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S. H. XIV. Dalai Lama Yoga des Geistes Vorträge zur Geistesschulung Neu übersetzt von Jürgen Manshardt BLUMENAU

Yoga des Geistes - Edition Blumenau · 2017. 5. 13. · Quelle der Zuversicht und Weisheit hat der Dalai Lama ver-mutlich Millionen von Menschen direkt oder indirekt Inspira-tion,

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  • S. H. XIV. Dalai Lama

    Yoga des Geistes

    Vorträge zur Geistesschulung

    Neu übersetzt von Jürgen Manshardt

    BLUMENAU

  • INHALTVorwort ...........................................................................................................................7

    TEIL I: DAS KLARE LICHT ...........................................................................15Eine Anleitung zur Geistesschulung .......................................................... 17Einleitung ..................................................................................................................... 17

    Die Suche nach Glück: verschiedene Weltanschauungen .................... 18

    Der Buddhismus: Fahrzeuge und Traditionen ............................................ 21

    Der Buddhismus in Tibet ...................................................................................... 23

    Geistesschulung ...................................................................................................... 27Die Notwendigkeit, den Geist zu schulen ..................................................... 27

    Meditation – Analyse und Sammlung............................................................ 30

    Die Stufen bei der Entwicklung des Geistes ................................................ 33

    Zufriedenheit ............................................................................................................. 35Innere Ruhe durch Genügsamkeit .................................................................... 35

    Anwendung im Alltag ............................................................................................ 36

    Genügsamkeit ist nicht Passivität .................................................................... 38

    Meditation .................................................................................................................. 40Innere Festigkeit als Voraussetzung des Handelns ................................... 40

    Geistige Ruhe und besondere Einsicht ........................................................... 41

    Die Durchführung der Meditation ................................................................... 43

    Mit dem Geist in den Dharma eintreten ................................................ 49Tod, Wiedergeburt und Karma ........................................................................... 49

    Religiöse Praxis als Vorbereitung ...................................................................... 52

    Den Geist als ungeboren erkennen ............................................................ 55Die gemeinsame Erklärung von Sutra und Tantra .................................... 55

    Die spezifische Erklärung des Höchsten Yogatantra ................................ 61

    Die Erzeugung des Erleuchtungsgeistes ................................................. 75

    TEIL II: VOM WERT DER GÜTE ..............................................................83Fragen und Antworten .......................................................................................... 92

    Weitere Bücher erschienen bei der Edition Blumenau:Geshe Michael Roach: Der Diamantschneider

    Geshe Pema Samten: Karma, Schicksal oder Chance?Matthieu Ricard: Allumfassende Nächstenliebe

    Teil I und II: Der Text folgt den Tonbandaufnahmen der vonS.H. XIV. Dalai Lama am 31. Oktober und 1. November 1982 in Hamburg gehaltenen

    Vorträge und anderen Tonbandaufnahmen mit zusätzlichen Erläuterungen.

    Teil I und II: Neu übersetzt von Jürgen Manshardt.Die ursprüngliche Fassung basiert auf der mündlichen Übersetzung der Vorträge aus dem

    Tibetischen von Helmut Gassner. Überarbeitung und Übersetzung der zusätzlichen Erläuterungen von Christof Spitz.

    Teil III: Aus dem Englischen übersetzt und neu zusammengestellt von Jürgen Manshardt.Originaltext: „Short Essays on Buddhist Thought and Practice.“ Mit freundlicher Genehmigung des Tibet House, New Delhi.

    4. komplett überarbeitete Auflage Mai 2017Neu übersetzt und überarbeitet von Jürgen Manshardt.

    EditionBlumenau, Hamburgwww.editionblumenau.com

    Copyright der Neuauflage 2017: © Tibetisches Zentrum e.V., HamburgDas Werk ist urheberrechtlich geschützt.

    Sämtliche, auch auszugsweise Verwertungen, bleiben vorbehalten

    Lektorat: Michael ZimmerTitelfoto: Tenzin Choejor/OHHDL

    Titelgestaltung: Silvia Engelhardt und Tanja RenzIllustrationen und Satz: Tanja Renz, Herrsching am Ammersee

    ISBN 978-3-9816188-4-6

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    TEIL III: RELIGION ALS WEG ZUM FRIEDEN .................................99Betrachtungen über Grundlagen und Praxis des tibetischen Buddhismus .........................................................................101

    Chance des Menschseins ...................................................................................101

    Das gemeinsame Ziel: Altruismus .................................................................105

    Der gemeinsame Feind: Selbstsucht.............................................................108

    Geistesschulung – wozu? ..................................................................................114

    Der Wunsch nach Frieden ..................................................................................117

    Die zweifache Wahrheit......................................................................................121

    Was Tibet Indien verdankt .................................................................................124

    Die Ausübung des Buddhismus in Tibet .....................................................134

    Weiterführende Literatur ...................................................................................143

    Aussprache der Sanskritwörter .......................................................................147

    Vorwort

    Seine Heiligkeit Tenzin Gyatso, der 14. Dalai Lama, vollen-dete bereits im Jahre 2015 seinen 80. Geburtstag und bereist doch weiterhin jedes Jahr unermüdlich und voller Elan die Welt. Vielen gilt er als weisester und sympathischster Mensch auf Erden und genießt über alle Nationen und Glaubenssät-ze hinweg weltweite Anerkennung. Er verkörpert wie kaum ein Anderer die buddhistischen Ideale von Mitgefühl, Tole-ranz und Ethik sowie von großer Gelehrsamkeit und Weis-heit, ausdauernder Tatkraft und Bescheidenheit. Mit seiner Strahlkraft und Wahrhaftigkeit setzt er sich unermüdlich für Frieden, Ausgleich und Gerechtigkeit in der ganzen Welt ein und bemüht sich weiterhin, seinem unterdrückten Volk in der wohl schwersten Periode seiner Geschichte beizustehen.

    Obwohl er von den Tibetern als vollendeter Erwachter, als Verkörperung des Mitgefühls verehrt wird, besticht der Da-lai Lama durch seine frische, humorvolle Zuwendung, seine gelöste Offenheit und seinen undogmatischen Pragmatis-mus. Dabei bleibt er jedoch stets den festen Grundsätzen der Güte und universellen Verantwortung verpflichtet. Und ob-wohl er von seinem Volk als weltliches wie spirituelles Ober-haupt angesehen wird, hat er im Jahre 2011 seinen Status als politisches Oberhaupt an einen demokratisch gewählten Ministerpräsidenten übergeben und konzentriert sich seit-dem auf seine geistlichen und spirituellen Aufgaben, die je-den anderen allein schon durch ihre schiere Vielfalt und die Bürde ihrer Verantwortung überfordern würden.

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    Der Dalai Lama, obgleich als Seine Heiligkeit betitelt, sieht sich weniger als Würdenträger denn als einfachen Mönch, der seinen Beitrag zum Weltfrieden leisten möchte, indem er sich und seine Fähigkeiten ganz in den Dienst seines Volkes und der gesamten Menschheit stellt.

    Auch wenn man sich angesichts der Zustände in Tibet und der gesamten Welt berechtigterweise fragen kann, ob der Da-lai Lama mit seinem Engagement denn irgendeines seiner Ziele annährend erreicht hätte, so kann man mit den Autoren des Geo-Magazins1 bilanzieren, dass es nicht der Dalai Lama sei, der mit seinen friedensstiftenden Anliegen gescheitert ist, sondern es vielmehr die Welt selbst sei, die scheitert.

    Allein schon als moralische Instanz und unerschöpfliche Quelle der Zuversicht und Weisheit hat der Dalai Lama ver-mutlich Millionen von Menschen direkt oder indirekt Inspira-tion, Halt und Klarheit vermittelt und Perspektiven eröffnet.

    Und obwohl er Träger und Bewahrer einer Jahrtausende alten Weisheitslehre ist, scheut der Dalai Lama sich nicht, gänzlich neue Wege zu denken und zu beschreiten. So ist er bereits seit früher Jugend von starkem Interesse für die Wis-senschaften geprägt und hat als einer der Initiatoren der be-rühmten Mind-and-Life-Konferenzen eine Brücke für einen sehr fruchtbaren Dialog zwischen den alten kontemplativen Traditionen des Ostens und den modernen Wissenschaften des Westen gebaut. Schon heute zeichnen sich richtungswei-sende Entwicklungen ab, die diesem Austausch entsprungen sind und möglicherweise für die Zukunft der Menschheit von Bedeutung sein können.

    1 GEO Nr. 03/2017 Dalai Lama - Die Bilanz eines heiligen Lebens.

    Und selbst als einer der eminentesten Vertreter des Bud-dhismus scheut sich der Dalai Lama nicht, die Bedeutung der Religionen in der heutigen Welt zu relativieren und eine sä-kulare Ethik zu formulieren2, die als allgemeines Fundament für das friedliche Zusammenleben der Menschen dienlich sein kann. Aus Sorge um die Welt spricht Seine Heiligkeit immer eindringlicher davon, dass wir eine vernunftorien-tierte Ethik jenseits der divergierenden Religionen mit ihren unterschiedlichen Glaubenssätzen benötigen. Damit eröff-net der Dalai Lama einen zeitgemäßen Weg, welcher die traditionellen Werte mit den heutigen Verhältnissen einer sich rasch verändernden postmodernen Welt in Einklang zu bringen vermag. Diese unorthodoxe Sichtweise bildet das genaue Gegenteil zu jedwedem Fundamentalismus und reli-giösem Fanatismus, der immer mehr zur Geißel unserer Zeit zu werden droht.

    Zum Inhalt

    In diesem Buch sind verschiedene Texte des Dalai Lama ver-eint, die trotz ihrer Kürze eine große Bandbreite an Themen aufweisen und durch ihre Tiefgründigkeit einen Anspruch an den Leser stellen. Editorisch ist eine solche Konstellation im-mer ein schwieriges und gewagtes Unternehmen. Da es sich aber um sehr klare und teilweise seltene Ausführungen zur Geistesschulung handelt, ist Yoga des Geistes, hoffe ich, – in seiner nunmehr vierten und vollständig überarbeiteten Fas-

    2 Siehe: Dalai Lama: Der Appell des Dalai Lama an die Welt; Ethik ist wichtiger als Religion, Benevento Publishing, 2015.

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    sung – ein kleines Juwel geworden. Zudem kann dieser Band fast schon als ein Zeitdokument betrachtet werden; denn in den ersten Textteilen handelt es sich um eine der ersten öffent-lichen buddhistischen Ausführungen des Dalai Lama in Eu-ropa. Es war im Herbst 1982, als Seine Heiligkeit, der Dalai Lama, auf seiner zweiten Europareise3 Hamburg besuchte und damit einer gemeinsamen Einladung des Tibetischen Zent-rums e.V. und der Universität Hamburg entsprach.

    Im Auditorium Maximum der Universität Hamburg gab er einen Kommentar ab zu einem prägnanten vierzeiligen Vers zur buddhistischen Geistesschulung, der aus der Feder des tibetischen Meisters und großen Übersetzers Sumpa Lotsāva stammt. In seinen Erläuterungen gewährt der Dalai Lama Einblick in die Tiefe und Bandbreite seines eigenen religiösen Denkens, aber auch der tibetischen Tradition, in der die Lehren über Jahrhunderte praktiziert und weiterge-tragen wurden. Er verdeutlicht die entscheidenden theore-tischen Grundsätze und Praktiken für ein sinnerfülltes und mitfühlendes Leben, das durch die Einsicht in die tatsächli-che Wirklichkeit und Natur des Bewusstseins selbst den Tod nicht scheuen muss. Da sich der Buddhismus nicht so sehr als Religion denn als universelles Mittel zur Leidminderung und Leidüberwindung versteht, können diese Ausführun-gen sicherlich auch bei Nicht-Buddhisten zu vielen Anre-gungen und Einsichten führen.

    Zum besseren Verständnis sehr tiefgründiger Passagen, in denen der Dalai Lama die feinsten Ebenen des Bewusst-seins und deren Bedeutung für die Meditation erläuterte, 3 Die erste fand im Jahre 1973 statt.

    bat Geshe Thubten Ngawang, der damalige ständige Lehrer und geistliche Leiter des Tibetischen Zentrums, später in Indien den Dalai Lama um weitere Erklärungen, die von Christof Spitz übersetzt und an der entsprechenden Stelle in den Text eingefügt wurden.

    Am Ende des ersten Teils findet sich ein kurzer Abschnitt, der eine ritualisierte Form der Erzeugung einer altruistischen Geisteshaltung beinhaltet, die im Buddhismus Erleuchtungs-geist (Skt. bodhicitta) genannt wird. Dieser Erleuchtungs-geist ist ein besonderer Geisteszustand, der sich durch ein zweifaches Anstreben auszeichnet: Das Streben nach dem Wohl der anderen und das Streben nach der eigenen voll-kommenen Erleuchtung. Diese von Mitgefühl und lieben-der Güte getragene Motivation gilt im Großen Fahrzeug des Buddhismus als das kostbarste und heilsamste Streben. Es muss schrittweise entfaltet werden und ist gleichsam Juwel und Frucht der Geistesschulung eines Bodhisattvas.

    Im zweiten Teil des Buches findet sich die Wiedergabe ei-nes öffentlichen Vortrages, in dem der Dalai Lama die Not-wendigkeit von Toleranz, Mitgefühl und Güte als Garanten für einen tiefergehenden persönlichen wie gesellschaftlichen Frieden betont. Eindringlich mahnt er, sich auf der Grund-lage dieser altruistisch geprägten Geisteshaltung mit Mut, Entschlossenheit und Optimismus für eine friedvollere Welt zu engagieren.

    Im dritten Teil des Buches finden sich eine Reihe von Aufsätzen zum tibetischen Buddhismus, die zum ersten Mal im Jahr 1966 vom Sekretariat des Dalai Lama in seinem nordindischen Exil in Dharamsala herausgegeben und vom Tibet House in Neu-Delhi publiziert worden sind.

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    Bei einigen Begriffen wurde das Sanskrit-Äquivalent und teilweise auch der tibetische Begriff in Umschrift hinzuge-fügt. Hinweise zur Aussprache des Sanskrit finden sich im Anhang.

    An dieser Stelle sei allen, die an der Entstehung dieses Buches mitgeholfen haben, herzlich gedankt, insbesonde-re Rolf Gaska, Helmut Gassner, Dr. Jens-Uwe Hartmann, Gabriele Küstermann, Christof Spitz und dem Tibet House, Neu-Delhi.

    Jürgen ManshardtBerlin, den 12. April 2017

  • Teil I

    Das klare Licht

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    Eine Anleitung zurGeistesschulung

    Unterweisung am 31. Oktober 1982 im Auditorium Maximum der Universität Hamburg

    EINLEITUNG

    Liebe Brüder und Schwestern im Dharma!Ich bin sehr erfreut, heute bei Ihnen sein zu können. Ich

    möchte einige Aspekte des Buddhismus erläutern.Zunächst werde ich den Weg der Geistesschulung vom Ge-

    sichtspunkt der Ethik und Weisheit her erklären und möchte hierfür einem Vers nutzen, der Die Geistesschulung des Sum-pa Lotsāva genannt wird. Dieser vierzeilige Vers findet sich in einer Sammlung von 100 Texten zur Geistesschulung, die [der tibetische Meister] Dschonang Tāranātha unter dem Ti-tel Einhundert Geistesschulungstexte zusammengestellt hat.

    Anschließend möchte ich ein Ritual durchführen, das der Erzeugung des Erleuchtungsgeistes (Skt. bodhicitta) dient, des altruistischen Strebens nach höchster Erleuchtung [zum Wohle sämtlicher Wesen].

    Zu Beginn möchte ich den vierzeiligen Vers vortragen, da-mit Sie ihn sich einprägen können und während der Erläute-rungen gegenwärtig haben. Er lautet:

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    Wenn man zufrieden ist mit dem, was sich ergibt, ist man in allen Fällen glücklich.Wenn der Geist ruht, worauf er gerichtet wird, kann man ihn auch loslassen.Wenn der Geist in den Dharma eingetreten ist, ist man auch im Tod glücklich.Wenn man den Geist als ungeboren erkannt hat, gibt es auch keinen Tod.

    Um diese Zeilen in den Gesamtkontext stellen zu können, werde ich einige Erklärungen geben.

    Die Suche nach Glück: verschiedene Weltanschauungen

    Jeden von uns sucht von Natur aus Glück und möchte kei-nerlei Leiden erfahren. Und jeder von uns besitzt auch das vollständige Recht auf das Erlangen von Glück – auf ein besseres, dauerhaftes Glück. Selbstverständlich bedarf es aber auch der Möglichkeit, ein solches Glück zu erreichen. Ebenso besitzen wir einen vollständigen Anspruch darauf, alle Arten von Leiden zu überwinden und zu beseitigen. Das ist unser angestammtes Recht.

    Meiner Auffassung nach kann man sowohl in der gegen-wärtigen Zeit wie auch in der Vergangenheit zwei unter-schiedliche Grundanschauungen ausmachen. Eine Gruppe von Menschen glaubt einzig an die Materie und an nichts

    darüber Hinausgehendes. Diese Menschen nennen wir ge-wöhnlich Atheisten – sie sind extrem materialistisch und atheistisch eingestellt. Nun gut: Sie glauben, damit die rich-tigen Methoden gefunden zu haben, um zu mehr Glück zu gelangen. Es ist ihre Angelegenheit – kein Problem.

    Auf der anderen Seite gibt es eine Menschengruppe, die an etwas über die materiellen Dinge Hinausgehendes glau-ben. Allerdings stützt sich in vielen Fällen ihre Überzeugung hauptsächlich auf Glauben; sie haben es schwer, ihre An-schauungen mit logischen Begründungen zu beweisen. Sie folgen ihren Anschauungen und benutzen ihre Methoden, weil sie der Ansicht sind, dass sie auf diesem Weg das größte Glück finden. Auch das ist gut, es ist ihr eigenes Recht. Je-doch entstehen manchmal Konflikte zwischen diesen beiden Gruppen. Das ist sehr bedauerlich.

    Allgemein betrachtet, gehört der Buddhismus zur zweiten Gruppe, die an geistige Werte glaubt. Es gibt innerhalb die-ser Gruppe jedoch wiederum zwei Untergruppen. Die einen verfechten einen bloßen Glauben, ohne sich viele Gedan-ken über rationale Gesichtspunkte zu machen. Die zweite Untergruppe legt hingegen mehr Gewicht auf logische Be-gründungen als auf den reinen Glauben. Letzteres gilt für den Buddhismus und zum Teil auch für einige Formen des Hinduismus.

    Einige Religionen, zu denen viele Spielarten des Hin-duismus, das Christentum, der Islam und das Judentum gehören, basieren auf der Lehre von einem allmächtigen Schöpfergott. Demgegenüber stehen solche Religionen, die einen Schöpfergott nicht anerkennen. Zu ihnen zählen der Buddhismus, der Jainismus und einige wenige Formen

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    des Hinduismus, so die nicht-theistische Sāṃkhya-Lehre (Skt. Nirīśvara-Sāṃkhya) im Gegensatz zur theistischen Sāṃkhya-Lehre (Skt. Seśvara-Sāṃkhya). Daher kann man in gewisser Hinsicht allgemein zwei Arten von Religionen in der spirituellen Welt differenzieren: die theistischen und die nicht-theistischen Religionen.

    Es scheint, dass der Buddhismus und der Jainismus eine Mittelstellung zwischen einem extremen Materialismus auf der einen Seite und den vergleichsweise extremen Glaubens-religionen auf der anderen Seite einnehmen. Im Buddhis-mus und im Jainismus liegt der Schwerpunkt nicht so sehr auf dem Glauben, sondern mehr auf logischen Begründun-gen und auf Rationalität. So erscheint der Buddhismus den-jenigen, die eine Religion des extremen Glaubens verfolgen, als eine Art von Atheismus, und von der Seite des Materia-lismus wird er als eine Form von Spiritualismus wahrgenom-men. Daraus kann man schließen, dass sich der Buddhismus tatsächlich in der Mitte befindet.

    Die Menschheit hat eine Vielzahl verschiedener Religio-nen und Weltanschauungen hervorgebracht. Ich halte dies für einen großen Gewinn; denn jede Religion und Tradition weist ihre eigenen Besonderheiten auf, und da es unter den Menschen sehr viele verschiedene geistige Veranlagungen und Neigungen gibt, ist eine Vielfalt an Philosophien und Religionen überaus nützlich.

    Es ist sehr wichtig, dass jemand, der einer Religion folgt, sie auch tatsächlich in sein tägliches Leben integriert und ent-sprechend anwendet. Religion und geistige Werte müssen wir in uns selbst gedeihen lassen, um ihren eigentlichen Nutzen auch erkennen zu können. Religion liegt nicht in unseren

    Worten, sie steckt nicht in unseren Kleidern; Religion ist in unserem eigenen Herzen. Sobald Sie Religion im täglichen Leben anwenden, werden Sie ihren Wert erfahren. Die vielen Religionen verkünden uns allen die gleiche Botschaft: Das Al-lerwichtigste ist ein echtes Gefühl dafür, dass wir Menschen eine Gemeinschaft von Brüdern und Schwestern sind. Das Wichtigste ist eine Haltung, die auf Mitgefühl, Liebe und Al-truismus gründet. Das ist die Essenz aller Religionen.

    Innerhalb der Gruppe jener Religionen, die keinen Schöp-fergott anerkennen, wie Buddhismus, Jainismus und einige Formen des Hinduismus, negiert der Buddhismus die The-orie einer unabhängig für sich selbst existierenden „Seele“ [bzw. eines Selbst] (Skt. ātman). Der Buddhismus vertritt die Theorie vom Nichtsein einer „Seele“ [bzw. eines Nicht.Selbst] (Skt. anātman), während der Jainismus und andere Religionen eine solche annehmen.

    Der Buddhismus: Fahrzeuge und Traditionen

    Innerhalb des Buddhismus wiederum unterscheidet sich durch Methode und Ausübung her das Fahrzeug der Hörer (Skt. śrāvakayāna) und das Fahrzeug der Bodhisattvas (Skt. bodhisattvayāna), die gewöhnlich auch Kleines Fahrzeug (Skt. hīnayāna) und Großes Fahrzeug (Skt. mahāyāna) ge-nannt werden. Der buddhistische Weg [der Geheimlehren] des Tantra gehört zum Großen Fahrzeug. Vom Aspekt der

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    Weisheit oder der Ansicht her unterscheidet man im Bud-dhismus vier Schulen des Denkens: Vaibhāṣika („Schule der Großen Ausführlichen Erläuterung“), Sautrāntika („Sūt-ra-Schule“), Cittamātra („Nur-Geist-Schule“) und Madhya-maka („Schule des Mittleren Weges“).

    Die grundlegenden Unterweisungen des Buddhismus sind jene, die als die Vier Wahrheiten der Heiligen bekannt sind: die Wahrheit von den Leiden, den Ursprüngen des Leidens, deren Beendigungen und den Pfaden zur Beendigung. Wer die Vier Wahrheiten nur auf sich selbst anwendet, übt das Fahrzeug der Hörer (Skt. śrāvakayāna) oder der Alleinver-wirklicher (Skt. pratyekabuddhayāna), die Wege des Kleinen Fahrzeugs. Wer die Vier Wahrheiten zum Wohl aller

    fühlenden Wesen anwendet, nicht nur für sich selbst, ist ein Ausübender des Großen Fahrzeugs.

    Eine der Vier Wahrheiten ist die der Beendigung des Leidens und seiner Ursprünge. In den Erklärungen dieser Wahrheit wird auf die Bedeutung des Selbst und dessen Wi-derlegung, des Nicht-Selbst, eingegangen. Dabei gibt es Un-terschiede in der Tiefgründigkeit der Darlegungen, die dann zu den eben genannten vier Schulen von Lehrmeinungen im Buddhismus führen.

    Im Hinblick auf die einzelnen Länder, in denen der Bud-dhismus Verbreitung gefunden hat, spricht man vom indi-schen Buddhismus, thailändischen Buddhismus, chinesi-schen Buddhismus, japanischen Buddhismus und so weiter; in Zukunft mag es vielleicht auch einen europäischen, ame-rikanischen und deutschen Buddhismus geben. Obwohl es sich dabei um dieselbe Lehre mit denselben wesentlichen Inhalten handelt, ist es aufgrund der kulturellen Unterschie-

    de im Laufe der Zeit gewissermaßen zu einer gelungenen Hochzeit zwischen der buddhistischen Lehre mit den jewei-ligen Gepflogenheiten eines Landes gekommen. Dadurch entstanden die heute unterschiedlichen Ausprägungen des Buddhismus in den verschiedenen Ländern.

    Der Buddhismus in Tibet

    Was ist nun „tibetischer Buddhismus“? Wir Tibeter lernen zuerst die wesentlichen Teile der Unterweisungen des Klei-nen Fahrzeugs und wenden diese an. Diese Unterweisungen sind in den Drei Schriftabteilungen (Skt. tripiṭaka) enthalten: der Schriftabteilung der ethischen Disziplin (Skt. vinayapiṭa-ka), der Schriftabteilung der Sammlung von Lehrreden (Skt. sūtra-piṭaka) und der Schriftabteilung des Höheren Wissens (Skt. abhidharmapiṭaka). Die Schriftabteilung der Disziplin enthält hauptsächlich die Schulung der Ethik und befasst sich mit den verschiedenen Gelübden, mit den Regeln für Mönche und Nonnen und ähnlichen Themen. Die Überlie-ferung der ethischen Disziplin, die in Tibet zur Anwendung kommt, stammt aus der [Mūla-]Sarvāstivāda-Tradition. In Thailand folgt man der Theravāda-Tradition. Es gab in In-dien vier Hauptrichtungen innerhalb der Vaibhāṣika-Schule, die sich dann weiter in insgesamt 18 Traditionen aufteilten. Der [Mūla-] Sarvāstivāda und der Theravāda sind zwei von diesen. Daran sieht man, dass es bis auf einige geringfügige Unterschiede die gleiche Überlieferung der Disziplin gibt.

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    Zur Schulung der meditativen Festigung des Geistes, die hauptsächlich in der Schriftabteilung der Sammlung von Lehrreden beschrieben wird, werden in Tibet die Lehren über die Vier konzentrativen Sammlungen und die Vier Körperlosen Versenkungen studiert und angewendet, wie sie im Schatzhaus des Höheren Wissens (Skt. Abhidharmakośa) von Vasubandhu erklärt werden.

    Die Schulung der Weisheit auf dem Pfad wird in erster Linie in der Schriftabteilung des Höheren Wissens darge-stellt. In Tibet studiert und praktiziert man sie so, wie sie in-nerhalb der 37 der Erleuchtung förderlichen Eigenschaften (Skt. saptatriṃśaḍbodhipakṣadharma) beschrieben wird. Das Wesentliche dabei ist die Erkenntnis, dass man als Per-son nicht eigenständig-substanziell existiert, sondern dem Wesen nach leer ist. Diese Einsicht gilt es fortwährend zu schulen und zu vertiefen.

    Darüber hinaus wenden wir in Tibet die Lehre des Gro-ßen Fahrzeugs an. Dies bedeutet vor allem, dass man eine Geisteshaltung von unbegrenztem Altruismus schult und sich in den Sechs Vollkommenheiten (Skt. pāramitā) übt.

    Zudem wird in Tibet auch das buddhistische Tantra bis auf den heutigen Tag angewendet. Es gibt vier Klassen des Tantra: Handlungstantra (Skt. kriyātantra), Ausübungst-antra (Skt. caryātantra), Yogatantra (Skt. yogatantra) und Höchstes Yogatantra (Skt. anuttarayogatantra).

    Im tibetischen Buddhismus entwickelten sich aufgrund zeitlicher Unterschiedemaßgebender Meister und unter-schiedlicher individueller Erfahrungen sowie zeitlicher Un-terschiede vielgestaltige Methoden zur Auslegung der Lehre. Dies wiederum führte zur Ausformung mehrerer Traditionen.

    Während ihrer ersten Blüte verbreitete sich die gesamte buddhistische Lehre in Tibet mit all ihren gerade genannten Inhalten: die Schriftabteilungen der Disziplin, der Samm-lung von Lehrreden und des Wissens, die Schriftabteilung über den Pfad der Bodhisattvas und alle Lehren des Tantra einschließlich denen des Höchsten Yogatantra. Dies war die Periode der frühen Übersetzungen, mit der die Tradition der Nyingma (Tib. rNying ma) begann.

    Während der späteren, der zweiten großen Blütezeit des tibetischen Buddhismus, bildeten sich dann die Traditionen Sakya (Tib. Sa skya), Kagyü (Tib. bKa‘ brgyud) und Ka-dam (Tib. bKa‘ gdams), die auch unter dem Namen Sarma (Tib. gSar ma) zusammengefasst werden. Innerhalb dieser drei Traditionen findet man weitere Unterteilungen, wie zum Beispiel in die vier großen und die acht kleinen Ka-gyü-Traditionen und in die drei Sakya-Traditionen von Sa (Sa), Ngor (Tib. Ngor) und Tsar (Tib. ‚Tshar).

    Alle diese Traditionen gleichen sich sowohl in Hinsicht auf die praktische Ausübung der Lehre [den Methode-Aspekt] wie auch in Hinsicht auf die Weisheit, beziehungsweise in ihren philosophischen Lehrmeinungen [den Weisheits-As-pekt]. Denn sie alle wenden die Lehren des Kleinen und des Großen Fahrzeugs einschließlich des Tantra an und betrach-ten die Philosophie der Prāsaṅgika-Madhyamaka-Schule als die Höchste unter den Lehrmeinungen. Es gibt einige ge-ringfügige Unterschiede zwischen diesen Traditionen. Diese resultieren aus den individuellen Lehrmethoden und per-sönlichen Anleitungen, welche die Meister für ihre Schüler bereithalten, weil sie auf unterschiedliche Schwerpunkte der Lehre besonderes Gewicht legen. Zudem werden manch-

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    mal auch unterschiedliche Terminologien gebraucht. Die Lehrinhalte sind jedoch in allen Traditionen gleich.

    Heute gibt es die vier allgemein bekannten Traditionen der Sakya, Gelug, Kagyü und Nyingma. Gelug nennt man die jün-gere Kadam-Tradition, die Fortsetzung der alten Kadam-Tra-dition. Wie ich bereits erwähnte, lehren sie alle eine Ausübung des Dharma, bei der die Unterweisungen von Sūtra und Tan-tra als eine Einheit angewendet werden, eine Ausübung also, welche die Geheimlehren mit einschließt. Betrachtet man un-voreingenommen ihre Lehren hinsichtlich Ansicht, Meditati-on und Verhalten, so kann man einzig Übereinstimmungen und keinerlei grundsätzliche Unterschiede feststellen.

    Diese Tatsache wird umso deutlicher, je eingehender man die einzelnen Traditionen in ihrer Ganzheit kennen und verstehen lernt. In Tibet kann man vom Gesichtspunkt der praktischen Anwendung der Lehre her zwei Gruppen von großen Meistern unterscheiden: Einige Meister beziehen sich bei ihren Erklärungen und Praktiken lediglich auf eine einzige Tradition als die prinzipielle; andere wenden die vor-handene Lehrüberlieferung und Weisheit sämtlicher Traditi-onen unterschiedslos an.

    Für uns ist es sehr wichtig, die Lehre so anzuwenden, dass wir ihr im Ganzen, ohne Unterschied und vorurteils-frei, begegnen.

    GEISTESSCHULUNG

    Die Notwendigkeit, den Geist zu schulen

    Nun werde ich die eingangs erwähnten Zeilen erklären. Der besagte Vers zielt auf eine Schulung, auf ein Training des eigenen Geistes ab. Training des Geistes bedeutet, sich selbst zu verbessern. Die erste Frage lautet nun: Wer wird etwas verbessern? Die Antwort lautet: Ich, das Wesen selbst. Die nächste Frage wäre: Wer ist dieses Wesen? Ist es der Körper oder das Gehirn oder vielleicht die Nase? Ganz sicher ist keines dieser Dinge das Wesen selbst. Die heutigen Natur-wissenschaftler können Erklärungen über die kleinsten Teil-chen unseres Körpers und unseres Gehirns geben, und doch bestehen wir nicht nur aus diesen körperlichen Gegebenhei-ten, sondern zudem auch aus vielen weiteren Faktoren, die unser Wesen bestimmen. [Einen dieser maßgeblichen Fak-toren] nennen wir gewöhnlich den Erkennenden. Zum Bei-spiel betrachte ich Sie als Zuhörer, und ebenso betrachten Sie mich. Wie diese visuellen Wahrnehmungen und auf wel-che Art und Weise diese Erscheinungen und Bilder zustande kommen, können wir erklären. Doch wenn man fragt, wer letztlich der Erkennende ist, der diese Erscheinungen erfasst, gibt es wieder ziemlich viele Unklarheiten und Rätsel.

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    Das bringt uns zu der Frage nach dem Bewusstsein. Nach buddhistischer Auffassung existieren verschiedene Arten von Bewusstsein. Man unterscheidet fünf Arten von Bewusst-sein, die den fünf Sinnen zugeordnet werden – Gesichtssinn, Gehörsinn, Geruchssinn, Geschmackssinn und Tastsinn. Als sechstes kommt dann noch das geistige Bewusstsein hinzu. In den verschiedenen buddhistischen Schulen von Lehrmei-nungen gibt es jedoch einige Gelehrte, die nur von einem einzigen Hauptbewusstsein sprechen. Andere wiederum ver-treten die Ansicht, dass es acht Arten von Hauptbewusstsein gibt. Des Weiteren meinen einige neun Arten [von primären Bewusstseinsformen] bestimmen zu können: Aber die Mehr-zahl teilt das Bewusstsein in die genannten sechs Hauptbe-wusstseinsarten.

    In jedem Fall wird deutlich, dass unser Wesen [beziehungs-weise unsere Person] sowohl körperliche als auch geistige Komponenten umfasst. Und weil es diese materiellen und bewusstseinshaften Aspekte gibt, existieren auch zwei Arten von Glück. Und Glück ist unser höchstes Ziel, das wir zu erreichen suchen. Eine Art des Glücks entsteht in erster Linie aus körperlichem Wohlbefinden. Eine andere Art des Glücks erwächst vorwiegend aus den geistigen Aspekten unseres We-sens. Das gleiche gilt für das Leiden; einige Arten von Leiden beruhen vor allem auf physischen Umständen; andere For-men von Leiden haben im Wesentlichen geistige Ursachen.

    Ich habe zu Beginn zwei große Richtungen menschlicher Bestrebungen erwähnt: Der Materialismus auf der einen Sei-te bringt uns hauptsächlich körperliches Wohlergehen; das Verfolgen geistiger und religiöser Werte gewährt uns vor al-lem geistiges Glück und Zufriedenheit. Also benötigen wir

    beides. Wenn wir zu materialistisch eingestellt sind, besteht die Gefahr, dass wir die wahren menschlichen Werte aus den Augen verlieren. Außerdem lässt sich sehr klar sehen, dass wir durch Anstrengungen auf materiellem Gebiet allein kei-ne letzte Befriedigung finden können. Würden wir uns auf der anderen Seite zu sehr auf das Geistige beschränken und jeden materiellen Fortschritt ganz außeracht lassen, so wäre auch das unrealistisch und nicht erstrebenswert.

    Die Bemühungen auf geistigem Gebiet haben größere Wirkungskraft als jene, die sich auf physisches Wohlbefin-den ausrichten. Ein Anzeichen dafür ist in dem Umstand zu sehen, dass jemand, der im Geist sehr glücklich ist, schwieri-ge körperliche Umstände durchaus bewältigen kann. Wenn ein Mensch hingegen geistige Bedrängnis erleidet und sehr unglücklich und ruhelos ist, dann können ihm selbst die bes-ten materiellen Annehmlichkeiten, das luxuriöseste Haus, in dem alles perfekt ist, keinen inneren Frieden schenken. Da-her ist innerer, geistiger Friede sehr viel wichtiger als mate-rieller Komfort.

    Geistiges Glück kann man nur durch Schulung des eige-nen Geistes gewinnen, es kann nur vom Geist selbst kom-men. Geistiges Glück können Sie selbst als Milliardär nicht im Supermarkt kaufen; und sollten Sie noch so hochent-wickelte Maschinen besitzen – Sie können geistiges Glück nicht produzieren. Wie viele Menschen gibt es, die wirklich reich sind und doch ständig stöhnen!

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    Meditation – Analyse und Sammlung

    Wie schult man den eigenen Geist? Nach buddhistischer Überzeugung ist die wesentliche Methode, um Frieden des Geistes zu entwickeln, nicht das Beten, sondern die Schu-lung des Geistes. Zu diesem Training müssen zwei Tätigkei-ten des Geistes angewandt und entwickelt werden. Die eine ist das Durchdenken und Untersuchen eines Sachverhaltes in der analysierenden, untersuchenden Meditation; die an-dere ist die Sammlung des Geistes in der festigenden Me-ditation, bei der man sich punktförmig auf das erarbeitete Ergebnis konzentriert, das durch die untersuchende Medit-ation erzielt wurde.

    Ohne untersuchende Meditation ist es nicht möglich, ein sicheres, mit Gewissheit verbundenes Verständnis zu ent-wickeln. Deshalb ist sie unerlässlich. Bei dieser Meditati-on muss der zu untersuchende Sachverhalt mit korrekten, schlüssigen Argumenten durchdacht werden. Die zu unter-suchenden Erkenntnisobjekte lassen sich in drei Gruppen einteilen: die Gruppe der offensichtlichen Phänomene, die der leicht verborgenen Phänomene und die der äußerst ver-borgenen Phänomene.

    Um die offensichtlichen Phänomene zu erkennen, brau-chen wir keine Begründungen. Es handelt sich um Dinge, die klar ersichtlich und unmittelbar zu erfahren sind.

    Die leicht verborgenen Phänomene kann man erkennen, indem man sie mit einwandfreien, gültigen Begründungen erschließt und so zu korrekten, tragfähigen Urteilen gelangt.

    Der Weg zu solchen richtigen Erkenntnissen gestaltet sich in folgenden Schritten: In unserem Denken finden sich Auf-fassungen, die ganz im Gegensatz zur Wirklichkeit stehen. Zuerst macht man die logischen Konsequenzen deutlich, die notwendigerweise aus diesen eigenen Auffassungen folgen. Dabei erkennt man, dass das eigene Denken zu inneren Wi-dersprüchen führt und deshalb die Ausgangsauffassungen falsch sein müssen. Dadurch wandelt sich die anfängliche inkorrekte Auffassung, die man von dem jeweiligen Sachver-halt hatte, in einen Zweifel, der nun schon zum Richtigen tendiert. Dieser Zweifel wird dann Schritt für Schritt durch korrekte Argumente und Darlegungen zu einem einwand-freien Verständnis umgewandelt, so dass man fähig wird, den Sachverhalt der Wirklichkeit entsprechend zu erkennen. Dieses Verständnis enthält dann auch die Überzeugung von der Gültigkeit der eigenen Erkenntnis. Doch selbst wenn man durch solche korrekten Begründungen und Schlussfol-gerungen eine sichere Erkenntnis gefunden hat, muss man den Sachverhalt stetig weiter durchdenken und untersuchen. Denn dadurch festigt sich diese mit Gewissheit verbundene Erkenntnis weiter. Und am Ende gelangt man zu einer un-umstößlichen, völlig klaren und unmittelbaren Wahrneh-mung des Sachverhaltes.

    Äußerst verborgene Phänomene lassen sich hingegen nicht allein durch direkte Begründungen und Beobach-tungen erschließen. Nur indem man sich auf eine weitere Person einlässt und verlässt, kann man sie sicher erkennen. Allerdings gilt es erst einmal, diese Person mit begründe-tem, einwandfrei folgerichtigem Denken zu überprüfen, um festzustellen, ob sie Erfahrungen in Form von gültigen