ohne Dope, no hope.« Hier freundete ich mich miteinem Mädchen an, das auch süchtig war. Wirklammerten uns sehr aneinander und wenn amSamstag Geländeausgang innerhalb der Anstaltwar, rückten wir aus und besorgten uns Drogen.

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Nachdem ich entlassen war, brach ich bald daraufauch die angefangene Therapie ab. Immer wiederwurde ich rückfällig.

Die Rolling-Stones sangen:

»Zerfetzt und abgewetzt.Joe hat einen Husten, ziemlich schlimm.Und das Kodein dafür verschreibt der Doktor.Yeah.Die Apotheke schickt’s rüber.Aber wer hilft ihm, von diesem Zeug runter zu kommen?«

Hätte ich damals doch nur gewußt, daß es tatsäch-lich Einen gibt, der allen Fixern, Alkoholikern, allenKaputten und Ausgeflippten Rettung anbietet. Ei-nen, der gesagt hat: »Ich bin der Weg, die Wahrheitund das Leben. Niemand kommt zum Vater, als nurdurch mich« (Joh. 14,6).

Aber dieser Eine, Jesus Christus, ist mir nachgegan-gen und hat mich aufgespürt.

Da saß ich 1970 in Stadelheim wegen irgendeinerStraftat. Ich war auf der Krankenstation, als Chri-sten auftauchten, mit Projektor, Film und Leinwand.Fast alle gingen wir zu dieser Filmvorführung.

Als ich sah, was dort gezeigt wurde, dachte ich: »O

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Junge, das sind Fanatiker. Schwarzes Buch, das sieBibel nennen. Freimachen? Das ich nicht lache!«.

Auch wenn ich nichts davon angenommen hatte,irgendwie spürte ich doch etwas von der Liebe Jesu.

Einen Sommer darauf befand ich mich in Münchenim Englischen Garten auf der Hasch-Wiese. Aufeinem Hügel standen Christen, sie sangen und pre-digten. Doch ich wollte nichts hören und machteeinen großen Bogen um sie.

Jahre später an derselben Stelle wieder diese Chri-sten. Diesmal wollte ich ihnen nicht aus dem Weggehen, sondern Randale machen. Nicht mit derFaust, denn dazu war ich zu schwach, ich wogdamals nur 54 kg. Aber ich hatte ein großesMaul und ging oft aggressiv durch. Dennochblieb ich still, denn irgendwie wurde ich dochbeeindruckt. Heute weiß ich, daß es die LiebeJesu war. Einige Zeit später war ich wieder inAmsterdam. Ich hatte kein Geld, keine Drogen,sondern einen »Affen« im Rücken, als ich am Post-amt stand, um Touristen abzulinken. Da kamenzwei Männer und erzählten mir von Jesus Christusund beteten mit mir. In meiner Not fühlte ich michangesprochen und sprach mein erstes Gebet:»Wenn es Dich gibt, Jesus, dann schicke mir bitteHeroin!« Nun, das würde Jesus niemals tun. Erliebt den Junkie, aber nicht das Heroin, aber das

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wußte ich damals noch nicht und fischte im Trü-ben, war von der Droge gefesselt und lief ihr nach.So zog ich wieder los, diesmal mit Glenn. Wir such-ten einen Dealer auf und Glenn sagte zu mir:»Diesen übernehme ich!« Wir klopften an sein Bootund öffneten die Luke. Eine Stimme rief: »Ja,kommt herein.« Glenn war ein stämmiger, kräftigerSchwarzer und strotzte trotz seiner Heroinsuchtnoch vor Kraft. Zur Begrüßung warf er die Cola-Flasche in die Ecke, schnappte sich den Mann amKragen und sagte: »Gib mir dein Geld!« Daraufhinöffnete der Dealer seine Geldbörse und wollte ihmein paar Scheine geben. »Geld habe ich gesagt, daßheißt alles.«

Der Dealer gab Glenn sein ganzes Geld, währendich in der Ecke teilnahmslos rauchend stand undwartete. Anschließend zogen wir ab und teilten dieBeute.

Dann kam der Tag, an dem mir im Redlight-Distriktvon Amsterdam ein Freund von Christen erzählte,die ein Haus hätten, um Süchtigen zu helfen. Wennsich auch alles in mir sträubte, wieder einen Entzugzu machen, so waren doch diese Christen meineletzte Hoffnung. Ein junger Farbiger sagte mir ineiner Café-Bar: »Freund, ich war auch süchtig. Nureiner kann dir helfen: Jesus Christus!«

Ich war wie gespalten. Einerseits wollte ich diese

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Christen aufsuchen, andererseits schreckte ich vorihnen zurück.

Erst als man mich wieder einmal aus Knast undPsychiatrie entlassen hatte und mir klar wurde, daßich bald einer von denen sein würde, die den Restihres Lebens in Nervenkliniken verbringen, suchteich diese Christen auf. Und sie nahmen mich auf, sowie ich war, ein Junkie. Wer wollte mich auch sonstnehmen, ohne die Frage zu stellen, wer der Kosten-träger sei?

Diese Leute hatten ein schönes Haus im Nordenvon Holland. Dort waren Junkies, Alkoholiker, Pro-stituierte, Zuhälter, aber auch solche, die der HerrJesus bereits frei gemacht hatte. Irgendeiner warimmer dabei, der gerade den Entzug durchmachte.Diesmal war ich es. Einer von den Christen warimmer an meinem Bett, meist waren es zwei oderdrei. Sie kümmerten sich um mich, erzählten mir,wie sie frei geworden seien und beteten mit mir.

Das erste christliche Buch, das ich las, war das vonNicky Cruz: »Flieh, Kleiner, flieh!« Eigentlich hätteNicky auch meinen Namen tragen können. Mit 15Jahren verließ er seine Familie und wurde Anführereiner Bande, weil er gemein und blutdürstig warund sich gegen jede Art von Bevormundung undAutorität auflehnte. Er besaß weder Herz noch Ge-fühl. Ich kannte diese Frustration, die Bitterkeit und

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Wut, die ihn erfüllte. Beim Lesen dieses Buches zogmein bisheriges Leben an mir vorüber und icherkannte, daß ich wie Nicky auf einer Einbahnstraßedem Verderben entgegenlief. Genau wie er war ichohne Hoffnung, ohne Zukunft, müde vom Rennen.

Es kamen Tage, da wollte ich nicht länger bei diesenChristen bleiben. »Den ganzen Tag beten, denHerrn preisen, Bibelstunden, Abendmahl, das halteich nicht aus, hier werde ich nicht alt. Ich werdewieder nach Amsterdam gehen und Arbeit suchen,wenn der Entzug vorbei ist. Die Leute hier habeneinfach eine fromme Macke.«

Doch es kam ganz anders. Ich hatte den Entzug hin-ter mir und ich blieb. Und eines Tages wurde ichbeim Bibellesen von Gott angesprochen durch dieWorte: »... wer zu mir kommt, den werde ich nicht hin-ausstoßen« (Joh. 6,37). Welch ein Versprechen!

Im Gebet habe ich dann Jesus mein Herz ausge-schüttet und Ihm gesagt: »Ich kann nicht mehr, ichkomme zu Dir, heile Du meine Wunden. Zeig DuDich mir, und ich will Dir nachfolgen. Ich übergebeDir meine Sünden, mein ganzes Leben, nimm Dumich an Deine Hand.«

Und Er hat mich frei gemacht. Kein Arzt, kein Psy-chiater, kein Psychologe, sondern allein Jesus Chri-stus.

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In Psalm 138,3 steht: »An dem Tage, da ich rief, antwor-tetest du mir; du hast mich ermutigt: in meiner Seele warKraft!«

Jede irdische »Freiheit« verblendet unsere Augenund verwirrt unsere Sinne. Das Ende meiner Frei-heitsgelüste war eine grausame Knechtschaft. NurJesus konnte diese Fesseln der Gebundenheit lösen.Ihm sei die Ehre in Ewigkeit!

Durch Seine Gnade bin ich heute völlig frei vonDrogen und bin froh, daß ich jetzt ein Kind Gottesbin und nicht mehr in der Gosse liege.

Nach einem Jahr in diesem Auffangzentrum gingich nach Deutschland zurück. Jesus hat Großes anmir getan. Er hat mich von Depressionen freigemacht und eine Ewigkeitsperspektive gegeben.Als ich von Holland nach Deutschland trampte,kam ich an einer Stelle nicht weiter. Da es kaltwar, setzte ich mich in ein Telefonhäuschen, bis diePolizei kam, mich mitnahm und mir auf derPolizeistation nach der Kontrolle meiner Papiereerklärte: »Sie bekommen eine Geldstrafe!« Da ichsie nicht bezahlen konnte, mußte ich noch einmalins Gefängnis. Aber diesmal ging ich als ein KindGottes hinein und sang Loblieder auf der Zelle,zur Verwunderung des Wärters, der mich durchden Spion beobachtete. Dort auf der Zelle konn-te ich auch mit einem Junkie über Jesus Christus

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sprechen. Nach der Entlassung kam ich nach Mün-chen und lernte dort Christen kennen, die mich inihre Gemeinschaft aufnahmen und mir zur Seitestanden.

Gott hat mir dort in München auch einen Arbeits-platz in einer Pizzeria geschenkt. Er hat mir gehol-fen und Freude und Gelingen bei der Arbeit gege-ben. Zum ersten Mal in meinem Leben bekam ichauch echten Urlaub, weil ich zum ersten Mal län-gere Zeit gearbeitet hatte. Welch eine Freude zuerleben, daß meine Hände nicht nur gebrauchtwurden, um einzubrechen, zu stehlen und Drogenzu drücken, sondern um zu helfen.

Dennoch war es nicht immer einfach, eine Vergan-genheit, wie ich sie hatte, zu bewältigen. Wunden,die soeben verheilt waren, brachen plötzlich wiederauf, und ich mußte leider auch einen Rückfall er-leben.

Ich fuhr von München nach Amsterdam, um Hero-in zu kaufen und zu spritzen. Wahrscheinlich kannkeiner meine Gefühle vor und nach dem Schuß ver-stehen und nachempfinden. Welch eine Schande,wenn einer, der von Jesus Christus befreit wordenist und Seine Freude und Seinen Frieden ge-schmeckt hat, wieder zur Nadel greift. Aber GottesLiebe und Gnade ist größer als unser Versagen. Alsich so in Amsterdam in einer Bar saß und Musik

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hörte, tauchten plötzlich Christen auf, die dort Pla-kate aufhängten. Mein ganzes Elend wurde mirdeutlich, aber auch die unbegreifliche Tatsache, daßkeiner mich aus der Hand des Vaters im Himmelreißen kann.

Ich erzählte den Christen, daß ich ein Kind Gottesund in Sünde gefallen sei. Sie beteten mit mir, undich bekannte meinen Rückfall dem Herrn. Als ichdarauf sofort zurück nach München fuhr, lagen dortmeine Glaubensgeschwister auf den Knien undbeteten für mich.

Von neuem durfte ich mich in die Nachfolge Jesubegeben. Noch keine Stunde habe ich seitdem mei-ne Bekehrung bereut, im Gegenteil. Mein Leben hatSinn und Ziel bekommen. Gott hat mich von denDrogen und anderen Gebundenheiten frei gemacht.Er hat mir ein Zuhause gegeben und ich weiß michgeborgen bei einem wunderbaren Gott, der alle Sei-ne Versprechen hält.

Wenn Du mit einem Dealer zu tun hast, woherwillst Du wissen, ob er Dir Rattengift oder Heroinangeboten und verkauft hat? Du glaubst ihm, ohnevorher zu untersuchen, ob er Dir wirklich Heroingegeben hat. Und wie viele sind dabei gelinkt wor-den und haben sich in den Tod geschossen.

Jesus Christus kannst Du vertrauen.

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Er lügt nicht, das haben unzählige Menschen in denvergangenen Jahrhunderten erfahren.

Auf Sein Wort habe ich mich verlassen und bin ausden Klauen der Sünde und Sucht gerettet worden.

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