Wortbildung

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  • 7/31/2019 Wortbildung

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    Wortbildung Grammatik der deutschen Gegenwartssprache Steinbach

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    Wortbildung

    Derivation und Komposition

    Sprachen verfgen ber die Mglichkeit, aus bestehenden Wrtern und Wortteilen neue

    Wrter zu bilden. Im Deutschen gibt es zwei zentrale Arten der Wortbildung, die Derivation

    (Ableitung) und die Komposition (Zusammensetzung).

    (i) Bei der Derivation bilden wir ein neues Wort, indem wir an ein Wort einenunselbstndigen Wortteil (ein sog. Derivationsaffix) anhngen: bei kindlich hngen

    wir z.B. an das Nomen Kinddas Derivationsaffix lich an. Das neue komplexe Wort

    ist ein Adjektiv.

    (ii) Bei der Komposition bilden wir ein neues Wort, indem wir zwei Wrterzusammensetzen:Rotwein setzt sich z.B. aus dem Adjektiv rotund dem Nomen Wein

    zu einem neuen komplexen Nomen zusammen.

    Bei hufig gebrauchten komplexen Wrtern stellt sich die Frage, ob sie Teil unseres

    (mentalen) Lexikons sind, oder ob sie jedes Mal mithilfe von Wortbildungsregeln fr

    Komposition und Derivation neu gebildet werden. Es scheint nicht unplausibel, anzunehmen,

    dass zumindest die hufig gebrauchten (usuellen) komplexen Wrter Teil des Lexikons sind,

    genauso wie die einfachen Wrter, die Affixe und natrlich die Wortbildungsregeln, die es

    uns ermglichen, aus vorhandenen Morphemen neue Wrter zu bilden. Okkasionelle und

    neue Wortbildungen sind im Gegensatz dazu nicht Bestandteil des Lexikons. Damit wrde

    unser Lexikon wie folgt aussehen:

    Das Lexikon enthlt:

    (a) Liste von Wurzeln und Affixen z.B.: lehr-, -er, Geld, ...

    (b) Liste von usuellen komplexen Wrtern z.B.:Lehrer, Lehrgeld, ...

    (c) Menge von Wortbildungsregeln z.B.: N V+Sx, N V+N, ...

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    Die Bausteine: Morpheme, Affixe und Wurzeln

    Morpheme knnen als die kleinsten bedeutungstragenden Einheiten definiert werden (oder als

    die kleinsten sprachlichen Zeichen, die eine bestimmte Lautung und mindestens eine

    auerphonologische (d.h. semantische, syntaktische ...) Funktion aufweisen).

    Einfache Wrter wie Kind, gelb oder unter, die nur aus einem Morphem bestehen, werden

    auch Wurzel genannt. Wurzeln sind normalerweise freie Morpheme. Jedes (einfache und

    komplexe) Wort enthlt mindestens ein Wurzelmorphem. An Wurzeln knnen gebundene

    Morpheme angehngt werden. Diese gebundenen Morpheme werden Affixe genannt. Der

    Wortteil, an den Affixe angehngt werden, wird oft auch Stamm oder Basis genannt. Affixe

    knnen nach ihrer Funktion in Derivationsaffixe und Flexionsaffixe unterteilt werden. In (1a)

    sind einige Beispiele fr Derivationsaffixe + Wurzel aufgefhrt und in (1b) fr Flexionsaffixe

    + Wurzel. Mithilfe von Derivationsaffixen lassen sich neue Wrter ableiten.

    (1) a. Morphem

    Wurzel Affix

    Derivationsaffix Flexionsaffix

    b. kind-lich, be-fahr (-en), krank-heit, un-schnc. sag-st, fahr-en, ge-trunk-en, Auto-s, Kind-es, schn-er

    Zudem lassen sie sich nach formalen Eigenschaften in Prfixe und Suffixe unterteilen.

    Prfixe wie ge-, ent-, ab-, un-, stehen vor der Wurzel (werden also links an die Wurzel

    angehngt), Suffixe wie -heit, -keit, -lich, -ling, stehen dagegen hinter der Wurzel (werden

    also rechts an die Wurzel angehngt). In (2b) sind einige Beispiele fr Derivationsprfixe +

    Wurzel aufgefhrt und in (2b) fr Derivationssuffixe + Wurzel.

    (2) a. Affix

    Prfix Suffix

    b. ent-zieh (-en), un-klug, Miss-gunst, unter-zieh (-en)

    c. Kind-heit, krnk-lich, trink-bar, vorsichts-halber

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    Die folgende Tabelle, die Fleischer und Barz (1995) entnommen ist, gibt einen berblick ber

    die verschiedenen Derivationsaffixe des Deutschen (jeweils ein typisches Affix ist

    fettgedruckt).

    (3) Derivationsaffixe im DeutschenPrfixe Suffixe

    Nativ Nicht-nativ Nativ Nicht-nativ

    Nomen erz-, ge-,

    haupt-, miss-,un-, ur-

    a-/an-, anti-, de-/des-, dis-, ex-,hyper-, in-,inter-, ko-/kon-

    /kol-, kom-,non-, pr-, pro-,re-, super-,trans-, ultra

    -bold, -chen, -de, -e,-(er/el)ei, -el, -er, -heit/-keit/-igkeit, -icht,-icht/-ian/jan, -i, -in,-lein, -ler, -ling, -ner,-nis, -rich, -s, -sal,-schaft, -sel, -t, -tel,-tum, -ung, -werk,

    -wesen

    -ament/-ement, -ant/-ent,-anz/-enz, -age, -ar/-r,-arium, -at, -aille, -ade,-asmus/-ismus, -ee, -esse,-elle, -ette, -(er)ie, -eur,-ier, -iere, -ier, -ik, -iker,-ine, -(at/t/x)ion, -ist,-(i)tt, -(at/it)or, -ose, -ur

    Adjektiv erz-, miss-,

    un-, ur-a-/an-, anti-, de-

    /des-/dis-, ex-,hyper-, in-/il-

    /im-/ir-, inter-,ko-/kon-/kor-,non-, par-, post-, pr-, pro-,super-, trans-,ultra-

    -bar, -e(r)n, -er, -fach,-haft, -icht, -ig, -isch, -lich, -los, -mig, -sam

    -abel/-ibel, -al/-ell, -ant/-ent, -ar/-r, -esk, -iv, -oid,-os/-s

    V

    erb ab-, an-, auf-,

    aus-, be-, bei-,

    dar-, ein-, ent-,er-, ge-, los-,miss-, nach-,ob-, ber-, um,unter-, ver-,vor-, wider-,zer-, zu-

    de-/des-/dis-,in-, inter-, ko-

    /kom-/kon-/kor-/kol-, pr-, re-,trans-

    -ig, -(is/ifiz)ier, -(e)l,-(e)r

    Adverb -dings, -ens, -halben/

    -halber, -hin, -lei,-lings, -mals, -maen,-s, -wrts, -weg, -weise

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    Fr manche Morpheme gibt es im Deutschen mehrere Varianten. So ist z.B. schul in (4a) eine

    Morphemvariante (ein Allomorph) von Schule, die durch Phonemtilgung zustande kommt.

    Eine Konsonantenalternation liegt bei den Prfixen il-, im-, in- und ir- in (4b) vor, die

    Prfixvarianten desselben Morphems sind. Die Morphemvarianten auge, aug, und ug in (4c)

    kommen durch Phonemtilgung und Vokalalternation zustande.

    (4) a. Schule, schul+isch; Auge, ug+lein, Aug+apfel

    b. il+legitim, im+potent, in+kompetent, ir+regulr

    c. Dorf, drf+lich; Band, bind+en

    Morphemvariation gibt es auch bei Flexionselementen. Im Deutschen sind z.B. die

    Flexionsmorpheme -e, -er -en, -n und -s Varianten eines abstrakten Pluralmorphems. Diese

    Morphemvarianten sind allerdings nicht wie die Bsp. in (4) phonologisch bedingt.

    Phonologisch bedingte Allomorphie ist in vielen Sprachen wie z.B. dem Englischen und dem

    Trkischen zu finden. Die Beispiele in (5) zeigen die Varianten des Pluralmorphems, das imEnglischen das phonologische Merkmal [stimmhaft] des vorangehenden Lauts assimiliert.

    Im Trkischen ist das relevante phonologische Merkmal, das der Vokal des Pluralmorphems

    assimiliert, [hinten].

    (5) a. dog dog-[z] (Hund/Hunde)

    cat cat-[s] (Katze/Katzen)

    house hous-[z] (Haus/Huser)

    b. ev ev-ler (Haus/Huser)

    gn gn-ler (Tag/Tage)

    adam adam-lar (Mann/Mnner)

    ocuk ocuk-lar (Kind/Kinder)

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    Derivation

    Bei der Derivation wird an eine Wurzel ein Derivationsaffix angehngt. Das Derviationsaffix

    kann (aber muss nicht) die Wortart ndern (vgl. (1)). Derivationsaffixe haben eine eigene

    Bedeutung, so dass sie immer die Bedeutung ndern, d.h., ein komplexes Wort hat eine

    andere Bedeutung als seine Wurzel.

    (1) a. Kind (Nomen) + lich = kindlich (Adjektiv)

    b. Kind (Nomen) + heit = Kindheit (Nomen)

    Da das Deutsche in der Wortbildung eine rechtskpfige Sprache ist, bestimmt immer das

    rechte Element die Eigenschaften des komplexen Worts. Dies kann man bei den folgenden

    beiden Komposita gut erkennen:

    (2) a. rot (Adjektiv) + Wein (Nomen) = Rotwein (Nomen)b. Wein (Nomen) + rot (Adjektiv) = weinrot (Adjektiv)

    Die Rechtskpfigkeit gilt auch fr Derivationsaffixe. Wird das Affix rechts an die Wurzel

    angefgt (handelt es sich also um ein Derivationssuffix), bestimmt es die Kategorie und die

    morphologischen Merkmale des komplexen Worts.

    (3) a. Das Derivationssuffix -lich macht z.B. aus Nomen, Adjektiven und Verben

    immer ein Adjektiv.

    b. Das Genus von Derivaten mit dem Derivationssuffixes heitist immer Femininum.c. Der Plural von Derivaten mit dem Derivationssuffixes ung wird immer mit

    en gebildet.

    Da Derivationsprfixe links an die Wurzel angefgt werden, knnen sie nie die Kategorie und

    die morphologischen Merkmale des komplexen Worts bestimmen.

    (4) a. Das Derivationsprfix be- verndert die Kategorie der Wurzel nicht (aus einem Verbwird wieder ein Verb).

    b. Das Genus von Derivaten mit dem Derivationsprfix un wird nicht vom Prfixbestimmt: der Unhold, die Untugend, das Unvermgen.

    c. Der Plural von Derivaten mit dem Derivationsprfix miss wird nicht vom Prfix

    bestimmt:Missverstndniss-e, Missernte-n, Misshandlung-en

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    Im Deutschen gibt es verbale, adjektivische und nominale Derivationsprfixe:

    (5) a. Verbale Prfixe: be-, ent-, er-, ge-, miss-, ver-, zer-

    b. Adjektivische Prfixe: erz-, miss-, un-, ur-

    c. Nominale Prfixe: erz-, ge-, haupt-, miss-, un-, ur-

    Derivationssuffixe knnen aus Nomen, Adjektiven und Verben Nomen, Adjektive, Verben

    und Adverbien ableiten. In (6) sind einige Beispiele aufgefhrt:

    (6) a. Verben Nomen: -er, -ung

    b. Adjektive Nomen: -e, -heit, -igkeit, -keit

    c. Nomen Nomen: -chen, -er, -in, -lein

    d. Verben Adjektive: -bar, -lich

    e. Adjektive Adjektive: -lich

    f. Nomen Adjektive: -ig, -isch, -lich, -los

    g. Nomen Verb: -ieren

    h. Verb Verb: -eln

    Derivate knnen wieder Ausgangspunkt fr weitere Ableitungen sein und sie knnen mit

    anderen Wrtern zusammengesetzt werden, so dass sich so komplexe Wrter wie in (7)

    ableiten lassen:

    (7) a. Fachbereichsratsvorsitzendenverordnungenb. Unfruchtbarkeitsgottheiten

    c. Ledersesselbeistelltischdeckchen

    d. Steuererhhungsbeschlussvorlagensitzungsprotokoll

    Komplexe Wrter haben eine interne Struktur. Das Wort Kindlichkeitbesteht z.B. aus drei

    Morphemen: Kind+lich+keit. Kind ist ein Nomen und die Wurzel des komplexen Wortes,

    -lich und -keitsind Suffixe. Die interne Struktur von komplexen Wrter lsst sich mithilfe von

    sog. Baumdiagrammen oder Klammernotationen darstellen.

    (8) a. N (N = Nomen)

    A DA (A = Adjektiv, DA = Derivationsaffix)

    N DA

    kind lich keit

    b. [N [A [N kind ] [DA lich ]] [DA keit ]]

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    Komposition

    Bei der Derivation werden zwei (oder mehr) Wurzeln zusammengesetzt. Da das Deutsche

    eine rechtskpfig Sprache ist, bestimmt (wie bei der Derivation) das rechte Element die

    Wortart des Kompositums (vgl. 1a). Werden z.B. zwei Nomen zusammengesetzt (N+N-

    Komposita), legt der rechte Teil fest, worauf sich das Kompositum bezieht (vgl. 1b).

    (1) a. Rotwein (= Nomen) vs. weinrot (= Adjektiv)

    b. Fensterglas (= Glas) vs. Glasfenster (= Fenster)

    Das Erstglied einer Komposition bestimmt das Zweitglied immer nher. Das Erstglied wird

    deshalb auch Bestimmungswort genannt und das Zweitglied Grundwort.

    (2) a. Lederschuh, Hausschuh, Kinderschuh, Fuballschuh

    b. Lederschuh, Lederjacke, Ledermtze, Ledermuseum, lederbraun

    Bei der Komposition wird das Erstglied nicht flektiert. Bei Verben, Nomen und Adjektiven

    wird nur der Stamm verwendet.

    (3) a. roter WeinRotwein

    b.Liebhaber von BchernBuchliebhaber

    c.Mcken, die stechenStechmcken

    Bei N+N-Komposita werden oft sogenannte Fugenmorpheme eingefgt. Fugenelemente sind

    Verbindungsstcke zwischen Morphemen, die nicht nur in Komposita vorkommen, sondern

    auch in Derivationen (z.B. hoffnung+s+los, sage+n+haft). Ihr Auftreten ist zum Teil

    phonologisch motiviert.

    (4) a. -e- Weg+e+zoll

    b. -en- Dozent+en+caf

    c. -ens- Herz+ens-wunsch

    d. -er- Bild+er+rahmen

    e. -es- Tag+es+gesprch

    f. -n- Bauer+n+hof

    g. -s- Kind+s+kopf

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    Auf den ersten Blick wirken die Fugenelemente wie Flexionselemente. In manchen Fllen

    knnte man ihnen auch eine Singular- oder Plurallesart oder eine Genitivlesart zuschreiben.

    (5) a. Hausfront vs. Hus+er+front Front der Huser

    b. Landeskonferenz vs. Lnd+er+konferenz Konferenz der Lnder

    c. Lehrer+s+gattin Gattin eines Lehrers

    d. Herz+ens+angelegenheit Angelegenh. des Herzens

    Im Deutschen wird allerdings nur am Wortende flektiert. Zudem bestimmt das Erstglied das

    Fugenelement nicht eindeutig, wie in (6) zu sehen ist.

    (6) a. Lwe+n+mhne, Lwe+n+maul, Lwe+n+zahn, Lwe+n+anteilb. Kind+frau, Kind+s+kopf, Kind+es+alter, Kind+er+wagen

    Auerdem finden sich viele Flle von falschem Plural (7a) und falschem Singular (7b) undsehr oft stimmen die Fugenelemente nicht mit den tatschlichen Flexionselementen berein

    (7c). So ist z.b. die Genitivform vonLiebe nicht der Liebes,sondern der Liebe.

    (7) a. Hhnerei, Brillengestell, Scheibenwischerb. Freundeskreis, Bischofskonferenz, Anwaltskammer

    b. Liebesbrief, Meinungsbild, Arbeitsamt, FreiheitswilleIm Deutschen gibt es die folgenden Haupttypen der Komposition:

    (i) Haupttypen der Nomen-Komposition

    Nomen-Komposition Beispiel

    N N+N Holz+haus, Elch+test, Kampf+hund

    N A+N Rot+licht, Gro+rechner, Bld+mann

    N V+N Web+stuhl, Misch+ehe, Kann+bestimmung

    N P+N Vor+geschmack, Neben+frau, Zwischen+deck

    (ii) Haupttypen der Adjektiv-Komposition

    Adjektiv-Komposition Beispiel

    A N + A haut+freundlich, sach+kundig, fleisch+farbig

    A A + A alt+klug, rosa+rot, rein+seiden

    A V + A rutsch+fest, trink+freudig

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    (iii) Haupttypen der Verb-KompositionVerb-Komposition Beispiel

    V N+V kopf+stehen, rad+fahren, stand+halten, bau+sparen

    V A+V lieb+ugeln, froh+locken

    V V+V sitzen+bleiben, liegen+lassen, kennen+lernen,

    schwing+schleifen

    Der N+V-Typ ist nicht unproblematisch, da es sich entweder um ein Verb und sein Objekt

    oder um Rckbildungen handelt (so ist z.B. das Verb bausparen aus dem N+N-Kompositum

    das Bausparen abgeleitet). Zudem verhalten sich viele N+V-Bildungen syntaktisch nicht wie

    normale Verben, da sie keine Verbzweitstellung zulassen.

    (8) a. Ich mag Peter, weil er viel bauspart/bergsteigt, eisluft

    b. *Peter bauspart/bergsteigt, eisluft viel

    c. *Peter spart viel bau/*steigt viel berg/?luft viel eis

    Zudem ist anzumerken, dass die verbale Wortbildung vor allem ber Prfigierung und

    Suffigierung geschieht.

    (iv) Haupttypen der Adverb-KompositionAdverb-Komposition Beispiel

    X + -her/-hinADV X=ADV: da+her, da+hin, berall+her, berall+hin, hinter+her

    X=ADJ: ferner+hin, weiter+hin

    X + PADV X=ADV: her+auf, hin+auf, da(r)+auf, hier+auf

    X=P: durch+aus

    X=A: frisch+auf

    X=N: berg+an

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    Die interne Struktur von Komposita lsst sich wieder mithilfe von Baumdiagrammen

    darstellen. (9) ist ein komplexes Nominalkompositum und ein Beispiel fr eine rekursive

    Anwendung der Kompositionsregel N + N N.

    (9) N

    N N

    N N N N

    Kampf hund wesen(s) test

    Mithilfe von Baumdiagrammen lassen sich auch ambige Wortbildungen wie

    Mdchenhandelsschule darstellen.

    (10) a. N

    N N

    N N

    N FM

    Mdchen handel s schule

    b. N

    N N

    N N

    N FM

    Mdchen handel s schule

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    Weitere Arten der Wortbildung

    (i) Konversion: In diesem Fall wird ein neues Wort ohne uerliche Vernderung (vgl. 1)

    oder mit innerer Abwandlung (Ablaut oder Umlaut) (vgl. 2) gebildet. Bildungen mit

    innerer Abwandlung werden auch als implizite Derivation bezeichnet.

    (1) a. V N schau+en Schau, lauf+en Lauf

    b. N V Fisch fisch+en, Nerv nerv+en

    c. A V leer leer+en, link link+en

    (2) werf+enWurf, sitz+en Sitz, entzieh+en Entzug

    (ii) Kontamination (Wortkreuzung, Kofferwort): Zwei Wrter so verschmolzen, dass

    Wortmaterial aus den Originalwrtern gelscht wird.

    (3) Brotel (Bro+Hotel), Ossimilierung (Ossi+Assimilierung), mainzigartig

    (Mainz+einzigartig), verschlimmbessern (verschlimmern+verbessern), jein (ja+nein)

    (iii) Krzung: Bei der Krzung wird Wortmaterial am Ende oder am Anfang derOriginalwrter getilgt. Hier kommt der Fall vor, dass aus einem komplexen Wort ein

    einfaches Wort mit der gleichen Bedeutung wird.

    (4) Uni (Universitt), Bus (Omnibus), [ich bekomme drei] Mohn (Mohnbrtchen)

    (iv) Abkrzung: Eine Folge von Lauten, die den Buchstabennamen entsprechen, wird

    einzeln ausgesprochen (z.B. [e:de'fau] frEDV). Es entsteht kein phonetisches Wort.

    (5) VW (Volkswagen(werk)), AKW (Atomkraftwerk),OB (Oberbrgermeister, ohne Befund...), Spvgg (Spielvereinigung)

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    (v) Akronym (Initialwort): Im Gegensatz zu Abkrzungen entsteht bei Akronymen ein

    neues phonetisches Wort (z.B. ['ba:fk] frBafg).

    (6) DIN (Deutsche Industrienorm), AIDS (acquired immunity deficiency syndrom),

    Grschaz (Grter Schuldenmacher aller Zeiten), Bafg (Bundesausbildungs-

    frderungsgesetz)

    (vi) Rckbildung: Es wird ein weniger komplexes Wort durch Lschung von

    Wortmaterial eines komplexen Originalwortes gebildet Auch hier handelt es sich um

    einen Prozess der Verkrzung. Bei Rckbildungen witd z.B. aus einem Kompositum

    wie Staubsaugerin (7), das ein nominalisiertes Verb enthlt, wieder ein Verb gebildet.

    (7) urauffhren (aus: Urauffhrung), staubsaugen (aus: Staubsauger)

    (vii) Zusammenbildung: Dreigliedrige Wortbildungen der Form S1S2S3 oder S1S2Su mit S

    = Stamm, Su = Suffix, wobei *S1S2 und *S2S3 bzw. S2Su (in semantischer

    Verwandtschaft) nicht frei vorkommen.

    (8) a. zielstrebig = ziel + steb + ig

    b. [[ ziel + streb ] + ig ] Problem:zielstreb exisiert nicht

    c. [ ziel + [ streb + ig ]] Problem: strebig exisiert nicht

    (9) a. Schriftsteller, Grundsteinlegung, Vogelscheuche; Leisetreterb.handgreiflich, halsbrecherisch, hausbacken

    c.zeitlebens; beiderseits; niemals

    (viii) Partikelverben: Verbindung von Verb und Partikel/Prverb, die einerseits anders als

    Prfixverben syntaktisch (10.b) und morphologisch (10c.) getrennt werden kann,

    andererseits aber wie Prfixverben Input fr Wortbildungsprozesse (10.d) sein kann.

    (10) a. angeben, anfreunden, eislaufen, kaputtlachen, totschlagen,

    b. weil er wieder angibt aber Er gibt wieder an weil er wieder alles versteht aber Er versteht alles

    c. anzugeben, angegeben aber zu begren, begrt

    d. Angeber, Eislufer, Kaputtgelache, Totschlger, Totschlag,

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    Wortbildung und Semantik

    Im Folgenden soll anhand des er-Suffixes und der Nominalkomposition kurz die Semantik

    von Wortbildungsprozessen illustriert werden.

    (i) Derivation: daser-Suffix

    Wenn in die Wortbildungsregel N V+ Naffr V das Element weckund fr Nafdas Element

    ereingesetzt wird, erhlt man die Wortbildung Wecker.

    (1) N

    V Naf

    weck er

    Das Wort Wecker kann sich entweder auf jemanden beziehen, der einen anderen weckt

    (Nomen agentis) oder auf ein Gert, das jemanden weckt (Nomen instrumenti).

    In (2) ist der Lexikoneintrag des er-Suffixes angegeben, der seine phonologischen.

    morphologischen, syntaktischen (kombinatorischen) und semantischen Eigenschaften festhlt.

    Aus diesem Lexikoneintrag ergibt sich auch die Bedeutung des Derivats in (1), dessen Kopf

    das Suffix ist.

    (2) Lexikoneintrag fr daser-Suffix

    -erPhonologie //

    Morphologie maskulin; -PluralSyntax Naf

    [V__]Semantik AGENS oder INSTRUMENT, das die V-Handlung ausfhrt

    Das er-Suffix wird in (2) etwas vereinfacht als (nominales) Affix charakterisiert, das an

    verbale Basen tritt und maskuline Nomen der -Pluralklasse macht. Die Bedeutungsangabe

    ist so zu verstehen, dass er-Derivate entweder Nomen instrumenti wie in (1) oder Nomen

    agentis wie z.B. in Fahrersind.

    (ii) Komposition: N+N-Komposita

    Bei der Interpretation von N+N-Komposita gibt es oft mehrere Mglichkeiten. Zum Beispiel

    kannHolzhaus als Haus, das aus Holz hergestellt ist oder als Haus, in dem Holz aufbewahrt

    ist interpretiert werden.

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    Die Interpretation von N+N-Komposita erfolgt (a) aufgrund inhrenter semantischer

    Eigenschaften des Zweitglieds (bei relationalen Nomen) und (b) aufgrund bestimmter

    Grundrelationen zwischen dem Zweitglied und dem Erstglied.

    (a) Handelt es sich beim Zweitglied um ein deverbales Nomen, dann kann das Erstglied als

    Objekt des zugrundeliegenden Verbs interpretiert werden (vgl. 3a). Handelt es sich um ein

    relationales Nomen, dann kann eine Bildung wie Professorensohn in (3b) so interpretiert

    werden, dass es sich um den Sohn eines Professors handelt (und nicht etwa um einen Sohn,

    der etwas mit einem Professor - der nicht sein Vater ist - zu tun hat). Verlangt das Zweitglied

    normalerweise ein prpositionales Komplement, dann wird das Erstglied als nominaler Teil

    dieses Komplements interpretiert (in (3c) z.B. PrfungsangstalsAngst vor Prfung).

    (3) a. Steuererstattung, Kindererziehung, Filmemacher, Obstverkufer, Reisebeginn

    b. Professorensohn, Hardrockfan, Kuchenhlfte, Kserest

    c. Prfungsangst, Kinderliebe, Friedenssehnsucht

    (b) Neben den Eigenschaften des Zweitglieds helfen uns auch semantische Grundrelationen.

    Wir knnen eine Bedeutungsrelation in N+N-Komposita einerseits ausgehend von der

    Bedeutung der beteiligten Glieder und Annahmen ber die stereotypische Bedeutung von

    Wrtern etablieren. So gehrt z.B. zu unseren Annahmen ber eine Fabrik, dass diese etwas

    produziert. Deshalb knnen wir Nagelfabrikals Fabrik, die Ngel produziert, interpretieren.

    Anderseits gibt es eine Reihe von typischen Grundrelationen, die immer von dem Zweitglied

    (dem Kopf) ausgeht.

    (4) Semantische Grundrelationen bei N+N-Komposita (Fandrych/Thurmair 1994)SITUATION Das Zweitglied steht in lokaleroder temporaler Relation zum Erstglied.

    Stadtautobahn, Gartenbrunnen; Gartentr,Mondrakete; Erdl, Fabriknagel; Mittagessen, Abendkonzert

    SITUATION-URHEBER Das Zweitgliedsteht in kausaler Relation zum Erstglied.

    Feuerschaden, Polizeirazzia, Brecht-Gedicht

    KONSTITUTION Das Zweitglied hat dasErstglied als konstitutiven Bestandteil.

    Holztisch, Goldring, Glasflasche; Henkeltasse, Nusskuchen, Giebelhaus; Wrfelzucker, Zitronenfalter, Milchglas

    KONSTITUTION-THEMA Das Zweitgliedhat das Erstglied als konstitutiventhematischen Bereich.

    Tierbuch, Friedenszeichen; Verkehrsministerium, Rektorenkonferenz

    ZWECK Das Zweitglied wird bezglich

    seines Anwendungsbereichs (Erstglied)bestimmt.

    Arbeitstisch, Malerpinsel, Schulranzen; Schmerztablette, Hustensaft, Windjacke

    INSTRUMENT Das Zweitglied wird in seinerFunktionsweise durch das Erstgliedcharakterisiert.

    Benzinmotor, Handbremse,Windmhle, Dampfkochtopf