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5 Epilog: Das Gesetz des Sophokles Im Jahr 307/6 v. Chr. führte ein von einem gewissen Sophokles eingebrachtes Gesetz zur Schließung der Philosophenschulen in Athen und zum vorüberge- henden Exil von deren herausragendsten Vertretern. 1 Als zugleich umfang- reichste und letzte Verfolgungsmaßnahme gegen Philosophen in Athen steht es am Ende dieser Arbeit. Dabei sollen im Folgenden zum einen die historischen Umstände beleuchtet werden, die zu dem Gesetz geführt haben. Wie schon bei der Betrachtung der Asebie-Verfahren geht es aber vor allem um die Frage, was uns die Ereignisse über Inhalt und Relevanz des antiphilosophischen Diskurses in Athen verraten können. Das Sophokles-Gesetz wurde nur wenige Monate nach dem Sturz des Demetrios von Phaleron verabschiedet. Athen war zum Spielball in den Machtkämpfen der Diadochen geworden: Demetrios hatte die Stadt zehn Jahre lang als ‚Sachwal- ter‘ (ἐπιμελητής) des makedonischen Feldherrn Kassander regiert. Als dessen Gegner Demetrios Poliorketes Athen 307 v. Chr. eroberte, bedeutete das das Ende der Herrschaft des Phalereers. 2 Wie O’Sullivan gezeigt hat, war dessen Regierung keineswegs so antidemokratisch, wie es die Forschung – auch im Anschluss an das negative Demetrios-Bild der Quellen – zum Teil angenommen hat. 3 Auch ging es dem Peripatetiker Demetrios wahrscheinlich nicht um die Umsetzung eines philosophisch inspirierten Reformprogramms. 4 Dennoch spielten beide Punkte in den innenpolitischen Auseinandersetzungen, die auf seinen Sturz folgten, eine wichtige Rolle. Demetrios und seine Verbündeten galten als Freunde der Makedonen und damit als Feinde der athenischen Frei- heit – wobei man auf eine seit Längerem etablierte Diskurstradition zurückgrei- fen konnte. 5 Zugleich erinnerte man sich an die guten Kontakte zwischen De- metrios und den in der Stadt ansässigen Philosophen, insbesondere den Peripatetikern. 6 Vor diesem Hintergrund ist es zu verstehen, dass auch die Phi- losophen ins Visier der Auseinandersetzungen gerieten. || 1 Zum Gesetz des Sophokles vgl. Düring 1941, 149; Clarke 1971, 61 f.; Fischer 1967, 87 f.; Ha- bicht 1994, 236–238; Korhonen 1997, 75–83; O’Sullivan 2002, bes. 251–253; 2009, 203–215; Haake 2007, 16–43; 2008. Zum historischen Kontext vgl. Haake 2007, 16–19; 2008, 90 f. 2 Vgl. Haake 2007, 16 f.; O’Sullivan 2009, 276–278. 3 O’Sullivan 2009, 105–163. 4 O’Sullivan 2009, 197–203; vgl. Gehrke 1978; Haake 2008, 98. Zur Person und zum Lebens- weg des Demetrios vgl. auch Gottschalk 2000. 5 Vgl. Haake 2007, 17–19. 6 Vgl. O’Sullivan 2009, 226–235. Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst Library Authenticated | 10.248.254.158 Download Date | 9/14/14 9:50 PM

Wortverdreher, Sonderlinge, Gottlose (Kritik an Philosophie und Rhetorik im klassischen Athen) || 5. Epilog: Das Gesetz des Sophokles

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  • 5 Epilog: Das Gesetz des Sophokles

    Im Jahr 307/6 v. Chr. fhrte ein von einem gewissen Sophokles eingebrachtes Gesetz zur Schlieung der Philosophenschulen in Athen und zum vorberge-henden Exil von deren herausragendsten Vertretern.1 Als zugleich umfang-reichste und letzte Verfolgungsmanahme gegen Philosophen in Athen steht es am Ende dieser Arbeit. Dabei sollen im Folgenden zum einen die historischen Umstnde beleuchtet werden, die zu dem Gesetz gefhrt haben. Wie schon bei der Betrachtung der Asebie-Verfahren geht es aber vor allem um die Frage, was uns die Ereignisse ber Inhalt und Relevanz des antiphilosophischen Diskurses in Athen verraten knnen. Das Sophokles-Gesetz wurde nur wenige Monate nach dem Sturz des Demetrios von Phaleron verabschiedet. Athen war zum Spielball in den Machtkmpfen der Diadochen geworden: Demetrios hatte die Stadt zehn Jahre lang als Sachwal-ter () des makedonischen Feldherrn Kassander regiert. Als dessen Gegner Demetrios Poliorketes Athen 307 v. Chr. eroberte, bedeutete das das Ende der Herrschaft des Phalereers.2 Wie OSullivan gezeigt hat, war dessen Regierung keineswegs so antidemokratisch, wie es die Forschung auch im Anschluss an das negative Demetrios-Bild der Quellen zum Teil angenommen hat.3 Auch ging es dem Peripatetiker Demetrios wahrscheinlich nicht um die Umsetzung eines philosophisch inspirierten Reformprogramms.4 Dennoch spielten beide Punkte in den innenpolitischen Auseinandersetzungen, die auf seinen Sturz folgten, eine wichtige Rolle. Demetrios und seine Verbndeten galten als Freunde der Makedonen und damit als Feinde der athenischen Frei-heit wobei man auf eine seit Lngerem etablierte Diskurstradition zurckgrei-fen konnte.5 Zugleich erinnerte man sich an die guten Kontakte zwischen De-metrios und den in der Stadt ansssigen Philosophen, insbesondere den Peripatetikern.6 Vor diesem Hintergrund ist es zu verstehen, dass auch die Phi-losophen ins Visier der Auseinandersetzungen gerieten.

    || 1 Zum Gesetz des Sophokles vgl. Dring 1941, 149; Clarke 1971, 61 f.; Fischer 1967, 87 f.; Ha-bicht 1994, 236238; Korhonen 1997, 7583; OSullivan 2002, bes. 251253; 2009, 203215; Haake 2007, 1643; 2008. Zum historischen Kontext vgl. Haake 2007, 1619; 2008, 90 f. 2 Vgl. Haake 2007, 16 f.; OSullivan 2009, 276278. 3 OSullivan 2009, 105163. 4 OSullivan 2009, 197203; vgl. Gehrke 1978; Haake 2008, 98. Zur Person und zum Lebens-weg des Demetrios vgl. auch Gottschalk 2000. 5 Vgl. Haake 2007, 1719. 6 Vgl. OSullivan 2009, 226235.

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  • Epilog: Das Gesetz des Sophokles | 335

    Ein auf Antrag des Sophokles von den Athenern beschlossenes Gesetz () sah nach Pollux vor, da es keinem der Sophisten erlaubt ist, eine Schule zu grnden.7 Etwas weniger scharf heit es bei Diogenes Laertius, kein Philosoph solle eine Schule leiten ohne Beschluss durch Rat und Volksver-sammlung.8 Doch auch wenn es demnach so scheinen knnte, dass die Philo-sophen ihre Schule nun gleichsam nur amtlich eintragen lassen mussten, so war dies offensichtlich weder die Intention noch die Wirkung des Gesetzes. Ob einzelne Philosophenschulen mit Genehmigung der Stadt weiter geffnet blieben, wissen wir nicht.9 Wenn ja, wurden solche Genehmigungen jedoch nur sprlich erteilt. Das Gesetz hatte in erster Linie den Charakter eines Verbots der Schulen. Jedenfalls berichtet Diogenes, dass Theophrast wie alle brigen Phi-losophen ( ) Attika verlassen musste (). Nach Athenaios wurden sie vertrieben () und nach einem Komdien-Fragment des Alexis gar zum Teufel gejagt ( ).10 Auffllig ist, dass sich die Manahme nicht gegen eine bestimmte Philosophenschule, etwa den Peripatos, richtete, sondern gegen alle Philosophen.11 Alexis erwhnt in diesem Zusammenhang ausdrcklich die Akademie des Xenokrates (auch wenn dieser zu diesem Zeitpunkt schon mehrere Jahre tot war und Polemon die Lei-tung der Schule bernommen hatte12). Dass die Volksversammlung Sophokles bei seinem Antrag folgte, kann durchaus berraschen. Schlielich waren die Philosophen seit Lngerem ein fester Faktor im kulturellen und geistigen Leben der Stadt und bei allem Misstrauen ihnen gegenber war man nur in seltenen Fllen gesetzlich gegen sie vorgegangen. Worin liegt also die Erklrung fr eine so weitreichende Manahme?

    Bei Alexis heit es, den Gesetzgebern ( ) sei zu danken, weil sie die, die den jungen Leuten, wie man sagt, die Macht der Worte beige-

    || 7 Poll. 9,42: , , (bersetzung bei Haake 2007, 22). Dem Begriff kommt hier wohl keine besondere Signifikanz zu, die ihn vom unterscheiden wr-de, von dem in den anderen Quellen die Rede ist; vgl. dazu Haake, 2224. 8 Diog. Laert. 5,38 (bersetzung Apelt): , . 9 Vgl. zu dieser Mglichkeit OSullivan 2009, 214. 10 Athen. 13,610e; Alexis fr. 99 ap. Athen. 13,610e. 11 Athen. 13,610e: ; vgl. Diog. Laert. 5,38: ; Poll. 9,42: . 12 Vgl. Haake 2007, 2628; 2008, 96.

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  • 336 | Epilog: Das Gesetz des Sophokles

    bracht haben, aus dem Land gejagt htten.13 Dass die Philosophen die Jugend verdarben, indem sie sie die Macht des lehrten, ist ein gngiger Topos des antiphilosophischen Diskurses. Darunter ist nicht nur die Kunst der ffentli-chen Rede, sondern auch die des Denkens und Argumentierens zu verstehen, mit der man oft das Potenzial verbunden sah, gngige berzeugungen, Werte und Autoritten in Frage zu stellen. Die Formulierung des Alexis lsst sich nicht auf eine bestimmte Gruppe unter den Philosophen oder nur die Rhetoriklehrer beziehen, sondern meint allgemein die Vertreter der modernen Geistesbildung. Es ist allerdings nicht anzunehmen, dass Alexis die konkrete Motivation des Gesetzes angibt. Die Figur im Stck bringt nicht notwendig den Standpunkt des Sophokles zum Ausdruck, sondern formuliert aus eigener Sicht, worin die heil-same Wirkung des Gesetzes bestanden habe.

    Die Grnde fr das Gesetz sind also anderswo zu suchen. Aufschlussreich sind in diesem Zusammenhang einige leider nur fragmentarisch und indirekt erhaltene uerungen aus einer Rede des Demochares, mit der er das Gesetz des Sophokles vor Gericht verteidigte. Schon ein Jahr spter wurde Sophokles von einem gewissen Philon mit einer belangt, weil er einen rechtswidrigen Antrag eingebracht habe.14 Daraufhin hatten, wie Diogenes Laertius berichtet, die Athener das Gesetz wieder aufgehoben, dem Sophokles eine Strafe von fnf Talenten auferlegt und den Philosophen die Rckkehr ge-stattet.15 Als Grundlage der Paranomie-Klage wird von der Forschung allge-mein ein solonisches Gesetz angenommen, wonach Brger, die sich zu Vereini-gungen als welche auch die Philosophenschulen gelten konnten16 zusammenschlossen, ungehindert Regelungen untereinander treffen [durften], die dies betreffen, und diese Regelungen Gltigkeit besitzen [sollten], wenn

    || 13 Alexis fr. 99 ap. Athen. 13,610e (eigene bersetzung): [] / , / , / . 14 Diog. Laert. 5,38: . 15 Diog. Laert. 5,38 (bersetzung Apelt): , ; vgl. Athen. 13,610 f. 16 Nach Lynch (1972) waren die Philosophenschulen secular organizations formed for an educational purpose (128; vgl. 127129). Zugleich hat er sich mit guten Argumenten gegen die zuerst von Wilamowitz prominent vertretene These ausgesprochen, die Schulen seien zu-mindest organisatorisch gesehen , also Musenkulte, gewesen (108127). Ihm folgen Habicht 1994, 232; Haake 2007, 31 f.; 2008, 104 f. Zu dieser Frage vgl. auch Clarke 1971, 59 f.; Dorandi 1999, 55 f.

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  • Epilog: Das Gesetz des Sophokles | 337

    es nicht durch ffentliche Beschlsse verboten ist.17 Dass dieses Gesetz tatsch-lich als Begrndung von Philons Klage gedient hat, ist zwar mglich, aber nicht mit Sicherheit anzunehmen: Schlielich beinhaltete das Gesetz in der Form, in der es (erst spt) in den Digesta wiedergegeben wird durchaus die Ein-schrnkung, dass die Freiheit der Vereinigungen durch ffentliche Beschlsse eingeschrnkt werden konnte.

    Auerdem bezog sich die Garantie, sich frei in Vereinigungen bettigen zu drfen, wohl primr auf athenische Brger und kann nicht ohne Weiteres auf Fremde bertragen werden. Polemon, zu dieser Zeit der Scholarch der Akade-mie, war zwar gebrtiger Athener.18 Viele Philosophen und so auch die beiden, die in unseren Quellen explizit erwhnt werden, nmlich der Peripatetiker Theophrast und der Akademiker Xenokrates, waren jedoch keine Brger der Stadt.19 Mogens Hansen weist auerdem darauf hin, dass eine Paranomie-Klage im 4. Jahrhundert aus durchaus unterschiedlichen Grnden angestrengt werden konnte: The accusation was either that the degree was unconstitutional, for-mally or materially, or that it was undesirable and damaging to the interests of the people.20 Die Widerrechtlichkeit des Gesetzes kann also auch eher abs-trakt21 oder mit einem Verfahrensfehler bei seiner Beschlieung begrndet worden sein.22 Dass Sophokles ein Angriff auf die Vereinsfreiheit in Athen vor-

    || 17 Dig. 47,22,4 (bersetzung bei Haake 2007, 30 f. [mit abweichender Rekonstruktion des griechischen Textes, was die aufgezhlten Vereinsformen betrifft]): , , , . Vgl. Lynch 1972, 117; Habicht 1994, 237; Korhonen 1997, 8082; Haake 2007, 3032; 2008, 103105. 18 Vgl. Diog. Laert. 4,16. 19 Theophrast stammte aus Erosos auf Lesbos (vgl. Diog. Laert. 5,36), Xenokrates, der von Alexis erwhnt wird, aus Chalkedon an der kleinasiatischen Kste (vgl. Diog. Laert. 4,6). Auf Theophrasts Fremdenstatus bezieht sich auch die Information bei Diogenes, er habe nach des Aristoteles Tod auch einen eigenen Garten erworben unter Beihilfe des Phalereers Demetrios (5,39 [bersetzung Apelt]: , [] ) und so dem Peripatos einen festen Versammlungsort geschaffen; denn eigentlich konnten nur Athener Brger Grund und Boden in Attika erwerben. Der Peripatos profitierte also nicht unerheblich von Demtrios Un-tersttzung. Zu diesem Vorgang und seiner Bedeutung fr die organisatorische Entwicklung der Philosophenschulen vgl. Clarke 1971, 61; Lynch 1972, 98 f.; OSullivan 2002, 254261. 20 Hansen 1999, 206 (meine Hervorhebungen). 21 Vgl. Hansen 1999, 206 f. 22 Hansen 1999, 206: A decree was formally unconstitutional if, for example, it was proposed by a citizen who had undergone atimia, or if had been put to the Assembly without a

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  • 338 | Epilog: Das Gesetz des Sophokles

    geworfen wurde, ist nur einer von mehreren mglichen Grnden fr die Kassie-rung des Gesetzes.23

    So bemhte sich Demochares in seiner Verteidigungsrede fr Sophokles soweit die sprlichen Fragmente ein Urteil zulassen auch nicht um den Nach-weis, dass das Gesetz formaljuristisch korrekt, sondern dass es inhaltlich ge-rechtfertigt war.24 Die Rede ist leider nur spt und indirekt berliefert: Athenaios in seinem Gelehrtenmahl und Eusebius in der Praeperatio Evangelica geben einige Argumente wieder. Athenaios etwa zitiert den folgenden Ausspruch des Demochares, der wahrscheinlich aus der Rede stammt: Genau wie aus Boh-nenkraut niemand einen Speer machen kann, so auch aus Sokrates keinen un-tadeligen General.25 Athenaios verweist in diesem Zusammenhang auf die Dar-stellung in Platons Apologie, wonach Sokrates zwar nicht nach hheren militrischen Ehren gestrebt, sich aber im Feld tapfer bewhrt habe.26 Demochares hat anscheinend diese Darstellung aufgegriffen und in Frage ge-stellt. Jedenfalls ging es ihm in seiner Rede offenkundig darum, Sokrates und andere Philosophen als schlechte Brger darzustellen, die weder dem Gemein-wohl dienten noch sich mit den Werten der Polis identifizierten. Dass er dabei auch auf Sokrates, der immerhin seit fast 100 Jahren tot war, Bezug nimmt, lsst sich auf vielerlei Weise deuten: Seine Rede war vermutlich ein Rundumschlag gegen die Philosophie, mit dem er zeigen wollte, dass die Philosophen der Polis nicht nur jetzt, sondern schon immer schadeten. So bezeichnet Eusebius die Rede ganz allgemein als Anklage der Philosophen (

    || probouleumata. Zur Paranomie-Klage vgl. auch Bleicken 1995, 212, 386; Hansen 1999, 205212; Nippel 2008, 7882. 23 Skeptisch ist auch Clarke 1971, 62: a graphe paranomon was not necesserily based on purely legal considerations. [] Clearly this was primarily a political case, and it is unlikely that much consideration was given to such nice questions as the rights of corporations. 24 Zur Rede des Demochares vgl. Dring 1941, 150 f.; Korhonen 1997, 78 f.; Haake 2007, 3240; 2008, 101103; 2009, 123; OSullivan 2009, 215217. 25 Athen. Deipn. 5,215c (eigene bersetzung): [ ] , . Vgl. Haake 2007, 38 f. An anderer Stelle im selben Buch heit es: , , (187d). Nach Athenaios habe Platon andere Autoren lcherlich und verchtlich gemacht (dies ist das Thema des gesamten Abschnitts), Alkibiades im Symposion (vgl. auch 11,506bc) in lsternem Zu-stand auftreten lassen und Homer aus seiner Politeia verbannt (187c) mit solchen Reden werde man kein ehrenwerter Mann. Die textliche bereinstimmung mit dem 215c angefhrten Demochares-Zitat weist allerdings darauf hin, dass Athenaios hier wohl nur die Wendung (wie aus Bohnenkraut kein Speer wird, so auch ) von diesem bernommen hat, die Polemik gegen die Reden Platons aber von ihm selbst (bzw. aus anderen Quellen) stammt. 26 Vgl. Plat. Apol. 28e.

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  • Epilog: Das Gesetz des Sophokles | 339

    ).27 Auerdem war Sokrates nach wie vor die Galionsfigur vieler Philosophen auch im spten 4. Jahrhundert, der Akademiker wie der Peripateti-ker gleichermaen. Und schlielich wollte Demochares vielleicht auch den Nachweis fhren, dass Sokrates nicht zu Unrecht verurteilt worden war, um das aktuelle Vorgehen gegen die Philosophen in einem besseren Licht erscheinen zu lassen. In erster Linie geht es ihm um die politische Unzuverlssigkeit der Philosophen, die sich hier auf militrischem Gebiet gezeigt habe.

    Als weiteres Beispiel dieser Unzuverlssigkeit fhrt Athenaios aus der Demochares-Rede an anderer Stelle Euaion von Lampsakos an.28 Dieser habe seiner Heimatstadt Geld geliehen und dafr die Akropolis als Pfand genommen. Als man ihm das Geld nicht zurckzahlen wollte oder konnte (), wollte er sich zum Tyrannen machen ( ). Doch stellten sich seine Mitbrger gegen ihn, zahlten ihm das Geld zurck und trieben ihn aus der Stadt. Die genaueren Details wie auch der Zeitpunkt der Vorgnge sind nicht zu klren. Wie Trampedach feststellt, htte Euaion einen recht ungewhn-lichen Weg gewhlt, wenn er sich wirklich zum Tyrannen machen wollte.29 Der Vorwurf eignete sich zwar sehr gut dazu, den politischen Gegner zu diskreditie-ren, ist aber an sich noch kein Beweis dafr, dass Euaion von Anfang an oder berhaupt ein solches Ziel verfolgt htte. Zumindest das Gercht blieb aber mit seinem Namen verbunden und lie sich nun gegen die Akademie instru-mentalisieren. Doch wo liegt die Verbindung zwischen dieser innenpolitischen Auseinandersetzung in einer Stadt am Hellespont und dem Verbot der Philoso-phenschulen in Athen? Von Diogenes Laertius wird Euaion als einer von Pla-tons Schlern () gefhrt.30 Das heit zum einen, dass der Vorgang wohl schon einige Zeit zurcklag, schlielich war Platon, als Demochares seine Rede hielt, seit vier Jahrzehnten tot.31 Zum anderen ist in der antiken Literatur ein notorisch vager Begriff. Er kann sich zwar auf ein Schlerverhlt-nis im engeren Sinne beziehen. Doch wurde oft auch jemand, der eine Philoso-

    || 27 Eus. PE 15,2,6: Er hat nmlich nicht nur ber Aristoteles, sondern auch ber alle anderen [Philosophen] schlecht geredet (eigene bersetzung; , ). 28 Athen. 11,508 f.; vgl. Haake 2007, 34 f. Zu Euaion vgl. Chroust 1967, 38; Trampedach 1994, 62. Als Quelle verweist Athenaios neben der Demochares-Rede auf Eurypylos und Dikaiokles von Knidos. 29 Trampedach 1994, 62. 30 Diog. Laert. 3,46. 31 Natrlich kann Euaion auch nach Platons Tod mit der Akademie in Kontakt gestanden haben. Seine Verbindung zu Platon ist allerdings der einzige, wenn auch vage Anhaltspunkt fr die Datierung seines Lebens.

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  • 340 | Epilog: Das Gesetz des Sophokles

    phenschule vielleicht nur kurz besucht hatte oder allgemein in intellektuellem oder sonstigem Kontakt zu einem bekannten Philosophen stand, zu dessen Schler erklrt.

    Es ist also nicht belegt, dass Euaion tatschlich eine fundierte philosophi-sche Ausbildung in der Akademie absolviert hat. Schon gar nicht ist davon aus-zugehen, dass diese Ausbildung oder seine Kontakte zur platonischen Schule dafr verantwortlich gewesen wren, dass er wenn es denn stimmt in Lampsakos nach der Tyrannis gegriffen hat. In attischen Gerichtsreden reichte es oft aus, den Gegner mit einer mehr oder minder bekannten Persnlichkeit in Verbindung zu bringen, die aus demokratischer Sicht politisch suspekt war, um damit auch diesen selbst zu diskreditieren. Damit wird dann zwar suggeriert, dass der Gegner irgendwie mitverantwortlich sei fr die (angeblichen oder tatschlichen) Vergehen seiner (angeblichen oder tatschlichen) Freunde oder, schlimmer noch, auch selbst dazu fhig wre.32 Einen tatschlichen Kau-salzusammenhang zwischen den Handlungen des Euaion und dem Wirken der Akademie kann das aber offenkundig nicht belegen.

    hnlich steht es mit einem weiteren Schler Platons, Timolaos aus Kyzikos, dessen Fall Demochares ebenfalls gegen die Akademiker ins Feld fhr-te. Dieser habe sich mit Hilfe von Arrhidaios an der Verfassung zu schaffen gemacht ( ).33 Auch hier liegen die Details weit-gehend im Dunkeln. Arrhidaios hatte die Provinz Phrygien 321 zugesprochen bekommen und war nun bestrebt, seine Macht unter anderem dadurch zu befes-tigen, dass er in Kyzikos eine Garnison installierte was ihm die Einwohner allerdings verweigerten.34 Trampedachs Einschtzung, da Arrhidaios hoffte, die Stadt durch Untersttzung eines angesehenen Brgers, der ihm verpflichtet war, [nmlich Timolaos] unter seine Kontrolle zu bringen, erscheint plausibel. Dass es sich dabei um einen Putschversuch handelte (wie er ebenfalls schreibt), ist jedoch nicht notwendig anzunehmen. Die vergleichsweise milde Strafe Timolaos wurde zwar verurteilt, verlor anscheinend auch seine Brger-rechte ( ), lebte aber bis ins hohe Alter weiter in seiner Heimatstadt deutet eher darauf hin, dass er mit friedlichen Mitteln im

    || 32 Zum Verweis auf die Freunde als belastendes Argument vor Gericht vgl. [Aristot.] Rhet. Alex. 7,912. 33 Athen. Deipn. 11,509a (eigene bersetzung). Vgl. Chroust 1967, 37 f.; Haake 2007, 35. Der Athenaios-Text nennt zwar Timaios von Kyzikos, doch drfte damit Timolaos von Kyzikos gemeint sein, der auch bei Diog. Laert. 3,46 als Schler Platons bezeichnet wird; vgl. dazu Trampedach 1994, 62 Anm. 7. 34 Zu den Details (mit Belegen) vgl. Trampedach 1994, 6264. Er datiert die Ereignisse in die Jahre 320/19 v. Chr.

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  • Epilog: Das Gesetz des Sophokles | 341

    Interesse des Arrhidaios wie auch in seinem eigenen eine Verfassungsnderung angestrebt hatte (die oft mit einer auenpolitischen Umorientierung einher-ging). Was Timolaos konkrete Intentionen waren und ob er nach der Tyrannis strebte, wissen wir nicht. Auch in diesem Fall verwies Demochares auf eine nicht nher zu bestimmende Verbindung des Timolaos zur Akademie, um diese als Ausbildungssttte von Tyrannen zu brandmarken. Dabei ist jedoch erneut festzustellen, dass eine konkrete Verwicklung der Akademie in die Vor-gnge in Kyzikos weder belegt noch besonders wahrscheinlich ist.

    Als weiteres Beispiel fr einen zum Tyrannen gewordenen angeblichen Akademiker wird bei Athenaios noch Chairon von Pellene angefhrt, doch stammt dieses Beispiel auch wenn es inhaltlich durchaus passen wrde m. E. aus textlichen Grnden nicht mehr aus der Rede, sondern wurde von Athenaios (aus welcher Quelle auch immer) Demochares Reihe akademischer Tyrannen hinzugefgt.35 Das Fazit hingegen, das bei Athenaios direkt auf die

    || 35 Athen. 11,509ab; zur Stelle vgl. Chroust 1967, 37; Trampedach 1994, 64 f.; Haake 2007, 35 f.; OSullivan 2009, 217. Gegen Demochares als Quelle fr die Geschichte Chairons sprechen m. E. drei Punkte: Erstens ist der vorangehende von Demochares stammende Satz im Pr-senz formuliert und spricht von Akademikern, die jetzt () lebten und die auerdem all-gemein angesehen () seien. Chairon hatte jedoch die Macht in Pellene schon Ende der 330er Jahre, angeblich mit Untersttzung Alexanders des Groen, bernommen (vgl. [Demosth.] 17,10; Paus. 7,27,7) und in der Zwischenzeit wohl schon seit Lngerem wieder verloren. Er gehrte also zum Zeitpunkt der Demochares-Rede weder zu den jetzigen Akade-mikern noch kann man ihn als allgemein angesehen bezeichnen (vgl. auch Paus. 7,27,7). Zweitens: Im Zuge von Chairons Machtbernahme soll die ehemalige Fhrungsschicht vertrie-ben und deren Besitz an die Sklaven verteilt worden sein (vgl. [Demosth.] 17,10). Athenaios (bzw. seine Vorlage) fgt dem noch hinzu, Chairon habe deren Frauen [mit den Sklaven?] in Ehegemeinschaft zusammenleben lassen (eigene bersetzung; ). Die Formulierung ( ) bietet ihm dann die ideale berleitung zu seinem eigentlichen Punkt: All dieses also die Idee der Frauenge-meinschaft und vielleicht auch die Neuverteilung des Besitzes habe Chairon nmlich aus der schnen Politeia und den gesetzlosen Gesetzen bezogen. ( .) Doch ist es unwahrscheinlich, dass dieses Fazit von Demochares stammt, da es voraussetzen wrde, dass die beiden platonischen Schriften samt Inhalt den nicht philosophisch gebildeten Zuhrern bekannt waren, sodass man sogar ohne den Autor zu nennen einfach auf sie verweisen konnte. Die Auseinandersetzung mit den Texten Platons ist vielmehr ein Merkmal des gesamten gegen Platon gerichteten Abschnitts bei Athenaios (11,504e509e; vgl. auch 5,215c218a). Drittens nennt Athenaios anders als fr Eiaion und Timolaos hier Demochares nicht als Quelle. Da er in dem gesamten Abschnitt zu Platons tyrannisch und verleumderisch gesinnten Schlern (508d509b; Zitat 508d: ) jedoch eine ganze Reihe von Autoren anfhrt, gibt es keinen Grund, die Erwhnung Chairons ausgerechnet auf Demochares zurckzufhren.

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  • 342 | Epilog: Das Gesetz des Sophokles

    Negativ-Beispiele Euaion von Lampsakos und Timolaos von Kyzikos folgt, ist vermutlich noch der Rede zuzurechnen: Und so [wie diese] sind auch heute einige aus der Akademie; sie leben auf frevelhafte und ruhmlose Weise. Durch Gottlosigkeit und auf widernatrliche Weise haben sie Besitztmer an sich ge-bracht, und allgemein angesehen sind sie [nur] durch Zauberei.36 Nach dieser Aussage wie nach den berlieferten Fragmenten der Rede zu schlieen, hatte Demochares zumindest gegen die Akademiker, die aktuell in der Stadt gewirkt hatten, wenig vorzubringen. Seine Beispiele entnimmt er allesamt einer mehr oder minder fernen Vergangenheit und suggeriert dann, dass sich diese Liste natrlich noch beliebig erweitern liee, wenn die Redezeit nur nicht so knapp wre Jedenfalls meint er, dass die Reihe gngiger Topoi der Philosophie-Kritik, die er nun anfhrt, auf die Akademiker allgemein zutreffen wrden: Gngige moralische Standards htten fr sie keine Bedeutung, sie seien gottlos (, ), und es ginge ihnen nur um die Anhufung von Besitz, also um ihren persnlichen Vorteil.

    Der Topos des gottlosen Philosophen ist bekannt und wurde von Demochares anscheinend nicht weiter ausgefhrt. In der zweiten Hlfte des 4. Jahrhunderts entwickelte sich der Asebie-Vorwurf gegen die Philosophen mehr und mehr zu einem weitgehend inhaltslosen Allgemeinplatz, der einer genaue-ren Begrndung und einer auch nur oberflchlichen Auseinandersetzung mit dem, was die Philosophen tatschlich dachten und lehrten, nicht mehr bedurf-te.37 Dass die Akademiker allgemein angesehen () waren, fhrt Demochares auf Zauberei zurck. Als bezeichnete schon Gorgias im Helena-Enkomion die Macht der Rede ber das Bewusstsein der Zuhrer.38 Auch in den Gerichtsreden des 4. Jahrhunderts wurde der Begriff des fteren verwen-det, um die mchtige und unheilvolle Redekunst des Gegners zu brandmar-ken.39 Hinter dem Vorwurf der Zauberei gegen die Akademiker steht also die alte Unterstellung, dass Philosophen und andere ihre Beherrschung des zu eigenntzigen Zwecken und zum Schaden anderer gebrauchten und dass ihre

    || 36 Athen. 11,509a (eigene bersetzung): , . Da der Satz im Prsenz formuliert ist und auf die Gegenwart verweist (), stammt er wohl aus der Rede des Demochares: Smtliche Aussagen von Athenaios in diesem Abschnitt stehen in der Vergangenheit und es wre nicht zu erkennen, warum er pltzlich in die eigene Gegenwart wechselt (nur um gleich im Anschluss wieder in die Vergangenheit zurckzukehren). 37 Siehe oben, S. 321328. 38 Gorg. Hel. 10. 39 Vgl. Hesk 2000, 212 f.

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  • Epilog: Das Gesetz des Sophokles | 343

    Weisheit nicht mehr war als ein schner Schein, den sie ihren Argumentations-knsten zu verdanken hatten. Dass er das Ansehen der Akademiker durch Zauberei erklren muss, verweist aber zugleich darauf, dass viele von den Philosophen offensichtlich keine so schlechte Meinung hatten wie Demochares.

    Als Hauptgrund fr das Gesetz des Sophokles sind die Verbindungen des Peripatos zu den makedonischen Herrschern zu sehen.40 Nach Demetrios zehn-jhriger Herrschaft hofften die athenischen Demokraten (vergeblich) auf die Wiederherstellung der alten Freiheit und Autonomie. Demochares wollte daher wohl zeigen, dass nicht nur der Peripatos, sondern auch die Akademiker poli-tisch suspekte Kontakte hatten und es daher gerechtfertigt sei, gleich alle Philo-sophenschulen zu schlieen.41 Dass sich die meisten berlieferten Fragmente auf die Akademie beziehen, ist auerdem dadurch zu erklren, dass sie bei Athenaios in einem Abschnitt stehen, in dem er antiplatonisches Material aus unterschiedlichen Quellen ausbreitet.42 Es ist daher davon auszugehen, dass Demochares an anderer Stelle auch auf die Herrschaft des Demetrios von Phaleron, dessen Verbindung zum Peripatos und die Kontakte, die beide zu den Makedoniern unterhielten, eingegangen ist.

    Ein Beispiel dafr liefert Eusebius in seiner Praeparatio Evangelica, in der er die Ausflle des Demochares gegen Aristoteles anfhrt:

    Er sagt nmlich, Briefe des Aristoteles gegen die Polis der Athener seien aufgegriffen wor-den und dass er seine Heimatstadt Stageira an die Makedonier verraten habe. Auerdem habe er nach der Zerstrung von Olynth Philipp beim Verkauf der Beute die reichsten Olynther angezeigt.43

    Was es mit diesen Vorwrfen auf sich hat, lsst sich schwer berprfen, doch ging es darum wohl auch gar nicht. Einen Verdacht zu streuen oder wieder aufzuwrmen, war vor attischen Gerichten in vielen Fllen genauso effektiv wie der mhsamere Weg, solche Unterstellungen tatschlich zu belegen. Zumal auch diese Vorgnge wiederum einige Zeit zurcklagen. Die Verbindung des

    || 40 Vgl. Clarke 1971, 62; Habicht 1994, 236; Korhonen 1997, 81, 83; OSullivan 2002, 252 f.; Hartmann 2002, 63; Haake 2007, 41 f.; 2008, 97100. 41 Vgl. OSullivan 2002, 252 Anm. 6: Other schools, notably the Academy, were drawn into a general debate prompted by the law, as is clear from the listing of Platonic tyrants in the speech of Demochares. 42 Athen. 11,504e509e. 43 Eus. PE. 15,2,6 f. (eigene bersetzung): , . Vgl. Haake 2007, 37 f.

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    Aristoteles zu den Makedoniern ist allerdings authentisch und hatte wohl be-reits im Asebie-Verfahren gegen ihn eine wichtige Rolle gespielt.44 Auch handel-te es sich um eine etablierte Sicht, dass die Peripatetiker Freunde der Make-donier waren, wodurch sie wiederum (je nach innenpolitischer Lage) zu Feinden Athens und der Demokratie werden konnten. Und wie lie sich dies besser zeigen, als wenn man darauf verwies, dass Aristoteles hchstselbst an den Schandtaten der Makedonier beteiligt gewesen war, die sie gegen die Frei-heit der griechischen Poleis verbt hatten? Eine Gesamteinschtzung der Demochares-Rede ist aufgrund der wenigen ber-lieferten Fragmente schwierig. Offenkundig wollte Demochares die Philosophen in erster Linie als politisch unsichere Kantonisten darstellen, die mit den Feinden der griechischen Freiheit (den Makedoniern) und anderen notori-schen Tyrannen in Kontakt standen. Auch sie selbst htten sich dabei kompro-mittiert: Aristoteles habe seinen makedonischen Freunden geholfen, sich die ehemals freien griechischen Poleis zu unterwerfen. Und der Akademie wird zumindest eine Mitschuld daran unterstellt, dass ehemalige Schler spter zu Tyrannen wurden auch wenn unklar bleibt, worin diese Mitschuld eigentlich bestanden haben soll. Dabei liegen die Details der politischen Auseinanderset-zungen, von denen berichtet wird, zumindest aus heutiger Sicht weitgehend im Dunkeln, und es steht zu vermuten, dass der Tyrannis-Vorwurf (wie so oft) vor-nehmlich von den Gegnern Euaions und Timolaos erhoben wurde und nicht notwendig ber deren tatschliche Ziele Auskunft gibt. Jedenfalls sollten die Philosophen, indem man sie mit notorischen Gegnern der Freiheit in Verbin-dung brachte, selbst als solche dargestellt werden.

    Von einer tatschlichen inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Gedan-kengut der Philosophen ist dagegen nichts zu erkennen.45 Alle berlieferten Fragmente beziehen sich auf die (abgeblichen) politischen Verbindungen der Philosophen. Mit den etablierten Topoi der Philosophie-Kritik arbeitete die Rede anscheinend wenig. Dass die Philosophen etwa die gngige Sicht der Welt so-wie moralische Werte in Frage stellten oder das schwchere Wort zum strke-ren machten und mit all dem die Jugend verdarben ein solcher Vorwurf

    || 44 Siehe oben, S. 323. 45 Dass es die Beschftigung mit der Philosophie selbst gewesen ist, die von der Gesell-schaft als suspekt erachtet wurde (so Haake 2007, 40), geht m. E. zumindest aus den erhalte-nen Fragmenten der Demochares-Rede nicht hervor.

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    wre durchaus gngig gewesen, wurde jedoch von Demochares offenkundig nicht in den Vordergrund gestellt.46 Matthias Haake stellt dazu fest:

    Die in der Rede vorgebrachten Argumente zeigen, da die Mglichkeit bestand, Philoso-phen zwar als spezifische Gruppe zu konzeptualisieren, sie dennoch aber mit Vorwrfen zu konfrontieren, die dem politischen Alltag Athens entstammten: philomakedonismos, Verrat an der patris, Streben nach Tyrannis und deren Errichtung sowie mangelnde Tap-ferkeit im Krieg dies ist das gngige Repertoire von Anschuldigungen, wie sie in den in-neren politischen Auseinandersetzungen in griechischen Poleis im 4. Jahrhundert vielfach bezeugt sind.47

    Zwar evozierte Demochares die Gottlosigkeit der Philosophen, doch machte er sich allem Anschein nach nicht die Mhe, den Vorwurf durch Rckbezug auf das philosophische Denken auch inhaltlich zu fundieren.

    Eine solche inhaltliche Auseinandersetzung mit der Philosophie htte der grundstzlich politischen Motivation des Sophokles-Gesetzes keineswegs wi-dersprochen. Schlielich war in einem attischen Gerichtsverfahren gemeinhin jedes Argument recht wenn es die Richter berzeugen konnte. Doch war schon in den Asebie-Verfahren, die im letzten Drittel des 4. Jahrhunderts gegen einige Philosophen gefhrt worden waren, kaum noch ein Bezug zu ihren tat-schlichen Lehren hergestellt worden. Auch die erhaltenen Fragmente der Demochares-Rede legen nahe, dass sich die alten Topoi der Philosophie-Kritik inzwischen abgenutzt hatten. Das Gesetz des Sophokles ist eher Ausdruck einer politischen Stimmung in Athen, die sich aufgrund von deren Kontakten zu den politisch Mchtigen auch gegen manche Philosophen richtete, als eines genuin antiphilosophischen Klimas in der Stadt. Dass die Philosophen vielmehr weit-gehend akzeptiert waren, dass sie ein auch fr die Auenwirkung der Stadt wichtiger Teil des kulturellen Lebens in Athen waren, wird einer der Grnde gewesen sein, warum die Athener das Gesetz schon bald widerriefen.48 Damit endete zugleich die mit dem Asebie-Prozess gegen Anaxagoras ber 100 Jahre zuvor begonnene Tradition der Philosophenverfolgungen in der Stadt. Viele Forscher sehen daher in der Aufhebung des Gesetzes einen wesentlichen Wen-depunkt, den Beginn einer Zeit, in der sich ein allgemein positives Philoso-phenbild mehr und mehr durchgesetzt hat.49 Die Grndung der Schule Epikurs

    || 46 Vgl. Haake 2007, 39. 47 Haake 2007, 39; vgl. auch 2008, 102. 48 Nach Haake 2007, 41, muss diese Erklrung jedoch als spekulativ gelten. 49 Vgl. Clarke 1971, 62; Habicht 1994, 237: From there on, the freedom of the schools and of what people taught and studied in Athens was never challenged again; Korhonen 1997, 83, 97; OSullivan 2002, 262; Haake 2008, 106. Etwas nuancierter: Scholz 2006, 4955.

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    und der Stoa nur kurze Zeit spter bedeuteten einen weiteren Aufschwung des philosophischen Lebens in Athen.50 Die Stadt war und blieb eines der wichtigs-ten Zentren der griechischen Philosophie.

    || 50 Vgl. Haake 2007, 42 f.; 2008, 106.

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