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■■ Herr Fuchs, haben Sie heute schon Ihre Übungen gemacht? CHRISTIAN FUCHS: Ja, wie jeden Tag, wenn ich wenig Zeit habe, von 5.45 Uhr bis 6.05 Uhr das Mindest- programm mit den Atemtechniken. Sonst darf es auch gerne eine Stunde sein. Was die Übungen be- trifft, bin ich sehr diszipliniert. Vor- mittags am Schreibtisch zwischen- durch und nachmittags und abends mit Teilnehmern ohnehin durchzie- hen die Übungen meinen Tag. ■■ Es heißt, Sie seien der Yoga-Papst Deutschlands. FUCHS (lacht): Heißt es. Wobei die Frage ist, wie man das ermitteln will. Tatsächlich gibt es mittlerweile eine Marktforschungsstudie, die die Yoga-Szene bundesweit untersucht hat. Darin wurde ich als die Num- mer eins identifiziert. Vermutlich auf Grund der Kombination dessen, was ich mache: Der Yoga-For- schung, in der ich auch promoviert habe; der Ausbildung von Lehrkräf- ten in meiner doch recht erfolgrei- chen Schule in Bad Boll; den allge- meinen Kursen, die wir hier anbie- ten; und letztlich wohl auch, weil ich neun Jahre im Bundesvorstand unseres Berufsverbandes die Öffent- lichkeitsarbeit gemacht habe. ■■ Als Ihr Vater 1965 in Stuttgart seine Yoga-Schule eröffnet hat, dürf- ten bundesweit maximal 10 000 Leute Yoga betrieben haben. 1975 sprach der Spiegel in einer Titelge- schichte bereits von mehreren hun- derttausend und heute schätzt man deren Zahl auf drei bis vier Millio- nen. Woher rührt der Boom? FUCHS: Bis 2010 könnte die Zahl ei- ner Prognose zufolge sogar auf bis zu zehn Millionen ansteigen. Lässt man das Mutterland Indien weg, ist Deutschland nach den USA schon heute auf Platz zwei, was die Beliebt- heit von Yoga betrifft. Eine Erklä- rung habe ich nicht, aber die Motive habe ich erforscht. Viele schätzen Yoga, weil es etwa bei Rückenleiden rasch Linderung verschafft. Es för- dert die Konzentrationsfähigkeit und hilft bei der Bewältigung von Le- benskrisen, die körperliche oder psychische Ursachen haben. Schließlich bietet Yoga eine spiritu- elle Dimension, die jedoch die we- nigsten zunächst suchen. Via Mund- propaganda wird es offenbar vor al- lem zur Stressreduktion weiter emp- fohlen. ■■ Wie tief greift Yoga in das Leben seiner Anhänger ein? FUCHS: Die Erfahrung lehrt, dass Teilnehmer nach drei Jahren über technische Fragen hinaus zu den Hintergründen vordringen. Das fängt meistens mit kleinen Umstel- lungen in der Ernährung an, er- reicht dann die Neustrukturierung des Tagesablaufs und mündet in existenzielle Fragen, welchen Sinn ich meinem Leben gebe. Oft geht das mit Krisen einher oder sind Kri- sen der Auslöser. Nicht selten schult jemand um in einen sozialen Beruf, in dem er mehr Sinn sieht, oder re- duziert in einem hektischen Job, weil er materiellem Erfolg nicht mehr alles andere im Leben unter- ordnen will. ■■ Gibt es statistische Erhebungen, wer Yoga praktiziert? FUCHS: Bedingt. Wir wissen etwa, dass nur zwei Prozent der Yogis aus der Arbeiterwelt kommen. Es scheint also ein bestimmtes Bil- dungsniveau zu brauchen, um die Zusammenhänge dieser fernöstli- chen Philosophie zu sehen. Stark vertreten sind lehrende Berufe wie Lehrer oder Erzieher, soziale Berufe wie Krankenschwestern, auch Sekre- tärinnen und auffallend viele Selbst- ständige und Führungskräfte. Ich hatte schon Beamte und Leute aus der Werbewirtschaft, die sich noch mit 50 Jahren und älter der Unsi- cherheit einer Selbstständigkeit als Yoga-Trainer aussetzten. Das finde ich schon bemerkenswert. ■■ Yoga als Flucht für Softies aus der Realität? FUCHS: Eher so, dass die Leute mer- ken, die Art wie mich das Leben for- dert, ist nicht gut für mich. Es ist we- niger so, dass unsere Teilnehmer nicht mehr ihren Herausforderun- gen standhalten würden. Im Gegen- teil. Sie lernen, mit den Belastungen souveräner umzugehen. Ich denke etwa an die Krankenschwester, die es nicht mehr erträgt, wie im Ge- sundheitswesen mit Patienten um- gegangen wird. ■■ Aber was kann diese Kranken- schwester ändern? FUCHS: Sich selbst. Je mehr die Leute sich beim Yoga selbst kennen lernen, desto mehr geraten sie einer- seits mit bestehenden Strukturen in Konflikt. Andererseits schöpfen sie aber daraus ihre Energien, in ihrem Umfeld an diesen Strukturen zu ar- beiten und aktiv in unserer Gesell- schaft etwas zu tun. Yoga lehrt aber – im Gegensatz zum mitteleuropäi- schen Klassenkampfdenken – zu- nächst das eigene Haus zu bestel- len. Denn wenn ich mich verän- dere, verändert sich mein Umfeld. Und wenn sich viele verändern, ver- ändert sich die Gesellschaft. ■■ Woran erkennt man einen guten Yoga-Lehrer? FUCHS: Das ist eine sehr gute Frage. Es gibt unseren Berufsver- band, der formale Standards setzt. Dazu zählt zum Beispiel, dass der Lehrer über mindestens 24 bis 30 Monate hinweg 500 Unterrichts- stunden besucht hat. Der Fächerka- non sollte dabei Anatomie und Psy- chologie umfassen, Didaktik mit praktischen Lehrproben und Yoga- Philosophie, um die Hintergründe der Lehre zu verstehen. Ich gehe aber weiter und sage: Der Trainer sollte befristet Schnupperstunden anbieten und seinen Schüler ermun- tern, diese auch anderenorts zu be- suchen, damit er unterscheiden lernt. Er sollte auch kritische Fragen zu seiner Qualifikation und seinen Lehrmethoden zulassen, denn Gu- rugehabe wird der Yoga-Philoso- phie nicht gerecht. ■■ Und was kennzeichnet den guten Yoga-Schüler? FUCHS: Er kommt regelmäßig in den Unterricht und beginnt sobald wie möglich, mit Übungen zuhause seine eigene Yoga-Kultur zu entwi- ckeln. Seinem Lehrer stellt er auch kritische Fragen und versucht nicht, ihn zu kopieren. Ich sage mei- nen Schülern immer: Glaubt dem Fuchs nichts, sondern probiert es selbst aus! ■■ Wie milliardenschwer ist der deutsche Yoga-Markt? FUCHS: Bereits erwähnte Studie, die ein Saarbrücker Unternehmen in Auftrag gegeben hat, prognosti- ziert, dass 2010 fünf bis sechs Milli- arden Euro pro Jahr für Unterricht ausgegeben werden und weitere zwei bis drei Milliarden für Zubehör wie Matten oder Textilien. Ich halte diese Zahlen für überzogen. Klar ist aber, dass die Branche auch Ge- schäftemacher anzieht. Deshalb braucht es kritische Distanz zu den Trainern und viel Wissen über das Thema und nachvollziehbare Stan- dards. ■■ Welche Rolle spielt dabei Ihr Be- rufsverband? FUCHS: Der Berufsverband der Yo- galehrenden in Deutschland, abge- kürzt BDY, repräsentiert mit 2500 Trainern noch etwa 20 bis 25 Pro- zent der bundesweiten Szene. Ten- denz sinkend. Denn immer neue Trainer und Konzepte mit teils zwei- felhaftem Ruf drängen auf den Markt und haben gute Chancen, weil der BDY eher konservativ-leise daher kommt. Die neuen Anbieter sind oft hipp und trendig, sprechen vor allem in großen Städten ein brei- tes Publikum an und versprechen ra- sche Erfolge. Aktuell mischt eine straff organisierte Yoga W & W GmbH & Co. KG aus Saarbrücken, die eine Yoga-Trainerin und eine Rechtsanwältin gegründet haben, den Markt mächtig auf. Die Firma hat auch die bereits zitierte Studie in Auftrag gegeben. Die wollen nun einen bundesweiten IHK-Standard mit Zertifikat einführen. Grundsätz- lich ist diese Idee nicht falsch, greift aber nach unserem Verständnis zu kurz, weil das Zertifikat zu leicht er- reichbar ist. Wenn dann aber dieses beworben wird, bemerken die aller- meisten nicht mehr den qualitati- ven Unterschied. ■■ Wie wird sich der Yoga-Markt in Deutschland weiter entwickeln? FUCHS: Die Tendenz zur Kommer- zialisierung habe ich ja bereits ange- sprochen. Interessant finde ich aber, dass Yoga nun auch gesell- schaftsfähig wird. Ursprünglich galt es als Ventil für Aussteiger und ge- langweilte Hausfrauen. Showstars und Schauspieler, die bei ihren Übungen entspannen, wurden belä- chelt. Jetzt bekennen sich zuneh- mend auch Politiker und Wirt- schaftsbosse dazu, dass sie seit Jah- ren Yoga betreiben. Das durfte bis vor kurzem niemand wissen, jetzt darf man das sogar sagen. Auch Jür- gen Klinsmann hat mit der National- mannschaft Yoga betrieben. Damit kommt die Entspannungstechnik endlich aus der esoterischen Ecke heraus. ■■ Wird die Methode damit aber nicht zugleich verzweckt? FUCHS: Kritisch merke ich an, dass Yoga nun in der Gefahr steht, be- nutzt und pervertiert zu werden, um noch mehr Leistung aus den Menschen herauszuquetschen oder sie auch unter höchstem Druck sta- bil zu halten. Aber warum sollte es fernöstlichen Philosophien besser ergehen als den hiesigen Religio- nen. Es ist immer schwierig, das Kostbare zu bewahren und zu ver- mitteln Er gilt als Deutschlands „Yoga-Papst“ und ist der Sohn von Rudolf Fuchs, der 1965 in Stuttgart eine der ersten Schulen in Deutschland für die fernöstliche Lehre eröffnet hatte. Im Gespräch mit Leon- hard Fromm gibt der Bad Boller Dr. Christian Fuchs Einblicke in den boomenden Markt. „Yoga lehrt, sich zu verändern und neue Energie zu schöpfen“ Dr. Christian Fuchs: „Kritisch merke ich an, dass Yoga nun in der Gefahr steht, be- nutzt und pervertiert zu werden, um noch mehr Leistung aus den Menschen he- rauszuquetschen.“ FOTOS: STAUFENPRESS In der Reihe „Charakterköpfe“ er- schienen in diesem Jahr bislang In- terviews unter anderem mit: dem Kriminologen Christian Pfeiffer, Christoph Biemann („Sen- dung mit der Maus“), dem Erzie- hungswissenschaftler Albert Wunsch, dem Läufer Dieter Bau- mann, dem Chef der Bereitschafts- polizei Thomas Mürder, dem In- dustriedesigner Jürgen Schmid, dem Schriftsteller Wiglaf Droste, dem SWR-Moderator Matthias Holtmann, dem Kabarettisten Klaus Birk, der Säbelfechterin San- dra Mangold, dem Sänger-Duo Marshall und Alexander, dem Clown Toni Alexis, dem KZ-Überle- benden Arno Lustiger, dem Schrift- steller Feridun Zaimoglu, dem Lan- deskonditormeister Robert Wid- mann, der Drummer-Legende Charlie Antonlini, dem Karateka Fi- roe Tartaglia, dem Kulturmacher Klaus Ege, dem Boxer Firat Arslan, dem Gewerkschafter Klaus Zwi- ckel, dem Familienberater Jan- Uwe Rogge, dem Marketingprofes- sor Werner Ziegler, dem Kabarettis- ten Gerhard Polt, der Bundesver- fassungsrichterin Christine Hoh- mann, dem Regisseur Alexander Warmbrunn, dem Tenor Marko Ka- thol, dem Schauspieler Dietz-Wer- ner Steck, dem Musiker Alexander Eissele, dem Ex-Fußballer Günter Netzer, dem Mikropaläontologen Michael Montenari, dem DRK-Prä- sidenten Rudolf Seiters, der Kaba- rettistin Sissi Perlinger, dem Agrar- wissenschaftler Theodor Berg- mann, dem Politiker Egon Bahr, der Ordensfrau Lea Ackermann, dem Fernseh-Autor Felix Huby, der Wissenschaftsjournalistin Dagmar Röhrlich, dem Kunsthistoriker Markus Golser, dem Mikrofotogra- fen Manfred P. Kage, dem früheren Leiter der Schlossschule Salem Bernhard Bueb und der Sozialar- beiterin Gönül Sebibucin aus Göp- pingen. CHARAKTERKOPF: CHRISTIAN FUCHS „Auf den Markt kommen auch Konzepte mit teils zweifelhaftem Ruf“ Unsere Charakterköpfe 2006 „Die meisten empfehlen Yoga wohl zur Stressreduktion weiter“ Christian Fuchs studiert von 1977 bis 1983 in Tübingen Indologie, Religionswissenschaften und Phi- losophie. Parallel absolviert er bei seinem Vater Rudolf Fuchs, der 1965 in Stuttgart eine der ersten deutschen Yoga-Schulen gegrün- det hatte, eine Ausbildung zum Yoga-Lehrer. Als solcher arbeitet er anschließend bei der Volks- hochschule und schreibt von 1985 bis 89 an seiner Doktorar- beit über „Yoga in Deutschland“. 1989 gründet Fuchs in Stuttgart sein Institut für Yoga-Forschung (IYF) und ist von 1991 bis 2000 Vorstandsmitglied im Berufsver- band der Yoga-Lehrenden in Deutschland für den er nebenbei die Öffentlichkeitsarbeit macht. 1993 eröffnet er mit einem Kol- legen in Stuttgart sein eigenes Yoga-Zentrum und gründet 1997 mit seiner Frau Kerstin die „Yoga- Akademie Stuttgart“ (YAS). 1999 kauft das Paar in Bad Boll das „Do- belhaus“ und verlegt den Sitz von Institut und Akademie dorthin. Zusammen mit seiner Frau gibt er dort wöchentliche Kurse für Erwachsene, Jugendliche und Kinder. In vierjährigen Lehrgän- gen mit 800 Unterrichtsstunden bildet Fuchs zudem rund 20 Trai- ner pro Jahr aus dem gesamten deutschsprachigen Raum aus. Als Forscher ist er Autor vieler Fach- publikationen. Der 51-Jährige ist verheiratet und hat zwei Kinder. „Nur zwei Prozent der Yogis kommen aus der Arbeiterwelt“ Steckbrief

—Yoga lehrt, sich zu - Yoga- · PDF filennHerr Fuchs, haben Sie heute schon Ihre Übungen gemacht? CHRISTIAN FUCHS: Ja, wie jeden Tag, wenn ich wenig Zeit habe, von 5.45 Uhr bis

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Page 1: —Yoga lehrt, sich zu - Yoga- · PDF filennHerr Fuchs, haben Sie heute schon Ihre Übungen gemacht? CHRISTIAN FUCHS: Ja, wie jeden Tag, wenn ich wenig Zeit habe, von 5.45 Uhr bis

nn Herr Fuchs, haben Sie heuteschon Ihre Übungen gemacht?CHRISTIAN FUCHS: Ja, wie jedenTag, wenn ich wenig Zeit habe, von5.45 Uhr bis 6.05 Uhr das Mindest-programm mit den Atemtechniken.Sonst darf es auch gerne eineStunde sein. Was die Übungen be-trifft, bin ich sehr diszipliniert. Vor-mittags am Schreibtisch zwischen-durch und nachmittags und abendsmit Teilnehmern ohnehin durchzie-hen die Übungen meinen Tag.

nn Es heißt, Sie seien der Yoga-PapstDeutschlands.FUCHS (lacht): Heißt es. Wobei dieFrage ist, wie man das ermittelnwill. Tatsächlich gibt es mittlerweileeine Marktforschungsstudie, die dieYoga-Szene bundesweit untersuchthat. Darin wurde ich als die Num-mer eins identifiziert. Vermutlichauf Grund der Kombination dessen,was ich mache: Der Yoga-For-schung, in der ich auch promovierthabe; der Ausbildung von Lehrkräf-ten in meiner doch recht erfolgrei-chen Schule in Bad Boll; den allge-meinen Kursen, die wir hier anbie-ten; und letztlich wohl auch, weilich neun Jahre im Bundesvorstandunseres Berufsverbandes die Öffent-lichkeitsarbeit gemacht habe.

nn Als Ihr Vater 1965 in Stuttgartseine Yoga-Schule eröffnet hat, dürf-ten bundesweit maximal 10 000Leute Yoga betrieben haben. 1975

sprach der Spiegel in einer Titelge-schichte bereits von mehreren hun-derttausend und heute schätzt manderen Zahl auf drei bis vier Millio-nen. Woher rührt der Boom?FUCHS: Bis 2010 könnte die Zahl ei-ner Prognose zufolge sogar auf bis

zu zehn Millionen ansteigen. Lässtman das Mutterland Indien weg, istDeutschland nach den USA schonheute auf Platz zwei, was die Beliebt-heit von Yoga betrifft. Eine Erklä-rung habe ich nicht, aber die Motivehabe ich erforscht. Viele schätzenYoga, weil es etwa bei Rückenleidenrasch Linderung verschafft. Es för-

dert die Konzentrationsfähigkeitund hilft bei der Bewältigung von Le-benskrisen, die körperliche oderpsychische Ursachen haben.Schließlich bietet Yoga eine spiritu-elle Dimension, die jedoch die we-nigsten zunächst suchen. Via Mund-propaganda wird es offenbar vor al-lem zur Stressreduktion weiter emp-fohlen.

nn Wie tief greift Yoga in das Lebenseiner Anhänger ein?FUCHS: Die Erfahrung lehrt, dassTeilnehmer nach drei Jahren übertechnische Fragen hinaus zu denHintergründen vordringen. Dasfängt meistens mit kleinen Umstel-lungen in der Ernährung an, er-reicht dann die Neustrukturierungdes Tagesablaufs und mündet inexistenzielle Fragen, welchen Sinnich meinem Leben gebe. Oft gehtdas mit Krisen einher oder sind Kri-sen der Auslöser. Nicht selten schultjemand um in einen sozialen Beruf,in dem er mehr Sinn sieht, oder re-duziert in einem hektischen Job,weil er materiellem Erfolg nichtmehr alles andere im Leben unter-ordnen will.

nn Gibt es statistische Erhebungen,wer Yoga praktiziert?FUCHS: Bedingt. Wir wissen etwa,dass nur zwei Prozent der Yogis ausder Arbeiterwelt kommen. Esscheint also ein bestimmtes Bil-dungsniveau zu brauchen, um dieZusammenhänge dieser fernöstli-chen Philosophie zu sehen. Stark

vertreten sind lehrende Berufe wieLehrer oder Erzieher, soziale Berufewie Krankenschwestern, auch Sekre-tärinnen und auffallend viele Selbst-ständige und Führungskräfte. Ichhatte schon Beamte und Leute ausder Werbewirtschaft, die sich nochmit 50 Jahren und älter der Unsi-cherheit einer Selbstständigkeit alsYoga-Trainer aussetzten. Das findeich schon bemerkenswert.

nn Yoga als Flucht für Softies aus derRealität?FUCHS: Eher so, dass die Leute mer-ken, die Art wie mich das Leben for-dert, ist nicht gut für mich. Es ist we-niger so, dass unsere Teilnehmernicht mehr ihren Herausforderun-gen standhalten würden. Im Gegen-teil. Sie lernen, mit den Belastungensouveräner umzugehen. Ich denkeetwa an die Krankenschwester, diees nicht mehr erträgt, wie im Ge-

sundheitswesen mit Patienten um-gegangen wird.

nn Aber was kann diese Kranken-schwester ändern?FUCHS: Sich selbst. Je mehr dieLeute sich beim Yoga selbst kennenlernen, desto mehr geraten sie einer-seits mit bestehenden Strukturen inKonflikt. Andererseits schöpfen sieaber daraus ihre Energien, in ihremUmfeld an diesen Strukturen zu ar-

beiten und aktiv in unserer Gesell-schaft etwas zu tun. Yoga lehrt aber– im Gegensatz zum mitteleuropäi-schen Klassenkampfdenken – zu-nächst das eigene Haus zu bestel-len. Denn wenn ich mich verän-dere, verändert sich mein Umfeld.Und wenn sich viele verändern, ver-ändert sich die Gesellschaft.

nn Woran erkennt man einen gutenYoga-Lehrer?FUCHS: Das ist eine sehr guteFrage. Es gibt unseren Berufsver-band, der formale Standards setzt.Dazu zählt zum Beispiel, dass derLehrer über mindestens 24 bis 30Monate hinweg 500 Unterrichts-stunden besucht hat. Der Fächerka-non sollte dabei Anatomie und Psy-chologie umfassen, Didaktik mitpraktischen Lehrproben und Yoga-Philosophie, um die Hintergründeder Lehre zu verstehen. Ich geheaber weiter und sage: Der Trainersollte befristet Schnupperstundenanbieten und seinen Schüler ermun-tern, diese auch anderenorts zu be-suchen, damit er unterscheidenlernt. Er sollte auch kritische Fragenzu seiner Qualifikation und seinenLehrmethoden zulassen, denn Gu-rugehabe wird der Yoga-Philoso-phie nicht gerecht.

nn Und was kennzeichnet den gutenYoga-Schüler?FUCHS: Er kommt regelmäßig inden Unterricht und beginnt sobaldwie möglich, mit Übungen zuhauseseine eigene Yoga-Kultur zu entwi-ckeln. Seinem Lehrer stellt er auchkritische Fragen und versuchtnicht, ihn zu kopieren. Ich sage mei-

nen Schülern immer: Glaubt demFuchs nichts, sondern probiert esselbst aus!

nn Wie milliardenschwer ist derdeutsche Yoga-Markt?FUCHS: Bereits erwähnte Studie,die ein Saarbrücker Unternehmenin Auftrag gegeben hat, prognosti-ziert, dass 2010 fünf bis sechs Milli-arden Euro pro Jahr für Unterrichtausgegeben werden und weiterezwei bis drei Milliarden für Zubehörwie Matten oder Textilien. Ich haltediese Zahlen für überzogen. Klar istaber, dass die Branche auch Ge-schäftemacher anzieht. Deshalbbraucht es kritische Distanz zu denTrainern und viel Wissen über dasThema und nachvollziehbare Stan-dards.

nn Welche Rolle spielt dabei Ihr Be-rufsverband?FUCHS: Der Berufsverband der Yo-galehrenden in Deutschland, abge-kürzt BDY, repräsentiert mit 2500Trainern noch etwa 20 bis 25 Pro-zent der bundesweiten Szene. Ten-denz sinkend. Denn immer neueTrainer und Konzepte mit teils zwei-felhaftem Ruf drängen auf denMarkt und haben gute Chancen,weil der BDY eher konservativ-leise

daher kommt. Die neuen Anbietersind oft hipp und trendig, sprechenvor allem in großen Städten ein brei-tes Publikum an und versprechen ra-sche Erfolge. Aktuell mischt einestraff organisierte Yoga W & WGmbH & Co. KG aus Saarbrücken,die eine Yoga-Trainerin und eineRechtsanwältin gegründet haben,den Markt mächtig auf. Die Firmahat auch die bereits zitierte Studiein Auftrag gegeben. Die wollen nuneinen bundesweiten IHK-Standardmit Zertifikat einführen. Grundsätz-lich ist diese Idee nicht falsch, greiftaber nach unserem Verständnis zukurz, weil das Zertifikat zu leicht er-reichbar ist. Wenn dann aber diesesbeworben wird, bemerken die aller-meisten nicht mehr den qualitati-ven Unterschied.

nn Wie wird sich der Yoga-Markt inDeutschland weiter entwickeln?FUCHS: Die Tendenz zur Kommer-zialisierung habe ich ja bereits ange-sprochen. Interessant finde ichaber, dass Yoga nun auch gesell-schaftsfähig wird. Ursprünglich galtes als Ventil für Aussteiger und ge-langweilte Hausfrauen. Showstars

und Schauspieler, die bei ihrenÜbungen entspannen, wurden belä-chelt. Jetzt bekennen sich zuneh-mend auch Politiker und Wirt-schaftsbosse dazu, dass sie seit Jah-ren Yoga betreiben. Das durfte bisvor kurzem niemand wissen, jetztdarf man das sogar sagen. Auch Jür-gen Klinsmann hat mit der National-mannschaft Yoga betrieben. Damitkommt die Entspannungstechnikendlich aus der esoterischen Eckeheraus.

nn Wird die Methode damit abernicht zugleich verzweckt?FUCHS: Kritisch merke ich an, dassYoga nun in der Gefahr steht, be-nutzt und pervertiert zu werden,um noch mehr Leistung aus denMenschen herauszuquetschen odersie auch unter höchstem Druck sta-bil zu halten. Aber warum sollte esfernöstlichen Philosophien besserergehen als den hiesigen Religio-nen. Es ist immer schwierig, dasKostbare zu bewahren und zu ver-mitteln

Er gilt als Deutschlands„Yoga-Papst“ und istder Sohn von RudolfFuchs, der 1965 in

Stuttgart eine der erstenSchulen in Deutschland

für die fernöstlicheLehre eröffnet hatte.

Im Gespräch mit Leon-hard Fromm gibt der

Bad BollerDr. Christian Fuchs

Einblicke in denboomenden Markt.

„Yoga lehrt, sich zuverändern und neueEnergie zu schöpfen“

Dr. Christian Fuchs: „Kritisch merke ich an, dass Yoga nun in der Gefahr steht, be-nutzt und pervertiert zu werden, um noch mehr Leistung aus den Menschen he-rauszuquetschen.“ FOTOS: STAUFENPRESS

In der Reihe „Charakterköpfe“ er-schienen in diesem Jahr bislang In-terviews unter anderem mit:

dem Kriminologen ChristianPfeiffer, Christoph Biemann („Sen-dung mit der Maus“), dem Erzie-hungswissenschaftler AlbertWunsch, dem Läufer Dieter Bau-mann, dem Chef der Bereitschafts-polizei Thomas Mürder, dem In-dustriedesigner Jürgen Schmid,dem Schriftsteller Wiglaf Droste,dem SWR-Moderator MatthiasHoltmann, dem KabarettistenKlaus Birk, der Säbelfechterin San-dra Mangold, dem Sänger-DuoMarshall und Alexander, demClown Toni Alexis, dem KZ-Überle-benden Arno Lustiger, dem Schrift-steller Feridun Zaimoglu, dem Lan-deskonditormeister Robert Wid-mann, der Drummer-LegendeCharlie Antonlini, dem Karateka Fi-roe Tartaglia, dem KulturmacherKlaus Ege, dem Boxer Firat Arslan,dem Gewerkschafter Klaus Zwi-

ckel, dem Familienberater Jan-Uwe Rogge, dem Marketingprofes-sor Werner Ziegler, dem Kabarettis-ten Gerhard Polt, der Bundesver-fassungsrichterin Christine Hoh-mann, dem Regisseur AlexanderWarmbrunn, dem Tenor Marko Ka-thol, dem Schauspieler Dietz-Wer-ner Steck, dem Musiker AlexanderEissele, dem Ex-Fußballer GünterNetzer, dem MikropaläontologenMichael Montenari, dem DRK-Prä-sidenten Rudolf Seiters, der Kaba-rettistin Sissi Perlinger, dem Agrar-wissenschaftler Theodor Berg-mann, dem Politiker Egon Bahr,der Ordensfrau Lea Ackermann,dem Fernseh-Autor Felix Huby, derWissenschaftsjournalistin DagmarRöhrlich, dem KunsthistorikerMarkus Golser, dem Mikrofotogra-fen Manfred P. Kage, dem früherenLeiter der Schlossschule SalemBernhard Bueb und der Sozialar-beiterin Gönül Sebibucin aus Göp-pingen.

CHARAKTERKOPF: CHRISTIAN FUCHS

„Auf den Markt kommenauch Konzepte mit

teils zweifelhaftem Ruf“

Unsere Charakterköpfe 2006

„Die meisten empfehlenYoga wohl zur

Stressreduktion weiter“

Christian Fuchs studiert von 1977bis 1983 in Tübingen Indologie,Religionswissenschaften und Phi-losophie. Parallel absolviert er beiseinem Vater Rudolf Fuchs, der1965 in Stuttgart eine der erstendeutschen Yoga-Schulen gegrün-det hatte, eine Ausbildung zumYoga-Lehrer. Als solcher arbeiteter anschließend bei der Volks-hochschule und schreibt von1985 bis 89 an seiner Doktorar-beit über „Yoga in Deutschland“.1989 gründet Fuchs in Stuttgartsein Institut für Yoga-Forschung(IYF) und ist von 1991 bis 2000Vorstandsmitglied im Berufsver-band der Yoga-Lehrenden inDeutschland für den er nebenbeidie Öffentlichkeitsarbeit macht.

1993 eröffnet er mit einem Kol-legen in Stuttgart sein eigenesYoga-Zentrum und gründet 1997mit seiner Frau Kerstin die „Yoga-Akademie Stuttgart“ (YAS). 1999kauft das Paar in Bad Boll das „Do-belhaus“ und verlegt den Sitz vonInstitut und Akademie dorthin.

Zusammen mit seiner Fraugibt er dort wöchentliche Kursefür Erwachsene, Jugendliche undKinder. In vierjährigen Lehrgän-gen mit 800 Unterrichtsstundenbildet Fuchs zudem rund 20 Trai-ner pro Jahr aus dem gesamtendeutschsprachigen Raum aus. AlsForscher ist er Autor vieler Fach-publikationen. Der 51-Jährige istverheiratet und hat zwei Kinder.

„Nur zwei Prozent derYogis kommen aus der

Arbeiterwelt“

Steckbrief